Auszug aus Henry Benrath: Vorarbeiten zu "Die Kaiserin Theophano"

HENRY BENRATH - VORARBEITEN

 

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HENRY BENRATH

Vorarbeiten zu „Die Kaiserin Theophano“

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Stuttgart Berlin

Deutsche Verlags-Anstalt

 

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Copyright 1941 by Deutsche Verlags-Anstalt G.M.B.H

Stuttgart. Printed in Germany. Druck der Deutschen Verlags-Anstalt G.M.B.H. Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, Württemberg

 

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VORWORT DES VERFASSERS

 

Die wenigen (unter den unzähligen) Vorarbeiten zu der Prosadichtung «Die Kaiserin Theophano», welche in diesem Buche veröffentlicht werden, sollen dartun, daß ihr Verfasser einen geschichtlichen Stoff erst dann zu einem künstlerischen Gebilde auszuglühen vermag, wenn er ihn durch sachliche Klärung und psychologische Durchdringung auf die Ebene der größten Wahrscheinlichkeit hinaufgehoben hat.

 

Solange nicht mit mathematischer Genauigkeit alle Imponderabilien errechnet werden können, aus denen sich --- von Fall zu Fall --- geschichtliches Handeln ergibt, kann Geschichte niemals «faktische» Wahrheit sein.

 

Dem Dichter ist die Bemühung um die menschliche Seele aufgetragen, nachdem er sich das genaue Wissen um die Geschehnisse zu eigen gemacht hat. Die Geschehnisse ihrerseits aber erstrahlen ihm in besonderem Lichte, wenn er um Anlage und Art ihrer Verursacher und Vollzieher Bescheid weiß. Aus dieser beständigen Wechselwirkung wird die Dichtung geboren. Schon der Beginn ihrer Geburt ist die Überwindung des mühsam zusammengetragenen Stoffes: ist schon das Geheimnis. An den Schöpfer können also billigerweise keine Fragen mehr gerichtet werden.

 

Cerro (Lago Maggiore), Juli 1940.

 

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Wilhelm Braun

In Erinnerung an alle Jahre gemeinsamer Arbeit gewidmet

 

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Erster Teil

TEXT

 

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I WER WAR DIE KAISERIN THEOPHANO?

 

Der Universitätsbibliothek Basel in Dank gewidmet

 

Wir hatten in der Schule und auf der Universität gelernt, daß der Kaiser Otto I. (936-973) im Jahre 972 seinen einzigen Sohn, den Kaiser Otto II., mit der byzantinischen Prinzessin Theophano, der Tochter des Kaisers Romanos II., aus der sogenannten «makedonischen» Dynastie vermählt habe.

 

Theophano war also für uns die «purpurgeborene» Tochter des oströmischen «Basileus» (Herrschers), die Schwester der zukünftigen Thronerben Basileios II. und Konstantin VIII. Die deutschen und ausländischen Geschichtsschreiber, welche zu Anfang des 20. Jahrhunderts Geltung hatten, vertraten die gleiche Ansicht.

 

Daß schon im Jahre 1878 ein junger deutscher Gelehrter -- Johannes Moltmann -- in einer Inauguraldissertation (Göttingen), welche von hohem geschichtlichen Einfühlungsvermögen Zeugnis ablegt, mehr als berechtigte Zweifel an der Richtigkeit dieser allgemein gültigen Auffassung erhob, störte die Historiker nicht besonders. Moltmanns These lautete ganz einfach dahin, daß Theophano keine Prinzessin des makedonischen Kaiserhauses gewesen sein könne.

 

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Stammtafel der Kaiserin Theophano (956-991)

 

 

 

 

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Abstammung

 

Auch ich hatte lange die herrschende Auffassung zu der meinen gemacht, bevor ich die selten gewordene Dissertation Moltmanns zu Gesicht bekam. Es gab, nachdem ich sie mehrere Male gelesen und quellenmäßig überprüft hatte, für mich keinen Zweifel mehr, daß sie den Nagel auf den Kopf treffe: Theophano hatte nun auch für mich aufgehört, die «purpurgeborene» byzantinische Prinzessin zu sein, welche dem deutschen Königssohn zu einem Zeitpunkt vermählt wurde, als er schon gekrönter Mitkaiser seines Vaters war. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, die Argumente Moltmanns bis ins einzelne zu kommentieren. Ich kann Sie nur -- da ich Sie anerkenne -- psychologisch ausweiten.

 

Als Ausgangspunkt dieser Darlegungen ist folgende Tatsache festzuhalten: Es ist nirgends bestätigt, daß der Kaiser Romanos II. überhaupt eine Tochter des Namens Theophano gehabt habe. Romanos, der in zweiter Ehe mit einer Frau verheiratet war, welche Anastasia hieß und nicht näher zu bestimmender Abkunft war -- die Legende ihrer proletarischen Abkunft (Schankwirtstochter) muß natürlich mit größter Vorsicht aufgenommen werden ---, hatte außer seinen beiden Söhnen Basileios II. (geb. um 957) und Konstantin VIII. (geb. um 960) nur eine einzige, drei Tage nach seinem Tode zur Welt gekommene Tochter (963), Anna mit Namen. Nur dieser Tochter also könnte die durch den Bischof Liutprand von Cremona im Jahre 968 vorgetragene Werbung Ottos I. gegolten haben, sofern die Braut der herrschenden makedonischen Dynastie entstammen sollte. Es ist uns

 

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nicht einmal bekannt, ob Liutprand während seines Aufenthaltes in Byzanz überhaupt die damals erst fünfjährige Prinzessin Anna zu Gesicht bekam. Sein berühmter Bericht über seine Reise schweigt sich über die Frage der Werbung und ihrer Begleitumstände aus. Als sicher dürfen wir annehmen, daß er den Kaiser Otto I. zu weiteren Werbungen in Byzanz nicht eben ermutigt hat. Und ebenso sicher dürfen wir damit rechnen, daß Ottos Gemahlin, die Kaiserin Adelheid, welche als Tochter des burgundischen Königs Rudolf II. und seiner Gattin Bertha welfisch-schwäbisches Blut in den Adern hatte, eine Ehe ihres Sohnes mit dem «purpurgeborenen» Kind aus Byzanz nicht mit freundlichen Augen ansah. Es war also der Stand der Dinge Anfang 969 so: Die Werbung Ottos I. um die Prinzessin Anna hatte zu keinem Ziel geführt. Von einer Prinzessin Theophano, welche als Ersatz hätte in Frage kommen können, verlautet nichts.

 

Ein zweiter, vielleicht der wichtigste Punkt im Verlauf der Aufklärung, ist dieser: Wir besitzen die Schenkungsurkunde des jungverheirateten Kaisers Otto II. an seine Gattin Theophano aus dem Jahre 972:


also ein Dokument allerersten Ranges, an dem nichts zu deuten und zu drehen ist. Im Jahre 972 regierte in Byzanz Johannes Tsimiskes, welcher nicht der makedonischen Dynastie angehörte. In der Schenkungsurkunde nun wird Theophano nur bezeichnet als die Nichte dieses Kaisers Tsimiskes. Ist es glaubhaft, daß man in einem so bedeutsamen Dokument die junge Kaiserin nicht als Tochter des Kaisers Romanos II. aufgeführt hätte, wenn Sie es gewesen wäre? Sollte man in der Rücksicht auf den Kaiser Tsimiskes soweit gegangen sein, den Rang einer

 

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Nichte des augenblicklichen Throninhabers für höher zu erachten als den Rang einer «purpurgeborenen» Tochter des verstorbenen Kaisers aus der Makedonenfamilie? Das ist, nach der äußerst strengen Auffassung jener Zeiten, völlig ausgeschlossen. Percy Schramm, der bekannte deutsche Historiker, hat in seiner prachtvollen Arbeit «Kaiser, Papst und Basileus» dieser psychologischen Begründung noch eine sehr einleuchtende formale zugefügt: er weist nach, daß die Schenkungsurkunde abgefaßt ist nach der genauen Vorlage einer andern Schenkungsurkunde: nämlich derjenigen des Königs Lothar von Italien an seine Gattin Adelheid (die in zweiter Ehe mit Otto I. verheiratete Kaiserin). In dieser Urkunde wird Adelheid, wie es ganz selbstverständlich ist, als «Tochter des Königs Rudolf erlauchten Angedenkens» bezeichnet. Das Fehlen eines solchen präzisen genealogischen Hinweises in der Urkunde der Theophano beweist, daß er billigerweise nicht angebracht werden konnte.

 

Es gibt einen dritten Punkt, dessen Gewicht das schon vorhandene Ergebnis vertieft. Er liegt im Bereich der kanonischen Gesetzgebung und wird auch von Schramm angeführt. Er hilft uns, den mittelbaren (indirekten) Beweis dafür zu erbringen, daß die Kaiserin Theophano unmöglich die Tochter Romanos‘ II. gewesen sein kann.

 

Theophano war -- wie jeder weiß -- die Mutter Ottos III., eines der ungewöhnlichsten und genialsten Menschen, die jemals den deutsch-römischen Kaiserthron innehatten. Er wurde von manchen seiner Zeitgenossen «Wunder der Welt» genannt. Nach der seither üblichen Auffassung, welche in Theophano die Tochter Romanos' II.

 

Benrath, Vorarbeiten 2

 

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sehen will, hätte also Otto III. neben dem sächsisch-welfisch-schwäbischen Blut seines Vaters, Ottos II. auch das Blut der makedonischen Dynastie und außerdem das unbestimmbare Blut seiner mütterlichen Großmutter --- der angeblichen Schankwirtstochter Anastasia --- in seinen Adern getragen: also eben jene Mischung, welche man ihm oft genug vorwarf und als die Quelle seiner Sonderbarkeiten oder gar seiner «Dekadenz» bezeichnete. Er wäre --- durch seine Mutter Theophano --- der Neffe der Kaiser Basileios II. und Konstantin VIII. Gewesen, welche schon vor seiner Geburt, seit dem Jahre 976, nach dem Tode des Kaisers Tsimiskes, die Herrschaft der makedonischen Dynastie unter unter einer gemeinsamen Regierung fortführten. Basileios II. war unverheiratet und ohne Leibeserben. Konstantin VIII. aber hatte drei Töchter, Eudokia, welche, durch Pockennarben entstellt, als Nonne in einem Kloster lebte, und die späteren Kaiserinnen Zoë und Theodora.



Zoë nun (oder auch Theodora, was auf das gleiche hinausläuft), welche im Jahre 980 geboren wurde, ist eben diejenige byzantinische, «purpurgeborene» Prinzessin, um deren Hand Otto III. in der Mitte der Neunzigerjahre werben ließ. Sie war gleichaltrig mit ihm --- und wäre die Tochter seines blutsverwandten Onkels, also seine Kusine gewesen, sofern man in Theophano die Tochter des Romanos II. und die Schwester des Kaisers Konstantin VIII., also die blutsverwandte Tante der Zoë, sehen will.

 

Nun: es ist nach den Auffassungen des 10. Jahrhunderts, und besonders nach den unendlich strengen, die in Byzanz herrschten, ganz ausgeschlossen, daß eine Ehe von Vetter und Kusine (welche immer Blutsverwandte sind)

 

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jemals hätte vollzogen werden können. Die Bewerbung Ottos III. um die Prinzessin Zoë (oder Theodora) ist geschichtliche Tatsache. Also kann Theophano unmöglich die Schwester Konstantins VIII., unmöglich die Tochter Romanos‘ II. gewesen sein, Zwischen ihr und der makedonischen Dynastie kann überhaupt keine Verwandschaft bestanden haben. Hiermit ist der erste Teil der Beweisführung abgeschlossen. Wir wissen genau, wer Theophano nicht war. Unsere weitere Bemühung hat nun zu ergründen, wer sie war.

 

Ein einziger Anhaltspunkt ist --- geschichtlich --- aus der Schenkungsurkunde gegeben: Sie war die Nichte des Kaisers Johannes Tsimiskes, der von 969 bis 976 regierte, nachdem er seinen Vorgänger (Vetter oder Onkel), den mißliebig gewordenen Kaiser Nikephoros Phokas II. (963--969), beseitigt hatte. Wieso war Theophano die Nichte des Tsimiskes? Durch Bande des Blutes oder durch Anheirat ? Durch Anheirat, behaupten die Vertreter der der Meinung, daß Theophano als die Tochter Romanos‘ II. angesprochen werden müsse, auch wenn kein einziger überlieferter Stammbaum der Familie des Romanos diesen Namen führt. Denn: (argumentiert man) Der Kaiser Tsimiskes war in zweiter Ehe (971) verheiratet mit Theodora, einer Schwester des Kaisers Romanos, also einer Tochter des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogenetos: also einer blutsverwandten Tante der Theophano. Durch diese Ehe, welche eine nahe Verwandschaft des armenischen Tsimiskes mit der makedonischen Dynastie herstellen sollte, wäre Theophano als Sprossin

 

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der gleichen Dynastie zu einer angeheirateten Nichte des Tsimiskes geworden. Ihre Bezeichnung als solche in der ehelichen Schenkungsurkunde ihres Gatten bestünde also zu Recht.

 

Diese Argumentation scheidet für jeden aus, der sich mit uns davon überzeugt hat, daß Theophano mit der makedonischen Dynastie nichts zu tun gehabt haben kann. Es bleibt also --- nach Ablehnung der unmöglichen Version --- nur die Tatsache bestehen, daß sie infolge anderer Verwandtschaftsbeziehungen die Nichte des Tsimiskes gewesen sein muß. Welcher?

 

Wir wissen nichts von Brüdern oder Schwestern des Kaisers Tsimiskes. Immerhin: es könnte der Fall gewesen sein, daß er solche gehabt hätte, auch wenn sie im Stammbaum seiner Familie nicht erwähnt wären. Denn wir können für die Genealogie einer noch so hohen Adelsfamilie von seiten der zeitgenössischen Historiker nicht dieselbe Genauigkeit der Namensverzeichnung voraussetzen wie für die regierende Kaiserfamilie. Johannes Tsimiskes gehörte dem vornehmsten armenischen Geschlechte an, das es damals gab: dem Geschlecht der Kurkuas (oder Gurgen), dessen Stellung im oströmischen Reich etwa mit derjenigen einer deutschen oder französischen Herzogsfamilie der gleichen Epoche verglichen werden kann. Theophano könnte also sehr wohl die Tochter eines Bruders oder einer Schwester des Tsimiskes gewesen sein und daher in der Urkunde als seine «Nichte» bezeichnet werden. Es möge hier sogleich gesagt sein, daß diese Möglichkeit für jeden zu Recht besteht, dem die nächstfolgenden Beweisführungen nicht stichhaltig genug erscheinen. Wir selbst können, sofern

 

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wir auf Grund historischer Gegebenneiten alle Chancen der Kombinationen gewissenhaft überprüfen und ausnutzen wollen, nicht bei dieser sehr vagen Wahrscheinlichkeitsrechnung stehenbleiben.

 

Erledigen wir hier zunächst noch eine Zwischenfrage: Den Fall gesetzt, Theophano wäre tasächlich eine Bruder- oder Schwestertochter des Tsimiskes und also aus dem Blute der armenischen Kurkuas gewesen: hätte ihr diese Abstammung die Berechtighng gegeben, als Mitglied des kaiserlichen Hauses geführt zu werden? Unbedingt, nachdem die zweite Werbung des Kaisers Otto I. ja erst zu einem Zeitpunkt erfolgt war, wo Tsimiskes schon den Purpur trug. Sie hätte durchaus im Rang einer dem regierenden Hause angehörigen «Prinzessin» getragen, wenn auch nicht den höchsten Rang einer «Purpurgeborenen» und Otto II. hätte auf alle Fälle eine ebenbürtige Braut zugeführt bekommen. Denn er selbst war ja auch nicht in kaiserlichem Purpur geboren. Er war der Sohn eines deutschen Königs. Otto I. Kaiserkrönung erfolgte erst sieben Jahre nach Otto II. Geburt, nämlich am 2. Februar 962.

 

Kehren wir zum eigentlichen Thema zurück. Welchen geschichtlichen Anhaltspunkt haben wir noch, der uns einen Weg weisen könnte? Einen einzigen, sehr bedeutsamen, welcher der Berechnung neue Bahnen weist, und zwar solche, die bis jetzt von noch keinem Forscher beschritten worden sind.

 

Wir wissen, wer die erste Frau des Kaisers Tsimiskes war: Maria Skleros, die Sprossin einer Familie des hohen Militäradels, welche an Geltung der Familie Kurkuas wohl kaum nachstand. Maria Skleros ist schon

 

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vor der Thronbesteigung des Tsimiskes gestorben, und zwar kinderlos. Es könnte also auch von der Seite Skleros her Theophano eine Nichte des Tsimiskes gewesen sein: eine Nichte durch Anheirat. Ihre Mutter oder ihr Vater könnte ein Glied der Familie Skleros gewesen sein. Aufschluß kann nur der Stammbaum der Familie Skleros geben. Welchen? Wir stellen fest, daß Maria Skleros, die frühverstorbene erste Gattin des Tsimiskes, zwei Brüder hatte: den nach dem Tode des Tsimiskes durch eine Rebellion gegen die makedonischen Kaiser Basileios II. und Konstantin VIII. berühmt gewordenen Heerführer und Potentaten Bardas Skleros (der sich selbst zum Kaiser ausrief) und Konstantin Skleros, welcher seinem Bruder Bardas treu zur Seite stand und zweifellos die Schaffung einer Dynastie Skleros mit allen Kräften und gutem Feldherrntalent begünstigte. Von der Gattin des Bardas Skleros wissen wir nichts. Es ist uns nur sein Sohn Romanos Skleros bekannt, den er auf äußerst geschickte Weise --- gewissermaßen als Rückendeckung «für alle Fälle» -- in sein politisches Spiel einsetzte. Aber der Name der Gattin des Konstantin Skleros ist uns überliefert: und dieser Name ist es, der den Kreis unserer Berechnungen in einer geradezu verblüffenden Weise schließt: Konstantin Skleros war verheiratet mit Sofia Phokas, der Sprossin des dritten Adelsgeschlechtes, das in der byzantinischen Geschichte des 9. und 10. Jahrhunderts im Vordergrunde steht. Sofia Phokas war die Tochter des Leo Phokas, des Präfekten von Kappadokien, des späteren Großadmirals der byzantinischen Flotte und schließlich des Oberhofmarschalls am Hofe seines berühmten Bruders, des Kaisers

 

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Nikephoras Phokas II., der von Tsimiskes --- wie schon gesagt wurde --- 969 beseitigt worden war. Sofia Phokas war also die blutsverwandte Nichte des Kaisers Nikephoros Phokas.

 

Es ist nicht der Name Phokas: es ist der Name Sofia, der uns blitzartig die Zusammenhänge enthüllt, welche wir zu ergründen versuchen.

 

Theophanos beide erste Kinder aus ihrer Ehe mit Otto II. waren Mädchen, geboren 977 und 978. Nach der Sitte der damaligen Zeit gab man den Enkelkindern die Namen der Großväter bzw. Großmütter, indem man der väterlichen Linie den Vorrang ließ. Wir sehen also, daß die älteste Tochter nach der väterlichen Mutter Adelheid genannt wurde. Die zweite aber erhielt --- nach der mütterlichen Mutter--- den Namen Sofia. Theophanos Mutter muß also den Namen Sofia getragen haben.

 

Konstantin Skleros war der Bruder der Maria Skleros, der Gattin des Tsimiskes, also der Schwager des Tsimiskes. Seine Tochter mußte also die Nichte des Tsimiskes sein (durch Anheirat): Nun: niemand anderes als Theophano war diese in der Schenkungsurkunde erwähnte «Nichte des Kaisers Johannes (Tsimiskes) in Konstantinopel»: Theophano war die Tochter des Konstantin Skleros und der Sofia Phokas. Sie war damit nach zwei Seiten hin «kaiserliche» Prinzessin, ja, sie war dem Kaliser Nikephoros Phokas II., ihrem Großonkel, sogar blutsverwandt.

 

Dieses ist die logische und lückenlose Errechnung der Herkunft der Kaiserin Theophano auf Grund der geschichtlichen, wie ein feines Räderwerk ineinandergreifenden

 

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Tatsachen. Andere (unkontrollierbare) Möglichkeiten bestehen noch, wie schon ausgeführt wurde: Solange aber Geschichtsschreibung sich zunächst noch auf Tatsachen stützt und nicht ausschließlich auf psychologische Spekulation, muß den logischen Ergebnissen, welche den Tatsachen entspringen, der Vorrang gegeben werden: und dies doppelt, wenn diese Ergebnisse die Kraft haben, mühelos ein Dunkel aufzulichten, das seither in quälender Undurchdringlichkeit auf einer ganzen Reihe widerspruchsvoller, kaum erklärbarer Ereignisse lag.

 

Es wird berichtet, einige abendländische «Große»hätten die Sendung der Theophano statt der Anna für einen bewußten Betrug des Tsimiskes gehalten und dem Kaiser nahegelegt, die «unerwünschte» Braut nach Byzanz zurückzuschicken. Das scheint der Form nach, in der es übermittelt wird, ganz unglaubhaft. Es ist sehr wohl möglich, daß in manchen deutschen Hofkreisen --- und gerade vielleicht in der Umgebung der Kaiserin Adelheid --- solche Stimmen laut wurden, weil überhaupt eine Abneigung gegen eine Ehe des deutschen Kaisersohnes und schon gekrönten Kaisers mit einer byzantinischen Prinzessin bestand: man hoffte mit der Ablehnung Theophanos die ganze Frage aus der Welt zu schaffen: aber Otto I. war nicht gesonnen, solchen «Stimmungen» Rechnung zu tragen, wenn die Verwirklichung großangelegter politischer Pläne auf dem Spiele stand, die er gründlich erwogen und wiedererwogen hatte. Im Gegenteil: Otto I. hatte wohl mehr als gut begriffen, daß ihm --- so wie nun einmal bei der zweiten Werbung durch den Erzbischof

 

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Gero von Köln (971) die weltpolitischen Verhältnisse lagen --- eine dem damals de facto regierenden Kaiser Tsimiskes nah verwandte Prinzessin Skleros ganz andere Dienste leisten konnte als die achtjährige Tochter einer in den Schatten gedrängten Dynastie (der makedonischen), von der niemand wissen konnte, ob sie je noch einmal ans Ruder gelangen würde. Tsimiskes war im Jahre der zweiten Werbung erst 46 Jahre alt. Er war eben eine zweite Ehe mit einer makedonischen Prinzessin, mit Theodora, der Schwester Romanos‘ II., eingegangen. Wer sagte, daß er ohne Erben bleiben würde? Wer sollte vollends glauben, daß er einem eigenen Sohne, der mütterlicherseits ja nun ebenfalls makedonisches Blut getragen hätte, nicht das Vorrecht der Erbfolge vor seinen «Schützlingen» Basileios und Konstantin gesichert hätte?

 

Außerdem aber: es mußte auch der abendländischen, ottonischen Dynastie daran gelegen sein, rasch Erben zu bekommen. Otto war im Jahr der Eheschließung (972) 17 Jahre alt, Theophano 16. Diese Ehe konnte sofort vollzogen werden. Schon 973 konnte ein Erbe da sein: zum Besten der Reichseinheit, welche immer noch im Innern von den Stammesgewalten, an den Grenzen aber durch gefährliche Barbarenvölker bedroht war. Eine 972 mit einem achtjährigen Mädchen geschlossene Ehe aber konnte vor dem Jahre 977 nicht vollzogen werden. Denkt man sich sorgfältig in die Berechnungen Ottos I. ein, so muß man geradeswegs zu dem Schluß kommen, daß seine zweite Werbung (971) gar nicht mehr einer Prinzessin aus dem makedonischen Hause gegolten haben kann! Ich möchte es als sicher ansehen, daß er seinem

 

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Mittelsmann, dem durchaus weltläufigen und gebildeten Erzbischof Gero von Köln, im geheimen Winke dahin gegeben hat, eine Verwandte des Kaisers Tsimiskes als Braut zu erbitten. Das war doch --- so wie sich die Dinge im Osten nun einmal gestaltet hatten --- das Natürlichste, das politisch Klügste und Zweckmäßigste. Daß jemals eine byzantinische Prinzessin, wer immer sie sei, dem deutschen Kaiser die zu Byzanz gehörenden Süditalienischen Themen (Provinzen) Kalabrien und Apulien als Mitgift bringen würde: das hat Otto I., der große Realpolitiker, wohl niemals geglaubt. Daß aber die Verwandte des regierenden Kaisers Tsimiskes, welche mit allen einer «Purpurgeborenen»geschuldeten Ehren empfangen wurde, obwohl Sie eine solche nicht war, die Garantie des Status quo (neben großen Reichtümern) mitbrachte: das war das Äußerste, auf das man deutscherseits rechnen konnte. Theophano brachte diese Garantie. Solange Tsimiskes regierte, war Friede zwischen Ost und West. Erst als die Makedonenprinzen Basileios und Konstantin nach 976 doch noch zur tatsächlichen Herrschaft gekommen waren, änderte sich die Lage. Die nächste Verwandte ihrer schlimmsten Gegner, der Skleros, saß ja nun als Kaiserin auf dem deutsch-römischen Thron: eine Konstellation, die niemand hatte errechnen können.

 

Nach allem Ausgeführten also ließe sich sogar rückschließend sagen: Theophano konnte auch schon deswegen gar keine kaiserliche Prinzessin aus dem makedonischen Herrscherhause sein, weil der Kaiser Otto I. eine solche nach der Thronbesteigung des Tsimiskes gar nicht mehr als Gattin seines Sohnes hätte gebrauchen können. Kaiserliche Ehen sind immer politische Ehen: innen- oder

 

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außenpolitische, und was heute wünschenswert erscheint, ist es morgen nicht mehr. So paradox es klingen mag: Theophano ist deutsch-römische Kaiserin geworden, weil Sie keine Prinzessin, keine «Purpurgeborene» der makedonischen Dynastie war. Eine solche hätte Tsimiskes nicht geschickt, denn man gibt seinen geheimen Feinden keine Wirkungsmöglichkeiten in seinem Rücken --- eine solche auch hätte Otto I. nicht mehr angenommen: denn man setzt nicht auf eine ausgespielte Karte, die --- nach menschlichem Ermessen --- in absehbarer Zeit nicht mehr in das Spiel zurückkehren wird.

 

Wesen und politische Haltung

 

Charakter, Leben und Politik der Kaiserin Theophano, einer der außergewöhnlichsten Frauengestalten der deutschen Kaisergeschichte, werden erst klar, wenn man in ihr die Sprossin der byzantinischen Hochadelsgeschlechter Phokas-Skleros sieht und eben damit die Gegenspielerin der makedonischen Dynastie. Die Familie Phokas hatte in Nikephoros Phokas II. den Purpur schon getragen, und die Familie Skleros, dem Tsimiskes aufs engste befreundet, strebte nach dessen Tode (976) den Purpur an. So sachlich und so witterungssicher auch Theophano in die abendländischen Verhältnisse, in die vielen Aufgaben einer abendländischen, deutsch-römischen Kaiserin hineingewachsen war: ihr Herz mußte, wenn Sie an die Geschehnisse in ihrer Heimat während der Jahre 976 bis 989 dachte, auf Seiten ihrer Familie, also der Rebellen Skleros, sein. Ihr Herz mußte --- entgegen allen falschen

 

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Auslegungen ihrer politischen Haltung --- auch mit ihrem Gatten sein, als dieser im Jahre 982 den Sarazenenkrieg in Süditalien begann. Wenn uns berichtet wird, daß Theophano sich nach der furchtbaren Niederlage ihres Gatten bei Cotrone (15. Juli 982) zu bitteren, ja zu bösen Worten habe hinreißen lassen, so galt diese Wut nicht den süditalischen Abwehrkämpfen selbst, sondern --- und dies mit vollem Recht --- der leichtsinnigen Kriegsführung, durch welche da ein jugendlich-ungestümer, oft genug das rechte Maß vergessender Herrscher weltpolitische Interessen des Reiches verspielte. Gerade weil in Theophano das Blut alten Militäradels lebendig war, haßte sie den militärischen Dilettantismus des blinden Draufgängertums, gerade weil ihr ganzes Sein der abendländischen Reichsmacht gehörte, war sie die kühle, ja eiskalte Rechnerin, welche in sinnloser Kräftevergeudung ein Verbrechen an der Substanz des Imperiums sah. Sie hat, solange Sie allein regierte (von 983 bis 991), bewiesen, wie Sie Kräfte zu sparen und auszugewichten verstand: Sie hat geherrscht mit einer Beherrschtheit, die ihr hohes politisches und moralisches Lob selbst eines so kritischen Historikers wie Thietmars von Merseburg eintrug. Sie hat geherrscht als Realistin, welche Fragen des Abendlandes als Fragen des Abendlandes aufzufassen und anzupacken verstand, ganz und gar nicht aber als byzantinische «Purpurgeborene». Sie war eben --- zu ihrem eigenen Glück --- keine «Purpurgeborene» aus der Magnaura von Byzanz: Sie war eine Skleros, eine Phokas, eine Geistesverwandte (und sicherlich Freundin) des hochbegabten Johannes Tsimiskes, in dem man einen der glanzvollsten und menschlich-weitesten Herrscher

 

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der byzantinischen Geschichte zu sehen hat. Nein: der Kaiser Otto I. hatte keinen schlechten Tausch gemacht, als man ihm statt der im Kindesalter stehenden Prinzessin Anna aus der makedonischen Dynastie die sechzehnjährige Prinzessin Theophano aus dem Hause der Fürsten Skleros nach Rom sandte.

 

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Die Kaiserin Theophano konnte am deutschen Hofe unmöglich das sein, was man eine «beliebte» Persönlichkeit nennt. Sie konnte bestaunt, vielleicht bewundert werden. Ihre wahre Bedeutung aber war bestimmt nur wenigen erhabenen Geistern klar: einem Willigis von Mainz, einem Bernward von Hildesheim, einem Gerbert von Reims, einem Adalbero von Reims, einer Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, einer Beatrix von Lothringen. Sicherlich auch ihrem Gatten und der Kaiserin Adelheid: obwohl zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter niemals ein gefühlsmäßig freundliches Verhältnis aufkommen konnte. Der innere Abstand war zu groß. Die kalte Rechnerin Theophano lag dem sentimentalen Temperament der matronenhaften Adelheid nicht. Adelheid mußte mißtrauisch sein gegen eine Frau vom Schlage Theophanos. Sie mußte dies um so mehr, als 'Theophano sich --- dank ihrer hohen Intelligenz --- in erstaunlicher Weise den abendländischen, den deutschen, ja den sächsischen Notwendigkeiten anzupassen verstand. Kein größerer Unsinn ist über diese wahrhaft fürstliche Fürstin geschrieben worden als der, sie habe ihren Sohn seiner deutschen (sächsischen) Art und Aufgabe entfremdet und zu einem «verweichlichten» Byzantiner

 

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gemacht. Das genaue Gegenteil ist wahr. Sie hat diesen ihren einzigen Sohn, der ein Mensch von starker körperlicher, geistiger und seelischer Vitalität war, schon in seinen Kinderjahren mit gewollter Strenge erzogen. Sie hat das sechsjährige Kind schon auf einen Wenden-Feldzug mitführen lassen; sie hat seiner körperlichen Ausbildung dieselbe Sorgfalt gewidmet wie seiner geistigen. Ottos III. körperliche und politische Erziehung lag in deutschen Händen: nur im Griechischen konnte ihn Theophano nicht von einem Deutschen unterrichten lassen: dazu bedurfte es eines griechischen Lehrers und ihrer eigenen Bemühungen. Sie hätte sich einer sträflichen Nachlässigkeit schuldig gemacht, wenn Sie ihrem Sohne die vollkommenste Kenntnis ihrer griechischen Muttersprache, welche damals wieder Weltsprache geworden war, nicht übermittelt hätte. Daß aus der Kenntnis dieser Sprache heraus Otto III. zu einem byzantinisch gefärbten Imperialismus gekommen sei, ist eine ebenso oberflächliche Unterstellung wie das Gerede von der Fremdheit seiner Mutter. Ottos III. politische Auffassungen waren durch westliche, durch abendländische Vorstellungen und Hoffnungen bestimmt, wie sie damals in der Luft lagen. Er träumte --- wozu ihn die Politik seines Großvaters (und Vaters) ja geradezu hingetrieben hatte --- von einer «Renovatio imperii Romanorum», von einer «Erneuerung des Reiches der Römer», dessen Mitte Rom sein sollte: in bewußter Stellungnahme gegen die Anmaßung von Byzanz, von «Neu-Rom» (Nova Roma), wie sich lange Zeit die Konstantinstadt genannt hatte.

 

Wozu, da wir von Theophano sprechen und nicht von

 

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ihrem Sohn, alle diese Hinweise und Erwägungen? Nun: es will mir scheinen, daß auch sie ein gewisses Licht auf die Abstammung der Theophano werfen. Ich glaube eben nicht, daß eine «purpurgeborene» Prinzessin der makedonischen Dynastie, eine im kaiserlichen Gynaikeion (Frauenhaus) mit allem Dünkel gottähnlicher Herrlichkeit aufgezogene Frau ihre deutschen Kinder so ausgebildet hätte, wie es Theophano tat. (Ihre Töchter Adelheid und Sofia, die späteren Äbtissinnen, erhielten eine sächsische Erziehung.) Theophano besaß den icheren Blick einer Frau, die sich in reichlich freier Anschauung der Welt und ihrer sonderbaren Angelegenheiten hatte entfalten können. Eine Prinzessin Skleros hatte natürlich enge Bindungen an den Hof und sein Zeremoniell: aber diese Bindungen waren nicht die Fesseln, welche sie für jede «Purpurgeborene» sein mußten. Theophano hatte weltmännisches Gepräge: das kann keine «Purpurgeborene» haben, die immer nur «Purpurgeborene» bleibt und an der Enge solcher Geburt jedesmal da scheitern wird, wo das «Schema» aufgegeben werden muß. Es läßt sich im Leben Theophanos kein Schematismus feststellen. Sie erscheint auf jedem Kampfplatz, auf den sie das Leben ruft, mit der fast militärischen Präzision hohen persönlichen Verantwortungsgefühles; sie verbirgt sich niemals im elfenbeinernen Turm falsch verstandener Würde und überschätzten Gottesgnadentums. Wenn Sie also schon als eine so «freie» Frau an den deutschen Hof kam, wie es niemals eine aus der das Gottesreich nachahmenden byzantinischen Hierarchie stammende «Purpurgeborene» hätte sein können, so hat die immer bewegte, wenn auch nicht allzu milde Luft, welche den

 

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deutsch-römischen Hofstaat umwehte, ihre natürlichen Anlagen erst recht entfaltet. Man darf wohl annehmen, daß sie unter der kritischen Schau der Entfernung den geheimen Zweck der byzantinischen Majestätsvergottung als das gesehen und gewertet hat, was er war: als das wohlberechnete Mittel, die Massen mit eben den Trugbildern im Zaum zu halten, an die sie sich selber klammerten. Wir hören nichts davon, daß sie sich jemals nach Byzanz zurückgesehnt hätte. Der menschlich-gefühlsmäßige Mittelpunkt ihres Lebens war nicht ihr Gatte, sondern ihr Sohn. Der geistige Mittelpunkt aber war ihre politische Aufgabe, der sie sich geopfert hat. Nicht einen Augenblick lang hat sie die Zügel aus der Hand gegeben. Nicht einen Augenblick lang den Blick von dem Schachbrett der deutsch-römischen Weltpolitik abgewendet, auf dem sie ihr Spiel zu spielen hatte: und ganz besonders, von 983 an bis zu ihrem Tode, das große deutsch-französische Spiel.

 

Es ist unfaßlich, daß die deutsche Geschichtsschreibung dieses gewaltige Schlußkapitel aus dem Leben Theophanos immer nur stiefmütterlich behandelt hat. Die allgemeine Formel darüber lautet, es sei Theophano nichts anderes übriggeblieben, als den Bestand der Herrschaft, wie Sie ihn beim Tode ihres Gatten Otto II. im Jahre 983 vorfand, zu erhalten. Neues habe sie nicht schaffen können. Eine solche Feststellung --- als Werturteil --- bekundet weiter nichts als die Beschränktheit ihrer Verkünder: als ob es nicht --- je nach den Umständen --- hundertmal wesentlicher sein könne, ein dauernd Gefährdetes zusammenzuhalten, als ein «Neues» zu erwerben, dessen unabmeßbare Gewichte vielleicht sogar

 

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die Basis des «Alten», des halbwegs Gesicherten, zu zerstören vermöchten.

 

Außerdem aber ist es gar nicht wahr, daß Theophano nicht auf «Neues», das im Bereich erfüllbarer Möglichkeiten lag, gesonnen hätte. Theophano hat, vom zentralen Deutschland aus, bewußt Slawen-, das heißt Ostpolitik getrieben, und gleichzeitig, über Lothringen und den imperial gesinnten Teil des französischen Klerus, eine Westpolitik, von deren genialem Raffinement jeder Politiker jederzeit hätte lernen können. Sie war zum Krieg gegen ihren Vetter Hugo Kapet, den französischen König, im Frühjahr 991 bereit. Sie starb in dem Augenblick, wo sie den großen Schlag hätte führen können. Sie hatte sich --- durch persönliches Eingreifen an Ort und Stelle --- in Rom bei dem Papst und dem Patricius Crescentius den Rücken gedeckt: ihre Anwesenheit in dem lothringischen Nymwegen, dicht an der französischen Grenze, um Ende Mai 991, beweist, daß sie nicht gesonnen war, der dem Imperium gefährlich werdenden Entwicklung der kapetingischen National- und der kirchlichen Absonderungspolitik in Frankreich tatenlos zuzuschauen. Es ist nicht nur möglich, es ist sogar wahrscheinlich, daß sie die Konsolidierung des französischen Nationalstaates unter kapetingischer Führung im Interesse der von ihr befolgten deutschen Reichspolitik, welche unter ihrer Herrschaft realistisch und nicht ideologisch war, gesprengt hätte. Ihre Mittelsmänner in Frankreich waren an der Arbeit: blieben auch noch an der Arbeit nach ihrem Tode. Die Grundlinie Aachen-Rom --- die unentbehrliche Grundlinie des Imperiums --- hätte das ihrige zur Vollendung des Planes beigetragen.

 

Benrath, Vorarbeiten 3

 

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Byzanz --- die makedonische Dynastie des Basileios II. und Konstantin VIII. ---ist seit Theophanos Tode dieser Hypothenuse der kaiserlichen Politik heimlich in den Rücken geschlichen. So blieb Theophanos Sohn, Otto III., zunächst nichts anderes übrig, als diese Basis wieder zu festigen und, wenn möglich, auszubauen. Nichts anderes hat Otto III. getan. Daß er den realpolitischen Plan seiner Mutter dann noch --- dank dem Einfluß des Erzbischofs Gerbert von Reims, später von Ravenna --- ideologisch unterlegte, war, von uns Heutigen aus gesehen, wohl ein Irrtum. Von den Bedingungen der damaligen Zeit aus gesehen, war er nicht mehr und nicht weniger als ein Versuch, der sehr wohl hätte gelingen können, wenn nicht die beiden Hauptträger des Gedankens dieser «Renovatio», dieser «Erneuerung», Otto und Gerbert, schon in den Jahren 1002 und 1003 gestorben wären. Vor dem verfrühten Tode täterischer Menschen aber --- sei es politischer, sei es rein geistiger --- schweigt jeder Kommentar der unvollendeten Leistung. Auch Theophanos verfrühter Tod enthebt uns eines Endurteils über das «Ergebnis». Aber wir neigen uns in Ehrfurcht und Bewunderung vor ihrem unbeugsamen Willen, vor ihrer strengen Pflichterfüllung und vor ihrer gläubigen Hingabe an die vom Schicksal zugewiesene deutsche Aufgabe.

 

Geschrieben: Paris, 1937.

 

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BILDNIS DER KAISERIN TIEKOPHANO (956--991)

 

REDE, GEHALTEN IN DER GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG KULTURELLEN LEBENS

 

ZÜRICH, AM 2. MÄRZ 1939

 

Meine Damen und Herren:
Von der Kaiserin Theophano, der Mutter Ottos III., der Gattin Ottos II., der Schwiegertochter Ottos I., sprechen, heißt in den unruhevollen Halbdämmer jenes zehnten Jahrhunderts hinabsteigen, aus dem sich --- ahnungsschwer --- die ersten Konturen des «Abendlandes» aufheben.

 

Von der Kaiserin Theophano sprechen, heißt ein Bildnis beschwören, dessen kühle, dessen unnahbare Schönheit das Entzücken aller künstlerischen Menschen erweckt, aller Menschen auch, denen Würde, Selbstzucht, Verantwortungsgefühl und Herrschersinn überzeitliche Grundwerte unseres Daseins bedeuten. Von Theophano sprechen, heißt sich zu glaubhaftem Kaisertum bekennen und der begnadeten Größe bedingungslos den Vorrang einräumen vor allen Ansprüchen der landläufigen Kaste oder Clique.

 

Dieses Bildnis aber zeichnen, heißt ein vielbewegtes

 

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Menschenleben zurückführen auf die Gesetze, aus denen es lebte: Gesetze, welche stärker waren als alle Umstände, in denen Sie sich auswirkten, mächtiger als alle Formen, die zu schaffen ihnen aufgetragen war.

 

Wer war die Kaiserin Theophano? Lange ist sie von der Geschichtsforschung für eine im Purpur geborene Tochter des Kaisers Romanos II. von Byzanz gehalten worden. Schon im Jahre 1876 hat ein deutscher Gelehrter, Johannes Moltmann, diese Auffassung bekämpft und in einer ausgezeichneten Dissertation (Göttingen) nachgewiesen, daß Theophano keine Prinzessin aus der byzantinisch-makedonischen Dynastie, welcher Romanos II. angehörte, gewesen sein könne. Der Nachweis, obwohl überzeugend geführt, wurde von der Zunft nicht anerkannt. Es erschien eben unmöglich, daß der abendländische Kaiser Otto II. sich mit einer Gattin «begnügt» hätte, welche nicht aus der makedonischen (= legitimen) Dynastie Ostroms stammte. Die heutige Geschichtsschreibung hat Moltmanns These angenommen. Es ist mir selbst, nach endlosem Durchsuchen und Überprüfen des genealogischen Quellenmateriales, im Frühjahr 1938 gelungen, die Richtigkeit der Moltmannschen Auffassung dadurch zu erhärten, daß ich nachweisen konnte, welcher Familie Theophano tatsächlich entsprossen ist. Sie war die Tochter des Fürsten Konstantin Skleros und der Prinzessin Sofia Phokas. Sie gehörte also dem höchsten byzantinischen Militäradel an. Sie war aber --- infolge ihrer Abstammung --- auch Mitglied zweier kaiserlichen Familien. Die Schwester ihres Vaters, Maria Skleros, war die erste Gattin des Kaisers Johannes Tsimiskes, sie selbst also dessen Nichte.

 

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Ihre Mutter aber war die Nichte des Kaisers Nikephoros Phokas II., sie selbst also dessen Großnichte.

 

Der deutsch-römische Kaiser Otto II. --- schon seit seinem dreizehnten Jahre Mitkaiser seines großen Vaters, Ottos I. --- erhielt also eine durchaus ebenbürtige Prinzessin zur Gattin. Zur Zeit, als die Werbung in Byzanz durch den Erzbischof Gero von Köln erfolgte, regierte Johannes Tsimiskes, Theophanos Oheim, über Ostrom. Als dessen Nichte auch wird sie in der ehelichen, uns erhaltenen Schenkungsurkunde genannt. Tsimiskes wünschte (und brauchte) Frieden mit dem abendländischen Kaisertum. Die Heirat seiner Nichte mit dem deutsch-römischen Kaiser bot die beste politische Gewähr für seine Absichten. Theophano war also ein viel wichtigeres Friedenspfand, als es je eine Prinzessin aus dem damals völlig in den Schatten gedrängten «legitimen» makedonischen Kaiserhause hätte sein können. Wenn einige abendländische Große, deren Adelsdünkel offenbar jedes Maß verloren hatte, Otto I. bestimmen wollten, Theophano als «nicht ebenbürtig» nach Byzanz zurückzusenden, so waren sie sich der politischen Dummheit eines solchen Verlangens wohl nicht ganz bewußt. Otto I. hat sie nicht einmal angehört. Er wußte, was er wollte. Und er wußte wohl auch, daß die antibyzantinische Partei an seinem Hofe (der die Kaiserin Adelheid nicht ganz fern gestanden haben dürfte) gar zu gerne die deutsch-oströmische Heirat überhaupt verhindert hätte. Auf eine Kaiserin aus einer der abendländischen Sippen, die alle miteinander verwandt waren, konnte man Einfluß gewinnen: diese «Fremde» aber, die da aus dem anspruchvollsten Reich der Welt herüberkam, diese über

 

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alle Begriffe verwöhnte Byzantinerin --- Byzanz war, was heute Paris ist ---, die auch noch eine fremde Sprache redete, diese in allem Raffinement hellenischer Renaissance erzogene Halborientalin mußte fern, mußte unerreichbar und unbeteiligt bleiben. Sie mußte zu einer gefährlichen, übergeordnet-neutralen Macht werden, sofern Sie Macht gewann. Und warum sollte Sie keine gewinnen? Mit persönlichen Anliegen würde ihr wohl niemand kommen können ---.

 

Niemals wohl ist die ausländische Gemahlin eines deutschen Kaisers mit soviel Neugierde, Unsicherheit, Voreingenommenheit erwartet worden wie Theophano im Frühling 972. Sie war sechzehn Jahre alt. Sie war von großer Schönheit, von bezwingender Eleganz. Sie war natürlich, selbstsicher, zurückhaltend. Sie war unaussprechlich kühl. Sie war nicht im geringsten verwirrt durch die neuen Eindrücke. Es war offensichtlich, daß sie längst mit sich darüber ins reine gekommen war, was diese deutsche Heirat für sie bedeuten würde. Sie war Fürstin von Kopf bis zu Fuß, ohne Bedürfnis, auch nur das Geringste von dem zu verraten, was in ihr vorging. Sie gab sich nicht «vertrauensvoll» in die Obhut der kaiserlichen Schwiegermutter Adelheid. Diese gefühlvolle Frau mußte ihr vom ersten Augenblick an fremd sein. Sie empfand keine Lust, sich bemuttern, geschweige denn ins Schlepptau nehmen zu lassen. Sie brachte einen eignen Hofstaat mit. Sie brachte also ein Stück Byzanz mit: die Rückverbindung mit der soeben verlassenen Welt. Sie wollte, gestützt auf dieses Heimatliche, das ihr das Gleichgewicht wahren half, mit eignen Augen sehen, mit eignen Ohren hören. Sie wußte, daß es

 

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Unsägliches zu lernen gab. Sie war an Lernen gewöhnt. Sie war im kaiserlichen Gynaikeion erzogen worden. Die Anforderungen, welche in dieser Palastschule an die Lernenden gestellt wurden, waren außerordentlich. Die Bildung der abendländischen Frauen aus dem Hochadel --- einige Äbtissinnen ausgenommen --- war kirchlicher Natur und konnte sich nicht messen an byzantinisch-antiker Laienbildung. Theophano dachte nicht daran, ihr vielfaches Wissen auszuspielen gegen das Nichtwissen ihrer neuen Umgebung. Sie hatte lange begriffen, daß man nicht aus Büchern das Entscheidende lernt. Auch stammte sie aus den höchsten Militärkreisen. Ihre beiden Oheime, Bardas Skleros und Bardas Phokas, gehörten zu den bedeutendsten Feldherrn ihrer Zeit. Wer es seit seiner Kindheit gelernt hat, die kriegerische Tat zu bewundern und den Menschen, der Sie vollbringt, der verfällt nicht dem toten Buchstaben noch dem Hochmut der Gelehrsamkeit. Er weiß nur, daß Wissen eine unendliche Hilfe im Erkennen ist: weil es die Fülle der Vergleiche erhöht.

 

Es ist nicht anzunehmen, daß sich Theophano im voraus sehr um ihre Ehe mit dem siebzehnjährigen Kaiser gesorgt habe. Man hatte ihr sicherlich sein Bild nach Byzanz geschickt. Sie wußte also, daß er angenehm war. Nicht besonders groß, aber ebenmäßig gebaut, blond, von frischer Farbe. Als sie ihn kennengelernt hatte, konnte sie ergänzen: auch geistig gut ausgebildet. Freundlichen Gemütes. Aber sprunghaft, unberechenbar-knabenhaft. Ganz ohne Selbstzucht. Gefährlich beeinflußbar.

 

Nachdem die Hochzeit am 14. April 972 gefeiert war ---

 

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was das Abendland an Namen aufzuweisen hatte, hatte sich in Rom eingefunden ---, blieb der Hof noch einige Wochen in Italien, ehe er den Zug über die Alpen nach Deutschland antrat. Noch mußte Theophano --- solange sie auf dem Boden des alten Imperium Romanorum weilte --- ein Gefühl des Vertrautseins mit den Dingen und Menschen haben. Noch war es dieselbe südliche Sonne wie in Byzanz, welche hier über Meeren, Küsten, Städten, Fluren leuchtete . . . Wie aber mag die Zukunft ihres Schicksals an ihr Herz gegriffen haben, als sich der kaiserliche Zug nun im Juli langsam auf den Alpenstraßen zu den Paßhöhen hinaufbewegte, hinter denen das unergründliche, das gefährliche Deutschland lag?

 

Meine Damen und Herren: Wenn es einen Augenblick des inneren Zurückprallens vor zugewiesenem Schicksal in Theophano gab: wenn es einen Augenblick der Lebensangst in ihr gab, des plötzlichen Aufschauderns vor dem Ungewissen, das da abgründig in Wäldern und Seen und Frühnebeln vor ihr lag: So kann es nur an der Wende des Paßweges gewesen sein, der plötzlich ein eben noch im Lichte Lächelndes nach rückwärts abschließt und die jenseitige Tiefe aufreißt. Byzanz --- und Deutschland! Welcher Abgrund zwischen Welten! Wie vieler Kräfte würde es bedürfen, ihn auszufüllen --- ihn zu überwinden --- ihn unsichtbar zu machen . . .

 

Nicht lange blieb Theophano Zeit, sich an das große Fragezeichen zu verlieren: Sofern es jemals überhaupt als Macht der Ferne in ihr Geltung gewann. Schon drängten die Dinge der neuen Welt an sie heran, verlangten bemerkt, bewertet, vielleicht geliebt zu werden. Sie sah St. Gallen, die unvergleichliche Stätte abendländischer

 

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Gesittung und Bildung. Man sprach ihr von Cluny und dem Ceiste der Katharsis, der von diesem Kloster aus langsam den verrotteten Klerus durchdrang. Sie kam nach der Reichenau, nach Konstanz, dann an den Rhein (der Sie vielleicht an Sommertage am oberen Euphrat erinnerte), dann in das Elsaß, dann nach Ingelheim --- und schließlich, zu Weihnacht, nach Frankfurt. Sie erlebte den deutschen Winter: Schnee, der liegenbleibt, gefrorene Flüsse und Weiher, die den Himmel spiegeln, Tannenäste, die unter den weißen Lasten brechen . . . Flammende Kerzen, die an den Hochaltären der nächtigen Christmessen brennen. Sie erlebte die deutsche Frühe und ward ihres zauberhaften Hauches teilhaftig, um sich seiner nie mehr zu entäußern.

 

Langsam ging die Reise weiter nach den sächsischen Stammsitzen der Kaiser: nach Quedlinburg, nach Magdeburg. Einem Hoftag folgte der andere. Immer neue Gesichter tauchten auf, die man kennen und behalten mußte, immer neue Neugierde wurde an sie herangetragen. Es erwies sich, daß ihre Haltung richtig gewesen war. Sie hatte sich mit niemandem befreundet, sie hatte keine Meinungen geäußert noch Urteile gefällt. Sie hatte nicht einmal gelächelt, wenn sie die Kaiserin Adelheid huldvoll-hoheitsvoll zwischen Dingen und Menschen dahinwallen sah: und am liebsten zwischen jugendlichen Menschen. Nein: hier war ein Unüberbrückbares, wie die Witterung von Frau zu Frau sofort erkannte. Hier war nur Gegensatz. Adelheid: im Grunde immer verfallen, und sei es einem Wunschbild, Theophano: immer fern und bewußt, selbst wo sie angehörte. Dort alles «Gefühl» --- hier alles Nerv und Zucht und Herrscherwille:

 

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wenn auch noch sehr zurückgehaltener. Es bedeutete nicht viel, daß Theophano auch schon den Titel einer Kaiserin führte: ihre Stellung war die einer Kronprinzessin. Und niemand mehr als Adelheid wachte darüber, daß neben dem ihren kein ebenbürtiger legitimer Einfluß aufkam. Das Schicksal durchkreuzte ihre Berechnungen: am 7. Mai 973 starb in der Pfalz zu Memleben Otto I.



Adelheid war Kaiserinwitwe geworden. Otto II., ihr Sohn, alleinregierender Kaiser, Theophano alleinregierende Kaiserin. Mit einem Schlage war die gesamte politische Perspektive geändert. In Nichts versunken, wie nie gewesen, schien das eine, einzige Jahr der Hingabe an die neuen Eindrücke, das Theophano vom Schicksal gegönnt wurde. Was nun begann, war Kampf. Kampf auf unzähligen Schauplätzen, Kampf ohne Rast und ohne Ende: Kampf der Herrscher um das immer wieder umstrittene Gut: die Herrschaft. Achtzehn Jahre war dieser Kaiser alt, als die Last des Weltreichs auf seine Schultern sank, siebzehn Jahre die Gefährtin, die ihm der Wille seines Vaters: das heißt die Notwendigkeit der abendländischen Politik, bestimmt hatte.

 

Theophano spürte, welche stumme Feindschaft --- Erbe alten Sippenzankes --- um den jungen, noch unerfahrenen Herrscher aufschoß. Sie witterte, was sich da im Dunkel zusammenrotten, was da im trüben fischen wollte: und sie begriff, daß sie nun erst recht im Hintergrunde bleiben und die Entscheidungen jenen Geübten überlassen müsse, die das Spiel der Cliquen zu durchschauen und also auch zu durchkreuzen vermochten. Nur in einer Frage sah sie ganz klar: in der bayrischen. In Bayern regierte

 

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die ottonische Sekundogenitur, vertreten seit Herzog Heinrichs I. Tode durch seine Witwe Judith und seinen zweiundzwanzigjährigen Sohn Heinrich II., den Zänker. Judiths Tochter Hadwig --- jene Hadwig vom Hohentwil, die jedes Kind aus Scheffels Märchenbuch «Ekkehard» kennt --- war als halbes Kind dem um gut vierzig Jahre älteren Herzog Burchard von Schwaben verkuppelt worden, damit der gesamte deutsche Süden dem bayrischen Einfluß unterworfen sei. Adelheids persönliche Vorliebe für die bayrische Sekundogenitur war bekannt. Was sollte werden, wenn diese ungeheure Feudalgewalt neue Ansprüche erhob oder sich gegen die Reichsgewalt --- also den Kaiser --- auflehnte, wie es in ihrer Tradition lag?

 

Schon hatte sie ihre Machenschaften bei der bischöflichen Neuwahl in Augsburg begonnen. Der Herzog Burchard von Schwaben hatte es durch mehr als niedrige Intrigen fertiggebracht, das Bistum Augsburg einem Neffen der Herzogin Judith, also einem Mitgliede der Sekundogenitur, in die Hände zu spielen. Der Kaiser erkannte den Betrug, als es zu spät war . . . Er machte zunächst gute Miene zum bösen Spiel. Vielleicht unter Theophanos Einfluß, welche aus ihrem byzantinischen Vaterlande her die besondere Taktik solcher Feudalkämpfe kannte. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen ein anderes, Erstaunliches, das den jugendlichen Kaiser furchtlos auf der Höhe seiner Aufgaben zeigt: Als noch im Jahre des Augsburgers Betruges der alte Burchard starb und sich die bayrische Sekundogenitur an ihrem Ziel angekommen glaubte, da ja die jugendliche Witwe Hadwig eine Hand zu vergeben hatte, machte Otto II.

 

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kurzen Prozeß. Er nahm ihr das Herzogtum ab und gab es seinem mit ihm gleichaltrigen Neffen und bewährten Freunde Otto, dem Sohne Liudolfs. Die bayrische Clique tobte. Die Saat des Hasses und der Rache war gesät. Sie ging auf in den Rebellionen Heinrichs des Zänkers, welche --- mit geringen Unterbrechungen --- die Jahre 974 - 977 füllten.

 

Als das Jahr 973 zu Ende ging, fand sich Theophano schon mitten in den Strudel der deutschen und abendländischen Politik hineingezogen . . . Bis an das Ende ihres Daseins gab es von nun an nur noch Notwendigkeiten. Sie hatte keine Wahl mehr. Sie konnte nicht abseits bleiben. Sie war ein ausgesprochen politisches Temperament. Die Sache ging sie an. Der Sache gab sie sich, und gab sich ganz. Das ist der männliche Zug ihres Wesens. Das ist die Dynamis ihres gesamten Daseins. Nicht im Gefühl: nein: im Willen zur Macht offenbarte sich die Leidenschaft ihrer Natur. Sie war eine kalte, eine unbestechliche Rechnerin. Sie verstand sich auf die Kunst der Geduld. Sie verachtete das ewig erregte Herz. Sie verabscheute jede Vermengung von Person und Sache. Da Adelheid niemals diese Trennung folgerichtig durchzuführen imstande war, mußte sich nach 973 die Spannung zwischen den beiden Frauen noch verschärfen und bis zum heimlichen Kriege in den Kulissen steigern. Otto hatte durch sein Vorgehen in der Angelegenheit des Herzogtums Schwaben Theophano bewiesen, wessen er fähig war: hatte sie also in ihrem eignen Wollen sehr ermutigt. Es galt für sie vor allem, den Kaiser ganz für sich zu gewinnen, sein Selbstbewußtsein zu steigern und ihn dem hemmenden Einfluß der

 

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sentimentalischen Mutter zu entziehen. Ja, es galt vielleicht, diese allmählich in eine solche Lage zu versetzen, daß Sie einen Aufenthalt in ihrer burgundischen Heimat einem Verweilen am deutschen Kaiserhof vorzog.

 

Es steht über allem Zweifel, daß sich zwischen 974 und 978 erbitterte Kämpfe zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter abgespielt haben, auch wenn jeder nähere Bericht fehlt. Theophano dachte nicht daran, die geheim wirkenden Gegensätze nach außen zu tragen. Das wäre auch, angesichts des bayrischen Rebellionskrieges, unklug gewesen. Aber sie wußte, wo und wie sie zu treffen hatte. Sie kämpfte nicht gegen die «Frau», geschweige denn gegen die «böse Schwiegermutter» Adelheid: Sie kämpfte gegen das politische Prinzip Adelheid, das ihr überlebt, falsch und --- angesichts der zu erwartenden Entwicklungen --- geradezu gefährlich schien. Sie kämpfte gegen jede Sippenwirtschaft und für jede Stärkung der zentralen Reichsgewalt: nicht weil Sie Byzanz nachahmen wollte, sondern weil sie begriffen hatte, daß auch das deutsch-römische Abendland nicht zusammengehalten werden könne, wenn die Macht des Kaisers nicht unantastbar und unerreichbar über allen feudalen Anmaßungen throne. Der Begriff der «Majestät» war für sie ein lebendiger, aus unversiegbaren Quellen gespeister Inhalt, eine Wunderkraft, die einen ganzen Kontinent durch ihre Strahlung zusammenzuhalten vermochte. Für diese Kraft kämpfte und siegte Theophano --- lautlos und unbeirrbar --- bis zu ihrem letzten Atemzug.

 

Sie hatte in diesem Kampfe einen Bundesgenossen höchsten Ranges: den Umstand, daß sie infolge ihrer

 

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byzantinischen Abstammung keiner deutschen Vergangenheit, sondern --- durch ihre Heirat --- lediglich einer deutschen Zukunft verpflichtet war. Adelheid war durch Blut, durch Versippung und Erlebnis, unentrinnbar der deutschen Geschichte verbunden. Selbst wenn sie sich dieser Bindung hätte entziehen wollen, wäre es ihr kaum gelungen. Sie war weder seelisch noch geistig stärker als die Vorbedingungen und Umstände ihres kaiserlichen Lebens. Sie war immer mitten in ihnen befangen --- ihre Anlage und ihr Temperament verlangten ein solches Beteiligtsein. Das gewann ihr die Herzen des braven Durchschnitts --- erweckte aber auch, bei den bedeutendsten Geistern ihrer Umgebung, manches verzeihende Lächeln. Theophano hingegen war völlig unbeteiligt an Gewesenem. Auch fehlte ihr jede Lust an unfruchtbarer Rückversenkung. Sie war unromantisch bis in die Fingerspitzen. Sie war eine Realistin großen Stiles: begessen von ihrer ganz in die Zukunft greifenden Aufgabe, ungehemmt durch Rücksichten auf Umstände und Menschen, die sie niemals gekannt hatte: gehorchend nur einem einzigen Befehle: der Stärkung und Machterweiterung des Reiches. Die Verpflanzung in den Westen bedeutete für sie nicht einen Bruchteil dessen, was für Adelheid eine Verpflanzung in den Osten bedeutet hätte. Denn Theophano lebte ganz aus der Aufgabe, aus der Idee heraus, in die sie das Schicksal verwiesen hatte: Adelheid aber lebte --- mit allem Drum und Dran --- ein kaiserliches Frauenleben auf Grund ihrer kaiserlichen Position. Es war klar, wer Siegerin bleiben mußte, falls die unter der Asche glimmenden Funken sich zur Flamme eines offnen Entscheidungskampfes entfachen sollten.

 

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Ende 978 kam es soweit. Den letzten Anlaß zur Verfeindung zwischen dem jungen Kaiserpaare und der Kaiserinmutter hatten die Ereignisse des Jahres 977 gegeben: die endgültige Niederwerfung der bayrischen Revolte, die rücksichtslose Bestrafung Heinrichs des Zänkers durch Entthronung und Gefangensetzung --- sowie die Lösung der niederlothringischen Belehnungsfrage.

 

Wir dürfen als wahrscheinlich annehmen, daß sich Theophano, welche damals den Einfluß der Kaiserinmutter auf ihren Sohn verdrängt hatte, leidenschaftlich gegen jede milde Behandlung des Rebellen auflehnte, also die bayrischen Sympathien ihrer Schwiegermutter bei der Urteilsfällung einfach beiseite geschoben sehen wollte . . . Wir dürfen aber für noch viel wahrscheinlicher, wenn nicht als sicher erachten, daß sie bei der Lösung der niederlothringischen Lehensfrage die ganze Verschlagenheit byzantinischer Diplomatie spielen ließ.

 

Das Herzogtum Niederlothringen, das etwa von Trier aus nördlich bis zur Nordsee reichte --- also Köln, Aachen und Nymwegen umfaßte ---, bedurfte eines Oberhauptes, nachdem es lange Zeit unter einer Art provisorischer Reichsverwaltung gestanden hatte. Die Wahl fiel --- nach langen Beratungen --- auf den Bruder des regierenden Königs Lothar von Frankreich, auf den Prinzen (und gegebenen Falles französischen Kronprätendenten) Karl.

 

Wollen wir uns doch einmal vergegenwärtigen, was das bedeutete! Ein jugendlicher französischer Thronanwärter wird durch die Belehnung mit einem zum Deutschen Reich gehörenden Herzogtum kaiserlicher «Beamter», kann also --- wenn dies die Umstände verlangen ---

 

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gegen seinen eigenen Bruder, den König von Frankreich, ausgespielt und eingesetzt werden! Fügen Sie noch zu, daß dieser französische König der Schwiegersohn der Kaiserin Adelheid ist, da er deren Tochter Emma aus erster Ehe seit 966 zur Gemahlin hat. Fügen Sie weiter zu, daß Karl von Niederlothringen aufs heftigste mit seiner Schwägerin Emma verfeindet war --- er zieh sie einer unerlaubten Beziehung mit dem Bischof Ascelin von Laon --- und deshalb von Adelheid mit unauslöschlichem Haß verfolgt wurde. Erwägen Sie schließlich noch, daß der König Lothar von Frankreich immer geheime Absichten auf Nieder- und Oberlothringen hegte: und Sie werden erkennen, welches ungeheure menschliche und diplomatische Spiel da im Mai 977 in Diedenhofen ausgetragen wurde: über den Kopf der Kaiserinmutter hinweg, hinweg über alle ihre persönlichen Empfindsamkeiten: hinweg auch über alle Einwände ihrer Sippenpolitik, die den Erfordernissen der Stunde nicht mehr standhielt. Natürlich fürchtete Adelheid die Rache des französischen Königs Lothar nach einem solchen Affront. Sie fürchtete das Wiederausbrechen der deutsch-französischen Kriege, welches die klug vermittelnde Politik einer königlichen Frau --- Gerbergas von Frankreich, der Mutter Lothars --- lange Jahre verhindert hatte. Der junge Kaiser dagegen sah einer solchen Möglichkeit sehr gelassen ins Auge. Als sie --- 978 --- zur Tatsache wurde, als Lothar bis nach Aachen vordrang, aber unverrichteterdinge wieder umkehren mußte, kündigte Otto II. öffentlich einen Revanchekrieg für den 1. Oktober an. Einer solchen Politik konnte --- begreiflicherweise --- Adelheid nicht mehr folgen. Man hatte ihre Warnungen

 

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in den Wind geschlagen. Sie verließ den Hof und reiste, begleitet von ihrer Tochter, der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, nach Vienne, an den Hof ihres Bruders, des Königs Konrad von Burgund.

 

Theophanos Einfluß am Hof wurde nun allmächtig. Er stieß auf keine Widerstände mehr. Wer hätte diese wagen sollen?

 

Die französische Frage war aufgerollt. Theophano wußte, daß sie --- trotz aller Versuche von Zwischenlösungen --- aufgerollt bleiben würde. Sie hatte längst erkannt, daß das deutsch-französische Verhältnis eines der Grundprobleme der zukünftigen Reichspolitik darstellen würde: ein Problem von nicht minderem, sondern eher noch größerem Gewicht als das slawische im Osten. Sie wußte, daß dieses Problem eine grundsätzliche Lösung verlangte, bei welcher Rücksichten auf verwandtschaftliche Bindungen, Gefühle und Ressentiments keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen durften.

 

In Frankreich regierten noch immer die Karolinger. Es durfte keine karolingischen Ansprüche mehr an die Ottonen geben, auf welche mit Ottos I. Kaiserkrönung --- 962 --- die imperiale Machtstellung und Prätention Karls des Großen übergegangen waren. Wie innenpolitisch, so hatte auch außenpolitisch die Omnipotenz der ottonischen Majestät zu gelten und der deutsch-römischen Reichspolitik den Stempel ihres karolingischen Erneuerungsgedankens (Renovatio) aufzudrücken. Der Preis für die Durchsetzung dieses Standpunktes mochte nicht immer billig sein. Aber er mußte gezahlt werden: denn ein großes Reich lebt auf die Dauer nur aus der Idee, die es vertritt und verkörpert: nicht aber aus den Zufälligkeiten

 

Benrath, Vorarbeiten 4

 

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eines «Wohlstandes», der mit schwindender Machtgeltung ebenfalls schwinden würde.

 

Theophanos politischer Glaube fand seine Bestätigung, als sie im Juli 980 dem Thronerben --- Otto III. --- das Leben gab. Nun war auf den eignen Sohn beziehbar, was seither als autonome Idee in ihr wirksam gewesen war. Sie sagte «Reich», wenn sie fortan Sohn sagte. Und sie dachte «Sohn», wenn sie ihre eigne Aufgabe dachte. Die kühle Klarheit ihres kaiserlichen Pflichtbewußtseins war zur berauschenden Klarheit ihres gesamten Lebenszustandes geworden. Unzweideutig, in göttlicher Helle, lag vor ihr der ungeheure Weg: der Weg zu dem Sohne durch den Sohn, welcher kein anderer war als der Weg der Erfüllung, beginnend in Gottes Gesetz, endend in Gottes Gesetz: Sei es durch Glück, sei es durch Leid, sei es durch beider Verkettung.

 

Als der Hof Ende 980 Deutschland verließ, um sich der Lösung wichtiger italischer Fragen zu widmen, trennte sich Theophano nicht von dem erst vierteljährigen Kinde. Die beiden 977 und 978 geborenen Töchter, Adelheid und Sofia, ließ sie in Deutschland zurück: der Thronerbe aber wurde mitgenommen auf die beschwerliche Reise.

 

Die Reise war zunächst für sie eine Entspannung. Sie atmete nach acht langen Jahren wieder südliche Luft, sah südliche Blumen, Südliches Meer . . . Vielleicht vergaß sie für ein paar Wochen, daß dieser Zug nach Ravenna, Rom und Apulien politische Ziele verfolgte: er galt vor allem der Ordnung der Verhältnisse in den Ländern der Fürsten von Benevent, Spoleto, Capua, welche die südlichen Grenzwächter des Reiches waren. Er galt

 

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aber auch --- sehr möglich --- einem äußerst verwegenen Ziel: der Eroberung der beiden, zu Byzanz gehörigen apulisch-kalabrischen Militärprovinzen (Themen) unter dem Vorwand eines Krieges gegen die von Sizilien auf das Festland vordringenden fatimidischen Sarazenen.

 

Wenn Theophano --- als Byzantinerin und orthodoxe Christin --- bestimmt mit dem Kampfe gegen die mohammedanischen Heiden einverstanden war, so mußte ihr der Angriff auf byzantinisches Gebiet als ein sehr gefährliches Unterfangen erscheinen. Sie war es gewöhnt, sich an die Lehrsätze der byzantinischen Flottenpolitik zu halten: Byzanz würde niemals seine wichtigsten Marine-Stützpunkte in Apulien oder Kalabrien preisgeben. Und wie sollte das Reich, selbst bei einem günstigen Ausgang des Krieges, diese entfernten Küsten oder Häfen halten, nachdem es nicht einmal die kleinste eigne Flotte besaß? Sie ließ es bestimmt nicht an Warnungen fehlen: aber die Kriegspartei --- deren Seele wohl der Kaiser selbst war --- war stärker als ihre Einwände: zu tief saß diesen Deutschen im Blute der Gedanke, daß --- de jure --- ganz Italien zu ihrem Reiche --- dem Erbe des «Imperium Romanorum» --- gehöre. Die Gelegenheit erschien zu günstig, als daß man sie nicht hätte ausnutzen sollen . . .

 

Das Ende des Feldzuges ist bekannt: Nach anfänglichem Sieg geriet das kaiserliche Heer infolge einer frevelhaft nachlässigen Kriegsführung in einen Hinterhalt der (zweifellos von den Byzantinern unterstützten) Sarazenen und wurde zusammengehauen. Die Niederlage wuchs sich zur Katastrophe aus. Der Tag der Schlacht bei Kap Kolonne --- 15. Juli 982 --- gehört zu den schlimmsten

 

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Tagen der deutschen Geschichte im Mittelalter. Selbst der Kaiser wurde nur durch ein Wunder vom Tode gerettet.

 

Theophano fiel in Wut: wenn sie etwas haßte, so den politischen und militärischen Dilettantismus. Das sinnlose Draufgängertum überheblicher Heißsporne hatte bedeutende Werte des Reiches für nichts und wieder nichts verspielt und dem kaiserlichen Namen einen Prestigeverlust gebracht, der durch zwei Jahrhunderte hin nicht wiedergutzumachen war. Der Kaiser selbst war das Opfer seines gefährlichsten Dämons geworden: der Unbeherrschtheit. Er hatte sich gehen lassen: Todsünde in den Augen Theophanos.

 

Ein Jahr später starb er in Rom an den Folgen der gleichen Todsünde. Er war an Darmstörungen erkrankt. Die Verordnungen des Arztes brachten ihm nicht rasch genug die erwünschte Wirkung. So nahm er ganz einfach das Vielfache der vorgeschriebenen Aloedosis und --- verblutete an dieser knabenhaften Eigenwilligkeit: Reich und Gattin und Sohn dem dunkelsten Schicksal überlassend.

 

Die Berichte erzählen von Theophanos tiefer Trauer um den Toten. Ich glaube diesen Berichten nicht. Ich glaube, daß Theophano damals nur von einem einzigen Gefühl beseelt war: von dem der Erbitterung gegen ein solches Maß von Verantwortungslosigkeit. Otto II. war, als er starb, achtundzwanzig Jahre alt. Eben in diesem Alter pflegen die Grundeigenschaften der männlichen Natur durchzubrechen. Sollten Beeinflußbarkeit und Unbeherrschtheit sich als solche Grundeigenschaften Ottos II. erwiesen haben: So wäre allerdings sein Tod ein

 

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Glück für das deutsch-römische Imperium gewesen. Es steht uns kein Urteil darüber zu.

 

Theophanos Größe wird erst sichtbar nach dem Tode des Kaisers. In der Stärke ihrer Seele lag nun das Schicksal des Reiches. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt . . . Aber es lebt ja alterlos, wer vom Feuer eines großen Gedankens lebt: von der Hingabe an ein Ziel, das um seiner selbst willen besteht und dennoch auf einen Erben bezogen werden kann.

 

Meine Damen und Herren: wollen Sie einmal mit mir erwägen, wie Theophanos Lage unmittelbar nach dem Tode des Kaisers war.

 

Ihr Sohn, Verkörperung und Sinnbild ihres eignen Daseins, war gerade in Aachen zum deutschen König gekrönt worden, als die Nachricht vom Tode des Kaisers in Deutschland eintraf. Das Signal zum Aufstand der Gegner war gegeben. Heinrich der Zänker verließ Utrecht, wo er sechs Jahre lang in Haft gehalten worden war, und verlangte vom Erzbischof von Köln die Auslieferung des dreijährigen Königs. Der Erzbischof gehorchte. Auch die kaiserlichen Prinzessinnen wurden von dem Bayern in Gewahrsam genommen. Einige kleinere weltliche und eine ganze Reihe geistlicher Fürsten schlossen sich dem Empörer an. Der König Lothar von Frankreich hielt sich --- je nach den Chancen --- zum Eingreifen auf der kaiserlichen oder kaiserfeindlichen Seite bereit. Die Propaganda arbeitete mit allen Mitteln der Lüge und Gehässigkeit gegen Theophano, gegen die «Fremde», die «Undeutsche», die «Sittenlose» --- man sagte ihr eine Beziehung zu dem schönen Griechen Johannes Philagathos, dem späteren Erzbischof von Piacenza

 

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nach --- und gegen ihren Sohn, den Halbgriechen, der niemals ein rechter deutscher König sein werde . . .

 

Aber Theophano --- die politischen Notwendigkeiten hatten ihr ein Zusammenarbeiten mit Adelheid aufgezwungen --- hatte einen großen Freund, dessen Stimme und Willen mehr Gewicht besaßen als die Anstrengungen all ihrer Gegner: Willigis, den Erzkanzler des Reiches und Erzbischof von Mainz. Wüßte man gar nichts von Theophano als nur die Tatsache, daß sie mit diesem Manne durch alle Jahre ihrer Regentschaft hin die Politik des Reiches geleitet hat, ohne daß das gute Einvernehmen der beiden Partner auch nur ein einziges Mal gestört worden wäre, so hätte man Klarheit darüber, wie man sie einzuschätzen hat. Daß die Frau aus höchstem byzantinischen Adel mit diesem unbeugsamen Sachsen schlichtester Herkunft, aber genialer staatsmännischer Begabung, in einer wirklichen Freundschaft leben konnte, spricht mehr für sie als alle freundlichen Dinge, die Thietmar von Merseburg über sie berichtet. Es beweist, daß sie den Wert der menschlichen Substanz über den Wert der Geburt stellte. Es beweist, daß Sie turmhoch über den dünkelhaften Vorurteilen der Feudalität stand und dem Genie gab, was des Genies war. Es beweist auch ihre Unbeeinflußbarkeit und jene Mißachtung des «Üblichen», welche alle wahren Herrschernaturen kennzeichnet.

 

Willigis vertrat --- seit Anfang 984 --- mit ungewöhnlicher Energie die Rechte der Krone gegen die hochverräterische Usurpation des Zänkers. Gemeinsam mit Theophano kämpfte er den schweren Kampf bis zum endlichen Siege. Der Bayer lieferte den gekrönten König

 

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und die kaiserlichen Prinzessinnen aus, verzichtete auf alle Thronansprüche und gab --- ein für allemal --- den Kampf für eine ungerechte und unsaubere Sache auf. Gewiß: er erhielt sein Herzogtum --- wenn auch verkleinert --- zurück. Aber er leistete dem jungen König den Lehnseid und brach ihn niemals mehr bis an sein Lebensende. Die bayrische Clique hatte aufgehört, für Theophano eine Gefahr zu bedeuten. Von 985 bis zu ihrem Tode ist die Kaiserin auf keine ernsthaften innerpolitischen Schwierigkeiten mehr gestoßen.

 

Aber seit dem Jahre 986 schob sich die französische Frage in ihrer ganzen Schwere auf den vordersten Plan der Reichspolitik. Im Frühjahr 986 war der König Lothar von Frankreich gestorben, im Frühjahr 987 folgte ihm sein einziger, erst zwanzigjähriger Sohn Ludwig V. nach. Rechtmäßiger Erbe wäre --- da Ludwig keine Nachkommen hinterließ --- Lothars Bruder gewesen: eben jener Herzog Karl von Niederlothringen, der durch die Annahme der reichsdeutschen Belehnung kaiserlicher «Beamter» geworden war.

 

Es liegt auf der Hand, daß weder Theophano noch die französischen Großen die Erhebung dieses Karolingers auf den Thron Frankreichs wünschen konnten. Der Erzbischof Adalbero von Reims --- ein Mann von hoher politischer Begabung --- besorgte sowohl das Geschäft der Kaiserin als auch der westfränkischen Feudalität, indem er den Herzog von Franzien, Hugo Kapet, Theophanos (weil Ottos II.) Vetter, zum König wählen ließ. Theophano hatte mit dieser Wahl genau das, was sie wollte und brauchte: die Spaltung der nationalen Kräfte in Frankreich. Sie konnte --- je nachdem es nun ihre eigne

 

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Politik verlangte --- auf diese oder jene Karte setzen. Sie konnte den Karolinger gegen den Kapetinger ausspielen --- und umgekehrt. Frankreich zerrissen und schwach zu halten: das war ihr oberstes und bedeutsamstes Ziel, Frankreich dem Imperium bei passender Gelegenheit wieder einzuverleiben: Sehr wahrscheinlich ihr nächstes, sorgfältig geheimgehaltenes. Denn sie dachte ja in der von den Ottonen übernommenen karolingischen Reichstradition. Auch wußte sie, daß noch Otto I. und sein Bruder, der Erzbischof Brun von Köln, eine Art Vormundschaft über die Könige von Frankreich ausgeübt hatten. Was war, konnte wieder werden --- und mehr. Sie war es von Byzanz her gewohnt, immer in der jeweilig höheren Einheit zu denken.

 

Sie hat mit bewunderungswürdiger Zähigkeit an ihrem Ziele festgehalten, genau so, wie sie der Ostpolitik ihre wacheste Aufmerksamkeit lieh. Im Süden dagegen gingen ihre Bemühungen kaum weiter als Rom und die kampanischen Randstaaten. So genau sie wußte, daß in Kalabrien und Apulien für das Reich nichts zu holen war: So unantastbar schien ihr die Notwendigkeit engster Zusammenarbeit mit der Kurie. Das Reich mußte vor der ganzen Welt als Beschützer der Kurie gelten und sich für diese einsetzen, sobald es nötig war. Es mußte jedem Versuch, die Universalität der Kirche zu schwächen, mit Gewalt entgegentreten. Denn diese kirchliche Universalität war ja nur die Parallele der Reichsuniversalität: war die geistliche Bestätigung des übergeordneten weltlichen Imperiums.

 

Gerade der Umstand, daß die Kirche sich ganz in den Schutz der Reichsmacht stellte --- wohlgemerkt: im

 

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10. Jahrhundert! --- sicherte Theophano die Helferschaft eines Teiles des hohen französischen Klerus für ihre Pläne in Frankreich. Kein Geringerer als der kapetingische Königsmacher, der Erzbischof Adalbero von Reims, war ihr überzeugtester Schrittmacher: Schon zur Zeit des bayrischen Usurpationsversuches.

 

Die französische Frage nahm eine für Theophano sehr unerfreuliche Wendung, als es Hugo Kapet gelungen war, Karl von Lothringen mit seiner gesamten Familie zu fangen und auch den Erzbischof Arnulf von Reims, Adalberos Nachfolger, Karls Parteigänger, in Haft zu setzen. Aber Theophano wurde nicht kleinmütig. Sie sah sofort den Punkt, von dem aus sie ihre Politik weiterführen und wieder Oberwasser gewinnen konnte. Die eigenmächtige Absetzung und Verhaftung eines dem Papst unterstehenden Erzbischofs durch einen französischen König war ein schwerer Verstoß gegen das kanonische Recht. Hugo Kapet hätte Theophano gar keinen größeren Dienst erweisen können als eben diesen Verstoß zu begehen. Sie wußte, daß er sich mit dem Gedanken trug, die westfränkische Kirche von Rom zu lösen. Eine nationalfranzösische Kirche wäre für das Reich unannehmbar gewesen, weil Sie eine Schwächung der Kurie und gleichzeitig eine Stärkung der französischen Dynastie bedeutet hätte.

 

Theophano machte also aus dem Rechtsbruch Hugo Kapets eine weltpolitische Frage: Der französische König hatte durch Verletzung des kanonischen Rechts sakrosankte Reichsinteressen geschädigt. Willigte er nicht in eine Wiedergutmachung ein, so war der deutsche Angriff gegen Frankreich unvermeidlich. Daß einen solchen die

 

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kapetingische Dynastie überstehen würde, schien unglaubhaft. Denn deren Stellung war damals schwach --- und es war mehr als unsicher, wer von den untereinander rivalisierenden westfränkischen Herzögen sie stützen würde. Ein französisches Nationalgefühl gab es noch nicht. Der Feudalgedanke überwog den Staatsgedanken.

 

Außerdem aber hatte Theophano ihre heimlichen Helfer und Agenten in Frankreich, die nur auf ihre Aktion warteten. Da war vor allem Gerbert von Reims, der Schüler Adalberos: ein ebenso gebildeter wie durchtriebener Mann, der sehr wohl wußte, wo sein Weizen blühte . . . Da war Ascelin, der Bischof von Laon, die Gesinnungslosigkeit in Person, der immer zu haben war, wo etwas für ihn abfiel. Die Grafen Eudes de Chartres und Herbert de Troyes aber --- wahrhafte «Gangsters» ihrer Zeit --- dienten in skrupelloser Offenheit dem, der am besten zahlte. Nun: an Gold fehlte es Theophano gewiß nicht . . . und doppelt nicht, wenn es um ein so hohes Spiel ging . . .

 

Schon war sie --- indessen Hugo Kapet das Konzil von St. Basle vorbereitete, auf dem die öffentliche Entehrung und Absetzung des «verräterischen» Erzbischofs Arnulf proklamiert werden sollte --- in der Pfalz von Nymwegen, dicht an der französischen Reichsgrenze erschienen, um sofort in die sich vorbereitenden Ereignisse eingreifen zu können: da starb sie eines plötzlichen, geheimnisvollen Todes am 15. Juni 991.

 

Hatte man Sie vergiftet? Wir wissen nichts. Wir dürfen nur annehmen, daß Gift bei solchen «Toden zur rechten Zeit» eine größere Rolle gespielt hat, als die Chroniken berichten . . .

 

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Hugo Kapet mußte die Kaiserin hassen, seit er über das geheime Ziel ihrer französischen Politik keine Zweifel mehr hegen konnte. Ihre Stellung in Deutschland war --- trotz mancher persönlichen Anfeindungen aus den Kreisen der Hofkamarilla --- sehr stark. Ihrer unermüdlichen, gewissenhaften, fast militärisch-präzisen Führung der Geschäfte zollte man ehrliche Bewunderung. Sie war ganz deutsch in ihrem Wollen und politischen Handeln. Sie hat nur «Reich» gedacht --- und «Reich» erfüllt . . .

 

Was sie aber als «Frau» verkörperte und bedeutete, blieb unergründlich. Es ist wohl nur wenigen bewußt und noch wenigeren durch persönlichen Austausch spürbar geworden. Denn wer sich so wie sie im Zaume hält, erschließt sich auch nur schwer vor denen, die er liebt . . . Wen aber liebte Sie, außer ihrem Sohn?

 

Lassen Sie mich schließen, indem ich wiederhole, was ich an anderer Stelle von ihr gesagt habe:

 

«Es war eine ihrer kaiserlichsten Eigenschaften, daß Sie das Gesetz der Grenzen kannte und übte. Sie faszinierte, weil sie zu herrschen verstand, aber sie herrschte nicht, weil sie faszinierte. Sie war Gott als Gläubige verbunden. Die Menschen aber hat sie wohl verachtet: ohne davon überzeugt zu sein, daß dies besser sei als sie zu lieben. Das Leben hatte ihr keine Zeit gelassen, ihre eigene kritische Veranlagung der Selbstkritik zu unterziehen. Sie hat gehandelt und gewirkt nach ihrem Auftrag und nach ihren Möglichkeiten. Sie war stolz und einsam. Und sie war groß, weil Sie nicht vom Wahn der Größe besessen war. In schlaflosen Nächten brauchte sie nicht nur zum Brevier: nein: Sie konnte zu Homer, zu Sappho, zu Thukydides greifen. Sie wußte, daß jedes

 

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Lächeln schon gelächelt und jedes Weinen schon geweint worden sei. Sie betete stumm vor der verhaltenen Glut der Ikone. Sie versank im Gebet und erhob sich aus ihm wie alle täterischen Menschen, welche die Phrase hassen. Sie hatte es niemals nötig gehabt, pathetisch zu sein.»

 

Geschrieben: Paris, 1939.

 

 

 

Quelle:

Auszug aus Henry Benrath: Vorarbeiten zu «Die Kaiserin Theophano»
dva. Stuttgart Berlin. Deutsche Verlags-Anstalt. 1941. S. 1-60.

Die im Buch erwähnte Dissertation an der Georg-August-Universität zu Göttingen von Johannes Moltmann: Theophano, die Gemahlin Otto II., in ihrer Bedeutung für die Politik Ottos I. und Ottos II. Schwerin 1878 wurde vom Münchener Digitalisierungszentrum eingescannt und ist unter folgendem Link verfügbar:

https://reader.digitale-sammlungen.de//defs1/object/display/bsb11371792_00005.html

 

Die eingefügten Fotos aus der Hagia Sophia, der Klosterruine Memleben und der Schatzkammer der Stiftskirche in Bad Gandersheim sind nicht im Buch enthalten.

 

 

Dissertation Johannes Moltmann 1878 über Theophano, die Gemahlin Otto II.

Theophano, die Gemahlin Ottos II.,
in ihrer Bedeutung für die
Politik Ottos I. und Ottos II.

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Inangural- Dissertation
zur Erlangung der philosophischen Doctorwürde
an der Georg-Angust-Universität zu Göttingen

von Johannes Moltmann.

Schwerin, 1878.
Druck der Hofbuchdruckerei von Dr. F. Bärensprung.



Eine Untersuchung der politischen Bedeutung der Kaiserin Theophano gliedert sich, der Natur des Gegenstandes gemäss, in drei Abschnitte. Für Otto I. war die Griechin ein hervorragendes Moment einer Pläne und Bestrebungen während der letzten Jahre seines Lebens; Ottos II. Politik erhielt nach Sicherung des Thrones in Deutschland ihre Richtung allein von ihr; nach dem Tode des Letzteren aber wurde sie selbstständige Leiterin der Angelegenheiten des Reichs. Otto den Grossen hielt der Plan, die Bewilligung der griechischen Prinzessin zu erzwingen, fast fünf und ein halbes Jahr in Italien; Otto den Zweiten führten die griechische Gemahlin und die an diese anknüpfenden Ansprüche von Neuem gen Süden; für Otto den Dritten aber war der Einfluss der griechischen Mutter und Regentin ein allseitiger, erschöpfender.

Ich behandle im Folgenden die beiden ersten Abschnitte, die Bedeutung Theophanos für die Politik Ottos I. und Ottos II., die Jahre 967---972 und 973--983.

I. Ottos I. Werbung in Byzanz und die Motive derselben.
Quellen: insonderheit Liudprands legatio.

Am ersten Weihnachtstage 967 1) war Otto II. in St. Peter zum römischen Kaiser gekrönt worden. Otto I. hatte ihm damit, wie schon vor sechs Jahren die Nachfolge in Ostfranken, so jetzt die Nachfolge auf dem Kaiserstuhle Karls des Grossen
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1) Nach der Chronologie jener Zeit, die das neue Jahr mit diesem Tage begann, 968, wie auch die Ann. Lobiens., S. Ponifacii, Colon., Blandiniens, überliefern.

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gesichert. Dauernd hatte er Zuständen vorgebeugt, wie sie nach dem Tode Kaiser Ludwigs II. eingetreten waren, wo die Kaiserkrone, ein Spielball in den Händen der Päpste, diesen hatte dazu dienen müssen, Schutz und Hülfe gegen die Saracenen zu erkaufen. Otto I. konnte an ein Erblichwerden der Kaiserkrone denken.

Es galt jetzt, auch die fernere Nachfolge zu sichern, dem jüngeren Otto eine Gemahlin zuzuführen. Otto d. Gr. wandte seine Blicke nach dem Osten, aus dem fernen Byzanz wollte er eine Gemahlin für seinen Sohn. Er sandte Unterhändler an den oströmischen Kaiser Nikephorus und warb um dessen Stieftochter, die Tochter des verstorbenen Kaisers Romanus II.

Gar mancherlei Vermuthungen sind darüber aufgestellt worden, was Otto zu diesem Schritte bewogen, weshalb er nicht einer abendländischen Fürstentochter den Vorzug gegeben habe. Fast möchte es scheinen, als sei ein einfacher Hinblick auf die Progression in den äusseren Verhältnisgen des Sächsichen Herrscherhauses Erklärung genug. Der Herzogssohn Heinrich I. wählte unter den Töchtern der Grossen seines Landes, der Königssohn Otto I. führte zu zweien Malen Königstöchter heim, dem Kaisersohne Otto II. -- gebührte eine Gemahlin aus kaiserlichem Geblüt. Indess war eine Werbung in Constantinopel doch ein so weitausschauendes Unternehmen, und Otto I. hielt an dem Zustandekommen seines Planes mit einer solchen Beharrlichkeit fest, dass es nur zu gerechtfertigt erscheint, wenn man tieferliegende Motive muthmasste. Dass die Ansichten hiebei nicht unbedeutend auseinandergingen, lag weniger in der Natur der Sache, als in den verschiedenen Standpunkten der betreffenden Forscher begründet.

Etwas naiv 2) möchte ich die Erklärung nennen, welche
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2) Allerdings begründet auch Hugo Capet 988 seine Werbung in Byzanz für seinen Sohn mit den Worten: „quoniam est nobis unicus filius et ipse rex; nec ei parem in matrimonio aptare possimus propter affinitatem vicinorum regum“. Cf. Leibniz, Ann. Imp. occid. III., p. 528.

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uns die Origines Guelficae 3) und auch die Annales imperii occidentis 4) von Leibniz mit Berufung auf den Chronographus Saxo 5) bringen. „Otto d. Gr.“, sagen sie, „wollte Seinem Sohne eine Gemahlin zuführen, deren Stand Seiner neuen Würde entspräche, und da nun die meisten Töchter aus erlauchtem Geblüt in Deutschland wie in den Nachbarreichen dem jungen Kaiser zu nahe verwandt waren, als dass eine eheliche Verbindung gestattet gewesen, warb er um eine Schwiegertochter aus dem Orient“. Vergessen ist hiebei nur, dass Otto I. selbst die Nichte (Adelheid) seiner älteren Schwiegertochter (Ida, Gemahlin Liudolfs) heimgeführt hatte.

Schon weniger naiv ist die verkleinernde Insinuation Gfrörers in seiner Allgemeinen Kirchengeschichte im 3. Bande, p. 1268. Gfrörer misbraucht den Patriotismus seiner deutschen Leser, um das hohe Bild Ottos in ihren Augen herabzusetzen. „Eine germanische Fürstentochter“, sagt er, „schien ihm zu gering für seinen Sohn. Das sächsische Königsblut sollte durch Beimischung eines fremden, welches in Ottos Augen ohne Zweifel weit höheren Werth hatte -- nämlich durch griechisches veredelt werden, und Teutschland in Zukunft Herrscher der vornehmsten Art erhalten“. Ich brauche kein Wort über die Abgeschmacktheit 6) dieser Insinuation zu verlieren. Gfrörer gelbst scheint sich ihrer zu schämen, denn er fügt ihr wohlweislich noch andere Vermuthungen von etwas wisgenschaftlicherem Anstriche hinzu. Er fährt fort: „Ausser
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3) IV., p. 460, Anm, 3.
4) III., p. 291.
5) ad 972: „Otto Romanorum imperator augustus, filio suo unice dilecto Ottoni, agnomine Rufo, hisce regionibus nullam tantae copulationi dignam nisi in sua cognatione, cui nequaquam jungi licebat, repperiri non nesciens feminam, Greciam misit.“ MG. SS. XVI, 152.
6) Begreiflich wird Gfrörers Darstellung nur aus der Zeit, welche sein Werk erscheinen sah: 1844. Es klingen seine Worte wie ein Hohn auf die damals noch in Blüthe stehende Neigung des deutschen Volkes, sich und die eigene Arbeit im Vergleich zu andern Nationen und ihren Producten selbst gering zu achten.

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diesen mystischen Gründen mögen jedoch auch politische Berechnungen die griechische Heirath unterstützt haben. Mehrere Spuren sind vorhanden, dass die Partei unter dem römischen Clerus, welche für die Unabhängigkeit des Stuhles Petri arbeitete, schon seit 965 Verbindungen mit dem Hofe zu Constantinopel in der Absicht unterhielt, durch byzantinische Hülfe das teutsche Übergewicht zu brechen. Später trat dieser Plan deutlicher hervor. Man muss nothwendig annehmen, dass Otto die geheimen Umtriebe seiner Gegner kannte. Wenn es ihm nun gelang, seinen Sohn und Nachfolger mit einer Tochter des byzantinischen Herrscherhauses zu verbinden, so schien die Gefahr, die dem teutschen Kaiserthum von Osten her drohte, entweder beseitigt oder wenigstens verringert“.

Auch diese Vermuthung ist völlig gehaltlos. Sehen wir ab von den geheimen Conspirationen des römischen Clerus, für deren Existenz Gfrörer keinerlei Beweismaterial erbringt, so kannte Otto jedenfalls ein wirksameres Mittel, Rom im Zaum zu halten, als eine Heirathsverbindung mit dem fernen Byzanz, dessen Kaiser Nikephorus allerdings die kleinasiatischen und kretischen Saracenen, wie die Bulgaren überwältigt hatte -- Letztere auch nur mit Hülfe der Russen --, dessen Macht aber keineswegs ausreichte, die südliche Hälfte Italiens zu behaupten. Otto I. scheute durchaus nicht vor Gewaltmassregeln, und war es die Absetzung des Papstes selbst, zurück.

Mehr Thatsächliches, als dieser Conjectur Gfrörers, scheint einer anderen Annahme zu Grunde zu liegen, zu deren Vertreter sich u. A. 6b) Giesebrecht in seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit (4. Aufl.) I., p. 496 macht. „Otto“, behauptet er, „wünschte ohne Zweifel, dass Theophano als Mitgift seinem Sohne die Besitzungen der Griechen in Unteritalien
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6b) Auch Wattenbach in seiner Einleitung zu Liudprands Werken (Geschichtsschreiber d. deutsch. Vorzeit, X. Jahrh., 2. Bd.), p. XIV.: „Apulien und Kalabrien sollten die Mitgift der Theophano sein“.

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zubringen möchte.“ Wenn man sich die Thatsache vergegenwärtigt, dass Otto in Apulien mit Heeresmacht einfiel und vergeblich Bari belagerte, ohne die genaue Aufeinanderfolge der Ereignisss zu beachten, so erscheint diese Darstellung allerdings höchst annehmbar. Otto will Unteritalien erwerben, er versucht es mit Gewalt, Bari, der Hauptstützpunkt der griechischen Macht trotzt seinen Bemühungen, deshalb lässt er von der Belagerung ab und betritt den Weg der Unterhandlungen. Indess einmal ging die Gesandtschaft des Dominicus dem Einfall in Apulien voran, und andererseits zeigte die Folge, dass Otto sich auch ohne jene Mitgift mit der blossen Heirath begnügte. Giesebrecht fügt deshalb selbst hinzu: „Aber er (Otto I.) legte, wie es scheint, mehr Gewicht darauf, dass überhaupt nur die beabsichtigtes Vermählung und ein festes Bündniss mit dem griechischen Kaiser zu Stande käme, als dass er ängstlich auf der Grösse der Mitgift bestanden hätte“.

Ihre völlige Widerlegung findet aber Giesebrechts Vermuthung schon durch die legatio Lindprandi. Dieser sagt nämlich im siebten Kapitel ausdrücklich, Otto habe Apuliam omnem potestati subditam der fraternitati des Nikephorus als  optimam amicitiae arabonam (arrhabonem) dargebracht, und weist damit darauf hin, dass Otto vor der Abreise Liudprands Apulien wieder geräumt habe. Es hätte dies doch keinen Sinn, wollte er es gleich darauf als Mitgift wiederfordern. Zum Überfluss hat er unmittelbar vorher die Heirath 7) Romanus II. mit König Hugos natürlicher Tochter Bertha gleichfalls als Entgelt für Hugos Verzicht auf Unteritalien dargestellt. Hält man dazu noch die Worte Kaiser Ottos d. Gr. selbst in dem Brief bei Widukind III., c. 70, wo er von den Verhandlungen mit Byzanz spricht: „Apuliam et Calabriam
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7) Es ist allerdings hier das Heirathsverhältniss ein umgekehrtes, wie in unserm Fall; indess war es Hugo, dem an dem Zustandekommen der Verbindung gelegen war, Cf. auch Vogel, Ratherius von Verona I., p. 121.

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provincias, quas hactenus tenuere, nisi conveniamus, dabunt, so kann kein Zweifel drüber sein, dass Otto d. Gr. garnicht ZS an eine derartige Mitgift dachte 8).

Kann ich nun somit keiner der vorstehenden Motivirungen für Ottos Werbung in Constantinopel beistimmen, so glaube doch auch ich nicht, nur der Gedanke, die künftige Schwiegertochter müsse seines kaiserlichen Sohnes würdig sein, habe Ottos Handlungsweise bestimmt. In der legatio Lindprands findet sich eine Reihe von Stellen, die mir volles Licht über tiefer liegende Motive Ottos zu verbreiten scheinen. Bevor ich jedoch diese Stellen zu einem Beweise aneinanderreihe, will ich meine Ansicht von der Sache, wie sie sich auf Grund derselben gebildet hat, unabhängig von ihnen entwickeln. Ich muss dabei allerdings ein Wenig weiter ausholen.

Ich greife zurück auf die Entstehung des ost- und weströmischen Reichs. Sie datirt von der Theilung durch Theodosius d. Gr. Theodosius wollte durch dieselbe keineswegs zwei Reiche gründen, die nichts mit einander gemein hätten. Das römische Reich repräsentirte einen Begriff und zwar den der Weltherrschaft. Theodosius gab mit der Theilung diesen Begriff nicht auf, auch konnte er denselben nicht auf jeden der beiden Theile für sich übertragen. Der Begriff der Weltherrschaft blieb beiden gemeinsam, die beiden Kaiser waren nur Genossen im Tragen desselben. Es gab auch ferner nur ein römisches Kaiserthum, aber zwei römische Kaiser.
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8) Dümmler, Kaiser Otto d. Gr. p. 437, sagt, wie oben: „Lindprand habe sich anheischig gemacht, gegen den Verzicht auf Apulien und Calabrien dem jungen Kaiser Otto die Hand der Prinzessin Theophano zu gewinnen“. Was er aber dann p. 421 meint mit den Worten, Otto habe durch die Heirathsverbindung zwischen beiden Reichen zugleich die streitigen Rechtsansprüche zu friedlichem Vergleiche zu einigen gedacht, verstehe ich nicht ganz. Otto giebt Unteritalien auf, damit sind „die streitigen Rechtsansprüche geeinigt“, Das konnte er aber auch ohne die Heirath. Oder denkt auch Dümmler an einen Sachverhalt, wie ich ihn sogleich entwickeln werde?

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Durch Odoaker war der Herrscherthron des Westens gestürzt, nur Ostrom hatte die gefahrvolle Periode der Völkerwanderungen überdauert, das römische Kaiserthum hatte wiederum nur Einen Kaiser, der Begriff nur Einen Träger. Da trat am Weihnachtstage 800 (nach unserer Rechnung 799) Karl d. Gr. das seit über dreihundert Jahren ruhende Erbe Westroms an. Er übernahm mit der Krone den Begriff, er stellte sich Ostrom als Genossen, als Bruder an die Seite. Dass er sich dessen bewusst war, ersehen wir aus der Thatsache, die uns Cedrenus 9) überliefert, aus seiner Werbung um die Hand der oströmischen Autokratin Irene. Durch diese Heirath wollte er beide Theile des Reichs vereinen, er wollte der alleinige Träger der Idee sein.

Sein Plan scheiterte, und auch sein Kaiserthron war eine Weile unbesetzt geblieben. Otto d. Gr. bestieg ihn von Neuem. Auch sein Blick schaute wieder gen Osten. Dem Gedanken an eine Vereinigung war durch die thatsächliche Lage der Dinge vorgebeugt. In Byzanz sass kein Weib, sondern der thatkräftige Nikephorus auf dem Thron. Aber war auch nicht an Vereinigung zu denken, die Genossenschaft, die Verbrüderung lag im Bereich des Möglichen. Um sie voll durchzuführen, bedurfte es der Anerkennung von seiten Ostroms, bedurfte es, dass der künftige Herrscher des Westens ein Glied der Kaiserfamilie des Ostens wurde. Wie einst zur Zeit des Arcadius und Honorius zwei Brüder die Weltherrschaft theilten, so sollte jetzt Otto II. durch die Heirath
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9) Historiarum Compend. II., p. 28, ed. Bonn: „ἔψϑασαν δὲ ἀπὸ Καρύλου τοῦ στεφϑέντος βασιλέως Ῥώμης παρὰ Λέοντος τοῦ πύπα ἀποϰριριάριοι πρὸς τὴν εὐσεβεστάτην Εἰρήνην, αἰτούμενοι ζευγϑῆναι αὐτὴτ τῷ Καρούλῳ πρὸς γάμον ϰαὶ ἑνῶσαι τὰ ἑῷα ϰαὶ τὰ ἑσπέρια ἤτισ ὑπήϰουσεν ὔν, εἰ μὴ Ἀτιος ἐϰώλυσε τὸ ϰράτος εἰς τὸν ἴδιον ἀδελφὸν σφετεριζόμενος“ cf. die Angaben der Ann. Guelferbyt., Lauriss. min., Enhardi Fuld. zu den Jahren 802 u. 803, vor Allen aber die Ann. Einhardi zu 803 (MG, I, p. 191), wo es ganz übereinstimmend mit der Erzählung des Cedrenus heisst; nam Herenam post adventum legationis Francicae deposuerunt.

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mit der Tochter Romanus II. ein Bruder ihrer Brüder, der - künftigen Kaiser Basilius und Constantin werden. Nur so konnte die thatsächliche Theilnahme an dem Begriff des römischen Kaiserthums ein legitimes Aussehen bekommen. Der Begriff war Eigenthum der Römer, ihr Geist hatte ihn geboren, nur mit ihrer resp. ihrer rechtmässigen Erben, der Byzantiner, Einwilligung Konnte Otto ebenso rechtmässigen Antheil an demselben erlangen 10).

Und nun die Beläge aus Liudprand. Dass die Anerkennung des ottonischen Kaiserthums die conditio sine qua non für das Zustandekommen der Unterhandlungen sei, deutet gleich im zweiten Kapitel der Streit über Ottos Titulatur an, den Liudprand mit dem Curopalaten Leo, dem Bruder des Kaisers Nikephorus, auszufechten hatte. Liudprand beansprucht für seinen Herrn den Titel βασιλεύς, wie die Griechen das römische Wort imperator wiedergaben, während Leo ihm nur das Prädicat ῥὴξ zugestehen will. Es kommt darüber zum heftigen, wie Liudprand selbst sagt, ermüdenden Streit. Leo beendet denselben mit den für Liudprands ganze Mission verhängnissvollen Worten, er sei non pacis, sed contentionis causa gekommen. Die Erfolglosigkeit von Liudprands Bestrebungen ist damit vorhergesagt. Der Kernpunkt der ganzen Angelegenheit ist sofort berührt, und die Unmöglichkeit einer Einigung über denselben ausgesprochen.
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10) Man bedenke, Otto richtete nicht eine neue, eine ſränkische oder deutsche Weltherrschaft auf, die römische Kaiserkrone war es, die er sich aufs Haupt gesetzt. Er verdankte dieselbe seiner persönlichen Grösse, aber mit der Thatsache allein war es nicht gethan. Um einem Throne Dauerhaftigkeit zu verleihen, bedarf es, dass derselbe sein Fundament im Rechtsbewusstsein der Völker hat. Legitimität aber hat zu allen Zeiten am Meisten Eindruck auf die Gemüther gemacht. An ihr musste auch Otto dem Grossen gelegen sein. Cf. auch Dümmler a. a. O. p. 437: „Durch die vorgeschlagene Vermählung und die damit verbundene Anerkennung seines abendländischen Kaiserthums von Seiten der Griechen durfte Otto hoffen, sein Angehen zu steigern und den Anspruch seines Hauses auf das Kaiserthum zu sichern.

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Auf diesen Kernpunkt kommen denn auch beide Parteien während der ganzen Verhandlung stets zurück. Nikephorus sucht auf alle Weise das Westreich herabzusetzen. Er spottet über die vergebliche Belagerung Baris durch Otto, über die deutsche Bewaffnung, über den Mangel einer deutschen Seemacht, über deutsche Sitten und Lebensweise (cap. 11), ja selbst dass die auch von der westlichen Kirche anerkannten ökumenischen Concilien alle der griechischen Welt angehören, muss ihm zur Verkleinerung seines Concurrenten dienen (cap. 21). Sein Refrain ist: Vos non Romani, sed Longobardi estis! (cap. 12, 33, 37).

Völlig klar liegt aber die Streitfrage im Kapitel 25. Dominicus, der frühere Gesandte Ottos, sagt Nikephorus, habe ihm juramento versprochen, nunquam illum in aliquo nostrum scandalizare imperium. „Vis“, fährt er fort, „vis majus scandalum, quam quod se imperatorem vocat, imperii nostri themata sibi usurpat? Utraque non sunt ferenda; et si utraque importabilia, istud est non ferendum, immo nec audiendum, quod se imperatorem nominat. Liudprand soll ihm wie sein Vorgänger Dominicus schwören, dass Otto dieses scandalum abstellen werde, dann solle er fortunatus atque locuples heimkehren. Liudprand weigert sich, und nun beginnt Nikephorus ein System, um Liudprands Willenskraft zu brechen, das seinem Character keineswegs Ehre macht, durch seine Wirkungslosigkeit Liudprands Befähigung für seine Mission, die Giesebrecht in Zweifel zieht 11), aber glänzend rechtfertigt. Nicht an Liudprands Auftreten scheiterte vorläufig Ottos Plan, die Gründe hiefür lagen um Vieles tiefer.

Die Griechen sahen in der Anerkennung Ottos als römischen Kaisers das Centrum der Unterhandlungen, das steht aus dem Bisherigen unzweifelhaft fest. Sollte dies nicht aber auch ein wenigstens indirecter Beweis für Otto selbst sein?
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11) Deutsche Kaiserzeit (4. Aufl.) Bd. 1, p. 523.

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Ich denke es, um so mehr, als Liudprand für die andere Seite meiner Darlegung, nämlich dass es Otto nicht sowohl um die Person der Schwiegertochter, als um das verwandtschaftliche Verhältniss zu Byzanz zu thun war, directes Beweismaterial erbringt. Er spricht cap. 7 von der amicitia und fraternitas, die Otto mit Nikephorus herzustellen wünsche; cap. 15 sagt er, er sei parentelae causa quae esset occasio infinitae pacis gekommen; cap. 47 endlich ermahnt Papst Johann den Kaiser Nikephorus in seinem Brief, ut parentelam firmamque amicitiam faceret mit Otto. Von der Braut ist hier nirgends die Rede, sie ist nur Mittel zum Zweck.

Die Braut allein zu bewilligen, ohne dass dies Folgen für ihr Widerstreben gegen die Anerkennung Ottos habe, scheinen die Griechen übrigens bereit gewesen zu sein. Si datis quod decet, sagen sie im funfzehnten Kapitel der legatio, accipietis quod libet. Das quod decet findet seine Erklärung sogleich in dem folgenden: Ravennam scilicet et Romam cum his omnibus continuatis, quae ab his sunt usque ad nos, das quod libet aber im Vorgehenden: quia tam excellentem rem petitis, nämlich porphyrogeniti porphyrogenitam. Indess was galt Otto die griechische Verwandtschaft, wenn er dafür die Kaiserkrone opfern sollte? Grade auf die Anerkennung der Letzteren kam es ihm an, das sehen wir auch hier wieder; die Verwandtschaft sollte dieselbe nur dauernd sichern, sie sollte occasio infinitae pacis sein.

Wie schon im Vorgehenden angedeutet, waren zwei Gesandtschaften Ottos erfolglos geblieben. Die erste unter dem Venetianer Dominicus im Jahre 967 hatte, wie es scheint, Ottos Intentionen überhaupt nicht begriffen, Sie war mehr Verpflichtungen eingegangen, als Otto zu erfüllen gewillt war; die zweite unter dem Bischof Liudprand von Cremona im Sommer 968 hielt sich an ihre Vorschriften, aber kehrte infolge dessen völlig ohne Resultate heim. Auch Ottos Kriegführung in Apulien und Calabrien brachte ihn seinem Ziele

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nicht näher 12). So lange der energische Nikephorus auf dem Throne von Byzanz sass, der durch seine Kriegsthaten die Zeiten der alten Römer wiederheraufbeschworen zu haben glaubte, war an kein Nachgeben, an keine Anerkennung von östlicher Seite zu denken.

Aber Nikephori Tage waren gezählt 13). In der Nacht vom 10. zum 11. December 969 fiel er einer Verschwörung zum Opfer, an deren Spitze seine eigene Gemahlin Theophano und ein von ihm zurückgesetzter Feldherr, Johannes mit dem Beinamen Tzimiskes, der ihn einst selbst auf den Thron befördert hatte, standen. Da die Söhne des Romanus, Basilius und Constantin, noch klein waren, schwang Tzimiskes sich selbst auf den Thron der Cäsaren. Auch er war ein tapferer Kriegsheld, und auch von ihm hätte Otto wohl wenig Tröstliches zu erwarten gehabt, hätte nicht die veränderte Lage der Dinge ihm eine Vereinfachung der äusseren Verwicklungen wünschenswerth erscheinen lassen. Aber abgesehen davon, dass er als Usurpator, der den Thron nur auf dem Wege des Verbrechens erlangt hatte, begreiflicher Weise genug zu thun hatte, um die Ruhe in der eigenen Hauptstadt aufrecht zu erhalten, lauerte auch noch in Cilicien, Phönicien und Cölesyrien der offene Abfall der den Arabern erst jüngst entrissenen Städte, und was noch gefahrvoller war, im Norden standen 60,000 Russen unter ihrem Fürsten Swiätoslaw, die einst Nikephorus zur Vernichtung des Bulgarenreichs herbeigerufen hatte, und machten keinerlei Anstalt, nun nach gethaner Arbeit wiederabzurücken. Tzimiskes musste sich die Hände frei machen, sollte Byzanz nicht an den Abgrund des Verderbens geführt werden.
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12) Giesebrecht, Jahrbücher Ottos II., p. 2: „Otto räumte durch Krieg und Gewalt der Waflen die Bedenklichkeiten hinweg, die man ihm gemacht hatte“.
13) Vergl. zum Folgenden die Erzählungen des Leo Diaconus und Georgius Cedrenus.

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Am Hofe zu Byzanz weilte seit dem zweiten Drittel des Jahres 969 der Herzog Pandulf der Eisenkopf, Ottos tapferer Feldherr in den unteritalischen Feldzügen, als Gefangner. Diesen sandte Tzimiskes jetzt heim, Pandulf bewog Otto, seine Truppen aus Apulien zurückzuziehen, und 14) gegen Ende des Jahres 971 ging wiederum eine Gesandtschaft Ottos nach Constantinopel; diesmal aber nicht um die unnützen Unterhandlungen von Neuem aufzunehmen, ihre Bestimmung war vielmehr, die von Tzimiskes bewilligte Theophano in ihre neue Heimath überzuführen. Otto hatte seinen Plan erreicht, seinem Sohne wurde als Kaiser eine Verwandte des oströmischen Kaiserhauses zu Theil, Ostrom hatte Westrom anerkannt 15).

II. Theophano ist nicht die von Otto anfänglich begehrte Tochter des Kaisers Romanns II.

Quellen: u. A. Georgius Cedrenus, Thietmar von Merseburg, die Urkunde Ottos I. und II. betr. die Morgengabe für Theophano.

Der Name der griechischen Braut war Theophano, oder wie die abendländischen Schriftsteller und Urkunden sie nennen, Theophanu. Eine Tochter des früheren Kaisers
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14) Die Darstellung ist sprungweise, weil eben nur die erwähnten Thatsachen, nicht ihr Zusammenhang überliefert ist. Die Beläge s. bei Dümmler a. a. O., p. 474.
15) Dagegen Dümmler a. a O., p. 483: „in wie weit sich das griechische Reich zu einer Anerkennung des römischen Kaisertitels der Ottonen herbeiliess, vermögen wir nicht anzugeben“; während er auf p. 482, Anm. 2, sagt; „Wir werden uns den Ausgang den Anerbietungen Ottos entsprechend denken dürfen.“ Dümmler hat bei letzterer Äusserung nur den Besitzstand in Unteritalien im Auge; es ist aber kein Grund ersichtlich, der die Ausdehnung derselben auf alle in Verhandlung befindlichen Punkte hinderte.
Der Umstand, dass spätere byzantinische Kaiser von den westlichen Genossen wiederum nichts wissen wollten, kann meiner Darlegung begreiflicherweise nicht entgegengehalten werden. Eine Continuität der byzantinischen Politik ist bei dem schnell folgenden Dynastienwechsel und bei dem unablässigen Intriguenkrieg am kaiserlichen Hof schwerlich zu erwarten.

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Romanus II. wird sie allüberall genannt, wo von ihr in neueren Werken die Rede ist. Um eine solche hatten Ottos Gesandten geworben, kein Zweifel, eine solche erhielt er. Und doch sagt der Merseburger Chronist 1), Tzimiskes habe non virginem desideratam, sed neptem suam, Theophanu vocatam gesandt. Sollte Thietmar seine Angabe so völlig aus der Luft gegriffen haben? Er irrt, entgegnet Dümmler 2) und weist dabei auf Liudprands legatio hin.

Aber wo steht denn im Liudprand, dass die von Otto Geforderte Theophano geheissen habe? Nirgends. Dümmler gelbst citirt Ottos Forderung: filiam Romani imperatoris et Theophanae imperatricis. Der Name dieser Tochter des Romanus bleibt aber ungenannt 3); für die Identität derselben mit der späteren Gemahlin Ottos II., Theophano, ist somit durch diese Berufung auf Liudprand garnichts bewiesen. Wir schulden Thietmar, ehe wir seine Angabe verwerfen, jedenfalls eine nochmalige Untersuchung des Sachverhalts.

Die griechischen Schriftsteller, welche die Zeit des Kaisers Romanus II. behandeln, kennen nur eine Tochter desselben, und diese heisst Anna. Von einer zweiten Tochter
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1) II., cap. 9.
2) Otto I, p. 480. Eine gleiche Zurückweisung erfährt Thietmar schon von Leibniz, Ann. imp. occid. III, 292. Leibniz meint: non credibile est, Ottonem aliam pro alia, pro porphyrogenita privatam sibi dari passum.
3) Auch der Contin. Reginon. zu 967 (MG., I., p, 629) nennt den Namen der begehrten „privigna ipsius Nichofori, filia scilicet Romani imperatoris“ nicht.

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Theophano findet sich keine Spur. Nun sagt Dümmler 4) zwar: „Merkwürdig und gewiss nicht zufällig ist es, dass Theophano von den Byzantinern todtgeschwiegen wird“, und wenn anders ich seine Intention recht verstehe, will derselbe mit diesen Worten einen gewissen Ärger der Griechen über das Aufkommen des weströmischen Reichs deutscher Nation andeuten, der ihnen das Todtschweigen der ganzen Angelegenheit als das Gerathenste erscheinen liess. Aber wenn man das Geschichtscompendium des Georgius Cedrenus liest, wenn man liest, wie er Otto I. unbeanstandet den Titel βασιλεὺς ertheilt und sein Verhalten Johann XII. gegenüber im augenfälligen Gegensatz zu den ungehinderten Ausschweifungen des griechischen Patriarchen Theophylact erzählt 5), so blickt bei ihm doch keineswegs eine antifränkische Tendenz hindurch. Cedrenus aber gerade ist es, welcher uns von den Kindern mit einer Bestimmtheit berichtet, die den Gedanken an das Todtschweigen eines vierten Kindes völlig ausschliesst. Er schreibt 6): „διαδέχονται δὲ τὴν αὐτοῠ (Romani II.) βασι λείαν Βασίλειος ϰαὶ Κωνσταντῖνος οἱ παῖδες αὐτοῦ σὺν Θεοφανοῖ τῇ μητρί, τεχδείσης αὐτῷ ϰαὶ ϑυγατρὸς πρὸ δύο ἡμερῶν τῆς αὐτοῦ τελευτῆς, ᾓν ῞Ανναν ὠνόμασαν.“ Also zu den beiden älteren Söhnen war noch unmittelbar vor dem Tode des Romanus eine Tochter Anna als drittes Kind
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4) a. a O., p. 480. Auch George Finlay, Hist. of the Byzantine and Greek Empires from 716 to 1453, tom. I., p. 401 bemerkt dies Schweigen. Er sagt: An other more important marriage is passed unnoticed by the Byzantine writers. Zimiskes, finding that he could ill spare troops to defend the Byzantine possessions in Italy against the attacks of the Western emperor, released Pandulf -- --, and by his means opened amicable communications with Otho the Great. A treaty of marriage was concluded between young Otho and Theophano, the sister of the Emperors Basil and Constantine – – – – ; and the talents and beauty of the Byzantine princess enabled her to act a prominent and noble part in the history of her time.
5) II., p. 335 ed. Bonn.
6) II., p. 345 ed. Bonn.

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hinzugekommen. Wären uns also nur die griechischen Autoren und Liudprands legatio bekannt, wüssten wir nicht, wie Ottos II. spätere Gemahlin geheissen, resp. wäre der Ehebund überhaupt nicht zu Stande gekommen, so würden wir in allen Werken, wo von Ottos Werbung gesprochen würde, lesen: Otto I. habe die am 13. März 963 geborene, also zur Zeit der Gesandtschaft des Dominicus eben vierjährige Prinzess Anna für seinen Sohn zur Gemahlin begehrt. Das jugendliche Alter der gewünschten Braut würde uns kaum Wunder nehmen können, wenn wir uns vergegenwärtigten, dass Romanus II. selbst erst zehn Jahre zählte, als er nach fünfjähriger Ehe mit Bertha, der Tochter Hugos von Italien, Witwer wurde, und auch Adelheid, Ottos d. Gr. zweite Gemahlin, ihrem ersten Gatten Lothar kaum sechsjährig verlobt wurde. Übrigens bliebe ja auch noch der Ausweg, anzunehmen, Otto sei über das Alter des Kindes nicht genau orientirt gewesen; macht doch Dümmler 7) ein Gleiches für die Werbung um Ottos I. erste Gemahlin Edgith wahrscheinlich. In beiden Fällen würde unsere oben entwickelte Ansicht, dass es Otto nicht um die Persönlichkeit der künftigen Schwiegertochter, sondern nur um das Verwandtschaftsverhältniss zum oströmischen Hof zu thun war, wesentlich unterstützt sein.

Allein es gilt nicht minder, die abendländischen Quellen in dieser Frage zu prüfen. Da zeigt sich denn zuerst, dass Theophano, die Gemahlin Ottos II., nirgends eine Tochter Romanus II. genannt wird. Im Gegentheil, die Fundatio monast. Brunwilar., deren Erzählung Dümmler 8) allerdings als „ganz unbrauchbar“ bezeichnet, macht sie geradezu zur Tochter des Kaisers Johannes Tzimiskes. Es ist letztere Angabe ja auch jedenfalls durchaus unrichtig, nennt doch das offizielle Actenstück, welches uns von Ottos II. und Theophanos Hochzeit berichtet, die Urkunde über die Morgengabe
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7) a. a. O., p. 11,
8) a. a. O., p. 481.

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für Theophano, sie ausdrücklich eine Nichte des Kaisers Johannes Tzimiskes. Immerhin möge die Fundatio mir aber als Stützpunkt dienen, wenn ich auch die Angaben Sigeberts von Gembloux: Theophanu, filiam imperatoris Constantinopolitani, sowie der Annales Weissemburgenses und Altahenses, die wiederum nicht den Namen nennen: filia imperatoris de Graecia als völlig irrelevant bei Seite liegen lasse. Aus neptis wurde unter den Händen ungenauer Autoren gar schnell filia, und die Kenntniss von Liudprands legatio half vielleicht schon dabei.

Im Übrigen finden wir aber stets nur unbestimmte Ausdrücke. Widukind und das chronicon Benedicti lassen nur eine puella, letzteres allerdings de sanguine regale aus Griechenland kommen. Ebenso unbestimmt sind die Angaben der Ann. Sangall. maj.: Theophanu ex nobilibus Graecorum, des Ann. Saxo: Greca, Theophanu Constantinopolitana, der Ann. Magdeburg.: Grecam illustrem imperatoriae stirpi proximam, der Ann. Hildesh.: Ottoni imperatrix de Constantinopoli venit, und endlich der Ann. Lamberti: Theophanu ab imperatore de Graecia missa est. Der Einzige, dessen Angabe, abgesehen von Thietmar, bestimmt und mit der vorhin erwähnten offiziellen Urkunde übereinstimmend ist, wird der Annalist vom Monte Cassino sein. Er nennt Ottos Braut: neptem Johanni Constantinopolitani imperatori.

Also eine Nichte des Johannes Tzimiskes haben wir in Theophano vor uns. Dies schlösse nun allerdings nicht aus, dass Sie zugleich auch eine Tochter des früheren Kaisers Romanus II. sein könnte. Leo Diaconus (VII., c. 9) und Georgius Cedrenus (II., p. 392), die auch Dümmler zur Erklärung heranzieht, melden uns, Johannes Tzimiskes habe im November 971 Theodora, die Schwester des Kaisers Romanus II. geheirathet. Wäre Theophano die Tochter des Romanus gewesen, so rechtfertigte sich also durch diese Heirath auch ihre Bezeichnung als Nichte des Tzimiskes. Aber die Tochter des Romanus war zu der Zeit, als Liudprand in Constantinopel

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um sie warb, doch auch Stieftochter des Nikephorus. Fordert Liudprand sie denn auch nur einmal als Stieftochter des Letzteren? Nie, Romanus war vier Jahre todt, Nikephorus war ein viel mächtigerer und gewaltigerer Herrscher als sein Vorgänger; gleichwohl nennt Liudprand stets genau ihre Abstammung aus kaiserlichem Geblüt.

Ganz anders verhält es sich mit der Urkunde Ottos II. Hier heisst Theophanu einzig „Johannis Constantinopolitani imperatoris neptis clarissima“. Ist es denkbar, dass hier in der offziellen Urkunde, bei der feierlichen Gelegenheit der Vermählung nicht ihre volle, directe Abstammung genannt worden wäre, wenn dieselbe obendrein noch Gelegenheit gegeben hätte, ihre porphyrogenitas hervorzuheben? Wie sollte man nur darauf verfallen sein, dieselbe zu verschweigen und dafür das kahle „Johannis -- neptim“ zu setzen? Dass diese letztere Bezeichnung gewählt, vermag ich mir nur daraus zu erklären, dass eben dieses Verhältniss zum Kaiser Johannes die einzige Grundlage für ihr Prädicat als Glied des kaiserlichen Hauses war. Ein solches musste sie sein, denn sonst wäre das ganze Unternehmen verfehlt gewesen; ein solches war sie aber auch als Nichte des Johannes Tzimiskes, war es doch mit der Erbfolge auf dem römischen Thron schon seit dem Tode Neros eine gar heikle Sache.

Theophano war die Nichte des Kaisers Johannes Tzimiskes, aber nicht die Tochter Romanus II., nicht die Schwester Basils II. und Constantins VIII. Der Beweis für diess an die Spitze dieses Abschnitts gestellte Behauptung, denke ich, ist erbracht; mindestens ist einer gegentheiligen, d.h. der gewöhnlichen Darstellung jeder Boden entzogen. Thietmars Glaubwürdigkeit hat sich doch wohl wieder einmal bewährt. Wie verhielt es sich dann aber mit Ottos I. Werbung? War Otto durch Johannes Tzimiskes getäuscht? Thietmar meldet 9) weiter: Fuere nonnulli, qui hanc fieri conjuncionem apud
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9) Leibniz a. a. O.: quod nullam veri speciem habet.

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imperatorem impedire studerent, eandemque remitti consulerent. Quos idem non audivit, sed eandem dedit tune filio suimet in uxorem, arridentibus cunctis Italiae Germaniaeque primatibus. Es geht hieraus hervor, dass Otto jedenfalls noch vor der Hochzeit klar sah. Er hörte nicht auf Rathgeber, welche die Verbindung hindern wollten. Mit dem Bewusstsein, dass sie nicht die begehrte, Sondern eine ander Prinzessin ei, gab er Seinem Sohne Theophano zur Gemahli Ob Otto diese Kenntniss erst bei Theophanos Ankunft oder früber erhalten, ist im Grunde gleichgültig.

Dafür tritt aber jetzt eine andere Frage an uns heran. Was bewog Otto von der Werbung um eine Tochter Romanus II. abzustehen und sich mit Theophano zu begnügen? Dass Otto von seinen ursprünglichen Plänen abgelassen und mit Geringerem fürlieb genommen, ist kaum glaublich 10). Dazu hatte er dieselben zu lange gehegt und zu eifrig zu verwirklichen gesucht. Vielmehr müssen wir annehmen, dass ihm jetzt Theophano dieselben Vortheile brachte, wie ehemals eine Tochter des Romanus, dass er mit ihrer Erlangung seine Pläne verwirklicht sah. Um dies zu begreifen, müssen wir wiederum einen Blick auf die veränderte Lage in Byzanz werfen.

Tzimiskes war schon der zweite Kaiser nach Romanus; die Witwe des Letzteren und Mutter der von Otto begehrten Prinzess Anna büsste die Ermordung ihres zweiten Gatten Nikephorus in der Verbannung fern von der Hauptstadt; ihre Söhne Constantin und Basil waren völlig in der Gewalt des Tzimiskes. Dieser hatte soeben, wie schon erwähnt, eine zweite Ehe geschlossen, nachdem seine frühere Gemahlin schon vor mehreren Jahren gestorben war. Dadurch war Aussicht geschaffen für ein Erblichwerden der Krone im Geschlecht des Tzimiskes. Dass Basil und Constantin, Annas Brüder, je den Thron selbstständig inne haben würden, war
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10) s. oben Anm. 2 die Notiz aus Leibniz. Ann. Imp. Occid.

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nicht nur zweifelhaft, es war geradezu unwahrscheinlich geworden.

Otto wollte Verwandtschaft mit dem herrschenden Hause in Byzanz. So lange Nikephorus lebte, war dies die Dynastie Basils I. des Macedoniers 11) Nikephorus gehörte derselben nicht direct an, aber durch seine Gattin, die Witwe des Romanus, war er ein Glied derselben geworden. Da seine Ehe kinderlos, blieben die Söhne des Romanus die muthmasslichen Thronfolger.

Mit der Thronbesteigung des Tzimiskes war wenigstens zeitweise die Dynastie des Macedoniers beseitigt. Zwar war seine Gemahlin eine Tochter Constantins VII., und hatte er durch diese Ehe seiner Herrschaft ein legitimes Aussehen gegeben. Indess wäre dieselbe nicht gleichfalls kinderlos geblieben, was 971--2 ja noch nicht vorauszusehen war, die Geschichte würde von seiner Thronbesteigung den Anfang einer neuen Dynastie datiren.

Dazu kam, dass Otto augenscheinlich über die Tochter des Romanus nur höchst mangelhaft unterrichtet war. Liudprands Gesandtschaftsbericht nennt weder ihren Namen, noch ihr Alter, noch bringt er irgend ein anderes Detail über dieselbe. Er wird dadurch verdächtig, nichts Genaueres von ihr gewusst, ja da der Bericht erst auf der Rückreise geschrieben ist, sich auch in Constantinopel keineswegs bemüht zu haben, Nachrichten in Betreff des Gegenstandes seiner Werbung einzuziehen. Es klingt dies fast unglaublich, und doch kann ich nicht umhin, an dieser Vermuthung festzuhalten. Denn wie wäre es sonst zu erklären, dass er ein absolutes Stillschweigen über diese Dinge bewahrt? Wir haben hier nur wieder einen eclatanten Beweis für die Richtigkeit obiger Darlegung, dass die Person der Braut völlig
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11) Basil I. regierte 867--886. Ihm ſolgten 886--911 sein Sohn Leo VI., der Philosoph, 911 -- 959 dessen Sohn Constantin VII. Porphyrogenitus. Der Sohn des Letzteren war Romannus II., 959 – 963.

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Nebensache war. Diese kam erst zur Sprache, als man über die Hauptsachen einig war. Nun aber stellte sich die Sache so:

Otto hatte um eine Tochter des Romanus geworben. Eine solche war vorhanden, aber ihr Alter belief sich auf erst acht Jahre. Dass Otto, wenn er dies vorher wirklich nicht wusste, durch solche allzu grosse Jugendlichkeit besonders angenehm überrascht wurde, ist nicht glaublich. Immerhin wäre sie aber, wenn nur die übrigen Verhältnisse dieselben geblieben, gewiss von ihm mit in den Kauf genommen. Aber Letzteres war nicht der Fall. Anna verschaffte ihm nicht mehr das nahe verwandtschaftliche Verhältniss zu der herrschenden Dynastie. Otto liess mit Freuden die Werbung um sie fallen.

Seine Gesandten begehrten deshalb eine andere Persönlichkeit, die den an sie gestellten Anforderungen besser entspräche. Tzimiskes bot wahrscheinlich eine Schwester- oder Brudertochter an, -- über den näheren Verhältnissen der Familie liegt nie zu lichtendes Dunkel 12) --- jedenfalls seine nächste passende Blutsverwandte. Die Gesandten erklärten ich einverstanden, und der Vertrag wurde geschlossen. Anna blieb in Konstantinopel, bis sie nach Jahren, 988, mit dem Russenfürsten Wladimir vermählt wurde. Theophano aber wurde ihrer Stelle die Gemahlin Kaiser Ottos II.
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12) Beachtenswerth ist, dass Theophano später ihrer ältesten Tochter den griechischen Namen Sophia gab, den wir sonst nirgends im Abenland in jener Zeit finden. Die jüngeren Kinder wurden nach den Eltern und der Grossmutter resp. der Schwester Ottos II. benannt. Hiess Theophanos Mutter vielleicht Sophia, und war sie eine Schwester des Tzimiskes?

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Theophanos Persönlichkeit und die allgemeinen Bedingungen, unter denen sie ein Glied der abendländischen Kaiserfamilie wurde.

1) Negative Folgerungen aus Abschnitt II.

Eine allgemein verbreitete und für thatsächlich gehaltene Angabe neuerer Historiker hat sich uns im Vorhergehenden als irrig erwiesen. Sie war aus der Verbindung von zwei historisch sicheren Facten entsprungen. Otto I. hatte um eine Tochter des Romanus geworben, er erhielt Theophano, folglich war Theophano die Tochter des Romanus, um die er geworben. Es berechtigte zu dieser Verbindung zwar nichts, gleichwohl schien dieselbe um so zulässiger, als das Prädicat „Nichte des Tzimiskes“ auch der Tochter des Romanus vindicirt werden konnte. Thietmars Einsprache kam dagegen kaum in Betracht.

Die Angabe ist gefallen, und mit ihr fallen begreiflicherweise auch die Folgerungen, die man derselben für die Persönlichkeit Theophanos entnommen hat. Letztere sind verschiedener Natur. Schicken wir uns an, dieselben näher zu beleuchten.

Vor Allem gehört hieher die Vermuthung über das Alter der Theophano. Ihr angeblicher Vater Romanus war bis zum Jahre 949 mit Bertha, der natürlichen Tochter Hugos von Italien, vermählt gewesen. Bertha war in dem genannten Jahr gestorben, und Romanus hatte, der Zeitpunkt dieser Hochzeit ist nicht genau mehr festzustellen, die Lacedämonierin Anastasia, die dann den Namen Theophano erhielt, zu seiner zweiten Gemahlin erhoben. Theophano gebar ihrem Gemahl im Jahre 958 ihren ältesten Sohn Basilius, 960 folgte ein

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zweiter Sohn Constantin, 963 am 13. März die Tochter Anna. „Nehmen wir an“, sagt Dümmler 1), „dass Theophano das erste Kind dieser Ehe war, so konnte sie etwa 955 geboren sein, als ihr Vater siebzehn Jahre alt war, und hätte selbst mit sechszehn bis siebzehn Jahren geheirathet“. Da nun aber Theophano überhaupt kein Kind dieser Ehe war, ist natürlich auch diese schöne Berechnung ihres Alters umsonst.

Es ist dies um so mehr zu bedauern, als zu einer anderweiten Bestimmung desgelben so gut wie kein Material vorliegt. Die einzige Angabe der Annales Quedlinburgenses, Theophano sei im Jahre 991 immatura morte gestorben, ist doch viel zu unbestimmter Natur, als dass sie einen Schluss auf ihr Alter im Jahre 972 gestattete. Ob Theophano älter oder jünger war als ihr sechszehnjähriger Bräutigam, ein Verhältniss, welches für die Folgezeit nicht ohne Gewicht sein konnte, wir wissen es nicht.

Aber auch weitere Folgerungen lassen sich nicht mehr aufrecht erhalten. Am Hofe zu Byzanz war Jahrzehnte hindurch die Pflege der Wissenschaften in hoher Blüthe gewesen. Als einst Kaiser Leo der Philosoph, der Grossvater Romanus II., die Wachsamkeit der Posten auf die Probe stellen wollte und sich bei dieser Gelegenheit selbst gefangen nehmen liess, fragte er den Wächter, ob er den Kaiser Leo nicht kenne. Der Wächter verneinte dies mit den Worten, er habe den Kaiser nie gesehen, da dieser ja immer in seinen Gemächern sitze und nach den Sternen gucke 2). Und wie Leo lebte auch sein Sohn Constantin VII. einzig den Wissenschaften. Ist es da zu verwundern, dass man auch ihrer Enkelin, der Tochter Romanus II., eine gelehrte Bildung beilegte? Allerdings Wattenbach 3) will dieselbe auch noch aus
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1) a. a. O., p. 481.
2) Liudprand, Antapod. I., 11.
3) Deutschlands Geschichtsquellen (4. Aufl.) I., 260.

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der sorgsamen Erziehung ihrer Kinder erkennen; indess ist dies wohl mehr ein Schluss von der Folgerung auf die Voraussetzung. Wenigstens giebt Wattenbach weiterhin 4) selbst zu, dass unter Sophia, Theophanos Tochter, der Äbtissin von Gandersheim, die wissenschaftliche Bedeutung dieses Klosters ein Ende gefunden habe. Um aber Ottos III. gelehrte Neigungen zu erklären, bedarf es doch im Hinblick auf Erzbischof Brunos Bestrebungen und ihre Resultate, wie auf die Persönlichkeit eines Gerbert keiner weiteren Begründung. Wir können darum auch in Bezug auf Theophanos Bildungszustand nur bekennen: Ignoramus. Immerhin mag ihr aber die Durchschnittsbildung der vornehmen Byzantiner, mit der sich die Abendländer ja keineswegs messen konnten, zugestanden bleiben. Zu beachten ist jedoch, dass sie ihre Heimath in jugendlichem Alter verliess.

Wie es aber nahe lag, von den Vorfahren väterlicherseits auf die Enkelin zu schliessen, so konnte es auch nicht ausbleiben, dass nicht auch Characterzüge ihrer angeblichen Mutter auf die jüngere Theophano übertragen wurden. Die griechische Kaiserin Theophano, die Frau des Romanus, war, wie Giesebrecht 5) kurz resumirt, „ein schönes, stolzes 6) Weib, voll von Leidenschaft und verwegenem Muthe. Sie war ausschweifend und von einer Gewissenslosigkeit, die vor keinem Frevel erbebte.“ Wenn überall historische Überlieferungen von Zeitgenossen 7) Glauben verdienen, so ist es gewiss, dass sie die Mörderin ihres zweiten Gatten Nikephorus war. Nach Cedrenus 8) stiftete sie ihren ersten Gatten Romanus zur Vergiftung seines Vaters Constantin an, um selbst zur Herrschaft zu gelangen, und auch bei der Erzählung vom Tode des Romanus
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4) ib. I., 274.
5) Kaiserzeit I., 515 (4. Aufl.).
6) Für dieses Prädicat habe ich keine thatsächlichen Beläge entdecken können.
7) Leo Diaconus V., c. 5-8.
8) II., p. 337, ed. Bonn.

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berichtet Leo Diaconus 9) von dem Verdacht, derselbe habe Gift im Frauenhause erhalten. Ist es ein Wunder, dass Gfrörer 10), der es bekanntlich liebt, Schwarz in Schwarz zu malen, die Tochter dieser Verbrecherin auf dem Throne gleichfalls als das Muster eines ränkevollen Weibes darstellt? Wunderbarer ist es jedenfalls, dass er sich nicht beim Tode Ottos II. zu immerhin naheliegenden Combinationen hinreissen lässt.

Für uns fällt auch dieser Hintergrund für das Bild unserer Theophano weg. Sie hatte nichts zu thun mit der Schenkwirthstochter 11), der die Höhe des Throns, auf welche sie die Neigung des kaiserlichen Knaben Romanus plötzlich gehoben, so verhängnissvoll geworden. Wird auch unser Bild wiederum um eine Nuance farbloser, der Umstand, dass sie nicht jenes schuldbeladene Weib zur Mutter hat, kann demselben nur zum Vortheile gereichen. Denn wenn auch Giesebrecht 12), gestützt auf Thietmars 13) allgemeine Redensarten unsere Theophano selbst als Tochter jener älteren Theophano völlig weiss zu waschen sucht, so konnte er doch nicht hindern, dass für den aufmerksamen Leser ein tiefer Schatten, der eben seinen Ursprung in ihrer Abstammung hatte, zurückblieb. Das Sprichwort: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ forderte Anwendung. Es schien undenkbar, dass die Tochter einer dreifachen Mörderin ein Ideal holder Weiblichkeit sein sollte.

Und endlich muss auch noch eine Folgerung, die Giesebrecht und Gfrörer gemeinsam haben, zurückgewiesen werden. Giesebrecht 14) nennt Theophano „mit den Künsten der  Herrschaft
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9) II., c. 10: „ὡς δὲ ἡ τῶν πλειόνων ὑπόνοια ἔχει, ϰώνειον αὐτὸν πεπωϰέναι πρὸς τῆς γυναιϰωνίτιδος“.
10) Allg. Kirchengesch., Bd. 3.
11) Cedrenus II., p. 337, ed. Bonn.
12) Kaiserzeit I., p. 633 d. 4. Aufl.
13) IV., c. 8.
14) a. a. O., I., 633.

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von frühester Jugend an nicht unbekannt“, während Gfrörer 15) behauptet, sie habe in mehr als einem Falle bewiesen, dass sie am byzantinischen Hofe ihre Lehrjahre durchgemacht habe“. Da ihr Onkel Johannes Tzimiskes erst im December 969 den Thron bestieg, vorher aber, in Ungnade gefallen, sich vom Hofe fern halten musste, so ist an eine derartige Beeinflussung durch das intriguenreiche Hofleben kaum zu denken. Zeigte sich Theophano später als kraftvolle Regentin, so verdankte sie dies nicht einer solchen Schule, sondern ihren persönlichen Geistesgaben. Es wäre durchaus verfehlt, schon in der eben aus Griechenland herüberkommenden Braut eine geriebene Intrigantin zu suchen. --

2) Positive Zeugnisse.

An die Prüfung der Folgerungen, die sich aus der widerlegten falschen Voraussetzung herausgebildet hatten, schliesst sich von selbst eine Prüfung der positiven Zeugnisse, die von der Persönlichkeit Theophanos berichten. Dieselben sind nur höchst mangelhafter Natur, so dass an die Zeichnung eines ausführlichen Characterbildes nicht zu denken ist.

Was ihre äussere Erscheinung anbetrifft, so liegt uns nur die einzige Äusserung der Annales Magdeburg. 972 vor, welche Theophano vultu elegantissimam nennt. Einzelheiten, ihre Grösse, Farbe u. s. w. meldet Niemand.

Etwas unterrichteter stellt sich an einer Stelle 16) seiner Chronik Thietmar von Merseburg in Bezug auf ihr geistiges Naturell. Er spricht von ihrer modesta fiducia, ihrer egregia conversatio und schliesst daran ein Urtheil über ihre spätere Haltung, das Giesebrecht sich veranlasst fühlt, für allein competent zu erklären. „Dieses Urtheil“, sagt er 17), „schlägt jede üble Nachrede nieder -- und lässt sie (Theophano) im
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15) a. a. O., III, p. 1441.
16) IV., 8.
17) Kaiserzeit I., 633.

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Lichte der Wahrheit erscheinen“. Giesebrecht verzichtet infolge dessen auf eine eingehendere Untersuchung einiger Stellen bei andern Schriftstellern, die von Thietmar abzuweichen scheinen. Er verweist dieselben in die Anmerkungen zu seinem Werk, wo sie unwiderlegt, wie sie dastehen, erst recht Gewicht erhalten. Dass Thietmar an einer zweiten Stelle 18), wo er sagt, es sei ihm zu wenig über Theophanos optima conversatione zur Kenntniss gekommen, und habe er sich deshalb damit begnügt, vorhin strictim de immensa ejus nobilitate zu reden, ihm geradezu die Berechtigung zu seinem Verfahren entzieht, scheint Giesebrecht zu übersehen. Hier muss Thietmars Angabe unbenutzt bleiben.

Aber auch die eben erwähnten Stellen, die für den Character Theophanos compromittirend sein wollen, resp. zum Nachtheile desselben gedeutet worden sind, müssen wir wenigstens vorläufig ausser Acht lassen. Es beziehen sich dieselben auf ihr späteres Leben und zum Theil auf ganz spezielle Ereignissse. Es wäre ungerecht und würde der Wahrheit meiner Darstellung Eintrag thun, wollte ich dieselben schon jetzt, wo noch keine allseitige Beleuchtung, resp. Berichtigung möglich ist, zur Füllung meiner Zeichnung heranziehen. Ich begnüge mich, vorläufig auf dieselben hinzuweisen. Sie werden theils im Verlauf dieser Abhandlung, theils in einem besonderen Excurs ihre Erledigung finden.

Damit sind wir aber auch am Ende der directen Zeugnisse in Betreff der Persönlichkeit Theophanos. Es scheint, als müsse dieselbe vorläufig, bis wir zu den Einzelheiten ihres Lebens als Gemahlin Ottos II. kommen, für uns nur ein Name ohne jegliche Illustration bleiben.

Indess dürfte es noch eine Quelle geben, die uns wenigstens einige Federstriche zu unserem Bilde zu liefern im Stande wäre. Theophano war eine Griechin und kam als Fremde zu unserem Volke. Mit welchen Empfindungen, mit
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18) IV., 9.

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welchen Vorurtheilen mochte sie das italische Gestade betreten? Mussten dieselben nicht für die Folgezeit von wesentlichem Einfluss für sie sein? Ihre Vorurtheile waren begreiflicherweises die Vorurtheile ihres Volkes, und ihre Empfindungen resultirten aus denselben. Es verspricht darum eine Beleuchtung des Verhältnisses der Griechen zum Westen einige Ausbeute für unsern Zweck.

3) Folgerungen aus allgemeinen Verhältnissen.

Hauptquelle für die Letzteren: die Werke Kaiser Konstantins VII. Porphyrogenitus.

Liest man Liudprands legatio, so gewinnt es den Anschein, als hätten die Griechen auf die Franken, wie sie die westlichen Völker zusammenfassend nennen, mit Verachtung herabgeblickt. Nikephorus weiss nicht Worte genug zu finden, um solche Verachtung zur Schau zu tragen. Für ihn und seine Creaturen sind sie Barbaren, die nicht würdig sind, dass man ihnen die Producte griechischer Manufactur für schweres Geld verkaufe 19). Nimmt man dazu die nichtswürdige Behandlung, die Liudprand persönlich zu Theil wird, so kann es nicht fehlen, dass wir Nachkommen der alten „Franken“ fast unwillig werden über die Aufgeblasenheit des Griechenkaisers, dessen Reich wir gewohnt sind als einen durch Jahrhunderte langsam vermodernden Leichnam zu betrachten.

Wie erstaunt man aber, wenn man mit solchen Empfindungen von der Lecture des Liudprand zu dem Studium der Werke des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogenitus übergeht. Konstantin schrieb kaum zwanzig Jahre früher. Seine Werke bieten uns den directen, unverfälschten Ausdruck seiner Ansichten in Betreff der „Franken“, und doch steht in ihnen kein verächtliches Wort über dieselben. Im Gegentheil, er
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19) legatio, c. 54.

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spricht mit vielem Interesse von den westlichen Völkern, er giebt ihren Königen Karl 20), Lothar 21), Otto 22) das Prädicat „ὁ μέγας“, er erzählt 23) von Karl dem Grossen, derselbe sei Herr aller Königreiche gewesen, und zu seiner Zeit habe keiner der übrigen Könige sich diesen Titel beizulegen gewagt. Vor Allem aber muss sein Antheil an König Hugo von Italien auffallen. Auch Liudprand in seiner Antapodosis 24) berichtet ja, Constantin habe sich bei Berengar II. für Hugos Sohn Lothar verwandt, in Konstantins Werk de administrando imperio aber ist ein eigenes Kapitel 25) der „Genealogie des ausgezeichneten Königs Hugo“ gewidmet. Wie schon erwähnt, war Hugos natürliche Tochter Bertha mit Constantins Sohn Romanus vermählt. Constantin berichtet mit liebevoller Ausführlichkeit von dieser verwandtschaftlichen Beziehung und leitet, wie mich däucht, mit einer gewissen Befriedigung aus derselben gleiche Beziehungen zum grossen Könige Karl her.

Und wie er einzelnen Herrschern des Westens seine Hochachtung bezeugt, so erfreut sich auch das ganze Volk der Franken seiner Vorliebe. Im dreizehnten Kapitel 26) des genannten Werkes berichtet er, Constantin der Grosse und Heilige habe seinen Nachfolgern jegliche Heirathsverbindung mit fremden Nationen verboten, nur die Franken ausgenommen. Denn in ihren Gegenden sei er geboren, und zwischen Römern und Franken sei allezeit συγγένεια ϰαὶ ἐπιμίξια πολλὴ gewesen. Es sei deshalb den römischen Kaisern gestattet, mit den Franken Ehebündnisse einzugehen διὰ τὴν ἄνωϑεν τῶν
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20 u. 21) de administrando imperio, c. 26, ed. Bonn., t. III., p. 114.
22) ib. c. 30, ed. Bonn., t. III, p. 144.
23) Cf. Note 20 u. 21.
24) VI., c. 2.
25) Κεφάλαιον ϰς᾿. ἠ γενεαλογία τοῦ περιβλέπτου ῤηγὸς Оὔγωνος. ed. Bonn. t. III., p. 114-118, Man vergl. auch Liudprands Antapodosis VI., 7--10 den freundlichen Empfang, welcher Liudprand als Hugos Gesandten zu Theil wurde.
26) ed. Bonn., t. III, p. 86.

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μερῶν ἐϰείνων ϰαὶ γενῶν ϰαὶ εὐγένειαν. Auch waren die westlichen Könige (Sachsens, Baierns, Franciens) die einzigen fremden Herrscher, denen in offiziellen Schriftstücken das Prädicat „πεποϑημένος πνευματιϰὸς άδελφὸς“ zuertheilt wurde 27).

Im Hofceremoniell standen allerdings die Franken den Saracenen und Bulgaren nach 28), ein Umstand, der Liudprand, da er ihn für eine persönliche Chikane hielt und nicht wusste, dass man hierin nur hergebrachten Satzungen folgte, fast zur Verzweiflung bringt 29). Indess handelte es sich hierbei nicht um eine höhere Schätzung jener Völker, vielmehr hatte man nur der Noth gehorcht. Die Saracenen und Bulgaren waren seit Jahrhunderten der stete Schrecken der Byzantiner, während man zu den Franken nur durch freundschaftliche Gesandtschaften in Beziehung getreten war. Den Saracenen und Bulgaren gegenüber hatte man sich mehr als einmal zur Zahlung eines nicht unbedeutenden Tributs genöthigt gesehen, kein Wunder, dass man ihnen auch bei Hof einen gewissen Vorrang einräumen musste. Das hinderte die Byzantiner keineswegs, beide Völker für Barbaren zu erklären.

Theophanos Jugend war nun allerdings zum Theil unter der Regierung des Nikephorus verflossen. Es könnte daher scheinen, als sei die Meinung, die dieser bei Liudprand in Betreff der Franken zur Schau trägt, auch ihr früh eingeimpft worden. Indess ist es kaum glaublich, dass es Nikephorus mit seinem verächtlichen Urtheil wirklich Ernst war; dasselbe erscheint vielmehr als eine oberflächliche Hülle für seinen Ärger über den neuen Concurrenten. Seine übrigen Feinde konnte der thatkräftige, aber eitle Mann mit der Schärfe eines Schwertes demüthigen, zur Demüthigung des fernen
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27) Constantin de cerimoniis aulae Byzantinae II., c. 48, ed. Bonn., t. I., p. 689, 691.
28) ib. II., c. 52, ed. Bonn., t. I., p. 740.
29) legatio, c. 19.

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Frankenkönigs aber, der es gewagt hatte, sich ihm als Genossen auf dem römischen Kaiserthron an die Seite zu stellen, reichte seine Macht nicht aus. Kein Wunder, dass er es kleinlicher Rache dem Gesandten Ottos gegenüber nicht fehlen liess.

Für Theophano möchte ich vielmehr die Ansichten Kaiser Konstantins in Anspruch nehmen. In ihnen sehe ich die lang hergebrachte und durch manche Gesandtschaft und die durch Letztere übermittelten Ehrengeschenke zum Ausdruck gekommene Schätzungsweise der ganzen griechischen Nation. Für sie waren die Franken ein wenn auch nicht an Civilisation ihr gleichkommendes, so doch die übrige Glieder der menschlichen Völkerfamilie überragendes Geschlecht. Sie waren nicht Römer -- das byzantinische Ideal, aber wie Constantin sagt, häufige Verwandtschaft mit Letzteren hatte sie geadelt. Theophano kam daher nicht mit dem Gefühl zu uns, sie werde aus politischen Rücksichten einem Volke preisgegeben, das tief unter ihren Stammesgenossen stehe, vielmehr musste sie sich als das Schlussglied in der langen Ketto verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Verbindungen ansehen, durch welche die Franken allmälig zu den Römern hinaufgestiegen waren. Durch ihre Verbindung mit Otto II. wurden die Franken den Römern gleichwerthig, durch dieselbe wurde das römische Kaiserthum deutscher Nation anerkannt, wurden die Franken Römer.

Ein zweiter Punkt, in welchem wir von den allgemeinen Beziehungen der griechischen Nation auf die spezielle Stimmung Theophanos schliessen dürfen, betrifft die kirchlich-religiösen Verhältnisse. Während sich das Abendland, namentlich durch die Bemühungen Bonifacius‘, vor dem geistlichen Stuhle von Rom beugte, hatte bekanntlich die Rivalität zwischer dem Papst und dem Patriarchen von Konstantinopel eine Trennung der Kirche Christi in eine orientalische und ein occidentalische zur Folge gehabt. Die politische Losreissung des alten Roms vom byzantinischen Reiche hatte diesen Prozess

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beschleunigt. Wie leicht begreiflich gesellten sich dann zu der äusserlichen Scheidung bald innere, confessionelle Differenzen, ja diese dienten schon zum Theil als Deckmantel für die persönlichen Motive der Ersteren. Wie Papst Nicolaus I. in seinem Briefe 30) an die fränkischen Bischöfe schreibt, warfen die Griechen den Lateinern ausser einer Anzahl kleiner Ketzereien, als Priestercölibat, Sabbathfasten u. s. w. vor Allem die Verkehrung der Lehre vom heiligen Geist vor. Die Griechen lehrten, Letzterer gehe vom Vater allein aus, die Römer fügten hinzu: und vom Sohne (filioque). Auf die Vorwürfe der Griechen antworteten in besonderen Streitschriften 31) der Bischof Aeneas von Paris und der Mönch Ratramnus von Corbie, auch verwarf die Synode 32) zu Worms im Jahre 868 feierlich die ineptias Graecorum.

Auch nach dem Tode des streitbaren Papstes Nicolaus I. (867, 13. Nov.) dauerte der Kampf fort. Mehrere Concilien zu Constantinopel fanden statt, bald zu Gunsten der Kircheneinheit unter römischer Oberhoheit, bald zu Gunsten einer Trennung. Noch unter Leo VI. am Anfange des zehnten Jahrhunderts kamen, wie Constantin meldet 33), der Bischof Nicolaus und der Cardinal Johannes von Rom nach Byzanz διὰ τὴν ἔνωσιν τῆς ἐϰϰλησίας. Da aber die Nachfolger Petri immer ohnmächtiger, ja bald nur ein Spielzeug römischer Intrigantinnen wurden, schlief der Kampf allmälig ein. Die orientalische Kirche kümmerte  sich nicht mehr um den römischen Oberpriester, und dieser war froh, wenn er nicht, wie Johann XI., ein Gefangener war. Unter Alberichs Herrschaft hatte das Papstthum fast jede Bedeutung verloren.

Nichts desto weniger gaben die byzantinischen Kaiser dem römischen Bischof noch immer den Titel „ὁ πνευμαατιϰὸς  
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30) bei Hincmar, Ann. 867, MG. I., p. 476.
31) Beide bei d‘Achery, Spicilegium, Band 1.
32) cf. Ann. Fuldens. MG. I. p. 380.
33) de cerim. II., c. 52, ed. Bonn., I., p. 739.

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ἡμῶν πατήρ 34)“, und kamen noch je einmal Gesandte desselben nach Byzanz 35), so hatten sie den Vortritt vor ihren byzantinischen Collegen gleichen Ranges. Blieb Rom doch den Byzantinern stets ἱ πρεσβύτερα Ῥώμη 36), die Muttor des neuen Roms, Byzanz.

Auch Theophano wird deshalb kaum eine confessionelle Scheu vor dem geistlichen Oberhaupt des Westens verspürt haben. Mochten auch einige Abweichungen im Ritus etc. sie fremdartig genug berühren, jene Differenz in der Lehre vom heiligen Geist ist ihr, wenn sie dieselbe überhaupt kannte schwerlich als etwas Wesentliches erschienen. Überdies waren die Byzantiner wohl eifrige Beobachter kirchlicher Ceremonien, im Übrigen einer irdischen Auffassung der Dinge aber viel zugänglicher, als der weniger vorgeschrittene, aberglaubenreiche Westen.

Ein dritter und letzter Punkt, der hier unsere Aufmerksamkeit auf ich ziehen muss, ist endlich das Verhältniss der Sprachen von Byzanz und dem Abendlande.

„Als das oströmische Reich“, sagt Kaiser Constantin in seiner Schrift de thematibus 37), „seit der Zeit des Heraklius 38) immer mehr zusammenschmolz, und an die Stelle der grossen Provinzen kleine ϑέματα, Districte, traten, nahmen die Bewohner auch die griechische Sprache an und entäusserten sich der ererbten römischen. Aus den Longini wurden nun Chiliarchen, aus den Centurionen Hekatontarchen, aus den comites Strategen. Der Name der Districte selbst: ϑέμα ist ja griechischen, nicht lateinischen Ursprungs“. Man sollte
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34) Constantinus de cerim, II., c. 47, 48., ed. Bonn., I., p. 680, 686, 689.
35) ib. II., c. 52, ed. Bonn., I., p. 727, 739.
36) ib. II., c. 47, ed. Bonn., I., p. 681.
37) lib. I., ed. Bonn., p. 12-13.
38) Der Sündenbock ſür den Verfall des Reichs in den Augen der Späteren,

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hiernach glauben, die lateinische Sprache habe ganz das Feld geräumt und sei völlig von der griechischen ersetzt worden. Dass dies sich aber nicht so verhält, dafür sind gleich Constantins Werke selbst der beste Beweis. Allerdings die Sprache ist griechisch, aber durchsetzt mit unzähligen Überbleibseln des verdrängten Lateinischen. Ja gerade das Gebiet, welchem Constantin seine Beispiele entnimmt, die Titulatur, ist voll lateinischer Reste. Noch immer gab es im zehnten Jahrhundert in Byzanz 39) ϰόμητες (comites), μάγιστροι, πραιπόσιτοι, πρεμφέϰτορες (praefecti),   ϰοιαίστορες (quaestores), πραίτορες, σινάτορες; es gab ὀφφιϰιάριοι (officiales), νοτάριοι, ἀσηϰρήται (a secretis), ῥεφερενδάριοι, ϰαρτουλάιοι, ϰουβιϰουλάριοι, σιλεντιάριοι, ϰαγϰελλάριοι, βεστήτορες (vestitores) etc. Von den vier Ordnungen der Hofmiliz hiess eine die ἐξϰούβιτα, excubitores, eine andere νούμεροι, numeri. Von den Districten, in die das Reich zerfiel, und die grösstentheils ihre Namen den alten Ländernamen entlehnt hatten, trugen einige, welche diese Regel nicht befolgten, Namen lateinischen Ursprungs. Das vierte von Constantin aufgezählte thema hiess τὸ Ὀψίϰιον 40), das fünfte  τὸ Ὀπτίματον 41), das sechste  τὸ Βουϰελλαρίων 42). Einen Begriff aber von der Verbreitung lateinischer Wörter in der Sprache des täglichen Gebrauchs zu geben, hierauf muss ich bei der Grösse der Aufgabe verzichten. Würde ihre Lösung doch allein den Raum einer Abhandlung, wie die vorliegende, einnehmen. Ich begnüge mich, einige wenige eclatante Beispiele herauszugreifen. Bei Constantin finden sich in nicht seltener Wiederholung die Wörter: μανδάτον, mandatum; βῆλον, velum; ταβλή, tabula; σϰουτάριον, scutum; βέργα,
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39) Belag für das Folgende ist namentlich Constantins Werk de cerimoniis aulae Byzantinae.
40) = Obsequium, 5. Erklärung bei Constantin de thematibus I., p. 24.
41) τῶν Ὀπτιμάτων, s. ib. p. 26 f.
42) Erklärung s. ib. p. 28.

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virga; ίγλη, vigilia; ϰονσιστώριον; ϰαμπηδηϰτόριον, campiductorium; μητατώριον; ῥαίϰτωρ, rector; ἀδμηνσουνάλιος, admissionalis; ϰαστρήσιος, castrensis; ϰεντινάριος centenarius; ἀϰουμβίζειν, accumbere; βότον, votum; ὀρνατόριον, urnatorium; διβέρσιον, diversium; βενεφίϰιον; τίρων; προβατωρία; ἀδοράτωρ; προτέϰτωρ; ϰάμπος etc. etc. Er gebraucht dieselben ohne jeden erläuternden Beisatz.

Geeignet, besonderes Interesse zu erwecken, ist aber der Umstand, dass man sich bei feierlichen Gelegenheiten geradezu noch der lateinischen Sprache bediente. Wenn die Kaiser zur grossen Kirche in Prozession zogen 43), sangen die cancellarii quaestoris: Δε Μαρίε Βέργηνε etc. Sass der Kaiser bei Tafel, so sangen die fünf βουϰάλιοι (vocales, cantores) 44): Κονσέρβετ Δέους ὴμπέριουμ βέστρουμ; darauf fuhr einer von ihnen fort: βόνά τονα σέμπερ, dann ein zweiter: βίϰτωρ σῆς σέμπερ, ein dritter: μούλτους ἄννους φιϰίδιαϑ᾿ Δέους (victorem te facias), der vierte: βίϰτωρ (eris) σέμπερ, und endlich schloss der fünfte: Δέους πρένστεϑ! (praestet!) Trank der Kaiser das mit Wein untermischte Wasser, so riefen ihm die βουϰάλιοι zu: βήβητε (vivite), Δόμηνι ἠμπεράτορες, ἠν μούλτος ἄννος. Δέους ὀμνήποτενς πρεστεϑ! Während der Mischung sang der erste derselben: ἠν γαυδίψ πρανδεῖτε, und zum Schluss, wenn Kaiser und Tischgenossen sich erhoben, riefen alle fünf: βόνω Δόμνω σέμπερ (sc. gloria). Andere lateinische Formeln waren: Αὔγουστε, τούμβιϰας (tu vincas)! Ἠλϑερ η μούλτος ἄννος φιλιϰήσιμε (felicissime)! Βαῖνε, βαῖνε, ἡ αὺγούστα (bene, bene, A.)! Λεβὰ πατρίϰιε, προφέϰτωρ λώϰ (leva -- loco)! Es hellt hieraus, dass die lateinische Sprache in Byzanz keineswegs ganz vergessen war. Verstand auch das gemeine Volk nichts davon, am Hof und in den Kreisen der Vornehmen
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43) Constantin de cerimon, I., c. 74.
44) ib. I., c. 75. Ich schliesse mich in Bezug auf die Schreibweise durchans der edit. Bonn. an.

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wurde Sie hoch genug geschätzt, um einzelnen Acten grössere Feierlichkeit verleihen zu können.

Auch Theophano konnten daher die lateinischen Laute, die ihr am deutschen Hofe entgegenschallten, keineswegs fremdartig klingen. Im Gegentheil, die Sprache, welche sie hier als Sprache der Gebildeten, (oder sage ich besser nur: der Gelehrten?) als allgemeine Schriftsprache traf, war ihr von je her als die edlere, die den Römern (und auf dieses Römersein thaten sich die Byzantiner ja so viel zu gut) ursprünglichere dargestellt. Es konnte ihr daher auch in dieser Hinsicht ihre Heirath nicht als Mesalliance erscheinen. Mochte auch der grosse Haufe mit seinen nordischen Lauten ihr barbarisch genug vorkommen, der Hof, die Geistlichkeit trugen wenigstens in ihrer Sprache römisches Gepräge. Diese Sprache war der Punkt, in welchem beide Theile sich begegneten. Theophano kehrte zur altrömischen Sprache, die einst ihr ganzes Volk (wie man wenigstens wähnte) gesprochen, zurück, Otto II.. und seine Umgebung kamen von der anderen Seite.

Zur schnelleren Acclimatisirung Theophanos musste überdies auch noch der Umstand beitragen, dass namentlich durch Erzbischof Bruns Bemühungen und wohl auch durch Bischof Liudprand von Cremona, der schon 949 als Gesandter Hugos von Italien in Byzanz gewesen und Sgich dann dauernd am Hofe Ottos aufhielt, die griechische Sprache sich einigen, wenn auch, wie man neuerdings 45) hervorgehoben hat, nur höchst mangelhaften Bekanntseins bei den Hofleuten Ottos erfreute. Gerade der Mann, den Otto d. Gr. absandte, um Theophano auf italischem Boden zuerst zu begrüssen, Bischof Theoderich von Metz, war ein vertrauter Schüler Bruns gewesen: Es dürfte keine allzu kühne Vermuthung sein, wenn
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45) Am weitesten geht Olleris, vie de Gerbert (vor einer Ausgabe der Werke Gerberts, Clermont et Paris 1867), p. XXXII: „On croira sans peine que très-peu de personnes savaient „même lire“ le grec“ und „Le grec n'était donc pas connu en Occident au Xe. siècle.“

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ich annehme, dass neben seiner nahen Verwandtschaft zum kaiserlichen Hause und seiner Stellung bei Otto I. als vertrauter Rath die Kenntniss des Griechischen es war, die ihm jene ehrenvolle Mission eintrug. --


IV. Theophano in den Jahren 972-980.

Zu den Hauptquellen für diesen und den folgenden Abchnitt zählen die erhaltenen Kaiserurkunden. Da Böhmer wie Stumpf (= St.) in ihren Regesten auf die Interventionen beim Kaiser absolut keine Rücksicht nehmen, sah ich mich gezwungen, die über 330 in Betracht kommenden, in den verschiedensten Sammelwerken verstreuten Urkunden selbst einzusehen. Die gehabte nicht unbedeutende Mühe lässt mich die Nichtbeachtung eines so wichtigen Punktes in den genannten Werken für einen Mangel halten, dem gelegentlich Abhülfe zu Theil werden muss.

Ausser den Urkunden kommen hier noch eine Reihe von Autoren in Betracht, deren Mehrzahl im dritten und vvierten Bande der Scriptores in den Monumenta Germaniae historica zu finden ist. –

Theophano hatte für die letzte Phase der Politik Ottos d. Gr. eine durchaus entscheidende Bedeutung gehabt. Voll fünf Jahre hatte Otto daran gesetzt, ihre Hand für seinen Sohn zu gewinnen. Dem galt seine ganze Thätigkeit, und mit dem Erreichen dieses Ziels endigte auch sein Antheil an der Entwicklung des deutsch-römischen Kaiserreichs. Das Werk der Begründung war im vollsten Masse vollendet; Westrom stand Ostrom ebenbürtig zur Seite.

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Von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt die am 14. April 972 zu Rom vollzogene Vermählung Ottos II. und Theophanos eine, wie mir scheint, bisher nicht genügend gewürdigte Bedeutung. Sie bildet einen Abschnitt in der Geschichte unseres deutsch-römischen Kaiserthums. Sie ist die Krone von Ottos I. Bestrebungen, der Schlussstein in der Begründung des Reichs. Erst nach ihrer Vollziehung beginnt die eigentliche Geschichte desselben.

Aber auch für die politische Bedeutung Theophanos selbst bildet diese Hochzeit einen Abschnitt. Bisher war dieselbe nur in ihrem Character als griechische Prinzess in Betracht gekommen, ihre Persönlichkeit war ausser Spiel geblieben. Jetzt tritt sie auch persönlich in den Kreis der deutsch-römischen Angelegenheiten. Als Gemahlin des Thronfolgers und dann des Kaisers selbst konnte sie nicht ohne Einfluss bleiben.

Otto dem Grossen war nach der Beendigung seiner welthistorischen Aufgabe noch ein kurzer Lebensabend vergönnt. Er erscheint uns während des noch folgenden Jahres als friedlicher Regent, der hie und da wohl ordnet und verordnet in Sachen des Reiches und Einzelner, im Übrigen aber Anstalten trifft, sich zur Ruhe zu begeben. Sein Blick schweift zurück zu dem Ausgangspunkte seiner ruhmvvollen Laufbahn, sein Schritt lenkt heimwärts zu den Stätten seiner Jugend.

Welcher Art das Verhältniss gewesen, in welchem sich Theophano während der letzten Tage Ottos I. Zu demselben befand, wir hören nichts darüber. Otto hatte zusammen mit seinem Sohne der Schwiegertochter am Hochzeitstage einen nicht unbedeutenden Besitz an Ländereien zu Theil werden lassen. An der Nordsee am adriatischen Meer, am Harz wie am Rhein war diese Morgengabe gelegen. Die Urkunde über dieselbe ist die einzige, in welcher Schwiegervater und Schwiegertochter zugleich auftreten, (St. 568.)

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Es darf uns dieser Umstand nicht Wunder nehmen, auch wenn wir auf das Gewicht hinblicken, welches Otto in den vorhergehenden Jahren dem Besitze Theophanos beigelegt hatte. Auf eine persönliche Unbedeutendheit derselben zu schliessen, wäre in Anbetracht ihrer späteren Thätigkeit verfehlt. Vielmehr müssen wir uns vergegenwärtigen, dass doch auch ihr Gemahl Otto II. noch eine recht nebensächliche Rolle am Hofe des Vaters spielte. Von den fünf Urkunden desselben, die uns aus der Zeit zwischen der Hochzeit und dem Tode Ottos I. erhalten sind (St. 570-574), sind zwei nur Duplicate von Urkunden des Letzteren, eine dritte enthält den Zusatz: „patre nostro dilectissimo ac coimperatore volente“, eine vierte vor den Worten: „per carissimae conjugis nostrae Theophanu obnixum interventum“ die anderen Worte: „Per nostri genitoris dilectissimi ac coimperatoris voluntatem“, und endlich die fünfte die Bemerkung: „scientia ac voluntate Burghardi Alamannorum ducis.“ Überall ist Otto nur Vollstrecker eines fremden Willens, von eigener Entschliessung kann keine Rede sein 1).

Der Grund hiefür liegt auf der Hand. Otto II. war ein sechszehnjähriger 2) Knabe, an ein selbstständiges Auftreten war noch nicht zu denken. Dass unter diesen Umständen auch Theophano, die wohl schwerlich viel älter war, nicht in den Vordergrund tritt, erscheint gleich selbstverständlich.
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1) Vgl. auch Stumpf, Reichskanzler II., p. IX: „Bemerkenswerth ist, dass Otto II. als Mitregent wohl selbstständig Urkunden für Deutschland, niemals aber welche für Italien ausstellte“.
2) Otto war am Ende des Jahres 955 geboren. Der continuator Reginonis, wie die Chronik Albrichs von Troisfontaines (MG. SS. 23, 767) überliefern uns dieses Jahr, die Annales Quedlinburgenses melden auch die Geburt seiner Schwester Mathilde zu demselben, die vita Mahthildis post. (MG. SS. 4, 293) sagt von Otto I. und Adelheid: Primo procreabant puellam, inclitae Mahthildis reginae vocabulo dictam – –. Exinde gignebant puerulum, patris nomine vocatum“. Also Mathilde und Otto II. sind beide 955 geboren, jene vor diesem, also wohl zu Anfang, dieser zu Ende des Jahres.

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Ein anderes Verhältniss hätte mit dem Tode Ottos I. eintreten können. Nun war Otto II. trotz seiner Jugendlichkeit der Erste im Reich, und Theophano stand an seiner Seite. Indess die Kaiserin-Mutter Adelheid, welche selbst erst zweiundvierzig Jahre zählte, hatte ihren Sohn zu gut erzogen, und dieser war, wie wir auch später noch sehon werden, ein viel zu unselbstständiger Character, als dass er sich sogleich dem mütterlichen Einflusse zu entziehen vermocht hätte. Einmüthig berichten die Chronisten, Otto habe industria ac
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(Vgl. allerdings über die Glaubwürdigkeit der vita Wattenbach, Geschichtsquellen I., 277 (4. Aufl.). Ich sehe indess nicht, wie der Verfasser zu einer solchen Altersfolge der Geschwister gekommen sein sollte, wenn ihm nicht gleichlautende Nachricht vorgelegen hätte. Die Tendenz der vita berührt diesen Punkt ja doch nicht.)

Einen andern Zeitpunkt für Ottos Geburt nehmon sowohl Giesebrecht (Jahrb. Ottos II., p. 3), wie Dümmler (Otto I., p. 292) aa. Giesebrecht will mit dem Datum des contin. Reginon. eine Angabe der Annales Lobienges und Sigeberts vereinen, wonach Otto 961 am 26. Mai bei seiner Krönung puer septennis gewesen. Er meint, derselbe sei deshalb wohl im Anfange des Jahres 955 geboren. Indess auch abgesehen davon, dass die vereinten Angaben der Annales Quedl. und der vita Mahth. einer solchen Erklärung widersprechen, muss Giesebrecht selbst zugestehen, dass Otto auch dann an jenem Tage „nur sechs Jahre“ alt sein konnte, und der Ausdruck (septennis) immer ungenau bleibt. Giesebrecht zieht übrigens die Angabe des Cont. Reginon. nicht in Zweifel.

Anders verfährt Dümmler a. a. O. Er meint: „Da die Ann. Quedl. die Geburt von Ottos Tochter Mechtild auch in das J. 955 setzen, so kann wohl nur eins von beiden richtig sein, und wir werden mit den Ann. Lobiens. (MG. SS. II., 210), die Otto II. am 26. Mai 961 anno aetatis suae septimo geweiht werden lassen, seine Geburt in das Jahr 954 setzen müssen“. Ich habe dreierlei darauf zu erwidern:

1) Nach der vita Mahthildis ist Mathilde älter als Otto II. Können daher, wie Dümmler will, nicht beide im J. 955 geboren sein, so muss die Geburt Mathildens, nicht die Ottos ins J. 954 verlegt werden. Dem aber widerspricht die Glaubwürdigkeit der Ann. Quedl.

2) Die Ansicht Dümmlers, es könnten nicht beide Geschwister im J. 955 geboren sein, hat nichts Zwingendes, wohl aber ist seine Behauptung, Otto sei schon 954 geboren, einfach unmöglich. Die Hochzeit Ottos I. und Adelheids fand nach Dümmler selbst (p. 198) am Ende des J. 951 statt. Adelheid gebar nach Widukind III., 12 ihrem zweiten Gemahl zuerst die Söhne Heinrich (cf. Dümmler, p. 213: Ende 952 oder Anfang 953) und Brun (cf. Dümmler, p. 292). Otto folgte erst, nachden ihm, wie ich der vita Mahthildis glaube, auch noch die Schwester Mathilde voraufgegangen, an vierter Stelle. Da nun von Zwillingen nirgends die Rede, so ist es einfach unmöglich, dass Otto II. noch im J. 954 geboren sei.

3) Die Angabe der Ann. Lobienses: anno aetatis suae septimo widerspricht dem cont. Reginon. Etc. keineswegs. Die Rechnungsweise der alten Annalisten zählte (vielleicht noch an den Fingern) die Jahre 955, 956, 957, 958, 959, 960, 961 her. Das sind sieben Jahre, deshalb befand sich der im J. 955 geborene Otto II. im J. 961 anno aetatis suae septimo. Beispiele gleicher Rechnungsweise liessen sich doch wohl in genügender Menge heranziehen.

Wie wenig übrigens bei unsern Autoren schon an ein wirkliches Subtrahiren zu denken iat, erhellt auch noch aus einer anderen Rechnungsweise, die mit der eben erwähnten Hand in Hand geht. Auch sie befolgt das Prinzip des einfachen Zählens, statt aber Bruchtheile für voll zu nehmen, lässt sie diese einfach ganz bei Seite. Derart sind z. B. die Angaben Hrotsuiths und Widukinds in Betreff der Regierungsjahre Heinrichs I., die allzu schnell für den Zusammenhang beider Autoren als Beweis gelten sollten. Hierhin gehört u. A. auch die Berechnung der Regierungsjahre Unnis von Bremen bei Adam, während derselbe Autor bei Unnis Nachfolger Adaldag wiederum die Bruchtheile für voll nimmt. Vgl. übrigens in Betreff der Regelmäsgigkeit derartiger Angaben noch Stumpf, Reichskanzler II, p. XII, wo es heisst: „Es sind in den Urkunden K. Ottos I. unter dem Kanzler Liudolf die königlichen Regierungsjahre und desgl. unter dem Kanzler Willigis die Incarnationsjahre durchweg um ein Jahr zu hoch gerechnet, dagegen bei K. Otto II. unter dem Kanzler Egbert und unter K. Otto III. während Heriberts deutscher Kanzleiführung die Königsjahre fast immer um ein Jahr zu niedrig beziffert etc.“ An Verderbnisse in der Datirung ist da nicht immer gleich zu denken, vielmehr haben wir meist nur aus der alten, primitiven Rechnungsweise in die unsrige zu übertragen.

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sapientia Adelheidae matris seine Herrschaft befestigt, und Übereinstimmung hiemit zeugen eine Reihe erhaltener Urkunden von Adelheids Einfluss. Theophano stand auch noch

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nach der Thronbesteigung Ottos II. eine ganze Weile im Hintergrund. In Urkunden von 973 findet Sich ihr Name nur dreimal 3).

Zu weit scheint mir aber gleichwohl Gfrörer 4) zu gehen, wenn er den, wie er sagt, alten Erfahrungssatz, dass Schwieger und Schnur sich schlecht vertragen, auch hier bestätigt sehen will. Es ist doch keineswegs ein Zeichen von Eifersucht, wenn Theophano gerade in den ersten Urkunden, in denen sie auftritt, zusammen mit Adelheid und zwar speciell für deren Witthum 5), das Kloster S. Maximin zu Trier auftritt (St. 590 und 605). Dass aber auch ihr Verhältniss zu der Sippe Adelheids, zu der baierischen Partei kein von Hause aus schlechtes war, beweist die dritte Urkunde (St. 613), in welcher sie sich auf Bitten Heinrichs II. von Baiern für den Vertrauten Judiths, den Freisinger Bischof Abraham verwendet.

Überhaupt möchte ich von vorne herein Verwahrung einlegen gegen die Hereinziehung späterer Verhältnisse in diese erste Zeit. Odilo, der Verfasser des epitaphium Adelheidae, berichtet uns (c. 8), wie gehässig die Stimmung Theophanos und Adelheids gegen einander gewesen, aber er stand der Letzteren erst in ihren späteren Lebensjahren nahe, und beziehen sich seine Angaben daher auch nur auf diese Zeit. Dass er auch hier nicht massgebend ist, liegt bei seiner Voreingenommenheit für Adelheid auf der Hand.
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3) Abgesehen von den Urkunden St. 575 und 601. Letztere ist nicht precibus oder per interventum, sondern nur (auf Bitten Notkers v. Lüttich) pro amore -- Adelheidis atque Theophanu erlassen; während erstere Stumpfs Verdacht in Bezug auf ihre Echtheit erregt. Ich möchte ihm hierin eben wegen der Nennung Theophanos beistimmen, da sich in den folgenden Urkunden für Magdeburg Adelheids Name stets allein findet.
4) Allgem. Kirchengesch. III., p. 1386.
5) Vgl. hingegen Dümmler a. a. O. p. 334, der die Urkunde, in welcher S. Maximin. 962 zum Witthum für Adelheid und ihre Nachfolgerinnen bestimmt wird, durchaus verwirft.

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Den Grund für das seltene Auftreten Theophanos auch in Urkunden dieser Zeit suche ich in Verschiedenem. Einmal möchte ich nochmals die Jugendlichkeit des kaiserlichen Paares, die sich selbstverständlich von Älteren leiten liess, betonen. Dazu kam dann aber, dass Theophano auch wohl unter dem rauhen, wechselvollen Klima unserer Gegenden zu leiden hatte, und endlich, dass ihr in den ersten Jahren ihrer Ehe das gemüthvolle Familienleben mehr zusagte, als das intriguirende Parteileben, das sich bald auch am Hofe Ottos II. breit machen sollte. Einen Belag bieten meiner Ansicht nach zwei Urkunden vom 27. Mai und 3. Juni 975, in denen Otto II. dem Kloster Fulda Schenkungen macht pro sanitate dilectae conjugis Theophanu (St. 651 und 652).

Dass es nicht Theophano war, die Ottos II. energisches Auftreten gegen die baierische Sippe veranlasste, geht übrigens schon aus der Reihenfolge der Thatsachen hervor. Das Letztere begann noch am Ende von 973 mit der Verleihung Schwabens an Otto, den Sohn Liudolfs. Theophanos Einfluss ist aber in hervorragenderer Weise urkundlich erst seit dem Anfang des Jahres 975 nachzuweisen, also dem Zeitpunkt, wo Willigis Erzbischof von Mainz und Archikapellan wurde. Ein bedeutsames Zusammentreffen, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie treu Willigis späterhin in den Zeiten der Gefahr zu Theophano und ihrem Sohne Otto III. gegen den baierischen Empörer stand. Wer von den Beiden den andern hob, ist nicht ganz klar. Indess möchte auch ich Willigis Erhebung Theophano zuschreiben 6), da doch auch schon einige
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6) C. Euler in s. Abh.: „Erzbischof Willigis von Mainz in den ersten Jahren seines Wirkens“, Naumburg 1860, p. 21, sagt geradezu: „Eine Hauptfürsprecherin aber hatte Willigis an Ottos Gemahlin, der klugen und schönen Theophano; ihr Einfluss, der damals, als das bis dahin sehr innige Verhältnis des Kaisers zur Mutter sich zu lockern begann, fast in allen Urkunden sichtbar wurde, brachte die missgünstigen Stimmen zum Schweigen“. Allerdings geschah die Erhebung Willigis „multis hoc ob vilitatem sui generis rennuentibus“ (Thietmar III., 3).

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Urkunden aus dem August 974 ihre Fürbitte bekunden, und andererseits das Zurücktreten der baierischen Partei, der Adelheid so eng liirt war, ein Zurücktreten dieser und damit das Hervortreten derjenigen bedingte, die Otto II. allein die verlorene Mutterliebe zu ersetzen vermochte. Die Bundesgenossenschaft Theophanos und Willigis aber tritt eclatant in der Urkunde vom 25. Januar 975 (St. 641) hervor, in welcher Otto II. dem Mainzer Erzstift alle seine Privilegien interventu Theophanos und Willigis bestätigt.

„Allmählich entfremdete die Griechin der Mutter das Herz des Sohnes.“ Es ist nichts falscher, als diese Behauptung Gfrörers 7). Allerdings stand sie später auf Seiten der Gegenpartei, aber sie war nicht die Seele, die Urheberin derselben. Adelheid hatte sich mit der baierischen Partei zu sehr eingelassen, sie war derselben durch Verwandtschaft zu vielfältig verbunden -- Burchard von Schwaben war dem Anschein nach ihr Onkel; Heinrich II. von Baiern heirathete ihre Nichte Gisela von Burgund; ja sie soll diesem sogar einmal ihre eigene Tochter Emma zugedacht haben 8), die dann die Gemahlin Lothars von Frankreich wurde --, als dass es nicht den Gegnern der Baiern ein Leichtes gewesen wäre, auch ihren gefürchteten Einfluss auf Otto II. zu brechen. Odilo, ihr Vergötterer, der Theophano wahrlich nicht schont, meldet nicht, Theophano, nein iniqui viri seien es gewesen, qui inter
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7) a. a. O. III. p. 1386.
8) Dümmler, p. 375, stellt dieser Nachricht der vita Mahthildis post. das Bedenken entgegen: „doch war Heinrich ungefähr 7 Jahre jünger als Emma“. Es waren mir diese Worte Dümmlers völlig unverständlich, da Dümmler selbst p. 173 die Hochzeit Adelheids und Lothars ins J. 947 setzt, die Ann. Quedl. die Geburt Heinrichs aber zum J. 951 melden. Der Altersunterschied konnte also höchstens drei Jahre betragen. Endlich gewahrte ich den Ursprung jenes Irrthums auf p. 269. Dümmler bezeichnet Heinrich II. daselbst oben im Text ganz richtig zum J. 955 vierjährig, während er unten in Anm. 4 die Angabe der Ann. Quedl. In Betreff seiner Geburt versehentlich statt zu 951 zu 955 angiebt; eine Ungenauigkeit, die hundert Seiten weiter die zweite nach sich zog.

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eos nisi sunt seminare discordiam. Wer diese iniqui viri waren, liegt auf der Hand. Im Kampfe gegen Heinrich I. von Baiern und indirect gegen Adelheid war Ottos I. Sohn Liudolf zu Grunde gegangen. Heinrichs Sohne Heinrich standen nun wiederum ein Sohn Liudolfs, Otto, gegenüber, und wie Dümmler p. 213 bemerkt, der Hass der Väter vererbte sich auf die Söhne in voller Stärke.

Otto, der Sohn Liudolfs, war ein Jahr älter als sein kaiserlicher Oheim, aber niemals, soweit die Quellen uns einen Einblick in die inneren Verhältnisse gestatten, hat er seinem vom Glücke bevorzugten, jüngeren Oheim den Thron, der nach strengem Erstgeburtsrecht ihm selbst gebührt hätte beneidet. Willig ordnete er sich unter, denn er hatte sich eine andere Lebensaufgabe gestellt. Das unglückselige Geschick des Vaters wollte er rächen, rächen an dem Urheber desselben und an seinem Geschlecht, dem Geschlecht der baierischen Heinriche.

Zu ihm standen noch altbewährte, in Treue gegen das Kaiserhaus ergraute Männer, wie Graf Berthold vom Nordgau, dem wir schon 941 als Vertrauensmann Ottos d. Gr. begegnen. Was ihn zum Feinde der Heinriche gemacht, ist nicht ganz klar. Es dürfte vielleicht die Verleihung Bambergs und Aurachs in der Grafschaft Bertholds, Volkfeld, Heinrich II. von Baiern (cf. Urkunde vom 27. Juni 973. St. 592) hier in Betracht kommen. Dieselbe geschah auf Verwendung der Kaiserin-Mutter Adelheid und könnte immerhin zu Zwistigkeiten den Anlass gegeben haben; waren doch beide Orte ehemals babenbergische Besitzungen gewesen 9). Ob dann auch noch Theoderich von Metz und Giselher von Merseburg den iniquis viris zuzuzählen seien, wage ich nicht zu entscheiden. Ihr Einfluss wurde jedenfalls von dem Fall der baierischen Partei nicht tangirt.
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9) cf. Giesebrecht, Kaiserzeit II., p. 54 (4. Aufl).

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Wie schon bemerkt, begann der Sturz derselben mit der Verleihung Schwabens an Otto, den Sohn Liudolfs, am Ende des J. 973. Ihr folgten, wie der Biograph Bischofs Ulrich von Augsburg berichtet (c. 28), quamvis ex vicina propinquitate caritate conjuncti fore debuissent, ex machinatione male suadentis Satanae invidiae et dissensiones zwischen Otto von Schwaben und dem drei Jahre älteren Heinrich von Baiern, an denen sich auch Berthold vom Nordgau beteiligte (Thietmar V., p. 372). Der Sommer brachte dann die erste Verschwörung Heinrichs gegen seinen kaiserlichen Vetter, deren weitere Glieder Boleslaw von Böhmen und Micislaw von Polen waren. Dieselbe endete mit der Haft Heinrichs zu Ingelheim. Erst 976 tritt er von Neuem auf.

Während der Haft des Baiernherzogs können wir nun das Niedergehen des mütterlichen Einflusses in den kaiserlichen Urkunden beobachten. Es liegt nur zu nahe, zwischen beiden Ereignissen einen Causalnexus zu vermuthen. Jener Gewaltstreich Ottos gegen den treulosen Vetter emancipirte ihn zugleich von der Vormundschaft Adelheids. Derselbe bezeichnet den Grenzpunkt, auf welchem Otto die Zügel der Herrschaft wirklich selbst in die Hände nimmt. Fortan verschwindet die Formel „pia domnae et carissimae genetricis nostrae Adelheidis ammonitione“ aus den Urkunden, und an ihrer Statt begegnen uns immer häufiger zwei andere Namen: Theophano und Otto von Schwaben. Der letztere überwiegt im Anfang durchaus.

So sehen wir Theophano die ihr als Gattin gebührende Stelle der Mitregentin einnehmen nicht infolge eigenen Intriguirens gegen die kaiserliche Mutter, vielmehr haben die allgemeinen Hofverhältnisse ihr dieselbe verschafft. Nachdem sie aber einmal an dieses Ziel gelangt ist, weiss sie sich dauernd zu behaupten. Ihr Einfluss ist, abgesehen von einer Unterbrechung, die wir noch zu beleuchten haben werden, bis an Ottos II. Tod nicht mehr zu verkennen.

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Man hat indess noch zwei andere Ursachen für die Entfremdung zwischen Mutter und Sohn geltend gemacht, und auch Giesebrecht, Jahrb. p. 27, erwähnt dieselben. Einmal soll das gänzliche Verzichten Adelheids auf weltlichen Schmuck und Genuss bei den lebensfroheren Kindern Anstoss erregt haben. Es wird uns nun allerdings Adelheid von ihren priesterlichen Verehrern als ein Muster selbstpeinigender Enthaltsamkeit geschildert. Obgleich sie ihr ganzes Leben hindurch, sagt der liber miraculorum (MG. SS. IV., 645), „regalibus divitiis et dignis suo generi facultatibus abundaret carnem a primaevo viduitatis tempore cilicio edomabat“, und Odilo im epitaphium (MG. SS. IV., 641-642), c. 11 bestätigt dies mit den Worten: „Cumque mirificis, ut imperiali dignitati congruebat, valeret corpus decorare indumentis et preciosissimis caput redimire gemmis, talibus nolebat se gravare implicamentis“. Anders verhielt es sich mit Theophano, der man noch später (MG. SS. IV, p. 888) aus der Einführung fremder Moden und ungewohnten Putzes ein schweres Verbrechen machte. Auch scheint Thietmar II., c. 28 (MG. SS. III., 757) einen derartigen Gegensatz bezeichnen zu wollen, wenn er der „aurea mediocritas“ aus Ottos I. Zeit „novam hanc normam quae sequebatur“ und von der die ältere Generation nichts wissen wollte, entgegenstellt. Indess, so glaubwürdig Thietmar in Einzelheiten ist, wenn er sich in allgemeinen Schilderungen ergeht, kommt der übertreibende Prediger nur zu oft zum Vorschein, ja er verwickelt sich durch solche Übertreibungen nicht selten in Widersprüche, deren Lögung nur eben aus psychologischen Gesichtspunkten möglich wird.

Der zweite Punkt ist die alles Mass übersteigen Almosenverschleuderung Adelheids. Wir erinnern uns, dass auch die Königin Mathilde einst von ihren Söhnen Otto I. und Heinrich wegen solcher frommen Verschwendung angefeindet, ja aus ihrem Witwensitze vertrieben wurde 10). Es
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10) cf. Dümmler a. a. O., p. 147 f.

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erscheint deshalb die Erneuerung eines solchen Zwistes bei folgenden Generation keineswegs unglaublich. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass keine der Stellen, die auch Dümmler (p. 520) dran glauben lassen, directe Aussagen dieser Art enthalten.

Die Stelle in der vita S. Majoli von Syrus cap. 9 (MG. SS. IV, 654) lautet folgendermassen: „Sub eodem tempore praedictus imperator matrem zelabatur, quia apud se falso crimine deferebatur. In eam tunc quasi rei publicae dilapidatricem et sui ab ea expulsatricem per falsos delatores tali stimulabatur jurgio, ut eam versa vice propellere minaretur regno. Suorum principum nullus eum convenire falsumque crimen a sanctissima matre temptabat avertere. Ipsi eam defendere neglegebant a crimine falsitatis, quos illa extulerat ad summos gradus dignitatis. Hanc omnes excusationem praetendebant, quod imperiali majestati contradicere non audebant. Ja weiterhin wird sogar von periculo vitae Adelheidis indubio gesprochen. Nehmen wir auch hier wieder auf den priesterlich übertreibenden Ton Rücksicht, so scheint mir zweierlei Gewissheit aus dieser Nachricht hervorzugehen. Einmal, dass Theophano durchaus nicht Urheberin des Zwistes, auch nicht einmal unbewusst durch die neuen, prächtigeren Sitten war, die sie aus Griechenland mitbrachte, und andrerseits, dass es sich bei dem Zwist zwischen Otto II. und Adelheid keineswegs nur um die Almosenverschwendung hat handeln können. Für letztere Annahme sind die Bezeichnungen rei publicae dilapidatrix et sui ab ea expulsatrix denn doch allzu stark. Otto droht die Mutter versa vice regno propellere, also glaubt er selbst sein Reich auf dem Spiele stehend. Das war auch bei noch so grosser Verschwendung Adelheids nie der Fall. Es kann sich deshalb meiner Ansicht nach hier nur um politische Intriguen Adelheids handeln, würde doch Syrus sonst nicht von einem crimen falsum sprechen können. Ob wahr oder nicht, die iniqui viri brachten Otto dem Zweiten die Überzeugung bei, Adelheid sympathisire mit

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dem Baiern, ja gönne dem Sohne ihres geliebten 11) Schwagers Heinrich den Thron mehr als dem eigenen Kinde.

Dass nicht die Almosen den Grund des Zwistes bilden, hiefür scheint mir auch die spätere Versöhnung zu sprechen. Eine solche war doch nur möglich, nachdem alles Entgegenstehende aus dem Wege geräumt war. Adelheid betrieb ihre frommen Übungen und Schenkungen aber bis an ihr Lebensende; darin trat keine Änderung ein. Wohl aber finden wir eine solche in den politischen Verhältnissen. Seit Heinrich sich in Utrecht, seiner Herzogswürde beraubt, in sicherem Gewahrsam befand, war auch nichts mehr von etwaigen Sympathien Adelheids für ihn zu fürchten. Deshalb ist Otto nun gerne zur Versöhnung mit der Mutter bereit, und brauchen wir hiebei keineswegs wie Gförer (III., p. 1387) 12) an ein voraufgehendes Erkalten des Verhältnisses zwischen ihm und Theophano, welches sich mit den übrigen Ereignissen durchaus nicht in Einklang bringen lässt, zu denken. Otto gehorchte gerne der Stimme kindlicher Pietät, nachdem derselben nicht mehr politische Bedenken im Wege standen.

Fürs Erste sollte er aber noch keine Ruhe haben. Heinrich von Baiern war noch nicht gewillt, seinen Frieden mit dem Kaiser zu machen. 976 steckte er, seiner Haft entkommen, von Neuem die Fahne der Empörung auf. Das Resultat war allerdings nur Flucht nach Böhmen, jedoch sah ihn das J. 977 schon wieder in voller Thätigkeit. Der Aufstand, an dem sich nun auch Heinrich von Kärntheb betheiligte, den Otto erst im Jahre vorher zu dieser Würde befördert hatte, nahm gefährliche Dimensionen an und dauerte bis in den Herbst des Jahres. Dann endlich unterwarfen
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11) cf. Forschungen IX, 336, wo Waitz darauf hinweist, dass Worte Hrotsuiths 680--681 wohl eine ungünstigere Auffassung des Verhältnisses zwischen Adelheid und Heinrich widerlegen sollten.
12) „Die Griechin konnte den Sohn nicht mehr von der Mutter losreissen“. Sie hat es nie versucht.

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sich die Empörer. Das Fürstengericht von Magdeburg übergab sie sicherem Gewahrsam.

Während dieser ganzen Zeit sehen wir in den Urkunden ununterbrochen Theophano in Thätigkeit als Beratherin ihres Gemahls. Ihr zur Seite stehen namentlich Herzog Otto von Schwaben und Baiern, Erzbischof Willigis von Mainz und Bischof Dietrich von Metz, der ehemalige Vertraute Ottos I..  Adelheids Name erscheint nur sehr sporadisch, im J. 976 garnicht, 977 im October, 978 im März. Dann finde ich ihn erst wieder im Februar 980. Zwischen letztere beiden Daten würde ja auch nach den Ann. Magdeb. (MG. 8S. XVI, 154) ihr Aufenthalt in Oberitalien fallen.

Theophano besass jetzt vollen Einfluss auf die Thätigkeit ihres Gemahls, aber wie Letztere noch keine freiwillige, aus rein politischen Erwägungen hervorgegangene ist, dieselbe vielmehr noch den Character der Nothwehr gegen aufrührerische Elemente trägt, so kann auch in dieser ersten Periode der Regierung Ottos II. von einer wirklich politischen Bedeutung Theophanos kaum die Rede sein. Sie ist vielmehr nur, wenn ich mich dieser modernen Bezeichnungsweise bedienen darf, „Minister der inneren Angelegenheiten“. Während Otto selbst damit beschäftigt ist, die Widersacher seines Regiments zu Boden zu werfen und dauernd unschädlich zu machen, leiht sie ihr Ohr den friedlichen Elementen des Reichs und bringt deren Gesuche vor den vielbeschäftigten kaiserlichen Gemahl. Politische Bedeutung gewinnt sie erst wieder, als Otto sich die Hände frei gemacht hatte, als er aus eigener Initiative an die Weltpolitik seines grossen Vaters anknüpfte.

Bevor er aber hiezu kam, sollte er noch einen heftigen Strauss zu bestehen haben. Wohl hatte er seinem Throne Respect verschafft bei den Dänen, Wenden und Böhmen, wohl lag Deutschland selbst gehorsam zu seinen Füssen, aber noch drohte von Westen her Gefahr. Wie Giesebrecht in den Jahrb. Ottos II., p. 27 f., eingehend schildert, war mit der Vernichtung der baierischen Partei der Zusammenhang zwischen

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dem westfränkischen und ostfränkischen Herrscherhause zerrissen. Lothar, der vorltzte gekrönt Spross des einst so herrlichen Geschlechts der Karolinger, war vermählt mit der Tochter Adelheids aus ihrer ersten Ehe mit Lothar von Italien. Er hatte zu Deutschland fast in demselben Verhältniss gestanden, wie einst zur Zeit Ottos I. Konrad von Burgund, aber eben nur die Verwandtschaft mit Adelheid hatte ihn dasselbe ertragen lassen. Seitdem nun Letztere nicht nur mit Otto II. entzweit, sondern auch ausser Landes gegangen war, musste ihm die Abhängigkeit von dem Kaiser unerträglich erscheinen. Er dachte daran, sich von ihr zu befreien. Ob seine Pläne noch weiter gingen, ob er Wiederherstellung des Reiches Karls des Grossen erträumte, muss dahingestellt bleiben.

Als Otto mit Theophano, die wiederum der Geburt ihres Kindes (nicht ihres Sohnes, Ottos III., der erst 980 13) geboren wurde) entgegensah, in Aachen verweilte, traf ein Blitz aus heiterem Himmel die Kunde, Lothar von Westfranken nahe mit Heeresmacht. Unvorbereitet, wie er war, musste er schleunigst sein Heil in der Flucht suchen und die Eroberung Aachens durch Lothar zulassen, Aber er war nicht gewillt, diese Schmach auf sich sitzen zu lassen. Eiligst bot er seine ganze Heeresmacht auf, am 1. October 978 überschritt er die westfränkische Grenze, in Kurzem stand er vor den Mauern von Paris. Dieses zu erobern, war er allerdings nicht im Stande, aber Lothar war durch die Energie des Kaisers erschreckt genug; um etwaige hochfliegende Pläne schleunigst fahren zu lassen. Im Mai 980 trat er in einer Zusammenkunft am Grenzflusse Chier in das alte Verhältniss
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13) cf. Wilmans, Jahrb. Ottos III, p. 2, wo wiederum eine Reihe Beläge für meine oben p. 40 entwickelte Auffassung in Betreff der alten Rechnungsweisen zu finden sind. Da Wilmans diese nicht kennt, findet er Widersprüche. Thietmar zählt an der citirten Stelle nur die ganzen Jahre, während die Urkunden und die Annal. Einsidl, die Bruchtheile als voll mitrechnen,

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zu Otto zurück, er verzichtete auf seine Ansprüche in Betreff Lothringens und schloss unter „Handschlag, Kuss und Eid“ Freundschaft mit dem mächtigeren Nachbarn.

Kurz vorher hatte Otto auch den letzten seiner auswärtigen Gegner, den Herzog Micislaw von Polen zur Ruhe gebracht. Ob Letzterer sich völlig unterworfen, wissen wir nicht, jedenfalls hatte er nichts mehr von ihm zu fürchten. Endlich war überall im Reiche und an seinen Grenzen die Herrschaft Ottos gesichert. Es gab hier nirgends mehr für ihn zu thun, und sein lebhafter Geist konnte endlich frei um sich schauen. Er konnte dran denken, aus eigener Initiative der Verwirklichung politischer Ideale nachzugehen. Inwiefern die Persönlichkeit Theophanos hiebei in Betracht kam, wird der folgende Abschnitt zeigen.

V. Theophano und die italische Politik Ottos II.

Quellen: wie zu IV.

Nach zwei Richtungen sind die Meinungen der Historiker in Betreff der süditalischen Campagne Ottos II. aus einander gegangen. Die eine findet ihren bündigsten Ausdruck in den Worten von Leibniz, Ann. imp. III, p. 394: „Ottonem II. arma non repulisse, sed intulisse, veteres memorant“, die andere vertritt Giesebrecht in den Jahrbüchern Ottos II., p. 145 ff., wenn er behauptet, die treulose Politik Constantinopels habe Otto zu kriegerischem Vorgehen gezwungen.

Um uns den Weg zur Auffindung des richtigen Sachverhalts zu sichern, müssen wir im Auge behalten, wie einst

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im J. 972 der Vertrag zwischen Otto I. und Tzimiskes lautete. Es wird ja im Allgemeinen behauptet, man wisse über denselben nichts Bestimmtes; aber wie wir oben (Abschnitt I) dargethan haben, geben uns die legatio Liudprandi und Widukind, III., 70, zweifellose Zeugnisse für den Inhalt desselben. Zwar sind beide vor dem Schluss des Vertrages geschrieben, und es könnte sich unter Umständen noch Manches bis zu Letzterem geändert haben; indess sind die Forderung und das Zugeständniss Ottos doch so klar und bestimmt und an beiden Stellen so übereinstimmend formulirt, dass an eine Abänderung nicht zu denken ist.

Nach jenen Zeugnissen verzichtete Otto I. auf Calabrien und Apulien ausdrücklich. Es konnte sich daher für Otto II. unmöglich um das Besitzergreifen einer zurückgehaltenen Mitgift seiner Gemahlin handeln. Zugleich fällt aber auch die Behauptung Giesebrechts hin, die Treulosigkeit der griechischen Politik habe Otto zum Kriege gezwungen, insofern dieselbe auf das Streitigmachen eines einmal zugestandenen Gebietes hinzielt. Süditalien gehörte vertragsmässig den Griechen, das ist keine Frage 1).

Nach Giesebrecht hätte der feindselige Gegensatz zwischen dem ost- und weströmischen Reich schon sofort im Jahre 974 wieder begonnen. Irre geleitet durch die Pratillischen Fälschungen, die zur Zeit des Erscheinens der Jahrbücher ja noch nicht als solche erkannt waren, giebt er eine detaillirte Schilderung der betreffenden Kämpfe und schliesst dann p. 144: „Die ganze Stellung des Pandulf aber und diese Kriege sind unerklärlich, wofern man nicht annimmt, dass Otto ein Recht auf die angegriffenen Landschaften glaubte geltend machen zu müssen; wie hätte er sonst die so lange gesuchte Verbindung mit dem Hofe zu Constantinopel durch
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1) Thietmars Erzählung III., 12, beruht entschieden auf Unkenntniss der geographischen Verhältnisse Süditaliens. Auch Dümmler, p. 482, sagt: „Dass Thietmar ungenau unterrichtet ist, liegt auf der Hand“.

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ein feindliches Auftreten in dem Augenblicke, wo sie kaum zu Stande gekommen war, wieder selbst gelöst?“

Von jenen Kämpfen ist das Wenigste wahr, wie schon der Umstand, dass das berüchtigte chronicon Cavense fast die einzige Quelle für dieselben ist, begreiflich macht. Immerhin kann aber Pandulf mit seinen Nachbarn in steter Fehde gelegen haben, ohne dass wir hier gleich einen Zusammenhang mit der Politik Ottos vermuthen dürfen. Otto war in Deutschland überreichlich beschäftigt, an einen allgemeinen Landfrieden war überall in diesen Zeiten noch nicht zu denken, Sonderfehden zwischen einzelnen Fürsten waren keineswegs etwas Ungewöhnliches. Pandulfs kriegerische Tätigkeit schliesst darum ein friedliches Verhältniss zwischen beiden Kaiserreichen nicht aus. Ein Bruch des Letzteren tritt vielmehr erst mit den Rüstungen Ottos II. selbst zu Tage.

Um aber die Lage der Dinge völlig zu überschauen, müssen wir doch auch einen Blick nach Constantinopel werfen. Otto I. hatte sein neues Reich an das bestehende oströmische angeknüpft, indem er ein nahes Verwandtschaftsverhältniss erwirkte. Theophano gehörte der Dynastie Tzimiskes an. Am Anfange des J. 976 starb Tzimiskes, wie es hiess, an Gift. Er hinterliess keine Kinder. Die alte Dynastie Basils des Macedoniers bestieg in Basil II. und Constantin VIII. von Neuem den Thron. Das verwandtschaftliche Band zwischen Ost- und Westrom war gelöst.

Es könnte nun wieder jede der beiden vorhin erwähnten Ansichten in Betreff der Ursachen des Krieges von 982 Recht haben. Man könnte eine Treulosigkeit der griechischen Politik vermuthen, nur dürfte man diese nicht mit Giesebrecht in einem Streitigmachen süditalischer Besitzungen suchen. Vielmehr kann nur der Fall in Betracht kommen, dass etwa die neue oder besser die wiederhergestellte alte Dynastie sich nicht durch den Vertrag des Tzimiskes gebunden wissen wollte und deshalb dem Westreich ihre Anerkennung versagte.

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Andererseits, suchen wir die Schuld, wenn wir von einer solchen sprechen dürfen, bei Otto, so giebt es hier die doppelte Möglichkeit: entweder er seinerseits glaubte sich mit dem Ende der verwandtschaftlichen Beziehungen nicht mehr an den Vertrag gebunden und wollte deshalb die Ohnmacht der Griechen in Unteritalien zur Erweiterung der Grenzen seines Reichs ausnützen, oder, ein phantastischerer Gedanke, der aber für einen „Romantiker auf dem Thron“ als welchen man ihn bezeichnet hat, nicht unmöglich erscheint, er betrachtete sich nach dem kinderlosen Tode des Tzimiskes als den rechtmässigen Erben auch des oströmischen Reiches und schickte sich an, von seinem Erbe Besitz zu ergreifen.

Die Entscheidung zwischen diesen Eventualitäten wird uns durch den Umstand erschwert, dass die directen Zeugnisse 2) mangelhaft und widersprechend sind. An Provocation von Seiten Ostroms ist allerdings wohl nicht weiter zu denken, da die inneren Verhältnisse dieses Reichs complicirt genug waren, um seine Herrscher den äusseren Frieden wünschen zu lassen. Auch ist zu beachten, dass die Griechen ja durchaus nichts selbst thaten, um Ottos Siegeslauf zu hemmen. Als ihre Gesandtschaft, die Otto vom Kriege zurückhalten sollte, nichts erreichte, sahen sie sich genöthigt, ihre süditalischen Besitzungen einem von zwei Feinden preiszugeben: Otto oder den Saracenen. Rivalität bestimmte sie zu letzterem Entschluss, und so sah sich Otto statt den Griechen den sicilisch-afrikanischen Horden gegenüber.

War es aber sonach Otto, der den Krieg aus freier Entschliessung 3) unternahm, so liesse sich zwischen den beiden
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2) Ann. Sangall. maj. 982 (983), MG. I., p 80: Otto -- non contentus finibus patris sui -- etc. Ann. Magdeb. 981, MG. SS. XVI., 155: -- propter affinitatem quam per uxorem suam Theophanu cum imperatoribus Graecorum habebat: ib. 982; Graeci offensi, eo quod imperator Otto contra jus et fas provincias eorum invaderet.
3) Leibniz, Ann. imp. occ. III., p. 397. Otto -- bellum in Graecos meditabatur, ut Italiam totam sibi subjiceret. Itaque de acquirendo, non de conservando certabat.

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erwähnten Motivirungen seiner Handlungsweise vielleicht dahin ein Abkommen treffen, dass Otto allerdings Erbansprüche durch seine Gemahlin Theophano zu haben glaubte, diese aber nur insoweit geltend zu machen gedachte, als seine Machtverhältnisse ihm ihre Verwirklichung ermöglichten. An eine Eroberung des Ostens konnte er bei dem gänzlichen Mangel einer Flotte wohl kaum denkon.

Kann es nun immerhin noch zweifelhaft erscheinen, ob Otto bei seinem Angriff auf das griechische Süditalien von dem Character seiner Gemahlin als griechischen Prinzess ausging, reichen die Quellen nicht aus, uns hierüber volle Gewissheit zu verschaffen, so verbürgen sie uns eine andere Beziehung Theophanos zu dem Unternehmen um so sicherer. Theophano persönlich war es vor Allen, die Otto zu demselben ermunterte. Beredete sie ihn auch nicht, wie Gfrörer III., p. 1404 will, überhaupt zu dem Zuge nach Italien, verstand dieser sich doch von selbst, da Ober- und Mittelitalien Theile seines Reichs waren und als solche Anspruch auf seine zeitweise Gegenwart hatten, so bezeugen doch Brun, vita S. Adalberti, c. 10 (MG. SS. IV., 598) und die Miracula Adelheidae, c. 2 (MG. SS. IV., 646) auf das Bestimmteste, dass sie es war, auf deren Betrieb er jenen Feldzug gegen die Griechen unternahm. Bei ihr aber können wir wohl unbedenklich ein Anknüpfen an ihre griechische Abkunft, einen bewussten Gegensatz gegen die Dynastie des Basilius voraussetzen. Waren ja die griechischen Kaiser nicht, wie man bisher wähnte, ihre Brüder, sondern Glieder eines Geschlechts, welches ihr Onkel Tzimiskes vom Throne zu verdrängen gesucht hatte.

Übrigens stand sie nicht allein in ihren Bestrebungen. Wie uns Sigebert von Gembloux in seiner vita Deoderici, c. 20 meldet, war Bischof Dietrich von Metz auch jetzt conscius omnium consiliorum Ottos II. Seinem Schutze vertraute derselbe Theophano an, als er sie während des Feldzugs in

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Rossano zurückliess. Wir sind deshalb auch trotz der bald folgenden Feindseligkeiten zwischen Theoderich und Theophano durchaus berechtigt, seine Zustimmung zu dem Kriege vorauszusetzen. Dass auch Otto von Schwaben lebhaftes Interesse an der Sache nahm, scheint mir aus Thietmar, II., 12, hervorzugehen.

Was den Gang der Ereignisse anbetrifft, so werde ich mich auf wenige Anmerkungen beschränken. Vorerst richte ich mein Augenmerk auf ein kaiserliches Aufgebot, welches uns Jaffé im fünften Bande seiner Bibliothek, p. 471 aus dem codex Udalricus bringt. Jaffé, wie Lehmann, Forschungen IX., p. 439, theilen dasselbe dem Jahre 980 zu. Es stimmt der Inhalt auch vollkommen zu dieser Zeitbestimmung, und haben wir es demnach mit dem Aufgebot zu der in Frage stehenden Romfahrt Ottos II. zu thun. Auffällig ist nur, wie auch schon Lehmann a. a. O. bemerkt, dass der Bischof Theoderich von Metz darin übergangen wird, während doch Sigebert in seiner vita c. 20 ihn 980 mit dem Kaiser nach Italien ziehen lässt. Ein Hinblick auf den verstümmelten Zustand des Verzeichnisses reicht zur Erklärung schwerlich aus, ist doch an der Stelle, wo wir Dietrich erwarten, nämlich vor oder nach Otto von Schwaben von solcher Verstümmelung nichts zu merken.

Statt Dietrichs finden wir an jener Stelle in gleich auffälliger Weise einen „Domnus Sicco imperatorius frater“, welcher 20 loricatos führen soll. Jaffé hält denselben für einen, ut videtur, natürlichen Sohn Ottos I, dessen, wie er selbst sagt, nirgends weiter Erwähnung geschieht. Mir will die Existenz eines solchen, sonst völlig unbekannten Bruders Ottos II. nicht recht glaublich erscheinen, um so weniger, als derselbe nicht imperatoris frater, sondern imperatorius frater genannt wird. Letztere Bezeichnung lässt mich dran zweifeln, ob frater überhaupt im eigentlichen Sinne zu nehmen sei, vielmehr möchte ich in dem Domnus Sicco nur im Allgemeinen

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ein Glied des kaiserlichen Hauses sehen 4). Das Unbekanntsein eines solchen ist doch schon leichter erklärlich, als das eines Sohnes Ottos I.  

Und noch ein dritter Punkt des Aufgebots verdient unsere Aufmerksamkeit. Auch Lehmann a. a. O. hat ihn hervorgehoben. Karl von Nieder-Lothringen wird als custos patriae zurückgelassen. Gegen wen? Doch nur gegen seinen eigenen Bruder, König Lothar von Westfranken. Otto befolgt hier eine gewagte und nur in dem besonderen Fall zu rechtfertigende Politik, indem er sich des einen Bruders gegen den andern als Schutzes bedient. Karl rechtfertigte dieses Vertrauen vollkommen, wie sein späteres Eintreten für die Sache Ottos III. und Theophanos gegen Dietrich von Metz vollauf beweist.

Es finden sich in Betreff dieses Karls auch bei bedeutenden Historikern so durchaus irrige Angaben, dass ich es mir trotz der Entlegenheit des Gegenstandes von meinem Thema nicht versagen kann, dieselben hier zu berichtigen. Olleris, der Herausgeber der Oeuvres de Gerbert, nennt ihn in den Notes zu denselben wiederholt, p. 505 und 511, „bâtard de Louis d'Outre-Mer“, während Waitz und Dümmler ihn, wenn ich nicht ganz fehlgehe, mit seinem älteren Bruder Karl resp. Karlmann zu einer Person zusammenschweissen.

Olleris Benennung ist um so auffälliger, als er sie an der ersten Stelle im bewussten Gegensatz gegen Baluze anwendet, der Karl ganz richtig einen Sohn der Königin Gerberge, der Gemahlin Ludwigs IV., nennt. „C'est une
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4) Ich glaubte im ersten Augenblicke der doppelten Schwierigkeit, dem Fehlen Dietrichs und dem unerwarteten Auftreten des imperatorius frater Sicco dadurch abhelfen zu können, dass ich beide für identisch hielt. Sicco erschien mir dann als eine Verkürzung resp. Doppelname für Dietrich, wie Poppo für Folcmar, Dudo für Lindolf. Indess hat mich der Umstand, dass Sicco doch vielmehr auf eine vollere Form Sigebert, Sigefrid u. a. hinzuweisen scheint, wie auch, dass Dietrich von Metz sonst nirgend Sicco genannt wird, wieder stutzig gemacht.

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erreur, sagt Olleris, Charles était bâtard“. Er scheint danach die Stellen bei Flodoardi Ann. ad 953; Richer, II., 102; Widukind, II., 39, absolut nicht zu kennen. Alle drei bezeugen Karls Legitimität.

Mit der Verwechselung durch Waitz und Dümmler verhält es sich aber folgendermassen. Als einst im Jahre 945 König Ludwig IV. in die Gefangenschaft der Normannen gerathen war, löste ihn Herzog Hugo von Francien, indem er einen Sohn Ludwigs nebst dem Bischof Wido von Soissons als Geiseln gab. Jenen Sohn Ludwigs nennt Flodoard, Ann. ad 945: Karolus, Widukind, II., 39: Karlomannus. Letzterer meldet ferner, derselbe sei in der Gefangenschaft gestorben, was nur zu glaublich, da er bei seiner Auslieferung erst wenige Monate alt war. Waitz (MG. SS. II, p. 448) und Dümmler, Otto d. Gr., p. 142--143 zeihen nun Widukinds Angabe der Unrichtigkeit, indem sie den Tod des Kindes verneinen. Waitz sagt: Karolus ibidem minime mortem obivit. Da beide ihre Behauptung nicht weiter ausführen, so scheinen sie sich nur auf die spätere Existenz eines Sohnes Gerbergens und Ludwigs, Namens Karl, nämlich unseres Herzogs von Nieder-Lothringen zu stützen. Es scheint, als hielten sie diesen für die ehemalige Geisel. Dies aber ist durchaus unrichtig. Flodoard, der authentische Zeitgenosse, meldet zu zweien Malen, 945 und 953 die Geburt eines Karls, Sohnes der Gerberge. Der ältere wurde noch im selben Jahre 945 den Normannen ausgeliefert und erscheint nicht wieder in der Geschichte, während der spätere Herzog von Nieder-Lothringen der jüngere, im J. 953 geborene ist 5). Dass jener ältere Karl wirklich, wie Widukind will, in der Gefangenschaft gestorben, geht doch wohl auch daraus hervor, dass Gerberge ihren späteren Sohn wiederum Karl nannte, gleichsam, als wollte sie das Gedächtniss des ihr so schnell entrissenen
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5) Richer II, 102; Carolus -- cum naturali virium robore educatur.

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früheren Kindes erneuern. Zwei lebenden Brüdern gleiche Namen zu geben, war damals doch noch nicht Sitte.

Doch zurück zu dem Unternehmen Ottos II. Am 5. December 980 finden wir ihn in Pavia (St. 782). Odilo, epitaph. Adelh. c. 7, schildert uns in seinem widerlich-erbaulichen Stil, wie hier durch Vermittlung des Abts Majolus eine Versöhnung zwischen Adelheid und Otto II. stattgefunden. Er erwähnt dabei Theophanos nicht, ebenso wenig wie Syrus, vita S. Majoli, c. 9 dies thut. Gleichwohl kann ich Leibniz nur durchaus beistimmen, wenn er Ann. imp. III, 401 sagt: Caeterum et Theophaniam nunc cum Adelheide in gratiam redisse putem 6). Bleibt doch trotz der Versöhnung der Einfluss Theophanos, soweit uns die Urkunden einen Einblick erlauben, der hervorragendere.

Von Pavia ging Otto über Ravenna nach Rom. Die erste hier ausgestellte Urkunde (St. 790) datirt vom 30. März 981; sie betrifft die Stiftung Ottos von Schwaben, S. Peter zu Aschaffenburg. Am 7. Juli ist er schon südlich von Rom in Trivigliano (St. 795), am 12. zu Sora (St. 796), am 6. August zu Cerice in den Abruzzen (St. 801), am 23. September zu Luceria (St. 805), am 10. October zu Benevent (St. 808), am 4. November in Neapel (St. 812). Theophano war stets an seiner Seite, sie war auch hier das Mittelglied für die friedlichen Interessen des Reichs. Ottos Verfügungen in Hinsicht dieser zeigen fast überall ihre Mitwirkung.

Dieses einträchtige Verhältniss des kaiserlichen Paares dauerte auch im J. 982 fort. Theophano wie Otto strebten auf dasselbe Ziel zu, Ottos Waffen waren glücklich, bis Rossano folgte ihm die treue Gattin. Da am 13. Juli zerschnitt jene verhängnissvolle Niederlage Ottos auch dies Verhältniss. Noch die letzte uns erhaltene Urkunde vor jener Schlacht (St. 821)
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6) Oder deutet das Schweigen der beiden Zeugen an, dass es zwischen beiden Frauen einer Versöhnung nicht bedurfte, weil überhaupt noch keine persönliche Spannung zwischen ihnen bestanden?

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zeigt uns ihren und Theoderichs von Metz Namen. Nach derselben verschwindet der Name der Kaiserin für lange Zeit.

Wenn man die Fürbitter der nächsten Urkunden überblickt, so will es fast scheinen, als habe sich Otto nach seiner Rettung eine Weile dem Zuspruch der Seinigen ganz entzogen. Noch zwei Urkunden sind uns aus dem Monat Juli erhalten, St. 822 und 823, aber kein vertrauter Name begegnet uns in ihnen. Dieselben sind erlassen interventu des Kanzlers Gerbert, also eines Mannes, dessen Amt es bedingte, dem Kaiser nahe zu bleiben. Die Worte „ad hoc culmen Imperii nostri sublimatum fore credimus“ in der ersten derselben vom 21. oder 22. Juli machen den Eindruck eines fast krampfhaften Anklammerns an den nun so schmählich zerstörten Traum unüberwindlicher Grösse.

Im August finden wir dann auch wieder den Namen Ottos von Schwaben, im September die Dietrichs von Metz und -- Adelheids. Theophano aber erscheint erst wieder im Juni des folgenden Jahres auf dem Reichstage zu Verona.

Fragen wir nach dem Grunde dieger offenbaren Trübung des Verhältnisses der kaiserlichen Gatten, so geben uns die Quellen bereitwillig Aufschluss darüber, aber in einer Weise, die geeignet ist, erst recht zu verwirren. Bruno, vita S. Adalberti, c. 10 sagt: Otto II. -- cum stupentibus oculis nefas exhorret, tandem pudet, quia mulierem audivit, tandem sero poenitet quia infantilia consilia secutus sentencias majorum projecit. Alpert aber in seinem Buche de episcopis Mettensibus, c. 1 berichtet, Theophano habe bei der Nachricht von dem Unglück „statim procaci locutione, ut fert levitas mulierum, conterrales suos (sc. Graecos) ad coelum extollere exitumque adversi praelii cum summo probro ad derogationem imperatoris intorquere, qui tanta frequenter virtute laudatus, a suis tam facile sit superatus“. „Praesul Deodericus, fährt er fort, auditis reginae contumeliarum verbis, multum, ut dignum erat, contra eam movetur; et cum de amicissimi ac reverentissimi

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domini adversitatibus, tum suorum dilectorum militum, et ceterorum amicorum qui occubuerant, maximo dolore affligitur, tamen procacitatem et contumeliam reginae oblivioni non dedit“.

Die Äusserung Bruns ist nur unter einer Bedingung zu verstehen, nämlich dass wir Otto II. für einen Menschen ohne jede Spur von Characterstärke halten. Über anderthalb Jahre hat er seinem Ziele, der Unterwerfung Süditaliens zugestrebt; nun, da die Sache unglücklich ausläuft, gereut es ihn, dass er sich drauf eingelassen, und er wendet sich ab von derjenigen, die ihm gerathen hat. Es erleuchtet hieraus, wie ganz Theophano die Seele der süditalischen Politik Ottos gewesen, wie die Expedition, die, man mag vom modernen Standpunkte darüber denken, wie man will, doch immer die Grösse und Erhöhung unseres Vaterlandes im Auge hatte, allein ihr Werk war.

Und damit sollen wir nun wieder reimen, was Alpert sagt! Theophano soll über die Niederlage der Deutschen gespottet haben. Es erscheint unmöglich, auch wenn wir mit Leibniz, Ann. imp. III, 432 annehmen wollten, sie sei durch voraufgehende, die Ehre der griechischen Nation verachtende Reden ihrer Umgebung dazu gereizt worden. Theophano war die Urheberin des Feldzugs, sie kämpfte als Erbin, als Rächerin ihres vergifteten Oheims, ein unglücklicher Ausgang konnte ihr unmöglich erwünscht sein.

Es wäre nun das Bequemste, mit 7) Giesebrecht Alperts Bericht einfach alle Glaubwürdigkeit abzusprechen, stände uns hiebei nur nicht eins im Wege. Mögen wir Alpert glauben oder nicht, eins bleibt Thatsache, die Vertrautheit Theophanos und Dietrichs von Metz, die sich noch in jener Urkunde vom 18. Mai 982 (St. 821) zeigte, ist zu Ende. Fortan
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7) Jahrb. Ottos II., Excurs IX., p. 144-147, wo man auch die völlig entgegengesetzte Ansicht G's. in Betreff des Antheils Theophanos am Kriege eingehen möge. Er beseitigt die ihm unbequemen Zeugnisse, indem er ihnen das Prädicat „höchst unwahrscheinlich“ ertheilt.

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Sehen wir sie nur noch als Gegner, ja geradezu als Todfeinde auftreten. Dietrich erlangt bald, wenn auch nur vorübergehend wieder Einfluss beim Kaiser, während Theophano, wie gesagt, noch lange nicht wieder so weit gelangte.

Die Erklärung für diese Veränderung giebt aber nur Alpert. Dietrich, sagt er, non dedit oblivioni die Worte der Kaiserin. Was heisst das anders, als: er hinterbrachte sie dem Kaiser? Damit haben wir aber auch eine nähere Illustration für die Stelle bei Brun. Der schwache Otto, in Verzweiflung über sein Unglück, bedarf, wie alle Menschen seines Schlages, eines Andern, auf dessen Schultern er die Schuld an demselben wälzen kann. Dietrich meldet ihm Theophanos Worte, und Otto ist erbärmlich genug, sie ohne Prüfung anzunehmen. Ihn pudet, quia mulierem audivit und nicht sentencias majorum. Es ist immerhin denkbar, dass Dietrich jetzt einzelne, früher gethane Äusserungen hervorsuchte, um sich den Anschein zu geben, als habe er von vorne herein gewarnt. Dietrich war ein überaus gewandter und in seinen Mitteln eben nicht wählerischer Hofmann der aus jeder Lage der Dinge seinen Vortheil zog.

Dietrich von Metz streute den Samen der Zwietracht zwischen das bis dahin einige Paar. Das scheint mir festzustehen. Wie verhält es sich dann aber mit der angeblichen Äusserung Theophanos. Ist sie, wie Giesebrecht a. a. O. will, „zuverlässig grundlos?“ Es scheint undenkbar, dass Dietrich die Verwegenheit besessen haben sollte, eine derartige Beschuldigung gegen die kaiserliche Herrin ohne Weiteres aus der Luft zu greifen. Es scheint undenkbar, dass Otto später, als er sich doch mit der Gattin wiederausgesöhnt hatte, den Verläumder länger am Hofe geduldet, ihm länger Vertrauen geschenkt haben sollte. Theophano hat sich entschieden nicht in der Weise geäussert, wie Alpert berichtet, das ist klar; dafür bürgt auch die sachliche Unrichtigkeit, Theophano habe gespottet, weil Otto a suis, d. h. Den Griechen so leicht besiegt sei, während er es doch mit den Saracenen zu thun

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hatte. Aber irgend eine Äusserung, an welche Dietrich anknüpfen, aus welcher er mit einiger Geschicklichkeit eine Waffe für sich schmieden konnte, eine Äusserung, die auch später trotz der Versöhnung ihre anstössige Seite behielt, muss Theophano getan haben. Und da möchte ich, auf die Gefahr hin, ein Phantast zu scheinen, mir die Sache so denken:

Theophano ist ganz Feuer für ihre vielleicht weltumfassenden Pläne. Mit den Erfolgen wächst ihre Zuverzicht, ihre Begeisterung. Überhaupt sieht sie die Überwältigung der Araber als gethane Sache an, hat Sie doch in ihrer Jugend, als die Phokas 8) ihre Heldenschlachten schlugen, stets nur von Niederlagen der Muselmänner gehört. Sie glaubt sich am Ziel, da plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft sie die Kunde: Alles ist vorbei. Die Unvorsichtigkeit des Kaisers hat das ganze stolze Gebäude zu Boden gerissen, und die Tapferkeit seiner Ritter ist nicht im Stande gewesen, dasselbe zu halten. Wie mochte sich ihr Herz zusammenziehen vor heftigem Schmerz! Alle ihre Pläne sind vernichtet, vernichtet durch die elenden Moslems, deren Kriegsfertigkeit sie verachten gelernt. O wären meine Griechen hier, durchzuckte es ihren Geist, die hätten es anders gemacht! Die Araber wären unterlegen, und meine Pläne wären nicht zerschellt! Und diesem Schmerz, diesem unwillkürlichen Gedankengang lieh sie in der ersten Erregung Worte. Es war nicht Freude, was sie lachen machte; Schmerz, heftiger Schmerz war es, was ihr eine grelle, selbstverhöhnende Lache abnöthigte: „Ja, wäre ich Kaiserin der Griechen, ich brauchte jetzt nicht zu fliehen, aber ich bin ja nur Kaiserin der Franken !“

Es ist begreiflich, dass eine derartige Äusserung selbst einem wohlgesinnten Deutschen hätte wehe thun müssen, aber er hätte den Schmerz der Kaiserin verstanden, da er ihn theilte, und hätte nicht weiter darüber gesprochen. Anders
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8) Cf. vor Allen Leo Diaconus.

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der ränkevolle Bischof von Metz. Als der Kaiser in Rossano wieder zu den Seinen stiess, war das Erste, was Dietrich ihm zu melden hatte: die Kaiserin hat des Unglücks gespottet.

Wir müssen aus den Worten Bruns, der wohl unterrichtet sein konnte, entnehmen, dass Otto in der That völlig den Muth verloren hatte. Er that, was ihm allein übrig blieb, er begab sich nach Norden. Am 21. oder 22. Juli ist er noch in Rossano (St. 822), am 27. in Cassano (St. 823), am 18. August in Salerno (St. 824), am 26. September in Capua (St. 825), im December wieder bei Salerno (St. 833 und 834), dann geht er weiter nach Norden. Im April 983 ist er in Rom (St. 836--838), am 1. Juni in Verona.

Wie Johannes Canaparius in seiner vita S. Adalberti (MG. SS. IV, 584), c. 8 berichtet, hatte Otto hier endlich wieder Muth gefasst. Er dachte an die Sammlung eines neuen Heeres, volens ultum ire damna victoriae. Es mag dieser neue Entschluss zusammenhängen mit jener Gesandtschaft der sächsischen Fürsten, von der Thietmar berichtet. Sie mochte ihm zum Bewusstsein gebracht haben, dass er noch ein mächtiger Kaiser geblieben, da sein Volk treu zu ihm stand. Beachtenswerth aber ist vor Allem, dass mit dem Entschluss, die süditalische Schmach auszuwetzen, auch eine Versöhnung mit Theophano sich verband. Am 10. Juni findet sich in einer Urkunde für das Kloster Kempten wieder die Formel „pro salute conjugis et prolis“, und in den Urkunden der nächsten Tage nimmt Theophano wieder völlig die Stelle ein, in welcher wir sie vor jenem verhängnissvollen 13. Juli 982 gesehen.

Otto hatte auf dem Reichstag zu Verona viele wichtige Reichsgeschäfte zu erledigen. Hierher gehört namentlich die neue Verleihung der Länder Ottos von Schwaben, der im November 982 auf der Heimreise zu Lucca sein kurzes, ruhmvolles Dasein beschlossen hatte 9). Otto II. gab Baiern
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9) Beachtenswerth ist, dass selbst angelsächsische Annalen seinen Tod melden, cf. Dümmler a. a. O. p. 290.

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an den aus der Verbannung zurückgerufenen Heinrich den Jüngeren, den ehemaligen Herzog von Kärnthen; Schwaben erhielt Konrad, der Sohn des fränkischen Grafen Udo, dem wir unter Otto dem Grossen begegnen.

Das hervorragendste Ereigniss der Versammlung aber war ohne Zweifel die Wahl des drei Jahre alten Ottos III. um fränkischen König. Otto II. hatte im Jahre vorher dem Tode zu nahe ins Auge gesehen, als dass er nicht an die Nachfolge auf seinem Throne hätte denken müssen. Das Reich sollte nicht herrenlos ein, wenn sein Vorhaben ihm diesmal wirklich das Leben kosten würde.

Wie wohl er gethan, zeigte sich in Bälde. Nach Erledigung verschiedener norditalischer Angelegenheiten, die ich hier übergehe, brach er von Neuem auf gen Süden. Theophano begleitete ihn, während Adelheid, wohl als Statthalterin, in Pavia zurückblieb. Am 24. August finden wir ihn schon am Flusse Trigno (nicht am Ticino, wie noch Giesebrecht, Jahrb. p. 90), am 27. urkundet er in Larino am Biferno in der heutigen neapolitanischen Provinz Molise (St. 862 und 863). Es scheint also, als habe er direct auf sein Ziel los wollen, als habe er Rom, vor welchem ihn der Abt Majolus als seinem Sterbeorte gewarnt haben soll 10), in der That zur Seite liegen lassen.

Vergebliche Vorsicht! Der Tod Benedicts VII. rief ihn doch mit unumgänglicher Nothwendigkeit dorthin. „Imperator Augustus, sagen die Ann. Magdeb. zum J. 983, Romam revertitur ac Dominum Apostolicum digno cum honore Romanae praefecit ecclesiae“. Der neue Papst war Bischof Peter von Pavia, Ottos ehemaliger Kanzler. Derselbe nahm den Namen Johann XIV. an 11).

Otto verliess Rom nicht mehr. Nicht war ihm der Tod auf dem Schlachtfelde beschieden. Er erkrankte erst
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10) Syrus, vita S. Majoli III, 10.
11) Hermann, Contr. 983.

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unbedeutend, voll Ungestüm aber, wie er war, und „sanital avidus“ nahm er Arzenei im Übermass 12), um die Genesung zu beschleunigen. Am 7. December 983 schied er aus dem Leben.

So war Theophanos Plänen von Neuem ein vorzeitiges Ziel gesteckt. Die Lage, in welcher sie sich befand, war eine überaus traurige. Keiner ihrer Vertrauten war in der Nähe. Willigis und Johann von Ravenna weilten mit Otto III. in Aachen, wo sie denselben zum König der Ostfranken salbten; Otto von Schwaben war todt; Giselher von Magdeburg und Bernhard von Sachsen waren in Kämpfe mit den nordischen Grenznachbarn verwickelt. Nur einer der alten Freunde befand sich in Rom, aber die Freundschaft zwischen ihm und der kaiserlichen Herrin war längst zu Ende.

„Deodericus praesul, meldet Alpert, c. 1, parata profectione, iter domum proficiscendi arripuit, et memor reginae improperii adversus caesarem prolati, secum volvere coepit, qualiter illi sub occasione filii regnandi jura subtraheret“. Giesebrecht in seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, p. 612, bemerkt zu diesem Factum: „Wir wissen nicht, wodurch Theophano den ehrgeizigen und vielgewandten Bischof beleidigte“. Eine merkwürdige Verkehrung der Verhältnisse, die ihren Grund nur in dem oben berührten Verhalten Giesebrechts zu dem Berichte Alperts hat. Theophano Dietrich beleidigt! Umgekehrt verhielt sich die Sache. Dietrich hatte Theophano beleidigt; fast ein Jahr lang hatte er ihr durch seine Verleumdung das Vertrauen ihres Gemahls entzogen. Ich dächte, Grund genug, um sich jetzt, wo Theophano Vormund ihres unmündigen Kindes die Regentschaft zustand, aus dem Staube zu machen. Auch an ihm bewährte sich das Schillersche Wort:

Das eben ist der Fluch der bösen That,
Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
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12) Richer III, 96.

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Aus dem Verrath an der Kaiserin spross nun auch der Verrath an seinem Herrn, Otto III., und damit an allen denen, deren Erbe dieser war. Von der guten Sache der Ottonen fiel er zu der schlechten der Heinriche ab.

Es würde die Grenzen dieser Arbeit überschreiten, wollte ich auf die nachfolgenden Thronstreitigkeiten des Näheren eingehen. Theophano verhielt sich zu ihnen passiv und konnte sich nur so verhalten, da es dabei einmal nicht auf persönlichen Einfluss, sondern nur auf das Interesse der am Streite Betheiligten ankam, und es andrerseits Dietrich auch geglückt war, ihr Anschen durch seine Verleumdungen zu untergraben. Die Persönlichkeit, die allein die Sache der Ottonen retten konnte und wirklich rettete, war jener Erzbischof von Mainz, dem Theophano einst zu dieser Würde verholfen hatte, und der ihr nun vollen Dank zahlte, war Willigis.


Excurs.
Im Abschnitt III, p. 26, erwähnte ich einige Zeugnisse, die für Theophanos Character compromittirend sein wollen, resp. Dahin ausgelegt sind. Es sind dies folgende Stellen:

Petrus Damianus ad Cadaloum Parmensem episcopum: Johann, Erzbischof von Piacenza „cum imperatrice quae tunc erat obscoeni negotii dicebatur habere mysterium“; und
Brun, vita S. Adalberti, c. 12: „pulerum luctum (s. lutum) Graeca imperatrix augusta“

Ich würde von denselben, da sie für die politische Rolle Theophanos keinerlei Bedeutung haben, nicht Notiz nehmen,

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hielte ich es nicht für Pflicht des Historikers, der der Theophano überhaupt seine Aufmerksamkeit zuwendet, zu protestiren gegen die Behandlung, welche Giesebrecht, Gesch. d. Deutsch. Kaiserzeit, Bd. I, denselben zu Theil werden lässt. Wie schon mehrfach bemerkt, sucht Giesebrecht Theophano in einem möglichst idealen Lichte darzustellen. Hiezu taugen ihm in Rede stehende Stellen begreiflicherweise nicht. Statt nun aber dieselben einer eingehenderen Kritik zu unterwerfen, findet Giesebrecht es für gut, in seiner Darstellung ihrer nicht zu erwähnen; er begnügt ich vielmehr, sie nachträglich in den Anmerkungen zu seinem Werke anzuführen. Dass sie hier, unwiderlegt, wie sie dastehen, erst recht Gewicht erhalten und geeignet sind, die Wahrheit seiner gegeben Darstellung zu verdächtigen, übersieht er.

Die Verläumdung Damians hat schon Leibniz in seinen Annales imperii occid. III, p. 693, als solche erwiesen. Er deutet an, dass es ein gewöhnliches Verfahren klerikaler Schriftsteller sei, an verhassten Persönlichkeiten Alles zum Schlechten zu wenden. Johann wurde von allen Orthodoxen verabscheut, weil er sich des päpstlichen Stuhles mit Gewalt hatte bemächtigen wollen und -- ihm dies nicht gelungen war; genügend, um, wie Leibniz sagt, quod in aliis laudi, in hoc vituperio zu rechnen. Selbst die Erhebung seines Bischofsstuhles zur Metropole gereichte ihm nun zur Schande; nur zu begreiflich, dass die Gunst, welche Theophano ihrem Landsmann (er war wenigstens ein Grieche, wenn auch nur aus Unteritalien) zu Theil werden liess, und die jeder Unbefangene nur zu natürlich finden muss, nicht unbehelligt blieb.

Will man diese Beweisführung von Leibniz gegen die Glaubwürdigkeit Damians, die sich auf allgemeinere Gesichtspunkte stützt, nicht gelten lassen, so kann für dieselbe auch eine speziellere Betrachtung eintreten. Sehen wir auf den Zweck, den Damian mit seinem Briefe an Cadalous verfolgt. Letzterer ist in die Fusstapfen Johanns getreten, auch er

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streckt die Hand nach der römischen Doppelkrone aus 1). Damian warnt ihn, indem er ihm den Ausgang des Calabresen vor Augen hält. Zugleich aber ist er bemüht, das Factum als etwas Fluchwürdiges und den Thäter als einen Verworfenen darzustellen. Er nennt ihn einen fur und tyrannus und bemüht sich, auch seinen Character in ein möglichst schlechtes Licht zu stellen. Der Brief ist daher durchaus tendenziös, und von historischer Glaubwürdigkeit kann keine Rede sein.

Dass Johann bei Theophano in grosser Gunst stand, ist allerdings unbestreitbar. Indess auch Otto II. und Otto III. schätzten ihn sehr hoch. Letzterer vertraute ihm seine Brautwerbung in Constantinopel an, während für die Gesinnung des Ersteren die Urkunde St. 868 spricht, durch welche Johann zum Abt von Nonantula erhoben wird. Otto II. bezeichnet ihn hier als „probis moribus ornatum, pudicum, sobrium, docibilem, Graeca scientia non ineruditum, totiusque prudentiae et sanctitatis fulgore praeclarum“. Es ist nicht denkbar, dass dieses detaillirte Zeugniss für Johann nur Phrase sein sollte. --

Anders wie mit dem völlig unglaubwürdigen Zeugniss Damians verhält es sich mit der zweiten der angeführten Stellen. Hier ist noch überhaupt strittig, ob dieselbe für Theophano wirklich gravirend sein wolle. Es ist eine doppelte Lesart überliefert: luctum und lutum. Giesebrecht meint nun in der betreffenden Anmerkung, a. a. O. I, p. 848, man müsse doch wohl lutum lesen, da luctum sich nicht erklären lasse, und scheint ihm Brun in diesem Worte seiner Geringschätzung gegen Theophano Ausdruck gegeben zu haben. Dümmler, Otto I., p. 481, bemerkt dazu, letztere Folgerung sei selbst dann, wenn man lutum lese, noch nicht nöthig, lutum brauche nur so viel wie Staub zu bedeuten. Indess möchte
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1) Die dreifache Tiara stammt erst aus dem Anfang des 14. Jahrh., vgl. u. A. G. Weber, Allg. Weltgesch. VI, p. 266.

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ich die Lesart lutum noch keineswegs zugeben. Eine Prüfung der Gewähr für letztere Lesart, wie sie das Vorwort zu Bruns vita S. Adalberti in den MG. SS. IV, p. 480, ermöglicht, lässt mich an einer handschriftlichen Überlieferung derselben überhaupt zweifeln. Im codex Admontensis, den Pertz wiedergiebt, steht: luctum; lutum dagegen bringen Surius in seiner Ausgabe vom J. 1571 und Henschen, der den Prager Codex edirt. Pertz citirt den Prager Codex nur, qualis in edition Henschenii exprimitur. Die Gewissheit aber dafür, dass Henschen an unserer Stelle wirklich seiner Handschrift gefolgt ist, wird uns durch die Bemerkung entzogen, Henschen habe seinen Codex adhibita tamen saepius editione Suriana edirt. Haben wir aber in unserem lutum eine derartige Berücksichtigung des älteren Drucks, so würde ich das lutum auf Surius beschränken, dessen Codex hodie incognitus est. Von Surius heisst es dann, auch er habe seinen Text nur stylo modice correcto herausgegeben; eine Bürgschaft, dass überhaupt irgend eine Handschrift lutum lese, geben uns die Monumenta daher keineswegs. Und doch bringen dieselben die Lesart lutum hervorgehoben durch ein (!), cf. ib. p. 600.

Ich halte, bis aus dem Prager Codex, dessen Einsicht mir nicht möglich, die Lesart lutum wirklich bezeugt ist, daran fest, Brun schrieb nicht lutum, sondern luctum. Giesebrecht bemerkt nun allerdings, luctum lasse sich nicht erklären; aber lässt sich denn Lutum erklären? Wie mir scheint, noch viel weniger. Jenem stehen grammatikalische, diesem innere, d. h. doch ungleich schwerer wiegende Gründe entgegen. Dass Brun gegen die Grammatik verstösst, ist glaublich; dass er aber in Einem Athem schmähen und huldigen sollte, wer hielte dieses psychologische Problem für möglich?

Brun tadelt Otto II. wegen der Aufhebung des Merseburger Bisthums und spricht seine Verwunderung darüber aus, dass Otto so verblendet gewesen und nicht den Ursprung seines Unglücks in dieser seiner Frevelthat erkannt habe. Im Gegensatz hiezu fährt er dann fort: Set peccatum, quod

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vivens neglexit, mortuo marito superstes uxor emendare instabat, legatos mittit, elemosinas et oraciones multorum per quos propicium Redemptorem apellaret, peccatorem regem ab incendio liberaret. Endlich als sie hört, S. Adalbert wolle nach Jerusalem, lässt sie denselben heimlich kommen und giebt ihm massam argenti ingentem, ut pro anima senioris oraret. Sie handelt in Allem nach dem Herzen Bruns, sie ist ihm die fromme Witwe, die für das Seelenheil des geliebten Todten bekümmert ist und ihr Möglichstes thut, demselben zu helfen.

Dasselbe Bild von Theophano entwirft uns Brun auch an der in Frage stehenden Stelle. Ibi (Rom), sagt er, tunc . . . . . .  Graeca imperatrix augusta, quae jam longos dies mortuum flevit, sepulti conjugis memoriam reparat, dulcem Ottonem elemosinis et oracionibus commendat. In der Lücke steht pulcrum luctum s. lutum. Es ist wahr, die Form pulcrum luctum passt nicht ganz. Aber setzen wir dafür pulcro luctu, eine Correctur, wie sie bei der Schreibweise der Handschriften jedenfalls als erlaubt erscheinen muss, so ist auch nicht der mindeste Anstoss an der Stelle zu nehmen. Die etwas pleonastische Ausdrucksweise passt vorzüglich zu dem schwülstigen Stil Bruns.

Dass derselbe nicht im Entferntesten dran dachte, Theophano zu beschimpfen, liegt selbst bei oberflächlicher Betrachtung der Stelle auf der Hand. Auch Dümmler a. a. O. betont diese Unmöglichkeit. Aber lassen wir den Zusammenhang einmal ausser Acht, nehmen wir an, Brun wolle Theophano beschimpfen, mit Geringschätzung von ihr sprechen, würde er es in dieser Weise gethan haben? Es ist unglaublich. Man denke, der exaltirte, nach dem Martyrium begierige Mönch, dessen Sprache Wattenbach (Geschichtsquellen I, 287) mit Recht als widerlich blumenreich und salbungsvoll bezeichnet, lässt plötzlich seine schwülstige Ausdrucksweise bei Seite und verfällt in den trockensten Sarkasmus! Pulcrum lutum -- -- imperatrix augusta (der Zusatz Graeca

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dient begreiflicherweise nur zur Unterscheidung von Adelheid und hat keinerlei Hautgout): welch nackter Hohn, welch beissender Sarkasmus in dieser Zusammenstellung! Nein, wollte Brun die Kaiserin tadeln, er hätte sich wahrlich nicht mit den zwei Worten begnügt, er hätte sich phantastischere Bezeichnungen gesucht, als das derbe lutum.




Quelle:
Dissertation von Johannes Moltmann an der Universität Göttingen
„Theophano, die Gemahlin Ottos II., in ihrer Bedeutung für die Politik Ottos I. und Ottos II.“
Schwerin, 1878. Hofbuchdruckerei von Dr. F. Bärensprung.




H. Söhnel 1886: Die Rundwälle der Niederlausitz

Die Rundwälle der Niederlausitz nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung.
Ein Beitrag zu den prähistorischen Untersuchungen der Landschaft
von Hermann Söhnel, z. Z. Pfarramtsverweser zu Kontopp, Kr. Grünberg i. Schl.
GUBEN, Druck und Verlag von Albert Koenig. 1886.


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Der Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte gewidmet.

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Vorwort.

Von Jahr zu Jahr ist auch in der Niederlausitz das Interesse für die vorgeschichtlichen Alterthümer in erfreulicher Weise gestiegen und ist demgemäss die Zahl sorgfältiger beobachteter Funde gewachsen. Leider hält aber mit dieser Zunahme die vorschreitende Zerstörung der Fundstätten fast gleichen Schritt, und es ist an der Zeit, von den noch vorhandenen Resten so viel als möglich zu bergen und der wissenschaftlichen Verwerthung zu sichern. Was die prähistorischen Gräber enthalten, fällt an sich mehr ins Auge und wird vielfach gesammelt und besprochen; dagegen sind die unscheinbaren Einschlüsse der Rundwälle leichter der Gefahr ausgesetzt, übersehen oder missachtet zu werden. Das, was bis jetzt gewonnen ist, festzustellen, auf Lücken in unserer Kenntniss hinzuweisen und auch in denjenigen Kreisen, welche dem systematischen Betriebe der urgeschichtlichen Studien ferner stehen, erhöhte Aufmerksamkeit auf diese Fundstätten und Funde zu lenken, ist der Zweck des vorliegenden Schriftchens.

Trotz zahlreicher Einzeluntersuchungen in den alten Erdwerken unserer Landschaft haben diese ehrwürdigen Zeugen der Vergangenheit eine zusammenſassende Behandlung doch noch nicht gefunden. Hieraus erklärt es sich wohl auch zumeist, dass die Deutungen derselben noch heut weit auseinander gehen. Es erscheint geboten, auch unter diesen Umschau zu halten und sie an der Hand der Fundergebnisse zu prüfen. Nur auf solchem Wege kann die Forschung aus dem Gebiete unsicherer Vermuthungen in das wissenschaftlich begründeter Erkenntniss hinübergeleitet werden.


Einfügung: Slawenburgen der Niederlausitz: Im 9. und 10. Jahrhundert war die zentrale Niederlausitz von einem dichten Netz kleiner Ringwallburgen überzogen. Die „Slawenburg Raddusch“ war eine dieser ca. 40 Wehranlagen, von denen heute noch sehr viele im Gelände sichtbar sind. Die Burgen konzentrierten sich südlich und westlich des Spreewaldes. Hier war der Slawenstamm der Lusizi beheimatet. Ihm verdankt die (Nieder) Lausitz ihren Namen.



Einfügung: Burgenkarte Niederlausitz

Einfügung: Fünf Slawenburgen mussten seit 1960 dem Braunkohlentagebau weichen und wurden vor ihrer Überbaggerung archäologisch erforscht – Tornow, Schönfeld, Presenchen, Groß Lübbenau und Raddusch. Die Burg von Vorberg, unmittelbar am Tagebaurand gelegen, wurde auf Grund ihrer Gefährdung ebenfalls untersucht. Weitere Burgen – Repten und Saßleben – wurden im Vorgriff auf geplante Tagebaue teilweise ausgegraben. Die Ausgrabungen konnten Anfang der 90er Jahre mit Stilllegung der meisten Abbaugebiete eingestellt werden.
Diese markanten und bedeutenden Bodendenkmale können als Beispiel für die gesamte ur- und frühgeschichtliche Besiedlung der Niederlausitz dienen. Der moderne Wiederaufbau einer dieser Burgen soll ein Zeichen setzen. Hier wird einerseits an den Verlust der Sachzeugen regionaler Geschichte erinnert, andererseits kann der Besucher sich in der integrierten Ausstellung auf einen Gang durch die Ur- und Frühgeschichte der Niederlausitz begeben.
Link zur Slawenburg Raddusch:
https://slawenburg-raddusch.de/


Eine grosse Zahl der Rundwälle in verschiedenen Kreisen der Niederlausitz ist mir seit einer Reihe von Jahren aus eigener Anschauung bekannt; Funde aus denselben habe ich dann in grösseren Sammlungen kennen zu lernen wiederholt Gelegenheit gehabt. Der Gedanke, die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen und die Mittheilungen anderer Forscher zusammenzustellen, hat mich bereits seit geraumer Zeit beschäftigt; derselbe wurde zum Entschluss, als ich mich im letzten Jahre in den Stand gesetzt sah, von der Litteratur über diese Frage sowohl hinsichtlich der Niederlausitz als auch anderer Gegenden genauer Kenntniss zu nehmen.


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Dankbar gedenke ich der freundlichen Förderung, welche das Werk von verschiedenen Seiten erfahren hat. Herr Oberlehrer Dr. Jentsch zu Guben, in dessen Begleitung ich seit mehr als zehn Jahren vorgeschichtliche Fundstätten im Gubener Kreise und ausserhalb desselben besucht und mit dem ich die Freude mancher Entdeckung getheilt habe, hat mir die reiche Alterthümersammlung des Gubener Gymnasiums erschlossen und die uneingeschränkte Benutzung zahlreicher einschlägiger Schriften in seinem Privatbesitz gestattet; Herr Kreisphysicus Dr. Siehe in Calau hat mir den in Betracht kommenden Theil seiner Sammlungen und Fundberichte zugänglich gemacht; auch Herr Rector Dr. Weineck zu Lübben hat auf geschehene Anfrage Nachrichten gesandt und weitere in Aussicht gestellt.

Bezüglich der Litteraturnachweisungen bei den einzelnen Wällen bemerke ich, dass nur quellenmässige Nachrichten in denselben eine Stelle gefunden haben.

Eine abschliessende Leistung ist auf prähistorischem Gebiete bis jetzt nicht möglich. Sollte der vorliegenden Arbeit aber die Anerkennung zu Theil werden, dass sie die Burgwallfrage in einigen Stücken der Entscheidung näher geführt und zur Kenntniss und vielleicht auch zur Erhaltung dieser alten Werke beigetragen habe, so ist ihr Werk erfüllt.

Guben, im October 1886.

H. Söhnel.


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                                                         Seite

Die Verbreitung und Lage der Burgwäle . . . .   1
Bauart und Inhalt derselben . . . . 4
Die Erbauer der Wälle . . . . . . 14
Der Zweck derselben . . . 16
I. Die Wälle der vorslavischen Bevölkerung . . . 17
Sablath-Witzen S8. 17. Starzeddel S. 18. Niemitzsch S, 18. Burg S. 20. Brahmo S. 22. Zahsow S. 22. Stockshof, Kr. Lübben S. 23. Barzlin, Kr. Calau S. 23. Gross-Mehssow S. 24. Senftenberg S. 24. Gossmar S. 25. Ununtersuchte Wälle S. 25.
II. Die Wälle der slavischen Bevölkerung . . . 27
Kr. Sorau . . . . . . 31.
Kr. Guben . . . . . .32
1. im Flussgebiet der Lubst S 32; 2. der Neisse S. 36; 3. der Oder S. 41.
Kr. Cottbus . . . 44
Kr. Lübben . . . .45
Kr. Calau . . . . . 46
Kr. Luckau . . . . 50
Kr. Spremberg . . 54
Schluss. Kurze Anweisung zur Untersuchung der Rundwälle, Zusammenhang der Ergebnisse mit dem übrigen slavischen Nachlass in der Niederlausitz . . . 55

Die Abkürzung Berl. Vhdl. bezeichnet die in Verbindung mit der Zeitschrift für Ethnologie (Berlin, Verlag von Asher & Co.) erschienenen Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte; Laus. Mag. das Lausitzische Magazin, herausgegeben von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz; Niederlaus. Mittheil. die Mittheilungen der Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte (Lübben, seit 1885).


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Nur wenige Landstriche haben so viele prähistorische Alterthümer aufzuweisen wie die Nieder-Lausitz. Fast jedes Dorf hat seinen Urnenfriedbof, und wie viele mögen schon durch die fortschreitende Cultur vernichtet sein, wie viele werden gegenwärtig verwüstet! Noch schlimmer steht es mit den anderen, den über der Erde befindlichen Denkmälern, die uns die Altvordern hinterlassen haben, den Burgwällen. Bis in die Neuzeit hinein sind sie in ihrer Einsamkeit von dem Aberglauben des Volkes geschützt geblieben: jetzt ist von den alten Wallbauten meist wenig mehr zu sehen. Viele sind dazu verwendet worden, ihre moorige Umgebung in fruchtbares Wiesenland zu verwandeln. Ueber andere zieht der Landmann seine Furchen mit dem Pfluge und ebnet sie ein. Nur wenige noch liegen in Wäldern und Sümpfen von uralten Eichen beschattet oder mit wilden Rosen und Dorngestrüpp überzogen, von der heutigen Generation unbeachtet. Längst ist ihre Bedeutung dem Gedächtniss des Volkes entschwunden; es ist vergessen, dass hier vor Alters die Urväter gewaltet. Deren Andenken ist lange dahin, an ihre Stelle tritt bei Bezeichnung dieser Wälle der Name der feindlichen Massen, welche das Land später überschwemmten: das Unglück verwischt zu schnell alle früheren Erinnerungen. So leben diese Hügel im Volksmunde als Hussitenschanzen, Schwedenschanzen u. s. w. fort. Andere heissen Schlossberge, Borchelte *), altes Schloss u. dergl. Einzelne haben eigene Namen, z. B. Barzlin, Balshebbel, Gröschkenberg u. s. w.
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*) Die Bezeiehnung Borchelt oder Bürgel soll aus Burgwall entstanden sein.
Söhnel, Rundwälle.


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Die Verbreitung und Lage der Burgwälle.

Man findet die Wälle nicht blos in unserem Landstrich: über ganz Deutschland und über dessen Grenzen hinaus sind sie weit verbreitet. Allein die Zahl der noch wohl erhaltenen Anlagen ist verhältnissmässig gering. Für die Nieder-Lausitz, die ungefähr 125 Quadratmeilen enthält, sind etwa 80 festgestellt. Man wird nicht fehl gehen, wenn man neben den noch jetzt sichtbaren auch andere annimmt, die im Laufe der Zeit verschwunden sind. So sind in einer Gegend die Wälle verhältnissmässig dicht bei einander und in einer anderen, benachbarten bei denselben Terrainverhältnissen nur spärlich. Dass die Bevölkerung des letzteren Landstriches dieses Bedürfniss nicht gehabt haben sollte, oder dass sie anderen Stammes gewesen, oder dass dieser Theil des Landes unbewohnt gewesen sei, ist doch wohl kaum anzunehmen. Die Abtragung der Wälle wird vielmehr so gründlich und vor so langer Zeit erfolgt sein, dass nicht einmal die Erinnerung, geschweige denn ein Rest übrig blieb. Andererseits sind die Anlagen oft als Wohnort weiter benutzt, und auf ihnen sind Städte und Dörfer entstanden. Leider wird gerade in diesem letzteren Falle wenig auf die angeblich werthlosen Scherbenfunde geachtet. In der That hat Professor Virchow (in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie 1875, S. 95 ff.) mehrere solcher Reste unter heutigen Städten nachgewiesen z. B. bei Priment, Provinz Posen. Dasselbe ist bei Cottbus beobachtet, bei Guben nicht unwahrscheinlich. Bei der Stadt Fürstenberg, Kreis Guben, hat sich in dem Namen „Burgwall“ wenigstens die Erinnerung an die alte Stätte erhalten. Desgleichen trägt ein Dorf bei Zehdenik i/M. den Namen „Burgwall“ (Berl. Vhdl. 1877, S. 350.) Eine weitere Spur alter Ansiedlungen findet sich noch in den Namen verschiedener Städte und Dörfer. Grad, allen slavischen Sprachen gemeinsam, heisst Umfriedigung, niederwendisch grocischco, böhmisch hradzisko, was verschieden umgestaltet in manchem Ortsnamen nachklingt, z. B. Stargardt, Belgrad, Nowgorod, Hradischt, Hradschin, Gröditz, Garz, Grätz u. s. w., und in unserer Landschaft z. B. Grod, wendisch Burg im Spreewald und auch Spremberg, Grozischko Sonnewalde, Kreis Luckau; Grötzsch, Kreis Guben und Kreis Cottbus; Gröditz, *) Kreis Cottbus;
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*) Im Lausitz. Magaz. Band 38, 1861, (S. 158), in der Form Grothisti erwähnt, um 1104 vorhanden.


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Stargardt, Kreis Guben; Gröschkenberg bei Gr.-Mehssow, Raddusch, Radensdorf, Göritz, Kreis Calau. Vielleicht deutet auch die noch heute bestehende kreisrunde Form vieler niederlausitzer Dörfer auf solche Entstehung, z. B. im Kreise Guben: Vettersfelde, Küppern, Sprucke, Kl.-Gastrose, Döbern, Mückenberg u. s. w. Eine gewisse Aehnlichkeit in der äusseren Form zeigen ferner die umwallten Dörfer: Gubinchen, Kreis Guben; Papproth, Wolkenberg und Hindenberg, Kreis Calau; Kahnsdorf, Freesdorf, Görlsdorf, Garrenchen, Karche, Kreis Luckau.

Wenden wir uns zu den noch erhaltenen Wällen und betrachten wir ihre Lage. Sie sind über das ganze Land zerstreut und finden sich meistens in der Nähe der heutigen Dörfer. Nur wenige von ihnen liegen abseits in Wäldern, sehr vereinzelt (Gehren, Kreis Luckau, Wenzelsburg bei Neuzelle, Kreis Guben) sind sie auf Bergen angelegt, wie es in der Oberlausitz häufig der Fall ist. Die meisten sind mitten in sumpfigem, noch heute schwer zugänglichem Terrain errichtet. Bisweilen führen zu ihnen uralte Stege (Gossmar? Kreis Luckau); manchmal lassen sich auch Anfahrten nachweisen: Sablath, Kreis Sorau; Burgwall auf der Lubsthutung vor Guben.

Was das Aussehen der Wälle betrifft, so sind sie zumeist in rundlicher Form angelegt; eine viereckige Gestalt des Walles ist bei Giessmannsdorf W. und vielleicht auch bei dem Gehrener Berge (beide Kreis Luckau) nachzuweisen. Oefter ist ein Vorwall vorgelagert: Guben, Werderthor; Freesdorf, Kreis Luckau; Sablath, Kreis Sorau; Senftenberg, Ragow (?), Kreis Calau. Er sollte wohl die Seite, woher man den Angriff erwartete, decken oder auch den anlandenden Kähnen einen geschützten Hafen bieten. Ganz vereinzelt zeigte die Schanze von Sassleben, Kreis Calau, in weiteren Umkreisen zwei kleinere, unregelmässige Umwallungen, wie sie bei den prähistorischen Wallbauten sonst öfter vorkommen, z. B. bei der Grotenburg im Teutoburger Walde und den Wällen Nieder-Oesterreichs. Auch um die Sylower Schanze (Kreis Cottbus) scheint ein Vorwall rings herum geführt zu haben. Die Erdschüttung ist oft von geringer, oft aber von beträchtlicher Höhe, je nach der Anlage oder nach der Erhaltung der Werke. Manche Wälle sind ursprünglich höher gewesen, und erst später sind die oberen Culturschichten abgefahren worden. So findet man heute auf dem Schlossberg von Burg, Kreis Cottbus und ebenso auf dem Gröschkenberg bei Gr.-Mehssow, Kreis Calau, nur noch selten slavische Scherben: ein Beweis, wie gründlich die Abtragung der


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oberen Theile erfolgt ist. Vielleicht ist dies auch bei den Burgwällen von Gossmar, Kreis Luckau und Sablath, Kreis Sorau, der Fall gewesen.

Um den Wall herum führte ursprünglich wohl öfter ein Graben, der jetzt meistens ausgefüllt ist, z. B. Stargardt, Lahmo, Neuzelle Torfmoor (Kreis Guben), Burg, Brahmo (Kreis Cottbus), Riedebeck (Kreis Luckau) u. s. w. Er ist vielleicht dadurch entstanden, dass aus ihm ein Theil der Erdschüttung genommen wurde. Die Böschung steigt unter einem Winkel von 25--45 Grad auf der Aussenseite auf, nach der Innenseite verläuft sie flacher. Nicht alle Wälle bilden einen geschlossenen Ring, einzelne haben vielmehr Einfahrten, z. B. Giesmannsdorf, Kreis Luckau, Bresinchen, Kreis Guben. Sie umschliessen einen Kessel, der gewöhnlich über dem Niveau des umgebenden Terrains liegt und von sehr verschiedener Grösse ist. Während z. B. das Innere des Gubener Borchelts nur 20 Schritt breit ist, hat der Kessel des Stargardter Walles 100 Schritt im Durchmesser. In der Schanze von Casel, Kreis Luckau, fand sich eine Erhöhung, die vielleicht Reste zusammengestürzter Hütten umfasst. Wenigstens sind in den Wällen von Alt-Grahau in Westpreussen und Uhlenburg bei Ivenrode, Provinz Sachsen, in ähnlichen Erhebungen Scherben, Kohlen und gebrannter Lehm aufgedeckt worden (Berl. Vhdl. 1882, S. 144). Gebäudetrümmer sind in dem Kessel beobachtet worden bei Stockshof, Kreis Lübben; Mauern sind im Inneren der Wälle von Sablath, Kreis Sorau, Gr.-Beuchow, Kreis Calau, Wenzelsburg Neuzelle, Kreis Guben, gefunden worden. Mitten in der Schanze von Vorberg, Kreis Calau, ist eine Vertiefung bemerkt, vielleicht der Rest eines Brunnens; ebenso angeblich auch bei Casel, Kreis Luckau. Die Vermuthung, dass ein Kranz von Pallisaden das Erdwerk umgab, hat manches für sich.


Bauart und Inhalt der Wälle.

Die Anlage erfolgte zumeist unter Benutzung der von der Natur gewährten Hilfsmittel, Als Grundlage z. B. für den Burgwall vor dem Werderthore zu Guben, ebenso für den Winkel bei Plesse wurde eine Sandbank der Lubst gebraucht, ebenso beim Bau der Stargardter Schanze, eine inselartige Erhebung der Neisse für das heilige Land von Niemitzsch. Dem Schlossberge von Burg legte man eine hügelartige Erhebung in dem Flussgebiete der Spree zu Grunde. Nur in einem Falle, soweit


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bis jetzt wenigstens bekannt geworden ist, erfolgte in unserer Landschaft der künstliche Aufbau eines Walles auf einem Pfahlrost : bei der in einem alten Seebecken angelegten Zahsower Schanze, Kreis Cottbus (Virchow, Berl. Vhdl. 1875, S. 127 ff.) Die Zahl der Wälle letzterer Art dürfte sich bei gründlicher Untersuchung bis in die Tiefe der Anlagen hinein vermehren, vielleicht wird sogar weiter als Grundlage eines Erdwerkes ein Pfahlbau entdeckt und damit der nähere Zusammenhang der Burgwälle und der Pfahlbauten auch in der Lausitz erwiesen. Prof. Virchow fand nämlich (Berl. Vhdl. 1874, S. 115) bei dem Walle von Potzlow am Ueker-See, dass derselbe auf einem alten, früher bewohnten Pfahlbau ruhte. Das Kennzeichen für derartige Benutzung liegt in der Auffindung von Culturniederschlägen, von Scherben und Knochen zwischen den Pfählen. -- Bei den bis in die Tiefe blosgelegten Wällen, z. B. Stargardt, Kreis Guben, war auf der zum Bau benutzten Sandbank eine Bodenpflasterung aus mittelgrossen Feldsteinen niedergelegt und darüber ein nach Art der Cyklopenmauern ohne Bindemittel fest in einander gepackter Steinkern geschichtet, der in der Erdanhäufung bisweilen über 2 m hoch aufstieg. Auch in dem Neuendorfer Walle scheint ein Fundament von Steinen gewesen zu sein. In dem nördlichen Theile des Burgwalles vor dem Werderthore in Guben ist die Sandbank, auf der die Anlage erfolgte, durch eine künstliche Schüttung abgerundet, deren äusserer Rand durch eine Steinpackung befestigt ist. Dieser ist Richtung und Halt gegeben durch eichene Pfähle von ungefähr 70 cm Länge, die in Abständen von 0,5--1 m in den Morast eingetrieben waren. Von einer aus umgestürzten Eichen bestehenden Holzsubstruction, die auf Steinen ruht, wie sie Voss (Berl. Vhdl. 1876, S. 170) in dem Burgwall von Schlieben aufgedeckt hat, hat sich bis jetzt nichts gefunden. Dagegen soll man im Schlossberge von Ragow, Kreis Calau; an mehreren Stellen im Grunde gespaltene Holzstämme angetroffen haben, über welchen geschlagene Steine wie ein Pflaster gelegen haben (Berl. Vhdl. 1880, S. 103). Vereinzelt sind liegende Eichenstämme auch in Stargardt gefunden worden. Bei dem Schlossberg von Sablath, Kreis Sorau, waren unter der Erdschüttung gespaltene Eichen in das Moor gesenkt, ähnlich wohl auch bei Neuendorf, Kreis Luckau. Auf solcher Grundlage befindet sich oftmals eine Lehmschicht, um dem Kerne des Walles mehr Halt und Dichtigkeit zu geben. Bei der Freesdorfer Schanze war diese Lage durch Feuer erhärtet, was Much auch bei den


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niederösterreichischen Wällen gefunden hat (Germanische Bauwerke in Niederösterreich, S. 34). Auch bei dem Buderose-Coschener Walle (Kreis Guben) fand sich im Westen eine röthlich gebrannte Lehmsehicht mit Eichenkohle. Wo diese Masse fehlt, beginnt sofort die Aufschüttung. Die dazu erforderliche Erde ist meistens aus der nächsten Umgebung genommen. Bei den in sumpfigem Terrain angelegten Ringwällen beweisen dies die moorige Erde und die darin enthaltenen Schneckenarten. Die Schichten liegen mit deutlich erkennbaren Streifen über einander, weisser Flusssand mit Kieseln wechselt mit schwarzer, kohlen- und aschehaltiger Erde. In allen Theilen des Walles finden sich Steine, Knochen und Scherben. Heerdstellen mit Steinpflasterungen wurden fast immer auf der Innenseite des Walles oder im Kessel selbst blosgelegt. Reste von Wohnstätten mit Metallbeigaben innerhalb der Aufschüttung haben sich in der vorslavischen Schicht des heiligen Landes von Niemitzsch gefunden, in dem Zahsower Walle, Kreis Cottbus, deutete eine trichterförmige Grube auf dieselbe Bestimmung. Sonst sind in vielen Anlagen sowohl auf der Erdschüttung als im Kessel selbst Stücke erhärteten Lehms mit Stabeindrücken aufgedeckt worden. Sie sind der letzte Rest von Wohnungen der Ansiedler. Aus leicht vergänglichem Material wie Rasen, Rohr, Holz und Lehm waren sie hergestellt, und auch letzterer ist nur dann erhalten, wenn er durch den Brand der Ansiedlung erhärtete. Die Einpressungen stammen meistens von runden, bald breiten, bald schmalen Hölzern. An einem Stücke im Burglehn von Steinkirchen, Kreis Lübben fand Virchow einen langen eckigen Eindruck, der durch die Anfügung des Lehms an zwei Seiten eines vierkantigen Holzbalkens hervorgebracht sein musste. Andere Lehmstücke waren ganz glatt, als wenn sie an Balken angelegt gewesen wären. Aehnliche Stücke beider Arten sind in Niemitzsch, Kreis Guben, beobachtet worden.

Unter den sonstigen Fundobjekten, welche die Wälle bieten, sind zwei ganz verschiedene Gruppen zu unterscheiden: die vorslavischen und die slavischen Scherbenarten. Die ersteren stammen allerdings nur aus verhältnissmässig wenigen Wällen. Das hier zahlreich gefundene Topfgeschirr ist fast gar nicht verschieden von den Gefässen des Lausitzer Typus. Neben den Bruchstücken dicker Töpfe von anscheinend weitem Umfange überwiegen Reste von Fläschchen und Schalen. Vereinzelt sind auch Scherben von sogenannten Räuchergefässen aufgesammelt worden (in grossen Dimensionen aus Niemitzsch). Die Scherben sind in der Regel


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geglättet, häufig glänzend schwarz, zuweilen gelbroth. Henkel finden sich in mannichfaltiger Form, von den grössten bis zu den kleinsten, ösenähnlichen. Ein einzelner Knopf unter dem Rande als Stützpunkt für die Hände ist wohl der letzte Rest des Henkels. Ganze Gefässe aus dieser Schicht, z. B. Fläschchen und Schalen, sind im heiligen Lande von Niemitzsch und in Gossmar zu Tage gekommen. Auf dem zuerst genannten Walle wurde z. B. am 2. October d. J. in Anwesenheit des Prof. Virchow ein kleines braun-schwarzes Fläschchen ausgegraben. Die Form der in jener Zeit üblichen Töpfe lässt sich auch aus den von Renner auf dem Schlossberge in Burg gefundenen, angeblichen Todtenurnen ersehen. Gefässe mit Knochen sind auch auf dem Sablather Walle ausgehoben worden.

Am häufigsten ist *) die Verzierung durch angelegte Wülste, auf welchen die andrückenden Finger noch sichtbare Spuren hinterlassen haben , seltener sind trianguläre Strichsysteme. Schüsselstücke, oft mit verdicktem Rande, auch mit hornartigen Ansätzen (Niemitzsch), zeigen mannigfaltige Systeme von Einstrichen. Die Topfböden sind dick und liegen meistens flach auf, einzelne zeigen ein seicht eingestrichenes Kreuz. Ein Niemitzscher Boden trägt dasselbe Ornament zugleich auch auf der Innenseite.

Ferner sind an Thongeräth gefunden worden: Spinnwirtel, nicht eben zahlreich, in verschiedenen Formen; Webesteine (Burg, Ruben, Kreis Cotthus, Niemitzsch: etwa 20), eine Thonperle (Niemitzsch). -- Auf die Lebensmittel der Ansiedler lassen ausser Getreideresten, wie sie in den vorslavischen Schichten von Niemitzsch (Linsen oder Hirse in einer erhaltenen Schale und Gerste), Sablath, Kreis Sorau, und Zahsow, Kreis Cottbus, bemerkt worden sind, die zahlreichen Knochen vom Schwein, Rind, Schaf und Hund schliessen. Einzelne zeigen Spuren von Bearbeitung: aus einer grossen, flachen, bräunlichen Rippe ist ein Messer hergestellt (Niemitzsch). Wild- und Vogelknochen sowie Fischgräten kamen in Niemitzsch, Elenknochen in Gossmar vor.

Aus Stein sind folgende Geräthe zu Tage gekommen: Steinhämmer (Niemitzsch, Kreis Guben; Burg, Zahsow, Kreis Cottbus; Stockshof, Kreis Lübben), ein Getreidequetscher aus Niemitzsch, ebenda ein wohl zum Glätten gebrauchter, abgeplatteter Eierstein und ein Wetzstein; vom Barzlin, Kreis Calau, ein Spinnwirtel aus
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*) Vgl. Jentsch in der Zeitschrift f. Ethnologie Band 14, 1882, S. 118 ff.


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Sandstein, ein anderer aus feinerer Masse (vielleicht erhärtetem Thone) von Niemitzsch, Kreis Guben. Ebendaselbst ist erst neuerdings ein kleines flaches, dreieckiges, amuletähnliches Steinplättchen aufgehoben worden, wie solche in einzelnen Urnenfeldern (Guben, Bösitzerstrasse; Jüritz, Kreis Sorau; Weissig, Kreis Crossen; Droskau, Kreis Sorau und Finkenheerd bei Niemitzsch) vorgekommen sind. Feuersteinsplitter sind auf dem Stockshofer Walle, Kreis Lübben, gefunden worden, in Niemitzsch neuerdings die ungefähr 4 cm breite abgebrochene Schneide eines Feuersteinmeissels.

Zahlreich sind Bronzefunde gewonnen worden. Ringe sind in Niemitzsch, Kreis Guben, Sablath, Kreis Sorau, Brahmo und Zahso (?), Kreis Cottbus, beobachtet worden, ebenso Nadeln in den beiden zuerst genannten Orten. Lanzenspitzen stammen aus Sablath, Kreis Sorau, und vom Gröschkenberge (?), Kreis Calau. Während von Niemitzsch eine Knopfsichel und 7 hohle Pfleilspitzen bekannt sind, stammen vom Barzlin (Kreis Calau) allein Hohlkelte. Ausserdem wird von einem „gelben Kessel“ aus dem Schlossberge von Burg, Kreis Cottbus, berichtet. In Niemitzsch ist ein Knopf mit Querbügel gefunden worden (Abbildung: Berl. Vhdl. 1883, S. 49). Zu diesen Gegenständen treten mehrere nicht mehr charakterisirbare Funde aus verschiedenen Wällen.

Eine kleine blaue, würfelartige Perle aus Glas mit abgestumpften Ecken und konischer Durchbohrung stammt aus dem heiligen Lande von Niemitzsch; aus Sablath wird ein Bronzering mit 46 Perlen erwähnt.

Goldgeräthe sind in Sablath und auf dem Schlossberge von Burg gefunden worden; auf letzterem angeblich auch Silber (vgl. Neuendorf, Kreis Luckau).

Auf das Vorstehende beschränkt sich der Nachlass der vorslavischen Bevölkerung, soweit die Burgwälle dabei in Betracht kommen. Allein hier treten die Urnenfelder mit ihren zahlreichen und charakteristischen Beigaben ergänzend zur Seite.

Wenden wir uns nun den andersartigen Einschlüssen der oberen (slavischen) Schichten zu. Sie sind bedeutend zahlreicher als die der vorslavischen Bevölkerung, was wohl nicht blos auf die grössere Zahl der slavischen Wälle zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass die oberen Teile durch die fortschreitende Cultur eher und gründlicher in Arbeit genommen worden sind.

Auch hier ist am stärksten vertreten das Topfgeschirr, durch charakteristische Merkmale von den Einschlüssen der vorslavischen


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Stätten unterschieden. Die slavischen Töpfe sind mit Anwendung der Töpferscheibe hergestellt, hart gebrannt und fühlen sich sandig an. Oefter sind auch dünnere Scherben beobachtet worden, die klingend gebrannt sind und manchmal sogar eine Spur von Glasur tragen: sie gehören einer späteren Periode an. Die Farbe ist meistens blaugrau und braun, gelten röthlich und gelblieh. In der Form sind durchweg zwei Arten zu unterscheiden. Selten ist die flachere Form, wie sie die sogenannten Wendennäpfe zeigen. Sie steigen von einem Boden von etwa 1 dm Durchmesser, sich langsam nach aussen erweiternd, bis zu derselben Höhe und der oberen Weite von ca. 15 cm auf. Die Aussenwand ist meistens wagerecht gefurcht, der Rand nach innen gestrichen, bisweilen gespalten. -- Häufiger jedoch ist folgende Form. Die Töpfe steigen sich mässig öffnend an, in der Höhe von 2/3 des ganzen Gefässes sind sie kantig ausgebaucht; auf und über dieser Ausbauchung befindet sich in der Regel die Verzierung. Der Rand ist meistens stark ausgebogen, oft sogar in breitem Saume umgeklappt. Nicht selten sind Randleisten, die später mannigfach profilirt werden. Erst jüngeren slavischen Gefässen ist ein Henkel angesetzt, z. B. bei Niemitzsch. Einen eigenartigen Charakter haben die Topfböden. Sie sind im Ganzen eben, häufig ist ihnen ein seichter kreisrunder Stempel eingedrückt (fast alle näher untersuchten Wälle bieten solche Stücke). Von ganz anderer Technik sind die Topfböden, die concav eingewölbt sind. Sie zeigen eine Sauberkeit der Ausführung, die jenen nicht eigen ist, und gehören einer späteren Zeit an. Erhabene Zeichen, Knöpfe (im Gubener Borchelt), verschieden geformte Kreuze, Sterne, Räder (darunter ein siebenspeichiges), unregelmässige Vierecke mit Diagonalen sind namentlich im heiligen Lande von Niemitzsch zahlreich. Eine noch grössere Zahl und vollendetere Ausführung solcher Verzierungen zeigen die böhmischen Wälle, z. B. Hradek bei Caslau. Die in diesem Walle zugleich mit den beschriebenen Topfböden gemachten Münzfunde weisen in die Zeit vom achten bis dreizehnten Jahrhundert.

So ausserordentlich zahlreich die Scherbenfunde in den Burgwällen sind, so wenig sind vollständige Wendentöpfe erhalten, die überdies zum Theil in Urnenfeldern zu Tage gekommen sind (vgl. Jentsch in den Niederlaus. Mittheil., Heft II., S. 37; zu den hier erwähnten tritt noch ein kleiner Topf aus Haaso, bei einem Skelett gefunden).


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Unter der grossen Zahl von Verzierunggarten ist das charakteristische Zeichen die Wellenlinie. Dies Ornament ist in ſast allen Burgwällen constatirt. Sie tritt als einfache Linie auf oder ist mit einem mehrzinkigen Geräthe oder einem faserigen Spahne eingestrichen, bald in flachen, bald in steilen Bogen. Oft sind mehrere solcher Systeme unter- oder ineinander gezogen oder auch in gefälliger Verbindung mit wagerechten Strichsystemen oder mit Gruppen von Punkteindrücken. Nur in vier Burgwällen der Nieder-Lausitz hat sich dieses Ornament senkrecht gestellt gefunden (Barzlin, Torno, Stargardt, Werderthor-Guben). Ausläufer dieses Ornaments sind die schrägen von rechts nach links gezogenen Striche. Häufig sind auch die Systeme, die aus verschieden gerichteten, mit einer mehrzinkigen Gabel hergestellten geraden Linien bestehen. Kreisförmige Stempel wechseln mit mannigfach gruppirten Punktsystemen. Am häufigsten sind wagerechte Einfurchungen.

Kreisrunde Scherben *) sind sicher bis jetzt nur in Burg und auf dem Barzlin (einer durchbohrt) gefunden worden, vielleicht auch in Ragow (mit einem Knopf). Anderweitiges Thongeräth ist nur vereinzelt beobachtet worden. Ein Pokalfuss ist in Stargardt, Gubener Borchelt und auf dem Barzlin zu Tage gekommen. Ein Ausschnitt aus einem flachen, mit concentrischen Einfurchungen verzierten Teller ist aus Stargardt erhalten. Häufiger sind Reste von sehr dicken, mit Schilf und Stroh durchkneteten Gefässen mit umgebogenem Rande, aussen hellröthlich, innen grau. Man kann sie als Mulden zum Aufbewahren von Getreide oder anderen Früchten, aber auch als Tröge für das Vieh auffassen. Andere Forscher erklären diese Reste neuerdings für Kohlenbecken. Die rissige Oberfläche und die Dicke der Wände ist dieser Annahme nicht ungünstig.

Zu den bisher erwähnten Thongeräthen kommen noch die überaus zahlreichen Spinnwirtel in den verschiedensten Formen. Neben ganz flachen sind solche mit kantig heraustretendem Aequator nicht selten, andere sind einem abgestumpften Kegel gleich, vereinzelt sind sie in der Mitte eingeschnürt. Einige sind mit concentrischen Furchen auf der Oberfläche oder mit Einkerbungen des Randes verziert.
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*) Prof. Virchow (Zeitschr. f. Ethnol., Band 12. 1880, S 236) und Dr. Siehe (Vorgeschichtliches aus der Niederlausitz, 1886, S. 41) weisen auf die Aehnlichkeit mit Geldstücken hin.


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Neben Getreideresten, wie sie in der Ragower und der Tornoer Schanze in bedeutender Masse gefunden worden sind, wirft der zahlreiche Nachlass an Knochen Licht auf die Lebensmittel der ehemaligen Bewohner. Theile von Fischskeletten (darunter vom Hecht) sind nur von Niemitzsch bekannt, Schuppen ebendaher und aus Vorberg, Kreis Calau. Häufig sind die Knochen von Rindern, ausserdem vom Schwein, Pferd, Schaf und Hund, ebenso die Hauer von Ebern. Einen Biberzahn hat die Schanze von Stargardt geliefert. Zahlreich finden sich die Stirnzapfen von Rindern, wie Hirsch- und Rehgeweihe, auch Vogelknochen.

Einzelne Knochen zeigen Spuren der Bearbeitung. Gespaltene Schenkelstücke sind angespitzt, ebenso zahlreiche Rehkronen. Sie mögen als Pfriemen oder Löser verwendet worden sein, die ebensowohl zum Flechten von Körben und Matten, als zum Stricken von Netzen und zum Drehen von Seilen gedient haben. Andere Geweihe sind abgestemmt und so wohl als Hacken oder Hämmer gebraucht. Aus einzelnen Geweihstücken sind kleine cylinderähnliche Stücke herausgesägt, „Hirschhornringe“, die namentlich in Stargardt vorkommen. Manche sind durch Querstriche und Quadrate verziert. Sie sind wohl aufgereiht und als Schmuckgegenstand verwendet gewesen, die grösseren vielleicht auch am Pferdegeschirr. Ein Rindshorn aus Stargardt, dessen Spitze abgeschnitten ist, war durch drei Stifte an einem, nach den Rostspuren zu schliessen, dreieckigen Eisenbeschlage befestigt. Es erinnert in der Form an einen Wetzsteinbehälter, möglicher Weise ist es indessen als Trinkhorn benutzt worden. Schlittknochen sind drei in Stargardt, einer im Burglehn bei Steinkirchen, Kreis Lübben, gefunden worden. Bei dem einen Stargardter, der noch 24 cm lang und sehr stark abgenutzt ist, wurde zur Befestigung des Riemens an einem Höcker im mittleren Theile des Gelenks eine Querdurchbohrung hergestellt, auf welche senkrecht eine andere Oeffnung in der Längsrichtung des Knochens führt.

Ganz vereinzelt bis jetzt sind im Stargardter Walle die Reste von zwei menschlichen Schädeln gefunden worden. (Seitenstücke aus den Burgwällen von Gnichwitz bei Breslau und Ketzin an der Havel). Eine dunkle Sage berichtet von einem im Brahmoer Schlossberge (Berl. Vhdl. 1883, S. 57) begrabenen Gerippe. Angeblich sind im Burglehn von Steinkirchen 7 menschliche Skelette gefunden worden. Ein vollständiges Gerippe ist nach einer allerdings nur kurzen, indessen im Ganzen noch unangefochtenen


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Notiz der Frankfurter Oder-Zeitung 1885, No. 72 im Freesdorfer Borchelt ausgegraben.

Im Burgwall auf der Lubsthutung bei Guben ist bei der Abtragung der östlichen Wallböschung ein halber Einbaumkahn zum Vorschein gekommen, welcher verbrannt worden ist.

An Steingeräth sind beobachtet worden: Wetzsteine in vielen Wällen, theils von roher Form (Stargardt, Neuzelle-Wenzelsburg, Werderthor Guben, Niemitzsch, Kreis Guben; Sablath, Kreis Sorau; Gröschkenherg bei Gross-Mehssow, Kreis Calau), theils rechteckig und mit feiner Durchbohrung (Stargardt, Buderose, Kreis Guben; Datten, Kreis Sorau; Brahmo, Kreis Cottbus), theils endlich stabförmig mit quadratischem Durchschnitt und feiner Durchhohrung (Stargardt, Kreis Guben; Vorberg, Kreis Calau). Letztere waren wohl zum Anhängen bestimmt oder wurden am Gürtel getragen. Ein grosser wetzsteinartiger, 30 cm langer, auf einer Seite abgeschrägter Stein von graublauer Farbe ist aus dem Gröschkenberg erhalten. Reste von Mühlsteinen sind in Stargardt, Niemitzsch, Werderthörscher Burgwall (Kreis Guben), Ragow (Kreis Calau) und Weissagk (Kreis Luckau) zu Tage gekommen. Ein Spinnwirtel aus Stein, ein anderer aus Sandstein (wenn nicht aus feinem Thon) sind auf dem Burglehn bei Steinkirchen (Kreis Lübben) gefunden worden. Ein polirtes Feuersteinstück (Pfeilspitze?) stammt aus dem Freesdorfer Borchelt bei Luckau, aus dem Burgwall im Torfmoor bei Neuzelle (Kreis Guben) 2 vielleicht bearbeitete Feuersteine. Ein durchbohrter, unregelmässiger Feuerstein (Netzbeschwerer oder Spinnwirtel?) ist in Stargardt gewonnen. Ebendaselbst hat der Verfasser erst in diesem Sommer eine kleine rundliche und in Niemitzsch eine grössere flache Bernsteinperle mit rechteckigem Querdurchschnitt gefunden. Als Schmuckgegenstand ist wohl auch eine durchbohrte Muschel aus dem Freesdorfer Borchelt bei Luckau aufzufassen.

Während Bronzesachen in den slavischen Wällen bis jetzt völlig fehlen, ist das Eisengeräth zahlreich vertreten. Dasselbe hat jedoch erst in den letzten Zeiten genügende Beachtung gefunden.

Pfeilspitzen haben sich in Stargard (2 bolzenförmige mit vierkantiger Spitze), Niemitzsch (1 kurz und flach, 1 länger mit Widerhaken), Zahsow und im Burglehn bei Steinkirchen gefunden, für eine spätere Periode hat der Schlossberg bei Cottbus eine grössere Zahl meist in bolzenförmiger Gestalt ergeben. Den Uebergang zum Speer bildet nach Form und Grösse eine weidenblattartige


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Spitze mit heraustretender Längsrippe vom Gröschkenberge, Kreis Calau. Piken sind aus Stargardt und aus Niemitzsch bekannt; Lanzenspitzen aus Burg und Stargardt. Das in letzterem Burgwall gefundene Ortband (das fast sporenförmige untere Schlussstück einer Degenscheide) und zwei aus Niemitzsch und Buderose stammende Beile mit dünner Platte zeigen, wie sparsam man mit dem Metall umging. Ein stabförmiger Schildbeschlag ist aus dem Werderthor-Burgwall von Guben bekannt; Hufeisen aus Niemitzsch, Burglehn bei Steinkirchen, Wenzelsburg-Neuzelle (mit kantig zugespitzten Stollen); Trensen aus Burg und Stargardt; ein eiserner Keil aus dem Burglehn bei Steinkirchen. Beschlagplatten, Schwertknäufe, Eimerbügel, Gabeln, Haken, ein länglich rechteckiger Feuerstahl sind im heiligen Lande von Niemitzsch ausgegraben worden. Einzelne Sporen verschiedener Gestalt und Grösse stammen ebendaher und aus dem Burglehn bei Steinkirchen, Messer sind in Stargardt, Barzlin und Niemitzsch gefunden, in Vorberg ein dünnes eigenthümlich geformtes Geräth (Schabemesser ?).

Auf eine spätere Benutzung des Niemitzscher Walles weist vielleicht ein unförmiger Schlüssel.

Diese Funde geben uns ein Bild von dem Leben der Slaven in den Wällen. Eng aneinander gerückt stehen die Wohnungen und Ställe. Sie sind aus dem vergänglichsten Material hergestellt. Ueber einem viereckigen Raum dicht an die Steinschüttung des Wallkernes gedrückt erheben sich Stangenhölzer nahe bei einander. Von aussen ist an sie dicker Lehm und Rasen gepresst, auf der Innenseite schützt Moos gegen die Unbilden der Witterung. Felle von erlegtem Wild, roh geflochtene Matten, welche mit dem Horn- und Knochen-Geräth hergestellt sind, nebst Heu und Stroh sind auf dem Boden ausgebreitet und dienen als Lager. Der geringe Viehbestand läuft frei in der Umwallung umher, unter ihm findet sich vereinzelt ein Pferd. Die Ansiedler gehen in dürftiger Kleidung: einfaches Gewebe und Felle schützen den Körper. Der Heerd ist vielleicht der Feuersgefahr wegen ausserhalb der Wohnung, oft wohl in der Mitte des Kessels allen Bewohnern gemeinsam. Auf ihm wird die ärmliche Mahlzeit bereitet: Hülsenfrüchte wechseln mit erlegtem Wildpret, dazu kommen noch Fische. Weit ausgespannte Netze auf der Krone des Walles deuten auf die Lieblingsbeschäftigung der slavischen Bevölkerung. Durfte man jedoch in unsicheren Zelten kein Feuer anzuzünden wagen, da der aufsteigende Rauch den Aufenthalt der


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Flüchtlinge verrathen konnte, so war man auf das aus grob geschrotenem Getreide gebackene Brot und auf die Verpflegung, wie sie der geringe Besitzstand an Vieh bot, z. B. Milch u. s. w. angewiesen. Denkt man sich noch die Umgebung eines weiten, mit kalten Nebeln angefüllten Eisenbruchs oder Torfmoores hinzu, so kann man sich eines trostlos schauerlichen Eindruckes nicht erwehren.


Die Erbauer der Wälle.

Den entscheidenden Schritt zur Beantwortung dieser Frage hat Prof. Virchow durch seine Untersuchungen gethan. Seit 1872 prüfte er bekannte slavische Ansiedlungen, deren Benutzung und Zerstörung in historischer Zeit beglaubigt ist, z. B. Arkona und Garz auf Rügen, Wollin in Pommern, Alt-Lübeck u. a. Er ermittelte hier bestimmte, den Slaven eigenthümliche Gefässformen und Verzierungen, die den in unseren Wällen gefundenen Resten so ähnlich sind, dass für beide auf annähernd gleichen Ursprung zu schliessen ist. Hatte man früher die Gräberfelder für wendischen, die Wälle für späten deutschen Ursprungs erklärt, so hatte sich durch diese Untersuchung gerade das Gegentheil als wahr erwiesen. Hiernach sind die Anlagen die Werke des etwa im 6. Jahrhundert n. Chr. eindringenden Volkes der Slaven. Eine ungeahnte Bestätigung erfuhr diese Behauptung durch eine 1882 veröffentlichte Notiz aus dem Reisebericht eines arabischen Juden Ibrabim Ibn Jakub vom Jahre 973.

Einfügung: Theile des Reiseberichts dieses jüdischen Kaufmanns sind über die Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde Bd. 45 (1880) S. 3-20 über den Dokumentenserver der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern der UB Rostock online zugänglich. (Link: http://mvdok.lbmv.de/mjbrenderer?id=mvdok_document_00002820#b045_yb01_art01

Einfügung: Über den ULB-Server der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf ist  ein dort eingescanntes Buch von Georg Jacob (1927) unter dem Link: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-20154 zugänglich: „Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert.“ Die Einleitung gibt eine umfassende Übersicht zu weiteren arabische Quellen dieses Zeitraumes zum frühmittelalterlichen Leben in Mitteleuropa.

Einfügung: Link https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a119995.pdf
Gertraud Eva Schrage: Die Niederlausitzer Besitzungen des Klosters Nienburg an der Saale. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte im Buch -
Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Eine Bestandsaufnahme aktueller Forschungen zur Germania Slavica. Herausgegeben von Christian Lübke. S. 241-255. 1998. Franz Steiner Verlag Stuttgart.
Bei den Schenkungen Ottos III. und Heinrichs II. an die Reichsabtei Nienburg an der Saale in den Jahren 1000 und 1004 nahm u. a. das an der Neiße gelegene Niempsi, deutsch Niemitzsch (heute Polanowice) eine Schlüsselstellung an der Grenze zu Polen ein.


Er beschreibt die Herstellung einer Erdschanze im westlichen Wendenlande in einer Weise, die ganz der Anlage unserer Wälle entspricht. Auch Jelinek (Schutz- und Wehrbauten aus der vorgeschichtlichen Zeit, Prag 1885) giebt bei einzelnen Wällen Böhmens historisch beglaubigte Nachrichten.

Allein daraus zu schliessen, dass alle Erdbauten ohne Ausnahme den Slaven angehören, wäre ebenso falsch wie die frühere Behauptung, dass sie einer späteren Periode zuzuweisen sind. Auch hier liegt das Richtige in der Mitte. Während Wagner und Schuster alle Wälle für germanisch hielten, hatte schon Preusker mit einem für seine Zeit und für die damaligen Fundergebnisse geltenen Scharfblick das Wahre erkannt.

Wohl ist die Mehrzahl unserer Wälle slavisch, aber einzelne verdanken unzweifelhaft, wie die Funde bezeugen, ihre Entstehung einem anderen Volke, das vor den Slaven hier wohnte,


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und es ist zu erwarten, dass bei gründlicher Untersuchung noch andere Anlagen mit vorslavischen Einschlüssen sich finden. Ist doch in den letzten Jahren seit der im ersten Heft der Niederlausitzer Mittheilungen für Anthropologie und Urgeschichte (1885. S. 19 u. 20) durch Dr. H. Jentsch erfolgten Zusammenstellung die Zahl der Wälle mit vorslavischen Resten auf 14 gestiegen. Ich lasse dieselben hier noch einmal folgen:

Kreis Sorau: Sablath.
Kreis Guben: Starzeddel, Niemitzsch.
Kreis Cottbus: Burg, Brahmo, Zahsow, Ruben.
Kreis Lübben: Stockshof.
Kreis Calau: Barzlin , Gröschkenberg, Schönfeld, Senftenberg.
Kreis Luckau: Gossmar, Schönwalde.

Auch ausserhalb der Nieder-Lausitz finden sich Burgwälle mit Ueberresten verschiedener Art, z. B. Wollstein (Berl. Vhdl. 1875, S. 10), Schlieben, Prov. Sachsen, Bukowize und Rivnak in Böhmen u. s. w.

Zu welcher Zeit die vorslavische Bevölkerung diese Wälle erbaute, ist genauer kaum festzustellen. Eine Andeutung geben die den vorslavischen Burgwallscherben ähnlichen Gefässe aus den Gräbern des Lausitzer Typus. Letztere und ihre metallenen Beigaben (Bronze) zeigen die Verwandtschaft mit der sogenannten Hallstattperiode, welche mit ihrer Blüthe etwa in die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrtausends fällt. Von Scherben- oder Eisen-Funden aus der vorslavischen Schicht, die in die spätere, sogenannte La Tène-Periode zu verweisen wären, ist bis jetzt nichts bekannt geworden. Daher ist, bis genauere Untersuchungen in dieser Angelegenheit stattgefunden haben, die Annahme nicht unberechtigt, dass die Wälle in der zuletzt genannten Periode entweder noch von Leuten, die von der neuen Cultureinströmung nicht berührt waren, benutzt wurden oder dass sie bis zum Eindringen der Slaven keine Verwendung fanden, weil vielleicht in dieser Zeit einzelne Gegenden überhaupt verlassen waren.

Die Mehrzahl der Wälle gehört, wie gesagt, den Slaven an. Wann sie erbaut wurden, ist nicht zu entscheiden. Dass die Errichtung aller Schanzen sofort nach der Einnahme des Landes erfolgte, ist kaum anzunehmen. Vielmehr ist dies wohl ganz allmählich gesehehen, vielleicht zugleich mit dem Vordringen von Osten her. Noch mehr hat die Annahme für sich, dass erst im


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Laufe der Jahrhunderte sich durch Stammesfehden und feindliche Angriffe die Nothwendigkeit zur Errichtung solcher Erdbauten herausstellte. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass einzelne Wälle auch noch zur Zeit der Kämpfe mit den Deutschen aufgeschüttet wurden.


Der Zweck der Wälle.

Wozu dienten diese Anlagen? Darüber waren und sind noch heute die Meinungen sehr getheilt. In früheren Zeiten ordnete man ohne Weiteres alle Schanzen einem Zwecke unter. Der Major Schuster sah in ihnen eine systematische Kette von Befestigungen als beredtes Zeugniss für den kriegerischen Sinn unserer Urväter. Ganz entgegengesetzt ist z. B. die Meinung Schmalers, des bekannten früheren Wendenführers in der Ober-Lausitz. Er hielt alle diese Anlagen für befestigte Opferstätten, die zur Zeit der Einführung des Christenthums von den Anhängern des alten Glaubens gebaut wurden. Preusker vermied diese einseitige Deutung, indem er einen vermittelnden Weg einschlug. Er sieht in den Wällen theils feste Plätze und Wacht- oder Feuersignal-Posten, theils Opferorte und Grabstätten. Prof. Schönwälder (Laus. Mag. 1880, S. 342) hält sie für Strassenschanzen, „als älteste Denkmäler geordneter Strassenaufsicht“.

Von vornherein ist jede vorgefasste Meinung bei Prüfung der in Rede stehenden Frage auszuschliessen. Vielmehr ist der Weg einzuschlagen, der wohl als der sicherste erscheint, dass man jeden einzelnen Wall nach seiner natürlichen Lage und nach seinen Fundergebnissen eingehend prüft. Nur auf solche Weise ist es möglich, zur Beantwortung der Frage etwas beizutragen. Diese Prüfung ist jedoch öfter nur zur Hälfte möglich. Zuweilen ist, wie hereits bemerkt, ein Wall schon gänzlich zerstört, andere sind noch nicht eingehend genug untersucht, und die bisherigen Ergebnisse können durch weitere Funde ergänzt oder gar umgestaltet werden. Erst nach eingehender Untersuchung aller Wälle kann der weitere Schritt gethan werden, dieselben nach ihrer Aehnlichkeit zu gruppiren. Aufgabe der vorliegenden Schrift ist es, den augenblicklichen Stand der Frage nach dem vorliegenden Fundmaterial zu beleuchten.


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Die Wälle der vorslavischen Bevölkerung.

Wenden wir uns zu den Wällen mit vorslavischen Einschlüssen. Zunächst fällt die verhältnissmässig geringe Zahl derselben auf. Man könnte aus dieser Wahrnehmung einseitig auf eine hervorragende Bestimmung derselben schliessen. So ist man auf den Gedanken gekommen, in ihnen Gauheiligthümer, „heilige Haine“ zu sehen. Die Scheu vor den alten und ihrer unbekannten Bestimmung wegen geheimnissvollen Resten hat viel dazu beigetragen, diese Auffassung zu verbreiten. Allein gerade diese Ansicht findet keine Stütze. Kennen wir auch die Merkmale nicht, aus denen wir auf ein Heiligthum würden zu schliessen haben, so spricht doch, was thatsächlich gefunden ist, eher für eine andere Bestimmung.

Im Folgenden sollen die vorslavischen Wälle in der Reihenfolge von Osten nach Westen besprochen werden.

Der „Schlossberg“ von Sablath-Witzen (Berl. Vhdl. 1878, S. 312), Kreis Sorau, liegt in einem grossen ehemaligen Seebecken, in der südlichen Hälfte des Sablather Luch, mit einem Umfang von 650 Schritt. Er hat auf der Südseite einen Vorwall und auf der Westseite eine noch heute erkennbare Anfahrt. Seine Anlage erfolgte auf gespaltenen, in das Moor gesenkten Eichen. Hier sind zahlreiche Bronzesachen, Nadeln, Ringe, Lanzenspitzen, vereinzelt auch Gold und Eisen gefunden worden, ausserdem nach glaubwürdiger Aussage des Besitzers grosse (Todten ?-) Urnen mit starken Knochen. Von Lehmbewurf ist nur ein faustgrosses Stück aufgehoben worden; auch verkohltes Getreide wurde bemerkt. Im Kessel stiess man auf starke Mauern ohne Mörtel.

Die Funde lassen nicht auf einen religiösen Zweck schliessen. Bei der Lage des Walles könnte man eher an eine Vertheidigungs-Stellung denken. Mitten in einem noch heute stark wasserhaltigen Moore ist die Anlage erfolgt. Mit welcher Anstrengung, aber auch mit welchen Arbeitskräften muss man dabei zu Werke gegangen sein. Es ist daher (bei der Grösse der Umwallung) wohl möglich, und wenn man auf dem Walle steht, wird es dem Beschauer der Umgegend fast zur Gewissheit, dass hier vielleicht sämmtliche Bewohner der Ränder des Luchs mitgeholfen und sich einen Antheil an der Sicherheit, die die Umwallung bot, erworben haben. Dieser Auffassung als Vertheidigungsposten oder Zufluchtsstätte ist das Vorkommen von Knochenurnen nicht hinderlich. Es ist
Söhnel, Rundwälle


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wohl glaublich, dass in unsicheren Zeiten der Wall länger als sonst in Benutzung blieb, und dass man auf diese Weise gezwungen war, die Toten hier zu bestatten. Mehrere Begräbnissfelder mit Urnen derzelben Art liegen auf den Rändern des Luchs. -- Von den Slaven blieb er wahrscheinlich unbenutzt, erst das spätere Mittelalter scheint ihn in Kriegsnoth noch einmal aufgesucht zu haben. Dafür sprechen einzelne Scherbenfunde.

Ein anderer Wall von bedeutender Grösse mit vorslavischen Resten ist der Bâlshebbel bei Starzeddel, südlich von Guben (Berl. Vhdl. 1882, S. 355). Er liegt mitten im Thal der Lubst, die noch heute den grösseren Theil des Jahres hindurch seine Umgebung unter Wasser setzt. Er steigt an seiner höchsten Stelle noch bis zu 5 m auf und hat einen Umfang von 410 Schritt. Neben den gewöhnlichen Gefässscherben vorslavischer Wälle ist früher angeblich ein ganzes Näpfchen zu Tage gekommen.

Was an Scherben aus dem Bâlshebbel vorliegt, steht wohl im Einklang mit den Einschlüssen des Urnenfeldes Starzeddel N. (Berl. Vhdl. 1884, S. 365), wenn auch nicht alle Gefässarten dieses letzteren in dem Burgwall sich wiederfinden.

Die Annahme ist daber nicht unberechtigt, dass dieselben Leute, die auf dem Lubstrande ihre Todten begruben, auch den Wall schütteten, um hier in Gefahren aller Art Schutz zu finden.


Niemitzsch.
Preusker, Blicke in die vaterländische Vorzeit III. H. 1; Jentsch, Zeitschr. f. Ethnol. 1882, S. 112 ff. Berl. Vhdl. 1883, S. 48 ff. Gubener Gymnasial-Programm 1886.

7 km südlich von Guben liegt zwischen dem alten, schon in dem Jahre 1000 n. Chr. erwähnten Dorfe Niemitzsch und der Neisse das „heilige Land“ mit einem Umfange von ungefähr 1160 Schritt. Auf der Südseite haben etwa bis 1850 die Trümmer einer uralten Kapelle gestanden. Südlich vom Walle habe ich in einer Entfernung von 400 Schritt auf einem in sumpfiger Umgebung gelegenen Hügel einzelne Scherben gefunden: Vorwall (?).

Auf der abgestürzten Westseite sind am deutlichsten die Culturschichten zu sehen. Hier haben sich an mehreren Stellen mitten im Walle, von Steinschichtungen begrenzt, zahlreiche Trümmer von Lehm mit Stabeindrücken gefunden: offenbar der im Feuer erhärtete Bewurf eines Holzbaues. Dabei lagen Kohlenbrocken und zahlreiche Gefässtrümmer. Auch an der Ostseite


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des Walles waren vor Jahren ähnliche Reste zum Vorschein gekommen. Zunächst lässt sich nicht entscheiden, ob, die Anlage durch Zufall oder vielleicht bei feindlichem Angriff in Flammen aufging. Auf letzteres scheint der Umstand zu deuten, dass in und neben den Hausresten eine Anzahl für damalige Zeiten sehr werthvoller Broncesachen verborgen lag: ein grosser Kopfring von 18 cm Durchmesser, ein durchbrochener Armring, ein Fragment eines zweiten bandförmigen, eine schlangenförmige Nadel, eine mässig längsgewölbte Platte (vielleicht auf einem Gewande oder einer Schutzwaffe befestigt), 3 kleine Ringe, eine Knopfsichel, 7 Pfeilspitzen. In derselben Schicht lag ein Knochenmesser aus einer länglichen Rippe. Aus Stein sind folgende Geräthe aufgehoben: ein Getreidequetscher, zwei Steinhämmer, Steine zum Glätten und Schärfen, ferner einzelne thönerne Spinnwirtel. Die grösseren Sachen wären bei einem zufälligen Brandunglück wohl kaum vom Besitzer im Schutt zurückgelassen worden.

Die Ausgrabungen der ersten Tage des October d. J. haben nach dieser Seite hin weitere interessante Resultate ergeben. In derselben Höhe wie die vorhin erwähnten Wohnungstrümmer, von diesen ungefähr 30 Schritt nach Süden zu entfernt wurden auf der abgestürzten Westseite wieder die Reste eines Baues entdeckt. Hier fanden sich innerhalb desselben ungefähr 14 Webesteine von ca. 20 cm Höhe (einige darunter wohlerhalten). Ausserordentlich zahlreiche (wohl über 100) Scherben zeigten das überraschende Resultat, dass sie nur zu ungefähr 9 Gefässen sich zusammensetzen liessen: ein Beweis, wie wenig man aus der grossen Zahl der Gefässtrümmer in unseren Wällen schliessen darf. -- Die Festigkeit und Sorgfalt des Baues, die grosse Zahl von Arbeits- und Haus-Geräth *) ist der Annahme günstig, dass wir es mit einer (wenn auch nur für längere Zeit) ständigen Wohnung zu thun haben. Ob und in welchem Zusammenhang die damaligen Ansiedler mit dem etwa 800 Schritt entfernten Urnenfelde auf dem Finkenheerde standen, auf welchem ähnliche Gefässe blosgelegt sind, will der Verfasser nicht entscheiden.

Unter sowohl wie über den beschriebenen Wohnungstrümmern bis zu den slavischen Schichten fanden sich Scherben und Kohlenbrocken
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*) Die beschriebenen Funde sind in der Gubener Gymnasial-Sammlung als Geschenke des Gutsbesitzers Brumme-Pötschke zu Niemitzsch niedergelegt.


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mit Asche: wohl Spuren einer mehrmaligen, allerdings nur kurzen, gelegentlichen Benutzung.

Fassen wir zusammen, so ergiebt sich Folgendes: Der Wall, wohl gegen die dicht vorbeifliessende Neisse mit ihrem Hochwasser geschüttet, bot anfangs lange Zeit vorübergehenden Aufenthalt, dann eine (vielleicht längere) Periode hindurch ständigen Wohnsitz, nach dessen Zerstörung der Platz wieder nur in Gefahren aller Art als Zufluchtsstätte aufgesucht wurde.


Burg.
Berl. Vhdl. 1872, S. 235; 1880, S. 144; Virchow u. Schulenburg, der Spreewald und der Schlossberg von Burg. 1880; Berl. Vhdl 1882, S. 419; 1883, S. 246; Anthropolog. Correspondenzbl. 1884, S. 160.


Einfügung: Der Schloßberg von Burg (800-500 v. Chr.)
Der sagenumworbene Schloßberg bei Burg ist die größte urgeschichtliche Wehranlage der Niederlausitz und beeindruckt noch heute mit seiner Lage über der umgebenden Niederung.
Auf einer natürlichen Talsandinsel bestand zunächst eine unbefestigte Siedlung der jüngeren Bronzezeit. Spätestens in der frühen Eisenzeit wurde die Siedlung mit einem Wall umgeben. Ungewöhnlich reiche und seltene Funde aus der Umgebung des Burger Schloßberges sind bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Der berühmte Vogelwagen von Burg, kleine bronzene Votivwagen, lassen an ein religiöses Zentrum auf dem Schloßberg denken. Die Burger Wehranlage hatte zudem strategische Bedeutung. Hier ließ sich der Übergang durch die Spreewaldniederung kontrollieren.
Schon früh wurde die Urgeschichtsforschung auf den Schloßberg aufmerksam. Der Beginn der Forschungen ist mit Namen wie Rudolf Virchow und Alfred Götze verbunden.


Ein vierter Wall mit vorslavischen Einschlüssen ist der Schlossberg von Burg, Kreis Cottbus, auch dadurch bemerkenswerth, dass er nie mit dem Namen einer Schwedenschanze *) belegt wurde. Zahlreiche Sagen knüpfen sich an ihn. Man ist daher leicht versucht, ihn als einen heiligen, Cultuszwecken geweihten Ort zu bezeichnen. Nimmt man zu diesen Sagen noch seine abgeschiedene Lage, so hat diese Annahme manches für sich, und es ist nicht zu verwundern, dass dieselbe begeisterte Anhänger hat. Aber die Sagen erscheinen nicht als ausreichendes Beweismaterial, sie geben im günstigsten Falle einen Fingerzeig, und auch der ist bei dem Schlossberge nur mit Vorsicht zu benutzen. So bleibt auch hier nur übrig, sich an die Einschlüsse zu halten. Allein bis jetzt ist noch nichts gefunden worden, was für einen religiösen Zweck spräche.



Einfügung: Bronzewagen von Burg

Die in der Nähe ausgegrabenen Broncewagen mögen Cultuszwecken gedient haben, sind aber bei Beantwortung der Frage nach der Bedeutung dieser Anlage vorläufig ohne Belang. Als sehr bemerkenswerth kommt ein neues Moment hinzu, welches bei diesem Walle zuerst beobachtet worden ist. Es sind hier nämlich nach unzweifelhaft sicheren Nachrichten vor ungefähr 30 Jahren grosse Mengen von wirklichen Todtenurnen im Steinsatz mit zahlreichen Beigefässen ausgegraben worden. Wegen oder vielleicht trotz dieser Funde noch an der Heiligkeit des Platzes festzuhalten, bleibt Jedem überlassen. Allein die Gräber auf besonders bevorzugte Personen (z. B. Priester) zurückzuführen,
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*) wie überhaupt kein Wall mit vorslavischen Schichten, soweit bis jetzt bekannt ist.


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ist bei der ausdrücklich bezeugten grossen Masse von Gefässen mit Leichenbrand nicht geboten, in jedem Falle gewagt; andererseits die Bestattung auf diesem Berge dadurch zu erklären, dass auch in und bei christlichen Kirchen begraben wurde, heisst christliche Verhältnisse zu einem Brauche der Vorzeit stempeln und ist entschieden abzuweisen.

Leider ist es bei den mannigfachen Umwandlungen und Veränderungen, die der Schlossberg im Laufe der Zeiten erfahren hat, wohl kaum noch möglich, alle Culturschichten auseinander zu halten, namentlich aber den Standort der Todtenurnen und ihre Umgebung festzustellen.

Zu diesen Funden kommen noch schwammartig ausgebrannte Scherben, die zusammengeschmolzen doppelt übereinander liegen. Sie stammen angeblich von der südlichen Erhöhung des Berges. Ebendaselbst sind geschwärzte Ziegel beobachtet. -- Die sonstigen Ergebnisse bestehen in Steinbeilen, Bronzen, Goldsachen, Spinnwirteln, Webegewichten, Scherben von Töpfen mit angelegten Wülsten, Schüsseln, Henkelschalen u. a.

Nach den Funden ist es wohl sicher, dass der Schlossberg lange Zeit in Benutzung war. Als Insel in dem wasserreichen Spreewalde aufragend, musste er die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und es ist kaum zu zweifeln, dass er in dieser Gegend am frühesten von Menschen betreten worden ist. Er musste wegen seiner Abgeschlossenheit, der Unzugänglichkeit seiner Umgebung und seiner Erhebung mitten aus sumpfigem Terrain einen ebenso sicheren wie festen Wohnsitz bieten. Die natürliche inselartige Sanddüne wurde nach und nach mit Schichten, die mit Resten früherer Ansiedlungen bedeckt und durchsetzt waren, vielleicht des Hochwassers wegen erhöht. Ob die Niederlassungen nur vorübergehend oder dauernder waren, lässt sich aus dem gefundenen Arbeitsgeräth (Steinhämmer, Spinnwirtel, Webegewichte) nicht entscheiden. Auch die schon erwähnte Nachricht von einer durch Feuer zerstörten Ansiedlung ist bei ihrer Unsicherheit kein Beweismittel. Für einen ständigen Wohnsitz scheint vorläufig nur der innerhalb der Culturschichten angelegte Begräbnissplatz zu sprechen. Ob die Bevölkerung dazu bloss einen Theil des Berges benutzte und neben dem Urnenfriedhofe weiter wohnte, lässt sich nicht feststellen, ist aber bei den colossalen Dimensionen des Walles denkbar. Vielleicht war später durch die noch jetzt andauernde Aenderung in dem Wasserstande der Spree den Ansiedlern die Möglichkeit gegeben, niedrigere


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Punkte aufzusuchen und dann den frei gewordenen Berg als Begräbnissplatz zu gebrauchen. Da von den Leichenurnen nichts erhalten ist, ist eine nähere Bestimmung unmöglich. Das vorhandene Scherbenmaterial bietet indessen Beziehungen. Südlich vom Schlossberge liegt auf dem Lutgenberge ein vorslavisches Gräberfeld, dessen Gefässreste mit einzelnen Scherben des Walles ganz übereinstimmen. Man wird daher nicht umhin können, beide Fundorte in eine gewisse Beziehung zu bringen, so zwar, dass die Bewohner der Wallanlage hier ihre Todten begruben. Ueber das zeitliche Verhältniss dieses Urnenfeldes zu dem auf dem Schlossberg aufgedeckten ist nichts festzustellen.

Die Bedeutung des Walles lag sowohl in seiner Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit, als auch in seiner Grösse und Geräumigkeit. Er diente ebenso zur Vertheidigung gegen feindliche Angriffe wie zur Beherrschung des ganzen Flussgebietes. Er gewährte einer grossen Menschenmenge Schutz und Sicherheit und wurde vielleicht in Zeiten der Noth auch von den Bewohnern der ganzen Spreewaldniederung als Zufluchtsstätte aufgesucht.


Brahmo.
Berl. Vhdl. 1883, S. 55; Niederl. Mitth. Heft II., S. 77.

Südlich vom Schlossberge von Burg liegt am Rande des Spreewaldes zwischen den Dörfern Babow und Brahmo der Brahmoer Schlossberg. Auch an ihn knüpfen sich mannigfache Sagen. Der Wall enthält zahlreiche vorslavische Gefässtrümmer, auch Steinpackungen wurden beobachtet (ohne genauere Angabe). Angeblich sind hier 2 bronzene Ringe gefunden worden. Mitten auf dem Schlossberg soll ein „Reiter mit seinem Pferde“ begraben liegen.-- Gegen Mittag und Abend sind in der Niederung am Berg nach einer Mittheilung von Schulenburg's Knochenurnen und ringsherum Kohle und Stein gefunden. Unter einer war ein Feuerheerd mit Holzkohlen. -- Bis weitere Untersuchungen namentlich über die Aehnlichkeit der Einschlüsse beider Fundorte angestellt sind, ist es angebracht, mit Vermuthungen, die sich auf nichts Bestimmtes gründen, zurückzuhalten.


Zahsow.
Cottbus, Gymn.-Progr. 1859, S. 30; Berl. Vhdl.1875, S. 127; Niederl. Mitth. Heft II. S. 77.

Nordwestlich von Cottbus liegt mitten in einem alten Seebecken


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der Zahsower Burgwall. Er wurde im Jahre 1875 von Prof. Virchow untersucht, und hier wurde als Grundlage für die Anlage ein Pfahlrost constatirt. Ausser zahlreichen slavischen Scherben waren die Hälfte eines Steinhammers und ein starker Metallring (Bronze) früher aufgesammelt worden: Stücke, die damals mit ihrer Umgebung absolut nicht übereinstimmten. Im zweiten Heft der Niederlausitzer Mittheilungen für Anthropologie und Urgeschichte veröffentlicht jedoch v. Schulenburg die Notiz, dass er auf dieser Schanze auch vorslavische Scherben gefunden hat. Ob dieselben Aehnlichkeit haben mit den Gefässen des benachbarten Urnenfeldes von Kolkwitz, ist noch nicht festgestellt.

Die Funde sind zu gering, als dass man aus ihnen etwas schliessen dürfte. Ihrer Lage nach würde die Schanze als Zufluchtsstätte aufzufassen sein.


Stockshof, Kreis Lübben.
Berl. Vhdl. 1883, S. 290.

Nordwestlich von Lieberose liegt neben der Stockshof genannten Försterei ein mit Waldbäumen bestandener Burgwall, „das alte Schloss“. Er ist auf 3 Seiten von fliessendem Wasser und breiten, morastigen Wiesen umschlossen. Nur an einer Seite hängt er mit dem festen Lande zusammen.

Aus vorslavischer Zeit sind gefunden worden: die Stücke eines geschliffenen Steinhammers mit Spuren des Stiellochs, ferner Feuersteinsplitter und Trümmer von zierlichen Beigefässen, sowie von einem Henkelgefäss mit triangulären Strichsystemen.

Weitere Untersuchungen sind abzuwarten.


Barzlin, Kreis Calau.
Berl. Vhdl. 1880, S. 148.

Entsprechend dem Schlossberge von Burg an der Spree ist stromabwärts im westlichen Theile des Spreewaldes ein zweiter Wall von der vorslawischen Bevölkerung angelegt worden: der Barzlin. Wie der Schlossberg von Burg ist er auf einer dünenartigen Insel der Spree errichtet. Ausser grossen Massen von Scherben aller Art, u. a. von einem Kännchen, Henkelschalen, einer durchbohrten Scheibe sind mehrere bronzene Hohlkelte und ein nicht mehr zu bestimmender Eisenfund zu Tage gekommen,


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Ausserdem 2 Spinnwirtel (1 aus Thon, 1 aus Sandstein) und grosse Klumpen gebrannten, mit Sumpfpflanzen durchkneteten Lehms. Kreisrunde Scherben (S. 10) bot auch die untere Schicht.

Es ist nicht unwahrscheinlieh, dass der Barzlin schon von Alters her in Benutzung war. Ob er ständig bewohnt oder nur vorübergehend aufgesucht wurde, lässt sich nicht entscheiden. Gegen ersteres scheint die Thatsache zu sprechen, dass man bis jetzt noch kein Urnenfeld mit vorslavischen Einschlüssen in seiner Nähe entdeckt hat. Als Zufluchtsstätte bot er in Gefahren aller Art grosse Sicherheit. Vollständig abgelegen, noch heute nur zu Kahn erreichbar, hat er sich bis auf die Neuzeit den Augen der Forscher und Spreewaldbesucher entzogen. --  Daraus dass der Wall einen eigenen Namen hat, darf man schliessen, dass er bis zur Zeit der beginnenden Namenbildung in Benutzung war.


Gröschkenberg bei Gr. Mehssow, Kreis Calau.
Berl. Vhdl. 1883, S. 356, 422; 1884, S. 252.

Der Burgwall, zum grossen Theile zerstört, liegt südlich von Gross-Mehssow an der Strasse nach Radensdorf und wird heute als Friedhof benutzt. Noch fast ganz erhalten ist der südliche Theil in einer Höhe von 15 bis 20 Fuss. Ausser zahlreichen vorslavischen Gefässtrümmern (z. B. Henkelstücken) sind auch schwammig aufgetriebene Scherben beobachtet worden. Aus demselben Walle stammt eine bronzene Lanzenspitze. Heerdstellen mit Asche und Kohlen kommen öfter zum Vorschein. Bei der gründlichen Umarbeitung und Zerstörung des grössten Theiles des Walles und wegen der jetzigen Verwendung ist eine planmässige Durchforschung kaum noch möglich.


Senftenberg, Kreis Calau.

In der Elsterniederung bei Senftenberg zwischen Buchwalde und Reppist liegt ein Wall 1½ Meter hoch und 300 Schritt im Durchmesser, welcher den Namen „das alte Schloss“ führt. Im Westen hat er einen kleinen Vorwall. Aus dem Platze stammen einzelne Henkelstücke und Scherben mit herumlaufenden Wülsten und Fingereindrücken.

Nach ihrer Lage in sumpfiger Umgebung könnte die Umwallung als Zufluchtsstätte aufzufassen sein.


Einfügung: Das Alte Schloß bei Senftenberg (600-500 v. Chr.)
Die früheisenzeitliche Burg „Altes Schloß“ in der Elsterniederung bei Senftenberg wurde 1931 bis 1933 vor den Baggern des Tagebaus Ilse-Ost ausgegraben. Die Ausgrabungen leitete der damals bereits hochbetagte Alfred Götze. Dabei handelte es sich um die erste zielgerichtete Ausgrabung in einem Tagebau. Diese großflächige archäologische Untersuchung vor bereits 70 Jahren war zudem die bislang einzige vollständige Ausgrabung einer Burg der Lausitzer Kultur in Deutschland. Vergleichbar ist die komplett ausgegrabene und rekonstruierte Burganlage von Biskupin in Polen (Link: https://www.polish-online.com/polen/staedte/biskupin.php)
Die zweiphasige Anlage war von einem Holz-Erde-Wall, durch den ein Zangentor führte, umgeben. Der Innenhof war dicht mit regelmäßig angeordneten Häusern belegt. Die Wasserversorgung erfolgte durch Röhrenbrunnen. Bei der Ausgrabung noch hervorragend erhaltene und geborgene Hölzer ermöglichten eine dendrochronologische Datierung des Burgbaus um/nach 625 v. Chr.


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Gossmar, Kreis Luckau.
Berl. Vhdl. 1878, S. 290; 1879, S. 342; 1882, S. 419.

In dem Torfmoor südlich von Luckau liegen auf einer natürlichen Bodenerhebung die Reste des Gossmarer Burgwalles. Im Centrum sowie auf seiner Innenseite fanden sich Steinpflasterungen und Herdstellen. Ausserdem sind hier Knochen, mit Henkeln versehene Thongefässe und angeblich auch Bronzesachen zu Tage gekommen. Zu dem Walle, der jetzt vollständig zerstört ist, führte ein durch Reihen scharf zugespitzter, in das Moor getriebener Pfähle bezeichneter Pfad.

Mit Recht kann man wohl die Anlage als einen Sicherheitsposten auffassen. Mitten in einem unzugänglichen Moor, für die Insassen nur schwer, Fremden gar nicht erreichbar, bot die Schanze in unsicherer Zeit vollständige Sicherheit. -- Vielleicht ist die Anlage zu mehreren am Rande des Moores gelegenen Urnenfeldern in Beziehung zu setzen.

Auch bei einigen anderen Wällen sind vorslavische Reste aufgesammelt worden: Ruben *) Kreis Cottbus, Schönfeld **) Kreis Calau, Schönwalde Kreis Luckau (Richtung auf Ossagk, ganz erhalten ausser Scherben ein silberner Ring). Genauere Untersuchungen stehen jedoch noch aus.

Fassen wir das Resultat der bisherigen Untersuchnngen zusammen, so ergiebt sich für die vorslavischen Ringwälle Folgendes: Der grössere Theil sind Zufluchtsstätten, besonders wohl die in Sümpfen oder im Inundiationsgebiet von Flüssen angelegten; manche sind ausserdem, wenn auch nur eine Zeit hindurch, ständige Wohnplätze gewesen.

Gegen diese Auffassung werden scheinbar nicht unberechtigt namentlich folgende Gründe angeführt: die geringe Zahl der Wälle und ihre der Stärke der vorslavischen Bevölkerung nicht entsprechende Grösse.

In der That hat es etwas Befremdendes, dass auf ein Gebiet von rund 125 Quadratmeilen nur 14 vorslavische Wälle kommen. Ist auch anzunehmen, dass mancher unserer Borchelte, der heute noch für rein slavisch gilt, eine vorslavische Grundlage aufweisen wird, so würde sich vielleicht die Zahl auf 20 oder 25 erhöhen;
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*) Schulenburg: Niederl. Mittheil. H. II, S. 77.
**) Siehe: Vorgeschichtliches a. d. Niederlausitz, S. 43.


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aber selbst diese Zahl würde keine Veränderung im Grossen und Ganzen an der augenscheinlich befremdenden Thatsache herbeiführen. Dazu führt man an, dass unsere Urnenfelder eine grosse Bevölkerung anzudeuten scheinen. Vergegenwärtigen wir uns aber die damalige Bodenbeschaffenbheit der Nieder-Lausitz. Fast undurchdringliche, dicht bewachsene Sümpfe (wie der Spreewald, die weiten Torfmoore bei Eichow, Luckau, Peitz, Guben und die breiten Flussniederungen) wechselten mit dünenartigen Erhebungen, und auch hier boten grosse Wälder keine einladende Wohnstätte. Der südliche Theil der Landschaft, auch der nördliche Theil des Gubener Kreises trägt einen wesentlich anderen Charakter, indem in reicher Abwechslung breite Höhenzüge parallel dem Lausitzer Gebirge das Land durchlaufen. Hier legte die Natur der Anlage von Wohnstätten keine Hindernisse in den Weg, vielmehr musste sie gerade die Völker zum Verweilen einladen. Andererseits gewährten die Höhen Zuflucht und Sicherheit genug: nicht so die nur flachen, dünenartigen Erhebungen des nördlichen Theiles der Landschaft. Hier mussten die Bewohner zu ihrem Schutze zu anderen Hilfsmitteln, die die Natur bot, greifen. Sie zogen sich in Gefahren aller Art in die Sümpfe zurück und bauten hier mit fast übermenschlicher Mühe Stätten, die ihnen eine Zuflucht, wenn auch nur auf kurze Zeit, gewähren konnten.

Allein, wirft man ein, konnten diese Wälle von geringer Grösse einem Volksstamm, der nach landläufiger Ansicht sehr stark war, genügen? Abgesehen davon, dass man in der Noth gern auf bequemes Wohnen verzichtet, ist es in der That der Fall, dass manche Wälle nur einer geringen Zahl von Wirthschaften Platz gewähren konnten. Man wird dadurch zu der Annahme gedrängt, dass die Bevölkerung (wenigstens in unserer Gegend) nicht so stark war als man gewöhnlich annimmt. Die angeblich grosse Zahl der Urnenfelder spricht nicht nur nicht gegen unsere Annahme, sondern zeigt dies ganz deutlich. Nur muss man sich daran gewöhnen, aus einem Begräbnissplatze nicht die Gesammtzahl der Gefässe, sondern allein die Leichenurnen herauszuzählen. Ausserdem muss man in Betracht ziehen, dass eine Gräberstätte mehrere Generationen hindurch im Gebrauch war, wie aus der Verschiedenheit der Gefässe und sonstiger Funde ersichtlich ist. Nimmt man noch hinzu, dass die Friedhöfe, welche in der Nähe derselben Ortschaft liegen, nicht selten verschiedenen Perioden angehören, so wird man daraus wohl ersehen


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können, dass die Bevölkerungszahl in unserer Gegend nicht übergross war.


Einfügung: Den Begriff „Lausitzer Typus“ prägte 1872 der Berliner Arzt, Ethnologe und Prähistoriker Rudolf Virchow. Die Ausgrabungen Virchows in bronzezeitlichen Gräberfeldern und Burgen der Niederlausitz erbrachten auffällig zahlreich eine typische Keramik, Anlass genug, die Kultur nach der Landschaft zu benennen.
Lausitzer Kultur (Bronze- und frühe Eisenzeit)
Die Lausitzer Kultur prägt vom 14. bis zum 4. Jahrhundert das östliche Mitteleuropa, sie reicht von der Bronze- bis in die frühe Eisenzeit. Sie ist die bei weitem fundreichste und dadurch auffälligste urgeschichtliche Epoche der Niederlausitz.
Gemeinsam sind dieser weiträumig verbreiteten Kultur Burgen, Bandgräberfriedhöfe mit zahlreichen Gefäßbeigaben, einzelne bronzene Schmuck- und Waffenformen sowie eine charakteristische Keramik, die trotz verbindender Kriterien auch lokale Gruppen unterscheiden lässt. Kultischen Handlungen kommt eine wichtige Rolle zu. Dies zeigen unter anderem Bronzedepots, die zugleich die Wertschätzung dieses Materials belegen. Dieser Werkstoff war sicher ein Grund für die Herausbildung gesellschaftlicher Eliten, für deren Existenz reiche Grabausstattungen sprechen.
Die Lausitzer Kultur ist nicht die erste bronzezeitliche Gruppe, die wir in der Niederlausitz kennen. Bereits zu Beginn der Bronzezeit siedeln hier Angehörige der Aunjetitzer Kultur. Dank der systematischen Erkundungen im Tagebau Jänschwalde gelang es in den letzten Jahren, einige Siedlungen freizulegen, die das zuvor von Gräben und Hortfunden bestimmte Bild komplettieren.

Mitteleuropa zur Frühen Bronzezeit Mitteleuropa zur Zeit der Hügelgräberkultur mit den wichtigsten Regionalgruppen Mitteleuropa zur Zeit der Urnenfelderkultur
   


Der Handel mit Bronze führt zu kulturellen Verbindungen zwischen verschiedenen Regionen des heutigen Europas. Auch die Niederlausitz war in ein Netz europaweiter Kontakte vom Mittelmeer bis nach Skandinavien eingebunden, die bis in die Eisenzeit andauern.


Die Wälle der slavischen Bevölkerung.

Die im Vorigen besprochenen Rundwälle fanden die Slaven vor, als sie etwa im 6. Jahrhundert in die von der alten Bevölkerung zum grössten Theile verlassenen Landstriche der Nieder-Lausitz eindrangen. Auffallend ist es, dass zwei Schanzen (Gossmar und Sablath) keine Spur einer Benutzung durch die Zuzügler zeigen: vielleicht ist dieselbe mit Abtragung der oberen Schichten verwischt worden. Allein bis jetzt ist auch in der Umgebung der Wälle und auf den durch die Aufschüttung erhöhten Feldern und Wiesen kein slavischer Scherben oder ein anderer Gegenstand, der in jene Zeit fiele, gefunden worden. Man muss desshalb die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass diese zwei Anlagen von den Eindringlingen nicht in Benutzung genommen worden sind. Aus welchem Grunde dies unterblieb, ist wohl kaum noch festzustellen.

Die anderen 12 Wälle der vorslavischen Bevölkerung wurden, wenn auch wohl nicht zu gleicher Zeit, von den Fremden in Besitz genommen. Ob diese Besetzung gewaltsam oder durch allmähliche Verdrängung der alten Insassen erfolgte, ist aus dem gegenwärtigen Zustande und den Einschlüssen der Anlagen nicht zu erkennen. Beim heiligen Lande von Niemitzsch fanden sich ziemlich in der Mitte der Wallkrone Kohlenstücke von starken Hölzern mit vorslavischen Scherben, darüber und auch daneben Steine mit slavischen Gefässtrümmern. Es ist daraus ersichtlich, dass die neue Bevölkerung ihre Wohnplätze theilweise in die alten Culturschichten hineinverlegte. Die Verwendbarkeit dieser Wälle lag den Slaven klar vor Augen. Hier waren die natürlichen Stütz- und Sammelpunkte ihrer Macht, von hier aus konnten sie allmählich in das unsichere und unwirthliche Land weiter vordringen. Ausserdem befanden sich die Anlagen meist dicht an Flüssen, auf welchen der Verkehr durch sie gesperrt werden konnte.

Allein die wenigen Wälle der alten Bevölkerung konnten in den folgenden unsicheren Zeiten nicht genügen. Stammesfehden wechselten mit räuberischen Angriffen, oft wurden im Sturm die Dörfer, in denen die Slaven eng aneinander wohnten,


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erobert und niedergebrannt. Wie leicht dieselben gebaut waren und wie gründlich in Folge dessen diese Zerstörung erfolgte, zeigt eine Stelle aus den sogenannten Nienburger Fragmenten (Laus. Magazin Bd. 38, S. 152): „Die Bauern hängten Mühlsteine oben auf den Bäumen an; das thaten Sie, um ein Zeichen zu haben, an dem sie ihr Dorf wiederkennen könnten.“ Dazu kamen noch häufige Ueberschwemmungen. -- Desshalb musste man sich nach neuen Schutzbauten umsehen und zwar so, dass vielleicht jedes Dorf seine Zuflucht in einer Umwallung finden konnte. Um dem Einwurf zu begegnen, dass einem ganzen Dorfe wohl kaum eine Anlage Aufnahme gewähren könnte, ist darauf hinzuweisen, dass nachweisbar die alten Dorfansiedlungen nur eine äusserst geringe Zahl von Bauern enthielten. So hatte das bedeutende Dorf Niemitzsch seit alter Zeit nur 12 Bauerwirthschaften.

Was war natürlicher, als dass man die neuen Bauten bei der alten Vorliebe der Slaven für das Wasser in der Nähe von Flüssen und Bächen errichtete? Vielleicht waren die Fremden an ihnen entlang von Südosten her in das Land gezogen. Durch die Wasserstrassen, die bequemsten Wege der damaligen Zeit, standen die Bewohner fortwährend im Verkehr mit einander, jede Botschaft wurde schnell von Station zu Station weiter gemeldet. Durch die Wälle, von denen aus man auch den Fluss sperren konnte, sicherte man sich diesen Verkehr. So sind z. B. an der Lubst, einem heute kleinen, damals gewiss wasserreicheren Nebenflusse der Neisse, folgende Umwallungen ziemlich nahe bei einander errichtet: Liebsgen (Kreis Sorau); Neumühle (Kreis Crossen); Balshebbel, Stargardt, Plesse, Borchelt, Lubsthutung, Werderthor-Guben (Kreis Guben). An der Neisse finden sich folgende Anlagen: Leippa (Oberlausitz); Särchen, Bahren, Bademeusel, Koyne (Kreis Sorau); Niemitzsch, Schlagsdorf, Sprucke, Chöne, Bresinchen, Buderose (Kreis Guben).

Dass die Bewohner zur Zeit der Benutzung der Wälle im Kampfe waren, darauf deuten die in der Stargardter Schanze gefundenen Schädelreste. Da andere Skeletttheile nicht bemerkt sind, ist eine Opferung recht unwahrscheinlich.

War man gezwungen in die Wallringe zu flüchten, so rettete man das Nöthigste dorthin, zunächst das Vieh und die Lebensmittel. Von letzteren sind in der Ragower Schanze reiche Getreidevorräthe verkohlt gefunden worden. Für unblutige Opfer spricht nichts, eher lässt sich hier ein zufälliges Brandunglück oder eine durch Feindeshand entfachte Feuersbrunst vermuthen. War


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die Gefahr beseitigt und konnte man wieder die alten Wohnplätze aufsuchen, so blieb naturgemäss das zerbrochene oder zufällig verlorene Hausgeräth zurück. Suchte man dann nach einiger Zeit den Schutz des Rundwalles wieder auf, so war die obere Lage vielleicht schon überwachsen, und man legte die neuen Wohnungen und Heerdstellen nicht selten in die alten Culturschichten hinein.

Der Verfasser ist weit davon entfernt, alle Wälle ohne Ausnahme für Zufluchtsstätten zu halten. Die auf Höhen gelegenen, z. B. Wenzelsburg-Neuzelle, Kreis Guben, eignen ich kaum dazu. Mangel an Wasser, weithin sichtbare, exponirte Lage kann für Flüchtlinge verhängnissvoll werden. Eher könnte man sie als Signalposten auffassen, von denen aus das tiefere Land auf drohende Gefahren aufmerksam gemacht werden konnte.

Kein Wall in der Nähe der Flüsse unserer Landschaft ist so klein, dass man ihn nur als Fährmannsposten auffassen müsste.

Die eigentliche Bedeutung der Wälle musste hervortreten bei den späteren Einfällen der Deutschen in die alten Stammsitze. Wenn die fremden Heere das Land durchzogen, floh gewiss die slavische Bevölkerung durch die Signalposten gewarnt in die Sumpfburgen. Durch die natürliche Umgebung und Lage geschützt konnten sie hier lange Widerstand leisten, wenn überhaupt ein Heer diese Stätten aufsuchte. Allein aus den gelegentlichen Zügen wurden Eroberungskriege. Das flache Land war bald unterworfen, nicht so die Gegenden, die durch Sümpfe geschützt waren. Hier waren einzelne Wälle schon durch ihre Lage vielleicht von grosser, wenn nicht entscheidender Bedeutung. Dies war wohl gewiss bei den Zufluchtsstätten des Spreewaldes der Fall. Ihre Eroberung musste für die eindringenden Deutschen die grössten Schwierigkeiten haben. Ein Heer konnte nur schwer an sie heran, die Zugänge waren jedenfalls schmal und versteckt; die Kähne, wenn sie überhaupt den Eroberern in die Hände fielen, fassten nur wenig Menschen. Ein langer Aufenthalt war schon wegen der Verproviantirung und der Unsicherheit des Landes ausgeschlossen. Oft geschah es, dass scheinbar unterworfene Landstriche der Slaven bei irgend einer Gelegenheit sich in wildem Aufstande gegen die verhassten Unterdrücker erhoben.

Diese Bemerkungen über Kämpfe sind durch Funde nur wenig unterstützt. Nur einzelne Waſfenstücke aus dem Burglehn bei Steinkirchen scheinen diese Deutung zuzulassen. -- Verschiedene Scherben aus den Wällen (dünne, glatte, klingend gebrannte,


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mit Spuren einer Glasur, Henkelstücke) und Verzierungen (z. B. Stempeleindrücke, wie sie aus dem einer späteren slavischen Periode angehörigen Lübbinchener Pfahlbau bekannt sind) sprechen wohl für eine Benutzung der Anlagen in späterer Zeit, lassen aber unentschieden, ob die Stätten in den Kämpfen von Werth gewesen sind. Der Verfasser kann es jedoch nicht unterlassen hier wieder darauf hinzuweisen, dass die gelegentlichen Eisenfunde erst spät genügende Beachtung erfahren haben.


Einfügung: Burgenbau und erstes Eisen (Die Billendorfer Gruppe der Lausitzer Kultur)
Ab dem 10. Jahrhundert v. Chr. liegen in den Gräbern der Lausitzer Kultur vereinzelt Gegenstände aus einem bis dahin unbekannten Metall – Eisen. Die noch seltenen und sehr wertvollen Objekte gelangen anfangs durch Tauschhandel in die Niederlausitz. Die hiesige Eisenverarbeitung und damit die Eisenzeit setzt ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. ein. Metallhandwerker erkennen schnell den entscheidenden Vorteil des Eisens gegenüber der Bronze: Es ist wesentlich härter. Sie machen sich heimische Erzvorkommen zu Nutze und fertigen vornehmlich Waffen und Werkzeuge, aber auch Trachtbestandteile und gelegentlich Schmuck.
Die Endphase der Lausitzer Kultur ist in Ost- und Mittelsachsen, Südbrandenburg und Niederschlesien nach dem Gräberfeld von Billendorf (heute Bialowice in Polen) benannt. Typisch sind umfangreiche Geschirrsätze sowie einzelne Schmuck- und Trachtgegenstände, die den Toten mit ins Grab gegeben werden. Besonders fallen Miniaturmodelle der im Alltag verwendeten Gegenständeauf, z. B. Öfen und Keramik.
Der seit der jüngsten Bronzezeit verbreitete Burgenbau findet zu Beginn der Billendorfer Kultur seinen Höhepunkt. Ebenso erreicht die im Verlauf der Bronzezeit bereits erkennbare soziale Differenzierung ihre stärkste Ausprägung. Auffallend reich ausgestattete Holzkammergräber mit über 200 Beigefäßen, Waffen, Werkzeugen, silbernen Trachtbestandteilen, Reitzubehör und Speisebeigaben stehen einfachen Bestattungen  - Urnen mit Deckschalen ohne Beigaben – gegenüber.


Letzteres ist bis jetzt nur bei dem heiligen Lande in Niemitzsch der Fall gewesen. Aus diesem Walle liegen zahlreiche Waffenstücke vor, die auf eine kriegerische Bedeutung schliessen lassen (u. A. verschiedene Sporen, Beschlagplatten, Schwertknäufe, Pfeilspitzen, darunter eine mit verbogenem Widerhaken). Es ist wohl anzunehmen, dass der Platz mit stürmender Hand genommen wurde. Auf die hervorragende Stellung des Ortes in den damaligen Kämpfen weisen einzelne historische Nachrichten.

Nach der Eroberung des Landes zog sich die aus ihren alten Sitzen theilweise verdrängte Bevölkerung in die Wallringe zurück. Darauf deuten die Sagen von den Heinchen oder Lutchen, die sich an einzelne Wälle knüpfen. „Sie konnten die Glocken nicht hören und zogen sich desshalb in die Erdwohnungen zurück“, wird berichtet: das Bild des ersterbenden Heidenthums.

Fassen wir das bisher Gesagte zusammen, so ergiebt sich nach Lage und Funden bei den meisten Wällen am ungezwungensten die Annahme, dass sie als Zufluchtsstätten aufzufassen sind.

Gegenüber dieser Behauptung wird noch öfters auf eine religiöse Bestimmung hingewiesen, welche die Heerdstellen mit ihren Aschenschichten anzudeuten scheinen; das Scherbenmaterial wird als Opfergeschirr, das verkohltes Getreide als unblutiges Opfer u. s. w. dargestellt. An und für sich ist nach diesen Funden eine religiöse Bestimmung denkbar und möglich. Allein die Heerdstellen mit Zubehör aus den Ergebnissen eines Walles auszusondern, ist man nicht berechtigt: alle Fundobjekte einer Anlage müssen zusammen betrachtet werden. Das Arbeitsgeräth (Spinnwirtel, Pfriewen u. s. w.), das theilweise auf weibliche Hand schliessen lässt, die Waffen, der zahlreiche Lehmbewurf, wie er in der Mehrzahl der Wälle aufgehoben ist, wird sich aber kaum einer religiögen Bestimmung eingliedern lassen, und die sonstigen Fundergebnisse deuten durchaus nicht darauf. Ganz entschieden dagegen spricht die Lage der Rundwälle zu einander. An der Lubst z. B. finden sich auf einer Strecke von 3,5 Km Länge vier Anlagen


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(Plesse, Borchelt, Lubsthutung, Werderthor), die sich doch wohl kaum als religiösen Zwecken dienende bezeichnen lassen. Bei der einen oder der anderen allein dies zu thun, verhindert das fast gleiche Fundmaterial. Gegen die Auffassung als Cultusstätte spricht ferner noch der Umstand, dass viele Wälle, nach den Scherben zu schliessen, nicht fortwährend, sondern nur in den ersten Zeiten in Benutzung waren.

Mehrere Wälle sind auch später noch als Zufluchtsstätten aufgesucht worden z. B. im Hussiten- und im dreissigjährigen Kriege, wie verschiedene Funde zeigen. Vereinzelt sind aus ihnen feste Ansiedlungen entstanden, indem entweder sich auf ihnen eine wirkliche Burg erhob -- so einzelne Wallburgen Böhmens und vielleicht auch das Burglehn bei Steinkirchen --, oder indem sich, wie schon oben angedeutet ist, nach und nach die Dorfbewohner auf dem Walle selbst anbauten.

Der Verfasser gedenkt im Folgenden die slavischen Rundwälle der Landschaft nach den Kreisen zu besprechen und zwar in der Reihenfolge von Osten nach Westen. Eine Deutung nach dem Zweck soll jedoch, um Wiederholungen zu vermeiden, nur dann folgen, wenn eine andere Bestimmung als die gewöhnliche näher zu liegen scheint.


Die Wälle des Sorauer Kreises.

Im 2ten Heft der Niederl. Mittheil. für Anthropologie sind (theilweise nach Saalborn, Ztschr. f. Ethnol. 1879) folgende 13 aufgezählt:

Bademeusel (auf dem linken Neisseufer, südlich vom Dorfe: Schanze und Wall), Bahren (jetzt Wiese, Scherben und Eisenstücke), Berthelsdorf, Datten, Gurkau (Westen, 2 Schanzen), Koyne, Legel (Norden, Scherben und Eisenreste), Liebsgen, Mulknitz, Ober-Ullersdorf, Särchen-Zilmsdorf, Sablath, Sorau. Unsicher sind die Nachrichten über Brestau, Friedersdorf und Hermsdorf. Dazu tritt noch der von Schuster, die alten Heidenschanzen Deutschlands, S. 98, erwähnte Rundwall bei Leuthen, 1 Stunde nördlich von Sommerfeld.

Die Wälle sind bis auf den Sablather, der schon besprochen ist, und den Dattener genauer noch nicht untersucht.

Der Dattener Wall (300 Schritt Durchmesser, 1 m hoch) liegt am Nordrande des Kreises, westlich vom Dorfe. Er ist


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fast vollständig abgetragen worden, doch ist eine Einsenkung noch zu erkennen. Ausser Scherbenfunden des gewöhnlichen Burgwalltypus ist ein Wetzstein (rechteckig mit feiner Durchbohrung) von Pastor Böttcher zu Niederjeser beobachtet worden.

Dicht am Kreise, allerdings ausserhalb der heutigen Lausitz, liegen die Wälle von Tornow am Bober und von Neumühle an der Lubst (Kreis Crossen). Letzterer ist bemerkenswerth durch Scherben mit senkrechter Wellenlinie und mit Bodenstempel.


Die Wälle des Gubener Kreises,

sämmtlich von dem hochverdienten Forscher Oberlehrer Dr. Jentsch untersucht und beschrieben, liegen an den drei Flüssen, die den Kreis durchlaufen resp. berühren: Lubst, Neisse, Oder. Sie sollen in dieser Reihenfolge auch zur Besprechung kommen und zwar von Süden nach Norden.

1. Die Wälle im Flussgebiet der Lubst.

Der Bâlshebbel bei Starzeddel (s. S. 17)

ist der südlichste Wall des Kreises. Zahlreiche Scherben des Burgwalltypus sind dort aufgesammelt worden, ebenso Spinnwirtel. Die Sage verlegt hierher grosse Schätze, auch einen unterirdischen Gang zur Starzeddeler Kirche.

Die alte Schanze von Stargardt *)
(Berl. Vhdl. 1882, S. 358; Niederlaus. Mittheil., Heft I. und II.; Berl. Vhdl. 1886, S. 196; mit zahlreichen Abbildungen)

liegt 300 m östlich von der Lubst mitten in sumpfiger Umgebung 1 Meile südöstlich von Guben. Sie war mit einem Graben umgeben. Erhalten sind nur noch zum Theil die Ost- und die Südseite. Die Höhe beträgt an der einen Stelle nach aussen hin noch 6 m, über dem inneren Boden etwas über 4 m; der innere Durchmesser von Osten nach Westen 82 m, von Norden nach Süden 60 m, die Böschung nach aussen 40°, nach innen 15°.
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*) Ein Starigrod, zum Lubliner Kloster bei Schrimm, Prov. Pozen, gehörig, wird 1242 erwähnt (Progr. Schrimm 1886).


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Auf einer natürlichen Anschwemmung , einer Sandbank, wurde eine gleichmässige Bodenpflasterung aus mittelgrossen Feldsteinen hergestellt. Dem Erdwerke selbst war ½ m unter der erstmaligen Aussenfläche ein fester Steinkern, bisweilen über 9 m hoch aufsteigend, gegeben. Im Osten und Süden, wo derselbe blosgelegt ist, zeigt sich, dass die bis ½ m und darüber im Durchmesser haltenden Steine, zum Theil zerschlagen, zum Theil in ihrer natürlichen Beschaffenheit erhalten, so auf- und aneinander gepackt sind, dass fast gar kein Zwischenraum frei geblieben ist. Auch war an mehreren Stellen, namentlich nach Süden, aussen eine recht starke Lehmschicht vorgelegt. Auf der Innenzeite fand sich im Westen eine liegende unbearbeitete Eiche in der Schüttung und gelegentlich kleinere versinterte Holzstücke.

Ueber dem Kern liegt ein Mantel von schwarzem, aus dem Morast genommenem Humus mit Schneckenhäusern, Scherben, Knochen, auch einzelnen Eisenfunden. Der innere Raum und namentlich die seitliche Abdachung zeigen Heerdstellen; soweit sie nicht auf dem Binnenpflaster liegen, sind sie aus wenigen faustgrossen Steinen hergestellt. Kohlen- und Aschenreste bedecken sie einige Finger hoch, darin sind nicht selten Scherben.

Neben den typischen Mustern der Gefässverzierungen bietet der Wall auch eine Zahl vereinzelt stehender Ornamente z. B. ein deutliches Kreuz mit einem faserigen Spahn eingestrichen, ferner eingepresste Quadrate in zwei Reihen (Abbildungen in d. Niederl. Mittheil. Heft II. und Berl. Vhdl. 1886, S. 196). Einige Scherben tragen die senkrechte Wellenlinie. -- Nur spärlich sind die Reste anderer Thongeräthe. Ausser einem kräftigen Pokalfuss und einem Ausschnitt aus einem flachen, unverzierten und einem mit concentrischen Einfurchungen verzierten Teller sind grössere Bruchstücke der erwähnten muldenartigen Gefässe gefunden worden. Erhalten ist ferner der 4 cm hohe Untertheil eines tassen- oder becherförmigen kleinen grauen Gefässes von roher Arbeit mit unebenem, glattem Boden.

Sehr zahlreich sind Spinnwirtel in allen Gestalten , ebenso Knochen aus allen Körpertheilen von Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Hund, zahlreich auch die Hauer von Ebern und die Stirnzapfen von Rindern. Viele Hirsch- und Rehgeweihe zeigen Spuren der Bearbeitung. Die grossen Stücke sind vielleicht als Keulen oder zur Beackerung benutzt, andere als Hämmer. Pfriemen sind theils durch Anschärfung, theils durch das Zerspalten der Zacken und nachträgliche Glättung der Seiten hergestellt; von den ersteren
Söhnel, Rundwälle.


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sind zwei zum Durchziehen einer Schnur am stärkeren Ende durchbohrt. Ungefähr 20 Schenkelknochen sind zu gleichem Gebrauche angespitzt. In einem zwischen den Höckern senkrecht durchbohrten Metatarsus von 5 cm Breite und 3 cm Höhe steckte ein 8 cm langer Knochenpfriemen (Berl. Vhdl. 1886, S. 199, Abbildung 7). Ein Rindshorn mit abgeschnittener Spitze, durch drei Stifte an einem Eisenbeschlage befestigt, ist oben S. 11 erwähnt, ebenda drei Schlittknochen, davon einer durchbohrt, und einige Hirschhornringe, ferner Reste von zwei menschlichen Schädeln.

Von Steingeräth sind ein durchbohrter Feuerstein, eine Zahl verschieden geformter Wetzsteine (s. S. 12), ein kleiner Rest eines Mühlsteines aufgehoben worden, auch eine rundliche Bernsteinperle von 1,2 cm Durchmesser; ferner aus Eisen die schon S. 12 f. erwähnten Stücke: bolzenartige Pfeilspitzen (im Besitz des Cantor Gattig), 6 Messer, Pike, Degen (?), Speereisen, Kette, Trense und andre nicht mehr charakterisirbare Gegenstände, von Horn neuerdings ein Kammfragment, einzeilig, an der Griffseite durch angelegte, mit Eisenstiften befestigte Knochenstäbe verdickt.

Das Fehlen aller späteren slavischen Gefässreste scheint darauf zu deuten, dass die Schanze in den ersten unruhigen Zeiten der slavischen Invasion errichtet und vorzugsweise damals als Zufluchtsstätte benutzt wurde.

Das Dorf verdankt seinen Namen („alte Umwallung“) der Schanze. Diese war also bereits zu der Zeit, wo der Name sich festsetzte, alt und doch auch hinreichend auffallend, um dem Orte den Namen zu geben.


Der Winkel bei Plesse,
(Berl. Vhdl. 1882, S. 363)

fast völlig verschwunden, liegt weiter stromabwärts auf einer ehemaligen Insel der Lubst im Norden des Dorfes. Vor etwa 30 Jahren betrug der Durchmesser der damals noch 1 m hohen Erhebung 150 Schritt. Man fand im Laufe der letzten Jahre Brandstellen mit zahlreichen Knochen- und Gefässresten, ein Lehmbewurfstück, zwei thönerne Spinnwirthel, sämmtliche Theile eines wohlerhaltenen Topfes mit einer kantigen Ausbiegung und umgelegtem Rande, ferner einen Topfboden mit Kreisstempel und ein Stück eines Mühlsteines. Eisengeräthe sind nicht beobachtet worden. Der Boden ist reich an Raseneisenstein.


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Der Gubener Borchelt bei Schöneich.
Berl. Vhdl. 1879, S. 370; 1882, S. 364; Gub. Gymn.-Progr. 1885, S. 26.

500 m westnordwestlich von der so eben besprochenen Anlage, südlich vom Dorfe Schöneich liegt dieser ſast völlig abgetragene Wall ungefähr 120 Schritt von der Lubst entfernt. Er erhebt sich in seinen höchsten Theilen nur noch bis zu 1,5 m über den umgebenden Boden und hat seit seiner bedeutenden Einebnung einen Durchmesser von 100 Schritt. Eine Einsenkung ist noch deutlich wahrnehmbar.

Neben den überall wiederkehrenden Scherbenfunden ist ein Pokalfuss (Abbildung: Gub. Gymn.-Progr. 1886, Tafel III, No. 30) zu Tage gekommen, ferner ein halber Spinnwirtel, ein Bodenstück mit Knopf, Stücke dickwandiger Gefässe, ein Hirschgeweihstück, Knochenreste. Von Metall ist nichts gefunden worden.

Die an diesen Wall (wie an mehrere andere Rundwälle und auch an Urnenfelder) sich knüpfende Sage berichtet, dass die Heinchen, die ursprünglichen Bewohner der Gegend, durch die Schafglocken der neuen Ansiedler unter die Erde verscheucht worden seien; da hätten sie sich Wohnungen gebaut, auch die ihnen zu nahe kommenden Landleute um Schonung derselben gebeten.


Guben, Burgwall auf der Lubsthutung.
Berl. Vhdl. 1885, S. 147 ff.; Gub. Gymn.-Progr, 1886, S. 11.

1500 m stromabwärts von der letztgenannten Anlage finden sich im Werderfelde die Reste dieses Walles an der Lubst, die früher dicht daran vorüberfloss. Die Umgebung war ehemals sehr morastig.

Die Erhebung ist bis auf den nordwestlichen, etwa 1,2 m hohen Rand abgetragen. Bei dieser Gelegenbeit hat sich im Osten ein halber schmaler Einbaumkahn gefunden, der verbrannt worden ist. Ausser den gewöhnlichen Gefässresten sind dünnere, stark geriefelte Scherben und der obere Theil einer Topfstürze mit durchbohrtem Knopf auſgesammelt worden. Sie deuten auf eine Benutzung der Wallanlage auch in späterer Zeit. -- Eisenfunde sind nicht hinlänglich beachtet worden.


Guben, Burgwall vor dem Werderthore.
Berl. Vhdl. 1884, S. 436 ff.; Gub. Gymn.-Progr. 1885, S. 25.

800 Schritt weiter stromabwärts liegt hinter dem Garten des


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Hauses Sommerfelder Strasse 15 mitten im ehemaligen Bette desFlusses der fast völlig verschwundene Wall mit einem Umfange von 250 Schritt. Im Norden befand sich in einer Entfernung von 6 Schritt ein halbmondförmiger Vorwall.

Die Anlage hat auf einer von West nach Ost streichenden inselartigen Sandbank stattgefunden; im Norden ist letztere durch eine künstliche Schüttung abgerundet, deren äusserster Rand durch eine Steinpackung befestigt ist. Dieser ist, wie bereits S. 5 bemerkt ist, Richtung und Halt gegeben durch eichene, 65--75 cm lange, in Abständen von 0,5--1 m in den Morast getriebene Pfähle. Der äusserste Rand besteht meist aus einem, mit der breiten Fläche auf das Schilf gedrückten Steine, die nach innen folgenden 2--3 Reihen erhöhen sich allmählich (Abbildung: Berl. Vhdl. 1884, S. 437). An der inneren Seite der Schüttung wurden viele kleine Herdstellen aufgedeckt, aus zum Theil faustgrossen Feldsteinen hergestellt. Auf einer fand sich ein völlig erhaltener Napf von 8 cm Höhe und 1 dm Weite (verloren). An Eisenwerkzeugen ist beobachtet worden: ein stabartiger, flacher, dick überrosteter Streifen, der sich am Ende spaltet (vielleicht der Querbeschlag eines Schildes, Abbildung Berl. Vhdl. 1884, S. 437), ein fingerstarker Eisenring, ein Nagel mit unregelmässigem, schief angesetztem Kopf; eben daher stammen zwei Wetzsteine und Reste von zwei Mühlsteinen.

Von Thon sind Spinnwirtel bemerkt worden. Die Gefässfragmente entsprechen in Form und Verzierung dem Burgwalltypus. Ein Scherben hatte eine senkrechte Wellenlinie. Auch fanden sich hier die schon mehrfach erwähnten Reste von muldenartigen Gefässen.


II. Die Wälle im Flussgebiet der Neisse.

Niemitzsch.

Ueber die Lage und über die vorslavischen Schichten des heiligen Landes ist bereits S. 18 gesprochen worden. Die zahlreichen Scherben der slavischen Zeit führen die sämmtlichen S. 10 besprochenen Verzierungsmuster vor, ausserdem fischgrätenartig gescheitelte scharfe Einstriche, seltener seichte Tupfeneindrücke. Neben diesen typischen Ornamenten treten auch vereinzelt stehende auf, z. B. mit karrirtem Prägestempel eingedrückte Quadrate, mit einem mehrzinkigen Geräth kräftig gezogene,


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nach unten offene Bögen mit senkrechtem Mittelstriche ( ). Recht charakteristisch sind die Topfböden. Einigen sind kreisförmige Stempel von 1--2 cm Durchmesser eingeprägt, andere, sauberer gearbeitete haben hervortretende Zeichen, schlichte Knöpfe, mehrere Parallelstriche, besonders häufig Kreuze, deren Stäbe theils nur 1,5--2 cm, theils aber über 4 cm lang, auch verschieden stark sind; bei einzelnen setzen an das eine Ende, bei anderen an alle 4 je drei Strahlen an; drei Böden zeigen ein Rad (7 resp. 8 speichig), dessen Radien zum Theil über den Umfassungskreis hinaus verlängert sind; auch Sterne, unregelmässige Vierecke mit Diagonalen und Nebenstrichen kommen vor. Im Ganzen sind bis jetzt über 40 verzierte Bodenstücke mit 12 verschiedenen Mustern (wohl Töpfermarken) festgestellt. Drei Böden haben eine Oeffnung von 1 cm, jedenfalls um eine Flüssigkeit ablaufen zu lassen. Weisen schon die mannigfach profilirten Randleisten in eine spätere Periode der Keramik, in die zweite Hälfte des Mittelalters, so ist dies mit den allerdings sehr spärlichen Henkelstücken noch mehr der Fall: sie stellen sich neben die der geschichtlichen Zeit bereits nahe gerückten Lübbinchener Pfahlbaufunde, zu welchen auch eine reichhaltige Scherbenfundstätte im Süden der Stadt Calau, so wie böhmische und fränkische Burgwälle Seitenstücke bieten. Diese Henkel zeigen eine breite Längsfurche, in derselben bisweilen Einstiche, liegen dem Rande mit halbmondförmiger Ausbiegung auf und sind unten verbreitert und an die Gefässwand ziemlich ungeschickt angedrückt. Bei einem der Niemitzscher Exemplare sind an der Stelle, wo der haltende Finger aufliegt, 2 tiefe Stiche eingedrückt.

Die Zahl der erhaltenen Spinnwirtel aus dieser Schicht beläuft sich auf 16; einzelne haben concentrische Furchen. Neben den Hausthier-, Wild- und Vogelknochen, die jeder Spatenstich an's Licht bringt, sind auch Geweihe, zum Theil von sehr bedeutenden Dimensionen, nicht selten; aus einem ist durch Abschlagen der Zacken ausser der Augensprosse eine Keule hergestellt. Rehgeweihe und Knochenstreifen sind mehrfach zu Pfriemen verarbeitet, deren einige ausserordentlich zierlich sind.

An Steinsachen sind Wetzsteine von roher Form und Reste von Mühlsteinen zu Tage gekommen. Ebendaher stammt eine etwas unregelmässig geformte Bernsteinperle mit rechteckigem Querdurchschnitt von 2,5 cm Durchmesser.

Zahlreich ist das Eigengeräth: flache Pfeilspitzen, eine Pike, ein Beil mit dünner Platte, mehrere Hufeisen, Sporen mit theils


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lang ausgezogenem, theils dickerem, pyramidenförmigem Stachel, Beschlagplatten, schwere Schwertknäufe, Eimerbügel, einer mit gespaltenem Mittelstück, eine grosse Gabel zu landwirthschaftlichem Gebrauche, ein länglich rechteckiger Feuerstahl, Messer, Haken mit krallenartigen Bogen (Abbildungen in der Zeitschr. f. Ethnol. 1882 S. 125 u. f.; Berl. Vhdl. 1883 S. 52). Bereits in spätere Zeit weist ein unförmiger Schlüssel mit plattem Bart. Auch Stücke von Eisenschlacke kommen vor.

An den Wall knüpfen sich einzelne Sagen von grossen Schätzen, eine von einem silbernen Sarg; in eine andere Richtung weist die schon erwähnte Heinchensage.

Die verhältnissmässig grosse Zahl der Waffenstücke legt die Vermuthung nahe, dass die Anlage von den Deutschen erobert wurde. Besonders spricht dafür eine Pfeilspitze, deren einer Widerhaken völlig aufgebogen ist, und die in diesem Zustande schwerlich in den Wall würde zurückgebracht worden sein.

Nach dem Eindringen der Deutschen wurde auf der Höhe eine Kapelle errichtet, vielleicht zur Sühne für die in harten Kämpfen aus der Mitte der Christen gefallenen Opfer, oder um den Slaven den Platz besonders zu verleiden. Wohl zu derselben Zeit wurde südlich vom Dorfe ein festes Burgwardium gegründet. Die Trümmer des Baues sind erst in unserem Jahrhundert weggeräumt worden; die Keller sollen zum Theil noch erhalten sein. Der Ort ward durch diese Gründung ein Stützpunkt der deutschen Bevölkerung und zugleich des Christenthums. Der Name Niemzi, wend. Stumme == Deutsche, deutet es an. Er zeigt, dass das Dorf in hervorragender Weise, wenn nicht ausschliesslich, deutsch ward, während die Umgebung wohl zum grössten Theile noch von der slavischen Bevölkerung besetzt blieb. Wann die Kapelle zerstört wurde, ist unbekannt; der Sage nach geschah es im Hussitenkriege. Ihre Mauerreste sah man noch um 1830 in einer Länge von 60 Fuss und einer Breite von 32 Fuss eine Elle hoch aufragen. Ihr verdankt der Wall wohl seinen Namen „heiliges Land“, wie alte Leute von Niemitzsch ihn noch heute als „die alte Kirche“ selbst bezeichnen.


Schlagsdorf.
Berl. Vhdl. 1883, S. 343.

In dem Höhenzuge, welcher westlich den Lauf der Neisse begleitet, tritt 5 km südwestlich von Guben eine starke Ausbiegung


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zurück, ein nach SO. geöffneter Thalkessel, dessen nordöstlichen Abhang gegenwärtig das Dorf Schlagsdorf einnimmt. Das Terrain war, geschützt gegen Stürme, nach der Sonnenseite hin offen, der Neisse noch jetzt auf 700--800 Schritt genähert, vormals jedenfalls von ihr erreicht, wie geschaffen für die Besiedelung; und in der That sind hier dicht neben zwei unter sich wieder verschiedenen vorslavischen Begräbnissplätzen auch Reste einer slavischen Ansiedelung mit Burgwallscherben und feinen Kohlenstücken gefunden worden.


Sprucke.

500 Schritt südwestlich vom Dorfe, westlich von Guben und der Neisse, liegt mitten in einem grossen Torſmoor zwischen dem schwarzen Fliess und der sogenannten alten Mutter (Modder) eine länglich runde beackerte Fläche, die den Namen „Schlösschen“ führt. Auf der südwestlichen Seite erkennt man noch eine 0,5 m hohe Rundung. Ein einzelner quarzhaltiger Scherben (aussen roth, innen schwarz) ist neben Knochen dort jüngst gefunden worden.

Die Sage erzählt von einem versunkenen Schlosse und von drei verwünschten Jungfrauen.


Bresinchen.
Berl. Vhdl. 1877, S. 297; 1882, S. 366 No. 12; 1884, S. 311; Gub. Gymn.-Progr. 1885, S. 5.

Nördlich vom Dorfe Bresinchen liegt im Walde unweit der Strasse von Guben nach Wellmitz auf dem die Neisse westlich begleitenden Höhenzuge eine Umwallung, die manches Eigenthümliche hat. Sie ist nur auf drei Seiten geschlossen, nach dem sanft abfallenden Abhang zu offen. Ausserdem hat sie im Norden eine Einfahrt. Bei einer Eingrabung fanden sich in einer Tiefe von 1 m nur geringe Kohlenreste vor.

Fragen wir nach dem Zweck dieses Werkes, so ist man kaum im Stande, die Anlage den bisherigen Zweckbestimmungen der Burgwälle einzugliedern. Zur Vertheidigung kann sie nicht geeignet gewesen sein: der niedrige unvollständige Wall und die eine durch den mässig steilen Abhang kaum geschützte Seite machen diese Auffassung recht unwahrscheinlich. Näher scheint die Deutung zu liegen, hier eine Zufluchtsstätte zu suchen. Die waldige Umgebung, die Nähe des Dorfes scheint auf den ersten Blick dafür zu sprechen. Allein bei näherer Betrachtung der


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Oertlichkeit muss auch diese Annahme fallen. Eine von allen Seiten frei zugängliche Anhöhe konnte keinen hinreichenden Versteck bieten. Dazu war die Neisseaue mit ihren morastigen, zur damaligen Zeit wohl kaum passirbaren Rändern eher geeignet und sie war ja dazu auch von jeher benutzt worden. Man wird in dem vorliegenden Falle wohl überhaupt von der Deutung auf eine prähistorische Anlage absehen und eine andere Erklärung suchen müssen. In der Oberlausitz sind ähnliche Umwallungen in grosser Zahl geſunden worden: halbrund, mit nach dem Wasser offener Seite, zumeist in der Nähe der alten Strassen. Man hat die Anlagen wohl nicht mit Unrecht mit letzteren in Verbindung gebracht und sie als Strassenschanzen (s. S. 16) bezeichnet. Von ihnen aus sollten Wachmannschaften die Verkehrswege schützen und von räuberischem Gesindel rein halten, die Wälle sollten zugleich dem Reisenden Sicherheit, vielleicht auch Quartier bieten. Diese Anlagen sind also als Denkmäler geordneter Strassenaufsicht zu betrachten und würden etwa der Zeit um das Jahr 1000 angehören. Alles dies trifft bei der in Rede stehenden Anlage zu. Sie liegt ziemlich nahe an der alten Strasse Guben--Frankfurt, die als Fortsetzung des von Zittau und Görlitz nordwärts führenden Weges anzusehen ist.


Choene.

In dem nördlichen Theile des ehemaligen Chönbusches, auf dem rechten Ufer der Neisse, mitten in stark wasserhaltigen Wiesen liegt hart an der Buderoser Grenze bei der „Kappecke“ eine etwas erhöhte und deshalb beackerte Fläche, welche den Namen „Schlösschen“ führt; nach älteren Mittheilungen hat sie sich vormals noch mehr aus der Ebene abgehoben. Die Entfernung von den nördlichen Höhen beträgt etwa 250 m, von dem südlich gelegenen Choene'schen Vorwerk und dem bekannten Urnenfelde bei der Choene 1½ Km. Einzelne mittelalterliche Scherben sind aufgesammelt worden. -- Die Sage verlegt hierher ein untergegangenes Schloss.


Buderose-Coschen.
Berl. Vhdl. 1877, S. 97; 1882, S. 365; Gub. Gymn.-Progr., 1886, S. 21.

500. Schritt westlich von der Neisse erhebt sich der Wall mit undeutlichem Umriss im Südwesten noch 2,5 m hoch; die Einsenkung beträgt in 10 Schritt Entfernung von der höchsten


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Stelle noch 1 m, der Durchmesser von Süden nach Norden 46 m. Im Süden ist schwarzer, kohlenhaltiger Boden erkennbar, im Westen in 2 m Höhe eine röthlich gebrannte Lehmschicht mit Eichenkohle. Daselbst sind ausser verschiedenen anderen Eisenresten zwei eiserne Beile gefunden worden, von denen sich das eine mit unebener und auffallend dünner Platte in der Gubener Gymnasial-Sammlung befindet, während das andere vom Finder verarbeitet worden ist; ferner zwei Wetzsteine, deren einer stark abgenutzt ist; der andere, längliche, zeigt eine feine Durchbohrung; ein thönerner Spinnwirtel hat eine scharf heraustretende Mittelkante. Neben den Scherben der gewöhnlichen Form und Verzierung ist auch ein mittelalterliches Randstück (umgelegt, graubraun, glänzend) gefunden worden.


Coschen.
Gub. Gymn.-Progr. 1886, S. 21.

In der Neisseaue sind 700 Schritt nördlich vom Dorfe auf einer mässigen Erhebung hartgebrannte, rauhe Scherben gefunden worden, unter ihnen einer mit Punkteinstichen unter dem Rande: vielleicht der Rest eines Walles, für den die ganze Lage des Ortes nicht unpassend gewesen wäre.


II. Die Rundwälle im Stromgebiet der Oder.

Lahmo.

Der Wall liegt etwa 1½ km nordwestlich vom Dorfe auf dem linken Oderufer in der sandigen, halbinselartigen, den Ueberschwemmungen des Flusses ausgesetzten Hutung. Er heisst „Schlossberg“ oder „altes Schloss“. Bis zu seiner etwa um 1860 erfolgten Zerstörung durch die Bewohner des 800 m entfernten, auf dem rechten Oderufer gelegenen Dorfes Schidlow, welche seine Wälle zur Erhöhung ihrer Dämme benutzten, ist er von einem verhältnissmäsgig tiefen, noch heute erkennbaren Graben umgeben gewesen, in welchem nach Angabe älterer Leute gefischt werden konnte. Der Durchmesser des Walles beträgt etwa 100 Schritt; er erhebt sich nur noch 2 m über den ihn umgebenden Wiesenplan.

Schon früher sind waffenartige Stücke gefunden worden, darunter angeblich ein grosser Säbel. -- Die Scherben sind


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meistens dick und rauh gebrannt, einzelne sind dünner. Nur ein grosses, dünnes Randstück mit stark umgelegtem Rande und scharfer Kante hat zwischen parallelen Längsstreifen das Wellenornament. Erhalten ist ferner ein kleines Stück von erhärtetem Lehmbewurf mit schmalen Eindrücken.

Verschiedene Sagen werden mit dem Walle in Verbindung gebracht: von einem versunkenen Schlosse, von einem grossen Schatze, der, in einem Kessel entdeckt, durch den Fluch eines Arbeiters wieder in die Erde zurückversunken ist.


Neuzelle.

1. Im Torfmoor. Berl. Vhdl. 1880, S. 224; Gub. Gymn.-Progr. 1886, S. 25.

In dem zwischen dem Höhenzuge, der die Oder begleitet, und dem Flusse selbst gelegenen grossen Torfmoore sind die Reste eines Rundwalles von etwa 50 Schritt Durchmesser gefunden worden. Auf der Südseite sieht man noch die Spuren eines Grabens, der den Wall umgab. Zahlreich sind die Trümmer von Lehmbewurf, auch die kleiner Schneckenhäuser und Muscheln. Von hier stammen zwei anscheinend bearbeitete Feuersteine. Ein Scherben ist durch zwei Reihen vielleicht mit einem Rädchen gepresster Eindrücke (vgl. die spätslavischen Lübbinchener Pfahlbaufunde) verziert. Ein Gefässfragment mit Wellenlinie ist bis jetzt nicht entdeckt worden.

2. Wenzelsburg.
Berl. Vhdl. 1881, S. 340; Gub. Gymn.-Progr. 1886, S. 25.

Von dem so eben beschriebenen Walle etwa 1½ km südwestlich liegt auf einem Vorsprunge des die Oder auf dem linken Ufer begleitenden Höhenzuges die zweite slavische Ansiedlung in der Nähe von Neuzelle: die Wenzelsburg. Der Wall ist jetzt völlig abgetragen. Ausser erhärtetem Lehmbewurf und Resten muldenartiger Gefässe sind Knochen und zahlreiche Scherben, auch ein rechteckiger Wetzstein aufgesammelt worden. Am südwestlichen Rande hat sich Mauerwerk gefunden.

An den Wall knüpft sich (nach einer Mittheilung des Oberförsters Leisterer) folgende Sage: Nachts, als einst die Geister Kegel schieben wollten, holten sie sich einen Bauer zum Kegelaufsetzen und gaben ihm um 1 Uhr eine der Kugeln zur Belohnung. Er warf sie zu Hause unter das Bett, wo sie, als die


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Kinder sie wieder hervorholten, inzwischen zu Gold geworden war. Die Weissagung, dass die Kugel ihm bis ins dritte Glied werde Glück bringen, ist insofern in Erfüllung gegangen, als die dritte Generation seiner Familie elend verkommen ist (angeblich erst vor ungefähr 40 Jahren). Die Pferde, die den Sarg dieses letzten Abkömmlings nach Wellmitz fuhren, haben jenen am Fusse der Wenzelsburg abgeworfen.

Den Wall als Zufluchtsstätte aufzufassen, ist möglich; näher scheint eine andere Deutung zu liegen, die sich bei der Betrachtung seiner Lage aufdrängt. Etwa 100 Fuss über der Oderebene auf einem Vorsprunge gelegen, bietet derselbe einen unbegrenzten Ausblick fast nach allen Seiten hin. Die Höhen von Frankfurt, die weite Ebene des Oderthales, die Höhenzüge des rechten Oderufers bis hinüber nach Lahmo und zur Neisseaue, die Gubener Berge sind von hier aus sichtbar; nur nach Westen landeinwärts ist der Ausblick etwas beschränkt durch die Hügelketten des Neuzeller Klosterlandes. Was lag näher als hier einen Wachtposten, der in unsicheren Zeiten vielleicht ein ständiger war, aufzustellen, um nöthigen Falles die ganze Oderaue durch Signale von nahender Gefahr zu benachrichtigen?

Sein Name scheint auf eine Benutzung bis in das spätere Mittelalter hinzuweisen.  


Fürstenberg.

In dem von Riehl und Scheu herausgegebenen Werke: „Berlin und die Mark Brandenburg mit dem Markgrafthume Niederlausitz in ihrer Geschichte und ihrem gegenwärtigen Bestande“ (Berlin 1861) findet sich bei Fürstenberg (S. 554) folgende für diese Untersuchung nicht unwichtige Bemerkung: Herzog Bolko von Schweidnitz kaufte die Stadt (Fürstenberg) 1370 dem Kloster (Neuzelle) ab, umgab sie mit einer starken Mauer und baute ein festes Schloss daselbst. Die Stadt, jetzt ganz offen, zeigt bei Ausgrabungen noch Spuren jener Befestigungen, und der Name Burgwall hält ebenfalls die Erinnerung wach.“ Es ist wie bei vielen dieser Anlagen nicht unwahrscheinlich, dass diese Erinnerung sich nicht an die geschichtliche Nachricht über Befestigungen des Schweidnitzer Herzogs knüpft, sondern über jene Periode hinaus in entferntere Zeiten zurückweist, auf die erste Ansiedlung, die durch die Slaven erfolgte. Von Alters her ging hier eine Fähre über die Oder und war der Platz wichtig für den Handel.


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Vielleicht werden diese Andeutungen durch gelegentliche spätere Funde zur Gewissheit erhoben. --

Ausserhalb der drei Stromgebiete sind im Gubener Kreise nur bei


Lübbinchen
(Gub. Gymn.-Progr. 1886, S. 22)

Spuren einer slavischen Ansiedlung gefunden worden. Oestlich von den spätslavischen Pfahlbauten sind mitten im ehemaligen Lübbinchener See auf einem mässig erhobenen Rohrhorst Kohlen und Scherben, die ersichtlich der Burgwallperiode angehören, bemerkt worden. Gezeichnet ist ein Gefässfragment, und zwar sind mit einem vierzinkigen Geräth kurze Strichgruppen in schräger Linie unter einander eingepresst worden.


Kreis Cottbus.

Brahmo (vgl. S. 22).

In dem Schlossberg ist neben wenigen slavischen Scherben ein Wetzstein (rechteckig, mit feiner Durchbohrung) gefunden worden. Hier soll ein Menschengerippe noch im Walle liegen. Auch knüpfen sich an die Anlage verschiedene Sagen vom Wendenkönige.


Burg (vgl. S. 20).

Die oberen Schichten des Schlossberges mit den slavischen Einschlüssen sind so gründlich abgetragen worden, dass Burgwallscherben jetzt schon seltener zu finden sind. An Eisengeräth sind Trensen und eine Lanzenspitze zu Tage gekommen.

Zahlreiche wendische Sagen knüpfen sich an den Berg (vgl. v. Schulenburgs und Veckenzstädts Sammlungen).


Zahsow (vgl. S. 22).

Aus diesem Walle stammt eine eiserne Pfeilspitze (Andree, wend. Wanderstudien. S. 102.)


Sylow.

Der Kreisumfang des etwa 4 m hohen Walles beträgt 250


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Schritt. Er ist noch völlig unversehrt und hat in der Entfernung von 20 Schritt einen 1,5 m hohen Vorwall, der früher um die ganze Anlage herumgeführt, jetzt jedoch nur im Osten und theilweise auch im Westen erhalten ist. Sowohl auf dem Wall, wie auf dem Vorwall sind Scherben aufgelegen worden. --

Die Schanzen von Babow, Jänschwalde bei Peitz (abgelegen, in Durings Haide), Ruben (vgl. ob. S. 25), Stradow, Wintdorf sind noch nicht genügend untersucht.


Kreis Lübben.

Im Kreise Lübben sind bis jetzt 8 Rundwälle gezählt, von denen die von der vorslavischen Bevölkerung benutzte Stockshofer Schanze schon S. 23 besprochen ist.


Das Burglehn bei Steinkirchen,
(Berl. Vhdl. 1880, S. 103 ff.)

von Virchow 1880 untersucht, liegt nördlich vom Dorfe im ehemaligen Seebecken des Spreewaldes, 235 Meter vom Rande des Luches entfernt. Ein Arm der Spree, die Grabitz-Spree, reicht dicht heran. Der Wall, auf welchem sich ein Wohngebäude erhebt, wird jetzt als Garten benutzt. Am Ostrande ist er noch 12 Fuss hoch. Neben den Scherben des Burgwalltypus (unter ihnen namentlich kurze, schräge Einstiche) sind Gefässreste einer späteren Periode, wie S. 3 beschrieben sind, beobachtet worden. Ausserdem sind fünf Spinnwirtel gefunden, drei aus Thon, ein regelmässig aus Stein gedrehter, mit Parallelringen auf jeder der beiden Zuschärfungsflächen, einer aus feinem Thon, wenn nicht aus Sandstein. Unter den zahlreichen Knochen und Geweihstücken ist ein grosser Schlittknochen mit gut geglätteter Schnittfläche und ein abgesägtes Rindshorn hervorzuheben. Ausserordentlich reich war die Anhäufung von grossen gebrannten Lehmklumpen. Sie waren mit Blättern und Stempelabdrücken durchsetzt und zeigten grosse platte Flächen, welche durch einen anliegenden Balken bewirkt schienen. An einem Stück fand sich ein längerer eckiger Eindruck, der durch die Anfügung des Lehms an zwei Seiten eines vierkantigen Holzbalkens hervorgebracht sein musste.

Neben einzelnen mittelalterlichen Eisensachen (einem Hufeisen,


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einem sogenannten Hussitenpfeil von einem Wurfgeschoss) fanden sich ein Stück von einem sehr kurzen und engen Sporn und ein eiserner Keil. -- Neumann (Laus. Mag. Bd. 38, 1861, S. 160) erwähnt ältere Funde ohne genaue Angabe derselben. Am Ostrande der Insel sind angeblich sieben in stehender Stellung eingemauerte menschliche Gerippe entdeckt worden, an der Nordostseite Balkenreste.

In der Lausitzer Monatsschrift 1792 (Zittau) S. 157 findet sich über den Wall folgende Bemerkung: „Der Ort war ein sogenanntes „Burgwardium“; . . . man nennt ihn in den Urkunden Burgwall. Von beiden Burgen (diesem Burglehn und dem noch stehenden Schloss in der Stadt) aus konnte die Spree gesperrt werden“ -- also schon damals die S. 20 und 26 vorgetragene Vermuthung, aber bei einem Burgwall, der nicht in die älteste Zeit zurückgeht. ---

Die Untersuchung der Rundwälle Littans Berg bei Steinkirchen, Koals Berg hinter Ellerborn, Fürstenberg bei Hartmannsdorf, bei Sakrow, Friedland, Lamsfeld wird von Rector Dr. Weineck vorbereitet. Der erstgenannte ist sehr klein, bereits eingeebnet, aber noch von einem ziemlich breiten Graben umgeben. In seinem Innern fanden sich Pflasterungen, Knochen und Scherben. In Koals Berg zwischen Steinkirchen und Ragow, von 140 m Durchmesser, mitten im ehemaligen Sumpfe, umzogen von einem noch wohl erkennbaren Graben, sind spätmittelalterliche Gegenstände (Scherben und Eisensachen, z. B. Hufeisen) aufgesammelt worden. Der Fürstenberg hat ovale Gestalt mit einem Längsdurchmesser von 250 m; in seiner Nähe sollen eiserne Ketten und Säbel ausgegraben sein.


Kreis Calau.

Die Wälle des Kreises sind zumeist von dem bekannten Forscher Kreisphysikus Dr. Siehe in Calau in der bereits mehrmals angeführten Schrift „Vorgeschichtliches der Niederlausitz“, Cottbus 1886, beschrieben worden.

Bartzlin.

Die vorslavischen Fundergebnisse sind S. 23 erwähnt worden. Ausser den in allen diesen Anlagen gleichartigen slavischen Scherben, deren einige die Wellenlinie senkrecht gestellt zeigen, fanden


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sich auch dünnere, hart gebrannte, ferner ein Pokalfuss. Unter den zahlreichen Knochen war die bearbeitete Krone eines Hirschgeweihes. Ausserdem wurde ein Eisenmesser aufgehoben; andere Eisenfunde sind nicht hinlänglich beachtet worden. Aus demselben Walle stammt auch ein plattes Stückchen gebrannten Thons, das mehrere wie mit einer Stricknadel durchgestossene, sehr gleichmässige Löcher hatte, wohl das Bruchstück eines Siebtopfes, wie solche auch in der Gegenwart noch zu sehr verschiedenen Zwecken hergestellt werden.


Buckow.

1/3 Meile östlich von Calau an der Chaussee nach Luckau liegt das Dorf Buckow, das zum Theil auf dem alten Ringwall selbst steht. Nur ein kleines Stück ist erhalten. Einzelne Burgwallscherben sind aufgesammelt worden.


Gross-Beuchow.
Berl. Vhdl. 1872, S. 232 ff.

Der Wall liegt 5 km westlich von Lübbenau, hat einen Umfang von 286 Schritt und ist 20-25 Fuss hoch. Er hat einen tiefen Kessel, der im Grunde 28 Schritt lang und 20 Schritt breit ist. Er liegt in mooriger Umgebung; um ihn führte ein Graben, der auf der Ost- und Nordseite und theilweise auch auf der Südseite noch erhalten ist. In dem Kessel fanden sich unter Trümmern von Mauerwerk grobe graue Scherben ohne alle Politur, einzelne mit Wellenlinie.


Gross-Jehser.

Der Wall, wohl erhalten, hat einen Umfang von 177 m und ist ungefähr 6 m hoch. Der Durchmesser des Kessels beträgt 12 m. Er liegt mitten in Sumpf und Wiesen.

Ausser Scherben, die von den ältesten bis in die jüngsten slavischen Zeiten reichen, fanden sich Kohlenreste, Knochen und Granitsteine, die in starkem Feuer gelegen haben.

Die Sage erzählt, dass in dem Walle der Nachtjäger sein Wesen treibe.


Gröschkenberg bei Gr.-Mehssow (vgl. S. 24).

Die Zerstörung dieges Walles, namentlich seiner oberen


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Schichten, ist so gründlich erfolgt, dass slavische Scherben nur noch selten gefunden werden; ein solcher mit deutlich erkennbarer Wellenlinie befindet sich in der Gubener Gymnasialsammlung. Eine grosse, eiserne, weidenblattartige Pfeilspitze, ein roh geformter Wetzstein und ein grosser graublauer, nach einer Seite abgeschrägter, breiter Stein gehören dieser oberen Schicht an.


Raddusch.

Völlig zu Ackerland gemacht, liegt dieser Wall sehr tief, im Westen von einer Hügelkette begrenzt, zwischen Kahnsdorf und Göritz. Er ist 15--20 Fuss hoch und hat einen Umfang von 325 Schritt; der Kessel ist fast zugeschüttet. Nach Osten ist der Blick von hier aus zum nahen Spreewalde hin frei. --

Die gefundenen Scherben sind meist altslavisch, aber eine Zahl ist jüngeren Datums.



Einfügung: wiederaufgebaute Slawenburg Raddusch mit integrierter Ausstellung der Ur- und Frühgeschichte der Niederlausitz.

Einfügung: Das germanische Gehöft (Wohnstall-, Grubenhaus und Speicher).
„Wie allgemein bekannt, wohnen die Stämme der Germanen nicht in Städten und mögen nicht einmal geschlossene Siedlungen. Sie wohnen vielmehr einzeln und gesondert . . . Jeder lässt um seinen Hof einen freien Raum.“
Tacizus, Germania
Was sagen nun die archäologischen Befunde in unserem Gebiet über das von Tacizus gezeichnete Bild? -- Die Niederlausitz ist im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. dicht besiedelt. Die Germanen leben in Einzelgehöften oder in kleinen Dörfern, die sie auf Sandkuppen in den Niederungen bauen. Ihre umzäunten Gehöfte bestehen aus einem Wohn-Stall-Gebäude, auch Langhaus genannt, einem eingetieften Grubenhaus und Speichern. Hinzu kommen Brunnen, Backöfen sowie Herdstellen. Technische Anlagen, wie Rennfeuer- und Kalkbrennöfen, betreiben sie wegen der Brandgefahr und Rauchentwicklung abseits der Häuser.
Wie sich zeigt, sind schriftliche Quellen durchaus kritisch zu betrachten und können durch archäologische ins rechte Licht gerückt werden: Wir finden zwar keine Städte, aber Siedlungen, wenn auch kleine. Eine von ihnen liegt von 250 bis nach 450 n. Chr. bei Göritz, nur 1000 m von der späteren Slawenburg Raddusch entfernt, am späteren Tagebaurand Seese-Ost Sie ist die erste vollständig ergrabene in der Niederlausitz überhaupt und gibt Auskunft über das Leben der Menschen zu jener Zeit an diesem Ort. Jedes der durchschnittlich fünf Gehöfte beherrbergt – so ergeben Berechnungen – sieben Personen: Großeltern, Eltern und Kinder. Wie Tierknochen bezeugen, halten sie Rinder, Schweine und Schafe bzw. Ziegen, auch Hunde. Alle 30 Jahre errichten sie die Hofstellen neu.

Einfügung: Innerhalb der Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg veröffentlichte das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und archäologisches Landesmuseum folgende Artikel zu Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier bezüglich Raddusch:
Arb.Ber. 6 (1999)
Harriet Bönisch: Die Slawenburg Raddusch im Maßstab 1:1
Ursula Uhl: Grabungen an der Slawenburg Raddusch.
Arb.Ber. 25 (2009/2010)
H. Böhnisch: Zur Deutung der Brunnen in der slawischen Burg Raddusch.
Arb.Ber. 30 (2013/2014)
Harriet Bönisch: Eine bronzezeitl. Rasselbande – Tonvögel der Lausitzer Kultur – Sonderausstellung in der Slawenburg Raddusch.



Ragow.

Berl. Vhdl. 1880, S. 103.

Der „Schlossberg“ von Ragow liegt nahe an der Berlin-Görlitzer Eisenbahn am nördlichen Ende des Dorfes, mitten im Luch. Er erhebt sich noch drei bis vier Fuss über das umgebende Wiesenterrain. Sein Umfang beträgt 200 m, sein Durchmesser 65 m. Um ihn führte früher ein breiter Graben; von diesem zweigte sich am Südrande ein innerer Graben ab, der das Hauptwerk von einer Art von Vorwall abgrenzte. Im Grunde der Wallschüttung fanden sich gespaltene Eichenstämme, über welchen geschlagene Steine anscheinend einen festen Kern gebildet haben.

Neben zahlreichen Scherben fand sich ein grosses kreisrundes Fragment, das die Form eines Buckels hat. In der Mitte der concaven Fläche ist eine erbsengrosse Erhöhung bemerkbar; die Farbe des Buckels ist innen und aussen schwarzbläulich. Ausserdem wurde hier ein wohlerhaltener slavischer 11½ cm hoher Topf ausgegraben. Er ist in reicher Abwechslung mit parallelen Strichsystemen und Wellenlinien verziert. Das Gefäss ist dick, von grauer Farbe, ungeglättet und schwach gebrannt. Neben überaus zahlreichen Knochen von Thieren sind grosse Massen verkohlten Getreides aufgedeckt worden, ebenso ein grösseres Bruchstück von dem Läufer einer Handmühle.


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Früher soll ein alter Zugang auf sehr verstecktem Pfade vom Dorfe nach dem Walle geführt haben.

Nach der Sage soll hier ein Heiligthum des Gottes Ragowitz gestanden haben, später aber ein altes Schloss, das zwei Brüdern gehört hat, von denen einer den anderen aus Missgunst ermordete; darauf soll das Schloss versunken sein.


Sassleben.

Der Wall, fast ganz erhalten, liegt ¼ Meile östlich von Calau. Er ist ungefähr 6 m hoch und hat einen verhältnissmässig engen Kessel. In früheren Zeiten liefen um die Schanze in weiteren Umkreisen noch zwei kleinere, regelmässige Umwallungen. Gegenwärtig gehört er zum Gutspark.

Eine frühere Eingrabung lässt mit grosser Deutlichkeit die Schichtung der einzelnen Erdmassen, aus denen er sich aufbaut, erkennen. In bunter Reihenfolge und verschiedener Stärke wechseln Sandschichten mit Lehm- und Moorboden, ab und zu auch dünne Streifen von Asche und verbrannter Kohle aufweisend.


Torno.
Berl. Vhdl. 1880, S. 292; 1885, S. 154.

Der Wall liegt westlich vom Dorfe, hart am Wege nach Stossdorf. Er ist 8 m hoch und hat einen Umfang von 206 m. Nach Westen ist eine Aufgangsschüttung noch zu erkennen, verbunden mit einem Damm, der wahrscheinlich dem Zugange durch den umgebenden Sumpf gedient hat.

In der Schanze fand sich ein Herd von drei Quadratmeter Ausdehnung, der aus geschwärzten Steinen bestand. Ferner wurden Lager von Getreide (Roggen und Weizen) und einzelnes Eisengeräth aufgedeckt. Ein Scherben hatte das senkrechte Wellenornament. Nachgrabungen in diesem Erdwerk sind untersagt.


Vorberg.
Berl. Vhdl. 1872, S. 232 ff.

4 km östlich von Gross-Beuchow erhebt sich inmitten weiter, nasser Wiesenflächen eine an der Sohle 340 Schritt im Umfang haltende, zum grossen Theile zerstörte Umwallung. Die Höhe des unbeschädigten nördlichen Theiles beträgt 25 Fuss. Von
Söhnel, Rundwälle.


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hier hat man einen Ueberblick über das ehemalige Seebecken, dessen Stelle jetzt von dem Moore eingenommen wird.

Unter einer ziemlich starken humosen Decke, welche nach innen hin bis zu einem Fuss mächtig wurde, folgten abwechselnd thonige und kalkige Schichten von grosser Dichtigkeit. Der Kalk entsprach dem unter der anstossenden Wiese vorkommenden Süsswasserkalk; er enthielt überall zahlreiche Schalen von Conchylien. Gegen die Tiefe des Walles wurden gut erhaltene Aeste und junge Stämme von Elsenholz gefunden. In der Mitte des Kegels zeigte sich eine mit Moorerde gefüllte Vertiefung, welche bei drei Fuss Wasser gab (Brunnen?).

Unter den Fundgegenständen waren Thierknochen und Gefässscherben so sehr vorwiegend, dass alles Andere dagegen verschwand. Aus Eisen ist ein dünnes, eigenthümlich geformtes Geräth gefunden worden: es ist gleich einem Sporn mit lang ausgezogenen Armen, dessen Rundung ohne Stachel ein wenig aufgebogen und auf einer Seite angeschärft ist (Schabemesser?). Aus Stein ist ein fein durchbohrter, stabförmiger Wetzstein mit quadratischem Querdurchschnitt aufgehoben worden; sonst fanden sich von Steinen nur zerschlagene und gebrannte Geschiebestücke. Zahlreiche dicke Klumpen von Lehm mit Strohtheilen wurden bemerkt, ebenso grosse Massen von Knochen und Geweihstücken. Hier und da lagen Häufchen von Fischschuppen.

Die Schanzen von Schönfeld und Senftenberg mit vorslavischen Resten sind S. 24 f. erwähnt; die Rundwälle von Repten und Batho-Terpt sind noch nicht untersucht.


Kreis Luckau.

In diesem Kreise sind bis jetzt 22 Wallanlagen gezählt worden; allein nur der kleinere Theil derselben ist beschrieben. Jedoch sind Publikationen durch Dr. Behla in Luckau zu erwarten, der bereits über mehrere derartige Ausgrabungen Bericht erstattet hat. Die Wälle von Gossmar und von Schönewalde, südlich von Sonnewalde, sind S. 25 besprochen.


Casel.

Der Burgwall, wohl erhalten, zum Dominium gehörig, hat  in der Mitte des Kessels eine Erhöhung. Eine 1875 von


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Dr. Jentsch unternommene Eingrabung ergab dicke Scherben, Knochen, formlose Eisenreste. (Nebst Bericht im Märkischen Museum aufbewahrt.)


Riedebeck.
Berl. Vhdl. 1881, S. 92.

Der Wall liegt westlich von der Sonnewalde-Luckauer Strasse, ist beackert und von einem 6 Schritt breiten Graben umgeben gewesen, der im Westen noch deutlich erkennbar ist. Scherben und Eisenschlacken sind mehrfach zu Tage gekommen.

Von diesem Wall geht die Sage (Dr. Siehe, a. a. O. S. 19), dass die Kirchenglocken in Kriegszeiten darin verborgen gewesen und durch das Wühlen eines Schweines und durch das Scharren eines Hahnes wieder entdeckt worden seien. Noch heute soll der Klang der Glocken die Stimme dieser beiden Thiere nachahmen.


Zöllmersdorf.

Dieser Rundwall von auffallend kleinen Dimensionen liegt nordöstlich vom Dorfe in einer Niederung. Zahlreiche Scherbenfunde sind dort gewonnen, darunter ein Topfboden mit kreisförmigem Stempel.


Presehnchen.

Der Wall liegt nordwestlich von dem im Kreise Calau befindlichen Erdwerke von Gross-Jehser; der Durchmesser der zum grössten Theile bereits eingeebneten und beackerten, nach dem nahen Dorfe zu noch am besten erhaltenen Erhebung beträgt 80 Schritt. Auf der Dorfseite begrenzt ihn ein Graben; weiterhin in dieser Richtung fanden sich in dem sonst niedrigen und feuchten Terrain Spuren von mässigen Erhebungen, vielleicht Reste eines Vorwalles. Einzelne Scherben enthält die Gubener Gymnasial-, die Mehrzahl die Behla'sche Privat-Sammlung. Unter ihnen befinden sich Fragmente mit scharfen, schrägen Einstichen.


Giesmannsdorf.

Bei diesem Dorfe liegen zwei Wälle. Der erste, bereits seit geraumer Zeit bekannt, liegt nördlich davon, unweit der


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Luckau-Golssener Chaussee, östlich von derselben. Der Gesammtdurchmesser beträgt 200 Fuss. Die natürliche Bodenerhebung, auf welcher die Anlage errichtet wurde, ist zum Theil als Kiesgrube benutzt, zum Theil wird sie beackert. Im Süden waren Aschenschichten sichtbar: dort sind einige dicke Scherben aufgesammelt worden. (Im Märkischen Museum.)

Der zweite, westlich vom Dorfe gelegen, ist in der Frankfurter Oder-Zeitung 1886, No. 119 beschrieben. Die Anlage ist fast quadratisch und misst in Länge und Breite je 20 m. Um dieselbe führt noch eine grubenähnliche Vertiefung von 2 m Breite. Der Wall ist 2,5 m hoch, der Kessel vertieft sich bis 0,75 m. Ziemlich genau nach Westen öffnet er sich zu einem 2 m breiten Wege, der sich sowohl durch den umgebenden Graben wie auch durch die Waldung auf ungefähr 100 Schrift erkennbar hinzieht. Dass er unzweifelhaft mit den westlich von Wierigsdorf gelegenen, jedenfalls vorslavischen „Hünengräbern“ in Verbindung stand, wie in der Frankfurter Oder-Zeitung a. a. O. berichtet ist, wird kaum anzunehmen sein.


Gehren.
Berl. Vhdl. 1883, S. 84.

Westlich vom Dorfe liegt eine etwa 80 Fuss hohe, sandige, aus dem Höhenzuge der Gehrener Berge sich herauswölbende Kuppe, „der grüne Berg“, mit freiem Ausblick in die Niederung. Die fast viereckige Oberfläche des Berges ist eingeebnet, jedoch finden sich an der Südseite noch Wallreste. Ausser mittelalterlichen, dünnen, klingend gebrannten, bläulich-grauen Scherben sind auch ältere, mit parallelen, wagerechten Furchen zu Tage gekommen. Auffallender Weise trug nur ein Stück das Wellenornament -- In der Mitte ist eine Erhöhung bemerkbar. Eine Eingrabung ergab Aschenschichten mit Scherben, Knochen und Steinen.

Der Wall hat in seiner Lage unverkennbar Aehnlichkeit mit der Wenzelsburg bei Neuzelle, Kreis Guben (S. 42).


Freesdorf.
Berl. Vhdl. 1878, S. 292; 1882, S. 318.

In demselben Torfmoor wie der Gossmarer Wall liegt der Freesdorfer Borchelt. Vor der Separation der Gemeindeländereien wurde er bei Ueberschwemmung der Wiesen vom Wasser umspült.


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Sein Umfang betrug 300 Schritt. Nach Osten ist ihm ein halbmondförmiger Vorwall vorgelagert. Der Wall, der seit einer geraumen Reihe von Jahren abgefahren wird, hatte einen tiefen Kessel und hohe steile Wände. In der oberen Hälfte des östlichen Theiles fand sich eine ungefähr 8 Fuss mächtige Schicht röthlich gebrannter Lehmklumpen, die wohl zur Befestigung der ganzen Anlage gedient hat (s. S. 5). Ausser Scherben und Muscheln, von denen eine künstlich durchbohrt ist, sind dort ein Pfriemen aus Hirschhorn und ein polirtes Feuersteinstück (Pfeil-Spitze?) ausgegraben worden. Im Nordosten des inneren Walles ist der Berl. Vhdl. 1882, S. 319 abgebildete Topf umgekehrt zu Tage gekommen: zwischen dem Rande und der durch eine flache Wellenlinie gezeichneten Ausbauchung sind 11 mal nach unten gerichtet farnkrautähnliche Blätterverzierungen mit einem mehrzinkigen Geräthe eingestrichen. Dasselbe Ornament trägt ein Scherben aus dem heiligen Lande von Niemitzsch (abgebildet im Gubener Gymn.-Progr. 1883, Taf. 1. No. 74). Der Bericht über einen Skelettfund ist S. 12 erwähnt.


Neuendorf.
Berl. Vhdl. 1872, S. 232; 1883, S. 290; Niederl. Mittheil. Heft II., S. 67 ff.

Die Schanze, an der Dubener Grenze gelegen, wurde 1850-1851 behufs Herstellung eines Chausseedammes abgetragen. Unter und in dem Walle lag viel Eichenholz, im Kessel traf man auf grosse Steine. Rings um die Erdschüttung liefen, mit Erde überdeckt, parallel zwei fundamentartige Steinkreise von grossen Feldsteinen, 3 Fuss hoch und 3 Fuss breit. Slavische Scherben, auch Knochen und Kohlen fanden sich in Menge, ferner ein Lehmbewurſstück mit dem wohlerhaltenen Abdruck einer vollen Aehre (Berl. Vhdl. 1885, S. 149). Ausserdem wurde ein „Grab“, aus Lehm geformt, blosgelegt, in den Wänden ungefähr 3 Zoll stark, 6 Fuss lang, 3 Fuss breit und 1 Fuss hoch, gestrichen voll geschüttet mit Knochenschutt. Auch wurde eine grössere Zahl ganzer Töpfe angeblich mit Knochenresten ausgegraben, „in der Form von Milchtöpfen, die in der Mitte bauchiger, nach oben enger waren.“ Zu diesen Funden kommt, noch ein „silberähnlicher“ Sporn: vielleicht ein silberplattirtes Stück, wie sie in der Periode der slavischen Burgwälle anderwärts mehrfach vorkommen. Vorslavische Scherben scheinen nicht gefunden zu sein.

Die Schanze weist nach den vorliegenden Funden manche


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Eigenthümlichkeiten auf. So sind z. B. Todtenurnen bis jetzt nur in vorslavischen Wällen zu Tage gekommen, ebenso sind derartige „silberähnliche“ Gegenstände in der Niederlausitz selten. *) Eine genauere Untersuchung ist bei der fast gänzlichen Vernichtung der Anlage nicht mehr möglich. Die erhaltenen Gegenstände befinden sich in der Sammlung des Rittergutsbesitzers Paschke zu Neuendorf.


Möllendorf- Ponnsdorf.

Ausser zahlreichen Scherben sind dort Eisengeräthe (u. a. ein Beil) gefunden und zum Theil nach Finsterwalde gebracht worden. --

Ueber die Schanzen von Duben, Garrenchen, Golssen, Hohendorf, Kaden, Reichwalde, Sonnewalde (der Gratig, westlich von der Stadt, eingeebnet), Waldow, Weissagk und Zieckau liegen keine genaueren Nachrichten vor.


Im Spremberger Kreise
ist bis jetzt noch keine Wallanlage festgestellt worden.
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*) Ein silberplattirtes Eisenbeilchen, das gleichfalls der slavischen Zeit angehört und durch die Form der Ornamente auf orientalischen, wahrscheinlich arabischen Ursprung hinzeigt, ist im Osterberge zu Guben gefunden worden (Abbildung: Berl. Vhdl. 1883, S. 421, Gub. Gymn.-Progr. 1885, Taf. II, No. 19). Vgl. Katalog d. Berlin. Ausstellung prähistorischer Funde. 1880. S. 409.


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Schluss.

Das im Vorliegenden zusammengestellte Material ist bei zahlreichen, wenn auch keineswegs planlosen, so doch immer nur beschränkten Ausgrabungen verschiedener Alterthumsfreunde oder gelegentlich der zu anderen, als wissenschaftlichen Zwecken unternommenen gänzlichen Niederlegung von Rundwällen gewonnen. Systematisch ist bis jetzt in unserer Landschaft noch keines dieser Erdwerke völlig abgetragen worden.

Bei der Untersuchung derselben ist es am vortheilhaftesten, wenn möglichst grosse Strecken von obenher blosgelegt und wagerecht schichtweise abgetragen werden können. Durch eine solche Behandlung könnte es bei inhaltsreichen Anlagen noch gelingen, Fundgruppen nach Perioden zu sondern, so namentlich vielleicht die Verzierungstypen der Gefässe, wie es bezüglich der Topfbodenzeichen z. B. im Burgwall Hrádek bei Caslau (s. S. 9) Dr. Cermák gelungen ist. Ist dies Verfahren nicht anwendbar, so würde es sich empfehlen, am Rande einen Abstich vorzunehmen: dann muss allerdings, was räumlich zunächst verbunden erscheint, in ein zeitliches Nacheinander zerlegt und muss die Zusammengehörigkeit des allmählich zu Tage gekommenen Materials erst künstlich wieder hergestellt werden. Ausserdem empfehlen sich Tasteingrabungen -- wo es die Verhältnisse gestatten in der Form von Gräben -- und zwar im Kessel, wie in der Umgebung der Aufschüttung, u. a. um die natürliche Unterlage wie etwaige künstliche Unterbauten zu ermitteln. Bei Wällen, die nicht mehr unbeschädigt, namentlich bei solchen, die bereits eingeebnet sind, erscheint ausser der selten vergeblichen Absuchung der Oberfläche mindestens eine Eingrabung bis auf die natürliche Grundlage geboten.

Das Bild, das wir von der Vorgeschichte unserer Heimath aus dem Fundmaterial der Rundwälle gewinnen, ist kein allseitiges und vollständiges. Für ein solches ist der gesammte übrige Nachlass der wendischen Bevölkerung zu Hilfe zu nehmen.

Zunächst kommen die Langwälle (z. B. bei Costebrau Kr. Calau und bei Golssen Kr. Luckau) in Betracht, die zum Theil ähnliche Einschlüsse enthalten, wie die Rundwälle, welche man übrigens in einigen Gegenden, nach unserer Deutung derselben nicht unzutreffend, Bauernburgen nennt.


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Wichtig würden für uns die Funde von Cultus- und Opferstätten sein: sie würden auf das innere Leben der Slaven unserer Landschaft Licht werfen. Aber bis jetzt ist es nicht gelungen, innerhalb derselben sichere Spuren solcher Stellen zu ermitteln. Es ist kein rechter Grund ersichtlich, weshalb man sie etwa an entlegenen, versteckten, schwer zugänglichen Punkten zu suchen hätte.


Einfügung: Innerhalb der Arbeitsberichte zur Bodendenkmalpflege in Brandenburg veröffentlichte das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und archäologisches Landesmuseum im Arbeitsbericht 30 (2013/2014) drei Beiträge zu Vogelrasseln des Fruchtbarkeits- und Regenkultes der Lausitzer Kultur.


Für die vorslavische Periode der Urgeschichte sind die Gräber die ergiebigsten Quellen unserer Kenntniss: man wird daher unwillkürlich nach der Bestattungsart der alten wendischen Bevölkerung fragen. Wie slavische Leichenurnen überhaupt ausserordentlich spärlich sind, so sind auch in der Niederlausitz bis jetzt nur an einer Stelle, in Wirchenblatt Kreis Guben (Berl. Vhdl. 1885, S. 150 und 383), wendische Todtengefässe mit Leichenbrand nachgewiesen. Ueber Baumsärge mit Knochenasche liegt aus Coschen, Kreis Guben, eine dunkle Nachricht vor. Skelettgräber festzustellen ist erst im October d. J. den fortgesetzten Bemühungen des Oberlehrers Dr. Jentsch gelungen: in demselben Kreise sind nämlich bei dem Dorfe Haaso deren über 20 ermittelt worden. Es ist wahrscheinlich, dass sie die überwiegende Form der wendischen Leichenbestattung darstellen.

Fragen wir ferner nach den Resten von Wohnstätten, so sind auch diese überaus spärlich, namentlich für die ältere Zeit. Nicht sowohl Spuren der Bauten selbst, über deren Leichtigkeit bereits S. 28 gesprochen ist, als vielmehr Reste von Metall- und Thongeräth geben hier einen Fingerzeig: so das S. 54 erwähnte eiserne Beilchen aus Guben und die nicht in Burgwällen oder bei Grabstätten gefundenen völlig erhaltenen *) Wendentöpfe (Stadt
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*) Ich lasse dieselben nach dem Verzeichniss im Gub. Gymn.-Progr. 1885, S. 3 (vgl. ob. S. 9) hier folgen:
Kr. Calau: Ragow (Bes. Dr. Siehe); Lindchen (Märk. Mus. ).
Kr. Cottbus: unbek. Fundort im Kreise (Märk. Mus.); Burg (Königl. Mus. zu Berlin); Zahsow (Königl. Mus.).
Kr. Guben: Amtitz (Bes. Se. Durchlaucht Prinz zu Schönaich-Carolath): Werderthörscher Burgwall (verloren); Plesse (Gubener Gymn.); Niemitzsch (desgl.); Haaso, Urnenfeld (desgl.); Haaso, Skelettgräber (desgl.).
Kr. Lübben: unweit der Stadt. 2 (Märk. Mus.).
Kr. Luckau: Freesdorf (Bes. Dr. Behla); Golssen (Königl. Mus.); Sonnewalde (mit Wendenpfennigen; Märk. Mus.).
Kr. Sorau: Stadtgebiet (verloren); Herrschaft Forst-Pförten (Gräfl. Brühlsches Alterthums-Museum im Schlosse zu Pförten).


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Sorau, Herrschaft Forst--Pförten, Umgegend von Lübben) und die Scherbenfelder nördlich von Wierigsdorf, Kr. Luckau (Berl. Vhdl. 1882, S. 261, von Dr. Behla als Kochstellen einer nicht dauernd angesiedelten Volksmasse aufgefasst), wo u. a. ein konkaver Topfboden mit erhabenem, kleinem Kreuze gefunden ist, ferner die S. 37 erwähnte Stätte südlich von Calau, dicht bei der Stadt, der Schlossberg von Cottbus mit spät mittelalterlichen Stücken (Cottb. Gymn.-Progr. 1869, S. 58), schliesslich der Pfahlbau *) von Lübbinchen (s. S. 37 und Jentsch im Gub. Gymn.-Progr. 1886, S. 24), sowie die Baugrundfunde in Städten und Dörfern, unter ihnen die sogenannten Kugeltöpfe **), welche nicht selten noch Reste von Nahrungsmitteln enthalten und die bereits in die frühgeschichtliche Zeit hineinführen. Auch die Spuren von Arbeitsstätten, z. B. der Eisenschmelzer und der Bearbeiter von Feuersteinen (Schlackenreste, Steinsplitter, misslungene oder beschädigte Steingeräthe, dazu Burgwallscherben) kommen hier in Betracht. Besonders wichtig sind für Feststellung der alten Wohnsitze die Münzen: schon ihr Name weist die sogenannten Wendenpfennige, kleinere und mittelgrosse Silbermünzen mit breit geklopftem Rande und sinnlosen, in Strichen und Kreisen bestehenden Schriftzeichen, in diese Zeit. Bei Sonnewalde ist der jetzt im Märkischen Museum aufbewahrte Fund ausgegraben worden; andere sind um 1840 im Gubener Kreise zugleich mit Stücken von Konrad d. Gr. gefunden; auch der unlängst gewonnene Ragower Hacksilberfund enthielt etliche Stücke dieser Art.

Was die Form der slavischen Ansiedlungen betrifft, so ist bereits S. 3 der sogenannten Runddörfer oder Rundlinge gedacht, die in älterer Zeit nur einen Eingang hatten und die in der Altmark noch häufiger anzutreffen sind. Auch die Flureintheilung ist oft charakteristisch. Die älteste slavische Wohnhausform ist von Jentsch (Berl. Vhdl. 1884, S. 434 ff.), von W. v. Schulenburg, Zeitschr. f. Ethnol. 1886, S. 123 ff. besprochen, speziell der Giebelschmuck von Dr. Siehe in der mehrfach citirten Schrift S. 57.

Noch heut bewahren die Wenden des Spreewaldes und bei
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*) Ueber das Verhältniss der norddeutschen Pfahlbauten zu den Burgwällen (s. ob. S. 5), vgl. Friedel, Stein-, Bronze- und Eisenzeit in der Mark Brandenburg. Berlin 1878, S. 41 f.
**) Zahlreiche Abbildungen in Westermanns Monatsheſten 1877, Bd. 41, S. 399 ff.


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Spremberg ihre Stammeseigenthümlichkeit in Körperbau, Sprache, Sage, Sitte, Tracht und Geräthen *). Aber auch in den bereits völlig germanisirten Gegenden, selbst in den Städten leben in Orts- und besonders Flurnamen, in volksthümlichen Ausdrücken und in der Aussprache – z. B. sei an den weichen Sch-laut erinnert --, in Brauch und Aberglauben noch manche nur halbverstandenen Reste weiter: auch durch deren Sammlung wird sich die Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte, welche so anregend auf die Durchforschung der Landschaft wirkt, Anerkennung bei allen Freunden der heimathlichen Alterthumskunde erwerben. Der Verfasser wird jede derartige Mittheilung unter lebhaftem Danke entgegennehmen.
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*) Ueber letztere vgl. v. Schulenburg in d. Zeitschr. f. Ethnol. 1886, S. 130; über die hölzernen Grabdenkmäler s. Andree, wend. Wanderstud. S. 47 f.; über Sage, Brauch und Sitte handelt E. Veckenstedt, Wendische Sagen, Graz 1880: W. v. Schulenburg, Wendische Volkssagen und Gebräuche, Leipzig 1880: derselbe, Wendisches Volksthum, Berlin 1882.


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Alphabetisches Verzeichniss der Rundwälle in der Niederlausitz.

lfd. Nr. Rundwallort Seite
1 Babow 45
2 Bademeusel 31
3 Bahren 31
  Balshebbeln s. Starzeddel  
4 Barzlin bei Lübbenau 23, 46
5 Batho-Terpt 50
6 Berthelsdorf 31
7 Brahmo 22, 44
8 Bresinchen 39
9 Buckow 47
10 Buderose-Coschen 40
11 Burg-Schlossberg 20, 44
  Burglehn s. Steinkirchen  
12 Casel 50
13 Coschen 41
14 Datten 31
15 Duben 54
16 Freesdorf 52
17 Friedland 46
18 Fürstenberg a. O. 43
  Fürstenberg bei Hartmannsdorf s. d.  
19 Garrenchen 54
20 Gehren 52
21 Giesmannsdorf, 1. nördl. 51
22 Giesmannsdorf, 2. westl. 52
23 Gossmar 25, 50
  Gratig b. Sonnenwalde s. d.  
24 Gross-Beuchow 47
25 Gross-Jehser 47
26 Gross-Mehssow, Gröschkenberg 24, 47
27 Guben, Borchelt 35
28 Guben Chöne-Schlössch. 40
29 Guben-Lubsthutung 35
30 Guben Werderthor 35
31 Gurkau 31
32 Hartmannsdorf, Fürstenberg 46
33 Hohendorf 54
34 Jänschwalde 45
35 Kaden 54
  Koals Berg s. Steinkirchen  
36 Koyne 31
37 Lahmo 41]
38 Lamsfeld 46
39 Legel 31
40 Leuthen 31
     
41 Liebsgen 31
  Littans Berg s. Steinkirchen  
42 Lübbinchen 44
43 Möllendorf-Ponnsdorf 54
44 Mulknitz 31
45 Neuzelle, 1. im Torfmoor 42
46 Neuzelle, 2. Wenzelsburg 42
47 Niemitzsch, heiliges Land 18, 36
48 Ober-Ullersdorf 31
49 Plesse, Winkel 34
50 Presehnchen 51
51 Raddusch 48
52 Ragow 48
53 Reichwalde 54
54 Riedebeck 51
55 Ruben 25, 45
56 Sablath-Witzen 17, 31
57 Sakrow 46
58 Särchen-Zilmsdorf 31
59 Sassleben 49
60 Schlagsdorf 38
61 Schönewalde bei Sonnewalde 25, 50
62 Schönfeld 25, 50
63 Senftenberg 24
64 Sonnewalde, Gratig 54
65 Sorau 31
66 Sprucke 39
67 Stargardt 32
68 Starzeddel, Balshebbel 18, 32
69 Steinkirchen, Burglehn 45
70 Steinkirchen, Koals Berg 46
71 Steinkirchen, Littans Berg 46
72 Stockshof 23
73 Stradow 45
74 Sylow 44
75 Tornow 49
76 Vorberg 49
77 Waldow 54
78 Weissagk 54
79 Wintdorf 45
  Witzen s. Sablath  
80 Zahsow 22, 44
81 Zieckau 54
82 Zöllmersdorf 51







Quelle:
Söhnel, Herrmann: Die Rundwälle der Niederlausitz nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung. Ein Beitrag zu den prähistorischen Untersuchungen der Landschaft. Guben, Verlag Albert König, 1886.
Das Buch liegt in den dilibri Rheinland-Pfalz unter URN urn:nbn:de:0128-1-53288 eingescannt vor. Link: https://www.dilibri.de/rlb/content/pageview/1726407

Hinweis: Das Originalwerk enthält keine Bilder. In den Text wurden Fotos und Informationen aus der Slawenburg Raddusch von 2005 und neuzeitliche Literaturhinweise zu Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevier eingefügt. Die Einfügungen sind durch Kursivsschrift gekennzeichnet.




Wilhelm von Massow 1908: Die Vinetasage

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14 Die Vinetasage

 

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Die Vinetasage von Wilhelm von Massow

 

1

 

Jedermann kennt die wunderbar stimmungsvolle Sage von der glänzenden, üppigen Handelsstadt Vineta am Gestade der Ostsee, der Wunderstadt, die eines Tages zur Strafe für sündigen Übermut von den Fluten des Meeres verschlungen wurde. Seitdem ruht ihre versunkne Pracht auf dem Meeresgrunde, nur Sonntagskinder dürfen zuzeiten etwas von dieser Herrlichkeit schauen, und geheimnisvolle Glockenklänge, die heraufschallen, legen Zeugnis ab von den Wundern, die in der Tiefe verborgen sind.

 

Die Sage bezeichnet uns auch den Ort, wo wir das versunkne Vineta zu suchen haben. In drei Armen strömt bekanntlich die Oder aus dem großen Wasserbecken des Haffs der Ostsee zu und bildet dadurch zwei große Inseln, Usedom und Wollin. Wer auf der westlichen dieser beiden Inseln, Usedom, an der waldumsäumten Ostseeküste entlang wandert, trifft ungefähr in der Mitte der ganzen Küstenstrecke auf eine von herrlichem Laubwald bestandne Erhebung des Dünengürtels, die schroff nach dem Meere abfällt. Neuerdings ist der steile Abhang nach Möglichkeit gegen die den schönen Wald bedrohende, unterwühlende Tätigkeit der Fluten geschützt worden. Wer auf der Höhe dieses

 

 

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15 Die Vinetasage

 

sogenannten Streckelsberges steht und auf das Meer hinausblickt, erkennt in einiger Entfernung bei ruhiger See an der Färbung des Wassers und, bei niedrigem Wasserstand, auch an gewissen Brandungserscheinungen das Vorhandensein eines großen Riffs mit steinigem Grunde. Es ist das alte „Damerower Riff“, heute auch oft „Vinetariff“ genannt, denn hier soll die alte, berühmte Handelsstadt gestanden haben.

 

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Überlieferung von der untergegangnen Stadt, die ein uraltes Handelsemporium an der Ostsee gewesen sein sollte, auch den Historiker beschäftigen mußte. Über die Frage, ob es wirklich ein Vineta gegeben habe, sind zahlreiche und scharfsinnige Untersuchungen angestellt worden, aber es ist wenig davon in weitere Kreise gedrungen. So kommt es wohl, daß die meisten, die Auskunft über den geschichtlichen Untergrund der anziehenden Sage suchen, recht unbefriedigende Antworten erhalten. Am bequemsten machen es sich die Erklärer, die einfach behaupten, Vineta sei nichts andres gewesen als die heutige Stadt Wollin, die zur Wendenzeit eine angesehene Handelsstadt war und später schnell ihre Bedeutung einbüßte; alles andre sei sagenhafte Ausschmückung. Andern Erklärern schlug doch wohl das Gewissen bei der Vorstellung, daß eine gar nicht am Meere gelegne Stadt durch die Sage zu einem Seehandelsplatz umgestaltet und im Meere versunken sein sollte, obwohl sie noch heute als freundliches, kleines Provinzstädtchen ganz vergnügt und wohlbehalten auf festem Grunde steht. Sie fanden die Lösung darin, daß es zwei wendische Handelsstädte gegeben habe, Julin und Vineta. Die eine sei das heutige Wollin, die andre sei eben verschwunden, und es sei schon möglich, daß sie den Meereswogen zum Opfer gefallen sei. Rechte Klarheit schaffen diese Deutungen nicht, und merkwürdigerweise scheinen sie auch auf andre Erklärungsversuche abgefärbt zu haben, die sich auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen genauer stützen, denn auch in diesen finden sich auffallende Unklarheiten und Verwechslungen.

 

Und doch gibt es eine wissenschaftliche Arbeit, die das Rätsel von Vineta, soweit seine geschichtlichen Grundlagen in Betracht kommen, so gut wie einwandfrei löst. Dabei ist diese Arbeit schon etwa siebzig Jahre alt. Ich meine die ausgezeichnete Darstellung des Greifswalder Historikers Friedrich Wilhelm Barthold in seiner Geschichte von Pommern und Rügen. Wenn Barthold damals nicht recht durchdrang, so ist es wohl erklärlich. Die nüchterne, kritische Schärfe des Forschers erweckte in jener der Romantik geneigten Zeit den leidenschaftlichen Widerspruch derer, die an den überlieferten Vorstellungen mit ganzem Herzen hingen und sich den vermeintlichen historischen Kern der heimischen Sagenwelt nicht rauben lassen wollten. Durch den künstlichen Nebel, der durch den damaligen Streit um die Frage wiederum über das Vinetaproblem ausgebreitet worden ist, sind dann auch die folgenden Generationen etwas beirrt worden. Die Untersuchungen Bartholds sind aber so sehr im Geiste der modernen Geschichtsforschung gehalten, daß es sich wohl verlohnt,

 

 

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16 Die Vinetasage

 

daran zu erinnern. Denn bei der Reichhaltigkeit der historischen Literatur von heute wird der Kreis derer, die sich noch aus einem alten Spezialwerk, wie Bartholds pommerscher Geschichte, unmittelbar unterrichten, verhältnismäßig beschränkt sein. Gerade die Darstellung der Vinetafrage verdient aber auch eine Beachtung weiterer Kreise, weil wir dabei die überraschende Entdeckung machen, daß wir die Entstehung dieser Sage, sozusagen, an der Hand geschichtlicher Dokumente verfolgen und kontrollieren können -- ein Fall, der sich sonst wohl nicht leicht finden wird. So gewinnt die Sache eine allgemeine Bedeutung für die Sagenforschung.

 

Allerdings läuft dabei eine gewisse Einseitigkeit unter. Man darf die Frage nicht ausschließlich vom Standpunkte des kritischen Urkundenforschers betrachten. So einfach entwickelt sich eine Sage niemals, daß sie aus der willkürlichen Ausschmückung geschichtlicher Vorgänge allein hervorwüchse. Vielmehr bewegt sich diese ausschmückende und umgestaltende Tendenz in ganz bestimmten Vorstellungsbahnen, die ohne geschichtliche Unterlagen lediglich durch die dichtende Volksphantasie geschaffen worden sind. Erst aus dieser Durchdringung geschichtlicher Überlieferungen mit Gebilden der reinen, schöpferischen Volksphantasie entsteht die echte Sage. Nur so wird man auch die Vinetasage verstehn können.

 

Der grübelnde Verstand des schlichten, einfachen Menschen kann es nicht fassen, daß auch das Elend und die Unvollkommenheit der Welt aus der Hand eines gütigen Schöpfers hervorgegangen sein soll. Nur eine Möglichkeit scheint die Erklärung zu geben: der Schöpfer hat alles gut geschaffen, aber Vorwitz, Übermut und Ungehorsam der Menschenkinder haben das Unheil als Strafe des Himmels herbeigeführt. Das ist die Vorstellung von dem verlornen Paradiese, von dem dahingeschwundnen goldnen Zeitalter. Tief senkte sich diese Vorstellung in die Seelen der kämpfenden und leidenden Menschheit unter den verschiedensten Himmelsstrichen und in den verschiedensten Zeiten. Sie verbreitete sich als beherrschendes Moment auf einen weitern Gedankenkreis, der für das Übel dieser Welt und die zerstörenden Gewalten in der Natur eine Erklärung und einen Trost suchte und beides in dem Walten einer höhern Gerechtigkeit fand, die in der Vernichtung einstiger Herrlichkeit den Übermut leichtfertig genossenen Glücks strafte. Wo sich der Mensch ohnmächtig den Schrecknissen mächtiger Naturkräfte gegenüber sah, da schuf seine Phantasie dichtend die Motive für den göttlichen Zorn und wob auf diesem Wege eine sittliche Idee hinein, die nicht selten zu einer gewaltigen Tragödie erwuchs. Es war gewiß ursprünglich nur ein kecker Scherz, der einer in Schnee und Eis in schauriger Einsamkeit starrenden Bergmasse mitten im Berner Hochgebirge den Namen Blümelisalp schuf. Aber die dichtende Volksphantasie bemächtigte sich des Wortes, das einen ihrer Lieblingsgedanken anregte, und nun zauberte sie die Eiswüste in einen ehemaligen Blumengarten um, der voll Glanz und Reichtum war, bis ein schwerer Frevel den Fluch des Himmels

 

 

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17 Die Vinetasage

 

auf die Stätte herabzog. Das ist eben ein immer wiederkehrendes Motiv unsrer Sagenwelt, wo immer nur das Walten der Natur den Anlaß dazu bot. So gaben die Erscheinungen der eigentümlichen Hochmoore in der Rhön, der Kraterseen in der Eifel und ähnliches den Anstoß zu den vielen und mannigfaltigen Erzählungen von versunknen Dörfern, und so haben auch die Meeresküsten ihre Sagen von ganzen Ortschaften, die der Flut zum Opfer fielen. Und wirklich reißt bekanntlich die Ostsee jahraus jahrein ein Stück von unsrer Küste ab. Wenn sich heute ein fremder Besucher über die mehrfachen Gürtel von sandigen Untiefen wundert, die unsre heimische Ostseeküste fast überall begleiten, dann pflegen alte Fischer gern zu erzählen, wie zu ihrer Großväter Zeiten die Leute an denselben Stellen, wo jetzt das Meer flutet, auf festen Wegen von einem Küstenort zum andern mit Wagen fuhren. Das bekannteste Zeugnis für diese zerstörende Tätigkeit des Meeres ist das Kirchdorf Hof an der hinterpommerschen Küste. Einst lag die Kirche von Hof inmitten des auf sicherm Grunde stehenden Dorfes. Aber näher und näher rückte das Meer heran, ein Stück nach dem andern der lehmigen Steilküste stürzte und rutschte hinab, dann stand die Kirche einsam am steil abfallenden Rande, für den gottesdienstlichen Gebrauch mußte sie geschlossen werden, bald ist sie ganz dem Untergange geweiht. Nur noch kurze Zeit, und ihre zerfallenden Trümmer werden krachend hinabstürzen in die gierige Flut.

 

Es bedarf also keiner besondern Erklärung, daß die Phantasie der Küstenbewohner der Ostsee erfüllt ist von der Vorstellung verschwundner Ortschaften, die das Meer einst hinweggespült hat. Die Sandriffe werden ihnen zu ehemaligen Landstraßen längs der Küste, die Häufungen von Wanderblöcken, die sich in den Riffen stellenweise finden, zu Resten alter Gebäude und Stadtmauern. Und von diesen Anfängen aus spinnt die Phantasie ihren Faden weiter und erzählt von dem göttlichen Strafgericht, das hereinbrach, als das alles noch festes Land war. Dann klingen wohl dem Erzähler an stillen Abenden dumpfe, feierliche Töne aus dem Meer entgegen, wie ferne, gedämpfte Orgel- und Glockenklänge -- die Stimmen versunkner Kirchen! Es sind geheimnisvolle Klänge, wie man sie gelegentlich wohl überall hört, wo ein eintöniges Rauschen im Wald oder im Meer unter dem Einfluß gewisser Luftbewegungen sich zu langen, regelmäßigen Schwingungen ordnet, die den gewohnten Klang in tiefen, harmonischen Untertönen begleiten. Auch das Festland kennt den Glockenton der verzauberten Kirche, der den Wald durchklingt und die Seele mit wunderbarer Sehnsucht erfüllt.

 

Wir sehen also, wie sich an der pommerschen Küste die Sage von der versunknen Stadt in einer Form entwickeln konnte, die schon alle Hauptmotive der Dichtung enthält. Woher aber der Name „Vineta“ und alle die konkreten, an historische Vorgänge erinnernden Züge, mit denen die Sage sonst noch ausgestattet ist? Hier verlassen wir zunächst ganz das Gebiet der Sage; die nüchterne Geschichtsforschung tritt in ihr Recht.

 

Grenzboten 1 1908

 

 

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18 Die Vinetasage

 

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Zuerst drängt sich die Frage auf: Hat etwa in vorhistorischer Zeit -- und das bedeutet für die hier in Betracht kommenden Gegenden: vor dem zehnten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung -- an der Ostseeküste wirklich ein größeres Handelsemporium bestanden? Diese Frage kann nur dahin beantwortet werden, daß es zum mindesten außerordentlich unwahrscheinlich ist. Denn wir wissen heute, daß von der Ostsee alte Handelswege in die Länder griechischer Zunge und nach dem Schwarzen Meere führten, und wir sehen aus den alten Schriftstellern, daß die Griechen -- und natürlich auch die Römer -- durchaus nicht ohne Kenntnis von den Völkern an den baltischen Gestaden waren. Und da sollte nichts davon erwähnt oder überliefert sein, daß im Gebiet dieser noch wenig von der Kultur berührten, einfachen Tauschhandel treibenden Völkerschaften ein großer Handelsplatz, eine wirkliche Stadt lag? Das ist ganz unglaublich. Wir können also annehmen, daß keine der Ansiedlungen im Ostseegebiet über den Durchschnitt hervorragte, der durch die bescheidne Kultur der wendischen Völker und die Unfertigkeit ihrer sozialen Einrichtungen gegeben war. Auch die Nordgermanen auf der andern Seite der Ostsee hatten den Wikingergeist der alten Zeiten noch nicht in feste, staatliche Formen gebannt. In Frieden oder Fehde hausten zahlreiche kleine Könige mit ihren Stämmen auf den dänischen Inseln und in Südschweden nebeneinander. Gelegentlich hatten zwar einzelne dieser Könige eine größere Macht erworben und ihre Mitkönige unterworfen oder vertrieben. So geschah es, als der jütische König Göttrik seine Herrschaft über die dänischen Inseln ausdehnte, den Sachsen in ihrem Kampfe gegen Karl den Großen einen Rückhalt gewährt hatte und deshalb von dem mächtigen Beherrscher des Frankenreichs bekriegt wurde. In dem Maße als die Bedrohung des heidnischen germanischen Nordens durch das Frankenreich aufhörte, schwand auch wieder das Bedürfnis der dänischen Stämme nach staatlicher Einigung, um erst aufs neue zu erwachen, als das kraftvolle Geschlecht der Sachsenherzöge die deutsche Königskrone trug und die östliche Hälfte des alten Frankenreichs zu einer neuen Machthöhe emporführte. So erscheint erst ein Zeitgenosse Heinrichs des Ersten und Ottos des Großen, der seeländische Häuptling Gorm der Alte, als Begründer einer dauernden Vereinigung der dänischen Stämme und als der erste in einer nun ununterbrochnen Reihe von dänischen Königen.

 

Ein wenig später, aber unter der Einwirkung derselben Ursachen, finden wir eine ähnliche Entwicklung auch bei den slawischen Nachbarn des deutschen Reichs, die sich gegen die Mitte des zehnten Jahrhunderts erst zu sehr bescheidnen Anfängen politischer Organisation hindurchgearbeitet hatten. Das junge deutsche Reich reckte eben damals ganz gewaltig die Glieder. Die von Karl dem Großen angeregte Idee der politischen und nationalen Ausbreitung im Namen des Christentums hatte, nachdem Heinrich der Erste die Slawen östlich von Elbe und Saale gezüchtigt und die sächsisch-thüringischen Marken

 

 

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19 Die Vinetasage

 

angelegt hatte, durch die Verknüpfung des Imperiums mit der deutschen Krone unter Otto dem Großen einen neuen Impuls erhalten. Die Tätigkeit des gewaltigen Herzogs Gero bedrohte das Slawentum auf das schwerste. Unter dem Eindrucke dieser Gefahr ballten sich die Massen der slawischen Bevölkerung östlich von der Oder bis zur Weichsel hin zu einer politischen Einheit zusammen, indem sie den Fürsten Mscislaw als ihren Führer und Herrn anerkannten. Das ist der Anfang des polnischen Reichs.

 

Es ist ein alter, auch heute noch immer wiederholter Irrtum, daß die Polen von Hause aus eine besondre Völkerschaft innerhalb der Masse der Westslawen gewesen seien. Die Westslawen hatten ursprünglich eine sehr lose gefügte Gauverfassung, die allerdings durch die Zusammenfassung verschiedner Gauverbände in größern Landesbezirken zu gemeinsamer Besiedlung und Verteidigung -- meist, was für die fischereitreibenden Slawen bezeichnend ist, nach Flußgebieten benannt -- die Abgrenzung nach kleinen Volksgemeinschaften kannte. Namen und Einteilung dieser „Stämme“ und der von ihnen zeitweise geschlossenen größern Verbände wechseln jedoch öfter, und die allmählich entstehenden mundartlichen Unterschiede in der Sprache der verschiednen Gegenden sind so unbedeutend, daß man an Unterschiede wirklicher Volksstämme von irgendwelcher Eigenart und innerm Zusammenhang innerhalb der westslawischen Bevölkerung8masse nicht denken darf -- vielleicht mit Ausnahme von Böhmen und Mähren, wo sich frühzeitig in einem geographisch abgeschlossenen Gebiete nationale Fürstentümer gebildet hatten. Man bezeichnete nur gewisse Gruppen dieser Bevölkerung nach der geographischen Eigentümlichkeit des von ihnen bewohnten Gebiets, unterschied daher ganz allgemein die „Küstenbewohner“ als pomorane (Pommern) von den Binnenländern, und unter diesen wieder die „Polen“ (polane oder polacy = Ebnenbewohner, Unterländer, von pole = Feld, Ebne) von den ursprünglich in Oberungarn wohnenden „Horwaten“ (horowat = Bergbewohner, Oberländer von hora = Berg), deren Hauptmasse durch den Einbruch der Avaren abgesprengt und nach Süden gedrängt wurde, wo sie als Chrowaten (Kroaten) noch heute wohnen.

 

Diese Feststellung war notwendig zum Verständnis der Tatsache, daß in dem Streben des Fürsten Mscislaw, möglichst alle Westslawen unter seiner Herrschaft zu sammeln, keineswegs die Eroberungslust eines Stammfürsten zu sehen ist, der über sein angestammtes Herrschaftsgebiet hinausgreift, sondern eine aus der gegebnen Lage unmittelbar folgende Aufgabe. Beim Vordringen nach Westen mußte der Polenfürst sehr bald erkennen, daß sein Bemühen vergeblich war. Er unterlag im Kampfe mit Gero. Das Opfer, zu dem sich die trotzigen Dänen nicht so leicht entschlossen, brachte der geschmeidige Slawenfürst in raschem Erfassen der Lage sofort; er wurde deutscher Reichsfürst und Christ und brachte dadurch die Bewegung der Deutschen nach Osten zum Stillstand. Um so mehr lag ihm nun daran, die Ostseeküste zu gewinnen, aber gerade hier lebte der Unabhängigkeitssinn der slawischen Stämme noch ganz

 

 

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20 Die Vinetasage

 

ungebrochen, und von einer neuen Religion wollte man vollends nichts wissen. So begnügte sich der weitsichtige und verschlagne Polenherzog einstweilen damit, durch friedliche Beziehungen an der Ostsee Einfluß zu gewinnen und den Dänen, die durch gemeinsame Feindschaft gegen die deutsche Macht mit ihm die gleichen Interessen hatten, die Hand zu reichen. Die Dänen ihrerseits erkannten die Notwendigkeit, möglichst bald auf der Südseite der Ostsee festen Fuß zu fassen.

 

Diesen Umständen nun verdankt der Handelsplatz Julin seine erste Blüte. Mscislaw mußte nämlich zur Erreichung seiner Zwecke bemüht sein, dem polnischen Binnenlande zwischen Oder und Weichsel eine günstige Gelegenheit zum Absatz der Landesprodukte an der Ostseeküste zu verschaffen, ferner aber einen vielbenutzten Handelsweg durch das von ihm beherrschte Land zu leiten. Für die aufstrebende russische Macht in Kiew kam dieser Wunsch sehr gelegen. Die Russen konnten auf dem Wege über Polen nun auch mit Dänemark in Handelsverbindung treten. Polen selbst aber konnte seine eignen Erzeugnisse, Pelzwerk, Honig, gesalzne Fische auf diesem Weg an die Küste bringen. Wo mußte nun der Endpunkt dieses Handelswegs liegen, der besonders auf den Verkehr mit Dänemark berechnet war? Natürlich nicht an der von Dänemark zu entlegnen, durch die Nachbarschaft der Preußen gefährdeten Weichselmündung, sondern an der Odermündung. Von den drei Armen, in denen die Oder dem Haff entströmt, kam der westliche, die Peene, deren Hinterland schon unter sächsischem Einfluß stand, für Polen nicht in Betracht. Der mittlere, die Swine, war nicht so unmittelbar und bequem von Osten her zu erreichen, auch in jener Blütezeit der Seeräuberei zu wenig gegen das offne Meer hin gesichert. Der östliche, die Dievenow, war auf dem Wege von Polen her der nächste Oderarm; er war in seinem obern Teile schmal und besaß eine versandete Mündung. Wenn man an einer schmalen Stelle die Dievenow überschritt und sich drüben festsezte, konnte man nach Bedarf auch die Mündung der Swine leicht erreichen, war zugleich gegen das Meer hin leidlich gesichert und hatte doch den bequemen Wasserweg stromaufwärts frei. Hier also mußte der Handelsplatz liegen, den man brauchte. Es ist genau die Stelle, auf der heute das Städtchen Wollin liegt, das alte Julin, wie es damals genannt wurde.

 

Julin hob sich durch die neuen Handelsbeziehungen zu beträchtlicher Blüte. Daß der Verkehr mit Rußland und dem fernen Südosten Europas nicht nur auf einer Sage beruht, beweisen die zahlreichen Funde arabischer Münzen in der Umgebung von Wollin. Diese Münzen stammen sämtlich aus dem zehnten und elften Jahrhundert; sie waren in jener Zeit nicht nur im mohammedanischen Orient, sondern auch in Kiew ein beliebtes Zahlungsmittel. Man darf wohl der Überlieferung glauben, daß Julin damals an Umfang die meisten Städte des slawischen Landes zwischen Elbe und Bug übertraf, und daß dort ein reges Leben und Treiben herrschte. Den Julinern wird nachgerühmt, daß

 

 

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21 Die Winterausstellung der Akademie der Künste in Berlin

 

sie durch gastfreundliches und entgegenkommendes Verhalten den Fremden den Aufenthalt in ihrer Stadt angenehm machten, wie es nicht nur ihrem Vorteil, sondern auch slawischer Art und Sitte entsprach. Freilich darf man nicht vergessen, daß diese glänzenden Schilderungen nur relativen Wert haben. Julin zeichnete sich gewiß durch viele Vorzüge vor andern Städten des slawischen Ostens aus und mußte dadurch in seiner nähern und fernern Umgebung vorteilhaft auffallen, aber von Pracht und Üppigkeit nach dem Maßstabe einer höhern Kultur kann wohl schwerlich die Rede sein. Es war doch nur ein sehr bescheidner Glanz, der von dort ausstrahlte. In einem Punkt übrigens ließen die fremdenfreundlichen Juliner nicht mit sich reden: sie duldeten kein öffentliches Bekenntnis des Christentums. Instinktiv ahnten sie, daß ihrer Unabhängigkeit ernste Gefahr drohe, sobald sie der von den Deutschen und Polen bekannten Religion irgendwelchen Einfluß gewährten. Und ihr Unabhängigkeitssinn und Selbstbewußtsein war groß; zweifellos ging ihr Ehrgeiz dahin, Polen gegenüber dieselbe Rolle zu spielen wie in Rußland Pleskau (Pskow) und Großnaugard (Nowgorod). Diesem Ziel näher zu kommen, fand sich bald eine Gelegenheit. Um sie zu verstehn, müssen wir uns wieder den dänischen Verhältnissen zuwenden.

 

 

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Die Vinetasage von Wilhelm von Massow

 

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In Dänemark hatte man schon im zehnten Jahrhundert ein starkes Interesse daran, die Herrschaft auf beiden Seiten der Ostsee zu gewinnen. Gorms des Alten Sohn und Nachfolger, König Harald Blauzahn, hatte aus den schon erwähnten Gründen an der slawischen Ostseeküste festen Fuß gefaßt und als Stützpunkt dort eine Burg angelegt. Bestimmte Angaben über die Lage dieser Burg sind uns nicht überliefert; es kann aber nach allem, was wir darüber wissen, und was uns die Landkarte lehrt, nur eine der Odermündungen in Betracht kommen, und zwar weder die versandete Dievenow noch die für die heransegelnden Dänen ungünstig gelegne Peene, sondern nur die leicht erreichbare Swine, deren Mündung sich vom Meer aus deutlich markiert.

 

Die Dänen nannten das ganze Gebiet der Odermündungen mit einem Namen, der uns in den deutschen Berichten jener Zeiten in der Form „Jumne“ oder „Jumine“ überliefert wird, während die nordischen Quellen andre ähnliche Formen wie „Jom“ aufweisen. Der Name ist noch nicht genügend erklärt, doch hängt er vielleicht mit dem alten, vorslawischen Namen der Oder, die bei den alten Geographen als Viadus, Jadus, Jaduas bezeichnet wird, zusammen. Hiernach würde das Wort „Jumne“ die verstümmelte und zur Slawenzeit schon nicht mehr verstandne Form einer Wortbildung sein, die etwa „Jade-Mund“ bedeutete, das heißt das Land an der Odermündung. Vielleicht ist auf diesen uralten, später unverständlich gewordnen sprachlichen Zusammenhang die Überlieferung zurückzuführen, wonach die von Harald Blauzahn gegründete Burg bei dem alten Dorfe Jamund in der Nähe der hinterpommerschen Küste unweit Köslin gelegen haben sollte. Jamund liegt an einem haffartigen Küstensee, der durch zwei kleine Küstenflüsse gespeist wird, deren alter historischer Name verloren gegangen ist; heute führen sie die Namen Mühlenbach und Nestbach, es ist aber möglich, daß einer von ihnen ursprünglich den öfter wiederkehrenden Flußnamen „Jade“ führte. Deshalb führte dann die Örtlichkeit denselben Namen wie das Land an der Odermündung. Die alte dänische Burg, die „Jomsburg“, wie sie nachher in den Sagen der jüngern Edda heißt, kann natürlich nicht dort an der hinterpommerschen Küste gelegen haben.

 

Grenzboten 1 1908

 

 

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170 Die Vinetasage

 

König Harald hatte einen vornehmen schwedischen Flüchtling, Storbjörn, als seinen Statthalter und Kommandanten eingesezt. Mit den benachbarten Slawen entwickelten sich bald freundliche Beziehungen, und in der Folgezeit zeigte sich immer mehr, daß Julin und die Jomsburg sich gegenseitig viel nützen konnten.

 

Inzwischen hatte Harald Blauzahn den Schritt getan, zu dem sein Vater noch nicht zu bewegen gewesen war. Er hatte das Christentum angenommen. Aber der Dänenfürst fand bei seinem Volke nicht die Gefügigkeit, die dem Mscislaw diesen Schritt so leicht machte; heiße Kämpfe rief der Abfall vom alten Volksglauben bei den trozigen Nordländern hervor, und der Sohn stand wider den Vater. In diese Kämpfe spielt die halb sagenhafte Gestalt eines Helden von der Insel Fünen hinein, des Palna Toke, des dänischen Tell. Der als kunstreicher Bogenschütze berühmte Kriegsmann war dem Geschlecht Gorms des Alten durch alte Freundschaft verbunden; in seinem Hause war König Haralds ältester Sohn Sven zur Welt gekommen, der König hatte ihm die Erziehung des Knaben anvertraut, und mit Verehrung blickte der junge Sven auf den bewährten Helden. Nun wurde der König ein Abtrünniger an den alten Göttern, an denen Palna Toke mit unerschütterlicher Treue hing. Harald war von rasch zufahrendem Wesen und tyrannischer Gemütsart; er fand deshalb bei seinen Bemühungen um die Ausrottung des alten Götterglaubens erbitterten Widerstand, und der angesammelte Groll entlud sich in offner Empörung. Harald wurde vertrieben und fand seine Zuflucht in der Jomsburg, sein Sohn aber stand in den Reihen seiner triumphierenden Gegner. In dieser schweren Zeit gewährten die Slawen in „Jumne“, besonders die Juliner, dem gedemütigten König freundliche Unterstützung. Von der Jomsburg aus sammelte er neue Kräfte und bereitete die Wiedergewinnung seines Thrones vor. Wirklich kam die Zeit, wo Harald sich wieder als Herr seines Reiches sah, und Sven sich ihm unterwarf. Palna Toke aber geriet in die Gewalt des ergrimmten Königs, der an ihm seine Rache kühlen wollte. Die Sage berichtet denselben Zug, der sich schon in der Wielandsage findet, und dem wir in der Erzählung vom Tell wieder begegnen. Harald forderte von Toke, daß er einen Apfel vom Haupte des eignen Sohnes schieße, und der Held bestand die furchtbare Probe, nicht ohne dem grausamen Herrscher unversöhnliche Rache geschworen zu haben. Und dieser Rache fiel Harald wirklich zum Opfer; auf einem Kriegszuge durchbohrte ihn Palna Tokes Pfeil. Aber der Mörder wurde seiner Tat nicht froh. Sein einstiger Liebling Sven -- die Geschichte kennt ihn unter dem Beinamen „Gabelbart“ -- war nun König, aber zwischen ihnen stand das Gespenst der Blutrache, und so floh Palna Toke sehr bald nach Haralds Tode mit seinen Getreuen nach der Jomsburg, um sich hier ganz von der alten Heimat unabhängig zu machen und in Freiheit seine Heldenideale zu verwirklichen.

 

 

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So entstand der unabhängige Wikingerstaat der Jomsburg, etwa um das Jahr 990 unsrer Zeitrechnung. Und jetzt gewann auch das alte Freundschaftsbündnis mit Julin eine neue Bedeutung. Die beiden Plätze bildeten jetzt eine Gemeinschaft, die ihnen ihre Unabhängigkeit verbürgte. Der Handel von Julin erfuhr eine größere Zunahme, seit es durch die Jomsburg gegen Angriffe vom Meere her geschützt war, die Jomsburger aber fanden einen reichen Absatzplatz für die Beute, die sie von ihren Kriegs- und Raubfahrten heimbrachten.

 

Die vielverschlungne, durch Sagen umgestaltete Geschichte dieser Vereinigung von Julin und Jomsburg braucht hier nicht erzählt zu werden. Bei dem Versuch, Jomsburg wieder zu erobern, erlitt Sven Gabelbart eine schwere Demütigung, aber bei seinen spätern Zügen gegen Norwegen und England -- Sven hat bekanntlich England erobert -- leisteten ihm die Jomsburger Heeresfolge. Während der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blieben sie die gefürchteten Herren dieses Teils der Ostsee, und ihr Ruhm strahlte auch auf Julin zurück, das in der Vorstellung der entfernter wohnenden kaum noch von Jomsburg unterschieden wurde. Freilich fehlte es auch nicht an schlimmen Wechselfällen; im Jahre 1042 gelang es König Magnus dem Guten, den Doppelfreistaat Jomsburg-Julin zu züchtigen, die Jomsburg zu zerstören und die Anerkennung der dänischen Oberhoheit zu erzwingen. Aber von diesem Schlage erholten sich die Betroffnen schnell; zu Zeiten des Dänenkönigs Sven Estridson, dessen Mutter Estrid eine Tochter des Sven Gabelbart war, war Jomsburg-Julin wieder eine blühende, tatsächlich unabhängige Macht. Nur lag der Schwerpunkt jetzt in der Stadt Julin, die die Stätte der alten Jomsburg jetzt selbst in Besitz genommen hatte; die alten Wikinger hausten nicht mehr drin. Mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts ging auch diese Herrlichkeit zugrunde. Der Übermut der Juliner und ihre Feindseligkeit gegen die Dänen, deren Küsten sie fortwährend brandschatzten, bewogen den König Erik Ejegod zu einem Rachezug gegen Julin. Die Stadt wurde erobert, ihre Befestigungen zerstört, ihr Hafenplatz an der Mündung der Swine dem Erdboden gleichgemacht und ihr Wohlstand für immer vernichtet. Auch der Handel der Stadt erreichte nie wieder seine alte Blüte. Die Weltlage hatte sich geändert, und der osteuropäische Handel suchte sich andre Wege. Nur wenige Jahre darauf finden wir Julin, wofür sich bald der Name Wollin einbürgert, unter der Oberhoheit des Pommernfürsten Wartislaw. Als Otto von Bamberg im Jahre 1124 seine erste Missionsreise nach Pommern unternahm, fand er in Julin noch den trotzigen Unabhängigkeitssinn, der sich um die Gebote des Fürsten Wartislaw wenig kümmerte und dem Christentum die alte Feindseligkeit entgegenbrachte. Aber schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts war der alte Trotz gebrochen, mehr und mehr trat die Stadt hinter dem aufstrebenden Stettin zurück, und auch der Bischofssitz, der anfangs dorthin gelegt worden war, ging 1174 auf Kammin über. So sank Wollin

 

 

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von seiner alten Höhe herab, von der alten Jomsburg aber verschwand, wie es bei den damals im Norden üblichen Holz- und Erdbefestigungen nicht anders sein konnte, jede Spur.

 

 

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Aus den nordischen Sagen, den dänischen Geschichtsquellen und sonstigen verstreuten historischen Zeugnissen können wir heute den geschichtlichen Kern der Überlieferungen über die beiden berühmten Plätze auf der Insel Wollin, Julin an der Dievenow und Jomsburg an der Mündung der Swine, mit ziemlicher Deutlichkeit erkennen. Aber die bekannteste deutsche Quelle aus jener Zeit ist zugleich die, die den Zusammenhang am meisten verdunkelt hat. Es ist die Beschreibung des Domherrn Adam von Bremen, die etwa um 1070 verfaßt worden ist. Damals war also der alte Freistaat der Jomsburg-Wikinger schon vernichtet, aber der Platz mit der wiederhergestellten Befestigung bestand noch fort als Hafenort von Julin, und diese Stadt stand noch auf der Höhe der Macht. Adam von Bremen verfaßte seine Beschreibung dieser Gegenden zum Teil nach mündlichen Mitteilungen des Königs Sven Estridson, mit dem er persönlich bekannt war. Das hat seiner Schilderung besondres Gewicht gegeben, und doch mischte sie viel Fabelhaftes hinein -- mochten nun die Erzählungen des dänischen Königs und seiner Gefährten vielleicht selbst schon phantastisch ausgeschmückt sein, oder mochten sie nur gewisse Mißverständnisse erwecken, oder mochte endlich Adam von Bremen selbst dem Geschmack seiner Zeit folgen und absichtlich alles mögliche hineinmengen, was ihm interessant erschien. So bekommt man aus seiner Schilderung keinen klaren Begriff von der Lage von Julin, für das er die dänische Bezeichnung Jumne gebrauchte. In seiner Vorstellung verschmilzt es mit seinem Hafenort in eins, und Swine, Dievenow und Ostsee vermischen sich in der Phantasie des Erzählers zu drei verschiedenartigen Gewässern, von denen Julin bespült wird. Der Handel der Stadt wird glänzender und umfangreicher geschildert, als er wohl je gewesen ist, und wenn er die heidnischen Besucher des Handelsplazes und die griechisch-katholischen Russen als Barbari ac Graeci bezeichnet, so klingt das auch etwas hochtrabender, als es eigentlich zu verstehn ist. Der bunte und abenteuerliche Bericht des wackern Domherrn mußte jedenfalls in einer Zeit, die an solchen wunderbaren Schilderungen besondres Gefallen fand, die Phantasie lebhaft anregen.

 

Ungefähr hundert Jahre waren verflossen, als ein Geistlicher in der Landschaft Wagrien, der Pfarrer von Bosow namens Helmold, seine „Chronik der Slawen“ schrieb. Auch er gibt eine Schilderung von Wollin, das aber zu seiner Zeit schon ein harmloses Provinzstädtchen geworden war. Das nahm er aus eigner Kenntnis; was er aber nicht kannte, das nahm er aus Adam von Bremen, nämlich die Schilderung der Vergangenheit. Das Werk Adams war sehr bekannt; es lag also sehr nahe, daraus zu schöpfen. Daß Helmold es getan hat, erkennt man daraus, daß er die Schilderung Adams

 

 

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über Jumne wörtlich wiedergibt. Aber gerade weil er die Gegend kannte, kam er nicht auf den Gedanken, daß die von drei Meeren bespülte Wunderstadt Jumne das ihm wohlbekannte Wollin sein sollte. Für ihn, der an der unbestrittnen Autorität Adams naiv festhielt, gab es unter solchen Umständen nur eine Erklärung: dieses geheimnisvolle, nicht mehr existierende Jumne an der Ostsee hatte eben noch außer Wollin bestanden. Und so führte Helmold, in gutem Glauben den Adam von Bremen kopierend, die Stadt Jumne neben dem alten Julin in die Geschichte ein. Dabei begegnete es ihm noch, daß er in dem von ihm benutzten Handschriftenexemplar des Adam vermutlich einen Schnörkel oder ein undeutliches Zeichen falsch las. So machte er aus dem ihm nicht mehr bekannten, weil in seiner Zeit längst in Vergessenheit geratnen Namen „Jumne“ die Form „Jumneta“.

 

Auch über dieser von Helmold überlieferten Namensform für die slawische Handelsstadt, die nun schon vom Boden der Wirklichkeit losgelöst und in das Reich der Sage hinübergeführt worden war, waltete ein eigentümliches Schicksal, weil in dem Exemplar der Handschrift, das von den meisten spätern Gelehrten benutzt wurde, der nur an einer Stelle genannte Name der Stadt verstümmelt war. Er sollte IVMNETA lauten, aber der erste und dritte Buchstabe waren nicht zu erkennen, und man wußte nicht, wie man das Wort lesen sollte. Die verschiedensten Konjekturen wurden im Laufe der Jahrhunderte gemacht, bis man endlich übereinkam, das fast gar nicht zu erkennende erste Zeichen als nicht vorhanden zu betrachten und von dem ebenfalls schwer kenntlichen M nur einen Grundstrich gelten zu lassen. So las man nun VINETA, und damit war endlich am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein Name für die rätselhafte Stadt gefunden worden. Man entschied sich für die Lesart „Vineta“ um so lieber, als man ihr die Deutung „Wendenstadt“ gab. Der Name „Wenden“, mit dem die Germanen die slawischen Völker zu bezeichnen pflegten, und der schon von den alten römischen Geographen in der Form Venedae oder Veneti übernommen wurde, schien auf den ähnlich klingenden Namen der keltischen Veneter hinzudeuten. So fand man in der Benennung des „nördlichen Venedig" einen Parallelismus zu der der italienischen Lagunenstadt. Wobei nur vergessen wurde, daß die slawischen Stämme, die doch der Stadt den Namen gegeben haben sollten, die Bezeichnung „Wenden“ für ihre eigne Nationalität gar nicht kannten. Man könnte es wohl verstehn, daß zum Beispiel Deutsche, die irgendwo eine Stadt gründen, diese „Deutschburg“ oder so ähnlich nennen, aber sie würden wohl nicht auf den Gedanken kommen, sie „Alemannenburg“ zu nennen, etwa weil wir bei den Franzosen Allemands heißen.

 

Mit der Einführung der verschwundnen Stadt Vineta neben Wollin war allen möglichen Phantasien die Tür geöffnet. Der gelehrte Albert Crantzius gestaltete die Sage um die Wende des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts weiter aus, indem er die Angaben Helmolds noch mehr ins unklare

 

 

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verwischte, und um diese selbstverschuldete Unklarheit zu beseitigen, aus der Fülle seiner Gelehrsamkeit allerlei gar nicht dazu gehörende Tatsachen heranzog. Durch ihn wurde die Geschichte Vinetas chronologisch verschoben. Ihre Zerstörung durch Erik Ejegod wurde mit einem sagenhaften Zug des Dänenkönigs Hemming aus alter Zeit über die Ostsee in Verbindung gebracht. Damit wurde die Zeit ihrer Blüte in das Zeitalter Karls des Großen zurückgeschoben, und um dieses Wunder einer so frühzeitigen Kultur an dieser Stelle begreiflicher zu machen, erfand man mit dem kühnen Kombinationssinn der damaligen Gelehrsamkeit auch für den Namen der Stadt Julin eine neue Erklärung, nämlich das Märchen von ihrer Gründung durch Julius Cäsar! Der Gipfel der Abenteuerlichkeit sollte freilich dadurch noch nicht erreicht sein.

 

Auch Bugenhagen, der gelehrte Freund und treffliche Genosse Luthers, hat zur weitern Entwicklung der Vinetasage beigetragen. Bugenhagen durchforschte bei Abfassung seiner berühmten „Pommerania“ nicht nur die alten handschriftlichen Quellen, sondern er trat auch als geborner Wolliner den Dingen mit praktischen Nachforschungen in seiner Heimat näher. Es konnte ihm nicht einfallen, an der von allen Autoritäten seiner Zeit vertretnen Tatsache zu zweifeln, daß an seiner heimischen Küste eine Stadt Vineta gelegen habe. Und nun erfuhr er, daß die Fischer der Küste von Usedom das Damerower Steinriff für die Überreste einer versunknen Stadt hielten. Ob sich wirklich noch ein Rest der Erinnerung an die alte Jomsburg im Volke erhalten hatte? Das kann natürlich niemals entschieden werden; die Stelle der Burg und ihr Name waren zweifellos gänzlich verschollen, aber es ist möglich, daß in der Deutung des Damerower Riffs doch noch eine Erinnerung daran zu erkennen ist. Für Bugenhagen genügte das, was er erfahren hatte, um in dem Damerower Riff das ehemalige Vineta zu vermuten. Die Brücke zwischen einer dunkeln Volksüberlieferung und einer irregeführten Geschichtsforschung war geschlagen. Nun konnte sich die Sage ungestört weiter entwickeln. Übrigens hat Bugenhagen seine Vermutung niemals als Gewißheit ausgegeben.

 

Trotzdem arbeitete die Phantasie der damaligen Gelehrtenwelt weiter. Der Rostocker Jurist Nikolaus Marschalk schilderte mit großer Bestimmtheit den Handelsverkehr Vinetas mit den fernsten Völkern Europas und Asiens; Vineta sei dann untergegangen und Julin emporgekommen. Unter dem Einfluß dieser Auffassung beschloß der junge Thomas Kantzow, der spätere verdienstvolle pommersche Geschichtschreiber, der 1525 in Rostock studiert hatte, an Ort und Stelle Nachforschungen zu unternehmen. Von Wolgast aus führte er seinen Plan aus und ließ sich nach dem Damerower Riff rudern. Hier spielte ihm die Phantasie einen seltsamen Streich. Er glaubte zu erkennen, daß die großen Steine auf dem Meeresgrund in geordneten Reihen lagen; er schloß daraus, daß es die Fundamente von Häusern seien, die einst in bestimmten Straßenzügen geordnet waren. Kanzow war es, der seitdem

 

 

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den bestimmten Glauben hegte und nährte, daß die Überreste von Vineta an der Usedomer Küste entdeckt seien. Bei der Autorität, die Kanzow später durch seine gelehrten Werke gewann, ist es nicht zu verwundern, daß diese Meinung von seinen zahlreichen Schülern allgemein angenommen wurde, und daß auch die Fischer der Gegend, durch den häufigen Besuch vornehmer und gelehrter Herren aufmerksam gemacht und durch Fragen beeinflußt, schließlich selbst glaubten, was ihnen suggeriert worden war, und für Überlieferung und Tatsachen hielten, was sie noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit nicht geahnt hatten.

 

Es ist nicht nötig, den weitern Nachweisen Bartholds, wie die Gelehrtenphantasie die vermeintlichen Funde immer weiter ausschmückte, in allen Einzelheiten zu folgen. Während zu Kanzows Zeit noch die Vorstellung festgehalten wurde, daß Vineta durch einen Dänenkönig zerstört und die verlassene Stätte erst später zufällig durch Sturmfluten überschwemmt wurde, ist schon am Ende des sechzehnten Jahrhunderts die Erzählung fertig, daß Vineta mitten in seinem Glanze vom Meere weggespült worden sei. So erzählte es ein Geistlicher aus Wolgast einem jungen Herzog von Braunschweig, den er nach der Stätte von Vineta begleitete. Die Schweden seien dann gekommen und hätten alles, was sie an Marmor, Erz, Gold und Silber hätten retten können, nach Wisby geschafft.

 

Immer abenteuerlicher werden die Erzählungen. Hundert Jahre später erkennt der Bürgermeister von Treptow an der Rega, Johannes Lubbochius, sogar Spuren des Straßenpflasters (!) und die Ecken der Straßen, die Fundamente großer Gebäude und ähnliches, und entwirft einen Plan von Vineta! Schon kann er sich auf einen alten, mehr als neunzigjährigen Fischer berufen, der ihn dorthin geführt und ihm allerhand Wunderdinge erzählt hat. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein dauert die Lieferung von weitern Beiträgen zur Ausschmückung der Sage. Präsident von Keffenbrink erwähnt noch um 1770 in seiner Beschreibung von Vineta „die ansehnlichste Festung des ganzen Nordens, die kunstreichste Zitadelle, ein Zeug- haus für das grobe Geschütz, Kasernen für die gemeinen Soldaten, ein Admiralitätskollegium u. dgl.“ Schließlich verzeichnet Barthold noch ein merkwürdiges Vorkommnis, das ich mit seinen Worten hier wiedergebe: „Als am 14. August 1771 zwei holländische Schiffe an dem Steinriff unweit Damerow strandeten, nahmen forschbegierige Männer aus Swinemünde Gelegenheit, die rätselhaften Trümmer zu besuchen, und hatten eine Vision unbegreiflicher Art. Sie erblickten drei im Dreieck stehende, runde Pfeiler von weißem Marmor oder Alabaster, an welchem jene Fahrzeuge verunglückt waren, von denen der eine durch den Stoß des Schiffes eine schiefe Richtung bekommen hatte, bemerkten eine Abweichung der Magnetnadel auf dieser Stelle und erweckten durch ihre Erzählungen den, wie es scheint, eingeschlafnen Glauben an die Wunderstadt in der Weise, daß man bald wieder von Stadtmauern

 

 

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176 Cléon Rangabé und seine Werke

 

aus Backsteinen, zehn Fuß unter dem Wasserspiegel, von den Marmorsäulen, die den Turm der Burg getragen, fabelte. Jene drei bemerkten Pfeiler, die bei niedrigem Wasserstand so weit hervorragen sollten, daß die Fischer ihre Netze darauf trocknen könnten, hat niemand später je in jener Gegend gesehen oder von ihnen gehört."

 

Damit hatten die Fabelerzählungen nun allerdings ihren Höhepunkt erreicht. Die nüchterne Forschung der wiedergebornen Geschichtswissenschaft setzte ein und klärte die Entstehung der merkwürdigen Sage auf. Über einzelne Punkte besteht wohl noch mancher Streit unter den Gelehrten, aber in allem wesentlichen hat doch Barthold mit seiner klaren und überzeugenden Aufdeckung aller Quellen und Zuflüsse der Sage Recht behalten. Die Genauigkeit, mit der man die allmähliche Ausgestaltung der Sage aus anfänglich mißverstandnen historischen Berichten unter Beimischung volkstümlicher Sagenmotive verfolgen kann, hat etwas Ungewöhnliches und Verblüffendes. Aber es wäre schade, wenn die Kenntnis dieses eigentümlichen Prozesses, der in geschichtlicher und psychologischer Beziehung soviel Belehrendes enthält, weiten Kreisen verloren ginge, anstatt besondrer Aufmerksamkeit gewürdigt zu werden.

 

 

 

 

Quelle:

Die Grenzboten: Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Jg. 67 (1908) Erstes Vierteljahr, S. 14-21, 169-176 Wilhelm von Massow: Die Vinetasage.

Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. urn:nbn:de:gbv:46:1-908

Link: https://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/titleinfo/357553?lang=de