Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander - erster Artikel

Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander.

Von D. E. Gervais, Privatdocenten an der Univ. Königsberg.
Erster Artikel. Erster Abschnitt.


Heinrich der Löwe in unveränderter Gunst bei Kaiser Friedrich (1152 – 1176).


Heinrich der Stolze; dem bei seiner Vermählung mit Gertrud, Kaiser Lothars Tochter, zu seinem Erbherzogthum Baiern noch Sachsen zugefallen, dem aber von König Konrad 3. die gehoffte Krone von Teutschland, dann als Geächtetem beide Herzogthümer entzogen waren, starb 1139, und hinterließ seinem zehnjährigen Sohne gleiches Namens kaum mehr die Aussicht das Verlorne wieder zu erlangen. Beide Herzogthümer waren von Konrad bereits verliehen, Sachsen an Albrecht den Bären, Baiern an Leopold von Oesterreich; und Letztrer war bereits im Besitz des neuen Lehnes. Doch über dem Knaben wachte, noch ehe eigne Kraft ihn schirmen konnte, die Vorsehung. 1141 starb Leopold; des Königs Zorn hatte nachgelassen, wenn auch Alles dem Welfen wieder zu geben er keinesweges sich geneigt zeigte. Da Sachsen von Gertrud, der Mutter des Knaben Heinrich, und von den meisten Grafen und Edlen des Landes kräftig gegen die Angriffe Albrechts vertheidigt wurde, und König Konrad die Nation besänftigen mußte, um nicht die Tage Heinrichs 4. und Heinrichs 5. sich zu bereiten; so sollte Baiern wenigstens davon getrennt werden.
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Wie Lothar *) im Norden, so fand Konrad nur im Süden Teutschlands Fürsten, die ihm und seinem Hause mit Treue anhingen. War doch selbst auf Albrecht von Brandenburg nicht sicher zu zählen, da er, gleich den Welfen, Lothar seine größere Macht verdankte. Ihn fesselte das Interesse seines Landes an die nordteutschen Fürsten, und nur die Eifersucht machte ihn zum Feinde der beiden Heinriche. Konrad dieß erkennend hatte versucht, Albrechts Ehrgeiz durch die Verleihung Sachsens zur Unterdrückung der Welfen zu nutzen. Wie wenig diese Absicht gelungen, zeigt, daß selbst ein Kind und eine Frau vor dem ersten Fürsten der Christenheit sich nicht beugten. Nachzugeben war nun für Konrad das Gerathenste. Auf dem Reichstage zu Frankfurt 1142 nahm er den jungen Heinrich und die Sachsen zu Gnaden an, und belieh Erstern wieder mit dem wichtigsten der seinem Vater abgesprochenen Herzogthümer. Baiern aber behielt Heinrich Jasomirgott, der Bruder und Erbe Leopolds, mit König Konrad von einer Mutter geboren.



Für die Ruhe Teutschlands ward noch mehr gesorgt. Nicht versöhnt allein sollten die beiden Heinriche werden, auch engere Bande sie umschließen, die namentlich Heinrich den Löwen zwängen, über die Abtretung Baierns nie rechten zu wollen. Deßhalb vermochte Konrad die noch


*) Noch fehlt der tüchtige Biograph dieses Kaisers, der durch seine Stellung zu den vorausgehenden fränkischen und den ihm nachfolgenden hohenstaufischen Kaisern so höchst wichtig für die innere Geschichte Teutschlands geworden ist. In meinem Werke: Geschichte der Landgrafen von Thüringen, das mich seit Jahren beschäftigt, wird mir gestattet seyn, allgemeine Verhältnisse anzudeuten, die durch Lothar zwischen Nord- und Südteutschland veranlasst wurden.


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im besten Lebensalter stehende Mutter des Knaben, mit Heinrich Jasomirgott sich zu vermählen. Fein war es ersonnen, Gertrud, die noch für den unmündigen Sohn die Regierung in Sachsen führte, als Gemahlin des neuen Baiernherzogs selbst zur Wächterin über den stolzen Heinrich, wie dieser sich schon in frühen Jahren kund gab, zu setzen, daß nicht einst der Herangewachsene Forderungen mache, welche die Achtung vor der Mutter verletzten. Vielleicht zu fein war der Plan. Denn bei einem Charakter wie des jungen Heinrichs konnte die neue Verbindung nur Haß gegen die Mutter erregen; Zwietracht und Spaltung drohte im ganzen Reiche auszubrechen; für den beeinträchtigten Welfen stand damals noch eine Partei, welcher die Hohenstaufen kaum gewachsen waren. Der Tod Gertrudens benahm die Furcht vor einem unnatürlichen Bruch zwischen Mutter und Sohn. Sie starb am Ende des Jahres 1143 *), ohne dem zweiten Gemahl einen Sohn zu hinterlassen. Heinrich nannte sich schon 1144 überall Herzog von Sachsen und Baiern **), wo nicht die Gegenwart des Königs ihm Scheu erregte. Mit dieser und mit dem Erscheinen Heinrichs auf den allgemeinen Fürstenversammlungen ***) begnügte sich Konrad 3. Vielleicht war der König es auch, der die Verbindung des Herzogs mit Clementia, der Tochter Konrads


*) Siehe dieß als richtig erwiesene Jahr in den Orig. Guelf. lib. VII. §.5. d. i. Tom. III. pag. 12. apud Scheid.
**) Orig. Guelf. a. a. O. Nur während der 2ten Ehe seiner Mutter nennt er sich Dux Saxonum. S. Lindenbrog script. septent. pag. 175. ff.
***) So 1147 zu Frankfurt, wo Konrads Sohn Heinrich zum römischen Kaiser erhoben wurde, der aber schon vor dem Vater starb. S. Orig. Guelf. a. a. O. §.6.
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von Zähringen, einer nahen Verwandtin der Hohenstaufen bewirkte, und des jungen Helden Kriegsdrang wider die Slaven lenkte, wo Heinrich in Gemeinschaft mit seinem Schwiegervater und seinem ehemaligen Feinde Albrecht dem Bären sich Ruhm und neue Besitzungen erwarb. Auch in die dänischen Königshändel mischte er sich, und überzog das tapfre Volk der Ditmarsen mit Krieg. Bald war sein Name bei den Nordländern gefürchtet, bei den benachbarten teutschen Fürsten geachtet. Doch dem Hochstrebenden genügten nicht die neuen Eroberungen, nach dem väterlichen Besitzthum trachtete unablässig sein Sinn. Nicht bloß sich Herzog von Baiern nennen, es auch wirklich seyn wollte der Ehrgeizige. Doch blieb gegen seinen Stiefvater jeder Versuch der Gewalt, wie bei dem Könige jede Bitte ohne Erfolg. In Bezug auf Baiern beharrte Konrad bei dem Grundsatze: Kein Fürst dürfe zwei Herzogthümer besitzen, weil es dem Reichsoberhaupte Gefahr bringe. Bis zu seinem Ende wußte er den stürmischen Jüngling, durch nachdrückliche Gewalt, oder durch Verheißungen auf die Zukunft, in Schranken zu halten.



Ein andres Princip befolgte Konrads Nachfolger, Friedrich Barbarossa. Hatte jener den nächsten Zweck im Auge, die Macht Heinrichs des Löwen zu schwächen, indem er das Herzogthum Baiern ihm entzog, so sah Friedrich, überdieß an Jahren und Gesinnung dem Herzoge gleicher, weiter und bis auf einen gewissen Punkt richtiger als Konrad.



Seit Erhebung der Hohenstaufen auf den Thron Karls des Großen war das Interesse von Nord- und


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Südteutschland, das unter den salischen Kaisern und noch selbst unter Lothar allseitiger auf den Norden, Süden, Osten *) und Westen gerichtet erscheint, und namentlich in Italien Nord- und Südteutschlands Kräfte vereinte, ein getrenntes geworden. Durch die Losreißung Baierns von Sachsen, welche Lothar gleichfalls nicht ohne Gewinn für Teutschland - wenn auch zunächst zu Gunstens seines gehofften Nachfolgers Heinrich des Stolzen - verknüpft, mußte die Trennung in Feindschaft sich verwandeln, sobald es dem, immer noch mächtigen Herzog von Sachsen gelang, die übrigen nordteutschen Länder für sich zu gewinnen oder von sich abhängig zu machen. Bot doch der Norden und Osten ihm Gelegenheit, neue Eroberungen zu machen und nach völligem Bruche mit den Hohenstaufen, die bald auf Italien ihr Hauptaugenmerk richteten, ein neues nordteutsches Königreich zu bilden, in welchem die Welfen den Glanz wiederfanden, der durch die Hohenstaufen ihnen entzogen war. Heinrich der Löwe besaß Kraft, Entschlossenheit und Stolz genug dazu; im Mittelpunkte seiner Macht konnte Braunschweig, dem Heinrich während seiner ganzen Regierung die meiste Sorgfalt zuwendete, Hauptsitz des Reiches werden. Dem umsichtigen Kaiser Friedrich entging diese für Teutschland,



*) Der Kreuzzug Konrads hatte freilich eine Beziehung auf den Osten, wie kein König vor ihm sie gesucht, allein gerade diese allzugroße Entfernung entzog ihn und mehrere seiner Nachfolger dem Kreise, in welchem Teutschland sich geltend zu machen bestimmt schien. Den ersten Triumph über die Hohenstaufen feierte der Papst, als Konrad sein Kriegsschwert zum Kampfe im Orient zog. Seitdem ward dieß für Pflicht des ersten christlichen Monarchen angesehen, und die Kirche wars, die darauf drang, und dadurch ihren gefährlichsten Gegner entfernte und gar nicht oder geschwächt wiederkehren sah.

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wie für sein Haus drohende Gefahr nicht. Zwei Mittel gab es sie abzuhalten, entweder: dem Herzog von Sachsen die grosse Macht im Norden zu nehmen, oder: demselben ein Besitzthum im Süden einzuräumen, das ihn der alleinigen Sorge für Sachsen entzog, und zugleich ein Land zwischen Norden und Süden wiederherstellte, welches Friedrich bei der Freundschaft und Blutsverwandtschaft mit Heinrich zu seinem Vortheil für seine Pläne nutzen konnte.



Gleich beim Antritt seiner Regierung mußte der neue Herrscher sich entscheiden, welche Politik er Heinrich dem Löwen gegenüber einschlagen wolle, um mit Consequenz zu verfolgen, was er als nothwendig erkannt hatte.



Wie nun aber? gleich bei der Thronbesteigung sollte Friedrich einem nahen Verwandten und Freunde, dem sein Vorgänger schon - und sichtbar mit Mißbilligung vieler Reichsfürsten - ein Herzogthum vorenthalten, auch das noch gelassene schmälern? Würde Heinrich, würden die treuen Sachsen, denen die Willkühr zweier Kaiser *) noch im Gedächtniß war, würden die teutschen Fürsten einer solchen Ungerechtigkeit, wie es damals noch erscheinen mußte, sich nicht aufs Äeußerste widersetzt haben?



Also blieb Friedrich nur die andre Entscheidung, die sein Erscheinen auf dem Throne in den Augen Aller mit dem Glorienscheine der Gerechtigkeit, Großmuth und Uneigennützigkeit verherrlichte, die das ganze Haus der Welfen, ihre Anhänger in Teutschland und Italien aus Feinden

*) Heinrichs 4. und 5.

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des Reichsoberhauptes in Freunde und thätige Mitstreiter für seine Sache verwandelte, und die überdieß Niemanden zu beeinträchtigen schien als den bisherigen Herzog in Baiern, Heinrich Jasomirgott. Man konnte den Fürsten, ja Heinrich dem Löwen selbst vorstellen, daß es billig sey, diesen, seinen Verwandten, nicht zu beleidigen, ihn einigermaaßen zu entschädigen. Erstren übertrug der Kaiser schlau genug die Schlichtung des alten Streites beider Heinriche. Noch zwei Jahre gingen über der Unterhandlung, Vermittlung, Versöhnung hin. Zu Goslar im Juni 1154 erhielt Heinrich der Löwe Baiern zurück. Heinrich Jasomirgott begnügte sich mit Oesterreich als einem von jetzt ab für sich bestehenden Herzogthume.



Neuere Schriftsteller haben oft dieß Verfahren Kaiser Friedrichs getadelt, in der Meinung, er habe aus Freundschaft für den Verwandten und Waffengefährten diesem eine Macht in die Hände gegeben, welche bei veränderter Stellung und Gesinnung des Herzogs gefährlich werden mußte. Andre suchen den Herzog als Erschleicher einer unbeschränkten Herrschaft schon bei dem Regierungsantritte Friedrichs zu schildern, und meinen, er habe den Kaiser so lange durch die Maske der Ergebenheit getäuscht, bis der günstige Zeitpunkt erschienen, seine wahre Gesinnung zu enthüllen. Wiederum Andre haben des Kaisers Gesinnung gegen Heinrich den Löwen zu verdächtigen gesucht, wollen schon längst vor dem Bruche Schritte bemerken, die Friedrich gethan, um den Herzog zu schwächen und zu vernichten. In allen Verbindungen der Fürsten wider Heinrich argwöhnen sie des Kaisers Mitwirkung, der sich nur die Miene gegeben, als ob er den Herzog begünstige,

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theils weil es ihm unentbehrlich gewesen, theils weil er ihn sicher machen gewollt.



Alle diese Absichten erscheinen bei näherer Betrachtung des wechselseitigen Bedürfnisses beider Fürsten zu Erreichung ihrer Zwecke willkührlich oder parteiisch, und wenn die Vertreter derselben bei ältern Schriftstellern die Beweise zu finden glauben, so täuschen jene oder - diese sich. Ohne alle Thaten Friedrichs, ja nur die Bestrebungen seines Lebens und die dazu angewandten Mittel loben oder rechtfertigen zu wollen, darf man dennoch seine Gesinnung, seinen Charakter, denen die Besten der Zeitgenossen und selbst Gegner des Mannes Achtung gezollt haben, nicht mit dem Vorwurf der Unbesonnenheit oder der Treulosigkeit entweihen.



In der Zurückgabe Baierns an Heinrich den Löwen spricht sich nur jene Klugheit aus, welche die Lage des Reichs und die Pläne des Kaisers nothwendig erforderten. Mit den vereinten Kräften des nördlichen und südlichen Teutschlands konnte seiner Ansicht nach das Streben erreicht werben, das Kaiserthum zur alleinigen Macht innerhalb der Grenzen des Kaiserreichs zu erheben. War dieses Ziel errungen, was vermochte dann ein mächtiger Herzog dagegen, der obendrein dem Kaiser seinen Vorrang vor den andren Fürsten des Reichs verdankte. Zu seinem Vorhaben bedurfte Friedrich eines mächtigen Fürsten, der die Hauptnation des Nordens ihm zuführte. Daß Friedrich außer Heinrich noch andre Fürsten begünstigte, das Haus Oesterreich, die Anhaltiner, die Erzbischöffe, die Fürsten überhaupt, geschah nicht um den einen Mächtigen im Nothfall beschränken zu können. Es hing

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dieses Verfahren mit seinem Hauptplane zusammen. Der Fürsten Interesse mußte mit dem seinen gepaart seyn, sobald es galt Gewalten zu bekämpfen, die der unbeschränkt monarchischen entgegentraten. Den Kaiser über sich anerkennen, wenn er ihre Macht im eignen Lande erhöhte, ihrem Rathe die gemeinsamen Reichsangelegenheiten vertraute, war nicht demüthigend, war ehrenvoll und gewinnbringend für die Fürsten Teutschlands. Konnte doch jeder einmal selbst den Platz des Kaisers einnehmen; darum mußte seine Macht, der gemeinsame Lichtpunkt aller weltlichen Hoheit, erhalten, gemehrt, und nach Außen erweitert werden.



Welche Gewalten erhoben sich aber wie Staaten im Staate? - Seit Heinrich 4. Demüthigungen vor Papst Gregor 7. war das Bollwerk wieder die Hierarchie gesunken, und diese, wie ein reißender Strom aus seinem Bette, in das Gebiet des Kaiserthums eingedrungen. Nicht Heinrich 5., nicht Lothar, nicht Konrad hatten das Verlorne wieder erringen können.



Eine andre Gewalt, den Fürsten und Edlen gegenüber, entwickelte sich im Innern, zwar damals noch in Teutschland selbst nicht Gefahr drohend, doch in Italien schon eine vielköpfige Hydra, nach den Ansichten des Kaisers und aller weltlichen Machthaber, die Freiheit der Städte. Die Bedeutsamkeit des Bürgers im Gegensatze zu Reichs- und Landesoberhaupt war durch Wohlhabenheit, welche der Handel und die Schifffahrt gefördert hatten, hervorgerufen, durch Verbreitung neuer Ideen seit Beginn der Kreuzzüge gemehrt; und schon zum Bewußtseyn ihrer Kraft gelangt, zeigte sich’s im Benehmen der

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Lombarden, wie gefährlich sie den Fürsten werden könne. Was galt Jeder von diesen, wo er nicht die Macht des Herrschers üben durfte? Was in freien Städten? Was im Oriente? Dem Pilger, dem Bürger, der dieselbe Straße mit dem Fürsten zog, ward dieser gleichgeachtet, wenn nicht Waffenthaten seinem Namen Glanz verliehen. Einen eignen Wirkungskreis indeß, und damit Wichtigkeit bekam der Bürger, vor allen die see- und handelskundigen Lombarden. Im Gefühl ihrer Unentbehrlichkeit stieg ihr Selbstvertraun. Innerhalb der starken Mauern ihrer Städte dünkten sie sich wider Schwert und Panzer des Ritters unbezwinglich; sie selbst verstanden die Waffen der Vertheidigung meisterlich zu gebrauchen; ihr Reichthum lockte Söldner herbei, die ihnen lieber dienten als stolzen Fürsten. Außerhalb rühmte man ihre Thätigkeit, Geschicklichkeit; ihr Geld für rohe Materiale, die sie holten, war willkommen, wie die Lebensbedürfnisse, die sie brachten, oft als Rettung in der Noth erschienen. Nicht so willkommen hieß man Könige und Fürsten. Sie zehrten das Mark des Landes auf und säten Zwietracht zum Schaden der Angeseßenen. Im Oriente schwankte man schon nach dem Aussterben der Nachkommen Gottfrieds von Bouillon, ob wieder ein Herrscher zu wählen, und nur in Schwäche, in geringem Ansehen dauerte die Königswürde fort. Die Welschen hatten solche Geringschätzung der weltlichen Fürsten verbreitet; der Hierarchie war sie willkommen für ihre Zwecke. Auch im Occident verbreiteten von Italien aus sich dergleichen Ideen. In Rom sogar erstand durch Arnold von Brescia eine Republik, die nur darum sobald versank, weil sie auch dem

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Papste sich entzog, so daß der geistliche und weltliche Arm zugleich gegen ihren Urheber sich bewaffnete *). Was aber einmal angeregt, faßte andrer Orts in vielen Gemüthern Wurzel, und der mächtigen Städte Anstreben wider Kaiser und Fürsten brach bei den Lombarden in offnem Kampfe wider beide aus. Gern bot der Papst seine Hand, wo es galt des Kaisers Ansehen zu mindern.



Den Städten gegenüber glaubte Friedrich der Herrscherwürde Glanz und Macht verleihen zu müssen, die auch außer dem Reiche, die an und für sich Bedeutung behalten sollte. Durch die italienischen Feldzüge Papst und Städte zu beugen; durch fast zahllose Reichstage, in den verschiedensten Gegenden gehalten, und auch die entferntesten Fürsten des Reichs versammelnd; durch Synoden, Zusammenberufung der Städteabgeordneten , wo der Kaiser und die Fürsten voransaßen, sich und diesen die erste Stimme zu sichern; durch Turniere auch im Frieden den Ruhm der Waffen, den Schmuck des Ritters in den Augen der Menge zu erhöhen, selbst in Prälaten und Kirchenfürsten kampflustige Krieger, geschickte Feldherrn zu besitzen, führte dahin, Adel der Geburt, Fürstenstand und Fürstenrang mehr geltend zu machen als je. Sollten aber die Ersten im Regimente und unter den Fürsten Etwas dem Papst und den Bürgern gegenüber·erscheinen,


*) Man hat oft Friedrich Barbarossas Verfahren gegen Arnold unklug und grausam gescholten; man meint er hätte aus dem Aufstande der Römer, aus ihrer neuen Republik Vortheil ziehen können. Die Tadler verkennen, wie sehr Friedrichs Gesinnung der freier Republikaner entgegesetzt war. In Arnolds Unternehmen drohte vollends der weltlichen Gewalt größre Gefahr als der Hierarchie. Roms Beispiel drohte der monarchischen Verfassung, mindestens in Italien einen völligen Umsturz. Friedrich hat die Folgen im Kriege wider die Lombarden fühlen müssen.

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so mußten sie mehr werden als bisher. Darum das gesteigerte Ansehen, die Vermehrung der Macht, die Friedrich in den ersten fünfundzwanzig Jahren seiner Regierung den Herzögen, Pfalz-, Land- und Markgrafen verlieh.



Daß Friedrich dennoch sein Ziel nicht erreicht, daß er sogar durch Erhöhung der Fürsten den Grund zum Ruin des Königsthums gelegt hat, beweißt, wie gegen den Drang der Zeiten zu streben eitel sey, und die Waffe, gegen diese gerichtet, sich gegen den Hemmer selbst wende *). Oder will man bei dem Glanze von Friedrichs persönlicher Herrschergröße die Schuld von ihm abwälzen, daß er durch Streben nach einem irrigen Ziele der königlichen Würde geschadet, ihr später erfolgendes Sinken veranlaßt


*) Dieses Letztre haben heutige Könige nicht zu befürchten, wenn sie den Adel begünstigen, um mit dessen Hülfe den Bürgerstand, den sie als Gegner ihrer altmonarchischen, absolutistischen Principien ansehen, darnieder zu halten. Wie aber vermöchte unser länderloser Adel, der nicht neben den Herrschern, sondern durch die Gnade der Monarchen eine Macht besitzt, diese wider den Strom der Zeit aufrecht zu erhalten? Und vollends, wenn, wie in neuesten Tagen, die Kirche Ansprüche wider die politische Macht erhebt! Das Beispiel Heinrichs 4. und selbst des viel kräftigern Friedrich Barbarossas lehrt, wie gefährlich wie thöricht es sey im Kampfe wider die Hierarchie die bereitwillige Hülfe der Bürger verschmähen und dem eigennützigen Adel sich vertraun. Damals konnte dieser indes, wenn er wollte, Schutz verleihen. Der heutige vermöchte es durch sich beim besten Willen nicht. Wehe ihm und die ihm allein vertraun, wenn der Bürger der Kirche ein geneigtes Ohr leiht, und ihr sein Vertraun schenkt, welches am Throne einem selbstsüchtigen Stande nachgesetzt, ja mißtrauisch beobachtet wird. Mit dem gebildeten Bürgerstande, in dem allein Kraft und Fortschritt gesichert sind, trotzt das Königthum jedem äußern und innern Feinde. Gegen solchen Bund vermöchten heute Aristokratie und Kirche nichts mehr. England lehrts, wo doch der Adel noch eigne Kraft besitzt. - Wenn nun gar Herrscherlaune der Schwäche des Adels und der Anmaßung der Kirchendiener den Arm leihen will, so bleibt dem im Fortschritte begriffnen Volke nur Selbsthülfe übrig. Wo gesunde Kraft, ist heilsame Macht; wer jener nicht vertraut, betrügt sich selbst. Auch ein Friedrich Barbarossa vermag ihr nicht ohne eignen Nachtheil zu widerstehen.

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habe? Will man nur seinen Nachfolgern, die doch in seine Fußtapfen traten, den Vorwurf aufbürden? Oder diesen von den Hohenstaufen ganz abwälzen? - Indeß zu Heinrich dem Löwen zurück!



Ich bezeichnete Kaiser Friedrichs Verfahren gegen ihn als ebenso klug, wie seinen Absichten gemäß und aufrichtig. Nur in Einem hatte er sich versehen, wie die Fürsten, deren Ausspruch der wachsenden Macht Heinrichs auf dem Reichstage zu Frankfurt Vorschub that. Uebermacht erzeugt Uebermuth von der einen, Mißgunst von der andern Seite. Beide blieben auch hier nicht aus. Heinrich ward stolz gegen die Fürsten; und neidisch sahen diese auf den Begünstigten. Saame genug zu Zwietracht, die des Kaisers Pläne in Italien hemmte, und endlich im Begünstigten den Gegner hervorrief, so daß Friedrich gezwungen ward, was er zu Anfang seiner Regierung zu wagen sich gescheut, das auf Dringen derselben Fürsten zu vollziehen, die Heinrichs steigende Größe begünstigt hatten.



Nicht Heinrich von Oesterreich allein, der freilich Grund genug zum Zürnen hatte, und erst 1156 zu Regensburg auf wiederholte Vorstellungen des Kaisers in die Verzichtleistung auf Baiern einwilligte, stand dem Herzoge Heinrich dem Löwen feindselig gegenüber. Im Norden hatte schon 1152 Albrecht der Bär über die Erblassenschaft Hermanns von Winzenburg und Bernhards von Plotzk Streit erhoben, weil Heinrich seinen Ansprüchen sich widersetzte. Der Kaiser nur konnte schlichten. Auf dem Hoftage zu Würzburg ward an Heinrich Winzenburg, an Albrecht Plotzk verliehen. - Auf die Trennung der frühem Mark Oesterreich von dem Herzogthum Baiern,

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falls dieses Heinrich von Sachsen zurückerhalte, drang zuerst Wladislav von Böhmen, und ihm beistimmend die südteutschen und endlich sämmtliche Fürsten auf dem Reichstage zu Regensburg *).



Vor Allen aber sahen die sächsischen Fürsten auf die großen Reichthümer, welche Heinrich in glücklichen Kriegen wider die Slaven und in den italienischen Feldzügen **) erwarb, auf alle, wenn auch nur kleinen Erwerbungen, wie die waren, welche Heinrich aus den Hinterlassenschaften der Grafen Hermann von Winzenburg, Siegfried von Hammenburg, Otto von Assle zu erstreben wußte ***), mit Neid und Furcht. So lange indeß der Kaiser seine Gunst dem Herzoge zuwandte, ließ sich gegen diesen ungestraft nichts Feindseliges unternehmen. Friedrich aber und Heinrich leisteten einander große Dienste. Hatte Letzterer die italienischen Feldzüge, so oft Friedrich es gebot, mitgemacht, die Kosten auf dem Römerzuge nicht gescheut ****), persönlich und mit seinem bedeutenden Heere in allen Gefechten wider Römer und Mailänder sich ausgezeichnet, kurz in jeder Beziehung sich als eifriger Verfechter der Sache des Kaisers gezeigt, selbst an dem Erzbischoffe Hartwich von Bremen die Vernachläßigung des Römerzuges hart geahnt *****); so erwies Friedrich


*) S. die Bestätigungsurkunde (bulla aurea im Wiener Archiv) worin Heinrich Jasomirgott zum unabhängigen Herzog von Oesterreich erhoben ward, in den Orig. Guelf. VIII. § 28. und Canisii lect. ant. IV. pag. 173. Sie ist datirt von 17ten September 1156.
**) Die großen Ausgaben des ersten italienischen Feldzuges ersetzten reiche Beute der spätern und Friedrichs dankbare Freigebigkeit dem Herzog.
***) S. Helmold Chron. Slavor. lib. II. cap 6
****) S. Orig. Guelf. VII. §.30.
*****) Orig. Guelf. a. a. O. §.29

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nach wie vor dem Herzoge nicht mindere Gefälligkeiten. Friedrich war es, der ihm die Scheidung von seiner Gemahlin Clementia erleichterte, und später um die neue Braut, Mathilde, Tochter des Königs Heinrich von England, durch seinen Kanzler Reinald werben ließ *) In seinen Ländern durfte Heinrich mit einer fast unumschränkten Gewalt gebieten, sogar Bischöffe in den alten Besitzungen, wie in den neuen slavischen Eroberungen einsetzen **), mit dem einzigen Vorbehalt es in des Kaisers Namen zu vollziehen. Räumte er dieses Vorrecht dem mächtigsten weltlichen Fürsten ein, so durfte er auf diesen zählen, wenn es galt solches Recht wider die Päpste zu verfechten, welche seit dem Wormser Concordat (1122) bei Ernennung der Geistlichen überwiegenden Einfluß erlangt.



So lange Heinrich der Löwe für des Kaisers Sache focht, war trotz Kirche nnd Lombardenbund es möglich, daß des Kaisers unablässiges Streben: weltliches Regiment über jede andre Macht zu erheben, auf einige Zeit wenigstens mit Erfolg gekrönt worden wäre. Darum, als Heinrich wider Friedrich stand, auf einmal des Kaisers verändertes Thun, sein ganz in entgegengesetzter Richtung gesuchtes Ziel; darum Zerstückelung Teutschlands, darum Versöhnung mit der Kirche, Friede mit den Lombarden, selbst Begünstigung der Städte; darum sein Blick nach dem Orient, um mit der Welt und ihren Ideen sich zu versöhnen. Kurz ein Umschwung, in Folge dessen Friedrich im Zeitstrom fortgleitet, wie vorher sein Wille gleich dem Fels sich den Wogen entgegengestellt. Daß mehr

*) Orig. Guelf. a. a. O. §.45. und 50.
**) Helmold a. a. O. lib. I. Cap 87.

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die erste Regierungshälfte als die zweite seiner Nachfolger Vorbild blieb, daß sie die Fehler beider, wenn auch hier und da erkannten, doch nicht rückgängig machen konnten, hat der Hohenstaufen Untergang, Teutschlands dauernde Zerrissenheit herbeigeführt. Wie aber Heinrich der Löwe der Hebel zu solchen Weltereignissen, zunächst zu dem veränderten Streben Kaiser Friedrichs ward, soll in dem Nachfolgenden entwickelt werden.



Nicht wider Friedrich wollte und konnte Heinrich seine erlangte Macht gebrauchen. Wie jener ihn, so benutzte er den Kaiser. Sachsen, wenn auch nicht sein Geburtsland, doch das Land seiner Jugend, seine längre Heimath, sein älteres und bedeutenderes Herzogthum, blieb das Augenmerk seines Strebens. Durch Baiern gehörte er mehr dem Reiche an; Sachsen konnte er zu einem mächtigen Staat, und sich darin zum fast unumschränkten Herrscher machen. Dazu führte nicht Ungehorsam , Auflehnen wider Friedrich, dazu nur Beugen der nordteutschen Fürsten. Die genannten Eroberungen und Erwerbungen zeigten, wonach er trachtete. Doch um Sachsen zu arrondiren, um seine Macht zu concentriren, mußte noch manch erledigt Erbe gewonnen, und Jedem, der es gleichfalls in Anspruch nahm, gezeigt werden, daß mit ihm, dem mächtigsten Herrn in Teutschland und Freunde des Kaisers, in die Schranken zu treten Vermessenheit sey. Nicht vermochte er jede Anwartschaft durch den nächsten Verwandtschaftsgrad nachzuweisen, jede Besitznahme aber durch Gewalt zu behaupten. Als des ersten Fürsten im römischen Kaiserreich galt sein Wort, sein Handeln Viel. Neben den Völkern, die er dem Kaiser nach Italien führte,

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verschwanden die Häuflein der übrigen , besonders der nordteutschen Fürsten als unbedeutend; sie mußten im Lager, in der Schlacht seinen Schaaren sich anschließen. Auch überwog das Ansehen des sächsischen Herzogs das der andern nordteutschen Grafen und Herren, Bischöffe und Prälaten durch sein Amt als Erbmarschall des Reichs; und wie im Felde, war er zu Hause durch die Reichsgerichtsbarkeit und Polizeigewalt überragend *). In der Schlacht die Anführer der gesammten Reiterei, also der wichtigsten Heeresabtheilung, auf Landesversammlungen Vorsitzer der Grafen und Markgrafen, der Bischöffe und Erzbischöffe, ja während der Thronentledigung durch den Tod oder die Absetzung eines Kaisers, Vertreter des Reichsoberhauptes, standen die Herzöge von Sachsen im Norden Teutschlands in einem Ansehen, dem das keines andren Fürsten gleich kam.



War nun Nordteutschland schon durch Sitte, Sprache, Gesetz, Interesse ein vom Süden verschiedenes und in sich mehr abgeschlossenes Ganzes, so war der Gedanke für einen Heinrich nicht zu kühn, in diesem auch durch natürliche Gränzen zur Einheit bestimmten Landesgebiet keinen von ihm unabhängigen Fürsten neben sich zu dulden. Den reichsunmittelbaren Mark-, Pfalz-, Landgrafen, den geistlichen Herren in Nordteutschland mußte bald deutlich werden, wonach der Uebermächtige trachte. Auch dem Kaiser konnte Heinrichs Streben nicht verborgen bleiben. Konnte er

*) S.·Weiße Gesch. der Chursächs. Staaten II. pag. 199. und dessen Abhandlung: Ueber die Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt etc. in den Aufsätzen: Ueber unerörterte Gegenstände des teutschen Staatsrechts. S.121. Vergl. auch Hüllmann Gesch. des Ursprungs der Stände in Teutschlaud. 2te Ausgabe §. 27. S. 339 ff. von den Herzögen überhaupt.
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noch an ihn Freundschaft und Gunst verschenken, als ers erkannt? - Warum nicht? Je mehr Heinrich sich war, desto mehr war er ihm. Wenn Friedrich sein Ziel erreichte, schadete Heinrichs Größe ihm nicht. Nur fehlen mußte ihm der Mann nicht da, wo er seiner bedurfte. Daß er ihm nicht fehlen werde, dessen glaubte er durch stete Gunstbezeigung, durch Vertrauen, durch Freundschaftsdienste gewiß zu seyn.



Nicht auf gleiche Weise konnten die benachbarten Fürsten bei den Entwürfen Heinrichs zu ihrer Unterdrückung, die sein Handeln, sein Benehmen verrieth, ruhig, sorglos ihm freundlich gesinnt bleiben. Waren sie doch Reichsfürsten, wie er, und er wollte sie beherrschen? Hatte doch ihr Bemühen oder ihre Zustimmung ihm Sachsen erhalten, und die Wiedererlangung Baierns erleichtert; und er wollte nun Vorzüge vor Allen voraushaben auch außerhalb der ihm verliehenen Staaten? Und selbst wenn er nur Herstellung der beiden Herzogthümer erstrebt hätte, beeinträchtigte dieß manchen neuen unabhängigen Fürsten. War doch Sachsen durch König Konrad, Baiern durch Friedrich geschmälert, die Markgrafen, Landgrafen, Pfalzgrafen durchaus reichsunmittelbare Fürsten, und die Bischöffe und Erzbischöffe mit ihrer weltlichen Herrschaft kaum noch vom Kaiser sich belehnen zu lassen geneigt. Während so einerseits Heinrichs Macht im Norden von Jahr zu Jahr gefährlicher wurde, erhob auch der Fürsten Neid, Haß und Furcht auf der andren Seite sich deutlicher und drohender.



Zumal seit um Mathilde von England, die reiche *)

*) Helmold. II. cap 10:· cum argento, auro et divitiis magnis. Robert de Monte edit. Dacherii ad Annum 1167: cum infinita pecunia et apparatu maximo. Cranzii lib. VI. Cap. 25 nennt sie: magna dote in auro, argento et gemmis adornatam. Die Zeit des Verlöbnisses setzt Kranz richtig auf 1165, wie es bei Matthaeus Parisius ad A. 1165 steht.

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Königstochter, der Kaiser selbst für Heinrich geworben, stieg der Stolz von der einen, der Groll von der andern Seite. Nach dem Zeugniß mehrer Schriftsteller wars bald nach der Verlobung mit der genannten Prinzessin, als Heinrich einen ehernen Löwen vor seinem Schlosse zu Braunschweig errichten ließ, wie wenn er gleichsam im Erzbilde des Thieres nach welchem er benannt wurde, den eignen Sinn offenbaren wolle *).

 

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Einfügung: Für Interessenten sind Einzelheiten zum Löwen folgendem Artikel zu entnehmen:

"Der eherne Löwe auf dem Burgplatze zu Braunschweig und seine Jubelfeier nach 700 Jahren 1866" veröffentlicht im Braunschweigischen Magazin Bd. 79 (1866), 31stes und 32stes Stück, Seiten 313 bis 326. Der Artikel ist unter folgendem LINK zugänglich:

http://digisrv-1.biblio.etc.tu-bs.de:8080/docportal/servlets/MCRFileNodeServlet/DocPortal_derivate_00014368/start.html

 

Doch er erschreckte die Nachbarn nicht, sondern sie rüsteten sich, um seinen Uebermuth zu strafen.



Nur vereint und in Abwesenheit des Kaisers durften die Gekränkten es wagen sich zu rächen. Im Jahre 1166 fanden sie Gelegenheit zu solcher Verbindung. Es gehörten dazu die Erzbischöffe Reinald von Cöln und Wichmann von Magdeburg, der Bischoff Hermann von Hildesheim, die Fürsten Ludwig von Thüringen, Albrecht der Bär sammt seinen Söhnen, Otto von Meißen **) und seine wettinischen Brüder, Pfalzgraf Adalbert von Sommerschenburg, Otto von Assle, Wittekind von Dasenberg,

*) S. die in den Orig. Guelf. a. a. O. genannten Schriftsteller und die Beweise für das Jahr 1166. Das Factum darf nicht geläugnet werden. Der jetzt noch zu Braunschweig befindliche Löwe scheint orientalische oder griechische Arbeit. Wenn auch nach dem Kreuzzuge Heinrichs (1173) erst dieser Löwe aufgestellt wurde, konnte doch ein andrer früher auf dieser Stelle stehen. Einen lebendigen Löwen, wie Andre berichten, konnte Heinrich noch außerdem sich mitbringen; hatten dergleichen Thiere des Orients doch auch andre Fürsten an ihren Höfen, ohne darum den Beinamen des Löwen zu erhalten. S. über denselben Scheid. praefat. ad Tom III. der Orig. Guelf. pag. 1 nota a.
**) Marchio Otto de Camburg bei Helmold cap. 7. ist wohl kein andrer als Otto Markgraf in Meißen. Vergl. Wachter Gesch. von Obersachsen II. S. 174.
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Christian von Oldenburg ans Amerland in Friesland, also lauter Fürsten aus Sachsen oder Nachbarlanden. Der Mächtigste und die Seele des Bundes war Reinald von Cöln, ein stolzer Prälat und, wie Heinrich, ein vertrauter Freund und Rath des Kaisers, von verschmitztem Geiste, ein gewandter Unterhändler wie wenige seines Gleichen, ein tapfrer, umsichtiger Feldherr, der vielfach sich bewährt, zwar dem Kaiser treu, doch, wo möglich, auch des eignen Vortheils bedacht, seys, daß er offen mit seinem Begehren hervortrat, seys, daß er im Geheim dem Ziele sich zu nähern suchte. Weniger verschmitzt, doch nicht an Gewandtheit des Geistes noch an Kriegsmuth und Feldherrntalent dem vorgenannten nachstehend , wenn auch ein Feind zwecklosen Kriegsspiels *), war Wichmann, ein geborner Graf von Seeburg, von Vatersseite bairischer oder östreichischer **), von Muttersseite sächsischer Abkunft, schon in jungen Jahren zur erzbischöfflichen Würde gelangt, gleich Reinald ein ganz ergebener Freund des Kaisers. Hermann von Hildesheim, obgleich im Rufe großer Frömmigkeit und der einst nach seinem Tode zu Segusium durch Wunder verherrlicht, hatte sich vom italienischen Feldzuge losgekauft, um an den Feindseligkeiten wider Herzog Heinrich

*) Er verbot die Privatturniere und belegte deren Besucher mit dem Banne. Wie streng er dieß ausführte, zeigt das Beispiel, das er an Conrad dem Sohne Dietrichs von der Lausitz statuirte. S. Chron. Mont. Sereni ad 1175. Annal. Vet. Cell. Ad 1177. Vergl. auch Wachter Geschichte von Obersachsen S. 182.
**) S. darüber ein sehr selten gewordenes Buch: spicilegium historico – genealogico diplom. ex antiquissimo et florenz. quondam agro Billungano, quo praeter alia vera et genuina origo Lotharii III. Imp. nec non Wichmanni Archiepisc. Magd. incolatus et patriotismus Austriacus manifestatur ab Iosepho Schaukegl Benedictino Seitenstetensi.

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Antheil nehmen zu können *). Ludwig von Thüringen, bemüht seiner Würde, die zuerst sein Vater durch Kaiser Lothar erlangt, höhern Glanz zu verleihen und besorgt, daß Heinrich Thüringen durch seine Macht erdrücken werde, zumal da die widerspenstigen Grafen und Herren im Lande dem fremden Gebieter gern die Hand boten, um nicht dem früher ihnen gleichen Landgrafen unterthan zu seyn **) - war zu einem Bündniß gegen den drohenden Nachbar leicht gewonnen. Die nahe Verwandtschaft mit dem Kaiser bewahrte ihn vor Strafe, und im Nothfall vor Bedrängniß und Schmach durch Heinrich. Albrecht der Bär konnte nicht vergessen-, daß er einst zum Herzog von Sachsen ernannt worden, daß Heinrich der Löwe ihm dieses und das Erbe von Winzenburg vorenthalten. Die mit dem Herzog gemeinsam unternommenen Züge wider die Slaven hatten mehr zu gegenseitiger Eifersucht als Freundschaft geführt. Otto von Meißen war in gleichem Fall wie Ludwig von Thüringen. Waren doch die Markgrafen von Meißen und Thüringen von König Heinrich I. erhoben, und diesem nicht sowohl als Reichsoberhaupt denn als Herzog beider Länder untergeordnet gewesen. Heinrich der Löwe strebte jede Macht, die je Herzöge von Sachsen geübt, wieder zu erlangen. Die Pfalzgrafen jeder Provinz waren Verwalter·kaiserlicher und Reichsgüter, Vorsitzer in den Reichsgerichten gewesen, und hatten gegen Niemand Verbindlichkeit als

*) Orig. Guelf. a. a. O.  §.51
**) Ein Graf Heinrich von Kefernberg, ein unruhiger und dem Kriegshandwerk ergebner Mann diente dem Herzog, und ward als Vormund Adolfs von Hollstein sein Verbündeter in dem Sachsenkriege. S. Orig. Guelf. §. 51. und was später im Text von ihm erwähnt wird.

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gegen das Reichsoberhaupt; allein zu der Würde waren Grafen des Landes erhoben, die als solche mit ihrem Allodium zum Herzogthume gehörten, mithin im Herzoge einen Oberfeldherrn im Kriege, einen Vorsitzer in den Landesgerichten, in vielfacher Beziehung einen Obern, Schirmherrn, Vorstand anzuerkennen gezwungen waren. So fühlte auch Adalbert von Sommerschenburg sich durch den Mächtigen beengt, und war nicht abgeneigt im Bunde Vieler denselben in Schranken zurückzudrängen. Was die drei oben genannten Edlen: Otto, Wittekind und Christian so keck machte, den ersten Fürsten in Teutschland, ja nach dem Kaiser den Mächtigsten in Europa anzufeinden, läßt sich nicht, wie bei den Uebrigen, aus ihren Ansprüchen an eine bedeutende Stellung unter den Reichsfürsten, sondern aus persönlichem Haß und besondern Anlässen zu solcher Feindschaft erklären. Welche dieß gewesen, ist hier gleichgültig. Die Anhaltiner und Wettiner machten zahlreiche Familien aus, die verzweigt im Norden und Süden von Sachsen gefährliche Wunden dem Feinde beibringen konnten.



Wie sehr aber auch Alle vor Haß gegen Heinrich entbrannten, nicht ihn allein, auch den Kaiser hatten sie zu scheuen. Selbst Reinald, der mächtige Erzbischoff und Kanzler des Kaisers, kaum aus England zurückgekehrt, wo er der Brautwerber des Herzogs gewesen und trotz mancher Schwierigkeiten mit seinem Gesuche durchgedrungen war, konnte jetzt nicht auf einmal die ganz entgegengesetzte Rolle spielen. Nur durch Briefe aus Italien, wohin er schon vor dem Kaiser abgegangen, reizte er die übrigen Feinde Heinrichs auf.

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Schriftsteller, die gern Friedrich Barbarossa in ein gehässiges, zweideutiges Verhältniß zu Heinrich dem Löwen zu stellen suchen, würden in dem damaligen Benehmen Reinolds reichen Stoff zu ihren Vermuthungen finden und glauben, daß der Erzbischoff auf des Kaisers Wunsch in so kurzer Zeit ein sich so widersprechendes Benehmen gezeigt habe. Zu verwundern ist freilich, daß gerade damals ohne äußern Anlaß - den die Schriftsteller der Zeit gewiß gekannt und angemerkt haben würden, - Reinald die ersten Schritte zu einer Feindseligkeit machte, nachdem er dem Herzog den ersten großen Freundschaftsdienst erwiesen.



Nur wer mit vorgefaßtem Argwohn gegen Friedrich überall, wo äußre Anlasse fehlen, welche die Fürsten zur Fehde gegen Heinrich gebrauchten, ihn als den Urheber ansehen möchte, oder wer mit kurzsichtigem·Auge die Verhältnisse überblickt, erkennt nicht, wie viel Reiz den Herzog anzufeinden in der Seele eines so ehrgeizigen und eigennützigen Priesters wie Reinald verborgen wirken mußte, wie aber nur geheime Machinationen ihm gestattet waren, weil der Kaiser davon Nichts erfahren durfte. Widerstreitet mit solcher Gesinnung noch der Eifer, welchen er für des Herzogs Vortheil in England gezeigt hatte? Keinesweges! Die Verbindung Heinrichs mit Mathilden war eine Angelegenheit, die Reinald nicht zu Gunsten des Ersteren sondern zum Vortheil des Kaisers betrieben hatte. Es lag Friedrich bei seinem Zwiespalt mit Papst Alexander viel daran, die Könige von England und Frankreich für den von ihm erhobnen Papst Paschalis zu gewinnen. Eine lockende Verbindung mit einem so angesehenen

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teutschen Fürsten, wie Heinrich dem Löwen, konnte den englischen König geschmeidig machen, doch auch ein so schlauer Unterhändler wie Reinald von Cöln, der Alles gegen Alexander aufzubieten wußte *), war nöthig, um an einem diesem Papste bisher ganz ergebnen Hofe Etwas auszurichten.



Ungern that Reinald zum Gewinne Heinrichs, was Dienstpflicht für den Kaiser also erheischt hatte. Darum suchte der eifersüchtige Kanzler, der neidische Nachbar, auf eine andre Weise dem Nebenbuhler am Throne wie im Reiche zu schaden. Denn im Felde wie im Rathe, in Italien und in Teutschland war der Herzog dem Erzbischoffe im Wege. Der allgemeine Haß der nordteutschen Fürsten, der Reinald auch bei seinem kurzen Aufenthalt in Teutschland und selbst in der Ferne nicht unbekannt blieb, war ihm willkommen,um Heinrich zu bedrängen, wenigstens zu verhindern, daß er bei dem Kaiser eine so wichtige Rolle spielte wie bisher. Hoffte er doch andre Streitkräfte in Teutschland und Italien für den Kaiser zu gewinnen, die ihm sich leichter unterordneten als der stolze Löwe. Wer das Verfahren dieser Priester, Reinalds, seines Nachfolgers Philipps, Christians von Mainz, Wichmanns von Magdeburg genau und in allen Fäden verfolgt, kann nicht verkennen, wie sie Alles angewandt, um Herzog Heinrichs Einfluß und Geltung bei Kaiser Friedrich zu schmälern. Um die weltliche Macht über die kirchliche zu erheben, bedienten die Hohenstaufen alle,

*) Chron. Mont. Sereni ad A. 1160, nennt Reinald: schismatis autor et coroborator praecipuus, und erzählt die bekannte Anecdote: Ego sum Ruina mundi.

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vornämlich aber Friedrich Barbarossa sich, wohl erdacht und sehr geschickt, der Diener der Kirche selbst; das hatte aber andrerseits die Folge, daß die längst nach irdischem Ruhm und weltlichem Besitze trachtenden Prälaten frühere Würden und Güter der Fürsten an sich rissen. Friedrich erkannte den Ehrgeiz, die Habgier, die Herrschsucht dieser Bischöffe nicht, oder mußte, um den bereits übermächtigen Kirchenfürsten in Rom zu stürzen, der Kirche andrerseits Opfer bringen, die ihm selbst zunächst keine Gefahr zu drohen schienen. Daß aber die Fürsten ohne Widerspruch weltliche Ehren und Lehen an Diener der Kirche gelangen ließen, ist aus dem Neid, der Zwietracht, der Eifersucht gegen einander zu erklären.



Weil Friedrich, seit er der Erzbischöffe sich mit Vortheil bediente, des Herzogs persönliches Erscheinen in Italien weniger bedurfte, nicht weil Heinrich für den Kaiser erkaltet war, blieb jener, gleich den meisten sächsischen Fürsten, vom Feldzuge des Jahres 1166 befreit. Welchen Grund hätte er gehabt, sich an den Kaiser zu drängen, seine Dienste ihm unaufgefordert anzubieten? Lag ihm denn daran seine eifersüchtigen Nebenbuhler am Throne des Kaisers auszustechen? Sein Ehrgeiz war auf Sachsen, auf den Norden gerichtet. Den Slaven und teutschen Fürsten zu gebieten, galt ihm mehr als Lombarden und dem Papste gegenüber zweideutigen Ruhm zu erwerben. Jetzt zumal sah er - nicht mit Furcht, nein mit Verlangen - die feindseligen Rüstungen der Gegner.



Damals wagten diese noch nicht durch Verläumdungen oder gar offne Anklagen den Kaiser in seinem Vertraun auf den Herzog, oder in den einmal gefaßten

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Ansichten über Heinrichs nothwendige Machtvergrößerung zu erschüttern. Selbst Rainald besaß diese Gewalt über Friedrichs Herz nicht. Doch den Mächtigen entbehrlich zu machen war schon Gewinn. Die Freundschaft des Kaisers konnte erkalten, der frühere Grundsatz, einem Fürsten überwiegende Macht in Nord- und Südteutschland zu übertragen, sich ändern, sobald dieser Eine nicht erfüllte, wozu er erkoren. Darum sollte Heinrich in Teutschland durch Feinde so beschäftigt werden, daß er nach Italien nicht ziehen konnte. Dann bedurfte es nur des Anlasses, daß der Kaiser diesen Fürsten beschränkte, und endlich in ihm einen Hinderlichen, einen Feind erblickte.



Schon im Jahre 1165 mochten Heinrichs Gegner sich gerüstet, und nur auf den Abgang des Kaisers gewartet haben. Dieser erfolgte nicht vor Ende März 1166 *). Heinrich begleitete über Nürnberg bis Ulm **) den Scheidenden, und verweilte noch einige Monate in seinem südlichen Herzogthum, wo er meist nur auf Durchreisen oder auf der Rückkehr von Italien anhielt. Während dieser Abwesenheit von seinen nordteutschen Staaten hatte Ludwig von Thüringen und die ostländischen Fürsten die Stadt Haldensleben durch Sturmmaschinen zu erobern versucht; vom Oldenburgischen her besetzte Graf Christian das bremische Gebiet, und erregte einen Aufstand von Heinrichs Vasallen im Westen. Zu den oben genannten Feinden gesellten sich nun noch zwei Geistliche, der Erzbischoff

*) Darum irren die, welche schon 1165 offne Feindseligkeiten der Verbündeten setzen. Erst zu Merseburg 1166 beschlossen diese gegen Heinrich ins Feld zu rücken.
**) S. die zwei Urkunden vom Februar und März 1166 in den 2 genannten Städten ausgestellt, bei Schultes direct. diplomat. II. pag. 175-177.

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Hartwich von Bremen und Bischofs Konrad von Lübeck. Jener war freilich, wie früher erzählt ist, vom Herzog mit großer Strenge, aber auf Befehl des Kaisers, für vernachlässigte Reichspflicht gestraft worden; bei ihm konnten die wiederholten Aufreizungen Reinalds *) nicht ohne Eindruck bleiben. Konrads Verweigerung, aus Heinrichs Händen die Investitur zu empfangen, war Stolz und Undankbarkeit zugleich; denn ihn hatte der Herzog mit Wohlthaten überhäuft. Auch jetzt suchte dieser ihn zu versöhnen. Umsonst, er trat zu den Verbündeten.



So vielen Feinden, die alle zugleich entweder den Löwen schon anfielen oder von fern herannahten, die Stirn zu bieten, bedurfte es wahrlich eines Löwenmuthes.






Er fehlte Heinrichen nie, und nicht bloß mit dem aufgestellten Löwenbilde prahlte er stolz, auch seinen eisernen Arm ließ er der Tatze gleich Jeden, der sich nahte, fühlen. Zuerst war er bedacht, die einzige noch freie Seite des Landes durch sichre Freunde zu decken. Auf die Treue der tapfern Hollsteiner konnte er bauen, allein sie beherrschte damals eine schwache Frau und ein zartes Kind, die Wittwe und der Sohn des verstorbenen Grafen Adolf. Nicht säumig blieb Heinrich, Beiden einen ebenso kriegserfahrnen und kriegslustigen Mann zur Stütze, als für sich selbst einen zuverlässigen Dienstmann auszuwählen. Keinen Bessern als den thüringischen Grafen Heinrich von Kefernberg, einen Mutterbruder des Knaben konnte

*) Helmold II. cap.8. Tunc Coloniensis Archiepiscopus caeterique Principum mandaverunt ei per litteras ut revocaret ad cor omnes pressuras, quibus attrivisset eum Dux. Hartwich hoffte vornämlich die Markgrafschaft Stade, die der Herzog dem Erzbisthum entzogen, wieder zu erlangen.

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er finden *). Einen zweiten Verbündeten scheute Heinrich nicht in einem frühern Feinde zu suchen. Prebislav, den Fürsten der Obotriten, hatte er aus seinem väterlichen Erbe vertrieben, ihm traute er mehr als falschen Freunden. Prebislav erhielt bis auf Schwerin sein Land zurück, und ein Eid genügte dem Herzog, um auf seine Treue bauen zu können **). Auch ließ Heinrich, um stets einen sichern Rückzug zu haben, die Vesten des Landes, vornämlich Braunschweig, in den besten Stand setzen.



Jetzt, als er im Norden sich eine freie Grenze bewahrt, und seine Heeresmacht schnell gesammelt, stürzte er dem Thiere gleich, das er selbst zu seinem Sinnbilde erkoren, auf die vereinzelt und ohne rechten Plan angreifenden Gegner ***), erfaßte grimmig den Einen, brachte ihm schwerblutende Wunden bei, überraschte dann den Andren, der scheu vor dem Zornigen zurückwich; die kleinen Feinde, deren Keckheit den Löwen besonders verdroß, büßten ihr Wagniß am härtesten.



Ludwig von Thüringen und die östlichen Fürsten, welche zuerst die Feindseligkeiten begannen, und die Veste Haldensleben trotz der größten·Anstrengung nicht erobern konnten, mußten auch zuerst Heinrichs Arm fühlen. Er trieb die Feinde aus seinen Grenzen und verfolgte sie bis unter die Mauern von Magdeburg. Dann wandte er sich nach Westen, wo Christian die Veste Weia erobert hatte, und von den Bewohnern Bremens bereitwillig in ihre

*) Orig. Guelf. VII. 1 §. 51. Helm. II. cap. 7.
**) Helm. a. a. O.
***) Alb. Cranzius bezeichnet den ersten Krieg der Fürsten wider Heinrich also; bellum ingens sine manifesta causa, quod hinc stare videretur invidia, illinc depugnare superbia.


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Stadt aufgenommen war. Dem Löwen wagte er nicht zu widerstehen und verließ Bremen, das nun mit 1000 Mark Silbers seine Treulosigkeit gegen den Landesherrn büßen mußte *). Der Erzbischoff Hartwich war bereits nach Hamburg entflohn, und wartete dort den Ausgang der Vorfälle ab, ohne Etwas zur Befreiung und Vertheidigung seines Bisthums zu unternehmen, welches Heinrich plündernd und verheerend durchzog. Als Friborg sich widersetzte, wurde die Veste erstürmt und dem Erdboden gleich gemacht. Ein ähnliches Schicksal bedrohte Harburg, dessen Bürger den Erzbischoff bis zum Aeußersten treu bleiben wollten **). Die Sümpfe und Moräste hielten den Herzog ab, und zu einer langwierigen Belagerung war ihm die Zeit zu kostbar. Lieber verfolgte er den Grafen Christian von Oldenburg, der Alles aufgeboten, um durch einen allgemeinen Aufstand im Westen sich zu retten ***). Des Herzogs Annäherung schreckte die Rebellen. Christian floh in die friesischen Sümpfe. Sein bald darauf erfolgter Tod befreite Heinrich von aller Gefahr auf dieser Seite ****). Denn der Erzbischoff von Bremen hatte sich bereits zu Wichmann von Magdeburg begeben, wohin wenige Tage vor ihm auch Konrad von Lübeck entflohen war. Beider Ländereien und Einkünfte blieben in Heinrichs Hand.



So hatte bis in den Winter des Jahres 1166 durch Sachsen und Thüringen die Kriegsfurie mit allen ihren

*) Orig. Guelf. a. a. O. §. 51. Othonis catalog. episc. et archiep. Brem. apud Mencken scpt. rer. Germ II. pag.789.
**) Bei Otho a. a. O. fälschlich Hamburg genannt.
***) Helmold II. cap. 7.
****) Helm. II. cap. 8. über die beiden Geistlichen cap. 9.

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Schrecken gewüthet; Brand, Raub und Mord waren von beiden Theilen verübt; an weltlichem und geistlichem Gut, an Burgen, Städten und Klöstern sah man die Spuren des verderblichen Zwistes *). Gleichwohl sollte derselbe auch noch im folgenden Jahre fortdauern. Die gute Getreide- und Weinernte **) von 1166 hatte trotz der Verwüstungen noch nicht alle Kräfte des Bundes schwinden lassen, und die Abwesenheit des Kaisers, der den Winter in Italien zubrachte, und dort zu sehr beschäftigt war, um die Händel der teutschen Fürsten zu ahnden, bot eine zu günstige Gelegenheit, um den verhaßten Herzog Heinrich zu bekriegen. Denn nicht leicht konnten so alle Kräfte der Verbündeten beisammen seyn, weil die italienischen Angelegenheiten auch sie bald abrufen mußten, während jetzt außer Reinald von Cöln fast nur südteutsche Fürsten jenseits der Alpen standen. Der schlaue Kanzler, durch den alle Berichte an den Kaiser gelangten, suchte wohl, was im Norden Teutschlands vorging, den Ohren des Kaisers fern zu halten, und dunkle Gerüchte darüber niederzuschlagen. Heinrichs südteutsche Besitzungen waren gar nicht von seinen Gegnern beunruhigt worden; nur in Sachsen, nicht in Baiern und Schwaben war er ihnen gefährlich und gehäßig. Das Land, das Heinrichs Größe begründete, dem er allein seine Sorgfalt schenkte, mußte

*) Ein gräßliches Bild von diesem Kriege macht das Chron. Sempetrinum ad A. 1166: Tisiphone ubivis gentium hac et illac debaccante incendiis, rapinis, castellorum oppugnationibus, membrorum obtruncatione, nonnullorum etiam peremtione tota Saxonia atque Thuringia non parvo tempore vexabatur, adeo ut mala res et pejor spes metu percelleret omnes tam clericos et monachos quam seculares. Vergl. Origi. Guelf. a. a. O. §. 53.
**) Variloquus Erfurt. ad A. 1166.

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Beides auch allein entgelten. Nicht scheuten seine Feinde weder die in dem vorhergehenden Feldzuge bewährte Uebermacht des Herzogs, noch des Kaisers zu befürchtenden Zorn.



Um Haldensleben erhob sich abermals der Kampf. Erzbischoff Wichmann wird der Hauptanführer des Belagerungsheeres genannt. Landgraf Ludwig, die anhaltinischen und wettinischen Fürsten, Pfalzgraf Adalbert und andre Verbündete standen gleichfalls im Felde. War auch Christian von Oldenburg nicht mehr, um im Westen einen Einfall in Sachsen zu machen, und der nördlichen Bischöffe Land sogar in Feindes Hand, so herrschte doch unter den östlichen Verbündeten dießmal größre Einheit, und, von dem klugen Wichmann geleitet, bedrohte Haldensleben eine unabwendbare Gefahr, die für den Herzog durch den Beitritt der Reichsstadt Goslar zum Bunde noch vermehrt ward *).



Wirklich fiel die Stadt Haldensleben, sowie auch die Veste Niendorp **), und nur zerstört erhielt beide der Herzog später zurück. Dafür gewann dieser Löwenberg dem Pfalzgrafen Adalbert ab ***), und widerstand im

*) Orig. Guelf.·a. a. O. §. 53
**) S. Chron. Mont. Ser. ad 1167. Torquati series archiep. Magd. ap. Mencken III. pag. 302. Die Contin. Chron. Pegav. ad 1167 giebt Mendorph, vielleicht nur ein Druck- oder Schreibfehler.
***) Cron. Stedenberg. nennt dabei das Jahr 1165, führt jedoch unter 1167 den Krieg der sächs. Fürsten gegen Heinrich an. Sicher fallen beide Begebenheiten zusammen. Allein, oder, wie es heißt, mit einem Markgrafen verbunden, der nicht näher bezeichnet wird , würde Adalbert keinen Krieg wider Heinrich gewagt haben. Da ihn Helmold unter die Verbündeten zählt, ist wohl 1167 das Jahr der Einnahme von Löwenberg. Wahrscheinlich, ists Löwenberg im Harz S. Martinieres Lexicon geograph. Thl. Vl. pag. 119 der teutschen Uebersetzung.

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Felde so kräftig den vielen Feinden, daß sie ihm auch bei längerer Dauer des Krieges wohl Nichts hätten anhaben können. Da aber erscholl des Kaisers drohend Wort aus Welschland herüber und gebot Frieden bis zu seiner Rückkehr, die bald erfolgen sollte. Das zügelte die Kampfeslust beider Theile, wenn auch der Haß noch lange nicht, ja niemals, durch des Kaisers Gebot gedämpft wurde. Wichtige Todesfälle des Jahres 1167 in Italien hatten auch für diesen nordteutschenKrieg und dessen Theilnehmer besondre Bedeutung. Im August *) starb außer andren Geistlichen, deren aller Tod als Strafe des Himmels angesehen ward, Reinald von Cöln, und von den weltlichen Fürsten ersten Ranges unterlagen der verheerenden Seuche Herzog Friedrich von Rothenburg, der Sohn König Konrads, und der junge Welf, jener ein Schwiegersohn, dieser ein Vetter Heinrichs des Löwen. In Reinald von Cöln verloren die sächsischen Fürsten einen ebenso mächtigen Verbündeten, als einen wirksamen Vertreter beim Kaiser, während Heinrich durch den Tod Welfs die Aussicht auf neue große Gütervermehrung gewann, da der nunmehr kinderlose alte Welf nach seinem bald zu erwartenden Hintritte keinen nähern Erben als Heinrich hinterließ. Beide Todesfälle konnten den Muth der Verbündeten wenig erheben, aber auch nicht Neid, Haß und Furcht vor dem Uebermächtigen in ihnen beschwichtigen.



Die drohenden Schreiben des Kaisers kamen wohl erst nach dem Tode Reinalds in Teutschland an, also zu Ende des Jahres 1167. Zu Anfang des folgenden erschien

*) Chron. Ursp. giebt richtig 1167. Appendix Othonis S. Blas. 1166. Chron. Mont. Ser. 1168.

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er selbst und betrieb auf mehrern Reichstagen drei Jahre hindurch das Friedenswerk. - Gewiß mochte auch dem Kaiser die Aussöhnung so erbitterter Feinde schwerfallen; doch da er sie seinerseits aus vielen Gründen aufrichtig wünschen mußte, andrerseits beide Theile dem Kaiser ebenso sehr aus Ehrfurcht als aus Neigung Gehorsam zollten, so läßt sich nicht glauben, daß noch 1168 öffentliche Feindseligkeiten stattgefunden haben. Wenn daher die lauterberger Chronik und andre nach ihr, in dieses Jahr noch eine Belagerung Haldenslebens durch Wichmann und viele Fürsten, die ihm Beistand geleistet, setzen, so ist dieß eine Verwechselung mit der vorgenannten, oder einer, die zehn Jahre später erfolgte. Letzteres um so wahrscheinlicher als viele angegebenen Umstände *) ganz dieselben sind, wie man sie später kennen lernen wird. Haldensleben konnte 1168 noch nicht wieder hergestellt seyn, Wichmann der gehorsamste Freund des Kaisers, dessen Willen nicht zuwider handeln, und Heinrich der Löwe nicht trotzen, da Friedrich zu seinen Gunsten vermittelte.



Die Wirkungen von Friedrichs Machtspruch erkennen wir am deutlichsten aus den festlichen Ereignissen in Heinrichs eignem Hause. Schon 1167 ließ er die ihm seit zwei Jahren verlobte Braut aufs Festland kommen. Zu Minden empfing er sie und ließ am ersten Februar 1168 sich durch Bischofs Werner copuliren **). In Braunschweig

*) Chron. Mont. Ser. ad 1168. Bernhard von der Lippe ist hier wie 1178 der Vertheidiger Haldenslebens, von wo aus er häufig Raubzüge bis unter die Mauern von Magdeburg gemacht. Die Series Torquati ad 1167 faßt kurz das Schicksal Haldenslebens zusammen und erzählt hier ununterbrochen bis auf die Begebenheiten von 1181.
**) Hermann Lerbecius in seinem Chron. Schauenburg. ap. Meibom. I. pag. 506, wo 1169 in 1168 zu verändern ist nach Scheid. Orig. Guelf. lib. VII. cap. I. §. 55. Helmold II. 10 hat auch 1168. Diploma von 1168 in den Orig. Guelf. Pars III.·pag. 505·giebt den Zusatz: Quando Heinricus Dux Bavariae et Saxoniae Mechthildem filiam regis Angliae ibidem subaravit. Auch Gervasii Chron. pag. 1403 hat das Jahr 1168.

Neue Jahrb. 2r. Jahrg. IV.         23

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selbst wurden die Hochzeitsfeierlichkeiten mit all dem Glanze, welcher der hohen Braut gebührte, und von Heinrich dem reichsten Fürsten Teutschlands erwartet werden durfte, begangen. Dazu hätte schwerlich der Herzog eine Zeit gewählt, in welcher ihn noch drohende Feinde umringten, die seine Gegenwart im Panzerkleide erforderten. Die Waffen also ruhten gewiß, nicht aber waren die Gemüther besänftigt. Unversöhnlich, unnachgiebig fand Friedrich die Kämpfer, als er am einunddreißigsten Juni 1168 sie nach Frankfurt *) berief. Sein Machtspruch hätte ohne Zweifel augenblickliche Aussöhnung herbeiführen können; allein so gebietend aufzutreten fand er nicht einmal für sich selbst vortheilhaft.



Vielleicht zum erstenmal erkannte Friedrich jetzt, welchen Groll und Neid er durch die Bevorzugung Heinrichs erweckt hatte. Er sah die Schwierigkeiten einer nahen Ausgleichung, wie er seiner italienischen Händel halber sie wünschte. Nur Aufschub, vorsichtiges Verfahren konnte eine genügende Lösung herbeiführen. Sicher war es dieses, was der Kaiser wünschte. Da der Ausgang zu Gunsten Heinrichs spricht **), so darf an des Kaisers freundschaftlicher Gesinnung für diesen nicht gezweifelt werden, um so mehr, als Heinrichs Gegner ihm gleichfalls sehr nahe stehende Verwandte oder getreue Anhänger waren.

*) Godolfr. Colon. ad 1168.
**) Helmold. II cap. 1.: Cesserunt omnia juxta placitum Ducis.

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Doch nicht Wichmann, nicht Ludwig, nicht die Anhaltiner, nicht die Wettiner konnten vom Kaiser einen Vortheil erringen. Hartwich und Konrad in ihre Bisthümer zurückkehren zu lassen, ward von Heinrich wohl nicht verwehrt; hatten Beide doch viel gelitten. Krank kehrte Hartwich zurück, starb nach wenig Tagen, worauf Heinrich ohne Widerspruch der Fürsten,.also mit Zustimmung des Kaisers, die Grafschaft Stade, den Zankapfel zwischen ihm und dem Erzbischoffe, an sich zog. Konrad mußte, was er vorher verweigert hatte, vom Herzog die Investitur annehmen. Mehr konnte und wollte dieser sicherlich nicht. Denn daß er jederzeit bemüht war, den Haß und die Feindschaft der Geistlichen zu vermeiden, zeigt sich während seines ganzen Lebens deutlich.



Was der Kaiser gefällig für ihn gethan, vergalt Heinrich durch Gegendienste. Ohne Zweifel wurde von ihm, wie von den andern Fürsten, der neue Papst Calixtus, der nach Paschalis 1168 erhoben war, anerkannt *). Dem Kaiser lag daran, auch die Könige und Fürsten außerhalb Teutschlands für seinen Gegenpapst zu gewinnen. Vermuthlich war es mehr diese Kirchenangelegenheit, als eine Brautwerbung für Friedrichs ältesten Sohn Heinrich, weshalb Heinrich der Löwe damals sammt den Erzbischöffen von Mainz und Cöln an den Hof König Heinrichs von England geschickt wurde und den Winter von l168 auf 69 dort verweilte **). Welches Geschäft es

*) Heinrichs Verfahren gegen den widerspenstigen Erzbischoff Albrecht von Salzburg, der Alexander III. treu blieb, beweißt, daß er öffentlich des Kaisers Papst auch für den seinen gehalten.
**) Godofr. Col. ad 1168 nec multo post festum S. Michaelis. Robert. de Monte hat Anfangs 1169.
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aber auch gewesen, das .Heinrichs Besuch bei seinem
Schwiegervater ausrichten sollte, es beweißt, daß er und
der Kaiser einander vertrauten, und damals nichts Schwie-
riges zwischen ihnen obwaltete *).



Gegenseitige Dienste leisteten Beide sich auch auf dem Reichstage zu Bamberg (8. März 1169), wo Friedrichs fünfjähriger Sohn Heinrich zum römischen Könige erwählt wurde. Als Hauptbeförderer dieses Planes wird zwar Christian von Mainz genannt **), doch wohl nur, weil er als Erzkanzler das Wort in der Versammlung führte. Unter den weltlichen Boten kam auf Heinrichs des Löwen dem Kaiser das Meiste an ***). Dafür betrieb dieser auf demselben Reichstage mit allem Eifer und aller Klugheit die Aussöhnung der sächsischen Fürsten. Doch ward wohl nur der angesehensten gedacht; und die kleinern, vom Kaiser dem Herzoge preisgegeben, suchten in eigner Faust ihr Recht. Wittekind von Dasenberg verschmähte die Friedensbedingungen Heinrichs, und machte von seiner Veste Warburg räuberische Einfälle in des Herzogs Gebiet, bis der Uebermächtige ihn zur Ergebung zwang.



Am Besten ließ die Zwietracht der Fürsten in Sachsen selbst sich schlichten; und dort gelang es auf dem Reichstage zu Erfurt 1170 noch einmal die Erzürnten zu besänftigen, bis des Kaisers eigner Zorn wider Heinrich auch den der Gegner des Herzogs anfachte.



Dem Kaiser abgeneigte Schriftsteller glauben, daß jener schon damals den Saamen der Zwietracht gestreut,

*) Einem bloßen Besuche widerspricht die Gesellschaft der zwei Prälaten.
**) Chron. Pegav. Contin. ad 1169.
***) Wenn abweichend von anderen Schriftstellern Benedict. Petrob. I. 329. den Kaiser Friedrich auf dem Reichstage zu Regensburg im Jahre 1180 dem Herzoge die Beschuldigung machen läßt, daß dieser sich der Königswahl Heinrichs widersetzt, verdient das Factum, wie die Anschuldigung wohl keinen Glauben.

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und machen ihm wegen Einziehung vieler Allodien und Lehen und deren Vertheilung unter seine Söhne, vor Allem wegen des Vertrages zwischen ihm und dem alten Welf einen Vorwurf, als habe er durch alle diese Schritte die Macht Heinrichs beeinträchtigen wollen. Zu leugnen ist nicht, daß Heinrichs des Löwen Ansprüche an die Güter seines Oheims näher waren, als die des Kaisers;
allein würde dieser in einer Zeit, wo er des Herzogs Freundschaft bedurfte, genoß und mit gleicher Wohlwollenheit erwiederte, ihn um so reiche Güter haben bringen dürfen, ohne dazu des Herzogs - wenn auch stillschweigender - Beistimmung gewiß zu seyn? Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte Heinrich Anlaß genug zum Bruche mit Friedrich gefunden, der doch erst 7 bis 8 Jahre später erfolgte; so würde er nicht so oft noch dem Kaiser gedient, nicht fremdartige Unternehmungen begonnen haben, in welchen kein unbefangener Kritiker Vorbereitungen zu einem·Abfall, oder eine nothwendige Verstellung und kluge Täuschung suchen darf. Würde endlich nicht Heinrich, als es zum Bruche kam, die Entziehung der Welfischen Erbansprüche,dem Kaiser zum Vorwurf, und als beide noch unterhandelten, ihre Zurückforderung als Bedingung zum Frieden gemacht haben? Das aber meldet kein gleichzeitiger noch irgend ein alter Schriftsteller. Erst Neuere glaubten, mit Evidenz nachweisen zu können, daß Entziehung des Welfischen Allodiums den Zorn Heinrichs wider den Kaiser angeregt habe.

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Freilich erzählen mehrere Autoren *), Heinrich habe dadurch, daß er von schlechten Rathgebern verleitet, nicht in die von Welf verlangten Geldvorschüsse gewilligt, reiche Güter verscherzt, und der Kaiser jeder Anforderung Welfs klüglich entsprochen, um dessen Güter seinem zweiten Sohne Friedrich zuzuwenden. Darin liegt noch kein Grund zu einer aufkeimenden Feindschaft zwischen Friedrich und Heinrich. Was dieser verabsäumt, konnte er nur sich und seinen Rathgebern, nicht dem Kaiser vorwerfen. Den ungestümen Sinn Welfs zu versöhnen, da der ihm einmal zürnte, konnte und wollte der stolze Heinrich Nichts anwenden. Er hoffte auf dessen baldigen Tod; darin verrechnete er sich. Welf, um sich an Heinrich zu rächen, bietet einem andren, dem Grade nach gleich nahen Verwandten für dieselben Vorschüsse seine Allodien. Gewiß, er hätte sie einem Dritten geboten, wenn auch Friedrich sein Verlangen nicht befriedigte; denn Geld bedurfte er zu seiner wüsten Lebensweise, und den stolzen Neffen ging er sicher nicht noch einmal an; ja er hätte in seinem Zorne ihn wohl verschmäht, auch wenn Heinrich selbst zu einem Anerbieten sich herabgelassen. Das sah der Herzog ein. Wem konnte er nun das Verscherzte lieber gönnen , als dem Kaiser und dessen Söhnen? Bande des Blutes wie der Freundschaft machten den Kaiser ihm werth; jetzt aber bedurfte er seiner Vermittelung wider viele heftige Feinde. Der Kaiser bot ja Alles auf, um zu Heinrichs Gunsten zu schlichten. Das erheischte eine Gegengefälligkeit. Und Friedrich lag in der

*) Otto de S. Blas. cap. 12. Contin. Anon. Steingartensis de Guelfis. Orig. Guelf. VI. Cap. 4 §. 53

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That ebensoviel an Welfs Freundschaft als an Welfs Gütern. Längst hatte diesem nämlich des Kaisers Krieg wider die Kirche mißfallen. Welf ehrte Alexander 3., sah in ihm den rechtmäßigen Papst, war bemüht gewesen, Friedrich mit demselben auszusöhnen; als es nicht gelang, unmuthig aus Italien zurückgekehrt. Damals lebte noch sein Sohn, der beim Kaiser in großen Ehren stand und eifrig dessen Sache anhing. Doch gleich nach des Vaters Aufbruch starb der Jüngling, der des Alten höchste Freude gewesen. Das letzte Band zwischen Welf und Friedrich war gelößt, gelößt mit so großem Schmerze eines Vaters, der ungerecht leicht dem Kaiser die Schuld des Verlustes beimaaß. Als Friedrich gar den dritten Gegenpapst Calixtus erhob, sträubte in Welf sich Alles wider den Gegner seines für rechtmäßig erkannten und befreundeten Alexanders *). Nur durch Heinrich den Löwen, seinen nächsten Verwandten, und durch die Besitzungen in Schwaben war der in Italien reichbegüterte Welf an Teutschland und des Kaisers Interesse geknüpft. Für die teutschen Allodien konnte er sich, - oder Alexander ihn, - entschädigen, wenn er, der mächtige Herzog von Spoleto, Markgraf von Toskana, Fürst von Sardinien und Corsica, Herr der Mathildischen Güter, für den Papst, der dem Kaiser zuwider war, sich öffentlich erklärte. Der Bruch mit Heinrich erfolgte, doch der Anlaß dazu ließ den Kaiser mehr hoffen als fürchten. Welf bedurfte Geld, das konnte nicht der Papst Alexander ihm bieten, und

*) S. Orig. Guelf. a. a. O. §. 51. und 52. und die Briefe Welfs in den zugehörigen Probationes Nro. CXXIV. und CXXVII. An Alexander und den diesem Papste gleichfalls zugethanen König Ludwig von Frankreich.

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wenn er jetzt für diesen sich erklärte, nahm Heinrich die Allodien, Friedrich die Lehengüter in Teutschland, ja selbst in Italien mit Gewalt. Ein kummervolles Lebensende stand ihm bevor, und er suchte eines voll Freude und Sinnenlust. Welf war genöthigt sich dem Kaiser in die Arme zu werfen, um sich zu befriedigen und an Heinrich Rache zu nehmen. Die Gelegenheit, den wankenden Welfen wieder an sich zu fesseln, durfte Friedrich nicht entschlüpfen lassen; doch mußte Heinrich vor allem geschont werden. Ein Verständniß mit diesem hielt nicht schwer, da Heinrich jetzt mehr als je seine Freundschaft nöthig hatte.



Und was opferte Heinrich denn auf? In Teutschland und Italien zerstreute Allodien, welche mit den Lehnen daselbst enge und oft kaum unterscheidbar verschlungen waren. Die Uebertragung der Lehen Welfs konnte aber Heinrich vom Kaiser kaum erwarten, kaum sich wünschen. Lag doch schon sein zweites Herzogthum Baiern ihm viel weniger am Herzen als Sachsen, wo ein mächtiges nordisches Reich zu gründen, dem weltliche wie geistliche Fürsten doch endlich sich beugen sollten, sein Streben und Ringen war. Doch nur des Kaisers Freundschaft konnte das Ziel erreichen lassen. Sie zu befestigen ließ er Güter fahren, die ihn nach den Süden nöthigten, die ihn zwangen, mit und unter dem Kaiser in Italien zu kämpfen, die ihn den treuen Sachsen entzogen, und den nordteutschen Fürsten unterdeß gestatteten sich auf seine Unkosten zu vergrößern. Albrecht der Bär und sein Haus trugen dann den Ruhm und Gewinn der Slavenkriege; der Erzbischoff von Magdeburg sammelte viele weltliche und geistliche Fürsten unter seinem Hirtenstabe; die Landgrafen von

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Thüringen stiegen an Macht in einem Lande, das zur Verbindung Sachsens und Baierns zu einem Ganzen in Abhängigkeit gebracht werden mußte; den Wettinischen Fürsten stand im Osten ein großes Feld zu Eroberungen offen, das er in Besitz zu nehmen hoffte. Mit Heinrichs Plänen vertrug sich nicht Besitz in Schwaben, in Südteutschland und Italien *), wo die Hohenstaufen ihre Macht zu begründen hofften, und wo Reibungen mit ihnen sich nicht vermeiden ließen. Ja hätte er einen so reichen Mannsstamm besessen wie Albrecht von Brandenburg, um so wie dieser die getrennten Güter verschiednen Söhnen zu hinterlassen! Doch seine erste Gemahlin hatte ihm keinen männlichen Erben gegeben, und daß mit der neu vermählten Mathilde ihm ein reicher Stamm erblühen werde, der selbst die zahlreiche Nachkommenschaft seiner Feinde und der Hohenstaufen überleben sollte, stand damals noch nicht zu erwarten. Schon einer wäre ihm ersehnt gewesen, um sein Nordreich zu erben. Für dieses konnte er noch selbst wirken, für so zerstreute Massen im Süden auch er nicht, viel weniger ein minderjähriger Sohn oder Söhne. War seine Kindheit ihm doch ein warnendes Beispiel. Feindschaft mit König Konrad hatte die große Macht seines Vaters vernichtet, die Gunst Kaiser Friedrichs ihm zwei Herzogthümer wiedergegeben, die, wenn auch geschmälert, ihn noch zum ersten Fürsten in Teutschland, ja in Europa machten. Nach Norden und Osten, nicht nach Süden durften sie erweitert werden, wenn er

*) Abgesehen davon, daß an die Mathildischen Güter die Kirche Ansprüche erhob. Heinrich wäre, wie später die Hohenstaufen, mit dem Papst in Collision gerathen; davor hütete er sich gleichfalls; zwischen Papst und Kaiser·sah er die ihm angemessene Stellung.

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nicht den Kampf wider die Hohenstaufen wagen wollte. Daß er es wagen könne, wenn er auch die Lehen Welfs nach dessen Tode erhalte, wenn er der Kirche, wenn er den Lombarden die Hand biete; entging ihm so wenig als dem Kaiser. Doch darum war eine solche Belehnung nicht zu hoffen. Mächtig konnte und sollte Heinrich unter Teutschlands Fürsten stehen, aber nicht dem Kaiser selbst gefährlich werden. Dazu reichte nicht dieser, noch weniger die teutschen Fürsten ihm, wie einst bei der Wiedererlangung Baierns die Hand.



Hatte Friedrichs Gunst für Heinrich Gewinn, was konnte ein Wachsthum der Hausmacht des Kaisers ihm schaden? Im Gegentheil, je begüterter die befreundeten und blutsverwandten Hohenstaufen, um so günstiger für ihn. Waren doch Friedrichs Söhne bis dahin seine nächsten Erben, und blieben die einzigen, wenn Mathilde ihm keinen Sohn gab. - Wenn also seine Getreuen ihm den Rath gegeben, in die Abtretung seiner Erbansprüche auf Welfs Allodialgüter zu Gunsten von Friedrichs zweitem Sohne Friedrich *) zu willigen, so dürfen dieselben weder vom Kaiser bestochen noch unklug genannt werden. Anstatt in des Kaisers Verfahren in Bezug auf die Welfsche Erbschaft den Anfang einer Zwietracht zwischen ihm und Heinrich zu erkennen, wird jeder Unbefangne darin einen Beweis sehen, daß beide sich verstanden, und gegenseitig ihr Interesse unterstützt haben. Davon geben auch die folgenden Jahre Beweise.



*) Otto de S. Blasio cap. 21. Friderico, qui secundus natu erat filiorum, ducatu Sueviae cum hereditate Welphanis et praediis Rudolfi comitis de Phullendorf concesso etc.

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Durch des Kaisers Vermittelung zwischen dem Herzoge und den nordteutschen Fürsten war es Heinrich möglich gemacht seine nordischen Verhältnisse zu ordnen. Dort hatte König Waldemar von Dänemark die sächsischen Unruhen benutzt, um die Rugier zu unterwerfen, ohne nach früherm Vertrage mit Heinrich die Beute zu theilen *). Jetzt forderte dieß der Herzog, und erzwang es durch einen gebotnen Einfall der Slaven. Noch mehr; aus Feinden wurden Freunde und Verwandte. Waldemars Sohn Kanut heirathete Heinrichs Tochter Gertrud, die Wittwe Friedrichs von Rothenburg **). Zwei Könige im Norden standen nun Heinrich durch Ehebündnisse nahe. Kaiser Friedrich wirkte sicher zu letzterm mit, wie er das erste gestiftet. Dem Frieden mit den sächsischen Fürsten traute Heinrich so sehr, daß er 1172 ***) einen Kreuzzug unternahm, und während der Abwesenheit eines ganzen Jahres dem mächtigsten und thätigsten seiner Gegner, dem befreundetsten Rathgeber des Kaisers die Verwaltung Sachsens übertrug ****). Weiter hätte Verwendung oder Verstellung, wenn man Eines von Beiden annehmen müßte, nicht gehen können.



Während Heinrichs Abwesenheit unternahm Friedrich einen Feldzug gegen den Polenherzog, und verweilte nach

*) Helmold II. cap. 12. 13. und 14.
**) Helm. 14.
***) Das ist, den gleichzeitigen Begebenheiten nach zu urtheilen, das richtige Jahr, nicht, wie Arnold Chron. Slavorum lib. I. cap. 3. angiebt 1171.
****) S. Orig. Gue1f. §.61. Konrad von Lübeck zog mit ihm. Den Kreuzzug selbst beschreibt, vielleicht nach einem Tagebuch des den Herzog begleitenden Abtes Heinrich von St. Aegidius in Braunschweig, Arnold I. cap. 3. bis 11. Vergl. Wilken, Kreuzzüge IV. S. 1 ff.

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der baldigen Beendigung desselben in Thüringen und Sachsen. Dort war er noch zu Anfang des Jahres 1173 *), kurz vor der Rückkehr·Heinrichs. Daß er mancherlei Anordnungen in Reichssachen zu treffen hatte, und in Thüringen nach dem Tode Landgraf Ludwigs 2., der noch minderjährige Kinder zurückgelassen, auch Landesangelegenheiten, ist natürlich, zumal da er bei seiner häufigen Abwesenheit in Italien sich um Teutschland wenig hatte bekümmern können. Vor Allem nützte er dießmal seinen längern Aufenthalt auf teutschem Boden (1168-74), seinem eigenen Hause eine Macht zuzuwenden, die ihm weniger fremde Hilfe in Italien erforderlich machte, und zugleich sein Streben begünstigte, seinem Hause die Erblichkeit der teutschen Königswürde zuzuwenden **). Durch Beides vereint durfte er mit mehr Zuversicht dem Ziele entgegensehen, das Kaiserthum Karls des Großen in Italien dauernder, kräftiger als bisher einzupflanzen. Dazu war erforderlich der Herrschaft in Teutschland gewiß zu seyn, Gehorsam und Eintracht der Fürsten zu erhalten ***). Nach zwanzig Jahren war ihm Beides nicht gelungen; er selbst hatte den Saamen der Zwietracht in Teutschland gesäet und dadurch die Kraft nach Außen gelähmt. Was half ihm Heinrichs des Löwen Macht, wenn

*) Schultes direct. II. Nro. 372. Urkunden vom 7. Mai 1173. Datum Goslariae.
**) Keinesweges erst Heinrich VI. strebte nach der Erblichkeit der Krone. Dieser sprach nur aus, was Friedrich vorbereitet.
***) Chron. Ursp. sagt von ihm ad A. 1152. Inter Principes Allemaniae studuit pacem potissimum reformare, ut ad expugnandas Italicarum gentium virtutes bellicas posset efficacius insistere. Für solche Aufrechterhaltung des Friedens sorgte er in den ersten Jahren mit aller Strenge. Man denke nur an die harte Bestrafung Hermanns des Pfalzggrafen am Rhein und des Erzbischoff Arnolds von Mainz 1156. S. Otto Frising. de reb. gest. Frid. lib. II. cap. 28.

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seine übrigen Freunde und Verwandte sie beneideten und anfeindeten? Nur zu schwieriger, ihm selbst Gefahr drohender Ausgleichung war er zurückgekehrt. Keiner, so sprachen die Fürsten, solle Uebermacht besitzen als der Kaiser selbst. Ihm komme sie zu. Ihm ward sie nicht beneidet. Zwar das Reichsoberhaupt durfte kein Herzogthum verwalten. Doch besaß ja Friedrich zahlreiche Nachkommenschaft, denen er Lehen übertragen konnte. Dieses Mittel zu ergreifen finden wir ihn in den Jahren 1168 - 74 unablässig thätig. Dann sollte mit neuer Kraft Italien bezwungen werden.



Durch Ankäufe und Verlassenschaften, wie der Besitzungen des Grafen Rudolph von Phullendorf, durch anheimgefallene Fiscalgüter, wie die der Grafen Adelgoz von Suabeck, durch eigne Erbansprüche, wie an das Land seines verstorbnen Schwiegervaters Reinalds von Burgund, durch Ländereien, die er von Bischöffen und Aebten zu Lehen trug, wie die Advocatien von dem Arelatischen, Lausanner, Genfer, Seduner und Augsburger Bisthum, kam eine Ländermasse zusammen, die noch 4 Söhne außer dem Könige Heinrich, welchem dereinst eine reiche Gemahlin beträchtliche Mitgift bringen sollte, zu begüterten Fürsten machte. Es erhielt Friedrich das Herzogthum Schwaben sammt dem Erbe Welfs und den Gütern Rudolfs von Phullendorf; Konrad alle Würden, Lehen und Allodien des reichen Friedrichs von Rothenburg; Otto das bisher Zähringen überlassen gewesene erzbischöffliche Gebiet in Arelat sammt Burgund; endlich Philipp die von Bischöffen und Aebten an den Kaiser übertragnen Kirchenwürden und Kirchengüter *).



*) Wohl die Vertheilung mochte damals gemacht seyn, Friedrich selbst behielt aber ohne Zweifel die Güter in eigner Hand, da die Söhne alle noch sehr jung waren. Das Alter derselben ist schwer zu bestimmen. Vergl. Bünau: Leben Kaiser Friedrichs p. 211.

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Diese Sorge für seine Söhne hat viele Schriftsteller veranlaßt, den Aufenthalt Friedrichs in Sachsen (1172 und 1173) aus dem Streben herzuleiten, die Macht seines Hauses zu mehren, um die Heinrichs des Löwen zu untergraben. Ja Gobelin schreibt sogar *), der Kaiser habe viele Befehlshaber, denen Heinrich während seiner Abwesenheit seine Städte und Vesten übertragen, durch Drohungen und Versprechungen heimlich gewonnen, und durch einen Eid verpflichtet, die Vesten ihm zu übergeben, wenn der Herzog nicht aus dem gelobten Lande zurückkehre. Damit stellen die den Hohenstaufen abgeneigten Geschichtschreiber **) einen Bericht Arnolds von Lübeck zusammen, wonach ein früher dem Herzog treu ergebner Dienstmann, Eckbert von Wolfenbüttel, dem Heinrich die Sorge für sein Haus und seine Gemahlin übertragen hatte, in seiner Treue wankend und von seinem Herrn nach der Rückkehr aus dem gelobten Lande bestraft wurde ***). Aus dieser Angabe läßt sich aber nur auf eine Veruntreuung Eckberts im Hausdienste, nicht auf ein Einverständniß desselben mit dem Kaiser schließen. Für den Verdacht eines heimlichen Verfahrens zum Nachtheil Heinrichs spricht kein Zeugniß, außer das des später lebenden, unkritischen und parteiischen Gobelins.



Wenn Friedrich an den Heimfall der großen Lehen Heinrichs dachte, und für den Fall an eine Belehnung seiner Söhne; so ist das sehr natürlich. Von Heinrichs erster Gemahlin war nur noch eine Tochter Gertrud, die Gemahlin des Dänenkönigs Waldemar, am Leben ****), und die Hoffnung auf männliche Nachkommenschaft schlug vorläufig auch bei Mathilde fehl, die schwanger von Heinrich in Braunschweig zurückgelassen, noch vor dessen Rückkehr +) eine Tochter

*) Personae cosmodrom. aet. VI. Cap. 60. pag. 271.
**) Auch der Herausgeber und die Verfasser der Orig. Guelf. a. a. O. §.68.
***) Quem lib. I. cap. 11. (Ecbertum) constituit Dux super familiam suam, maxime tamen deputatus in ministerium dominae Ducissae Mechthildis etc. und lib. 2. Ipse dedit maculum in gloriam suam et notam perfidiae incurrit, unde graviter multatus est.
****) S. über zwei Töchter, Richenza und Gertrud, und einen frühgestorbenen Sohn, Otto, aus Heinrichs erster Ehe Orig. Guelf. VII. cap. 2. §.1.-4.
+) Arn. II. cap. Edidit filiam Rikezen, filios etiam ex ea post reditum suscepit. Das post reditum setzt er dem entgegen, was er von den Begebenheiten während Heinrichs Abwesenheit erzählt.

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gebar. Gerade um diese Zeit hielt sich Friedrich nach Beendigung des polnischen Feldzuges in Sachsen auf. Von Heinrich dem Löwen, der auf seiner Rückkehr von Jerusalem noch manches Land, manche Stadt seitwärts vom Wege besuchte, erfuhr man vielleicht lange Zeit nichts; also lag die Besorgniß, daß er verunglückt sey, oder verunglücken könne, nicht fern. Friedrich mochte Anordnungen treffen, um Heinrichs Länder in Besitz zu nehmen, wenn der Herzog nicht wiederkehre. Keinesweges aber hat man Grund zu glauben, daß er die Töchter Heinrichs ihrer Allodien berauben wollte. Achtete er doch selbst nach Heinrichs Demüthigung Ansprüche, wonach jenes Gemahlin und Kinder noch große Besitzungen behielten.



Als Friedrich noch mit Haus- und Reichsangelegenheiten *) beschäftigt, bald im Süden bald im Norden, bald im Westen und Osten Hoftage hielt, langte Heinrich in Teutschland an, begab sich sogleich zum Kaiser, der in Augsburg verweilte, und ihn mit großer Freude empfing. Darauf ging er nach dem Norden, wo er viele Kirchen, besonders die Kathedrale des Heiligen Blasius zu Braunschwei mit Reliquien und Kleinodien reich beschenkte, in Lübeck Heinrich, dem Nachfolger des auf dem Kreuzzuge gestorbenen Bischoffs Konrad, die Investitur verlieh, durch Freigebigkeit und gottgefällige Werke überall die Herzen der Sachsen gewann. - Doch vernachlässigte er auch den Kaiser nicht. Schon im Anfange des Monat Juni war er bei ihm in Frankfurt, im Februar 1174 zu Merseburg und noch im März desselben Jahres verweilten Beide beisammen in Sachsen **). Damals war schon eine Fehde Landgraf Ludwigs 3. von Thüringen und der anhaltinischen Brüder

*) Zu erstern gehörte unter Andern eine reiche Fürstin seinem Sohne Heinrich zu vermählen; zu letztern die Unruhen bei dem Königswechsel in Böhmen, der Streit über die Plotzkische Erbschaft. Es half nicht, daß der Kaiser einen der anhaltinischen Brüder, Siegfried, zum Bischoff von Brandenburg machte; dadurch wurde nur Otto von Brandenburg gewonnen, nicht Bernhard, der Plotzk vom Vater überkommen, das Friedrich als Reichslehen einziehen wollte.
**) S. Schultes director. dipl. II. Nro. 373. 374. 375. u. 477. Nach 376 ging Ende Febr. der Kaiser nach dem Rhein, kehrte also vor dem dritten März nach Sachsen zurück, wo er noch Mitte Mai sich aufhielt nach Nr. 377. Am Ende dieses Jahres hielt der Kaiser viele Reichstage in Sachsen und Thüringen, als zu Goslar, Erfurt, Merseburg, Ouedlinburg. Hatten auch die etwa zum Ziel, Heinrich zu berauben? Warum denn in Friedrichs früherem Aufenthalt Verrätherei ausklauben?

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Bernhard von Ascanien und Hermann von Orlamünde auf Veranlassung des Kaisers, der Plotzk dem Grafen Bernhard genommen, und denselben widerspenstig gefunden hatte, ausgebrochen. Da an dem Kriege auch Heinrich als Verbündeter des Landgrafen Theil nahm , so darf wohl vermuthet werden, daß der Herzog auch im Interesse des Kaisers es that, wenn auch das eigne dabei im Spiel war *). Um Johannis wird Heinrich unter den zahlreich versammelten Fürsten zu Regensburg genannt **).



So standen die Verhältnisse Kaiser Friedrichs und Herzog Heinrichs bis zum Ausgang des Jahres 1174. Sie mußten darum hier weitläuftiger auseinander gesetzt werden, weil eine irrige Ansicht sich geltend gemacht, wonach beide Männer längst vor dem genannten Jahre als einander feindlich gesinnt dargestellt werden, und eine aufrichtige Befreundung, als dem Interesse Beider entgegenstehend, nie vorhanden gewesen seyn soll. Bei näherer Ansicht der innern Verhältnisse Teutschlands, des noch immer auf Italien gerichteten Strebens Friedrichs, muß eine enge Verbindung Beider nothwendig erscheinen, so daß die Nachweisung derselben fast überflüssig zu seyn scheint. Nicht weil Friedrich und Heinrich zu verschieden, vielmehr weil sie zu ähnlich dachten und strebten, wurden sie Feinde. Ich sehe den Anlaß dazu in dem Verhältniß Heinrichs zu den teutschen, namentlich den nordteutschen Fürsten, und dieses war und blieb ein feindliches, das im Jahre 1165 sich zuerst offen kund gab, und mit dem Sturze Heinrichs 1181 zum Vortheil der Letztern endete. Daß dieses geschah, war eine Folge den plötzlich erfolgten Bruches zwischen Friedrich und Heinrich im Jahre 1175. Den Fürsten war der Zorn des Kaisers eine willkommene, längst gehoffte Gelegenheit, altem Haß und Groll Luft zu machen; anstatt vermittelnd zwischen Beide zu treten, sind sie es, die das Feuer schüren, und raubbegierig auf den Verhaßten herfallen, um·für sich das edle Roß von Braunschweig zu zerreißen.

*) Die Orig. Guelf. a. a. O. geben die Reihefolge der Begebenheit von 1175 unrichtig an. Sie setzen den Krieg zwischen Heinrich u. Bernhard nach dem Bruche zwischen Heinrich u. Friedrich.
**) Godofr. Mon. ad 1174. Chron. Reichersb. hat VII. Kal. Junii statt Julii.



Veröffentlicht in:
Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 1839
Herausgeber: Friedrich Bülau
erster Artikel S. 321 – 368 (April 1839)
„Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander
Erster Abschnitt: Heinrich der Löwe in unveränderter Gunst bei Kaiser Friedrich (1152-1176)“
Von D. Gervais in Königsberg
J. C. Hinrichsche Buchhandlung Leipzig


 

 

Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander - zweiter Artikel

Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander.
Von D. E. Gervais, Privatdocenten an der Univ. Königsberg.
Zweiter Artikel. Zweiter Abschnitt.

 

Heinrich des Löwen Bruch mit dem Kaiser Friedrich Barbarossa.

 

Heinrichs Kreuzzug stellt sich ebenso sehr aus dem Geist der Zeit, als aus seinem eignen Gefühl entsprungen dar; denn dieses war von jenem durchdrungen, und, wie so viele Andre, Heinrich dem innern und äußern Drange gefolgt, was ihn weder auf den Zustand seiner Länder noch auf Verhältnisse in seinem Hause Rücksicht nehmen ließ *). Daß ehrgeizige Pläne ihn nach dem Orient geleitet, erhellt aus keinem Zeugniß. Mit reichem Gefolge, reichen Schätzen nach dem Oriente zu ziehen, erforderte sein Rang, sein Stolz. So nur konnte er Fürsten und Niedern, Reichen und Armen willkommen erscheinen, und überall geehrt, wie ein Triumphator, durch Länder und Städte ziehen. Das schmeichelte seinem Herzen; seinem Geiste hätte es noch mehr genügt, auch Großes zum Heil
der Christenheit zu vollführen; doch daran verhinderten ihn Eifersucht und Neid des Königs Amalrich von Jerusalem und die Tempelherren **). Sein Streben war verfehlt,

*) Noch Gemeiner: Chronik von Regensburg Thl. I. ad 1172 wundert sich, daß Heinrich den Kreuzzug unternahm, als Hungersnoth seine Länder, besonders Baiern heimgesucht hatte, und als seine Gemahlin in gesegneter Lage war.
**) S. Orig. Guelf. a. a. O. §. 61. Robertus de Monte: Magna ibi incepisset et forsitan perfecisset incepta, nisi rex et templarii obstitissent. Davon erzählt freilich Arnold Nichts. Doch aus der ganzen Darstellung des dem Herzog zugethanen Abtes geht hervor, daß er nur Triumphe seines Helden recht imposant aufführen wollte. Von Thaten Heinrichs giebt er eben so wenig als andere Chronisten; es mochte davon auch Nichts zu berichten sein.

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aber sein Herzensbedürfniß befriedigt. Keinen irdischen Gewinn hat Heinrich zu erringen verlangt.

 

Nicht in so uneigennützigem Sinne strebte und handelte Heinrich in Teutschland, in Sachsen. Die Heirath mit Mathilde von England, die einen mächtigen und klugen König ihm geneigt gemacht, der Kreuzzug, der orientalischen Despotismus ihm gezeigt, die erprobte Kraft, womit er seinen Feinden zu widerstehen vermocht, die Ueberzeugung, daß der Kaiser ihn um eignen Vortheils willen begünstigen müsse, all dieses trug dazu bei, daß Heinrich einen Plan wieder aufnahm, dessen Erfüllung ihn zum Gebieter über Nordteutschland und viele Slavenländer machte. Welches Ziel diesem Streben entsprach ist früher gezeigt worden. Es hätte ihm unfehlbar eine festere Macht gegeben, als Kaiser Friedrich sie im Süden zu erringen vermochte. Wie auch diesem das Glücke einen Augenblick lächelte, der nächste konnte und mußte es zerstören, denn seinem Streben entsprachen weder Zeit noch Ort, weder das Jahrhundert noch die Völker.

 

Günstiger lag Alles für Heinrich da. Die Slaven, ein rohes und heidnisches Volk, das zu unterwerfen Teutschlands Umfang und Ruhm vermehrte, das zu bekehren der ganzen Christenheit ein gottgefälliges Werk erschien, während den Papst zu bekämpfen der Himmel - so glaubte
man - mit Pest und Tod an Tausenden der teutschen Fürsten und Krieger bestrafe. Der Kreuzzug hatte vollends

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Heinrich der Kirche werth und lieb gemacht, während Friedrich die umfassendsten Vorbereitungen traf die selbe zu bekämpfen *). Gefährlicher war es für den Herzog, anerkannte Reichsfürsten, Verwandte und Vertraute des Kaisers, Bischöffe und Erzbischöffe von sich abhängig zu machen. Doch auch das war leichter möglich, als freie Städte zu bezwingen und den Papst der weltlichen Herrschaft unterzuordnen. Was für den Kaiser selbst darin Nachtheiliges und Gehässiges lag, bot für Heinrichs Pläne Entschuldigung und Vortheil. Dass ihm von Friedrich zuerkannte Recht alle Geistlichen in seinem Lande zu creiren und mit dem Weltlichen zu belehnen, konnte, wenn die alten Grenzen Sachsens hergestellt wurden, leicht auch auf Erzbisthümer und Bisthümer, die nun reichsunmittelbar in Bezug auf die weltlichen Güter waren, ausgedehnt werden. Mit den weltlichen Fürsten war ein Gleiches ausführbar. Ihre Lehen waren einstmals, Brandenburg noch unter Heinrich dem Stolzen, Theile Sachsens gewesen, oder hatten wenigstens zu einem größern nordteutschen Verbande gehört, in welchem der Sachsenherzog als Oberhaupt anerkannt worden war.

 

All solche Ansprüche konnten von Heinrich erneut werden und der Kaiser es geschehen lassen, so lange Heinrich ihm treu ergeben blieb. Durch sein jetziges Herzogthum Sachsen schon hoffte Friedrich Nordteutschland, das dem Süden entfremdete, gewonnen zu haben, und

*) Christian von Mainz war bereits im Herbst 1171 in Italien gegen die Lombarden und deren Verbündeten Papst Alexander III. in voller Thätigkeit. Den Kaiser fesselten nur die früher erzählten Reichs- und Hausangelegenheiten. Die Rüstungen gegen Italien zeigten sich überall, und daß ein Zug dorthin sein Hauptzweck sey.

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fiel gar dereinst jenes, vermehrt durch alle andern weltlichen Leben und geistlichen Güter, die Heinrich an sich zu reißen bemüht war, sammt Baiern an Friedrichs Söhne, so hatten die Hohenstaufen eine fast auf ganz Teutschland basirte Macht zu erwarten. Die Hoffnung auf das Aussterben der Welfen sollte freilich bald dem Kaiser benommen werden. Denn Mathilde gebar ihrem Gatten einen männlichen Erben *). Doch dadurch ward Friedrich von Neuem genöthiget den Herzog an sein Interesse zu fesseln, und aus Rücksicht auf dessen Freundschaft und treue Ergebenheit ihm zu gewähren, was nur mit dem kaiserlichen Vortheil sich irgend vertrug. Bald aber zeigte sich, daß dieser mit Heinrichs Plänen innerlich sich nicht mehr vereinen ließ, und darum auch äußerlich eine Trennung, einen Zwiespalt zwischen Friedrich und Heinrich herbeiführen mußte, ohne daß eine Absicht,dazu dem Einen oder dem Andern vorher schon untergelegt zu werden brauchte.

 

Beiden unerwartet, von Keinem gesucht – eher gemieden - kam der Moment, wo Friedrichs und Heinrichs Interessen sich nicht länger vereinbar zeigten. - Nachdem in Teutschland fast überall Ruhe und Ordnung hergestellt, und die Hausangelegenheiten regulirt worden, zog Friedrich im Herbste 1174 mit größerer Heeresmacht als je zuvor nach Italien, entschlossen, die Lombarden und Alexander 3., die sich enge verbündet, mit einem Schlage zu demüthigen,

*) Wenn Heinrich der älteste Sohn geboren, ist mit Gewißheit nicht zu ermitteln, doch wahrscheinlich, daß der 1173 zurückkehrende Herzog nicht ohne Erfolg sich in die Arme seiner fruchtbaren Gemahlin geworfen habe, wonach also schon 1174 die Erwartung des Kaisers zerstört ward.

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und sein Ansehen bei den Stådten und bei der Kirche als das höchste in der Christenheit geltend zu machen. Jetzt schien ihm T-eutschland ja sicher, jetzt mußte - hoffte er - Italien sich beugen. Daß Heinrich zu diesem Heereszuge nur mit einem Contingente in Kriegern oder, wie noch wahrscheinlicher, in Geld beisteuern, nicht persönlich erscheinen durfte, war billig; einmal, weil er nach langer Abwesenheit von seinen Ländern darin viel zu ordnen fand; anderntheils, weil er des Kaisers Sache in Sachsen gegen den widerspenstigen Bernhard von Ascanien, in Baiern bei den Unruhen, welche die Entsetzung des Erzbischoffs Albrecht von Salzburg *) veranlaßt hatte, mit seinem Ansehen und seinem Arm unterstützte. Mehr als je schienen jetzt in Teutschland des Kaisers und des Herzogs Interessen in Eins verwebt **).

 

In Italien hatte das Glück Anfangs Friedrichs Unternehmen mit günstigem Erfolge gekrönt; die früher übermüthigen und unbeugsamen Lombarden baten 1175 demüthig um Frieden. Zu voreilig traute Friedrich demselben, und entließ den Böhmenkönig nebst andren Fürsten. Da umwölkte sich das Glanzgestirn seines Kaiserthrons, und erschien ihm nie wieder. ·Die falschen Mailänder brachen, als sie das Heer des Kaisers verringert sahen, die Friedensunterhandlungen plötzlich ab ***), die Bedrängten nahmen ihre Kraft zusammen, trieben den Unterdrücker ihrer Freiheit zurück; nur mit Mühe, sogar unter

*) Als eifriger, unerschütterlicher Anhänger Alexanders 3. war er von seiner erzbischöflichen Function entfernt.
**) Wie mühsam und doch nutzlos sucht Luden XI. 304 und 305 das Zurückbleiben Heinrichs zu erklären.
***) Otto de S. Blasio. cap. 23. Der Vertrag von Montebello den 15ten April 1175.

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Lebensgefahr *), langte Friedrich an den Grenzen Teutschlands an, wohin er alsobald (im Winter 1175 auf 76) die teutschen Fürsten berief **). Als Versammlungsort wählte er nach Einigen Partenkirch, im Herzogthum Baiern gelegen ***), nach der Angabe der Meisten Chiavenna oder Clavenna.

 

Da die südteutschen Fürsten den letzten Feldzug mitgemacht, so konnte Friedrich für das nächste Jahr der Nordteutschen Hilfe mit Recht in Anspruch nehmen. Der Fehde, welche er selbst und mit ihm Ludwig von Thüringen und Heinrich der Löwe wider Bernhard erhoben, gebot er schleunigst Einhalt, so daß für keinen der sächsischen Fürsten ein genügender Vorwand dem italienischen Feldzuge sich zu entziehen vorhanden war. Die Lage des Kaisers erforderte den kräftigsten Beistand; alle sagten solchen bereitwillig zu. Auch Heinrich bot Geld, und auf stärkeres Dringen des Kaisers jede Leistung ****), wenn

*) Chron. Ursp. ad 1175: in quibusdam locis adeo angustiatus, at accepta tunica servientis servum se esse simularet, et equos tamquam servus procuraret. Doch hat wohl der Verfasser einen ganz andern Rückzug im Auge, wie denn auch nach seiner Angabe Heinrich der Löwe in Italien stand,·und den Kaiser vor Alexandria verließ. -
**) Die Orig. Guelf. a. a. O. §. 69. setzen die zwei Urkunden von 1175 in den Probat. LXXVI u. LXXVII nach Heinrichs Rückkehr, weil Arnold II, 19 die Weihung der Kapelle S. Johannis so viel später angiebt, nämlich 1177; doch mochte die Schenkung schon vor Heinrichs Zusammenkunft mit dem Kaiser stattgefunden haben. Scheid. in Anm. XXX) trifft die richtige Zeit ohne die falsche im Text zu bemerken, wenn er von der Urk. Von 1176 (LXXXV.) meint, sie sey von H. auf dem Rückwege in Baiern gegeben, was 1176 seyn mußte. S. auch Monument. Boica III, 462.
***) Chron. Mont. Ser. ad 1180.
****) Cranz VI. 35: affuturum armis, opibus, viris, wenn auch gegen Ersatz durch die Reichsstadt Goslar, wozu sich aber Friedrich nicht verstand, ja über diese Forderung in Zorn gerieth. Otto de S. Blasio cap. 23.

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ihm nur persönlich in Italien zu erscheinen erlassen werde. Aber gerade an Heinrichs persönlicher Anwesenheit war Friedrich gelegen, und darauf drang er so inständigst, daß er selbst zu einem Fußfall vor dem Herzog sich herabließ. Doch dieser beharrte auf seiner Weigerung, und die frühern Freunde schieden innerlich wenigstens als Feinde, obschon der Kaiser und ebenso auch wohl der Herzog von solcher ganz umgewandelten Gesinnung noch nichts deutlich merken ließen *).

 

Was Friedrichs dringende, ja erniedrigende Bitte·an den Herzog, und diese harnäckige Verweigerung persönlich in Italien zu erscheinen veranlaßt habe, bietet ein reiches Feld zu Vermuthungen und Auslegungen, worin ältere und neuere Schriftsteller sich versucht haben. Auch ich wage mich daran, und ziehe Folgerungen meiner früher dargethanen Ansicht gemäß.

 

Die Angaben der ältesten Berichterstatter anlangend, sind dieselben leere Vermuthungen, wie jene, daß Heinrich ein geheimes Bündniß mit dem Papste und den Lombarden geschlossen **), oder daß die Excommunication des Kaisers ihn zur Weigerung veranlaßt, oder gar daß Geldbestechung seine Treue und Freundschaft wankend gemacht

*) Arn. II. cap. 16. Imperator vero pro tempore dissimulata ira, quam ex nimia animi verecundia traxerat. Luden XI. 345. will die Zusammenkunft (in Patenkirch) ganz ungegründet halten. Und warum? Es sey unbegreiflich, meint Luden, daß der Kaiser die Fürsten Sachsens an die Alpen berufen, um hier mit denselben vergebliche Unterhandlungen zu pflegen. Ei! wußte das Friedrich so gewiß voraus? Auch nur von Heinrich? Doch freilich Luden sieht schon - seine Gründe sind vorgefaßte Meinungen - längst Feinde in Beiden, und erklärt darum die Erniedrigung des Kaisers, das ganze Factum für Erdichtung. Ludens Gründe überzeugen wohl Niemand.
**) Chron. Mont. Ser. ad 1180. Chron. rhythm. cap. XXXII.

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habe *). Nicht herabzusetzen braucht man den einen oder den andern Fürsten, um zu erklären, was aus den Verhältnissen Beider so natürlich gefolgert werden kann.

 

Heinrich mit hochstrebenden Plänen im Norden beschäftigt, eben Sieger über einen Hauptfeind seines Hauses, den Friedrich, obgleich der Urheber der Fehde, jetzt in seinen Schutz genommen, wurde durch des Kaisers Mahnung nach Italien in einen langwierigen und ihm ebenso nutzlos als unrecht erscheinenden Krieg gerufen. Was er begonnen, sollte er unterbrechen; denn ohne seine Gegenwart konnten nicht neue Eroberungen gemacht, nicht die Fürsten Sachsens in Abhängigkeit gebracht werden. Seit er männlicher Erben sich erfreute, baute er nicht mehr für fremde Nachfolger; doch schon 46 Jahre alt war es nöthig baldigst dem Ziele näher zu rücken. Was bedarfs, um seine Weigerung zu erklären, des Verraths oder der Wankelmüthigkeit gegen den Kaiser.

 

Sicher war Heinrich nicht darauf gefaßt, daß Friedrich sein persönliches Erscheinen in Italien so nachdrücklich verlangen würde. Seit vielen Feldzügen hatte es genügt Geld und Krieger ihm zu senden, und unter leichten Vorwänden war Heinrich, wie die andren nordteutschen Fürsten zurückgeblieben. Ja schien es doch fast als bedürfe Friedrich seiner in Italien nicht, seit ein Reinald von Cöln, und jetzt Christian von Mainz und Philipp von Cöln des Kaisers Räthe bei seinen Unterhandlungen und

*) Chron. Ursperg. 226. ad 1175 giebt beide Gründe der Weigerung an: sumpta occasione de excommunicatione et forte accepta pecunia. Aventini Anna1. VI. 6. 10. nur den letztern: corruptus pecunia suasu Jordani Truchses ab Imperatore defecit.

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Feldherrn in seinen Schlachten waren, deren Ehrgeiz nicht leicht einen Mächtigern neben sich duldete. Fast kein namhafter weltlicher Fürst mochte diesen geistlichen sich unterordnen. Nicht bloß den stolzen Heinrich, auch den biedren Otto von Wittelsbach sahen die Italiener nicht mehr an des Kaisers Seite.

 

In der festen Hoffnung - also auch mit dem festen Vorsatz - bald wieder in Braunschweig zu seyn, wo er alte Pläne eben wieder aufgenommen, eilte der Herzog nach Clavenna zu Friedrich; schon bis Partenkirch kam ihm Letztrer freundlich und zuvorkommend entgegen *). Allein das Verlangen des Kaisers brachte ihn aus der rechten Fassung. Zum erstenmal sah er sein eignes Interesse mit dem des Reichsoberhaupts in offnem Zwiespalt. Was konnte dem Kaiser gerade jetzt an seiner Anwesenheit in Italien gelegen seyn, wo er mehr als je wünschte in seinen Staaten zu bleiben? Die Gründe des Erstern überzeugten ihn nicht, und die fußfällige Bitte desselben konnte ihn verlegen, verwirrt, bestürzt machen, doch zugleich seiner, leicht zum Argwohn neigenden Seele den Verdacht von irgend einer geheimen Absicht oder von Hemmung seiner Bestrebungen im Norden erregen. Augenblicklich konnte dieser Gedanke in ihm aufstoßen und den frühern Freund entfremden, da er schon lange dessen Thaten nicht durchweg billigen mochte **). Freunde und Rathgeber des

*) So erkläret sich die abweichende Angabe beider Orte in den Chroniken, und Otto de S. Blasio cap. 23. giebt dieser Vermuthung Stärke durch die Nachricht, daß Friedrich den Herzog gebeten, ut Clavennae ad colloquium sibi occurreret, venientique obviam procedens etc. Vergl. die Anmerkung 354 bei Böttiger S. 315.
**) Die Chronisten schrieben das unlautern Ursachen , nicht der Gesinnung Heinrichs zu.

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Herzogs, darunter vielleicht Feinde des Kaisers, sahen den Funken, der in Heinrichs Brust gefallen, und durften jetzt lauter als je den Herzog zum Trotz, zur Ueberhebung über den Einzigen der Erde, welcher höher stand als er, und welcher jetzt zu seinen Füßen gelegen, aufreizen. Kurz Heinrichs Lage, Heinrichs Gesinnung, Charakter und Ueberzeugung lassen seine Weigerung nicht befremdend finden.

 

Auffallender als Heinrichs Weigerung erscheint Friedrichs Dringen. Allerdings war die Gefahr groß, die Erbitterung der Mailänder, genährt und geleitet durch einen gewandten Staatsmann wie Alexander 3., ließ Hartnäckigkeit erwarten, und Friedrich hätte die Ungehorsamen, die Treulosen, die Vermessenen gern mit aller Strenge gezüchtigt. Dieß erforderte eine starke Macht und ungern vermißte der Kaiser einen so tapfern Helden und Fürsten, der durch seine Gegenwart die Feinde schreckte, die Freunde ermuthigte; allein ein Kaiser, sein so kaiserlicher Kaiser, wie Friedrich Barbarossa zu den Füßen eines Fürsten, den er selbst so mächtig und bedeutsam gemacht, es ist ohne ganz besondre Ursache nicht denkbar, auch wenn es nichts als Verstellung, wenn es nur das einzige Mittel, das er auf Heinrich wirksam erkannt, gewesen wäre. Was auch Heinrich an ritterlicher Tapferkeit in Italien bewährt, so als Einziger, der die Italiener zu beugen verstand, erscheint er nicht; nicht bloß an Schlauheit, List, kluger Unterhandlungsgabe - Mittel, die gegen Italien stets die unentbehrlichsten waren - übertrafen ihn die Erzbischöffe Christian und Philipp, auch tapfre Kämpfer in der Schlacht waren sie, besonders Christian der Schrecken der Laien und der Cleriker, wo er nur erschien. Friedrich

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hätte zu Viele gekränkt, und in ihren Augen sich selbst herabgesetzt, wenn er Heinrichs Arm allein solches Bittens und Flehens werth gehalten. Oder lag dem Kaiser daran Heinrichs persönliches Ansehen in Italien zu gebrauchen, wie er einst den König von England dadurch von einer feindlichen Partei abgezogen hatte? Zum Imponiren war Friedrich, der Fürst der Fürsten, sich allein genug, und den Feinden furchtbarer als Jeder. Dem Spott und Hohn wäre er preisgegeben, wenn man das Reichsoberhaupt vor einem Vasallen so große Hochschätzung beweisen, auf ihn so große Bedeutsamkeit hätte legen sehen. Mit Heinrichs Anwesenheit mußte also der Kaiser etwas bezwecken, was weder er selbst noch einer der Fürsten durch persönliches Verdienst oder durch äußere Stellung zu gewähren, und Heinrich nur durch Selbsterscheinen zu erfüllen im Stande war.

 

Wie sehr auch jener Fußfall Kaiser Friedrichs durch Gerüchte, ja selbst von Augenzeugen ausgeschmückt seyn mag, und viele Nebenumstände uns ganz unwahrscheinlich bedünken *); daß man davon zu erzählen wußte, beweißt die Wahrheit des Factums, in welchem alle Berichte übereinstimmen. Nicht der Fußfall ist das

*) Die Keckheit des Jordanus, der quidam officialis Ducis und truchses heißt, und dessen Rede das Chron. Ursp. a. a. O. Also angiebt: Sinite, domine, ut corona imperalis veniat vobis ad pedes, quia veniet et ad caput, übersteigt alle Grenzen der Ehrerbietung vor dem Kaiser. Eher zu glauben ist, was Alb. Stadens. ad 1177 ap. Schilter pag. 293 u. das Chron. Lüneb. ap. Leibn. III. 174 von der Kaiserin erwähnen; jener also: Surge, mi domine, memor·esto casus hujus et memor sit deus. Woher weiß Luden, daß die Kaiserin Pavia nie verlassen? Arnold von Lübeck wird von ihm verdächtigt, weil er die folgenden italienischen Verhältnisse unrichtig erzählt. Ueber Italien weiß dieser Chronist so wenig Richtiges als die Italiener über die teutschen Verhältnisse, dagegen ist jeder in seinem Lande zu Hause, und Arnold‘s und der Andern Berichte über die Zusammenkunft zu Partenkirch zu leugnen, weil die italienischen Schriftsteller davon schweigen, dünkt mir ein übereilter Schluß. Aus allen Nachrichten über das Zusammentreffen erhellt, daß wenig Personen nur zugegen gewesen. Es spricht dies für die Behauptung, daß Friedrich eine ganz besondre Absicht mit Heinrich hatte, die er mehr als Freund denn als Kaiser erreichen wollte. Darum blieb auch die Wirkung des Vorgefallenen geheim, und lauten die Nachrichten darüber so unsicher und abweichend.

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Wesentliche dabei,sondern die evidente Thatsache, daß Friedrich Alles aufbot, um Heinrich nach Italien zu ziehen.

 

Dem Kaiser konnte nicht entgangen seyn, wohin seit einer Reihe von Jahren, wenn nicht von Jugend ab Heinrichs Streben gerichtet gewesen, und wie sicher er dem Ziele entgegenging, während er selber nach mehr als zwanzig Jahren noch Nichts gewonnen, ja jetzt dem Ziele ferner stand als jemals. Als er Heinrichs größre Macht selbst begründete, geschah es, um durch ihn eine Vereinigung der teutschen Kräfte zu erlangen, welche die Ausführung seiner Pläne in Italien befördern helfe. Friedrich erkannte aber bald, daß Heinrich mehr durch ihn als er durch Heinrich gewonnen habe. Gleichwohl konnte er diesem nie den Vorwurf machen, daß er durch sein Verschulden oder absichtlich den gewünschten Vortheil ihm entzogen. Denn obgleich Heinrich ihn auf seinen letzten italienischen Zügen nicht begleitete, so bewährte er sich doch in Teutschland stets als des Kaisers Freund und Anhänger, und dort fand sich so vielfache Gelegenheit für Friedrich zu wirken, daß es unbillig gewesen wäre mehr zu fordern. Heinrich leistete, was das Reichsoberhaupt von einem Reichsfürsten fordern durfte. Von dem Freunde aber, welchem er ungewöhnlich

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große Macht übergeben, wünschte Friedrich auch ungewöhnlich große Leistungen, wie er zu seinen Zwecken sie erforderte. Italien war es, wofür er Heinrich den Löwen ausersehen, wo der als nord- und südteutscher Fürst die Interessen des Kaisers zu allgemein deutschen machen sollte. Denn bisher waren die teutschen Fürsten noch immer ungern über die Alpen gezogen. Auch die Nation sah den Händeln in Italien gleichgültig zu, ja wünschte, daß der Kaiser lieber zu Teutschlands Wohl als zu Italiens Unterwerfung seine und des Reiches Kraft verwendete. Friedrich dachte anders. Die Verschmelzung teutsches Reich und Heinrich, und durch diesen teutsches Reich und Italien waren die ersten Bedingnisse, wenn der König der Teutschen zugleich und in Wahrheit römischer Kaiser seyn sollte. Nichts von dem Allen war bis dahin erreicht, und am Ende des Jahres 1175 Italien dem Kaiser fast gänzlich verloren. Um Heinrich zu dem zu machen, was er ihm werden sollte, so zu sagen zu seinem teutschen Hebel in Italien, hatte Friedrich Nichts verabsäumt *) und jetzt war die Zeit gekommen, wo mehr als je der Herzog durch die That beweisen sollte, daß er seyn wolle, was Friedrich verlangte. Daß er es seyn konnte, weil Friedrich alle Feinde beschwichtigt, und jetzt auch sie nach Italien zur Erreichung seiner Absichten hinzog, wußten Beide sehr wohl. Doch des Herzogs Absichten und Ansichten waren vielleicht nie, jetzt am wenigsten

*) Wahr läßt Arnold II, cap. 15. den Kaiser zu ihm sprechen: Deus coeli te inter principes sublimavit, et divitiis et honoribus super omnes ampliavit, omne robur imperii in te consistit. Der dem Herzog zugethane Abt läßt hier Heinrich von Gott empfangen haben, was er dem Kaiser verdankte. Dieser mochte sich wohl als den reichen Spender nennen. Oder sprach er wirklich, wie Arnold erzählt, so that er's um eindringlicher Heinrich seine Schuldigkeit vorzuhalten, und zugleich seine (Friedrichs) eigennützige Absichten bei des Herzogs Erhöhung zu verstecken. Genug, die Sache ist wahr.
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mit denen Friedrichs übereinstimmend, wie lauter auch die Freundschaft und der Wille sich zu nützen bei ihnen war. Hätte Friedrich auf Teutschland sein Wirken beschränkt, oder auch dem teutschen Reich eine Ausdehnung zu geben sich bemüht, welche der unter Karl dem Großen sich näherte, hätte er auch selbst Italien als einen integrirenden Theil des Kaiserreichs zu behaupten verlangt, und von den rebellischen Lombarden den pflichtschuldigen Gehorsam gegen den rechtmäßigen Gebieter zu erzwingen sich begnügt, Heinrich würde vielleicht ebenso sehr bereitwilligen Beistand als Uebereinstimmung der Gesinnung gezeigt haben. War doch Heinrichs Absicht, dem Herzogthum Sachsen in gleicher Weise die alte Bedeutsamkeit zu geben, Geringere von sich abhängig zu machen, Besiegte zu beherrschen, Rebellen zu züchtigen. Wie Friedrich die Macht Karls des Großen herzustellen sich bemühte, so gedachte Heinrich an die Ausdehnung Sachsens in den Tagen eines Wittekind, und fiel dabei ihm dessen hartnäckiger Widerstand gegen Karl ein, so mußte er auch erkennen, daß Wittekind nicht als Feind, sondern als Freund Karls seinen wahren Vortheil gefunden hatte. Gewiß über weltliche Vortheile waren Friedrich und Heinrich einverstanden, und Keiner wehrte dem Andern darin. Doch über Geistliches, Göttliches war unter ihnen eine Differenz, die mit den Jahren wächst, und im Uebrigen Gleichgesinnte mehr und mehr entfremdet. Hierin ist der

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Grund ihres Bruches - ein im Jahrhundert der Kreuzzüge ganz der Zeit entsprechender - zu suchen.

 

Friedrich bekämpfte seit 1159 nicht bloß die Lombarden sondern auch den Papst Alexander 3. Drei Gegenpäpste hatte er bereits gegen diesen klugen, beharrlichen, von andern Herrschern anerkannten und an Kraft Victor, Paschalis und Calixtus weit überragenden Mann erwählen lassen, denen Heinrich wie viele andre Fürsten Teutschlands, nur aus Gehorsam oder Freundschaft für den Kaiser seine Beistimmung nnd Anerkennung nicht versagt hatte. Für die Fürsten ziemte sich es nicht in geistlichen Dingen anders zu entscheiden als der Kaiser und Friedrich war der Mann nicht, der sich widersprechen ließ *). Wie sehr indeß Heinrich dem Geist der Zeit gemäß dachte, stellte sich schon bei seinem Kreuzzuge heraus. Seine Neigung für Alexander, selbst dem Willen, ja dem Zorne des Kaisers gegenüber sprach sich in seinen italienischen Feldzügen aus, wo er manchmal der Sache Alexanders sich angenommen **). Noch sein Sohn Otto konnte, als er Kaiser geworden, seines Vaters Ergebenheit für die Kirche, die Unruhe und den Unwillen, womit derselbe Friedrichs Verfahren und Anmaaßungen gegen den rechtmäßigen Papst zugesehen habe, in einem Schreiben an Innocenz 3. rühmen ***).

 

Mag man Heinrich solche Gesinnung beilegen, weil er die Vorzüge Alexanders vor dessen Gegenpäpsten eingesehen, oder, was wahrscheinlicher, weil er dessen Wahl für rechtmäßig erkannt, und vor ihm als dem wahren

*) Deutlich spricht das Benehmen der Fürsten in der Sache des Erzbischoffs von Salzburg es aus, wie sie nicht aus Ueberzeugung sondern aus Gehorsam dem Kaiser beipflichteten. S. Luden XI.
S. 301 ff.
**) Orig. Guelf. VII. cap. I. §. 68. Anmerk. +++).
***) Baluz tom. I. Pag. 687.

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Nachfolger Petri eine Ehrfurcht empfunden *); entgehen konnte ihm nicht, daß der Kaiser gegen einen unbesieglichen Feind ankämpfe, einem Phantom nachjage. Um solchen Kampf mitzukämpfen war er nicht gesonnen seine eignen Pläne in Teutschland aufzugeben. Und doch war es eben das, was Friedrich 1175 von ihm begehrte.

 

Sah Heinrich das Streben des Kaisers für ein eitles an, so betrachtete dieser es nur als schwierig, und hielt es für erreichbar, sobald sich Teutschlands Fürsten gleich ihm dafür interessirten, und wo es des gemeinsamen Zieles Erringen galt, das ihre hintansetzten. Durch Heinrich das Interesse Teutschlands nach Italien zu lenken, und um das zu können, Heinrich von seinen Plänen abzuziehen, die er selbst bisher begünstigt, war Friedrichs Absicht, als er den Herzog nach Clavenna berief. Zwar mit einem Freunde hatte er es zu thun, doch mit einem, dessen gleiche und ungleiche Ansichten mit den eignen er kennen gelernt. Die Freundschaft Heinrichs mußte geschont und bewahrt, die abweichenden Gesinnungen nicht berührt und Heinrichs eignes Interesse in Deutschland dem des Kaisers in Italien nachgesetzt werden, und alles dieses nicht um bloß einen starken Arm , einen mächtigen Fürsten für einen Heereszug wider das empörte Mailand zu gewinnen, nein um ganz Teutschland für einen Kampf zu begeistern, dem es bisher nur von fern zugesehen, den jetzt

*) Doch nur in kirchlichen Dingen erkannte Heinrich die höhere Gewalt der Kirche und ihrer Diener an. Ihrem weltlichen Streben widersetzte er sich, wie nur irgend Einer. Mit Recht sagt Cranz rer. Saxon. VI. I. von ihm: Inviderat Episcopis rerum omnium tam latam ditionem, arbitratus administrationem rerum per provincias deberi principibus, episcopos autem solis curandis sacris intendere debere.

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die Ehre des Reichs, wie Friedrich glaubte, von allen Fürsten, vor allen von dem Träger der Reichskraft erheischte. So starke Motive von des Kaisers Seite, so entschiedne Abneigung in Heinrichs Charakter und Ansichten lassen nicht mehr unerklärlich, daß beide Männer ganz unerwartet *) wider einander hartnäckig in Worten, und in Folge derselben feindlich in Thaten dastanden. Zum erstenmal zeigte sich ihnen selbst die Verschiedenheit, ja die gegenseitige Aufhebung ihrer Interessen. Was Friedrich·von ihm gewollt, mochte Heinrich längst erkannt haben; er war seinem Wunsche nachgekommen, so lange nicht sein irdisches Wohl, sein Seelenheil dawider stritt. Man darf Heinrichs Handlungsweise nicht einmal eigennützig schelten, da das Verlangte seiner Natur widerstrebte.

 

Minder klar war es wohl bisher dem Kaiser, daß er die ihm dienstbare Macht einem Manne anvertraut, der nicht die Zwecke, für welche sie ihm übertragen war, wie er begriff und billigte. Nach den Berichten der Chronisten **) haben beide Männer bei jener Zusammenkunft an den Grenzen Teutschlands und Italiens, an der Grenze ihres gemeinsamen Wirkens, ihrer Freundschaft, an dem Orte und in dem Momente, von wo ab beide äußerlich und innerlich divergirend sich fortbewegten, ihre wahren Ansichten und Zwecke, wonach der Eine dringend forderte, der andre hartnäckig verweigerte, nicht frei ausgesprochen.

*) Ich weiß nicht, woher Herr von Raumer die Nachricht von einem frühern Gerüchte daß Heinrich abgefallen, her hat? S. Gesch. der Hohenst. II pag. 240. Keines seiner·Citate erhärtet des Herrn v. Raumers Berichterstattung. Im Chron. Ursp. a. a. O. ist nur von einem Abzuge Heinrichs von Alexandrien die Rede. Die Unrichtigkeit dieser Nachricht bedarf keiner Widerlegung.
**) Siehe die vornehmsten zusammengestellt in den Orig. Guelf. a. a. O.

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Friedrich gab als Grund seines Dringens an, daß Heinrich der Schrecken der Lombarden sey *); Heinrich schützte zu hohes Alter vor. Erklärlich ist diese gegenseitige Täuschung oder vielmehr Zurückhaltung; durchschauten sie ihre abweichenden Gesinnungen, wie ihre eigentlichen Absichten doch, und auch, warum Jeder sie nicht in der Unterredung berührte. Vorwürfe konnte Friedrich dem Herzoge machen, zu Bitte und Fußfall sich herablassen, doch nicht sagen, daß er ihn hoch erhoben, um ihn wider die Kirche zu gebrauchen. Auch Heinrich konnte nur ausweichen und das zusagen, was seinen damaligen Unternehmungen, seiner religiösen Ansicht nicht entgegen war; den wahren Grund, warum er in Person nicht erscheinen, warum er Sachsen nicht verlassen, gegen Alexander und dessen Verbündete nicht kämpfen wolle, mußte er zurückhalten. Darum schieden Beide auch äußerlich ohne Zorn, ohne ihre Feindschaft zu verrathen. Doch Friedrich konnte nun nicht mehr gesinnt seyn wie zuvor; denn der Herzog hatte ihm seine Macht auf einmal vernichtet, den Plan seines Lebens, das Ziel seines Herrscherstrebens aufzugeben genöthigt. Auch Heinrich mochte das gefühlt, doch nicht geahnt haben, welche Folgen für ihn die geänderte Gesinnung des Kaisers haben sollte. Vielmehr erkannte er sich als den Triumphator über des Kaisers Größe. Daß dieser einmal Italien aufgeben würde, schien ihm gewiß; aber ebenso, daß er vorher daran die ihm zu Gebote stehenden Kräfte aufreiben werde; dann war demselben seine Unterstützung, um für Teutschland wirken zu können, nothwendig. Hier aber wollte er ihm nimmer versagen, was er in Italien hartnäckig verweigert hatte.

*) Dem Herzog in einem vertrauten Gespräch konnte Friedrich das sagen, denn es schmeichelte dem Stolzen; nicht aber der Kaiser, von kaiserlicher Hoheit umgeben, in Anwesenheit der Fürsten. Dort stimmt es zu seinem Fußfall, hier nicht mit seinem Streben des Kaisers Ansehen über jede weltliche und kirchliche Gewalt zu erheben.




Veröffentlicht in:
Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 1839
Herausgeber: Friedrich Bülau
zweiter Artikel S. 405 – 422 (Mai 1839)
„Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander.
Zweiter Abschnitt: Heinrich des Löwen Bruch mit dem Kaiser Friedrich Barbarossa“
Von D. Gervais in Königsberg
J. C. Hinrichsche Buchhandlung Leipzig

 



Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander - dritter Artikel

Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander.
Von D. E. Gervais, Privatdocenten an der Univ. .Königsberg.
Dritter Artikel. Dritter Abschnitt.
Die Verhältnisse Friedrichs und Heinrichs seit dem Bruche ihrer Freundschaft bis zu des Letztern Aechtung (1176-80).



Hatte Friedrich Barbarossa den Sinn Heinrichs durchschaut, und erkannt, daß er dem Herzog eine Macht übergeben, womit derselbe sich einen sichern Gewinn erringen, nicht ihm zu Erreichung weitaussehender Hoffnungen in Italien dienen wolle, so genügte nicht, den Mächtigen zu strafen, zu beschränken; es mußten auch jene Hoffnungen aufgegeben werden. Denn was Heinrich für den Kaiser zu thun sich geweigert, durfte Friedrich von keinem Andern, den er an Heinrichs Stelle setzte, erwarten. Noch aber war der Uebermächtige im Besitz dessen, was Friedrichs Freundschaft und Vertrauen ihm überlassen.



Was von jetzt ab in Friedrichs Seele klar, und für die ganze Folgezeit seines Lebens und Strebens unabänderliche Norm geworden, erlaubten die Verhältnisse in Italien wie in Teutschland nicht sogleich auch durch die That zu enthüllen. Weder seine frühern Pläne auf einmal aufzugeben, noch dem von sichrer Macht Gestützten offen zu begegnen, war mit der Ehre und mit der Klugheit verträglich. Doch wer die entgegengesetzte Richtung erkennt, in welcher Friedrich zu Anfang und zu Ende seiner
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Regierung einem Ziele entgegenstrebte, das er freilich nie erreichte, wird in dem geänderten Verhältniß zu Heinrich den Scheidepunkt beider Wege, und somit den Standpunkt, um beide zu überblicken, am richtigsten auffinden; zugleich auch eben daher den deutlichsten Beweis entnehmen können, wie nicht von Außen, sondern von Innen, wie nicht aus längst gehegtem Argwohn, verdeckter Feindschaft, geheuchelter Freundschaft, sondern aus plötzlich erwachter Ueberzeugung, aus einer auf einmal eingetretnen Nothwendigkeit und durch sie bedingtem Gegensatze zu dem früher vorhandnen, zwei Männer die ganze Folgezeit des teutschen Kaiserthums, ja der ganzen spätern Geschichte Europas gestaltet haben. Kam aber der Anlaß aus ihrem Innern, so muß die spätere Feindschaft Friedrichs und Heinrichs zu Anerkennung einer früherhin bestandnen Freundschaft nöthigen. Denn nur auf diese konnte ein Gebäude gegründet seyn, welches auszuführen den Kaiser die eingetretnen neuen Verhältnisse zu Heinrich verhinderten.



Doch nicht Papst und Lombarden durften sogleich die Folge des Zwistes erkennen. Darum unterdrückte Barbarossa seinen Zorn auch gegen Heinrich selbst. Noch Jahre vergingen, ehe Friedrich ihm seine Gesinnung enthüllte. Vor des Herzogs Feinden, wie vor seinen eignen Freunden hielt der schlaue Kaiser mit seinen Gedanken zurück. Der Herzog mußte sicher gemacht werden, bis die Angelegenheiten in Italien eine günstigere Wendung genommen hatten. Nur beobachten und von Wächtern umstellen ließ Friedrich den Löwen; darum blieben alle Nachbarfürsten Heinrichs, so bereit sie sich zu Clavenna gezeigt

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hatten, von der Verbindlichkeit des Römerzuges für das Jahr 1176 frei, bis auf Wichmann und Philipp *), die aber, wie es scheint, auch nur ohne oder mit geringer Mannschaft dem Kaiser nach Italien folgten. Gegen Wichmann feindlich aufzutreten, wäre von Seiten Heinrichs als Undankbarkeit erschienen, da der Erzbischoff während seiner Abwesenheit im Oriente sein Herzogthum verwaltet. Philipp anzugreifen, den Freund des Kaisers, hieß diesem offen den Krieg erklären, was, wie Friedrich voraussah, der Herzog scheute. Zwischen Heinrich und Philipp war so wenig genügender Anlaß zum Kriege, daß, als Philipp später denselben begann, eine dem Herzog einmal entfallene Aeußerung den Vorwand zu demselben geben mußte. Ueberhaupt wider Geistliche erhob Heinrich nur nothgedrungen die Waffen. Darum konnten Wichmann und Philipp ungescheut ihre Heimath verlassen. Nicht so die weltlichen Fürsten, die der Kaiser von Heinrich mehr bedroht und wider Heinrich kampfbereit erkannt hatte. Sie also, die Anhaltiner, Wettiner, Ludwig von Thüringen mußten zu Hause bleiben, um den Löwen zu fesseln, wenn er etwa vor Friedrichs Zurückkunft kühne Sprünge

*) Außer ihnen zogen nach Italien der Erzbischoff von Trier, die Bischöffe von Worms, Münster u. a. m. Von Weltlichen vor Allen der Graf von Flandern; auch kleinere Fürsten aus Nord- und Südteutschland; so Dietrich von der Lausitz, ein kriegslustiger, händelsüchtiger Mann, der dem Kaiser in Teutschland noch mehr verderben konnte, als er schon beinahe zu Venedig bei der Zusammenkunft Friedrichs und Alexanders gethan hätte. Zu seiner Zeit brauchte ihn Friedrich mit gutem Erfolg wider Heinrich. Solcher Dienst wäre jetzt dem Kaiser unwillkommen gewesen. Wenn Raubgesindel, das durch Teutschland zum Kaiser stieß, Heinrichs Länder, die es, durchzog, plünderte, so war dieß nicht, wie Böttiger pag. 322. glaubt, schon eine Folge von des Kaisers Bruch mit dem Herzoge. Denn alle Länder, durch die des Grafen von Flandern Schaaren zogen, hatten gleiches Schicksal.
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machte; doch erst des Kaisers Wort sollte sie zum Angriff bestimmen. Noch kannten sie seine Absicht nicht.



Den Papst Alexander zu gewinnen, hielt Friedrich nicht für schwer, wenn nur jener und die Mailänder sich nicht verpflichtet, ohne gemeinsame Zustimmung keinen Frieden mit dem Kaiser abzuschließen! Mit den Lombarden aber, diesen Rebellen, zu unterhandeln, jetzt gleich zu unterhandeln, lief Friedrichs Ehre zuwider und erregte Verdacht. Also ein Gewaltstreich wider sie mußte noch versucht werden, und zwar so bald sich dazu Gelegenheit bot.



Er mißlang. Von überlegner Macht wurde Friedrich bei Legnano (29. Mai 1176) geschlagen; doch nicht, wie die Mailänder im ersten Siegesrausch geglaubt, war er vernichtet; denn, wenn auch dem Kaiser jetzt kein andrer Weg zu dem ihm so nothwendigen Frieden übrig blieb, als zu unterhandeln, so zeigen doch diese Unterhandlungen mit Alexander und den Lombarden, daß er keinesweges als Ueberwundner, oder Hartbedrängter dieselben betrieben. Zwar verging noch über ein Jahr, bis er einen sichern und sogar ehrenvollen Frieden zu Stande brachte *); allein für so verwickelte Verhältnisse, für so erbitterte und wachsame Gegner, als Alexander und die Mailänder, erscheint die Zeit sehr kurz, in der Friedrich und seine Unterhändler Christian, Philipp und Wichmann das schwierige Werk zum gewünschten Ende brachten.



Mit Unrecht zeihen ältre und neuere Schriftsteller

*) Am 23. Juni 1176 schon die persönliche Zusammenkunft mit Alexander; 1. August der Friede zu Venedig von allen Theilen beschworen, wenn auch mit den Lombarden nur auf 6, mit König Wilhelm von Sicilien auf 15 Jahre. Diese verschiednen Verträge zeigen am deutlichsten, wie Friedrich seine Gegner zu trennen wußte.

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Friedrich einerseits der Unbesonnenheit, in dem Kampfe bei Legnano, andrerseits der Hinterlist und Unredlichkeit während der Friedensunterhandlungen. Wer ohne Vorurtheil und mit Rückblick auf die Verhältnisse zu Heinrich dem Löwen des Kaisers Handlungsweise erwägt, wird nicht verkennen, daß überall sein Streben auf schnelle Beseitigung der italienischen Händel gerichtet war, um sodann in Teutschland für neue, den früheren ganz entgegengesetzte Pläne freie Hand zu gewinnen. Darum die Hast, mit welcher er bei Legnano die Mailänder wider den Rath vieler Fürsten, denen er sein Inneres nicht aufschließen konnte, angriff. Darum sein nicht geheuchelter Zorn, als ihm der Papst nur eine Treuga mit den Lombarden und dem Könige Wilhelm von Sicilien vorschlug *). Darum sein Verlangen, durch persönliche Zusammenkunft mit Alexander die Versöhnung zu beschleunigen. Darum die zuvorkommende Höflichkeit, die fast allzugroß erscheinende Unterwürfigkeit vor seinem Gegner, dem er vorher nicht einmal den Namen eines Nachfolger Petri zuerkannt. Darum seine Nachgiebigkeit selbst gegen die Lombarden. Unter andern Verhältnissen hätte Friedrich sicher anders gehandelt. Jetzt galt es, soviel als möglich in Italien zu retten, und dort einen leidlichen, wenn auch keineswegs den seit länger als 20 Jahren erstrebten Zustand herbeizuführen. Es galt nur die Ehre zu retten, keinen Gehorsam zu erzwingen.



Gleich nach dem Frieden zu Venedig zeigte sich, warum die Beruhigung Italiens für manches Opfer, vor

*) Luden a. a. O. pag. 369 sieht hier, wie überall, einen Widerspruch zwischen Friedrichs Handlungen und Friedrichs Gesinnungen. Warum das? Läßt sich doch Alles natürlicher und gerechter erklären.

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Allem für den kühnsten Wunsch vom Kaiser erkauft worden war. Nicht des Krieges müde war er, Vielmehr stand ihm der gefährlichste bevor. Darum bereitete er sich zu demselben mit einer Besonnenheit vor, die allein beweisen kann, wie groß Friedrich den Mann gemacht, der sein Werkzeug zu einem noch größern Plane hatte werden sollen.



Zwei Geistliche waren es auch hier wieder, deren Friedrich sich bediente, um den mächtigen Gegner anzugreifen. Er kannte die Scheu Heinrichs vor Dienern der Kirche, und seit von Alexander, nun des Kaisers Freund, alle teutschen Bischöffe anerkannt waren, brachte es Heinrich keinen Vortheil, daß er stets dem jetzt allgemein anerkannten Papste von Herzen zugethan gewesen. Bei der Kirche fand er nicht mehr gegen einen excommunicirten Kaiser, gegen einen abtrünnigen Diener der Kirche Beistand. Ja sein erster heftiger Gegner, Ulrich von Halberstadt, einst von ihm auf des Kaisers Geheiß aus seinem Bisthum verjagt, war ebenso sehr Alexanders alter Schützling wie Friedrichs neuer Günstling. Geschickt war auf diesen die Wahl des Letztern gefallen, um Heinrich zu beunruhigen. Von einer andern Seite fiel der Erzbischoff Philipp, vielleicht Einer der Wenigen, denen Friedrich seine Gesinnung schon deutlicher verrathen *), in des Herzogs Gebiet. Mit beiden Geistlichen verbanden sich später fast alle frühern Feinde Heinrichs, Wichmann von Magdeburg, die ostländischen Fürsten, Otto von Meißen, Dietrich von der Lausitz, die Anhaltinischen Brüder und endlich auch Landgraf Ludwig von Thüringen.

*) Wie aus dem nichtigen Grunde, weßhalb Philipp den Herzog anfeinden durfte, sich schließen läßt.

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Wie die Beweggründe Friedrichs zu diesem Kampfe von denen der Fürsten sehr verschieden waren, so hegte auch Heinrich andre Gesinnungen zu dem Kaiser, andre zu den Fürsten, die sein Verfahren bestimmten. Sehr mit Unrecht haben manche Neuern hier den Kaiser der Tücke und Verstellung gegen Heinrich angeklagt, dort dem Herzog allzugroße Saumseligkeit, Mangel an Entschlossenheit, ja selbst an Einsicht vorgeworfen. Um solchen Anschuldigungen gegenüber beide Männer zu entschuldigen, bedenke man, daß den Kaiser seine damalige Lage zwang, mehr mit Klugheit als ritterlicher Gewandtheit zu Werke zu gehen. Daß Heinrich nach den Vorfällen in Partenkirch die Verlegenheiten des Kaisers in Italien, die vierjährige Abwesenheit von Teutschland, die Unterhandlungen mit Papst und Lombarden nicht benutzte, um die Hohenstaufischen Anhänger zu bekriegen, um eine übermächtige Herrschaft, gegen die Friedrich den gleichen Kampf nicht wagen durfte, zu erringen, zeigt nicht von Schlaffheit und unklugem Versäumniß, sondern rechtfertigt seine teutsche gerade Denkweise, die noch durch keine Italienische Schule verderbt und keiner Verstellung fähig war. Zwar wußte er, Friedrich zürne ihm, weil er seine Ueberzeugung nicht seiner Dienstfertigkeit geopfert; doch Friedrich war sein Verwandter, bedurfte auch für Teutschland seines Beistandes, konnte ohne ihn, so hatte er es ja früher und vor Allem jetzt erfahren, Nichts unternehmen. So schmeichelte ihm sein Stolz, der den höchsten Triumph in Partenkirch gefeiert hatte. Zu befürchten glaubte er ebenso wenig, weil er nicht ahnen konnte, Friedrich werde ein seit 25 Jahren verfolgtes Ziel, ein Streben, woran seine ganze Seele

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hing, freiwillig ausgeben, bloß um - den zu stürzen, den er groß gemacht, dem er alle Freundschaft erwiesen, dem er eine Macht anvertraut, die er nicht mehr anzutasten wagen dürfe. Sah er in dem Auftritt bei ihrem letzten Zusammentreffen auch einen dauernden Zwiespalt der Gesinnungen; ein Bruch der frühern freundschaftlichen Verhältnisse, erklärte Feindschaft, drohende Gefahr für ihn lag nicht in Friedrichs Begegnung; und sollte er den Entfernten, den Bedrängten, den gesalbten Kaiser, das Oberhaupt der Christenheit anfeinden?



Solche Gedanken begleiteten Heinrich nach Teutschland, wo er in der Erweiterung seines Nordreiches fortschreiten wollte. Nur gebot die Klugheit, bei der eingetretnen Spannung, nicht gegen des Kaisers Freunde, nicht gegen Reichsfürsten sich zu erheben. Darum zog er, nachdem für Aufrechthaltung des Rechts, Beförderung des Wohlstandes, für Ruhe und Frieden innerhalb seiner Staaten Sorge getragen war, gemeinschaftlich mit Waldemar von Dänemark, wie er es diesem zugesagt hatte, gegen die Slaven, die seinem Willen ungehorsam gewesen, und unter Räubereien und Verwüstungen wiederholentlich an den Küsten Dänemarks gelandet waren.



Wenn er ja *) von Friedrich etwas befürchtet, so

*) Nur unmittelbar nach der Zusammenkunft mochte der Gedanke an Friedrichs Zorn den Herzog beunruhigen, zumal da all seine Feinde von der Theilnahme am Feldzuge ausgeschlossen wurden, was in ihm Argwohn erregen konnte. Damals mag es geschehen seyn, daß Heinrich bei seinem Durchzuge durch Baiern mit den Grafen von Zollern, Vehringen und andern sich enger verbündete, um durch sie die Hohenstaufen in Schwaben beunruhigen zu lassen. Doch ist diese Verschwörung, welche das Chron. Ursp. 1175 angiebt, wohl mit Recht sehr in Zweifel zu ziehen. S. Luden XI. S. 392 und Anm. 3.

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schlug die Nachricht von der Niederlage bei Legnano jede Besorgniß nieder. Denn, daß Friedrich nach einer verlornen Schlacht gegen die Mailänder, die Verhaßtesten aller Feinde, sogleich die italienischen Angelegenheiten ganz aufgeben würde, dünkte ihm unmöglich bei einem auf seine Herrschaft so eifersüchtigen Kaiser; vielmehr erwartete er, daß dieser nun um so länger in Italien verweilen, und ihm in seine nordischen Angelegenheiten nicht störend eingreifen werde. Diese gaben ihm auch Vorwandes genug,
um nicht von Neuem nach Italien abberufen zu werden.



Sicher hörte später Heinrich von Friedrichs Unterhandlungen mit dem Papst und dessen Verbündeten. Doch wie oft waren dergleichen nicht angeknüpft, von beiden Theilen nur um gewünschter Frist willen gesucht und wieder abgebrochen! Dießmal vollends hieß es, die Lombarden sollten in den Frieden mit eingeschlossen werden. Welch ein Friede konnte Dauer haben zwischen Friedrich dem Geschlagenen und übermüthigen Städten, deren Siegesrausch bis tief in Teutschland erklang und wiederhallte *)! Bald sprach man auch nicht von Frieden, sondern nur von Waffenstillstand. Wie sehr der Kaiser durch ununterbrochne Thätigkeit seinen Ernst zum Frieden zeigte, durch seine Annäherung zu Alexander, endlich durch seine persönliche Zusammenkunft mit demselben die Verhandlungen beschleunigte, ahnte Heinrich nicht, vielleicht kein Fürst in Teutschland. Doch auch jetzt noch hätte der Kaiser, der nach wie vor in Italien verweilte, Heinrich

*) Anderswo soll gezeigt werden, daß der Aufstand Erfurts gegen des Kaisers Neffen Ludwig 3. von Thüringen mit durch die Vorfälle in Italien herbeigeführt worden.

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keinen Verdacht erregt, wenn nicht aus dem Betragen Ulrichs von Halberstadt, aus der Unruhe unter den sächsischen Feinden *), aus der Rückkehr Philipps von Cöln und Wichmanns von Magdeburg ihm der Gedanke an drohende Gefahren und Kriegsrüstungen wider ihn gekommen wäre **). Jetzt ahnte er auch des Kaisers Vorhaben; denn nicht ohne Friedrichs Mitwirken konnten gerade in einer Zeit, wo jener in Teutschland erwartet wurde, seine Feinde es wagen sich zu erheben, sie, welche vor zehn Jahren Friedrich zu Heinrichs Gunsten entwaffnet hatte. Jetzt stand unfehlbar der Kaiser auf der Fürsten Seite. Doch vor demselben Furcht zu zeigen, vor ihm sich zu beugen, war Heinrichs stolzes Herz nicht gesonnen. Mit den Slaven schloß er eilig Frieden, ehe diese merken konnten, warum? Den König Waldemar machte er mit seinen Verhältnissen bekannt ***); und der freilich versprach bei den bewandten Umständen wenig: „ er wolle Keinem eröffnen, daß er dem Herzog seine Hilfe abgeschlagen“. Auch das genügte Heinrich. Gegen die kleinen Feinde war er sich selbst genug, den Kaiser konnte er nicht unversöhnlich glauben. Er hatte dasselbe Recht wie vor zehn Jahren für sich, ja dießmal vielleicht noch mehr, weil er gegen diejenigen, welche ihn jetzt zum Kampfe herausforderten, Nichts verschuldet hatte. Sollte der Kaiser, selbst wenn er nicht mehr die alte Freundschaft für Heinrich

*) Nicht, daß diese eben schon Friedrichs Absicht kannten, aber das Beispiel Ulrichs machte Viele unter ihnen kriegslustig. Es genügte, daß Fr. nicht mehr Hs. Freund war, wie 1168.
**) Arn. Lub. II. cap. 18: „bella mihi video, bella parantur!“ läßt er den Herzog ausrufen.
***) Die Orig. Guelf. setzen a. a. O. §. 87. diese Unterhandlungen zu spät. Innere wie äußere Gründe sprechen für eine frühere Zeit.

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hegte, wenn er nur als strenger Richter erschien, dießmal für Recht erklären, was ihm damals Un-
recht hieß?



Damit seine Feinde ihm nichts abgewönnen, vertheidigte er sich mit dem Schwerdte nach drei Seiten hin, wider den Bischoff von Halberstadt, wider den von Münster und wider den Erzbischoff von Cöln, mit dem ihm früher zuerkannten Rechte in Gegenwart des Kaisers, den er gleich bei seinem Eintritt in Teutschland im Herbste 1178 begrüßte, und zu Speier als Schiedsrichter über die von seinen Feinden erhobenen Fehden ansprach. Doch in Speier erkannte er des Kaisers Sinn, und daß er keines günstigen, ja nur gerechten Urtheils gewärtig seyn dürfe. Weder zu Vorwürfen noch zu Bitten mochte der Stolze in Gegenwart der Fürsten, seiner Feinde, sich erniedrigen. Deshalb blieb er zu Worms und auf allen Reichstagen, zu denen er beschieden ward, aus. Mit dem Kaiser allein, Angesicht gegen Angesicht wollte er sprechen *), und hoffte auf Aussöhnung, weil er den Kaiser deutsch und offen gesinnt, wie er es selbst war, glaubte. Beides war Friedrich wenigstens gegen ihn nicht mehr. Nicht mit Treue und Freundschaft, nur mit Geld sollte Heinrich das frühere Verhältniß wieder herstellen, und dem Kaiser den Streit mit den Fürsten auszugleichen überlassen. Die erstre kleinliche Fordrung und das ganze Benehmen des Kaisers überzeugte den Herzog, daß er

*) Es geschah zu Haldensleben S. Arn. lib. II. cap. 24. Luden leugnet diese Zusammenkunft, wie jene zu Partenkirch, und zwar dießmal, weil er Friedrich, den er sonst überall erniedrigt – für zu edel hält, als dass er 5000 Mark von Heinrich zur Strafe gefordert.

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nicht die letztre bedenklichere Bedingung, und somit keine eingehen dürfe. Beides kränkte ihn. Er sah des Kaisers Herz ihm ganz entfremdet; nur Waffengewalt konnte bewähren, wer der Mächtigere sey.



Viele Reichstage und Vorladungen anzuordnen hielt der Kaiser um sein Spiel zu gewinnen für so nöthig, als Heinrich darauf nicht zu achten für gut befand, weil er dort Alles zu verlieren voraussah. Thöricht berufen neuere Geschichtschreiber sich auf jene Hoftage zu Worms, Magdeburg, Goslar *) (1179), Ulm, Würzburg, Gelnhausen, Regensburg (1180) u. a. m. **), um Friedrichs gerechtes Verfahren und Heinrichs Halsstarrigkeit zu beweisen.



Unterdessen, daß Friedrich durch Vorladungen, Heintichk durch Weigerung ihre Spannung, ihre feindselige Gesinnung öffentlich zu bekunden schienen, waren beide darauf bedacht, im Geheimen ihre Streitkräfte zu sammeln. Es zeigte sich bald, wo ein jeder seine Hilfe suchen, und welche Opfer er dafür hingeben müsse. Auch Heinrichs Plan, eine nordteutsche Herrschaft zu begründen, war auf des Kaisers Freundschaft basirt, nur mit seiner Billigung und Unterstützung ausführbar. Heinrich brauchte nur den italienischen Angelegenheiten des Kaisers ganz zugethan zu bleiben, und Friedrichs Dankbarkeit hätte seinen Wunsch gekrönt, die nordteutschen Fürsten ihm geopfert. Diese Selbstständigkeit oder Reichsunmittelbarkeit war verbürgt, sobald der Kaiser und der Herzog miteinander brachen.

*) Zu Goslar, wie es scheint, angesagt, zu Kayne im August 1179 wirklich gehalten.
**) Wie schwer es ist, die verschiednen Angaben der Chronisten über alle Vorladungen Heinrichs zu vereinen, zeigt schon Böttiger Anmerk. 385 und 391. Genug, der Herzog leistete keiner Folge.

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Die Fürsten erkannten jetzt ihre Bedeutsamkeit; nur fragte sich es, ob sie dem sich anschließen sollten, der sie unter andern Umständen dem Herzog verrathen hatte, oder, ob es mehr Gewinn für sie brächte, die Anerkennung ihrer Freiheit als Bedingung des Beistandes dem vorzulegen, der sie früher zu unterdrücken sich bemüht hatte. Auf Seite des Kaisers winkte ihnen Glanz und Befriedigung des Ehrgeizes, weil kein Größrer sie mehr verdunkelte, auch wohl Gewinn, wenn Heinrichs Länder ihre Beute wurden. Im Bunde mit Heinrich war Ruhe und Sicherheit für ihre Länder zu hoffen. Denn Niemand, auch der Kaiser nicht, gewährte mehr Schutz und Hilfe wider äußere Feinde, als der mächtige Herzog von Sachsen und Baiern.



Solange Friedrich und Heinrich ihre Interessen, ihren Gewinn, die Erreichung ihrer Wünsche durch enge Verbindung, durch Freundschaft gefördert glaubten, hatten auch die sächsischen Fürsten, der Nothwendigkeit sich fügend, zu Beiden in ein heilsames Verhältniß sich zu setzen gesucht. Wichmann erwarb des Kaisers Freundschaft und Heinrichs Vertrauen. Otto von Brandenburg, gleich seinem Vater den Blick auf die Slavenländer richtend, fand in Heinrich nur den einzigen Verbündeten, der ihm nützen konnte. Ottos Brüder, Bernhard von Ascanien und Hermann von Orlamünde, waren nur Heinrichs Feinde gewesen, als sie mit dem Kaiser in Zwist gerathen. Ludwig von Thüringen hätte diesen Anhaltinischen Brüdern nicht widerstehen können, wenn nicht Heinrichs Macht ihn unterstützt; der Landgraf war dem Herzog also verpflichtet. Ja Bernhard selbst und sein Bruder, Bischoff Siegfried von

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Brandenburg, wurden nach beendeter Fehde (1175) Heinrichs beste Freunde, weshalb dieser auch Siegfrieds Bewerben um den erzbischöfflichen Stuhl von Bremen beim Papste unterstützte *). Pfalzgraf·Adalbert von Sommerschenburg endlich, der am härtesten hatte büßen müssen, als er 1167 an dem Kriege wider Heinrich Theil nahm, war seitdem ein treuer Anhänger des Letztern **).



Ganz anders aber gestalteten sich die Verhältnisse, als sich Friedrichs feindselige Gesinnung gegen den Herzog offenbarte. In der Einsetzung Ulrichs von Halberstadt und in dessen Verfahren gleich nach seiner Rückkehr sah Mancher die ersten Anzeigen. Dieser Geistliche indeß war zu sehr als Heinrichs erbittertster Feind bekannt; es konnte lang verhaltne Rache seyn, die ihn trieb sich Luft zu machen, ehe noch der Kaiser aus Italien zurückkehrte ***). Darum leistete vor dem Jahre 1178 - öffentlich wenigstens ****), - noch Keiner der Fürsten dem Bischoffe Beistand. - Bedeutsamer waren die Feindseligkeiten der genannten geistlichen

*) Arnold II. cap. 23. Wersebe niederländische Colonieen Thl. 1. S. 110 Anmerk. 97 beschuldigt Arnold mit Unrecht einer Ungenauigkeit. Dieser Vorwurf fällt auf Wersebe selbst zurück. Heinrich und Bernhard konnten 1175 - 78 Freunde sein, weßhalb Erstrer denn auch Siegfried mit seiner Empfehlung an Papst und Kaiser schicken mochte. In Italien merkte Siegfried, wie das Verhältniß zwischen Friedrich und Heinrich sich geändert, ergriff des Kaisers Partei, und erlangte durch diesen vom Papst, was Anfangs der Herzog für ihn nachgesucht. Arnolds Nachricht ist damit gerechtfertigt und als eines Zeitgenossen nicht zu übersehen. Gestaltete sich doch auch der andern sächsischen Fürsten Verhältniß zum Herzog plötzlich anders.
**) Er allein·verblieb es auch bis zu seinem Tode.
***) Schon 1177 Ende Juni muß er in Halberstadt gewesen seyn. S. Schultes II. S. 250 Urkunde datum II. Calend. Julii.
****) Bei Erbauung des Hoppelberges sollen die östlichen Fürsten den Bischoff unterstützt haben. Mag nun Hoppelberg und Hornburg verschieden seyn oder nicht, die Veste auf dem Hoppelberge wurde erst 1178 von Bernhard und den andren Fürsten gegen Heinrichs Mannen vertheidigt.

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Fürsten von Cöln und Münster, die jedoch 1178 auf Wichmanns Vermittelung sich noch einmal mit dem Herzoge versöhnten. Sicherlich handelte der Erzbischoff von Magdeburg nicht ohne Instructionen vom Kaiser, dessen Rückkehr damals noch Händel in Burgund verzögerten. Unfehlbar war es auch Wichmann, der dem sicher gemachten Heinrich rieth den Streit mit Cöln dem Kaiser vorzulegen, was zu Speier geschah. Wie anders aber fand Heinrich Alles als er gehofft, oder Wichmann ihm vorgestellt. Auch mit diesem konnte nun keine Freundschaft mehr fortbestehen. Wichmann selbst scheint vor 1179 keine offnen Feindseligkeiten verübt zu haben *); doch unterstützte er heimlich schon 1178 den Bischoff Ulrich bei Errichtung der Veste auf dem Hoppelberge **) bei Halberstadt, und bewog seine Verwandten, die Anhaltinischen Brüder, sowie die Thüringischen und Meißnischen Fürsten zum Bruch mit Heinrich.



Neuere Historiker irren, wenn sie Bernhard von Ascanien

*) Einen besondern Anlaß zu Streitigkeiten mit W. gab das Erbgut Adalberts von Sommerschenburg, das Wichmann von dessen Schwester, der Aebtissin von Quedlinburg an sich gekauft, und das Heinrich aus Verwandtschaftsrechten (?) in Anspruch nahm. S. meine dissertatio de Palainato, quem Landgravius Hermannus I. principatui suo adjunxit. pag. 27 ff.
**) Angeblich von starkem Hopfenanbau daraus so genannt, richtiger vielleicht von den vielen rings um den Berg laufenden Erhöhungen - Hubbel oder Huppel - die mit furchenartigen Vertiefungen wechseln, so geheißen. Nahe diesem Hoppelberge, nur durch ein schmales Thal getrennt, zieht sich ein langer Bergrücken, Hundsrück genannt, und von Halberstadt gesehen einem Horne nicht unähnlich. Auf der äußersten Ecke dieses Berges sieht man noch Ruinen einer ungeheuren Veste. Das nahe dabei liegende Dorf heißt Langenstein. Man baute vielleicht die neue Veste (Novam urbem in quodam monte prope Halverstat. Chron. Mont. Ser. ad 1178) auf dem Hoppelberge, und stellte Hornburg erst 1179 her (castrum Horneburg reaedificatum est. ad A. 1179) Letzteres hieß auch wohl nach dem Berge Langenstein.

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und andre sächsische Fürsten schon vor dem Reichstage zu Speier (31. October 1178) wider Heinrich kämpfen lassen. Kein alter Schriftsteller nennt eine frühere Zeit, und glaubwürdige bezeichnen noch im Jahre 1178 die Anhaltiner und Heinrich als Freunde *). Erst Wichmann bewog sie zur Feindschaft, und dieser spielte noch 1178 den Friedensvermittler zwischen dem Herzoge und Philipp von Cöln **). Auch klagte Heinrich zu Speier nur über Philipp; selbst Ulrich betrachtete er nur als seinen persönlichen Gegner, und Händel mit ihm als Privatsache. Anders verhielte es sich, wenn damals schon alle seine frühern Feinde die Waffen gegen ihn erhoben hätten. Ohne Friedrich wagten es diese nicht, und wäre dessen feindliche Gesinnung schon Jedem offenkundig gewesen, so wäre Heinrich nicht vor ihm und so vielen Fürsten, die ihm als Feinde gegenüber standen, als Kläger wider den vertrauten Rathgeber und Freund des Kaisers aufgetreten.



Erst zu Speier erkannten so wie Heinrich also auch die Fürsten Friedrichs Gesinnung. Ihren alten Haß gegen den Herzog zu entflammen verstand Friedrich schlau genug; allein um den Mächtigen zu stürzen, bedurfte es nachdrücklicher Unterstützung, und die konnte nur durch lockende Belohnung erlangt werden. Demnach mußte der Kaiser, was er dem Herzog zu nehmen gedachte, den Hilfe leistenden Fürsten als Beute überlassen.



*) Autor de fundat. coenobii Bigang. ap. Hoffmann IV. Pag. 126 führts unter 1177 an; ihm fehlt aber 1178 ganz. Böttiger pag. 328 und 29. Luden XI. 394 und 95 ließen sich dadurch täuschen.
**) Zwar auch zwischen den Anhaltinern und Heinrich läßt die Contin. Chron. Pegav. Frieden vermitteln, doch später als zwischen Heinrich und Philipp, also später als Friedrich in Teutschland erschien.

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Wenn Heinrich ohne einen männlichen Erben, etwa auf dem Kreuzzuge gestorben wäre, sicher hätte Friedrich Barbarossa als nächster Anverwandter für seine Kinder die erledigten Reichslehen in Anspruch genommen, und dadurch in Nord-, wie früher in Südteutschland dem Hohenstaufischen Hause eine feste unerschütterliche Basis gegeben. Diese Hoffnnng war zwar durch Heinrichs männliche Nachkommenschaft benommen. Jetzt aber trat sie wieder hervor, als der Welfe wegen seines Trotzes eines, und weil man Widerstand erwarten durfte, beide Herzogthümer verlieren sollte. Bekamen nun nicht Friedrichs Söhne das erste Anrecht an dieselben? - Und doch ertheilte man sie ganz fremden Fürsten! Ja nicht einmal den Versuch, sie seinem Hause zuzuwenden, scheint Friedrich gemacht zu haben. Ein neuer Beweis, wie das geänderte Verhältniß zu Heinrich ihm Gewährung jedes frühern Wunsches und Strebens versagte. Mit ihm vereint vermochte er die Macht seines Hauses dauernd zu gründen. Seit Heinrich ihm zu dienen sich geweigert, war Zersplittern, Trennen feindlicher Gewalten das einzige Mittel, um sein Ansehen möglichst zu erhalten. Nur geringen Antheil durfte er von der gemachten Beute sich vorbehalten *), das Uebrige mußte denen gelassen werden, die ihm im Kampfe ihre Hilfe geboten. Nicht mehr

*) Und kaum läßt sich das nachweisen; unmittelbar fiel den Hohenstaufen von den Lehen Heinrichs nichts oder sehr wenig zu, nicht einmal die slavischen Eroberungen, die sonst doch, wie·alle Eroberungen als Erweiterungen des Reichs im Namen des Kaisers geschehen mußten. Wenn dem alten Welf manche Allodien zugewiesen wurden, so ist das ganz in der Ordnung, und darf nicht als klugversteckte Beute angesehen werden, wie fast alle neueren Geschichtsschreiber jenes Jahrhunderts thun.
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Einer war es, den er zu befriedigen für nothwendig erachtete, sondern eine große Zahl, auf deren Forderungen er achten mußte. Dieß that Noth, damit nicht Einer mehr ihm alle Macht entzöge, und sich zum Herrn in Teutschland, statt ihn zum Herrscher der Welt mache.



Wie weit Friedrich zu gehen gedachte, erkannte wohl in ganzem Umfange noch kein Fürst, der Bedrohte selbst nicht. Wider diesen seine Feinde einzunehmen genügte vorläufig. Auch sie sollten nicht eigenmächtig an sich reißen, was sie erobern würden, sondern Anordnung und Vertheilung ihm überlassen. Nur zeigen wollte er, welches Recht, welche Gründe ihm zustanden, den Herzog zu strafen und zu beschränken. Dabei durfte er nicht eigennützig erscheinen. Nicht den Seinen, Fremden mußte die Beute versprochen werden. Diese wurde, ehe sie gemacht, schon vertheilt, um die Verbündeten dahin zu spornen, daß jeder seinen Theil mit Aufbietung aller Kräfte sich erobere. Darum die vielen Reichstage, darum die vielen Vorladungen Heinrichs, darum die vielfach erhobenen Klagen des Kaisers und der bereits von Beutelust, von Haß, von Ehrfucht erfüllten Fürsten. Konnte der Herzog sich nach ihrem Ausspruch stellen? Und stellte er sich nicht, so konnte Friedrich fragen: „Was das Reichsgesetz über den verhänge, der nach gehörigen Vorladungen vor Kaiser und Reich zu erscheinen verweigert, und solches Gericht verachtet?“ Reichsacht und Abspruch aller Länder und Würden war es, was Friedrich von den Fürsten begehrte. Dafür mußte er Wünsche nach Vermehrung seiner Hausmacht aufgeben. Zu Würzburg erfolgte der Spruch; dort und zu Gelnhausen erhielt Philipp von Cöln das Herzogthum

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Westphalen und Engern, Graf Bernhard von Ascanien das sehr geschmälerte Herzogthum Sachsen und in gleicher Weise zu Regensburg (1180 den 30. Juli) *) Otto von Wittelsbach das Herzogthum Baiern **).



Der Erzbischoff Philipp von Cöln, ein ehrgeiziger aber im Dienste Friedrichs eifriger Mann, mußte auch am reichsten für diesen Eifer belohnt werden. Er war der erste ***) Geistliche, der ein Herzogthum sammt allen Rechten und Würden erhielt. In Bernhard von Sachsen hatte Friedrich einen frühern Gegner zu versöhnen. Wie Heinrich ihn zu gewinnen versucht, thats auch der Kaiser. Dieser hatte mehr zu bieten, und gewann in Einem alle Anhaltiner. Freilich ward Bernhard in ganz andrem Sinne Herzog von Sachsen, als Heinrich es gewesen. Ihm blieb nur ein Schatten der Macht, welche einst damit verbunden, und der Heinrich neue Bedeutung zu verleihen bemüht gewesen. Immer war es indeß für Bernhard lockend genug, um mit ganzer Kraft wider Heinrich anzukämpfen und all seine Brüder in des Kaisers Interesse zu ziehen. Als Friedrich den Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach zum Herzog von Baiern erhob, belohnte er in diesem ebenso sehr einen früher ihm treu ergebnen

*) Chron. Reichersperg. apud Ludewig S. 319 giebt III. Cal. Julii.
**) Von.Baiern trennten sich seitdem die Grafen von Andechs, die keck den Titel: Herzöge von Meran annahmen. Das Herzogthum Steiermark hatte sich wohl schon vorher abgelöset, gleich Tirol. Vieles erhielten, wie in Sachsen die Bischöffe und andre Geistliche. Schwer vereinen lassen sich die Ansichten in Westenrieders Beiträgen I. 31. Gemeiners Chronik von Regensburg S. 271 und Hormayrs Werken Bd. III
***) Nimmt man etwa die fränkische Herzogswürde der Bischöffe von Würzburg vor Belehnung Konrads des Hohenstaufen aus, eine Sache, die noch immer sehr zu bezweifeln ist.
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und durch wichtige Dienste bewährten Freund, als er durch solche Erhebung einen wegen mancherlei Verfälle ihm seit einiger Zeit entfremdeten Mann wieder·versöhnte *).



Außer den genannten Fürsten mußten noch viele andre mit kleinen Portionen abgefunden werden. Gleich Philipp von Cöln erhielten die Erzbischöffe von Magdeburg und Bremen **), die Bischöffe von Paderborn, Minden, Hildesheim, Verden u. a., ebenso die Bischöffe in Baiern und Schwaben außer den Lehen, die sie an Heinrich gegeben, manches neue Stück dazu, und die weltlichen Fürsten, von Habgier zu sehr geblendet, ließen um des eignen Gewinnes willen geschehen, daß weltliche Güter in die Hände der Kirche geriethen. Die Vertheilungen an die weltlichen Fürsten sind zwar durch keine Urkunden bekannt - selbst die Documente für Sachsen und Baiern fehlen, - doch läßt sich unbezweifelt annehmen, daß keiner derselben dem Kaiser ohne Gewinn gedient habe. Ludwig, der nahe Verwandte desselben, erhielt die pfalzgräfliche Würde in Sachsen, die keine unbedeutende Reichslehen ihm zuwies, und ein Amt, dass bei der Zerstückelung des Welfischen und bei der Schwäche des neuen Anhaltinischen Herzogthumes Sachsen dereinst von Bedeutsamkeit werden konnte.



Hatte der Kaiser auch Verzicht leisten müssen, die dem Gegner abgenommenen Herzogthümer und Würden seinem Hause zuzuwenden, so konnten doch die so reich begabten Fürsten nicht verwehren, wenn er außer manchem

*) Ich theile vollkonnnen die Ansichten Ludens a. a. O. S. 424 ff. in Betreff Ottos, dessen langes Nichtauftreten auf dem Schauplatze, wo er einst so thätig sich bewiesen, Bedenken erregt.
**) Siegfieds Erhebung zum Erzbischoffe von Bremen erfolgte zu Gelnhausen. Er war gewiß schon in Italien vom Kaiser gewonnen, und zog die übrigen Anhaltiner zu ihm herüber.

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Stücke in Sachsen, Baiern und Schwaben, das, entweder als Reichsgut, oder als Erbgut der Welfen der Erbschaft des alten Herzog Welf zugelegt, seinen Söhnen anheimfiel, auch Heinrichs Stammgüter und Erwerbungen, durch das Schwert oder durch das Recht der Verwandtschaft an ihn gekommen, vorläufig keiner Bestimmung unterwarf, sie Keinem zuerkannte, um sie, falls Heinrich sich nicht aus der Acht löste, als verfallne Fiscalterritorien einzuziehen.



Schwierig war die Aufgabe gewesen, die Ansprüche so vieler Fürsten, die ihre Hilfe dem Kaiser zusagten, zu befriedigen, ohne Eifersucht, Streit und Neid unter ihnen offen anzuregen - im Stillen mochte es daran bei so ehr- und ländersüchtigen Fürsten und Prälaten, die alle mehr ihrem Vortheil als der Gerechtigkeit den Arm liehen, nicht fehlen.



Das Schwierigste von Allem stand aber noch bevor - die Vollstreckung der über den Herzog ausgesprochenen Acht. Denn weder Heinrichs Macht, noch Heinrichs Muth war durch die Vorkehrungen seiner Feinde gebrochen. Bis zu der Zusammenkunfts mit Friedrich hatte er nur die Defensive gebraucht, nur Unbilden gerächt und vertragswidrige Handlungen gestraft. Zu ersteren gehörte der Einfall der Bischöffe von Cöln und Minden in sein Gebiet, zu letztern die Erbauung der Vesten Langenstein und Hoppelberg bei Halberstadt, Werke, die vertragswidrig aufgerichtet seyn müssen, weil sonst Heinrich nicht einen Krieg im Norden so eilig beendet haben würde, um wider einen Freund des Kaisers die Waffen zu kehren. Gewiß, die Errichtung der beiden Burgen galt ihm für einen

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Frevel, für eine Verspottung seiner Macht, die ihm dahinterliegende gefahrdrohende Motive verrieth. Größer wurde über Ulrichs Beginnen sein Zorn, als er die ostländischen Fürsten erst ins Geheim - aus eignem Haß – dann öffentlich auf Friedrichs Antrieb - dem Bischoff Beistand leisten sah. Gleichwohl unterließ Heinrich nichts, was den erbitterten Priester versöhnen konnte. Als Ulrich 1179 den Kirchenbann über Heinrich und dessen Gegner ausgesprochen, unterwarf sich Heinrich sogar Demüthigungen, die seinem stolzen Herzen gewiß nicht leicht geworden, und zu denen nur seine Frömmigkeit ihn antrieb. Samt den Seinigen begab er sich nach Halberstadt, warf sich zu Ulrichs Füßen, und bedachte sich in nichts, was zum Frieden führen könne *). Vielleicht auf Ulrichs Rath suchte Heinrich die Zusammenkunft mit dem Kaiser bei Haldensleben. Erst als er diesen als den unversöhnlichsten und gefährlichsten Feind seiner Macht und Größe erkannt, brauchte er Keines mehr zu schonen. Kaum hatte daher, nach der Reichsversammlung zu Goslar (oder auf der Veste Caine) **), im August 1179 der Kaiser Sachsen verlassen und sich nach dem Süden begeben, so ließ Heinrich durch seine Leute, zur Vergeltung früher verübter

*) Arn. II. cap. 26: Et sensit cum episcopo et ecc1esia illa ea, quae pacis sunt.
**) Vergl. über Caine oder Cayne oder Caene Wersebes niederländ. Colonien II. pag. 336 nota 166. Mascov. de Conrado III. pag. 368. Diesen Namen führten: 1) ein Ort im Naumburgischen Amt Zeitz: 2) eine Reichsveste bei Altenburg. Daß letzteres hier nicht·gemeint seyn könne, beweisen die Worte des Chron. Pegav. ad 1179: Curiam in Cwinae castello ejusdem Ducis. Daß Heinrich aber in Thüringen Besitzungen hatte, ersieht man aus der Theilungsacte seiner 3 Söhne zu Paderborn. S. Schultes II. pag. 266 und Orig. Guelf. III. 628. Es ist also das erstere Caine wahrscheinlich das hier gemeinte.

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Verwüstungen, des Bischoffs Ulrich Gebiet angreifen. Der von Neuem gegen Heinrich aufgestandne Priester·floh vor des Gegners unaufhaltsamen Schaaren erst in seine Veste Hornburg, und als er hier sich nicht sicher glaubte, oder abgeschnitten zu werden befürchtete, nach Halberstadt. Doch weder jenes noch dieses hielt die feindlichen Haufen ab, die sich nicht scheuten die Stadt anzuzünden, wodurch viele Tausende ihren Tod fanden. Ulrich selbst rettete nur mit Mühe sein Leben, der Gefangenschaft aber konnte er nicht entgehen. Er ward nach des Herzogs Veste Ertheneburg abgeführt. Mit Ehrerbietung behandelte Heinrich auch dießmal den Diener der Kirche, betheuerte ihm, am Brande Halberstadts ohne Schuld zu seyn, und gab ihm gegen Abtretung einiger Kirchenlehen die Freiheit *).



Der Sieg Heinrichs über Ulrich war reicher Ersatz für die Niederlage, welche am Ausgange des vorhergehenden Jahres 1178 das herzogliche Heer, unter Anführung des Pfalzgrafen Adalbert von Sommerschenburg, gegen Bernhard von Ascanien und die mit demselben verbündeten östlichen Fürsten erlitten hatte **). Nun erhoben sich diese von Neuem, und mit ihnen der die Kriegsflamme eifrig schürte, Erzbischoff Philipp von Cöln. Mit 4000 Geharnischten und einer zügellosen Rotte zu Fuß zog er herbei, bezeichnete seinen Weg mit Raub und Brand, achtete nicht Profanes noch Heiliges. Zum erstenmal erschienen auch Wichmann und Ludwig 3. von

*) Chron. Mont. Ser. ad 1180. - Bald nach seiner Rückkehr von Ertheneburg starb der unruhige Bischoff (Anf. 1180) die letzten Unglücksfälle hatten seinen Geist wie seinen Körper gebeugt.
**) Fälschlich setzt Böttiger pag. 329 diesen Kampf nach 1177. Warum? ist früher nachgewiesen.

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Thüringen *) im Felde. Haldensleben aber wurde von Heinrichs Dienstmann, Bernhard von der Lippe ebenso tapfer als klug vertheidigt. Der sumpfige Boden, die böse Jahreszeit und endlich Entzweiung der Fürsten **) nöthigten diese die Belagerung aufzuheben. Der Cölner entkam sammt seiner räuberischen Rotte nur mit Mühe über die Weser, und dankte es dem Landgrafen Ludwig und dessen Bruder Hermann, daß diese ihn gegen den heranziehenden Herzog Heinrich selbst schützten. An Wichmann nahm dieser nun seine Rache, verwüstete des Erzbischoffs Gebiet an der Bode, ließ durch seine Leute Calwe, und an demselben Tage ***) durch die Slaven, welche er herbeigerufen, Jüterbock verbrennen.



So stand Heinrich am Ende des Jahres 1179 überall siegreich da, und hatte seine Uebermacht die Feinde fühlen lassen. Sie waren ermüdet und hätten unter sich selbst zerfallen einzeln mit Heinrich einen·Vertrag geschlossen, wenn nicht der Kaiser die Eintracht hergestellt, und nun zu rechter Zeit durch Vertheilung der Länder Heinrichs jedem den Lohn angewiesen, um den er den Kampf von Neuem zu beginnen habe. Wie es bis dahin in des Kaisers Interesse gelegen, die Reichsacht noch aufzuhalten,

*) Chron. ant. Erf. ad 1179: Ludovigo nihil sinistri suspicabatur, hortatu improbo ad se in id ipsum illecto (nämlich durch Philipp von Cöln).
**) Die Unterhandlungen der Belagerten und die Anmaaßung Philipps gegen die ostländischen Fürsten bewogen erst diese, dann Philipp, zuletzt auch Wichmann zum Abzuge. Chron. Mont. Ser. Annal. Bosov. ad 1179. Dieses Jahr als das richtige nach Chron. Peg. und Chron. ant. Erf. Das Chron. S. Petri setzt auf 1180 die 2te Belagerung und Arnold 2. cap. 25 kennt nur eine Belagerung. Daß Raumer die erste 1180 setzt, hat er ohne Beleg gelassen.
***) Anonym. Saxo histor. imperat. apud Menken III. pag. III.

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so sah er bei der jetzigen Lage der Dinge sich genöthigt, sie zu vollziehen *) und sofort die wirksamsten Maaßregeln zu ergreifen, die seinem Verdammungsurtheil Eindruck und Folgeleistung verschafften. Wohl wissend, wie sehr die teutschen Fürsten auf Beobachtung herkömmlicher Formen Gewicht legten, ließ Friedrich drei Vorladungen in Sachsen, drei in Baiern an den Herzog ergehen. An hinlänglicher Frist, um auf jede erscheinen zu können, fehlte es weder dort noch hier.



Nicht der Kaiser, mehr die Fürsten schienen das Urtheil zu fordern. Schlau hatte Friedrich deren Zorn durch Zaudern erhöht; nun mußte er durch Selbsthandeln den gesunkenen Muth der Geschlagenen aufrecht erhalten. Die kräftigen Gründe zur Achterklärung wurden nicht allein in Teutschland, sondern auch außerhalb des Reichs, vom Papste und dem Könige von Frankreich anerkannt **), und Heinrich behielt keine andre Hilfe als die ihm eigne Macht verlieh. Nicht einmal seine nächsten Anverwandten, Heinrich von England und Waldemar von Dänemark, unterstützten ihn, wie man es erwartet hätte. Den Einen

*) Die Achtserklärung, wenn sie je schriftlich bestanden, ist nirgends aufzufinden. Zu Braunschweig, Hannover, Wien, München und andren Orten suchte ich vergebens darnach. Ihr Inhalt kann aus dem Eingange von Philipps Belehnungsdiplom ersehen werden. S. Böttiger pag. 344, Anmerk. 393.
**) Böttiger, Raumer, Luden, so verschieden auch sonst in ihren Berichten und Ansichten, stimmen darin überein, daß der Papst für Friedrich mehr als für Heinrich getan habe. Die Gründe mußten sie mehr aus sich als aus den Quellen entnehmen. Raumer meint, der Papst und seine Legaten seien durch Friedrichs Gründe überzeugt. Luden beschuldigt Alexander eines Einverständnisses mit Friedrich gegen Heinrich den Löwen. Wer von ihnen kann seine Behauptung beweisen? Daß Alexander nicht anders handeln konnte, folgt so klar aus der damaligen Lage der Dinge, daß andre Motive dafür zu suchen, oder Hypothesen aufzustellen, überflüßig scheint.

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fesselten innere Unruhen, den Andren theils Furcht vor dem Kaiser, theils auch Neid über die Macht Heinrichs, mit welchem in ein enges Verwandtschaftsverhältniß zu treten ihn mehr die Noth als die Neigung veranlaßt hatte. Niedrige Leidenschaften seiner Feinde und – allzugroßes Vertrauen auf eigne Kraft stürzten Heinrich in sein Verderben.




Vierter Abschnitt.
Die Achtsvollstreckung durch Friedrich und die nordteutschen Fürsten (1180 und 1181).


Als 1180 zu Würzburg (Anfangs Januar) vom gesamten Reiche die Acht über den Herzog verhängt worden, mußten die Fürsten denselben als Reichsfeind betrachten, und mit Geld und Truppen wie zu einem Reichskriege beisteuern. Noch war aber, so scheint es, über die Vertheilung der Länder des Geächteten nicht Alles festgesetzt worden. Die vielen Bewerber ohne Zweifel machten dem Kaiser die Wahl, welche er bei Vergebung der Herzogthümer treffen sollte, schwierig, und sein Verfahren durfte nicht eigenmächtig, nur gerecht und billig erscheinen. Deßhalb trat noch einmal eine Verzögerung in Vollstreckung der Reichsacht ein. Die Fürsten kehrten von Würzburg heim, und Jeder der bereits mit Heinrich im Kampfe Begriffenen schloß mit diesem einen Waffenstillstand bis acht Tage nach dem Osterfeste.



Sonderbar erscheint es im ersten Augenblicke, daß der Geächtete darauf eingegangen. Der Beschluß von

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Würzburg konnte ihm unmöglich ein Geheimnis; bleiben *). Genauer betrachtet erkennt man, daß der Waffenstillstand nichts als leere Form war, unter der beide Theile ihr Interesse versteckten. Jedem Geächteten mußte Zeit gelassen werden, sich aus der Acht zu lösen; den nächsten Verwandten und Vasallen desselben, um ihr Erbgut, ehe auch das dem Reiche verfiel, zu retten. Binnen Jahresfrist mußte das geschehen. Daß weder Heinrich noch seine Feinde so lange vom Kampfe ruhen würden, war dem Kaiser wie jenem selbst klar. Doch um zu dem Kampfe, der Heinrichs höchste Macht oder dessen Vernichtung herbeiführen mußte, sich kräftig zu rüsten, bedurften beide Theile Zeit. Es war daher wohl Beschluß und Wille des Kaisers, daß man Heinrich den Waffenstillstand bot; auf diesen einzugehen hatte der Herzog Grund genug. Noch dauerte die raue Witterung fort, noch waren die Kämpfer, die Streitkräfte nicht ganz beisammen. Heinrich wollte von so viel Seiten, als er angegriffen wurde, seine Heeresmassen entsenden, um so vorheerende Züge, wie des Cölners in den vorigen Jahren zu verhindern. Erst wenn auch die Gegner ganz gerüstet, konnte er sie vernichten; denn im vorigen Jahre hatte ihr Auseinandergehen ihn von einer glänzenden Waffenthat abgehalten. Seine Macht war concentrirter als die ihrige; waren seine Gegner entschieden aus dem Felde geschagen, woher sollte sich gleich ein zweites Heer bilden, um dem Sieger den Weg zu hemmen? Und waren die Fürsten muthlos und gedemüthigt, dann mußte der Kaiser ihm sich nachgiebig

*) Also ihm auch keines daraus gemacht werden, wie Luden a. a. O. pag. 410 es will.

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zeigen, wie er es in Italien gegen Papst und Lombarden gewesen war. Viel durfte Heinrich auch von der Rivalität seiner Gegner erwarten, die, wie er wußte, um seine noch ungeschmählerte und stark verwahrte Habe sich stritten. Mancher war vielleicht schon unmuthig über des Kaisers Zögern, oder erblickte eigennützige Pläne in dem Verfahren desselben. Wenn der Eine oder der·Andre der Gegner nur wankte, nur zauderte oder nicht Partei nahm, war für den Herzog schon Gewinn. Zu verschenken hatte er freilich keine Lehen und Würden, wie Friedrich es gethan. Zu Bitten, Bestechungen, Versprechen mochte der Stolze, konnte der Geächtete natürlich nicht seine Zuflucht nehmen. Nur abwarten, beobachten, zu rechter Zeit losbrechen war seine Sache. Auch außerhalb Teutschlands konnte er noch auf Freunde rechnen. Blieben auch der Papst und die Lombarden den Verträgen treu, weil sie miteinander zerfallen waren, so hatte doch Heinrich 2. von England damals den König von Frankreich und den·Grafen von Flandern gegen Friedrich aufgereizt, und Heinrich hoffte auf deren entschiedene Schritte wider den Kaiser. Allein dieser, unermüdlich, größer, umsichtiger als je, hatte sechs Wochen nach dem Reichetage zu Würzburg die Fürsten nach Gelnhausen *) berufen. Hier vollzog er, was zu Würzburg beschlossen. Gespannt sahen die Fürsten dem entgegen; Friedrich schlau genug befriedigte nur die am

*) Annal. Bosov. ad 1180: Ante Pascha XIV. noctes. Godofr. Mon. ad 1180: In media quadragesima; 6 Wochen würden demnach zu wenig seyn, falls der Würzburger Reichstag sich nicht sehr in die Länge gezogen. Auch der Gelnhauser muß lange gewährt haben, wie man aus der Urkunde Friedrichs an Philipp von Cöln schließen darf. Ihr Schluß lautet: Date in solemni curia Geilinhusin in territorio Moguntino Idibus Aprilis.

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Dringendsten forderten und am Thätigsten mitwirken sollten; er entschied nur über Sachsen, und erreichte, indem er es der vielen Bewerber wegen theilen zu müssen schien, seine eigne Absicht, die Schwächung des übermächtigen Herzogthums.



Drei Fürsten, durch Blutsverwandtschaft oder Freundschaft ihm nahestehend, forderten die Belehnung mit Sachsen. Bernhard von Ascanien, als der vornehmste der sächsischen Grafen, die wider Heinrich sich ausgelehnt, ein Sohn Albrechts des Bären, der einstmals schon zum Herzog von Sachsen ernannt worden, ein Bruder mächtiger Fürsten in Nordteutschland, glaubte die ersten Anrechte zu haben, und der Kaiser konnte und wollte ihm, seinem Verwandten die Anrechte nicht absprechen *).



Andrerseits war Philipp von Cöln für Dienste in Italien und Teutschland, für Aufopferungen und Feldzüge, ja für Frevel und Greuel, die er zu Gunsten des Kaisers auf sein Gewissen geladen **), längst mit einer angemessenen Belohnung und Länderentschädigung hingehalten worden. Er verlangte die angrenzenden Theile des durch Heinrichs Acht dem Reiche verfallenen Herzogthums Sachsen

*) Den Bruder Bernhards, den Markgrafen Otto von Brandenburg überging der Kaiser natürlich, um die Mark nicht mächtig zu machen. Otto mochte es übel nehmen; wenigstens zeigte er keinen thätigen Antheil am Kriege wider Heinrich. Indessen konnte er, aus Rücksicht für seine vom Kaiser bedachten Brüder, auch nicht wider jenen und diese kämpfen.
**) Bei dem bekannten Rangstreit zu Mainz zwischen Philipp von Cöln und Abt Konrad von Fulda, wobei Friedrich sich letzterm hinneigte, klagt Philipp dem Kaiser unter andern nach Arnold III. cap. 9.: Ecce in servitio vestro consenui, et certamen, quod vobis certavi, testantur cani capitis mei, in periculo vitae meae, et quod majus est, pro dolor, animae meae tribulationes et angustias multas transivi, nec aliquando pro honore imperii mihi vel rebus meis peperci.

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Auf ihn mußte Friedrich Rücksicht nehmen, wollte er nicht den Freund in den unversöhnlichsten Feind verwandelt selten.



Dem Blute und Herzen am nächsten stand Ludwig von Thüringen, der Sohn eines Mannes, der bis zum Ende seiner Tage dem Hause der Hohenstaufen treu und eifrig in Teutschland, Italien, Polen gedient hatte, und dieser Sohn selbst war ein Jüngling, auf dessen Ergebenheit der Kaiser stets zählen durfte, auch wo Ludwigs Herz eine andre Wahl als Friedrich getroffen hätte. Auch Ludwig machte, als Fürst, der in weiterm Sinne zu Sachsen gehörte, an das Herzogthum Anspruch. Da Friedrich nicht einem der eignen Söhne das wichtigste und mächtigste aller Lehen in Teutschland zuweisen konnte, wem hätte er es lieber übertragen als dem Sohne seiner Schwester Jutta *)?



Der Kaiser, um seine Absicht mit den Anforderungen der drei Bewerber zu vereinen, konnte zu nichts Besserm als einer Theilung schreiten. Mochte auch Bernhard auf da Ganze gerechnet haben **), er sah wohl ein, daß wenn der Kaiser nicht die Kämpfer, welche wider

*) Daß diese nicht des Königs Konrad, sondern des Herzogs Friedrich von Schwaben Tochter gewesen, ist hinlänglich von Andern erwiesen.
**) In der Urkunde für Philipp von Cöln, (deren Original im Berliner Staatsarchiv, Abdrücke in Orig. Guelf. VII. Cap. 1 §. 82. pag. 101, bei Schaten I. 350 und sonst noch zu finden) heißt er gleich diesem Herzog von Engern und Westphalen. Später nannte er sich Dux Saxoniae. Es scheint, er habe Anfangs nur einen grossen Titel bekommen, dem der Kaiser später einigen Gehalt durch Ländereien Heinrichs gab. Doch währte, als die Welfen wieder zu größerm Besitz in Sachsen kamen, der Streit über Mein und Dein mit ihnen lange fort. S. Orig. Guelf. a. a. O. pag. 106 Anm. aaaa). Beckmann, Anhaltinische Historie V. Weiße, Chursächs. Staaten II. Abth. 4. Abschnitt 2.

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Heinrich aufgetreten und dessen glühenden Zorn geweckt hatten, vereinte und leitete, wenn er gar mit dem Herzoge - was ihm und vielen Fürsten noch möglich, ja aus dem Zaudern des Kaisers zu entnehmen, wahrscheinliche Absicht schien - sich aussöhnte, dann für ihn kein Gewinn zu hoffen, vielmehr die ganze Rache Heinrichs zu fürchten war. Ihn, der nicht eben großen Geist besaß, konnte die Furcht vor dem Gegner bewegen, mit weniger als dem ganzen Herzogthume zufrieden zu seyn. Auch Philipp von Cöln durfte mehr nicht fordern, als er - ein Geistlicher zu einem weltlichen Herzogthume gelangend - erhielt. Dem Landgrafen Ludwig wies der Kaiser so viel als möglich zu. In der Pfalzgrafschaft Sachsen, die durch Adalberts von Sommerschenburg Tod (Ende 1178 oder Anfangs 1179 *) erledigt war, erhielt jener zwar keinen bedeutenden und zusammenhängenden Territorialbesitz, doch eine Würde, die, in ehemaliger Bedeutsamkeit wieder hergestellt, die getheilte Macht der Herzogsgewalt leicht überragen konnte. Denn den alten Pfalzgrafen von Sachsen war einst den billungischen Herzogen gegenüber ein Amt übertragen, das die Losreißung
Sachsens vom teutschen Reichsverbande, wofern die Amtsführer ihrer Bestimmung entsprachen und nicht mit den Landesfürsten zum Nachtheil des Reichs sich verbanden, unmöglich machte. Wie der Pfalzgraf am Rhein während eines Interregnums das übrige Reich verwesete, so der sächsische Pfalzgraf die Provinz Sachsen **) im weitesten

*) S. Böttiger Anm. 398 und meine Dissertation de Palatinatu Hermanni I. pag. 28 Anm. 48.
**)S. Hüllmann Geschichte des Ursprungs der Stände in Teutschland S. 320

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Sinne dieses Wortes. Zu Friedrich Barbarossas Zeiten hatten freilich die sächsischen Pfalzgrafen – überdieß aus zwei Geschlechtern des Landes – ihre eigentliche Bestimmund verloren, und alle eigenmächtige Gewalt war den Herzogen zugefallen. Doch Friedrich, an den Vortheil denkend, den das Pfalzgrafenamt in treu ergebenen Händen ihm gewähren konnte, erkor sich in Ludwig *) und dessen Hause Pfalzgrafen, die sich neben den neuen Herzogen, wenn nicht über sie erheben sollten.



Auf dem Hoftage zu Gelnhausen ward von allen Fürsten dem Kaiser Unterstützung wider den Reichsfeind zugesagt; und er gebot, daß Jeder zur allgemeinen Heeresfolge bis zum Feste St. Jacobi sich fertig mache. Darauf begab er sich nach dem Rhein **), um auch dort Maaßregeln

*) Es scheint mir beachtenswerth, daß in der Urkunde Philipps Ludwig als Pfalzgraf von Sachsen vor Bernhard unter den anwesenden Zeugen steht. Zwar wird in Urkunden nicht immer die Rangordnung strenge befolgt; gleichwohl beobachtete man schon im 12ten Jahrhundert eine gewisse Etikette, und bei einer kaiserlichen Belehnungsurkunde, wie diese, welche drei Fürsten im Besitz von Ländern und Würden angiebt, die vordem Einer besessen, werden hohen Würde und Rang jener nicht gleichgültig gewesen seyn. Bei Durchsicht aller Namensunterschriften in dem bezeichneten Diplome (obwohl das Orginal in Berlin sehr beschädigt, sind doch die Zeugen ganz deutlich zu lesen) wird man die strengste Rangfolge bemerken. Sollte nur der Landgraf sich hier vorgedrängt, oder der Zufall bei ihm es so gefügt haben, während alle Andern den gebührenden Platz einnehmen? Daß er bisher mehr gewesen als Bernhard, konnte jetzt nicht mehr entscheiden, wo jeder in seiner neuen Würde sich·unterschrieb. Daß Ludwig selbst den pfalzgräflichen Titel den eines Landgrafen von Thür. voraussetzt, bestätigt meine Ansicht, daß Friedrich großes Gewicht auf das Pfalzgrafenamt gelegt. Spätere Landgrafen setzten das Comes Palatinus Sax. stets nach, oder ließens ganz fort. Denn, was auch der Kaiser mit Ludwig vorhatte, diesen traf bald ein Unfall, der ihn für seinen Oheim unkräftig machte, und Friedrich ward genöthigt nach geleisteten Diensten zu lohnen.
**) Vom 29. März bis 13. April scheint Friedrich in Gelnh. verweilt zu haben. S. Gudeni Sylloge I. 470 und 71 Annal. Bosov. Miraei opus diplom. II. Urk. 74.

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wider Heinrich zu treffen. Damit ihm dieser keinen Feind im Westen erwecke, hatte er die Anschläge König Heinrichs von England, nämlich den König Philipp von Frankreich und den Grafen Philipp von Flandern zum Beistande des .Herzogs aufzureizen, durch Gegenbemühungen vereitelt. In Graf Heinrich von Troyes fand er den geschicktesten Vermittler. Den Vorstellungen dieses Mannes gelang es, dem Könige von Frankreich die Furcht zu benehmen, als ob auch ihm von dem Kaiser Gefahr drohe. König Philipp hegte bald friedliche Gesinnungen, der Graf von Flandern trat ihm bei, und jeder von ihnen sandte nun Boten an Friedrich, die diesen zu Sinzig antrafen, und die Versicherung ihrer Herren ablegten, daß beide keinesweges in der Aechtung Heinrichs Grund fänden, das früher bestandne friedliche Verhältniß mit dem Kaiser zu brechen.



Somit blieb der Herzog auf seine eigne Kraft verwiesen,doch diese schien ihm selbst auch groß genug, um unverzagt der Acht und allen Feinden zu trotzen. Ja, er wartete nicht bis die Gegner ihn angriffen und bis Friedrich vom Rheine zurückkehre, um an dem Kampfe selbst thätigen Antheil zu nehmen. Sobald die Zeit des Waffenstillstandes abgelaufen, stellte er drei Heere ins Feld. Das eine bestand aus wilden Slavenhorden, die unter Verheerung und Plünderung zwischen der Oder und Elbe bis tief in die Lausitz eindringen, und die östlichen Feinde des Herzogs beunruhigen sollten. Ein zweites bildeten die Grafen Adolf von Holstein, Bernhard von Ratzeburg, Bernhard von Welpe, Gunzelin von Schwerin, die Brüder Ludolf und Wilbrand von Hallermund und Andere,
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welche in Westphalen gegen die unter des Cölners Schutz vereinten Grafen Simon von Teklenburg, Hermann von Ravensberg, Heinrich von Arnsberg, Wittekind von Schwalenberg rückten, und einen vollständigen Sieg bei Osnabrück erfochten *).



Alles aber überstrahlten die Thaten, welche Heinrich selbst an der Spitze des dritten Heeres vollführte. Zwar gelang es ihm nicht, Goslar, die reichste Stadt Sachsens, die er so gern seinem Gebiete einverleibt hätte **), die aber stets zu seinen Feinden sich gehalten ***), im Sturm einzunehmen.



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Eine langwierige Belagerung schadete seinem Plane. Doch zerstörte er die Schmelzhütten und alle Anstalten des Bergbaues, um die Bürger seinen Zorn fühlen zu lassen, und dem Kaiser zu zeigen, daß ein tapfres Schwert wirksamer als die Reichsacht sey. Den Schutz Goslars ****) hatte Friedrich dem Landgrafen aufgetragen, dem es als Pfalzgraf und als Stellvertreter des Kaisers zukam, die Reichsstadt zu bewahren +). Er erfüllte seine Pflicht. Um an ihm sich für den mißglückten Ueberfall zu rächen, brach Heinrich in Thüringen ein, verwüstete auf seinem Marsche Alles, eroberte und verbrannte die Reichsstädte Nordhausen und Mühlhausen ++), und zog nach

*) Arnold a. a. O. cap. 27.
**) Weßhalb er zu Partenkirch sie in der Drangsal des Kaisers dem Reich entziehen wollte, und dadurch Friedrich empfindlich reizte.
***) Im ersten Kriege 1167, sowie jetzt.
****) Nach Gobelin Chronik und Historie der braunschweigischen Fürsten Blatt XIX. hatte Friedrich alle sächsischen Fürsten nach Goslar berufen; dort überfällt sie Heinrich.
+) Chron. S. Petri zum genannten Jahre.
++) Einige Chronisten nennen nur Nordhausen (oder Koniges Nordhausen bei Arn. II. cap 30) und lassen Mühlhausen erst in Asche gelegt werden, als Heinrich die dorthin fliehenden Thüringer verfolgte. Vergl. Luden XI. 246 Anmerk. 12.

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einigen Tagen mit Beute beladen wieder aus dem Lande. Da eilte Ludwig auf die Botschaft von dem Vorgefallenen herbei, vereinigte sich so schnell als möglich mit den kaum zusammengerafften Schaaren seines Bruders Hermann und mit dem neuen Herzoge Bernhard. Alles stand auf dem Spiele; Ehre und Gewinn, Schmach und Verlust. Es galt Ritterlichkeit dem gegenüber zu beweisen, den als den Tapfersten Teutsche, Lombarden, Slaven und Sarazenen gepriesen; es galt noch dem Kaiser zu zeigen, daß Pfalzgraf und Herzog der neuen Würde dem Gegner gegenüber Ehre zu machen im Stande seyen.



Bei Weißensee holte er die Schaaren des bereits zurückkehrenden Herzogs ein. Dieser wandte sich, erfreut, endlich den Feind in offnem Felde zu treffen, der in den Bergen Thüringens ihm mehr Gefahr hätte bringen können *).



Voll Erwartung, doch voll Kampfeslust sahen beide Theile der Schlacht (am 15. Mai) entgegen. Heinrich sprach vor derselben Worte der Ermuthigung an seine Ritter, Getreuen und Verwandte. Er ermahnte sie der oft erprobten Tapferkeit auch jetzt eingedenk zu sehn. Er erinnerte sie an die Schlachten ihrer und seiner Vorfahren, die einst, wie er jetzt, dem Reichsoberhaupte mit Kühnheit und Glück die Spitze geboten **). Noch früh am

*) Aus Chron. S. Petri ad 1180 und Chron. ant. Erf. ad. d. a. Chron. rhythm. Princ. Brunsw. cap. XXXV erhellt deutlich, daß Ludwig ausserhalb seines Landes war, und von Goslar her gegen Heinrich aufbrach. Weißensee als Ort der Schlacht nennen Annal. Bosov., Chron. Pegav. - Chron. S. Petri sagt nur in confinio ipso Thuringiae.
**) Die weitläufige Beschreibung des Treffens in Chron. Rhythm. Princip. Brunsw. cap. XXXV. beruht sicherlich auf historischen Nachrichten.
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Morgen war es, die aufgehende Sonne umstrahlte vieler Ritter Schilde und Helme, als beide Heere einander entgegenzogen. Noch ehe die Sonne sank, war die Schlacht durch Tausender Tod entschieden. Doch nicht ohne Erfolg; denn vollständiger, glänzender war noch kein Sieg von Heinrich erfochten. Unbesonnenheit der feindlichen Führer, Feigheit der Thüringischen Rotten erleichterten denselben. Denn weder war die ganze Heeresmacht, welche die Thüringischen Brüder und Bernhard von Ascanien entboten hatten, beisammen, noch eine gehörige Vereinigung und Verabredung der drei Führer vor dem Treffen vorausgegangen. Ja selbst in der Schlacht scheint die größte Planlosigkeit stattgefunden zu haben. Den Herzog auf dem Rückzuge anzugreifen *), ihm eine vortheilhafte Stellung auf den Anhöhen von Weißensee zu lassen **), zeigt mindestens von voreiliger, nutzloser Kampfbegier. Die Schaaren der Thüringer waren freilich zahlreich ***), aber ungeübt und muthlos zum Kampfe. Gleich im Anfange der Schlacht ergriffen die Vordern, die, wie es scheint, aus schnell zusammengerafftem Volke bestanden ****), die Flucht. Der erste glückliche Erfolg erhöhte den Muth von Heinrichs Kriegern. Sie tödteten ohne Gnade, oder trieben vor sich her, was einmal geschlagen war oder erst zum Treffen sich sammeln wollte. In der Ebne aber hielten Ludwig, sein Bruder Hermann und eine erlesne Schaar

*) Histor. de Landgrav. cap. 24: Ducem Henricum jam abeuntem insequitur. Aehnlich Chron. S. Petri ad 1180.
**) Chron. rhythm. Princ. Brunsw. a. a. O.
***) Arn. Lub. II. cap. 30
****) Hist. de Landgrav. a. a. O. Collecta, quanta poterat, (Ludovicus) multitudine pro tempore. Ebenso Chron. S. Petri.


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von Rittern. Mit dem rühmlichsten Heldenmuthe *) suchte der Landgraf die Niederlage der Seinen aufzuhalten, und warf sich, entschlossen zum Aeußersten, mit Wenigen der größern Menge entgegen. Das Beispiel des Führers befeuerte die kleine Schaar, und noch einmal erhob sich ein mörderischer Kampf. Endlich erlagen die Fürsten und Ritter, die Ludwig zur Seite hielten, der immer wachsenden Anzahl der Feinde, die von der Verfolgung der Fliehenden zurückkehrend auf die noch Widerstand leistenden von allen Seiten eindrangen. Da ergab sich Ludwig mit den Seinen der Gnade des Siegers, der ihren Muth ehrend den frühern Befehl, keines Leben zu schonen, zurücknahm. Der Landgraf, sein Bruder Hermann und alle noch Uebriggebliebnen, deren Zahl wie gewöhnlich in solchen Fallen schwankend zwischen 400 und 600 angegeben wird, ergaben sich als Gefangene. - Doch erst auf einem Flügel war der Sieg erfochten. Auf dem andren hielt noch Bernhard Stand. Kein Angriff der Herzoglichen vermochte ihn aus seiner Stellung zu bringen. Erst als die Nachricht von der Niederlage der Thüringer zu ihm gelangte, trat er den Rückzug in bester Ordnung an **).



Solch ein Sieg über Gegner, die sein Herzogthum

*) Chron. ant. Erf. ad 1180. Suis enerviter terga vertentibus ipse cum paucis fortiter faciens et, ut ita dixerimus, velut quondam Mackabaeus gloriae suae fugiendo crimen inferre nolens contra priscae virtutis insigne et grebrae gloria victoriae, quibus citra Alpes (Wann wäre das gewesen? Wohl eine Verwechselung mit Ludwigs Vater) et hac terra saepe numero claruit ect.
**) Die Schlacht führen vornehmlich an Chron. S. Petri ad 1180, dies pridie Idus Maji. Arn. II. cap. 30 setzt den Einfall Heinrichs in Thür. adveniente Majo, woraus sich ungefähr abnehmen läßt, wie lange Heinrich in Thür. gestanden. Tief in die Berge ist er wohl nicht gedrungen. Chron. ant. Erf. a. a. O. Monum. Landgr. Thur. ap. Menken II. 813, wo der Ort in Campo Eichsfeldo angegeben. Chron. Staderb. Ad 1180. Spangenberg sächs. Chronik pag. 394, wo fälschlich 1182, wie in Engelh. ap. Leibn. II. 110 1179. Bothe Chron. Thur. Menken II. 1688, Ursin. ibid. III. 1271 und jüngere Chronisten.

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schon unter sich zu theilen gehofft, mußte Heinrich wohl erheben, und in seinem Hause, wo man seit der Aechtung mit Besorgniß und Bangen den feindlichen Rüstungen entgegengesehen, Freude und Jubel erregen *). Mit so reicher Beute, mit so angesehenen Gefangenen sah Braunschweig seinen Fürsten noch nie zurückkehren **). Zwei nahe Verwandte des Kaisers, der seine Länder vertheilt und ihn geächtet, waren der höchste Triumph für den stolzen Löwen. Und nicht bloß er selbst, auch die früher genannten Grafen, die bei Osnabrück über Heinrichs Feinde gesiegt, führten reiche Beute und angesehene Gefangene ***) mit.



Heinrich stand auf dem Gipfel seiner Größe. Doch leider! von ihr zum tiefen Abgrund führt ein Schritt. Nicht ohne Schuld ist er selbst dabei gewesen. Allzu herrisch drang er bei Adolf von Holstein auf Auslieferung seiner Gefangenen, und verwandelte einen getreuen und tapfern Anhänger in einen gefährlichen Gegner. Anstatt die Siege wider die alten Feinde zu nützen, den Bund der vom Kaiser aufgebrachten Fürsten zu trennen, ja Friedrich selbst, der noch ungerüstet dastand, zu überraschen,

*) Arn. a. a. O. Exaltatus est Dux die illa et factum est gaudium et exaltatio in domo ejus.
**) Eben daselbst. Reversus est Brunswig cum infinita turba captivorum et spoliis multis.
***) Der vornehmste der Gefangenen, Graf Simon von Teklenburg wurde von Heinrich hart behandelt, sogar in Kerker und Ketten gelegt, und erst nach einem strengen Eid der Treue entlassen. Den Eid brach Simon nicht; um so schimpflicher, daß früher sehr ergebne und von Heinrich mit Wohlthaten überhäufte ihren Herrn verließen. S. Orig. Guelf. lib. VII cap. 1. §. 86.

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mußte er nun gegen einen innern hartnäckigen Gegner sich wenden, den er zwar besiegte, doch der ihm Zeit und Kräfte raubte.



Im Jahre 1180 finden wir nach den erzählten Kriegsthaten keine andre mehr, weder von Seiten Heinrichs noch der seiner Feinde. Die Zahl dieser ward im folgenden Jahre noch durch einen seiner Vasallen vermehrt. Der Graf Bernhard von Ratzeburg war in den Verdacht gekommen, dem Leben des Herzogs Nachstellungen bereitet zu haben. War die Anschuldigung auch nicht ungegründet gewesen *), so erscheint es mindestens unklug von Heinrich, daß er in seiner Lage nicht lieber durch ein großmüthiges Verfahren seinen Vasallen entwaffnete, statt daß er durch Mißtrauen und nicht völlig erwiesene Anklagen denselben zum offnen Feinde machte. Und welch ein neuer Zeitverlust, wenn er erst Ratzeburg lange vergebens belagerte, dann zwar vom Grafen selbst gegen Freilassung die Veste erhielt, doch vom Neuem mißtrauend wider Gadebusch zog, von wo der Verfolgte glücklich zu Bernhard von Ascanien entkam, und als der erste den Schutz des neuen Sachsenherzogs wider den alten Lehnsherrn suchte **). Bald sollte Heinrich auch noch andre Vasallen von sich abfallen sehen, weil die Furcht vor dem Kaiser nicht durch die treue Anhänglichkeit an den Herzog, welche dieser selbst durch Mißtrauen, durch Härte und Strenge, durch stolze und ungerechte Behandlung geschwächt hatte, aufgewogen wurde.

*) Arn. II. cap. 33, wo die Vorfälle mit Bernhard erzählt sind, sagt: Quum ad objecta nihil digne praetenderetur, etc.
**) Später machte freilich der Herzog Bernhard durch Unklugheit den Grafen Bernhard, so wie andre Ministerialen und Lehnsträger des Herzogthums sich wieder zu Feinden.

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- Auch das wankelmüthige Glück entzog ihm da Freunde und Anhänger, wo er ihrer bedurfte. Wie der König Waldemar von Dänemark, Philipp von Frankreich und Philipp von Flandern nicht die erwartete Hiifleistung zusagten, ja den Bemühungen der kaiserlichen Unterhändler es gelang, mehr und mehr alle drei Fürsten in Friedrichs Interesse zu ziehen *), so verlor Heinrich durch den Tod noch zwei **) treue Freunde, den Fürsten Casimir von Pommern ***) und den Obotriten Prebislav ****). Die Nachfolger Beider suchten in der Freundschaft des Kaisers größre Ehre und reichern Gewinn.



Dem Herzog Heinrich Geringschätzung der Gefahr, in der er noch immer schwebte, oder Vernachlässigung seiner Staaten, oder gar Trägheit in seinen Rüstungen vorzuwerfen, widerspricht dem Bilde, welches aus den Thaten, den Gesinnungen, dem ganzen Leben des Mannes uns entgegenstrahlt. Er kannte Friedrichs energischen Sinn zu gut, und hatte ihn als Freund zu hoch geachtet, um nun als Feind ihn zu verachten. Allein er glaubte auch des Kaisers Sinn, sein rastloses Streben wider den Papst

*) Mit Waldemars Töchtern verlobte Friedrich vor Lübeck 1181 einen seiner Söhne - einige nennen Heinrich, andre Friedrich - und den Grafen Siegfried von Orlamünde, einen Enkel Albrecht des Bären. Doch nur bei Siegfried entstand aus dem Verlöbniß ein Ehebündniß; die andre Verbindung zerschlug sich später, vielleicht weil der Kaiser zu großes Heirathsgut gefordert hatte, das Waldemars Nachfolger nicht gesonnen war zu geben.
**) Auch in Heinrich von Kefernberg , der 1178 gestorben, hatte er viel verloren.
***) Chron. Mont. Ser. 1180 und Arn. II. cap. 31. Fälschlich nennt Saxo Gramm. ihn noch 1182 am Leben, oder Casimir hatte noch einen jüngern Bruder gleiches Namens.
****) Prebislav fand seinen Tod in einem Turnier, das Heinrich zu Lüneburg veranstaltet (zu Ende des Jahres 1180). Das Geschick rächte sich für den übergroßen Siegesrausch schon an den Siegesfesten.

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und die lombardischen Städte, sein Ringen nach unumschränkter Herrschergewalt erkannt zu haben; und unwahrscheinlich dünkte ihm, daß er dieses Ziel aufgegeben, um ihn zu vernichten, um in Teutschland eine neue Ordnung der Dinge einzuführen. Nicht lange, meinte Heinrich, könne Friedrich den Sieg der Kirche, die Freiheit der Lombarden ertragen; bald zöge es ihn wieder nach Italien; sein Zorn wider ihn sei nur Maske, oder werde der Ehrfucht weichen; der Kaiser wolle ihn nicht vernichten, weil er seiner bedürfe, und - fügte Heinrichs Stolz hinzu, - er vermöge es auch nicht, wie der bisherige Erfolg deutlich bewiesen. Daß Friedrich damit umgehe, selber ihn anzugreifen, ihm Baiern und Schwaben wegzunehmen, mochte er für wahr halten. Doch an Baiern, an allen südteutschen Besitzungen lag ihm nichts mehr. Bei günstiger Gelegenheit, wenn Friedrich in Italien stand, konnte er das Verlorne mit Gewalt wieder nehmen, oder den Kaiser zwingen, ihm wieder herauszugeben, was ihm einmal zuerkannt sey oder zu eigen gehöre. Jeden Angriff auf Sachsen aber mußte er zurück schlagen. Hier galt es sich stark und unangreifbar zu machen. Darauf allein war seine Sorge gerichtet, und mit gewohntem Eifer, mit Aufwand aller Kräfte, mit ganzer Strenge treffen wir ihn darum bemüht.



Mehr wie einen Angriff, einen Feldzug des Kaisers durfte er nicht befürchten. War dieser Sturm abgeschlagen, und seine Unbezwinglichkeit bekundet, so mußte der Kaiser seinen Plan ihn zu vernichten aufgeben, und ihn im Besitze Sachsens lassen. Denn woher sollte Friedrich neue Kräfte wider ihn aufbringen? Waren die erbitterten

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nordteutschen Gegner stark genug ihm Etwas anzuhaben? Hatte er nicht sie alle wiederholentlich bedrängt, geschlagen, ja zwei nahe Verwandte und mächtige Helfer des Kaisers gefangen? Oder sollte der Kaiser den Süden wider den Norden entbieten? Noch war keinem Kaiser solcher Kampf geglückt. Und brauchte Friedrich diese Kräfte vorerst nicht in den südlichen Ländern des Herzogs, dann zu neuen Kriegen in Italien? Oder konnte derselbe nach fast dreißigjährigem Kampfe, nach der Gesinnung, welche Heinrich stets bei ihm gefunden, Papst, Lombarden, Italien aufgeben? Noch immer stand der Erzkanzler Christian von Mainz, der rechte Arm des Kaisers, mit Kriegsmacht in Italien, gerieth 1180 in Gefangenschaft, was den Feinden Friedrichs, vor Allen den auf ihn und den Papst erbitterten lombardischen Städten neue Lust zum Kampfe gab. Es stand zu erwarten, daß die Letzteren nicht länger als bis zum Ablauf des Waffenstillstandes ruhig bleiben würden; ja wider befreundete Anhänger des Kaisers lagen sie schon zum Theil in sehr erbitterter Fehde. Nur bis 1183 brauchte Heinrich sich des errungenen Glückes zu erfreuen, und Friedrich war genöthigt, jedes Vorhaben wider ihn aufzugeben.



War also Sachsen zur Abwehr aller Feinde vorbereitet, so brauchte Heinrich nichts Andres zu unternehmen. Um sich in wirksamen Vertheidigungszustand zu setzen, wurden die Vesten des Landes verstärkt, Neue errichtet *), ein kriegserprobtes Heer umgab den Starken. Keinen

*) Besonders stark befestigt wurden Braunschweig, Lüneburg, Blankenburg, Haldensleben, Bardewik, Lübeck, Stade, Ertheneburg, und die den Grafen Adolf und Bernhard abgenommenen Sigeburg, Ploene, Ratzeburg. S. Arn. II. cap. 33, 34 und 36.

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hatte er zu scheuen, wenn nicht Verrath im eignen Lande ihn verdarb. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, darf Heinrichs Verfahren wider Adolf von Holstein und Bernhard von Ratzeburg nicht so strenge beurtheilt werden, als es auf den ersten Anblick scheint. Weil allzu bedacht, allzu strenge, allzu wachsam Heinrich seine Rüstungen vornahm, beging er unbedachte, unzeitige, ihm selbst nachtheilige Schritte. Daß Zuneigung und Vertrauen jedem Landesfürsten wider überlegne Macht die stärkste Schutzwehr sind, wußte Heinrichs stolzer Sinn nicht. Durch Befehl, durch Strenge wollte er, wie als Feldherr im Lager, so als Oberherr im Lande, Gehorsam und strategische Macht erzwingen. Des Kaisers bald milde lockende, bald strenge drohende Sprache mußte bei Furchtsamen und Wankenden Heinrichs Maaßregeln untergraben, und ihn zu Falle bringen, ohne Schlacht gegen den Kaiser, ohne ihre Heeresmacht, ihr Feldherrntalent wider einander erprobt zu haben.



Denn mit ganz andern Waffen als Heinrich erwartet, hatte, führte der Kaiser den vernichtenden Streit gegen seinen Gegner. Während es Heinrich gewinnbringend seyn mußte mit offner Gewalt die noch nicht völlig gerüsteten, an erhaltnen Wunden darniederliegenden Gegner zu überfallen, zu verfolgen, zu vernichten, so hätte Friedrichs Vorhaben nicht zu so glücklichem Ende gelangen können, wäre er rasch und mit Heeresmacht in Sachsen eingebrochen. Auch er kannte die Beispiele Kaiser Heinrichs 4. und 5., und im Herzoge hatte er oftmals Gelegenheit gehabt, den muthigen Krieger, den klugen Feldherrn zu bewundern. Drei Jahre verweilte Friedrich bereits in Teutschland;

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schon seit 1178 hatte er seinen Unwillen gegen den Herzog blicken lassen, hatte Alles, was er selbst, was Andre an Klagen und Beschwerden gegen denselben vorzubringen wußten, auf Reichstagen und in Proclamationen dargethan, und war immer noch nicht mit der ihm selbsteigen zu Gebote stehenden Kriegsmacht, ja nicht einmal an der Spitze des von den sächsischen Fürsten zusammengebrachten Heeres im Felde erschienen. Schlau war dieß Alles berechnet. Nicht wie Heinrich 4. und 5. rief er die Fürsten des Reichs wider den Herzog auf; nicht dessen Unterthanen bedrohte er zu verderben. Er gab sich den Schein, als ob ihn die Fürsten zur Züchtigung und Demüthigung Heinrichs drängten, doch damit nicht Schuldlose mit dem Schuldigen litten, mußte er Milde, Bitten, Versprechungen gegen die sächsischen Vasallen, gegen das sächsische Volk anwenden. Schon sah er die Folgen mitten auf Heinrichs Siegeswegen. Das verderbliche Gift der Reichsacht, das Banden löset und Thätigkeit hemmt, der mehr und mehr aufflammende und dem Mächtigen verderbendrohende Zorn der Reichsfürsten, liessen den Kaiser mit Sicherheit auf befriedigenden Ausgang hoffen. Nachdem Baiern ohne Widerstand sich seinen Verfügungen zu Regensburg (am 26. Juni 1180) *) unterworfen, war er (Ende Juli) nach dem Norden zurückgekehrt. Bei Heinrichs Unthätigkeit nach Außen durfte er ohne Heer in Thüringen erscheinen, und in dem seiner Fürsten verwaisten **)

*) Chron. Reichersp. hat III. Kal. Julii. Noch am 13. Juli war Friedrich in Regensburg. S. Lünigs Reichsarchiv von Freisingen Nr. 39.
**) Auch Heinrich Raspe, der Bruder Ludwigs und Hermanns war 1180 gestorben. Chron. S. Petri ad 1180.

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Lande das Nöthigste anordnen. Auch Goslar und Halberstadt, die beide durch Heinrich viel gelitten, erhob er durch seine Gegenwart *) wieder. Darauf berief er die bereits gerüsteten sächsischen, östlichen und westlichen Fürsten des Reichs, die schon ungeduldig des Kaisers Befehl erwarteten, um in Heinrichs Land einzubrechen. Das aber lag noch nicht in Friedrichs Plan. Wie die großen Fürsten Sachsens sein Streben unterstützten, so sollten auch die kleinen Vasallen Heinrichs sich von ihrem Lehnsherrn abwenden. Schon jetzt eilten Manche, die Heinrichs Stolz erzürnt hatte, oder die beim Kaiser gleich den andren Fürsten Gewinn hofften, ihm entgegen, und übergaben ihre Vesten **). Noch mehr mußten gewonnen werden. Auf dem Hoftage zu Werl forderte Friedrich alle Vasallen des Herzogs auf, sich binnen gesetzter Frist (bis Martini 1180) dem Reiche zu unterwerfen. Er drohte ihren Ungehorsam an ihnen und ihren Ländern zu strafen ***), ihren Gehorsam mit der kaiserlichen Gnade zu lohnen. Darauf entfernte er sich aus dieser Gegend, nachdem er noch einige Burgen auszubauen oder neu zu errichten befohlen, um auch seinerseits feste Anhaltepunkte zu haben, wenn die Zeit zum Angriffe von Heinrichs sächsischen Landen erschiene, d. h. wenn alle herkömmlichen Formen

*) Wenigstens war er in der Pfalz vor Goslar, Werle, am 15. August nach den Annal Bosov. ad 1180, und am 16. im Halberstädtischen nach Senkenbergs Sammlung II. Urk. 7.
**) Arn. II. cap. 31 sagt: Multi ministerialium Ducis, qui ab incunabulis ab eo educati fuerant, et quorum patres sine omni contradictione ipsi servierant, ut Henricus de Witha, Lupoldus de Hertesburg, Ludolphus de Peina, et plures alii recesserunt ab eo.
***) Ann. Bosov. ad 1180: „ut ipsi et filii eorum jure hereditario abjudicarentur“.

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wider Heinrich beobachtet, des Kaisers Verfahren als das gerechteste von der Welt gepriesen, jeder Vorwurf des Eigennutzes beschwichtigt, viele durch die Acht geschreckt, andre durch lockende Belohnungen bestochen worden waren, und endlich nothwendig der Feind aus seinen noch treuen Burgen und Städten getrieben werden mußte.



In der That, man muß Friedrichs Besonnenheit, Thätigkeit und richtige Berechnung in allen Unternehmutigen wider den Herzog bewundern. Als er bald nach Martini in Erfurt erschien (16. November) *), war der Plan mit Heinrichs Vasallen, wie er es nur wünschen konnte, geglückt. Aus dem Süden und Osten des Herzogthums hatten zahlreiche Grafen und Herren sich und ihre Schlösser übergeben **); Heinrich war fast auf seine Erblande und die slavischen Eroberungen beschränkt, also auf die Länder, welche der Kaiser noch keinem zugesprochen, und wahrscheinlich sich selbst vorbehalten ***), wenn der Gegner es bis zum äußersten kommen ließ. Die gerüsteten Heere der sächsischen Fürsten hatten den Proclamationen des Kaisers Nachdruck gegeben, ausgeführt im Felde aber wohl nichts ****). Jetzt trennte sie der Winter. Heinrich

*) Lindenbrag scrpt. rer. septentr. 168. Westphal. mon.III. 1030.
**) Chron. Mont. Ser. ad 1180 führt ihre Namen an; Chron. Ursp. giebt, ihre Zahl 16 an. Arn. und die Orig. Guelf. a. a. O. setzten die Begebenheit um ein Jahr zu spät. »
***) Die Reichsgüter in Niedersachsen waren unbedeutend oder fast gar nicht vorhanden. S. Wersebes Gauen an verschiedenen Stellen. Die braunschweigischen Lande waren ein guter Erwerb; die Slavenländer gaben dem Kaiser selbst eine Basis zu neuen Eroberungen,·die bis dahin immer nur von Reichsfürsten aus eignen Mitteln, und zu eignen Vortheil gemacht waren.
****) Chron. Ursp. ad A. 1175 erzählt freilich. Coloniensis Philippus et Mogunciensis et Landgravius de Thuringia infra unum mensem de castris ipsius (Ducis), firmissimis sicut relatu didici, XVI. expugnarunt, et ipsum de terra usque Brunswig expulerunt. Das Factum kann nur auf 1180 gehen. Wie aber steht es mit den Personen? Christian von Mainz war in Italien vom Markgrafen von Montferrat, Ludwig von Heinrich gefangen, Philipp seit dem Abzuge von Haldensleben 1179 nicht in Sachsen vorgedrungen. Welche Irthümer von einem Zeitgenossen! denn als solcher findet er sich kurz zuvor an (qui Bernhad Dux etiam usque ad tempora nostra supervixit). Die 16 Burgen sind wohl die von den Vasallen freiwillig übergebnen.

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hatte unterdeß die Fehde mit Adolf von Holstein beschäftigt. Die Veste Haldensleben vertheidigte nach wie vor Bernhard von der Lippe, und da Wichmann und die ostländischen Fürsten durch die Einbrüche der Slaven von Unternehmungen gegen Haldensleben abgehalten waren, so fiel auch hier nichts von Bedeutung vor, es sey denn, daß die Besatzung selbst Streifereien in das Gebiet von Magdeburg machte.



Das Jahr 1181 endlich war vom Kaiser zu großen Unternehmungen gegen Heinrich bestimmt. Jetzt, nachdem er größere und kleinere Verbündete wider Heinrich an sich gezogen, nachdem er in seinem Lande durch die übergebnen und die selber angelegten Vesten Harzburg - einst als kaiserliches Besitzthum Heinrichs 4. so verhaßt – und Bischoffsheim auf dem Hoppelberge bei Halberstadt - das schon von Bischofs Ulrich angefangene und dem Herzog so gefährlich dünkende Werk *) - festen Fuß gefaßt; nachdem in ganz Teutschland die Fürsten, in Italien selbst der Papst für seine Sache gewonnen **),·,jetzt durfte er

*) Chron. Mont. Ser. ad 1180. Arn. II. cap. 32 ist über Harzburg weitläufig.
**) Wenigstens schwieg der Papst und seine Legaten. Der schlaue Kaiser wußte die Sache so sehr zur Reichsangelegenheit zu machen, daß Fürsten und Prälaten als erbitterte Feinde wider Heinrich auftraten. Was vermochte da der Papst einzuwenden, selbst wenn er es gewollt? Diese kluge Politik gab allen Unternehmungen Friedrichs Nachdruck, ihm Vertrauen und kaiserliches Ansehen. Wären nur die Gegenstände letzerm nicht so nachtheilig gewesen!

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in offnem Felde dem nie Besiegten die Stirn bieten. Nach allen getroffnen Anstalten war der Löwe schon umstrickt, so das; kaum die kühnsten Sprünge ihm nützen konnten. Nicht Waffen, kluge Maaßregeln beugten ihn.



Noch verweilte der Kaiser im Süden Teutschlands, wo er ein Heer von Baiern und Schwaben zum Kriege wider Heinrich sammelte, als schon (im Februar) die sächsischen Fürsten, von Wichmann angeführt, vor Haldensleben zogen und ihrerseits Alles aufboten, die Veste einzunehmen, wie andrerseits Bernhard von der Lippe nichts zu ihrem Schutze verabsäumt hatte. Leider brachte, was als Schutzwehr dienen sollte, ihm selbst Verderben. Nicht zufrieden mit den dreifachen Mauern und dem Marschboden, der rings die Stadt umgab, hoffte er jeden Angriff unmöglich zu machen, wenn er durch die beiden Flüsse Ohre und Bibra (Bivera), die sich unterhalb der Stadt vereinten, die Sümpfe in einen See verwandelte. Eines hatte er übersehen: den zu starken Zufluß des Wassers zu verhindern. Wichmann ließ einen Damm bei dem Zusammenfluße von Ohre und Bibra ziehen. Ein kühnes Werk! In weniger als vier Monaten war es vollendet. Das Wasser oberhalb Haldensleben staute empor und drang ringsum in die Stadt ein, wo die Bewohner und die Besatzung sich in die obern Stockwerke und auf die Dächer der Häuser flüchteten. Auf Schiffen drang nun das Belagerungsheer gegen die Mauern. Da die Gefahr von Stunde zu Stunde wuchs, und keine Hoffnung zum Entsatz sich zeigte, konnte Bernhard die Uebergabe der Stadt nicht verhindern. Er bedung sich und seiner Besatzung freien Abzug aus, den er erhielt; wahrscheinlich,

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weil die Belagrer schon durch vier Monate ermüdet waren, und ihnen an der Stadt, aber nichts an Heinrichs Kriegern lag. Die armen Bewohner, die in den wiederholten Belagerungen der Drangsale soviel erduldet, sahen ihre Stadt von Grund aus zerstören *). Schlechter Lohn für ihre Treue! Wer sollte den auch zahlen? Heinrich? - Dem nahte selbst der vernichtende Schlag.



Bald nach der Eroberung Haldenslebens zog der Kaiser mit seinem Heere nach Sachsen. Verabredetermaaßen trafen die Fürsten mit ihren Schaaren ein. Umsichtig und schnell vertheilte Friedrich dieselben vor den Hauptvesten Heinrichs: Blankenburg, Braunschweig, Bardewik, Lüneburg, während er selbst, von vielen Fürsten und Geistlichen begleitet, am linken Ufer der Elbe hinunterzog **).



Wie wenig Heinrich sich auf seine Burgen und deren Befehlshaber verlassen konnte, war ihm schon in vorigem Jahre deutlich geworden. Ein schnödes Beispiel begegnete ihm jetzt. Als er mit einem Theile der Besatzung Ratzeburg verließ, um sich nach der Elbe zu begeben, ereilte ihm noch auf dem Wege die Nachricht, daß die Anhänger des vertriebnen Grafen Bernhard den Rest von Heinrichs

*) Am ausführlichsten beschreiben die zwei Belagerungen von Haldensleben (1179 und 1181, wie die Jahre wohl am richtigsten zu setzen sind) Chron Mont. Ser. ad 1181. Arn. II. 34. Annal. Bosov. ad 1181. Chron. Vet. Cell. ad 1181. Nur an der ersten konnte Ludwig von Thüringen Theil gehabt haben. Daher sind die Worte Orig. Guelf. a. a. O. §. 87. Henricus praecipue succensus erat (nämlich gegen Ludwig) quod is copiis praefuisset, quae Haldeslebiam ceperunt superiori anno, (also 1177) die auf die hist. de Landgraviis cap. 24 gestützt sind, dahin zu beschränken, daß der Herzog dem Landgrafen gezürnt, weil dieser überhaupt an der Belagrung Heinrichs Theil gehabt, besonders aber, weil er den Cölner auf dem Rückzuge beschützt.
**) Arn. und Annal. Bos. a. a. O.
Neue Jahrb. 2r Jahrg. VI.            34

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Besatzung aus der Stadt gejagt, und sich in Besitz derselben gesetzt. Diese Verrätherei zu strafen, zog Heinrich die Besatzungen von Sigeburg und aus dem Holsteinischen zusammen, und wollte gen Ratzeburg aufbrechen, als er den Anmarsch des Kaisers erfuhr. Er hatte denselben noch vor Braunschweig geglaubt, und gehofft, daß die Festigkeit jener Stadt die Kraft der Belagerer brechen werde. In der That hatte des Kaisers Heer der stark ummauerten und reich versorgten Stadt Nichts abgewinnen können, und Philipp von Cöln nach seiner Weise nur durch Brand und Raub in der Umgegend sich bemerkbar gemacht *). Den Herzog selbst zu fangen oder zu demüthigen war Friedrichs Wunsch. Genug der Vesten waren in seiner Gewalt. Es genügte Braunschweig und Lüneburg beobachten zu lassen. Er nahte dem Hauptfeinde. Dieser hatte Anfangs beschlossen dem Kaiser auf dem rechten Elbufer zu begegnen, und ihm den Uebergang zu wehren. Zu spät! Friedrich war herüber; der Herzog schloß sich auf den Rath seiner Getreuen in Ertheneburg ein. Sich lange darin gegen die Uebermacht der Belagerer zu halten, war unmöglich. Aber diesen sollte keine wehrhafte Veste zu Theil werden. Heinrich zündete Ertheneburg an, und setzte mit Mühe auf einem Fischerkahn nach Stade über.



Der Kaiser folgte ihm nicht, sondern wandte sich gegen das wichtige Lübeck; zugleich auch um mit Waldemar und den Fürsten Pommerns in nähere Verbindung zu treten. Waren doch sie dem Herzoge die Gefährlichsten als Feinde, so wie als Freunde die Einzigen, die

*) Orig. Guelf. a. a. O. §. 94. und die dort angeführten Quellen.

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ihn hätten halten können. Letzteres mußte Friedrich verhindern, Ersteres zu bewirken Alles aufbieten. Und seine Pläne glückten. Waldemar und seiner eitlen Gemahlin Sophia schmeichelte es, mit dem Kaiser in eine nahe Verbindung durch Verlöbniß ihrer Tochter mit einem kaiserlichen Prinzen zu treten *). Die Pommernherzoge erhielten mit Zustimmung des Dänenkönigs die Belehnung als teutsche Reichfürsten. Die dem Herzog zwar ergebene, doch noch mehr auf ihre Wohlfahrt bedachte Stadt ergab sich dem Kaiser, als Heinrich sich für unfähig erklärt, ihr neue Hilfe zu schicken. Lübecks Wichtigkeit erkennend, verabsäumte Friedrich nicht ihm manche Freiheiten zu geben, und es zu der ersten aller nordischen Reichsstädte zu erheben **). Das schmeichelte ihren kaufmännischen Bewohnern. So hatte der Herzog auch sie, die er gleichsam neu begründet ***), für deren Aufblühen er Alles gethan, verloren.



Während der Kaiser vor Lübeck lag, hatte Heinrich Stade mit neuen Befestigungen umgeben ****). Die Stadt konnte nun eine lange Belagerung aushalten, und Heinrich im schlimmsten Falle zu Wasser entfliehen.




*) Schon in einer frühern Anmerkung war davon die Rede.
**) Friedrichs geänderte Gesinnung und Politik erkennt man hier vor Lübeck. Im Triumph ließ er sich von Bürgern einführen! Ueber die Privilegien der Stadt s. Arn. II. 35 und Heinrich de primordiis urbis Lubic. cap. 7 und 8. Herman Cornes 732 ut amplius caput essent omnium civitatum maritimarum, et quod consulatus eorum aurum deferre posset, et eo uti, ut milites etc.
***) Durch Adolf v. Holstein. S. Helm. I. 57.
****) Gunzelin von Schwerin betreibt das Werk, aber in seiner harrschen Weise mit vieler Willkür und Härte gegen die Einwohner und namentlich gegen das .Kloster B. V. Mariae, dessen Thürme er niederreißn ließ. Darum fügt der fromme Abt Arnold lib.II. cap. 36 hinzu: sed majorem ruinam per die vindictam operantur.
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Auch dießmal betrogen Friedrichs nächste Unternehmungen Heinrichs Voraussetzung. Nicht vor Stade zog jener, vielmehr lagerte er vor Lüneburg, das er schon einmal, bevor er Heinrich verfolgte, eingeschlossen, doch entweder aus Schonung für die dort im Wochenbette liegende Herzogin, oder weil er Verzug scheute, wieder verlassen hatte. Jetzt war ihm Nichts mehr zu thun übrig als die Hauptvesten einzunehmen, da der Herzog noch durch die vielen Verluste nicht nachgiebig geworden. Weder eigne Unterhandlungen noch Verwendung durch Andre waren ihm Ernst gewesen, und an der Gnade und Milde des Kaisers so wenig gelegen, daß er dessens nahe und werthe Verwandte Ludwig und Hermann von Thüringen, die Anfangs in milder Haft zu Lüneburg gelebt hatten, jetzt in strengerm Verwahrsam auf Sigeburg festhielt *). So mußten die jungen Fürsten, denen des Kaisers Freundschaft die Aussicht zu einer glänzenden Laufbahn erschlossen, schon ins zweite Jahr ihre Gefangenschaft dulden. Das fromme Gemüth Ludwigs suchte im Gebet Trost, und seinem Schutzheiligen Georg vertrauend, gelobte er demselben in seiner Hauptstadt Eisenach eine Kirche zu erbauen, sobald er die Freiheit erlangen würde **). Durch des Kaisers zweite Belagerung von Lüneburg ward endlich der Gefangenen Befreiung herbeigeführt, und zugleich des Herzogs Sinn gebeugt.



Wie Friedrich vorausgesehen, war Lüneburg der verwundbarste Fleck für Heinrich. Dessen Weib und Kinder umschloß die Veste. Lieber wollte er selbst sich beugen,

*) Arn. II. cap. 34.
**) Das Gelübde erfüllte er im Jahre 1182.

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als sie in des Kaisers Gewalt wissen und an ihnen vergelten sehen, was er an den thüringer Fürsten gethan. Zum erstemal kam es Heinrich in den Sinn, des Kaisers Gnade anzusprechen. Sie für ihn zu erbitten schien Niemand geeigneter als Ludwig und Hermann. Er sandte nach den Gefangnen, erklärte sie für frei, wenn sie eidlich gelobten, den Kaiser zur Milderung seiner Reichstagsbeschlüsse zu bewegen. Bereitwillig gingen jene darauf ein, und sie scheinen redlich erfüllt zu haben, was sie versprochen. Für sie selbst wäre in der Fortsetzung des Krieges, der ihnen zu mancher Waffenthat noch Gelegenheit und ihrer Rache für erlittne Schmach Befriedigung, gewährt, größrer Gewinn zu hoffen gewesen.



Dem Kaiser konnte Heinrichs Bitte, zumal durch zwei liebe Verwandte gestellt, deren Gefangenschaft er, wie ganz Teutschland *), tief betrauert, und zu deren Befreiung er sich vielleicht das erstemal - doch weil die Fürsten schon entfernt worden vergebens - auf Lüneburg
geworfen; dem Kaiser mußten die Vermittler willkommen seyn, da dieselben ihm die Versicherung brachten **), daß endlich der stolze Sinn seines Gegners gebeugt, und er bereit sey, ihm die Entscheidung über sein künftiges Geschick zu überlassen. Was indeß Friedrich mit den Fürsten des teutschen Reichs begonnen, mußte er nun auch mit

*) Chron. S. Petri ad 1180 sagt bei der Gefangennehmung Ludwigs: non tantum Thuringiae, imo toti rei publicae tristitiam relinquens de sua merito dolenda captione.
**) Nach Arn. II. cap. 36 scheint Heinrich schon vor Ludwig und Hermann andre Unterhändler abgeschickt zu haben, die jedoch nur ein erzürntes Antlitz des Kaisers sahen. Aus der Freigebung der Thüringer erkannte Friedrich, daß es dem Herzog Ernst mit der Unterwerfung sey.

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deren Mitwissen und Beistimmung vollenden. Es galt auch jetzt noch klug zu handeln, um so empörte Gemüther in Zaum zu halten, längst gemachte Versprechungen zu erfüllen, und doch die ganze Lösung in eigner Hand zu behalten. Zuerst zog er, so scheints, die Erzbischöffe Wichmann und Philipp zur Berathung. Es gelang ihm nach Zusicherung dessen, was ihnen versprochen, sie dem Herzoge versöhnlicher zu stimmen. Diesem selbst wurde sichres Geleit gegeben, und ein Hoftag zu Quedlinburg gesetzt. Denn dorthin begab sich Friedrich, dem an Lüneburgs Eroberung jetzt weniger gelegen, da der Herzog selbst sich gebeugt hatte. Auch Stade ward bald nach Heinrichs Abzuge von Siegfried von Bremen, dem diese Stadt zugesichert, eingenommen *).



Wie eifersüchtig jeder der Feinde Heinrichs das ihm Zugesicherte forderte, und wie wenig die Demüthigung des Herzoges, die den Kaiser versöhnlich stimmte, ihr Mitleid erregte, ersah Friedrich bald. Noch durfte er an eine Ausgleichung Heinrichs und der Fürsten nicht denken. Vor Allem stand Bernhard, der neue Sachsenherzog, dem hemmend entgegen. Auf das zu verzichten, was dem Anhaltiner versprochen, konnte Heinrich am Wenigsten bewogen werden. Noch vor dem festgesetzten Tage zu Quedlinburg erhob sich der heftigste Zwist zwischen beiden Herzogen,
und Friedrich hielt nicht für gerathen, Heinrich schon vor sich und den Fürsten des Reichs erscheinen zu lassen. Nach Erfurt wurden beide Theile zu einem neuen Tage beschieden

*) Philipp von Cöln hatte von Braunschweig her, das er beobachtete, ihm Beistand geleistet, gegen eine Summe von 600 Mark S. Arn. II. Cap. 36.

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Heinrich war nicht mehr im Stande, durch Gewalt Etwas zu erringen. Als er Stade verlassen, hatte er sich selbst aufgegeben. Dem Kaiser die Ausgleichung anheim zu stellen, blieb ihm allein noch übrig. Friedrich scheint bis zu dem neuen Reichstage mit den Fürsten unterhandelt und sie zu den einigermaaßen großmüthigen Bedingungen bewogen zu haben, unter denen Heinrich zu Erfurt Verzeihung erhielt. Denkt man den Haß und die Begierde der Fürsten, so kann in der That der Ausspruch zu Erfurt nicht anders als großmüthig genannt werden, wie sehr er auch die Seele Heinrichs durchschnitten haben mag.



Eingeführt vom Erzbischoff Wichmann erschien zu Erfurt *) der Herzog vor dem Kaiser und den zahlreich versammelten Fürsten. Peinliche Gefühle mochten in der Brust aller Anwesenden, vornehmlich aber in Heinrich und dem Kaiser sich regen. Welch ein Unterschied zwischen jetzt und damals, als der Kaiser fußfällig als Freund gebeten, was er als Herr nicht mehr im Stande gewesen, dem mächtigen Reichsvasallen zu gebieten, und nun, wo, ganz der Gnade Friedrichs überlassen, Heinrich erwartete, was über ihn beschlossen worden! Wohl lange gerungen mochte seine Seele haben, ehe er soweit seinen Stolz gedemüthigt. Zu Erfurt geschah, was geschehen mußte, äußerlich mit Ruhe, wenn auch in seinem Innern ein Vulkan gähren und flammen mochte. – Alter

*) Chron. S. Petri ad 1181. Circa festum S. Martini. Chronogr. Weingart. apud Hess pag. 64, und Anonym. Weingart. ib. pag. 50, infra festum S. Galli et S. Martini, also zwischen dem 16. October und 11. November. Das Jahr 1181 ist nicht zu bezweifeln. Vergl. Böttiger pag. 376 und Anm. 430.

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Brauch erheischte, daß der Geächtete einen Fußfall vor dem Kaiser that, daß dieser den Knieenden aufhob, aus der Acht sprach und ihm den Versöhnungskuß gab. All das geschah auch zu Erfurt. Darauf folgte die Kundmachung des Beschlusses, den das Reichsoberhaupt und die Fürsten über Heinrich gefaßt. - Von Allem, was der Herzog besessen *), blieb ihm nichts als seine Erbländer Braunschweig und Lüneburg, und was seiner Gemahlin Mathilde als Morgengabe angehörte. Drei Jahre sollte er auch diesen Besitzungen den Rücken kehren, und zwar bis zu Anfang des Sommers 1182 teutschen Boden geräumt haben, den er nur auf Einladung des Kaisers innerhalb der Verbannungszeit ungestraft betreten dürfe. - Das war ein harter Spruch! und doch, durch die Reichsacht, durch Versäumniß binnen Jahresfrist sich daraus zu lösen, hatte er nach strengem Recht auch die Erbgüter verscherzt.



Unter den Fürsten, die nach seinen Ländern begierig verlangten, war wohl Keiner, der nicht auf strengen Rechtsgang bestanden hätte, wenn nur der Kaiser jetzt noch so strenge Beobachtung des Gesetzes gewünscht. Auch nicht Einer von allen Reichsfürsten sprach für Heinrich. Die Freunde, die er zählte, waren nur in seiner nächsten Umgebung, treue Vasallen, ohne Stimme auf dem Reichstage, oder entfernte Fürbitter, wie sein Schwiegervater,

*) Besitz und Verlust stellt in der Größe ihres Abstandes am Prägnantesten dar, was man in Annal. Boj. lib. VI. am Ende liest. Heinricus potentissimus haud dubie omnium Europae secundum Caesarem atque Reges principes, ut, qui a sinu pene Hadriatico ad sinum Codanum Oceanumque Germanicum Bojis, Suevis, Rhaetis, Vindelicis, Noricis, Caucis dominabatur, uno anno tam levi momento, urgente, eum parentis fato, omnibus vicis, castellis, civitatibus, oppidis, quae amplius centum possedit, genitali solo patriis Penatibus exactus etc.

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der König von Frankreich, der Papst alle drei durch Umstände verhindert, mit Nachdruck Heinrichs Schicksal erleichtern zu können *). Wenn Heinrich, der Reichbegüterte, aus dem Schiffbruche noch Etwas gerettet, wem Anders als dem Kaiser hatte er es zu danken?



Was Friedrich dem Herzog an Ländereien ließ ,war in der That nicht unbedeutend, und konnte in bessrer Zukunft erweitert werden **). Mehr ihm zu lassen, war er durch die Fürsten behindert, es sey denn: er ließe, den Zwang der vielen Kleinen zerreißend, dem früher Begünstigten und nun Gedemüthigten - großmüthig Alles, und wagte noch einmal das Spiel, das er einmal schon verloren. Gewiß Friedrich konnte es, und Heinrich mochte, als er sich ihm ergab, die Hoffnung gehegt haben er werde es thun. Sein Ehrenwort: alle Unternehmungen des Kaisers nach bester Kraft zu unterstützen, hätte diesem als Bürgschaft genügt. Aber die Fürsten waren es, die jede Ausübung von Großmuth Friedrich,

*) Die Zeit der Verbannung von 7 auf 3 Jahre herabzusetzen, mochte (nach Roger Hovedens Excerpta ap. Leibn. I. 876) das Einzige seyn, was sie erreichten, wenn nicht auch diese Milderung eine Großmuth Friedrichs genannt werden darf. Wer hätte ihm größere Strenge verwehren wollen oder können? Allein durch die teutschen Fürsten gebunden war der Kaiser, und die drangen wohl nicht auf die Verkürzung des Exils.
**) Arn. II. cap. 36: Ut patrimonium suum, ubicunque terrarum fuisset, sine omni contradictione liberrime possideret. Und von Heinrichs Erbgütern sagt Helmold II. 6. Possedit haereditatem multam nimis. Praeter hereditatem enim progenitorum magnorum Lotharii Caesaris et conjugis ejus Richenzen multorumque Ducum Bavariae atque Saxoniae accesserunt ei nihilominus multorum principum possessiones. Die Theilungsacte der Söhne nach Heinrichs Tode beweist, was sie noch besassen, oder worauf sie nach Friedrichs Ausspruch wenigstens Anspruch machen konnten. Denn schwierig wars Erb- und Lehngut zu sondern. Namentlich mit Bernhard von Sachsen gab es deßhalb noch blutige Händel.

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jeden Strahl der Hoffnung Heinrich benahmen. Die Macht Eines war keine drohende Gefahr des Kaisers mehr, ihn beengte der Eigennutz, die Habsucht, die Ansprüche Vieler. Diese waren früher die Ursache gewesen, warum er seine Absicht mit jenem nicht erreichte; sie waren jetzt noch mehr die Ursache, warum nicht er und keiner seiner Nachkommen Teutschlands Thron zum Herrschersitz Europas erheben konnte. Wie weise, wie nothwendig, wie natürlich erscheint nun Friedrichs früheres Freundschaftsverhältniß zu Heinrich; wie fern vom Ziele steht er jetzt, als er die allein helfende Macht zertrümmert. Sein Triumph gleicht dem auf den Trümmern der selbst zerstörten Vaterstadt! Nothwendigkeit hatte ihn zum Kampfe, wie zum Zerstören seiner schönsten Hoffnungen gezwungen. Den Willen, ja nur den Gehorsam so vieler Fürsten, die jetzt mit dem Verlangen nach Selbstständigkeit, mit den Ansprüchen an des Kaisers Dankbarkeit und Willfährigkeit erstanden, seinem Streben unterzuordnen, war schwieriger als Einen durch Freundschaft an sich zu ketten. Was mit dem Einen mißlungen war, konnte abhängig von so Vielen nimmer gelingen. Heinrich 6., Friedrich 2., Konrad 4. haben es bitter erfahren, was ihr großer Vorgänger durch Zerstückelung Teutschlands veranlaßt. Friedrich Barbarossa seit dem Bruche mit Heinrich dem Löwen gab
mit Bewußtseyn, und darum auch mit Schmerz den Plan auf , das Kaiserthum über alle Throne und alle Gewalten zu erheben; er suchte zu retten, was möglich war, und sein imponirender Herrschergeist hielt noch ein Ansehen aufrecht, das bei minderer Größe, ja schon im Zeitenlaufe schwinden mußte.

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An der Großmuth und Aufrichtigkeit Friedrichs gegen den gedemüthigten Heinrich kann nur zweifeln, wer die vorgefaßte Abneigung gegen jenen soweit getrieben, daß er selbst jede menschliche Regung dem einmal Verdammten abspricht; oder wer Zeugnisse alter Chronisten und Geschichtschreiber mißbraucht und entstellt, um sie zu willkührlicher Deutung zuzustutzen. Was Zeitgenossen oder solche, die den Begebenheiten jener Tage nicht allzufern standen, über den Reichstag von Erfurt berichten, genügt - wenn man nicht die Mangelhaftigkeit aller Scribenten des 12. und 13. Jahrhunderts im einzelnen Fall für absichtliches Verbergen deuteln will - vollkommen, um uns über des Kaisers und der Fürsten Benehmen gegen Heinrich aufzuklären. An Bernhards von Ascanien Hartnäckigkeit wider Heinrich war der Hoftag zu Quedlinburg gescheitert. Bernhard gehörte nicht zu den habgierigsten und erbittersten Feinden des Herzogs, wenigstens gab keiner der andern Fürsten mehr in seinen Ansprüchen an die Ländereien des gerichteten Heinrichs nach. Die meisten von ihnen hatten sich schon in Besitz des ihnen Zugesprochenen gesetzt. Was konnte der Kaiser für Heinrich thun, wollte er nicht die Beschlüsse so vieler Reichstage umstoßen, ja sein eigen Wort, das er bisher auch durch die That bewährt, zu Gunsten des frühern Freundes Lügen strafen? Wie die Fürsten für ihn, hatte Friedrich für die Fürsten sich erklärt *). Diese Verpflichtung ließ

*) Das sieht auch Arn. II. cap. 36 ein. Auf sein Zeugniß legt Luden XI. S. 441 und 687 Anm. 38-40. das meiste Gewicht, um dem Leser zu beweisen, daß die Begebenheiten in Erfurt absichtlich verdunkelt seyen, um den Kaiser nicht zu compromittiren. In Arnold glaubt enden den Beweis zu finden, wie wenig edel Friedrich sich benommen. Ueber die Thränen Friedrichs macht Arnold folgende Bemerkung: num verae fuerint, ambigitur; nam videtur eum vere non fuisse miseratum, quia ad statum pristini honoris eum restituere non est conatus. Sah der gute Abt nicht ein, daß dieß unmöglich? Kann nicht nur ein dem Herzoge ergebner Schriftsteller da, wo er des verehrten Mannes Fall und Demüthigung erzählt, in solchen ungerechten Tadel über den Kaiser ausbrechen? Arnold ist auch ehrlich genug dieses zu erkennen. Er·setzt sogleich hinzu: Quod tamen propter jusjurandum ad praesens facere non potuit. Freilich meint Luden Anm. 40 diese Worte seyen nur das Urtheil des guten Abtes. Ich dächte es genügte, daß der gute Abt seine Uebereilung eingesehen!

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ihn für Heinrich nichts thun, als die Länder ihm zusprechen, die noch an keinen Reichsfürsten vertheilt waren, und von denen vorher bemerkt worden ist, daß sie wahrscheinlich Friedrich selbst eine Basis seiner Macht für Nordteutschland und die Slavenländer abgeben sollten. Indem er die eigne Beute fahren ließ, setzte er zum zweitenmal eine Hoffnung auf Heinrich. Dieser und sein Haus sollten nun für den Norden ihm werden, was er einst für den Süden, ja für das ganze römisch-teutsche Kaiserreich dem Freunde anvertraut. Diesen Freund in Heinrich hatte er, so bewies es sein Benehmen zu Erfurt, noch nicht verloren gegeben; ihm schenkte er Alles, was der Freund vom Freunde verlangen durfte. Seine Gefühle waren in den Vertrag mit den Fürsten nicht einbedungen.



Daß aufrichtige Theilnahme an Heinrichs Geschick, welches dieser unfehlbar selbst herbeigeführt, dem Kaiser Thränen entlockte, als er zum erstenmal den Stolzen gedemüthigt zu seinen Füßen erblickte, als die alten Gedanken lebendiger auftauchten, wie er einst den Herzog erhöht, wie er mit dessen Vernichtung zugleich die seiner eignen Größe herbeiführen mußte, und endlich wie er nun

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nicht einmal im Stande war für den frühern Freund etwas recht Kaiserliches und der Majestät Würdiges zu thun? Das können keine falschen Thränen, keine erheuchelten Thränen gewesen seyn, die mit Friedrichs Seele so ganz in Einklang stehen mußten. Damit zweifeln heißt „an der Menschheit heiligster Beglaubigung“ zweifeln. Oft macht Theilnahme für den Unglücklichen gegen den Glücklichen ungerecht. Dennoch geht kein Geschichtschreiber jener Zeit soweit, den Kaiser niedriger Gesinnung zu zeihen. Die meisten vielmehr erkennen, daß Heinrich Alles, was er behielt, der Gnade und Großmuth Friedrichs verdankte.



Wie sehr die Fürsten die Großmuth Friedrichs gefürchtet, ersieht man aus dem Schwure, den Friedrich ihnen gethan: Heinrich niemals in seine frühere Gewalt wieder einzusetzen *).- Sollte Friedrich für sich diesen Eid gefordert haben? - Etwa, um die Fürsten zu beunruhigen? — War es dieß letzte, so liegt darin, daß die Fürsten in solchem Eidschwur des Kaisers die einzige Bürgschaft suchen konnten, daß nicht der Verhaßte wieder emporkäme. Allein dieser Eid genügte ihnen noch nicht. Besaß doch der Herzog in dem, was ihm geblieben, noch eine gefährliche Macht **). Waren doch die neuen Herren in ihrem Besitzthum noch nicht fest, und fanden darin viele Unzufriedene, die dem alten Herren zugethan blieben. Auch wo er früher gleichgültig, beneidet, ja selbst gehaßt gewesen, konnte Heinrich nach seinem Fall die Gemüther zur Theilnahme und Hilfeleistung gewinnen! Vor Allem war des Kaisers altfreundschaftliche Gesinnung für

*) Arn. a. a. O. Iuravit eis Imperator per thronum regni sui nunquam se eum in gradum pristinum restauraturum.
**) Albericus in seinem Chronicon apud Leibn. access. histor. II. pag. 400 sagt, dass auch die Slavenländer Heinrich behalten. Alb. Cranzius lib. VI. 45 bezeichnet die gelassenen Erbgüter in Sachsen also; Remanserat Heinrico major Saxoniae pars, quam illum materna successione contigerat, omnis nempe ducatus Brunswicensis, Gottingensis et Eimbeccensis, qui nunc dicitur Transsilvanus.

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den Herzog den Fürsten gefährlich. Nur Entfernung des noch im Sturze Gefürchteten konnte beruhigen. Sieben Jahre Verbannung war gewiß der erste Vorschlag der Fürsten. Ob der Kaiser aus eignem Antrieb oder durch Andre bewogen den Spruch gemildert? Gleichviel! Er war es, der die Zeit von Heinrichs Entfernung auf drei Jahre herabsetzte, und sich das Recht vorbehielt, auch während der Zeit den Herzog zu sich laden zu dürfen.



Von Erfurt begab sich Heinrich zu den Seinen nach Lüneburg, ordnete, so viel er konnte, noch in seinen Erblanden, die gleich dem ganzen Herzogthum Sachsen durch den Krieg entsetzlich gelitten hatten, und trat um St. Jakobi des Jahres 1182 seine Wandrung an. In der Normandie, dann in England fand er, die Seinen und alle Getreuen, die ihn in der Verbannung auch nicht verlassen wollten, eine gastfreundliche Aufnahme. Einst sollte ja seinen Nachkommen Englands Thron und unter ihnen diesem der Ruhm zu Theil werden, in allen Welttheilen Unterthanen zu zählen, allen Völkern seinen Namen gefürchtet zu machen.



Friedrich aber nach der Vernichtung des mächtigen Löwen hatte Nichts als - diesen Ruhm erlangt, und dadurch Tentschlands Einheit und die Macht des Kaiserthums vernichtet. Wie jenes in Heinrich eine concentrirte Kraft, so hatte dieses in eben demselben den starken Pfeiler seiner Größe verloren. Auf dessen zertrümmerten Stücken fand nicht der Hohenstaufen, noch irgend ein Kaiserhaus der Folgezeit sichre Basis, feste Haltung. In Nordteutschland war es dem Hause Hohenzollern vorbehalten, dereinst eine Macht zu begründen, die eine dauernde, aber freilich von Südteutschland abgelösete Selbstständigkeit erhalten hat, und nicht den ganzen Norden vereint, sondern auf einer langgestreckten, schmalen Länderkette vom äußersten Nordosten bis zum äußersten Nordwesten Teutschlands basirt ist.




Veröffentlicht in:
Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 1839
Herausgeber: Friedrich Bülau
dritter Artikel S. 481 – 542 (Juni 1839)
„Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die teutschen Fürsten in ihren Verhältnissen zu einander.
Dritter Abschnitt: Die Verhältnisse Friedrichs und Heinrichs seit dem Bruche ihrer Freundschaft bis zu des Letztern Aechtung (1176-80)
Vierter Abschnitt: Die Achtsvollstreckung durch Friedrich und die nordteutschen Fürsten (1180 und 1181)“
Von D. Gervais in Königsberg
J. C. Hinrichsche Buchhandlung Leipzig

 

 

 

Gleim 1842: zur westlichen Sprachgrenze der Slaven

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Westliche Gränze der Slaven. *)

 

Von Herrn Gleim. Nebst einer Karte.

 

Kein europäisches Volk ist so zahlreich und so weit verbreitet als das der Slaven. Nächst dem großen europäischen Ost-Reiche ist ein bedeutender Theil der Türkei, die größere Hälfte der österreichischen und gewiß ein Fünftel der preußischen Monarchie mit ihnen bevölkert. Wir finden sie acht Meilen von Regensburg im Böhmerwalde und von da über die Karpathen und den Ural hinweg, längs der Gränzen des himmlischen Reiches bis in die äußerste Spitze von Kamtschatka, ja hinüber bis in den dritten Erdtheil; ferner von den Küsten des Eismeeres bis an das adriatische Meer und den Balkan und auf der andern Seite des schwarzen Meeres über den Kaukasus hinweg bis zu den Feuern von Baku und dem Gebirge Ararat. Den mannichfachsten Ländern, Klimaten, Staatsverfassungen und Verhältnissen aller Art haben sie sich anbequemt und der Ungunst der Zeiten und des Schicksals zum Trotz, daß man oft darüber staunen muß,

 

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*) Die vorliegende Abhandlung erscheint uns zunächst deswegen als eine willkommene Bereicherung unseres Archives, weil sie richtige Anknüpfungspunkte darbietet für diejenigen monographischen und meist mehr vorzugsweise linguistischen Bearbeitungen desselben Gegenstandes die von neueren russischen Schriftstellern ausgegangen sind und über welche wir uns daher zu berichten vorbehalten. Sie wird sodann diesem Zwecke um so vollständiger entsprechen als sie frei ist von den beiden, etwa gleich lächerlichen, Extremen des Panslavismus und der Slavophobie; denn in der That sieht man diese noch jetzt bisweilen, — anstatt der wissenschaftlichen Behandlung einer doch rein wissenschaftlichen Frage — ungefähr eben so auftreten, wie einst bei uns die sogenannten dentschthümlenden Verirrungen gegen die früheren gallomanischen. E.

Ermans Russ. Archiv. 1842. Hft. I. 1

 

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2 Historisch-linguistische Wissenschaften.

 

ihr unveräußerliches Erbtheil, ihre Sprache, nicht vergessen, ja nicht einmal so weit verändert daß man zwischen irgend zwei slavischen Sprachen einen so bedeutenden Unterschied aufweisen könnte wie er unter den germanischen Sprachen, z. B. zwischen dem Deutschen und Schwedischen, stattfindet. Den Deutschen, welche oft den Bauer der nächsten Provinz nicht verstehen können, muß es wunderbar scheinen daß der Landmann aus dem Süden von Groß-Rußland seinen um viele hundert Meilen entfernten Stammesgenossen am Eismeer ganz vollkommen versteht, ja daß in noch größerer Trennung und unter noch verschiedneren Bedingungen lebende Slaven sich mittelst ihrer Sprachen würden verständigen können. Man stelle den am Eismeere eingefrornen Russen, der mit der Harpune auf den Fischfang ausgeht oder den Leibeignen des Inneren Rußlands mit dem freien Montenegriner zusammen, der in seinem heißen Klima über Myrthen und Lorbeerreiser hinwegschreitet und mit Hülfe seiner Flinte und seiner Berge durch alle Jahrhunderte seine Unabhängigkeit gegen die ganze Macht der Osmanen behauptet hat. Oder man stelle den preußischen Landwehrmann aus den Lausitzen neben den Russen der jährlich auf den kurilischen Inseln und an der Küste von Californien Seeottern fängt, deren Felle in Peking auf den Markt kommen, und man wird, so sehr sie sich körperlich und geistig, nach ihrer Tracht und ihren Sitten sonst unterscheiden mögen, doch finden daß sie in sprachlicher Hinsicht nicht verschiedener von einander sind als ein deutscher Schwab von einem deutschen Pommer. Diese Beschaffenheit ihrer Sprache rückt die slavischen Stämme einander näher, gleicht ihre geographische, politische und religiöse Trennung einigermaßen aus und giebt ein desto untrüglicheres Kennzeichen ihrer Nationalität ab. Mit Eifersucht haben die slavischen Völker allerwege über ihre Sprache und Sitten gewacht und alles Fremdartige stets zu sehr verachtet als daß ihre Sprache irgendwo hätte zu einem solchen Gemisch ausarten können, wie es z. B. die englische Sprache vorstellt, bei der es schwer hält zu entscheiden welcher ihrer lexicalischen Hauptbestandtheile der überwiegende ist.

 

 

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3 Westliche Grenze der Slaven.

 

Ja nicht einmal mit der deutsch - französischen Mischsprache *) des Wallonischen können die verdorbenen Dialekte der schlesischen Wasserpolaken, der Kaschuben in Pommern und andrer im Geringsten in Vergleich gestellt werden. Die Lausitzer Wenden, obwohl sie seit fast tausend Jahren rings von Deutschen umgeben sind, von Deutschen regiert wurden und mit ihnen zusammenlebten, reden noch eine wesentlich slavische Sprache, wenn sie auch freilich für manche neue Begriffe deutsche Wörter in dieselbe aufgenommen haben und wie ihr Eigenthum behandeln. In einem viel höheren Grade hat aber die slavische Sprache auf andere modificirend eingewirkt und dies ist der Punkt welcher große Verwirrungen in die Ethnographie gebracht hat. Von den Deutschen kann in dieser Beziehung nicht die Rede sein, weil sie überall gegen die Slaven die herrschenden gewesen sind, obwohl sich im Munde der deutschen Gränzwohner auch manches gute slavische Wort vorfindet, das an historische Zeiten erinnert. Anders ist es aber mit drei Völkern, welche früher von den Slaven bekriegt und unterjocht wurden und zum Theil noch rings von ihnen eingeschlossen sind. Diese drei Völker sind die Litthauer, Walachen und Griechen. Alle drei sind von Solchen, die, weil es so viel Slaven giebt, nicht einsehen können warum es nicht noch mehr geben sollte, für Slaven gehalten worden. So hat Einer ein Buch geschrieben, worin er aus slavischen Ortsnamen und slavischen Worten, die sich in der neugriechischen Sprache finden, darthut, daß in den heutigen Hellenen auch nicht ein Tröpfchen altgriechischen Blutes und daß ihre Sprache eigentlich eine slavische wäre, und dennoch lesen die heutigen Griechen in ihren Schulen

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*) Unter Mischsprache verstehen wir eine Sprache welche in höherem oder geringerem Grade Material d. h. Wörter aus einer andern in sich aufgenommen hat. Eine Mischung im höheren Sinne, etwa der der Grammatik zweier Sprachen, findet sich nach dem Urtheil der Sprachvergleicher nirgends.

 

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4 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

wohlgemuth alle altgriechischen Prosaiker, ohne ihrer absoluten Unfähigkeit dazu inne zu werden. Diese Frage ist am ersten erledigt. Etwas anders ist es mit der walachischen Sprache die schon mehr Slavisches in sich aufgenommen hat, aber der Bau der Sprache und die bei weitem überwiegende Zahl der Wörter ist romanisch; sie selbst nennen sich heut zu Tage Römer und haben eine Menge Traditionen aus der Römerzeit, einen gewissen Ahnenstolz und solche moralische und physische Eigenschaften, die sie hinreichend als ein von den Slaven vollkommen verschiedenes Volk charakterisiren. Ihre deutschen und magjarischen Nachbarn halten sie für Abkömmlinge römischer Legionen, welche dort im Lande der Dacier in Standquartieren lagen und geben ihre Sprache für ein verdorbenes Italienisch aus. Nachkommen der alten Dacier mögen sie sein, denn die Wohnsitze derselben passen genau auf die ihrigen und dann waren sie wahrscheinlich von Hause aus keine Slaven, denn das Reich der Dacier wurde schon von Trajan am Ende des ersten Jahrhunderts vernichtet und Slaven finden sich in jenen Gegenden erst viel später. Dem sei aber wie ihm wolle; heute sind die Walachen ein romanisches Volk, wofür sie sich selber ausgeben und nur vorgefaßte Meinung kann sich dagegen erklären.

 

Nun wären noch die Litthauer. Ihre Sprache ist der slavischen so unähnlich daß Männer wie Pott und Bopp darüber sireiten ob sie in Bezug auf die indogermanische Mutter als eine Schwester der deutschen und slavischen, oder nur der letzteren angesehen werden soll. Wir sind weit entfernt zwischen solchen Männern entscheiden zu wollen, aber daß ein so subtiler Streit zwischen solchen Männern über die heutige Sprache der Litthauer, welche seit fast tausend Jahren mit den Slaven neben und durcheinander leben, möglich ist; dies ist uns schon ein hinreichender Beweis daß die Litthauer sicherlich keine Slaven sind. Noch mehr bestärkt werden wir in dieser Ansicht wenn wir auf das Uebrige sehen. Die Litthauer unterscheiden sich in physischer und moralischer Hinsicht sehr wesentlich von den Slaven; besonders

 

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5 Westliche Grenze der Slaven.

 

die preußischen Litthauer und die Letten. Man würde einen Letten von Ferne erkennen, wenn er auch seinen grauen Kittel mit einem russischen Pelze vertauscht hätte. Der Charakter der Litthauer, wie er sich im Leben und in ihren Liedern ausspricht, ist von dem der Slaven ungemein verschieden. Ihre Sprache ist imprägnirt mit dem Slavischen, wie das Persische und Türkische mit dem Arabischen (wenn auch der Vergleich etwas hinkt weil diese drei Sprachen weit verschiedener von einander sind als das Litthauische und Slavische); dennoch ist es noch Keinem eingefallen jene Sprachen für Dialekte oder Zweigsprachen der Arabischen zu halten. Und trotz dieser starken slavischen Beimischung ist der Klang der Sprache, das Organ ganz abweichend und fremdartig. Wir können uns an diesem Orte nicht weiter über diesen Gegenstand auslassen aber sagen mußten wir vorher daß wir diese drei Völker nicht für slavische ansehen um später nicht mißverstanden zu werden.

 

Die Litthauer bewohnen den größten Theil des Flußgebietes des Njemen und der unteren Düna und man rechnet zu ihnen die Letten in ganz Kurland, der südlichen Hälfte von Liefland und den beiden sonst zu Liefland und jetzt zum Gouvernement Witebsk gehörenden ehemaligen Comthureien Rossitten und Dünaburg. Dann die Reste der alten Preußen welche ungefähr die ganze nördliche Hälfte des Regierungs-Bezirks Gumbinnen, wenn man bei Goldapp abschneidet, einnehmen. Die preußische Sprache steht der lettischen zunächst weil sie beide deutschem Einfluß unterworfen gewesen sind. Drittens die eigentlichen Litthauer im ganzen Gouvernement Wilna und Theilen von Minsk, Grodno und Bjalistock auch in der nordöstlichen Spitze des Königreichs Polen. Die Meeresküste bewohnen diese Stämme von Dreimannsdorf an, auf der Küste von Liefland bis an die Wurzel der kurischen Nahrung früher aber bis Danzig. Südlich gränzt ihr Gebiet an die ehemals unzugänglichen Sümpfe der Quellenflüsse des Dnjepr, jenseit welcher in der Moldau, Bukowina und Bessarabien romanische Stämme und weiter östlich

 

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6 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

am unteren Dnjepr und in der Krym Tataren die wesentliche Bevölkerung ausmachen. So waren durch eine Aufeinanderfolge von fremden Völkern und natürlichen Hindernissen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meere die slavischen Völker getrennt in zwei Hauptäste, welche in ihrer Abgeschlossenheit ihre Sprache und ihren Staat ganz selbstständig, jeder auf seine Weise, entwickelten. Der Einbruch der Mongolen schien den östlichen Zweig ganz zu verschlingen aber nach mehr als zweihundertjähriger Knechtschaft schüttelten diese Slaven das Joch ab und traten mächtiger hervor als je. Allmählig fiel die Völkerbarriere. Der früher so mächtige und den Slaven so gefährliche litthauische Staat verband sich mit dem polnischen Reiche welches durch seine Könige aus dem litthauischen Hause seine höchste Blüthe erreichte. Die ehemals herrschenden litthauischen Stämme gingen nun politisch in dem großen Slavenreiche unter und die Reiche der östlichen und westlichen Slaven berührten sich unmittelbar. Bald bevölkerten die merkwürdigen Kosakenstaaten die Gegenden am Dnjepr und stellten auch so eine Verbindung her. Das Reich des Tatar-Chans verlor zuerst seine Unabhängigkeit gegen die Türken und zerging dann ganz vor der Gewalt der russischen Waffen, und da auch die dem deutschen Orden unterworfenen Stämme der Litthauer an den Ufern der Ostsee, nach der Aufhebung des Ordens und nach mannigfachen Schicksalen endlich dem russischen Reiche anheimfielen, da im Laufe der Zeiten sich endlich noch mehr ereignete so liegt die oben erwähnte Barriere und Völkerscheide jetzt fast mit allen ihren Punkten innerhalb der Gränzen des großen slavischen Ostreiches und ist politisch nicht mehr vorhanden. Dennoch werden wir im Verlauf dieser ethnographischen Abhandlung von östlichen und westlichen Slaven sprechen und uns dabei als Gränze derselben die oben bezeichnete Linie von Kurland nach der Krym denken.

 

Die östlichen Slaven sind also die Russen, welche in ihrer ursprünglichen Verbreitung nirgends das Meer erreichten, sich aber später nach allen Seiten bis an dasselbe ausgedehnt haben.

 

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7 Westliche Grenze der Slaven.

 

Unvermischt mit andern Völkern bewohnen die Russen jetzt die nordöstliche Küste des schwarzen Meeres, ganz Ingermannland und verdrängen im Norden immer mehr die finnischen Stämme aus ihren uralten Wohnsitzen an der Dwina, Petschora und den Gegenden des weißen Meeres; einzeln sind sie sogar in die russischen Ostseeprovinzen und Finnland vorgedrungen und überall hin wo der russische Scepter herrscht.

 

Einen ganz anderen Anblick gewährt uns das Gebiet der westlichen Slaven. Statt sich auszudehnen hat sich dieses Gebiet im Laufe der Zeiten beträchtlich vermindert und eben diese Verminderung desselben, seine ursprüngliche Ausdehnung und die Gränzen in welche es jetzt eingeschränkt ist, sind der eigentliche Vorwurf unserer Betrachtung, die sich indessen auch auf die südlichen Slaven erstrecken wird, bei welchen dieselben Erscheinungen, nur in kleinerem Maßstabe, auftreten. Das Gebiet der westlichen Slaven erstreckte sich anfangs über die continentale Mitte Europa‘s fast über die ganze nordeuropäische Ebene, westlich von ihrer oben angegebenen Ostgränze, ferner über das ostdeutsche Gebirgsland und die Karpaten bis an die Grenzen von Siebenbürgen. Die Gränzen dieses Gebietes, außer den schon angegebenen östlichen, waren die Ostsee von Danzig bis Schleswig, die Elbe von Hamburg bis ins Anhaltische, die Saale, das Fichtelgebirge und der Böhmerwald und von dessen südlichen Ausläufern eine unbestimmte Linie nach Wien, dann die Donau und von Presburg eine sich etwas nach Norden biegende Linie nach der Nordgränze von Siebenbürgen, von da in nordöstlicher Richtung nach dem Dnjepr. Noch jetzt stützt sich diese Bevölkerung auf die Küsten der Ostsee, die Ufer der Donau zwischen Preßburg und Wien und das Quellenland des Dnjepr. Man rechnet heute zu ihnen die Polen des Königreichs und ihre nächsten östlichen Nachbarn, auch Wolhynien und Podolien, ferner die Masuren im eigentlichen Preußen, östlich der Weichsel, die Pommerellen in Westpreußen und Pommern, die slavischen Bewohner des Großherzogthums Posen

 

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8 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

und der beiden Lausitzen, die polnischen Schlesier, die Tschechen in Böhmen, die Mähren, die Slowaken in Ungarn, die Gallizier und die Ruthenen, welche letzteren die Karpathen an den Quellenflüssen der Theiß bewohnen und in sprachlicher Hinsicht den östlichen Slaven am nächsten stehen.

 

Ihre südlichen Nachbarn sind die Magjaren und Wallachen, deren Wohnsitze aus unsrer Karte zu ersehen sind. Ein breiter, die Donau begleitender, Landstrich von Deutschland bis an das schwarze Meer ist ihr Gebiet und trennt die westlichen Slaven von ihren südlichen Stammesgenossen auf dieselbe Weise wie die oben erwähnte Völkerscheide die westlichen und östlichen Slaven auseinanderhielt. Das Gebiet dieser dritten Hauptgruppe der slavischen Völker erstreckte sich früher von Tirol bis an das schwarze Meer und noch jetzt, in der andern Richtung, von der Drau nach Süden bis über den Balkan hinaus. Dazu gehören die Wenden der deutsch - österreichischen Provinzen, die Dalmatier, Montenegriner, Bosniaken, die Serben in Serbien und Ungarn, die Kroaten und Bulgaren.

 

Zu welcher Zeit das Urvolk sich in diese drei Zweige getheilt haben möge, läßt sich nicht mehr ermitteln, gewiß ist aber daß sie in ihren jetzigen Sitzen noch lange mit einander communicirt haben. Besonders werden Wanderungen von den westlichen zu den südlichen erwähnt; dennoch stehen die südlichen Slaven heut zu Tage den östlichen näher als den westlichen. Die Kroaten sollen aus Belochrobatia (Böhmen) sich durch die Avaren durchgeschlagen und an der Sau und Drau ihr Reich gegründet haben. Die Serben aus Weiß-Serbien im Meißnischen sollen die Staaten Rothserbien und Sarvitza bei Thessalonich gegründet haben. Noch mehr solche Züge werden erwähnt. Derselbe Geist welcher zu jener Zeit fast alle Völker ergriffen hatte, trieb auch sie von einem Orte zum andern. Große Staaten werden nicht erwähnt, aber wohl ungeheure slavische Heere welche über die Donau in das oströmische Reich einbrachen und die ganze Halbinsel

 

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9 Westliche Grenze der Slaven. "

 

ausplünderten und auf das Furchtbarste verheerten; ja sie überschritten auf solchen Zügen selbst den Hellespont und siedelten sich in Mysien und Bithynien an. Nur die Hauptstadt widerstand ihnen, denn Festungen konnten sie nicht erobern. Die Hauptrichtung ihrer Wanderungen und Kriegszüge scheint überhaupt, wie die der Deutschen vor ihnen, besonders der Gothen, die nach Süden gewesen zu sein, wenigstens treten sie an den westlichen Gränzen gegen die Deutschen weit friedlicher auf; treiben Ackerbau und Fischfang, weben Linnen, welches normanische Schiffe aus ihren Häfen an der Ostsee abholten und das ihnen im Handel als ein Aequivalent statt des Geldes diente, wie der Ziegelthee an der russisch-chinesischen Gränze. Einigen wird eine besondere Vorliebe für Musik zugeschrieben. Sie scheinen in kleinen Gemeinschaften gelebt zu haben, die sich nur für allgemeine, nationale Zwecke zu größeren Massen vereinigten und wenn die Gefahr beseitigt war, wieder auseinandergingen. Sehr viele slavische Reiche welche später vorkommen, sind nur ephemer, sie treten, sich gleichsam einander ablösend, an verschiedenen Orten auf, bis längerer Aufenthalt in ihren Wohnsitzen und andere Verhältnisse ihren Einrichtungen mehr Consistenz gaben. Ein großer Staat, der alle slavischen Stämme umfaßt hätte, hat niemals existirt.

 

Das erste Auftreten derSlaven in den angedeuteten Wohnsitzen läßt sich der Zeit nach nicht genau bestimmen. Die Slaven werden von den Alten Sarmaten, auch wohl Scythen genannt, aber diese Namen mögen sich nicht ausschließlich auf sie erstreckt haben. Konstantin der Große soll mit Slaven an der untern Donau gekämpft haben. Ein slavischer Stamm der Sarmaten, Limiganten, soll schon 334 unter dem Schutze der Römer in Krain ansäßig gewesen sein. Der Gothenkönig Ermanrik soll über viele Stämme der Slaven geherrscht haben. Wie dem auch sei, im sechsten Jahrhundert gab es aber ein mächtiges slavisches Reich der Anten in Ungarn und Gallizien, welches im Jahre 561 durch die Avaren zerstört wurde , und um dieselbe Zeit finden wir

 

 

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10 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

auch die Slaven überall als die östlichen Nachbarn deutscher Völker.

 

Im Anfange dieses Jahrhunderts wohnten im westlichen Deutschland mehrere, von einander unabhängige, kriegerische, deutsche Stämme. Die Sachsen von der Elbe bis zum Rhein und von der Nordsee bis an den Harz und die Eder. Südlich von diesen die Thüringer in Thüringen, dem jetzigen Franken und Theilen von Böhmen und Meißen. Von diesen südlich die Baiern bis an die Alpen und darüber hinaus. In Oestreich und Ungarn zwischen der Donau und Ens die Longobarden.

 

Die Nachbarn aller dieser Völker gegen Osten waren Slaven, wie sie sich selbst nannten, oder Wenden, wie sie von den Deutschen genannt wurden. Sie rückten friedlich nach in die von den Deutschen verlassenen Gegenden oder nahmen sie auch wohl mit Gewalt in Besitz. Bald erhielten sie Gelegenheit ihre Grenzen noch weiter auszudehnen. Die Franken und Sachsen zerstörten das thüringische Reich, die bisherige Vormauer gegen die Slaven und theilten sich darein. Bald darauf, 534, gingen nun die Sorben ins Meißnische und nahmen alles Land bis an die Saale in Besitz, ja verbreiteten sich als Colonisten noch viel weiter bis nach Thüringen und Franken. Das Land zwischen dem Erzgebirge, der Saale und Elbe hieß nun Sorabia, auch Weiß-Serbien.

 

Ein anderes jener deutschen Völker, die Longobarden. überließen ihre Wohnsitze an der Donau den Avaren, einem wahrscheinlich magjarischen Volke, und zogen nach Ober-Italien. Dadurch wurden die Wenden in Krain und Kärnthen, welches Land jetzt unter dem Namen eines Herzogthums Carantanien (von Gora, der Berg, Goratan, Bergland, woraus nachher Carinthia, Kärnthen wurde) auftritt, von drei Seiten von sehr gefährlichen Nachbarn, nämlich den Avaren, Baiern und Longobarden eingeschlossen, deren Tyrannei sie eine Zeitlang ertrugen dann aber rühmlich abschüttelten.

 

So stand es also im sechsten Jahrhundert. Alles Land östlich einer Linie von Schleswig bis Triest war slavisch,

 

 

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11 Westliche Grenze der Slaven.

 

mit Ausnahme von Unterösterreich, wo die Avaren saßen und welches Land wahrscheinlich niemals dauernd von slavischen Völkern bewohnt worden ist, wenn es auch gewiß ist daß die südlichen Slaven mit den Böhmen eine Zeitlang in Verbindung gestanden haben. In dem folgenden Jahrhunderte bildete sich nämlich von Böhmen aus, dem fränkischen Reiche gegenüber, eine bedeutende slavische Macht. König Samo vereinigte 621 die Sorben, Belochrobaten und Carantanier und schlug den König Dagobert von Austrasien, welcher sich mit den Baiern und Longobarden gegen die Slaven verbunden hatte, brachte ihm ferner 630 in einer dreitägigen grausamen Schlacht eine vollkommene Niederlage bei und machte nun von Böhmen aus, dreißig Jahre hindurch, die fürchterlichsten Ausfälle auf die Thüringer und Franken und gedachte auch der Avaren. Aber mit Samo‘s Tode hörte die slavische Herrlichkeit auf und andere Völker erhoben wieder ihre Häupter. Noch waren alle Wenden Heiden. Ja die Carantaner hatten bei ihrer Einwanderung das schon in jenen Gegenden eingebürgerte Christenthum *) vertrieben; aber bald sollte die Reihe an sie kommen. Die Avaren rührten sich von Neuem und waren gestrenge Herren gegen ihre Nachbarn. Herzog Borut von Carantanien sah sich genöthigt die Baiern gegen sie zu Hülfe zu rufen. Sie kamen, brachten ihnen aber die Knechtschaft und das Kreuz, 748. Oft zwar empörten sich die Anhänger des Heidenthums unter ihnen gegen ihre christlichen Dränger, rissen Kirchen und Klöster ein, aber sie erlangten nie mehr ihre Unabhängigkeit wieder. Durch Karl den Großen und dessen Besiegung der Baiern und Eroberung von Ligurien und Dalmatien wurden sie fränkische Unterthanen und ihr Land eine Provinz und Mark des großen Reiches. Von diesem Datum an wurde Carantanien germanisirt, die weiter westlich vorgedrungene slavische Bevölkerung am lsonzo und in Italien selbst romanisirt. Dennoch trifft man noch jetzt

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*) S. Linhart Geschichte von Krain und den übrigen Ländern der südlichen Slaven Oesterreichs.

 

 

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12 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

in den Thälern jenes Theiles von Ober-Italien hier und da auf wendische Dörfer.

 

Aber auch die bisherigen Peiniger der Carantanier, die Avaren, wurden von Karl gezüchtigt und ihr Reich gestürzt und die Slaven wurden dadurch an einer andern Stelle erleichtert. Von Belochrobatia nämlich, welchen Namen Böhmen bis ins zehnte Jahrhundert führt, hatte sich das mährische oder marahanische Reich abgetrennt. Dieses wurde durch das Verschwinden der Avaren mächtig und herrschte über einen großen Theil von Ungarn und, durch die Gnade des Kaisers, seit 828 auch über Slavonien. Aber auch dieses Reich zerfiel schon gegen das Ende des Jahrhunderts. König Arnulf von Kärnthen bekriegte die Mähren und rief die Magjaren, welche so eben an der Theiß angekommen waren, gegen sie zu Hülfe. Die Magjaren leisteten Folge, nahmen aber alsdann das was König Arnulf gern für sich gehabt hätte und das Uebrige fiel an Böhmen und Polen; denn dieses neue Reich hatte sich auch schon gebildet und zwar seit Kurzem. Wir wollen nun nach den Slaven in der nördlichen Ebene sehen.

 

Hier wohnten von der Bille bei Hamburg bis an die Oder und Lausitzer Neiße und darüber hinaus eine Menge kleiner Völkerschaften deren Namen man größtentheils noch in heutigen Fluß- und Ortsnamen wiedererkennt *). Zwei unter ihnen genossen ein Principat über die andern. Dieses waren die Wilzen oder Welataben, auch Lutizen welche in Brandenburg und bis an die Ostsee herrschten, und die Obotriten nordwestlich von jenen in Meklenburg, mit der Hegemonie über alle Nachbarvölker, welche den Wilzen nicht gehorchten. Später wird der Name Wilzen nur noch auf vier an der Ostsee wohnende Stämme angewendet. Die Obotriten und Wilzen waren nun erbitterte Feinde; letztere hielten es mit den Sachsen. Karl der Große bediente sich nun der Obotriten um zuerst die Sachsen und nachdem diese bezwungen waren,

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*) S. Helmold Chronica Slavorum.

 

 

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13 Westliche Grenze der Älaven.

 

auch die Wilzen zu unterwerfen und machte Trasiko zum Herrn über alle östlichen Wenden. So hatte Karl der Große den Grund zur Unterwerfung der westlichen und südlichen Slaven gelegt. Er versuchte auch den nördlichen das Christenthum beizubringen und stiftete zu diesem Ende für sie das Bisthum Bremen. Aber es währte lange und erforderte Jahrhunderte und den kräftigen Willen eingeborner Fürsten um dieses Werk zu vollenden. Denn die Wenden waren zwar von nun an den Deutschen unterworfen und zinspflichtig, aber in Wahrheit eigentlich nur immer so lange als jene siegreich mit ihren großen Heeren im Lande standen. Besonders war dies auch gegen die Dänen der Fall, auf deren Inseln die Wenden aus Wagrien und von der Insel Femern sehr häufig Raubzüge machten wofür sie dann von jenen wieder gestraft und auf eine Zeitlang zinspflichtig gemacht wurden. Hier ist der einzige Punkt, außer dem adriatischen Meere, wo wir die Slaven in jenen Zeiten einige Schifffahrt treiben sehen. Die Uskoken im Süden waren so gar Seeräuber und machten Einfälle in das lombardische Gebiet.

 

Der Umstand daß die deutschen Kaiser in der folgenden Zeit aus dem sächsischen Hause waren, hat wesentlich zur Ausdehnung des Reiches gerade nach dieser Richtung und zur Bekehrung und Germanisirung dieser Völker beigetragen, aber weniger thaten es die großen Feldzüge als die Marken, welche die Kaiser gründeten. Wir wollen die kleineren davon übergehen und nur die wichtigeren nennen. Zuerst wurden die Einfälle der Magjaren, mit welchen sich die Belochrobaten und Sorben verbunden hatten, die Veranlassung zur Gründung der Mark Meißen. Kaiser Heinrich schlug die Magjaren bei Wurzen und jagte 928 die Sorben über die Elbe, nachdem sie durch einen Zeitraum von 394 Jahren zwischen dem Gebirge, der Elbe und Saale gesessen hatten. Ihre Festung Gana wurde zerstört und dafür die Burg Meißen an der Elbe, zugleich gegen die Milzener in der Lausitz gebaut. Diese Mark Meißen ist das Stammland des

 

 

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14 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

Königreichs Sachsen. Auch die Wilzen besiegte er, besonders die Heveller an der Havel und drang noch weiter vor. 936 gründete er die Mark Nordsachsen oder die Altmark, welche aber erst eine höhere Bedeutung unter den erblichen Markgrafen des Hauses Askanien gewinnt. Noch eine Glanzperiode war den Wenden für das folgende Jahrhundert bestimmt.

 

Noch in demselben Jahrhundert war die Familie der Babenberger in den Besitz der österreichischen Mark gekommen welche ursprünglich den Avaren abgewonnen war und nun gegen die Magjaren behauptet wurde. Dieses Land dehnte sich immer mehr aus und erweiterte dadurch die Trennung des südlichen Slavenzweiges von dem westlichen, während die deutschen Herren in Steiermark, Kärnthen und Krain für denselben Zweck wirkten. Nur Böhmen, das durch seine Einheit und geschützte Lage besonders begünstigt war, blieb unter seinen slavischen Herrschern von den Deutschen unangefochten. Das Christenthum, das schon seit längerer Zeit hier einheimisch war, wurde von hier aus dem polnischen Reiche mitgetheilt, dessen erste christliche Fürsten große Kriegshelden waren. Kaiser Otto III. kam im Jahre 1000 nach Gnesen, der Residenz des Herzogs Boleslaw, erstaunte über seine Macht und Herrlichkeit, schenkte ihm den Königstitel und gründete das Bisthum Gnesen. Zum Dank dafür rückte Boleslaw 1002 mit Heeresmacht ins deutsche Gebiet und unterwarf sich die damals noch heidnischen Lausitzen. Zu dieser Zeit hatte das polnische Reich seine größte Ausdehnung nach Westen und wenn es sich darin hätte behaupten können, so würde die Grenze der slavischen Bevölkerung heutzutage wahrscheinlich eine ganz andere sein. Aber Kaiser Konrad nahm dem Sohne Boleslaw‘s, Miecislaw, schon 1029 diese Länder wieder ab. Sie fielen zwar bei den Zerwürfnissen des Reiches unter Heinrich IV. wieder in die Hände eines slavischen Staates, nämlich Böhmens, und blieben mit diesem Staate, freilich mit mehrfachen Unterbrechungen, bis 1526 verbunden, aber Böhmen, als einziger Staat für die

 

 

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15 Westliche Grenze der Slaven.

 

Vertretung der slavischen Interessen, war zu schwach. Dennoch verdankte die Lausitz dieser langen Vereinigung mit Böhmen zum großen Theile ihre noch jetzt slavische Bevölkerung, freilich auch die drückende Art der Leibeigenschaft, die sich bei ihnen bis in sehr nahe liegenden Zeiten erhalten hat.

 

Von nun an tritt uns in diesen slavischen Ländern, mit Ausnahme Böhmens, eine merkwürdige Erscheinung entgegen. Die Fürsten und Großen der Wenden waren, bestochen durch das Ritterthum und die höfischen Sitten der Deutschen, theilweise auch durch ihre Erziehung die sie in Klöstern genossen hatten, zu Deutschen geworden und das Bewußtsein und Gefühl der eigenen Nationalität hatte sich in die Brust des gemeinen Haufens zurückgezogen. Jene standen dabei im Bunde mit dem Christenthume und der Kirche, diese mit dem Heidenthume. So war der Ausgang des Kampfes, der besonders bei Thronerledigungen mit furchtbarer Gewalt ausbrach, unschwer vorherzusehen. Je mächtiger ein solcher wendischer Fürst war, desto größere Fortschritte machte das Deutschthum unter ihm. So vereinigte im Jahre 1047 ein obotritischer Fürst mit Namen Gottschalk der in einem sächsischen Kloster erzogen worden war und in den besten damaligen Heeren in England und bei den Sachsen, Dänen und Normannen seine Kriegsschule gemacht hatte, die wendischen Stämme der Wagrier, Obotriten, Polabinzen, Lingonen, Warnaber, Kissiner, Circipaner, mit einem Worte alle Wenden zwischen der Bille und Peene, wozu später noch Rügen und Pommern trat. Ein Drittel seiner Völker machte er zu Christen, führte deutsche Sitten ein und baute zu diesem Ende Kirchen und Klöster. Er war bei diesem Geschäfte so eifrig daß er sich selber neben die Mönche stellte und ihre Predigten sogleich dem Volke in wendischer Sprache wiederholte. Wenn er auch nicht unabhängig war, denn er stand nicht nur unter dem Kaiser sondern selbst unter dem Herzoge von Sachsen, so war er doch ein mächtiger Herr. Wie schwer sein Arm auf seinen Völkern gelegen haben muß,

 

 

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16 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

sehen wir aus seinem Ende und der darauf folgenden Verwirrung des Reiches. Er wurde im Jahre 1066 zu Lenzen von aufrührerischen Heiden erschlagen und für eine Zeit kam die Herrschaft über seine Länder wieder an heidnische Fürsten, welche die Anfänge des Christenthums auf das Wüthendste verfolgten. Gottschalks Reich dauerte, wie das mährische, etwa 100 Jahre und zerfiel dann wieder in seine ursprünglichen Bestandteile *). Seit 1131 hat jeder Stamm wieder sein besonderes Oberhaupt. Das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert sind für die Verbreitung des Deutschthums und Christenthums unter diesen Wenden am wichtigsten. Es ist die Zeit wo alle Lehen in Deutschland erblich geworden waren, und wo die deutschen Völker zugleich eine eigentümliche Auswanderungslust ergriffen hatte, welche stellenweise in Ueberschwemmungen und Hungersnoth, aber gewiß auch noch in anderen Dingen ihre Ursache halte. Die Fluth nahm aber dießmal eine entgegengesetzte Richtung wie früher, nämlich nach Osten, ins Land der Wenden. Sie kamen friedlich, theils auf den Ruf von Fürsten, theils ohne das und siedelten sich hauptsächlich in dem, noch ganz unbebauten Erzgebirge und den Sudeten, ja selbst in den Karpaten und in Siebenbürgen an, trieben Ackerbau und gründeten Städte, in welchen sie die aus ihrer Heimath mitgebrachten Gewerbe forttrieben. Besonders wichtig sind in der letztern Beziehung die flandrischen Auswandrer, denn Flandern und Brabant waren in jener Zeit das, was jetzt England mit seiner Industrie für Europa und für die Welt ist.

 

Einer von den wendischen Fürsten, Pribislaw, setzte in seinem Testamente den Grafen von Ballenstädt und Anhalt und Markgrafen von Nordsachsen Albrecht den Bären zum Erben von Brandenburg ein. Dieß geschah um 1142 und Albrecht der Bär und seine Dynastie der Markgrafen von Brandenburg übernahmen das bisherige Geschäft des nun zerfallenen Herzogthums Sachsen, die Wenden zu unterwerfen

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*) S. Gebhardi Geschichte aller wendisch-slavischen Staaten.

 

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17 Westliche Glänze der Slaven.

 

und zu vertreiben. Nun ging es an ein Germanisiren. Deutsche Kolonisten aus Sachsen, Thüringen, Franken, vom Rhein und aus Flandern wurden ins Land gerufen und legten Städte und Dörfer an, wobei sie die Wenden durch Stadtordnungen von allen Gerechtsamen ausschlossen. Der Flämming in Wittenberg führt noch heute seinen Namenvon den Flämischen und die Namen der Städte Niemegk, Brück, Gräfenhainichen und Kemberg deuten auf Nimwegen, Brügge, Gravenhaag und Cambray. Deutsche Mönche verbreiteten deutsche Sprache und deutsche Bildung; auch die Tempelherren bekamen Schenkungen im Lande. Die slavischen Fürsten der Ostseeküste, aus deren Geschlechte das noch jetzt in Meklenburg regierende Haus ist, verheiratheten sich von nun an nur mit deutschen Prinzessinnen und waren selber die eifrigsten Beförderer dieses Entnationalisirungs-Systems und die Verheerungszüge der Deutschen und Dänen in den häufigen Kriegen erleichterten ihnen das Geschäft eine neue Bevölkerung dem Lande zu geben sehr beträchtlich. Alsbald gewann das Deutschthum einen neuen Angriffspunkt im Rücken der noch in Brandenburg und den beiden Lausitzen wohnhaften Slaven. Schon seit 1025 waren Deutsche nach den unbevölkerten Theilen des Landes geströmt, welches später den Namen Schlesien erhielt. Jetzt wurde, und zwar im Jahre 1163, durch besondere politische Verhältnisse, Schlesien von Polen abgetrennt und selbstständig und die drei ersten Herzoge dieses Landes welche ihre Jugend landflüchtig in Deutschland verlebt hatten und in Altenburg erzogen worden waren, brachten ihre Vorliebe für das Deutsche mit. Dem Deutschthum stand zwar hier das Christenthum nicht zur Seite, denn die Schlesier waren längst Christen, aber politische Verhältnisse; die Eifersucht der schlesischen Herzoge auf ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, welcher von Polen Gefahr drohte, waren die Bundesgenossen des deutschen Wesens und so wurde die Trennung vom Mutterlande immer größer. Durch Erbtheilungen vermehrte sich die Zahl der Herzogthümer bedeutend und da sich jeder Herzog seinen

Ermans Russ. Archiv, 1842. Hft. 1.

 

 

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18 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

deutschen Hof und deutsche Miethstruppen hielt, deutsche Handwerker, Künstler, Mönche, Kolonisten ins Land zog, da allmälig überall deutsches Recht eingeführt wurde, so dürfen wir uns nicht wundern wenn wir nach weniger als zwei Jahrhunderten die größere Hälfte von Schlesien als ein rein deutsches Land wiederfinden. Der Grund zur Deutschheit Schlesiens ist in dieser Zeit seiner Unabhängigkeit, welche von 1163 bis 1335 dauerte, und zwar durch seine eigenen Herrscher aus dem Blute der Piasten gelegt worden. Was später in dieser Beziehung geschehen ist, kann dagegen nur gering angeschlagen werden.

 

Eine neue und sehr wichtige Niederlassung von Deutschen bildete sich an den östlichsten Küsten der Ostsee, zwar in der Mitte litthauischer und finnischer Völker, aber doch in der unmittelbaren Nähe der Slaven. Dies war der deutsche Ritterorden in Preußen und Liefland, welcher von 1228 an (in Liefland schon seit dem Anfange des Jahrhunderts) sein Bekehrungsgeschäft mit dem Schwerte so nachdrücklich führte, daß noch vor Ablauf des Jahrhunderts ganz Preußen erobert und christlich war; nach und nach wurde es auch deutsch, besonders durch die vielen und großen Kreuzheere, welche zur Unterstützung der Ritter aus Deutschland herbeizogen und nach beendetem Kampfe sich häufig in dem verödeten Lande oder auf ihrem Rückwege in Pommern und den Marken niederließen, wo sie dann die Slaven verdrängten. Aber auch über viele slavische Länder dehnte der Orden seine Herrschaft aus und es gab eine Zeit wo seine Macht von der unteren Oder bis an den finnischen Meerbusen reichte. Er unterdrückte und verbot in seinem Gebiete die alte preußische Sprache und wird die slavische gewiß nicht begünstigt haben. Der durch die große Macht des Ordens erzeugte Uebermuth seiner Glieder, der an die Stelle ihrer früheren Begeisterung für die Religion trat, für die sie endlich nichts mehr zu thun hatten, als alle Heiden bekehrt waren und das Anwachsen der polnischen Macht durch die Vereinigung dieses Reiches mit Litthauen, wodurch das langgestreckte und schmale Ordensgebiet

 

 

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überall von Feinden umgeben wurde: dies waren die Umstände welche den Untergang des Ordens herbeiführten und auf eine Weile dem Slavismus einen Triumph bereiteten.

 

Wir kehren nun nach Böhmen und Mähren zurück, wo slavische Völker auf üppigerem Boden und von der Natur ringsumher durch vortreffliche Bollwerke geschützt, unter ihren eigenen Fürsten sich bisher gegen alle fremden Eingriffe behauptet hatten. Da mußte einer ihrer größten Könige ihnen gefährlich werden. König Ottokar, derselbe, welcher später während des Interregnums in Deutschland seine Macht auf eine Zeit über die Erbländer der Babenberger, bis ans adriatische Meer ausdehnte, hatte im Jahre 1255 einen Kreuzzug nach Preußen geführt. Es wurde dabei Sameland erobert und die Stadt Königsberg gegründet, die von ihm ihren Namen bekam. Dieses Kreuzheer, welches aus allerlei Deutschen bestand, soll Ottokar auf seinem Rückwege in den Sudeten, und zwar an den Quellen der Oder, angesiedelt haben *), also im östlichsten Winkel des auf unserer Karte angegebenen schlesischen Busens und im Angesicht der Karpathen, in deren Hochgebirge in der Zips schon hundert Jahre früher eine bedeutende deutsche Kolonie Platz gegriffen hatte. Ottokar that dies nicht aus Zufall, sondern, wie wir bald sehen werden, nach einem wohl erwogenen Plane. Er hatte eine deutsche Erziehung genossen und war daher ein großer Freund der deutschen Sprachen und Sitten und des deutschen Volkes, obwohl er viele Kriege mit demselben führte. Er that nun das Seinige um auch seine, bisher von fremden Einflüssen verschont gebliebenen Länder zu entnationalisiren und dazu war ihm sein um diese Länder sonst sehr verdienter Bischof von Ollmütz, Bruno von Schauenburg, ganz vorzüglich behülflich. Dieser zog Deutsche nach Ollmütz und auf seine Güter und legte bei Gotzenplotz in Oberschlesien,

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*) S. Meinert Beschreibung des Kuhländchens. Pelzel Gesch. von Böhmen u. Vers. einer Gesch. der Deutschen in Böhmen.

 

 

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bald nach 1241, wo die Mongolen das Land verheert halten, neun deutsche Dörfer an, welches, nach Meinert, die älteste urkundlich bewiesene Ansiedlung von Deutschen im Riesengebirge ist. Ottokar hatte schon als Markgraf von Mähren Pfälzer in dieses Land gezogen. Als König wies er den Deutschen eine Vorstadt in Prag an, baute die Städte Zittau in der Lausitz und Budweis in Böhmen und bevölkerte sie mit Deutschen, gab die Ellenbogner, Trautenauer und Glazer Gegend den Meißnern und Thüringern, ja versprach ihnen, wenn er siegte, ganz Böhmerland ihnen in ewigen Besitz zu geben. So angestrengte Bemühungen, die nachher noch von den luxemburgischen Königen fortgesetzt wurden, würden, auch trotz der dichteren Bevölkerung und der abgeschlossenen Lage des Landes, endlich das slavische Element auch hier bis auf die letzte Spur vertilgt haben, wenn nicht der spätere Hussitenkrieg und die nationale Regierung Podiebrads und seiner Nachfolger fast Alles wieder rückgängig gemacht hätten. Wurde doch noch 1615 die deutsche Sprache in Böhmen förmlich verboten. So ist dieses Land nebst Mähren das einzige, welches der großen Rückfluth der Deutschen unter ihren Kaisern seit Karl dem Großen bis Rudolph von Habsburg und von da ab den Versuchungen seiner eigenen Herrscher widerstehen konnte, Dank seiner größeren politischen Einheit und dem höheren geistigen Leben, das sich zuweilen darin bemerkbar machte.

 

Der Schutz, welchen die Böhmen durch die Lage und Beschaffenheit ihres Landes genossen, war auch bei den südlichen Slaven, die schon seit dem Ende des achten Jahrhunderts in politische Nichtigkeit versunken waren, beträchtlich wirksam. Sie mögen sich in Steiermark bald anfangs hinter die natürlichen Grenzen zurückgezogen haben, innerhalb deren sie gegenwärtig wohnen. Krain ist noch ganz wendisch, mit Ausnahme des Fürstenthums Gottschee, in welchem sich, rings von Slaven umgeben, eine alte deutsche Kolonie findet. In Kärnthen wo die Völker vor der Hand noch durch keine natürliche Gränze geschieden sind, werden die Slaven wohl

 

 

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auch bald bis ans Gebirge zurückgewichen sein, obwohl die österreichische Regierung nichts Wesentliches zu ihrer Beeinträchtigung thut.

 

Ganz anders aber wie mit dem süddeutschen Gebirgslande steht es mit der norddeutschen Ebene, wo man überall zu Wasser und zu Lande umgangen werden konnte und nur Sümpfe die allmählig austrockneten für einige Zeit einigen Schutz boten. So haben sich die Lausitzer erhalten, die ihren Namen selbst diesen Sümpfen verdanken. Die im Allgemeinen große Unfruchtbarkeit dieser Ebene erlaubte nirgends eine dichte Bevölkerung, so daß ihnen um so leichter von den Markgrafen ein Strich Landes nach dem andern abgetrotzt wurde. Ihre Industrie war gering und beschränkte sich, nächst dem Ackerbau, auf Leinwandbereitung und Fischfang, besonders Häringsfang. Diese ihre Produkte wurden in ihren Häfen auf normanischen Schiffen versendet. In der Heidenzeit war Arkona einer ihrer bedeutendsten Handelsplätze und es hatten sich daselbst Deutsche und christliche Russen niedergelassen. Am Ende wurde die Stadt von den Dänen erobert und zerstört. Noch jetzt leben Sagen an den Ufern der Divenow und Peene von den beiden großen slavischen Handelsstädten Julin und Wineta, wovon die letztere vom Meere verschlungen worden sein soll, so daß man noch jetzt bei ruhigem Wetter ihre Dächer und Thürme auf dem Grunde des Meeres erkennen will. Das Nähere hierüber findet man in Zöllner‘s Reise durch Pommern etc. 1797. Julin mag an der Stelle des heutigen Wollin gelegen haben und Wineta, dessen Spuren die Fischer des Dorfes Damerow auf Usedom (wo das Meer und das Achterwasser eine Landenge von nur 100 Ruthen Breite bilden) auf dem Grunde des Meeres zeigen, hat wahrscheinlich gar nicht da gelegen, sondern ist ebenfalls Julin, wenn nämlich Helmold, bei welchem der Name zuerst erwähnt wird, ualer civitas Veneta eine wendische Stadt und nicht eine Stadt des Namens Veneta verstanden hat, wie aus anderen Dingen sehr wahrscheinlich wird. Diese und andere Städte waren in der Mitte des

 

 

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zwölften Jahrhunderts noch heidnisch und mißhandelten den Bischof Otto von Bamberg, der sie im Jahre 1124 besuchte um ihnen das Christenthum zu predigen. Die Einfälle der Dänen, besonders Waldemar des Ersten in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts führten den gänzlichen Untergang einiger von diesen Seestädten herbei; im folgenden Jahrhunderte waren schon wieder andere blühend und 1284 treten gar die wendischen Städte Wismar, Rostock, Stralsund, Kolberg und Stolpe zur Hanse, welche zuvor nur aus den Städten Lübeck, Hamburg, Bremen, Braunschweig und Greifswalde bestanden hatte. Der Handel und die Verbindung mit der Hanse waren gewiß Beförderungsmittel der Germanisation.

 

Während hier das Deutschthum so immer weiter um sich griff, erlitt es an einer andern vom Mutterlande abgeschnittenen Stelle eine empfindliche Niederlage gegen das Slaventhum. Im Jahre 1466 verlor der deutsche Orden seine Unabhängigkeit nach einem dreizehnjärigen Kriege, den er mit Polen geführt hatte und Pomerellen und Theile vom westlichen Preußen wurden mit diesem Staate vereinigt, und für das Uebrige mußte der Hochmeister der Krone Polen den Huldigungseid leisten. Indessen vermochte eine dreihundertjährige Fremdherrschaft, nicht ganz das zu vernichten was die Ritter in nicht so langer Zeit fest gegründet hatten und die Ereignisse von 1772 stellten obendrein die Vereinigung dieser Länder und ihre Verbindung mit dem Mutterlande, aber freilich zum Schaden der zwischenwohnenden Slaven wieder her. Außerdem sind durch den Verlauf der Geschichte noch andere Slaven ihrer nationalen Regierungen beraubt worden, was indessen hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Das russische Reich schließt in seinen Gränzen die eine Hälfte der westlichen Slaven ein; die andere Hälfte steht unter deutschen Regierungen. Die südlichen Slaven gehören halb zur österreichischen Monarchie und halb zum osmanischen Reich, mit Ausnahme von Serbien das seit dem Anfange dieses Jahrhunderts eine Art Unabhängigkeit genießt. Die Servier waren

 

 

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auch von den südlichen Slaven die letzten die ein unabhängiges und im 14. Jahrhundert sehr mächtiges Reich bildeten, bis auch dieses durch Sultan Murad 1389 nach der Schlacht bei Kossowa zerstört wurde.

 

Wenn wir nun noch im Allgemeinen einen Rückblick auf die historische Ausbreitung der Slaven nach Westen werfen, so sehen wir sie im sechsten Jahrhundert bis in die Mitte von Deutschland vorgerückt, so daß sich heute in diesem Lande slavische und römische Reminiscenzen fast überall berühren, ja an manchen Stellen, besonders im südlichen Deutschland, sogar decken. Wie die Nordsee heutzutage das deutsche Meer genannt wird, so hieß damals die Ostsee mit Recht das scythische Meer, denn die ganze deutsche Küste desselben von Schleswig bis Danzig war von Slaven bewohnt. Oestlich einer Linie von Schleswig bis Triest war alles slavisch, mit Ausnahme der Donauufer, an welchen erst Deutsche, dann Avaren, dann wieder Deutsche, dann Magjaren und zuletzt wiederum Deutsche geherrscht und wahrscheinlich auch gewohnt haben, und die dünne grüne Linie welche auf der Karte die westlichste Gränze der Verbreitung des slavischen als herrschenden Volkes angiebt, müßte an der Stelle des jetzigen Oesterreich unterbrochen sein: sie müßte an den äußersten Enden des Böhmerwaldes aufhören und auf dem Gränzgebirge von Salzburg und Steiermark wieder beginnen, dann auf dem Hochgebirge fortlaufend, die Quellen der Drau umgehen, dann dem italischen Gränzgebirge eine Strecke nach Osten folgen und dann westlich vom Isonzo das Meer berühren. Das Isonzothal umschließt die Wenigen, welche dem slavischen Stamme durch das romanische Element entfremdet worden sind. Aber als friedliche Ackerbauer haben die Slaven auch diese Gränze noch weit überschritten. Noch heute findet man in einigen Thälern Oberitaliens, also jenseit des Gebirges, ganze vollkommen slavische Dörfer. In Deutschland ist über diese Linie hinaus wenigstens die Sprache überall verschwunden, nicht aber die Sitten und der eigenthümliche Charakter der Slaven. So z. B. an einigen Stellen

 

 

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der Altmark und im Lüneburgischen, wo früher eine sehr zahlreiche slavische Bevölkerung ansäßig war, welche noch im zwölften Jahrhundert das benachbarte Sächsische so durch ihre Raubzüge belästigte daß an der Aller Burgen gegen sie erbaut werden mußlen. In der Gegend von Lüchow und Dannenberg ist die slavische Sprache erst nach dem dreißigjährigen Kriege ganz verschwunden. Selbst eine Vorstadt der Stadt Lüneburg war slavisch. In den Sitten und Trachten dieser Leute soll noch jetzt Vieles an ihre Abstammung erinnern. Nächstdem ist die Gegend am Main und an der Rednitz in Franken sehr stark mit Slaven bevölkert gewesen, besonders zwischen Nürnberg und Bamberg um Erlangen und Forchheim. Sie kommen in den Urkunden als Main Winidi, Radanz Winidi vor. Die Namen der Flüsse Rednitz, Regnitz und Pegnitz sind ohne Zweifel slavischen Ursprungs. Auch bei Würzburg haben viele Slaven gewohnt. Das Stift Fulda wurde schon im achten Jahrhundert durch den heiligen Bonifacius mit Slaven bevölkert, welche die Wälder ausrodeten und das Land zuerst urbar machten. Selbst in der Grafschaft Hohenlohe und in der Pfalz bei Mannheim und Heidelberg sind Slaven freiwillig aufgenommen worden und wie der Freiherr von Haxthausen (nach Pideritz Chronicon comitatus Lippicae. 1627) anführt, so ist die Stadt Lemgo im Lippischen ganz oder theilweise von Slaven bewohnt gewesen. Noch jetzt soll es daselbst ein Slaventhor und eine Slavenstraße, einen Thurm der Jüterbock (Morgengott) heißt und ein slavisches Denkmal in Stein geben. Derselbe erwähnt daß in den Oertern Detmold und Brake eine Gegend noch jetzt die Wendenbörde heiße u. s. w.

 

Nachdem wir so die wandernden Slaven bis an den Rhein begleitet haben, wenden wir uns zu ihren gegenwärtigen Gränzen. Die Karte zeigt uns nun eine mannigfach gekrümmte Gränzlinie, welche in ihrer Entwickelung von der Ostsee bis in die Nähe der Donau weit über das Doppelte der früheren Glänze und wenigstens 250 Meilen beträgt. Das deutsche

 

 

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Schlesien bildet einen großen Busen, der sich zwischen Böhmen und Polen, der Gestalt des Gebirges folgend, weit ins Slavische hineinerstreckt und seinen östlichsten Punkt südöstlich von den Oderquellen und im Angesichte der Beskiden bei Neutitschein und Stramberg in Mähren hat. In dieser Gegend befindet sich der Stamm der Lachen die mit ihrer Mundart einen Uebergang des Böhmischen in das Polnische darstellen. Sie wohnen vom Knie der Oder, wo sie sich aus der östlichen Richtung nach Norden umbiegt, bis an das Gebirge, welches dann die Gränze zwischen den beiden Sprachstämmen übernimmt; denn man rechnet die Slavaken in Ungarn zum böhmisch-mährischen Sprachstamme. Ja im Verlauf dieser Gränze auf den Karpathen selbst treten die Deutschen noch einmal trennend zwischen den slovischen Stämmen auf, nämlich in der Zips, die fast ganz von Deutschen bewohnt ist.

 

Manche haben aus der totalen Deutschheit der Sudeten und des Erzgebirges schließen wollen daß sich auf diesen Bergen eine uralte deutsche Bevölkerung erhalten habe, etwa Hermunduren oder dergleichen, die von den nachrückenden Slaven nicht hätten vertrieben werden können. Dem widerspricht aber sehr Vieles. Nur das ist für unsern Zweck zu wissen nothwendig, daß die Slaven dennoch nie ins Gebirge gekommen sind, weil es zu rauh und unfruchtbar war und es ist erst in sehr später Zeit von deutschen Kolonisten besetzt worden, die sich dann von da aus mit Hülfe neuer Ankömmlinge in die Ebene verbreiteten. Die Slaven mögen überhaupt die Ebenen geliebt haben; in Ungarn mußten sie sich vor den Magjaren in die Gebirge flüchten, die dort wahrscheinlich auch erst sehr spät bevölkert worden sind; im Süden von Europa giebt es freilich keine Ebenen und sie mußten endlich, da sie Widerstand fanden, mit ihren Wanderungen inne halten. In der Lausitz berührt sich freilich der böhmische und polnische Stamm, denn die Oberlausitzer nähern sich mit ihrer Sprache den Böhmen, die Niederlausitzer den Polen, aber das Gebirge verliert an dieser Stelle auch

 

 

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ganz den Charakter eines Gränzgebirges, es ist kein Zug mehr, sondern ein sich verbreitendes, nicht sehr hohes oder unzugängliches Bergland. Dabei bricht die Elbe hindurch und zeigt den Weg. Dies ist auch die Stelle des Gebirges, von der man historisch weiß daß sie von Slaven bevölkert gewesen ist. In der sächsischen Schweiz und der Gegend von Dresden wohnten die Dalemincier, ein slavisches Volk, nur mit einem deutschen Namen, der wahrscheinlich Thalmenschen bedeutet und auf diese Gegend vortrefflich paßt, weil wahrscheinlich nur die tiefeinschneidenden Flußthäler dieses Landes damals bewohnbar waren. Denn das Ganze ist ein rauhes Plateau, das strichweise von den Flüssen bis auf den Grund ausgespühlt ist. Die in den Thälern stehen gebliebenen Trümmer, wie der Lilienstein, Königstein, Schreckenstein u. s. w. , deren Gipfel mit der Hochebene im Niveau liegen, lassen auf den ursprünglichen Zusammenhang schließen.

 

Zu beiden Seiten des deutsch-schlesischen Busens bildet das Territorium der heutigen westlichen Slaven nun zwei große Halbinseln, die polnische, nämlich das Großherzogthum Posen, und die böhmische, von denen die erstere bei Schwerin an der Warthe, die andere bei Tauß im Böhmerwalde ihr westliches Vorgebirge hat. In der Mitte zwischen beiden findet sich die einzige bedeutende Enclave, die Insel der Lausitz. Eine dritte Halbinsel, welche zwischen deutschen Völkern nach Norden streicht, ist die pomerellische, mit der Wurzel oder dem Isthmus bei Polnisch Krone und dem Vorgebirge Hela. Der Raum zwischen der Gränze des 6. und des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen, also das Terrain welches den Slaven im Verlauf der Geschichte von den Deutschen abgewonnen worden ist, beträgt nach einer ungefähren Berechnung 3612 □ M. Da hiervon auf die südlichen Slaven nur etwa 449 □ M. kommen, so haben also die westlichen allein 3163 □ M. Land verloren, ein in der europäischen Staatengeschichte einziges Ergebniß.

 

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Da die Karte, wegen des kleinen Maaßstabes, nur im Allgemeinen ein Bild, aber für die specieller Interessirten keine genaue Nachweisung der Sprachgränze gibt, so will ich zur Ergänzung nähere Bestimmungen hinzufügen, nach welchen auch auf einer Specialkarte eine ungefähr genaue Gränze eingetragen werden könnte. Ich muß hierbei, was die Gränze von Litthauen an bis zur Warthe betrifft, mich auf Dörings ethnographische Karte der preußischen Monarchie beziehen, welche gewiß Fehler hat, aber doch für den preußischen Staat die einzige und also die beste Quelle ist. Ungefähr von der Warthe an bis an die Gränze von Mähren ist mir der Gegenstand durch persönliche Ortskenntniß und gesammelte Nachrichten genau bekannt. Von da ab nach Süden sind bei jedem Lande die besten Quellen angegeben, die für den österreichischen Staat größtentheils ganz vortrefflich sind. Auf den Specialkarten, in welche ich vorher die Gränzen eingetragen habe, sind von mir diejenigen Dörfer, in welchen überhaupt noch slavisch in irgend einem Dialekte gesprochen wird, wenn auch in der Minderzahl, mit ins Slavische gezogen worden, nach demselben Grundsatze, nach welchem ich das Polnische in dem von Polen ganz durchwachsenen und durchzogenen Litthauen ignorire. Es kam hier auf die ursprüngliche Aussäung der Völker an, etwa wie man naturhistorisch Karten über die natürliche Vertheilung und Verbreitung der Pflanzen und Thiere zeichnet. Der Vergleich ist um so zulässiger, wenn man bedenkt, daß die Vorfahren dieser Völker doch nicht mit der Landkarte in der Hand ihre Wanderungen angestellt, vielmehr auf höhere Leitung unbewußt Platz gegriffen haben. Die Fehler ihrer Art zu reisen, ihre Unkunde in der Geographie haben sie zum Theil auch schwer gebüßt. Der Ehrgeiz trieb sie zu Eroberungen, in deren Folge sie mit ihrer Eigenthümlichkeit in der Nationalität der Unterworfenen untergingen. Wem sind die ruhmwürdigen Völker nicht bekannt, die sich auf diese Weise verfahren haben? Die Gothen, Vandalen, Sueven, Alanen, Burgunder, Franken, Longobarden u. s. w. und die Deutschen

 

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28 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

haben gewiß auf diese Weise nicht weniger von ihrer Nationssubstanz an andere Völker verloren als die Slaven, nur auf andere Art und in früherer Zeit. Die Slaven begingen auf andere Weise dieselben Fehler. Ihre vorgeschobene Stellung in der norddeutschen Ebene, auf solchem Boden, und von Skandinaviern und Deutschen eingeschlossen, war unhaltbar, ganz abgesehen vom Christenthum oder vielmehr von ihrem niedrigen Bildungsstande. Anders haben es freilich allezeit die gebildeten Völker gemacht. Räthselhaft bleibt es durchaus, wie die Römer, die gar nicht wanderten, sondern nur eroberten und beherrschten, den Unterworfenen ihre Sprache beigebracht haben. Eine auffallendere Thatsache als die Verdrängung der slavischen Stämme ist es gewiß, daß ganz Gallien nach dreihundert Jahren römisch sprach. Weit weniger auffallend daß die selbst wandernden und mit den Waffen der Welt und der Religion kämpfenden Araber sich so weit verbreitet haben daß die Sprache der wüsten Halbinsel nun mehr vom Senegal bis zum Hindukuh und nach Dekkan und von den Mündungen der Donau bis ins Kafferland einen wohl bekannten Klang hat *). Die Erfolge der Deutschen gegen die Slaven stehen in dieser Beziehung weit unter denen der Römer. Hätten die Römer nicht diesen umgestaltenden Einfluß auf die Sprachen der gallischen und hispanischen Völker ausgeübt und alles in dem Maaße gleich gemacht, daß es heutzutage unmöglich ist, zwischen Völkern wie die Spanier, Franzosen und Italiener, deren Schriftsprachen literarisch entwickelt und von einander verschieden sind, in Bezug auf die Sprache des Volkes Gränzen zu ziehen, weil diese an allen Stellen ganz allmählig in die benachbarte übergeht, so daß die Landessprache in der Grafschaft Nizza z. B. so gut für Französisch wie für Italienisch angesprochen werden kann; hätten, wiederhole ich, diese alten Völker ihre

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*) Aber auch nur diesen. Die Landessprachen hat das Arabische nirgends verdrängt, wo sie nicht, wie in Syrien und Palästina, mit ihm verwandt waren. Sch.

 

 

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Sprachen behalten, so würden wir durch diesen Umstand in Stand gesetzt sein einen tieferen Blick in die Urgeschichte der europäischen Aboriginer zu thun, was doch bei den obwaltenden Umständen fast unmöglich ist *). Bei den neueuropäischen Völkern sind aber die Verhältnisse anders, besonders bei den östlichen. Die Veränderungen, welche durch das neue Staatenthum, in welchem die Sprache nur ein geringerer Factor des Staates ist, eingetreten sind, können wir historisch bis in die Zeiten verfolgen wo die Begriffe Volk und Nation noch identisch waren. Ja da diese Veränderungen hier nicht in dem Maaße wie dort bedeutend sind, so eröffnet uns auf diesem Felde der Blick der uns dort versagt war, in der gegenwärtigen Configuration der Völkergebiete, eine weite Aussicht in die graueste Vorzeit. Mit Hülfe der in neuerer Zeit so bedeutend gewordenen vergleichenden Sprachwissenschaft sind daher in dieser Beziehung die überraschendsten Resultate zu Tage gefördert worden. Aus dem anscheinend unentwirrbaren Knäuel, in welchen die Völker auf der Erde historisch, unbewußt durcheinander gelaufen sind, löst der Sprachforscher die Fäden, legt sie in eine dem menschlichen Geiste faßliche und wohlgefällige Ordnung und weist nach, was von der Hand der Parze, die das Leben der Völker spinnt, später und was früher gesponnen ist. Der Osten Europa‘s und Asiens sind in dieser Beziehung die wichtigsten Gebiete und es ist für dieses Feld, von der Großmuth der russischen Regierung, die schon so außerordentlich viel für die Förderung der Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaft und der Ethnographie, thut, noch Großes zu erwarten. Man muß die Völker kennen lernen, und ihre Wohnsitze genau bestimmen um

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*) Ueberreste der gallischen oder keltischen Sprachen sind: das Bretagne‘sche, das Kymrische in Wales (Gales), das gaelische in Schottland und Irland. Bopp hat in neuester Zeit auch über diese Sprachen interessante Forschungen angestellt und ihre Verwandschaft mit den Indisch-europäischen dargethan. — Das ganz isolirt stehende Baskische in den Pyrenäen ist die wahrscheinliche Muttersprache der alten Hispanier. Sch.

 

 

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30 Historisch -linguistische Wissenschaften.

 

der Methode der Sprach- und Geschichtsforschung zu Hülfe zu kommen. Da diese Forschung empirisch und synthetisch ist, so müßte namentlich auch die Kartographie das Ihrige thun. Aber diese hat bis jetzt noch auf sich warten lassen. Es giebt oder gab bis jetzt noch nicht einmal eine ethnographische Karte von Europa, geschweige denn von andern Erdtheilen. Obermüller hat eine solche so eben in Paris herausgegeben, und obwohl die erste Auflage davon schon vergriffen sein soll, ist doch noch kein Exemplar davon nach Berlin gekommen; wenn dies nicht eine Buchhändlermystification von Brockhaus und Avenarius ist, wofür der Umstand spricht daß sich in Frankreich, wegen des geringen Publikums für Karten, nicht leicht eine Auflage einer Karte vergreift, so würde das ein Zeichen für das Bedürfnis sein. Schaffarik in Prag soll mit einer ähnlichen Karte fast fertig sein und von dieser würde gewiß sehr viel erwartet werden dürfen. Es ist demjenigen, der sich mit solchen Gegenständen beschäftigt, nur Unbefangenheit und eine möglichst objektive Auffassung des Gegenstandes zu wünschen. Ein Politiker taugt nicht dazu; er macht die Wallachen und Litthauer, wo möglich auch die Griechen zu Slaven, die Elsasser zu Franzosen oder die Wallonen zu Deutschen, welche alle dadurch doch bleiben was sie seit Jahrhunderten sind. Für die Verbreitung der Sprachen gebildeter und herrschender Völker giebt ein Blick auf die politische Landkarte fast genügende Belehrung. Für den ethnographischen Zweck muß die Volkssprache berücksichtigt werden. Das andere läßt sich graphisch auf keine Weise genügend darstellen und verwirrt nur das Bild, abgesehen davon daß es zur historisch-ethnographischen Betrachtung unnütz ist.

 

Nach dem weiter oben Angegebenen muß also die hier beigegebene kleine Karte beurtheilt werden. Unsere Westgränze wird demnach absolut für das Slavische etwas günstig ausgefallen sein; der Grad der Vermischung ist deshalb, um auch dies zu berücksichtigen, bei der erklärenden Behandlung der einzelnen Provinzen angegeben worden. Wenn sich hier

 

 

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31 Westliche Gränze der Slaven.

 

oder da dennoch ein kleines Versehen lande, so wird das mit der Schwierigkeit der Behandlung entschuldigt werden, um so mehr, da bei der Verschiedenheit der Quellen sich nicht ein einziger Maaßstab anlegen ließ. Eine solche Arbeit müßte dazu in ihren kleinsten Einzelnheiten von einem Einzigen besorgt werden, welches unmöglich ist oder von Solchen, die sich über die Methode vorher verständigt hätten.

 

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Westliche Slaven.

Preußen und Pommern.

 

Preußen wird von Völkern deutscher, slavischer und litthauischer Nation bewohnt. Die Litthauer, die Reste der alten Preußen, nehmen nur noch den nordöstlichsten Theil des Landes ein, fast genau die nördliche Hälfte des Regierungsbezirks Gumbinnen bis Goldapp nebst der ganzen kurischen Nehrung und der Gegend von Labiau. Ihre Sprache, welche deutsche Elemente in sich aufgenommen hat, wird nur auf dem Lande, nicht in Städten gesprochen. Für die Erlernung ihrer Sprache ist an der theologischen Facultät in Königsberg ein litthauisches Seminarium. Ihre schönen Volkslieder sind zum Theil gesammelt und übersetzt von Rhesa. Sie sind die nördlichen Nachbarn der Slaven. Diese nehmen den südlichen Rand des Königreichs ein und berühren das Meer erst jenseits der Weichsel, nördlich von Danzig. Der innere Kern des Landes ist also deutsch. Im Lande westlich der Weichsel, dem alten Pommerellen finden sich nur sehr wenig Striche z. B. die Gegend um Bromberg und den Kanal und ein Streif an der Weichsel. Von Pommern ist nur der östlichste Winkel, an der Küste hin von den Kaschuben bewohnt. Andere Slaven finden sich in den etwas nach Osten vorspringenden Landestheilen, zusammen ein sehr geringer Theil der Provinz Pommern. In den Städten von Preußen

 

 

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32 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

und Pommern ist allgemein die deutsche Sprache herrschend. Die Gränze der Slaven gegen die Litthauer kommt etwa von Grodno vom Njemen her, trifft die preußische Gränze bei Przerosl, geht von da, nördlich von Goldapp auf Nordenburg zu bis an die Gränze des Regierungsbezirks und läuft nun etwa parallel mit der preußischen Südgränze zwischen folgenden Städten hin:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Rastenburg.

Angerburg.

Bischofsburg.

Sensburg.

Guttstadt.

Wartenburg.

Mohrungen.

Osterode.

Saalfeld.

Liebemühl.

Deutsch Eilau.

Löbau.

Freistadt.

Lessen.

Bischofswerder.

 

Garnsee.

 

 

Bei Neuenburg trifft sie die Weichsel welche sie auf der andern Seite nach unten bis hinter Dirschau begleitet, dann springt sie ab und geht nördlich von Danzig bei Langenfuhr ans Meer. Südlich von Neuenburg hat die Weichsel stellenweise deutsche Ufer bis nach Thorn; auch der Bromberger Kanal hat deutsche Anwohner. Die Küste ist von Langenfuhr bis an die Mündung der Lupow slavisch und zwar so weit sie zu Pommern gehört kaschubisch. Von der Mündung der Lupow geht die Gränze wieder eine Meile weit südlich, dann rein östlich, umgeht Lauenburg, dessen Gegend deutsch ist, geht dann in ziemlich gerader Richtung südwestlich über Bütow bis Rummelsburg, dann weiter:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Rummelsburg.

Juchel.

Konitz.

Kammin.

Pr. Friedland.

 

Krojanke.

 

 

 

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33 Westliche Gränze der Slaven.

 

Wandsburg und Tempelburg sind deutsche Enclaven. Eine polnische Enclave ist östlich der Weichsel zwischen Stuhm und Christburg. Der bei weitem größte Theil des Landes also, welches früher zu Polen gehörte, ist noch polnisch, mit Ausnahme der Städte.

 

Posen.

 

Von Krojanke nach Uszcz, von wo sie ungefähr dem Laufe der Netze bis zur neumärkischen Gränze und dann dieser bis Zirka folgt; dann geht sie zwischen

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Schwerin.

Birnbaum.

Blesen.

Betsche.

Meseritz.

Tirschtiegel.

Brätz.

Bentschen.

 

Bomst.

 

Unruhstadt.

 

Von Brätz längs der Gränze und in einem schmalen Streifen die faule Obra entlang bis an die Oder, wo die Dörfer Tschicherzig und Padligar einen ganz besonderen, dem Russischen sehr ähnlichen Dialekt sprechen sollen. Friedrich der Große soll sie bei Zorndorf als Dollmetscher gebraucht haben. Dies wäre im unteren Verlauf der Oder die einzige Stelle wo das Slavische heute noch unmittelbar den Fluß berührt. Von Unruhstadt dann rein östlich bis etwas südlich von Schmiegel und dann zwischen

 

Lissa.

Storchnest.

Reisen.

Punitz.

Bojandwo.

 

 

Dieser Theil von Unruhstadt bis Bojanowo ist schon länger deutsch, da er früher und gerade in der für die Germanisation Schlesiens so wichtigen Periode zu diesem Lande gehörte. Das Fraustädter Gebiet wurde erst nach 1335 im Vertrage von Trentschin von Johann v. Luxemburg, König von Böhmen, an Kasimir III. von Polen abgetreten.

Ermans Russ. Archiv. 1842, Hft. I.

 

 

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34 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

Die Städte, an der niederschlesischen und märkischen Gränze, welche noch im slavischen Gebiete liegen, also in der kleineren westlichen Hälfte des Großherzogthums sind deutsch, die übrigen vollkommen polnisch, auch Posen größtentheils. Die Gegend von Bromberg ist schon bei Preußen abgehandelt.

 

Schlesien.

Oesterreichischen und Preußischen Antheils.

 

Seit 1025 in seinen damals noch unbebauten Theilen besonders dem Gebirge durch deutsche Kolonisten bevölkert und seit 1163, wo es selbstständig wird, durch seine eigenen Herzoge germanisirt und mit Ausnahme der Unterbrechung von 1439 bis 1526 wo es zu Böhmen und Ungarn gehörte, stets unter deutschen Herrschern, ist es ein wesentlich deutsches Land geworden und die noch zahlreichen slavischen Landbewohner, welche etwa den dritten Theil des Landes einnehmen, haben keine Ahnung mehr, daß es jemals anders gewesen. Man unterscheidet im preußischen Schlesien vier Mundarten. Die der Oder zunächst wohnenden werden von den Deutschen Wasserpolacken genannt. Ihre Sprache hat viel deutsche Elemente in sich aufgenommen. Von Schurgast bis unterhalb Ohlau bildet die Oder die Gränze der Sprachstämme. Die Enclaven sind unbedeutend. Im Regierungsbezirk Oppeln ist ein beträchtlicher Landstrich südlich der Oder deutsch, dagegen ein ziemlich breiter Saum an der Ostgränze des Regierungsbezirks Breslau, nördlich der Oder bis Militsch slavisch. Am rechten Ufer der Oder ist die slavische Bevölkerung am meisten gegen Westen vorgeschoben, nämlich bis zu dem Dorfe Laskowitz, drei Meilen von Breslau; doch ist diese Gegend sehr mit Deutschen vermischt; ein breiter Saum längs der ganzen Gränze in Schlesien spricht beide Sprachen. Die Städte sind durchaus deutsch. Vom österreichischen Schlesien ist Jägerndorf ganz deutsch, Troppau zum größten Theil und nur der südöstlichste Winkel hat slavische Bewohner. Teschen ist ganz slavisch und enthält

 

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35 Westliche Gränze der Slaven.

 

einen Theil der in Mähren wohnenden besonderen Stämme der Lachen und Wlachen. Die Oder entspringt in Mähren, durchschneidet dann den südlichsten Theil des Troppauer Kreises bei Oderberg, verläßt Schlesien wieder auf eine kurze Zeit und bildet dann bis in die Nähe von Mährisch Ostrau die Gränze zwischen Troppau und Mähren. Der obere Verlauf dieses Flusses ist nun wie der untere deutsch. Durch slavisches Gebiet geht er von dem Dorfe Engelswald an der Südwestgränze von Troppau bis Schurgast und von da begleiten ihn auf seinem rechten Ufer slavische Anwohner bis Laskowitz, drei Meilen oberhalb Breslau. Späterhin berührt das slavische Gebiet die Oder, wie schon erwähnt, nur noch an einer Stelle, nämlich in der Gegend von Zülichau an der Mündung der faulen Obra in dem Dorfe Tschicherzig. Die Oder verhält sich also zu den beiden Nationen gerade so wie die Elbe, wie wir später sehen werden.

 

Die Sprachgränze für Schlesien wäre nun folgende: Von Bojanowo längs der Glänze des Großherzogthums bis auf den Punkt derselben, der auf der Linie zwischen Dubin und Militsch liegt. Dann zwischen:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Sulau.

Militsch.

Juliusburg.

Goschätz.

Oels.

Festenberg.

Bernstadt.

P. Wartenberg.

 

Namslau.

 

Wendet sich nach Westen und berührt bei Laskowitz, wo noch polnisch gesprochen wird, die Oder. Dann eine Meile oberhalb Schurgast nach Süden zwischen:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Falkenberg.

Oppeln.

Steinau.

Proskau.

Neustadt.

Zülz.

 

Nun ist die österreichische Gränze erreicht und zwar bei Gotzenplotz, wo die ältesten deutschen Kolonien des

 

 

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36 Historisch - linguistische Wissenschaften. .

 

 

Bischofs Bruno von Ollmütz sich finden, aus der Zeit nach dem Einbruche der Mongolen, und die Linie springt sogleich wieder ins Preußische zurück und läuft in der Entfernung von mehr als einer Meile parallel mit der Gränze über Leobschütz, Deutsch-Neukirch, Katscher, nach der Gränze bei Troppau, von da die Oppa hinauf bis eine Meile oberhalb Troppau nach Skrochowitz, von da über Zattig nach Nieder-Wiegstein an der Mora und dann über Wagstadt nach Engelswald an der Oder, welche hier die Gränze zwischen Schlesien und Mähren bildet. Noch eine mährische Enclave findet sich an der obern Oder in der Nähe von Wiegstadtl und quer über die Gränze von Mähren gehend, nämlich die Dörfer Glockersdorf, Sponau, Scherzdorf. In der unmittelbaren Nähe der Stadt Strahlen ist eine hussitisch böhmische Kolonie in den beiden Dörfern Hussinetz und Podiebrad, deren Bewohner sich noch ihrer Sprache bedienen und in der Gegend von Ohlau nach dem Zobten zu, mitten im Deutschen, sind noch mehrere Dörfer wie Zedlitz, Sackerau, Saulwitz, Zottwitz, Mellenau, Marschwitz, deren Einwohner sich beider Sprachen bedienen. Der Landadel und die Städte sind wie in Preußen und Pommern überall deutsch.

 

Siehe für österreichisch Schlesien: „Ens, das Oppaland.“ 4 Thle.

 

Zu Schlesien gehört jetzt auch ein Theil der slavischen Lausitz; wir wollen aber diesen im Zusammenhang mit den brandenburgischen und königlich sächsischen Antheilen betrachten und gehen deshalb jetzt zur Lausitz überhaupt über.

 

Die beiden Lausitzen.

 

In der Mitte der beiden Lausitzen hat sich ein ziemlich arrondirter Kern slavischer Bevölkerung erhalten, ¼ Million Menschen, Reste der alten Sorben, wie sie sich denn selber in der Oberlausitz Serben, in der Niederlausitz Sersken nennen. Nebst der Sprache erhielt sich bei ihnen auch die Leibeigenschaft in einer sehr strengen Form bis in die neue

 

 

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37 Westliche Gränze der Slaven.

 

Zeit. Die Umstände, welche beides begünstigt haben, sind zum Theil schon oben angeführt worden. Die Beschaffenheit des Bodens, welcher von vielen Flüssen und Seen durchschnitten ist, wonach der Name Lausitz (Teichland, Lachenland) selbst gebildet wurde, der sich ursprünglich nur auf die Niederlausitz bezog, mag den alten Sorben, welche sich dahin zusammendrängten, zum Schutze gedient haben. Noch heute ist die Communication in diesem Lande schwierig; es besitzt nur wenig Chausseen und hofft nunmehr durch eine Eisenbahn mit der Welt in Verbindung gesetzt zu werden. Vielleicht hat die lange und innige Vereinigung dieses Landes mit Böhmen, von dem es auch durch keine eigentliche Naturgränze abgeschnitten ist, noch mehr dazu beigetragen. Die Hussitenkriege haben die Lausitz sehr stark berührt und das Deutschthum darin so wenig als im eigentlichen Böhmen gefördert. Erst 1635 kamen die Lausitzen an das Kurfürstenthum Sachsen. Die Oberlausitzer, deren Dialekt sich dem Böhmischen nähert, wohnen in den Kreisen Rothenburg und Hoyerswerda, einem kleinen Theile des Kreises Görlitz und im Budissiner Kreisdirektionsbezirk und den dazu geschlagenen erbländischen Orten. Die Niederlausitzer mit einer dem Polnischen (?) mehr ähnlichen Mundart, in den Kreisen Sorau, Lübben, Guben, Kalau, Spremberg und Kottbus. Als natürliche Gränze dient auf eine Strecke gegen Osten die Neisse. Genaueres läßt sich bis jetzt über ihre Wohnsitze nicht angeben. Alle Lausitzer Wenden zusammen betragen 245000 Seelen, wovon etwa 50000 auf das Königreich Sachsen kommen. Sie besitzen eine große Menge Volkslieder, deren Sammlung und Herausgabe die Herren Haupt und Schmoler begonnen haben. Bis jetzt ist ein Heft erschienen,

 

Die slavischen Bewohner der bis jetzt abgehandelten Provinzen des nördlichen Deutschlands, oder besser Preußens, unterscheiden sich in ihren Sitten und Trachten heutzutage

 

 

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38 Historisch- linguistische Wissenschaften.

 

nicht sehr bedeutend von ihren deutschen Nachbarn, durchaus nicht so wie manche slavische Stämme der österreichischen Monarchie. Sonderbarer Weise haben sich aber eigentümliche Sitten und Trachten bei manchen Stämmen erhalten, die schon vor vielen Jahrhunderten genölhigt wurden ihre Sprache zu vergessen, so daß sie wenigstens Eins retteten. Dahin gehören die Bewohner der Halbinsel Münkgut auf Rügen, die Lüneburger Wenden, die noch im dreißigjährigen Kriege in ihrer alten Sprache redeten. Ferner die Altenburger Wenden die einen Landstrich von 15 M. an der Pleiße und Zwickauer Mulde so wie auch einige Schönburgische und Zwickauische Aemter und Theile des Leipziger Kreises bewohnen; ein kleines stolzes Völkchen, das sich von seinen Nachbarn streng abgesondert hält und durch die Fruchtbarkeit seines Landstrichs ziemlich wohlhabend ist. Ihr Landgraf Friedrich verbot ihnen 1327 bei Todesstrafe die wendische Sprache und erklärte zugleich alle Wenden für unfähig öffentliche Aemter zu bekleiden. Auch in Leipzig soll nach Schmoler erst um diese Zeit die wendische Sprache ganz verschwunden sein. Ich weiß nicht ob die sonderbare Tracht der Bewohner des Oderbruches auch als Ueberrest aus der slavischen Zeit hierher zu rechnen ist. Wohl aber gehören hierher die sogenannten Kräuter der Vorstädte von Breslau, welche sich von ihren deutschen Nachbarn sehr auffallend durch ihre Tracht und eine ganz besondere Art des Acker- und Gartenbaues, die sie vielleicht mit den Gemüse bauenden Russen in den Vorstädten von Riga und Narwa gemein haben, unterscheiden. Vielleicht wäre dies eine Art slavischer National-Industrie. Die Russen sind wenigstens als gute Gärtner bekannt, wie uns die sogenannten astrachanisçhen Erbsen beweisen, welche alle aus dem Innern des nördlichen Russlands und nicht aus Astrachan zu uns kommen. *) (Möglicherweise könnten die Gemüsebauer um Erfurt, deren Kresse und Rettige so weit versendet werden, auch eine slavische Kolonie sein).

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*) Der Verfasser bezieht sich auf dieses Archiv Bd. I. S. 697. E.

 

 

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39 Westliche Gränze der Slaven.

 

Die jetzigen Verhältnisse der Bauern in Meklenburg möchten das Einzige sein, was sich von lebenden Institutionen noch aus der slavischen Zeit herschreibt.

 

Unvergängliche Bauwerke haben diese Slaven nicht hinterlassen; ihre Städte und Festungen waren nur von Holz aber die unzähligen slavischen Namen von Städten und Dörfern in der germanisirten Ebene, werden das Andenken an die Nation, welche sie gründete, niemals ganz untergehen lassen. Wir gehen nun über zu dem Gebirgslande des östlichen Deutschlands und Ungarns.

 

Mähren.

 

Der Kern des Landes ist mährisch und stellt eine Verbindung des slavischen Böhmen und Ungarn dar. Doch hat das Deutschthum am nördlichen und südlichen Rande soweit eingegriffen, daß diese Verbindung an einer Stelle von Pohorlitz bis Briesau nur eine Breite von 10 Meilen hat. Das schlesische Gebirge, welches hier den Namen Gesenke führt, ist deutsch, also der nordwestliche Theil des Prarauer und die bei weitem größere nördliche Hälfte des Ollmützer Kreises. Die böhmisch mährische Gränze ist auf beiden Seiten deutsch bis zum Brünner Kreise. Nur an der March geht die slavische Bevölkerung ziemlich weit hinauf bis an die böhmische Gränze zwischen Schildberg und Landskron. Im Süden ist die Taya in ihrem ganzen Verlaufe bis Eisgrub deutsch, mithin die südöstlichste Ecke des Iglauer Kreises, der südliche Rand des Znaymer mit der Stadt Znaym und die südwestliche Ecke des Brünner Kreises. Ganz slavisch ist also nur der Hradischer Kreis und fast ganz der Iglauer. Deutsche Enclaven im Inneren bilden die Städte Ollmütz und Brünn mit ihren Umgebungen. Eine andere deutsche Enclave ist im südwestlichen Theile des Ollmützer Kreises, die Dörfer Rosenberg, Brodeck, Wachtl und einige andere. Dagegen findet sich eine slavische Kolonie und zwar von Kroaten an der Taya bei Neu-Prerau und Fröllersdorf. Zwei Drittel der ganzen Bevölkerung des Landes gehören der

 

 

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40 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

slavischen Zunge an. Die Gränze beginnt an der oberen Oder bei Engelswald und geht zwischen:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Stramberg.

Freiberg.

Neutitschein.

Frankstadt.

Bodenstadt.

Alttitschein.

Gibau.

Weißkirchen.

Sternberg.

Wisternitz.

Littau.

Aussee.

Mährisch Neustadt.

Hohenstadt.

Schönberg.

Gewitsch.

Schildberg.

Lettowitz.

Müglitz.

 

Loschütz.

 

Briesau.

 

Zwittau.

 

 

Bei Briesau südlich erreicht die Linie die böhmische Gränze.

Im Süden:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Zlabings.

Datschitz.

Vöttau.

Jamnitz.

Schiltern.

Lispitz.

Hosterlitz.

Gaispitz.

Wolframitz.

Niklowitz.

Auerschütz.

Pohorlitz.

Nickolsburg.

Auspitz.

 

Eisgrub.

 

 

Die slavischen Bewohner Mährens theilen sich in Horaken, auch Podhoraken oder böhmische Mährer genannt, Hannaken oder Bewohner der Hannufer, Wallachen im nördlichen Theile des ungrischen Gränzgebirges, Lachen in der nördlichsten Ecke von Mähren und Slowaken im Südosten, welche zu den ungrischen Slowaken gehören. Ihre Gränzen sind auf der Karte angegeben. Sie unterscheiden sich durch ihre Tracht und Sitten, auch durch ihren Dialekt

 

 

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41 Westliche Gränze der Slaven.

 

und halten sich so von einander abgesondert, daß sie sich nicht mit einander verheirathen. Einige von ihnen zeichnen sich durch eine ganz besondere Reinlichkeit aus, eine Tugend, die manchen anderen slavischen Stämmen eben nicht vorgeworfen wird *).

 

Böhmen.

Die slavische Bevölkerung Böhmens ist central, die deutsche peripherisch. Ringsum im Gebirge wohnen Deutsche und nur mit einer Breite von 15 Meilen hängt die slavische Bevölkerung in Böhmen mit der mährischen zusammen. Etwa zwei Drittel des Königreichs mögen noch slavisch sein, also dasselbe Verhältniß wie in Mähren. Nur eine bedeutendere deutsche Enklave ist vorhanden, welche durch die Stadt Budweis und ihre Umgebungen gebildet wird. Dafür findet sich eine böhmische Enclave um Mies im Pilsener Kreise. Ganz deutsch ist nur der Ellenbogner und fast ganz deutsch der Saatzer u. Leitmeritzer Kreis; zum größeren Theile deutsch der Pilsener und Jung-Bunzlauer. Ganz böhmisch sind die Kreise Tabor, Czaslau, Beraun, Kaurzim und Schlan. Das Gebirge berühren die Slaven nur an der Grafschaft Glatz, an der Isar im Riesengebirge und bei Tauß im Böhmerwald. Hier wie in Mähren sind auch die Städte und der Adel slavisch. Nur in den größten Städten findet sich immer auch eine Beimischung von Deutschen. Es giebt jetzt 14 czechische Journale. Die berühmten böhmischen Literaten sind bekannt. Die Gränze beginnt bei Briesau und geht zwischen:

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Wiegstädtl.

Politschka.

Roketnitz.

Leutomischl.

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*) Siehe Wolny die Markgrafschaft Mähren, bis jetzt 6 Bände, und die Karte von Baier, auf welcher auch die Sprachgränzen eingetragen sind.

 

 

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42 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

Deutsche Seite.

Slavische Seite.

Braunau.

Senftenberg.

Starkstadt.

Nachod.

Eipel.

Politz.

Königshof.

Skalitz.

Pelzkau.

Jaromirz.

Arnau.

Milletin.

Hohenelbe.

Neu Pakau.

Liebenau.

Hochstadt.

Hühnerwasser.

Turnau.

Liboch.

Münchengrätz.

Auscha.

Weißwasser.

Leitmeritz.

Melnik.

Lobositz.

Theresienstadt.

Postelberg.

Trebnitz.

Flöhau.

Laun.

Lubenz.

Jechnitz.

Manetin.

Kralowitz.

Weiß Tuschkau.

Pilsen.

Dobrzan.

Przestitz.

Staab.

Klentsch.

Bischof Teinitz.

Tauß.

Ronsberg.

Drosau.

Unter Neuern.

Czachrau.

Berg Reichenstein.

Prachalitz.

Winterberg.

Welleschin.

Kalsching.

Kaplitz.

Krummau.

Beneschau.

Böhmisch Reichenau.

Gratzen.

Heiligenbrunn.

 

 

Bei Strobnitz tritt die Linie an die Gränze des Erzherzogthums und folgt dieser bis in den Taborer Kreis, dessen unterste Spitze in der Richtung auf Zlabings abgeschnitten wird. Bei Weitra im Erzherzogthum soll es noch jetzt

 

 

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43 Westliche Gränze der Slaven.

 

einige slavische Dörfer geben aus der Zeit wo dieser Theil noch zu Böhmen gehörte *).

 

Oesterreich.

Hier finden sich nur einige wenige slavische Dörfer an den Ufern der March bis an die Donau, deren Bewohner dem slavischen Stamme der benachbarten Länder Mähren und Ungarn angehören.

 

Ungarn.

In diesem Lande treten die Slaven in fünf besonderen Völkern auf, welche nach ihrer Sprache, Sitten, Wohnsitzen und Religion sich von einander unterscheiden, und von denen zwei Stämme, nämlich die Slovaken und Ruthenen noch zu unserer sogenannten westlichen Gruppe der Slaven zu rechnen sind, während die drei andern: Serbier, Kroaten und Wenden der südlichen Gruppe angehören. So wie also die östlichen und westlichen Slaven, welche früher durch den Ort und noch jetzt durch die Religion getrennt sind, durch das russische Reich mit einander in Verbindung gesetzt werden, so bildet hier das Königreich Ungarn die politische Vermittelung zwischen den westlichen und südlichen Slaven. Was die Wohnsitze anbetrifft, so finden wir nun in diesem Lande zuerst die Slaven als Gebirgsbewohner, wenn wir nämlich die im ungrisch-mährischen Gebirge wohnenden Mähren übersehen oder vielmehr hierherrechnen. Das ganze nördliche ungarische Gränzgebirge von der Mündung der March, wo das alte Theben, die Residenz des marrahanischen Königs Swatopulk liegt, die kleinen Karpathen bei Preßburg hinauf über die Javorzina, das Jablunkagebirge, den Tatra u. s. w. bis nahe an die Gränze von Siebenbürgen ist nur von Slaven bewohnt. Die zahlreicheren hiervon sind der Stamm der Slovaken, welche auch den größten Theil des inneren Gebirgslandes einnehmen und die größeren in

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*) Siehe Sommer das Königreich Böhmen. Bis jetzt 9 Bände.

 

 

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44 Historisch-linguistische Wissenschaften.

 

Ungarn entspringenden Flüsse, mit Ausnahme der Theiß, sehr weit nach Süden begleiten, nämlich die Waag fast in ihrem ganzen Verlauf bis Sellye, die Neutra bis zur Stadt Neutra, die Gran bis Bars, den Ipoly bis Balassa Gyarmath. Die Slowaken reichen sogar noch bis in das Quellenland der Theiß hinein, nämlich bis in das Scharoscher Comitat, wo sie an die ruthenische Völkerschaften gränzen, welche den übrigen Theil des Gebirges bis fast an die Gränzen Siebenbürgens einnimmt. Es giebt 5 slovakische Mundarten: Neutra, Hornyak, Sotak, Trpák, Krekács. Sie wohnen in 36 Comitaten, wovon in 4 ganz rein, in 9 in der Mehrzahl, in 23 in der Minderzahl. Für ganz slovakisch sind zu rechnen die Comitate: Trenthia, Arva, Liptau und Zolyom. Größtentheils slovakisch ist das Scharoscher, Thuroger, Gömörer, Honther, Zips, Neograder, Zemplin und Abaujvarer, Barscher, Neutraer und Presburger Comitat. In Betreff der Religionen findet die atholische in Ungarn bei allen Nationen Anhänger, also auch bei den Slovaken , der Mehrzahl nach sind aber die letzteren lutherisch und das Volk nennt deshalb in Ungarn die lutherische Kirche die slovakische. Wenige sind außerdem reformirt und unirt (nämlich griechisch-katholisch unirt); die letzteren eigentlich nur in einigen früher ruthenisch gewesenen Strichen; denn es ist eine Eigenthümlichkeit der slovakischen Nation daß sie sich fortwährend auf Kosten ihrer Nachbarn wuchernd ausdehnt, selbst auf Kosten anderer slavischer Völker wie z. B. der Ruthenen, so daß es ein Sprichwort in Ungarn giebt, nach welchem ein deutsches, magjarisches oder ruthenisches Dorf verloren ist, sobald sich einmal Slovaken darin niedergelassen haben. Die eigenthümliche Tracht der Slovaken ist den Deutschen von den slovakischen Topfstrickern sehr wohl bekannt, welche mit ihren Mausefallen ganz Deutschland durchziehen. Die Gränzen ihres Gebietes beginnen an der Mündung der March, verfolgen die Donau, den Deutschen gegenüber bis hinter Preßburg, das mit seinen Umgebungen deutsch ist und laufen dann, den Magjaren gegenüber, längs

 

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45 Westliche Gränze der Slaven.

 

dem die Insel Schütt bildenden Arme der Donau, welcher das Schwarzwasser heißt, fort bis Sellye an der Gran, von da über Neutra, Verebely, Barsch, Leva, Vadkert, Balascha, Djarmat, Szakal, Loschonz, Rima Szombath, Tornallya, Gömör, Rosenau, Iglo, Kaschau, Terebesch, Mihalj wo sie an das Gebiet der Ruthenen stoßen. Hier biegt sich die Gränze nach Norden um und geht zwischen Hanuschsalva und Barthfeld auf Muschina zu nach der Gränze. Gegen Norden bildet das Gebirge ihre Gränze; zu ihnen gehört auch der oben erwähnte gleichnamige Stamm in Mähren.

 

Die Ruthenen, fast sämmtlich griechisch-katholisch, sprechen einen Dialekt, welcher dem russischen näher steht und gehören zu den, das Dnjestergebiet bewohnenden Galliziern, bewohnen kein Comitat vollständig, sind aber gemischt in 13 Comitaten; in der Mehrzahl in Dreien: Beregh, Ugotsch, Marmarosch. Ihre Gränze beginnt am slovakischen Gebiete in der Nähe von Mihalj, verfolgt die Latorze südlich, geht Terebesch gegenüber nach Osten auf Dobrony und dann über Ischnyete, Beregh, Scharkos (von wo an die Walachen ihre Nachbarn sind) Gerz, Bikschad, Ruschkowa nach der Gränze. Eine deutsche Enklave ist bei Unter-Schönborn; Zwei magjarische bei Munkatsch und Szigeth. Zu ihnen sind zu rechnen: die gallizischen Bewohner der Kreise Sambor, Przemisl, Zolkiew, Zloczow, Tarnopol, Brzezan, Stry, Stünislawow, Czortkow, Kolom und der größte Theil des Lemberger Kreises. In Ungarn ist ihre Bevölkerung weit weniger zahlreich und dicht als die der Slovaken und nimmt noch täglich ab.

 

Außerdem finden sich nun noch slovakische Enclaven im Lande der Deutschen und Magjaren und zwar von sehr verschiedenem Umfange im Abaujvarer, Saboltscher, Bekescher, Sanader, Pesther, Graner und Oedenburger Comitate. So hätten wir denn den Kreis der westlichen Slavengruppe geschlossen. Ueber ihre Seelenzahl läßt sich nichts Genaues angeben. Sie wohnen, mannigfach von andern Nationen durchzogen und durchsäet, häufig selber versprengt und vereinzelt,

 

 

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46 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

von ihren Stammesgenossen abgeschnitten, und weisen auch in Bezug auf ihre politische Vertheilung und ihre Religion und Sitten eine sehr große Mannigfaltigkeit auf. Dennoch bilden ihre Wohnsitze ein großes Continuum, von welchem sich eigentlich nur die westpreußische und böhmische Halbinsel und die Insel in der Lausitz auf eine ihrer Nationalität sehr nachtheilige Weise abgesondert haben. Ihre Nachbarn sind im Norden und Nordosten am Njemen die Litthauer. Von Angerburg in Preußen an längs der mannigfach eingebogenen Gränze bis Presburg an der Donau die Deutschen. Von da bis zu einer Stelle zwischen Nemethi und Scharkos an der Gränze von Siebenbürgen die Magjaren und von nun an über das Gebirge und in der Richtung auf den Dnjepr zu die Walachen.

 

Der Kern des ungarischen Reiches, die große fruchtbare Ebene an der Donau und Theiß ist der Wohnsitz der Herren des Königreiches, der Magjaren; das Gebirgsland im Osten dieser Ebene, Siebenbürgen, die Wallachei, Moldau, Bukowina und Bessarabien bis an das schwarze Meer wird von den romanischen Walachen bewohnt, welche die beiden selbständigen Staaten der Moldau und Wallachei bilden und mit ihrem übrigen Theile dem russischen und österreichischen Scepter unterworfen sind. Von ihrer Bildung ist nicht viel zu sagen und ihre politische Bedeutung hat seit den Zeiten Trajans, welche ihre tapferen Altvordern die Dacier unter ihrem Könige Decetalus besiegte, gänzlich aufgehört. Von einem Aufschwunge, den sie etwa noch nehmen könnten, ist bei den obwaltenden Umständen ebenfalls nichts zu ahnen. Obwohl sich ein gewisser Ahnenstolz bei ihnen findet, welcher durch eine Menge Traditionen, die im Munde des Volkes leben und Baudenkmäler aus der Römerzeit genährt wird, so beschränkt sich ihre ganze Energie doch lediglich auf ein strenges Festhalten an ihrer Sprache und ihren Sitten. Die große Fruchtbarkeit des schönen Landes, das sie bewohnen, erhält sie bei ihrer Trägheit und von geistiger Regung ist nichts zu erwähnen als daß die reichen Bojaren der freien

 

 

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47 Westliche Gränze der Slaven.

 

Länder sehr eifrig französisch lernen. Die Reformation hat sie nicht berührt, obwohl sie die in ihrem Schooße befindliche Insel von Magjaren und Deutschen in Siebenbürgen erreichte; sie wußten gar nicht wovon die Rede war. Doch genug von ihnen. Sie wurden nur erwähnt, weil sie mit ihrer Impenetrabilität eine Scheidewand von Völkern bilden. Da sie ganz Siebenbürgen ringsum einschließen und selbst einen großen Theil dieses Landes bewohnen, so kommt also Siebenbürgen selbst gar nicht weiter in Betracht und wir wenden uns nun zu der Gruppe der südlichen Slaven welche in ihren Wohnsitzen ein besser arrondirtes Ganze bilden, aber in politischer, sprachlicher und religiöser Beziehung eine nicht geringere Buntheit darbieten.

 

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Südliche Slaven.

 

Sie stehen unter osterreichischer und türkischer Hoheit. Von den letzteren möchten die Serben, welche mit einem Gebiete von 500 □ M. und einer Bevölkerung von 700000 Seelen einen selbständigen Staat (den einzigen slavischen außer der russischen Monarchie) bilden, die cultivirtesten sein. Den Grund zu ihrer Freiheit legten sie in dem Aufstande seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, besonders durch ihren Anführer den schwarzen Georg. Sie erregten dadurch eine Aufmerksamkeit in Europa daß man sie nunmehr besser als die übrigen slavischen Stämme der Türkei kennt. Ihre Volkslieder sind gesammelt und übersetzt; ihre Geschichte hat namhafte und berühmte Bearbeiter gefunden; ihr Land ist bereist worden und eingeborne geachtete Schriftsteller wie Wuk und Pawlowitsch sichern ihnen diese Theilnahme für die Zukunft.

 

Die Bulgaren auf einem weit größeren Terrain zwischen der Donau und dem Balkan und zwischen Serbien und

 

 

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48 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

dem schwarzen Meere. Ihre Zahl ist unbestimmbar eben so wie ihre Verbreitung über die angegebene Gränze des Balkan hinaus nach Süden. Ihre Nachbarn in dieser Richtung sind die Osmanen, Arnauten und Griechen, mit denen sie, wie es fast im ganzen Orient der Fall ist, auf das merkwürdigste vermischt untereinander wohnen. Sie haben, wie die Serbier, türkische Tracht und Sitten angenommen und bekennen sich wie jene zur griechischen Religion. Ihre Hauptbeschäftigung ist Viehzucht und das Land, bei der dünnen Bevölkerung und unter einer solchen Regierung natürlich sehr schlecht cultivirt. Ihr Land ist so wenig bekannt, daß noch auf vielen Karlen terra incognita zu lesen ist. Erst die neueste Zeit hat auch hier etwas mehr gethan.

 

Die Bosnier, Herzegowiner und türkischen Kroaten und Montenegriner auf einem Raume von über 800 □ M. und an Einwohnerzahl vielleicht eine Million. Die Christen sollen in diesem Lande milder als in anderen türkischen Provinzen behandelt werden; aber die Bosnier sind der Mehrzahl nach gar nicht Christen, sondern Mohamedaner und zwar der einzige, diesem Glauben anhängende slavische Stamm. Es wohnen außerdem in diesem Lande sehr viele Osmanen. Das Land aller bisher erwähnten Völker ist gebirgig und zum Theil Hochgebirge; die Gränze gegen Norden bildet die Donau und Sau, aber die slavische Bevölkerung ist auch über diese Flüsse hinaus verbreitet und wir kehren also wieder nach Ungarn zurück.

 

Ungarn.

Die Serben oder Raszier, hierRaizengenannt, nehmen hier alles Land zwischen der Donau, Drau und Sau ein bis zu einer Linie, welche man über Kopreinitz und Bellovar von der Drau zur Sau zieht; außerdem den größten Theil des Batscher und Toronthaler Comitates, also, den südlichsten Theil des Landes zwischen der Donau und Theiß und den westlichen und die Hälfte des südlichen Randes des Banates. Zerstreute Serbier wohnen außerdem

 

 

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49 Westliche Gränze der Slaven.

 

noch im Schümeger, Baranjer, Temescher und Kraschoer Comitat; dazwischen aber und mit ihnen untermischt sehr viele Deutsche, besonders im Banat und dem Baischer Comitate; auch eine Kolonie von Arnauten, sogenannte Clementiner, welche 1737 aus Albanien eingewandert sind, findet sich bei Nikinze an der Sau. Die Nachbarn der Serbier im Osten, nämlich in den Comitaten Temesch und Krascho sind die Walachen und zwar von der Donau bis Wershhetz, dann die Magjaren bis in die Gegend von Kopreinitz an der oberen Drau.

 

Auch diese Serbier sind griechischer Religion.

 

Westlich von der oben angegebenen Linie wohnen nun die Kroaten, in 10 Comitaten und zwar in der Mehrzahl in drei: Agram, Kreuz, Warasdin; und an diese schließen sich südlich die Dalmatier oder Morlachen und österreichischen Herzegowiner an. Sie gehören theils der griechischen theils der katholischen Religion an. Bei Warasdin überschreiten die Kroaten nach Norden die Drau und nehmen Theile vom Salader und Schümeger Comitate ein. Im ersteren Comitate gränzen sie an den kleinen wendischen Stamm, der innerhalb der Gränzen Ungarns wohnt und sich ins Eisenburger Comitat hinein bis an die Raab erstreckt, wo dann Deutsche wohnen. Diese Wenden gehören zu den slavischen Stämmen der deutsch-österreichischen Provinzen; ihre Zahl beträgt nach einer früheren Angabe 40800 in drei Comitaten.

 

Ausgezeichnete Schriftsteller für die Kroaten und Wenden sind Korilac, Topolowitsch, Gaj und Kopitar. Auf dem Theater in Agram werden kroatische Dramen aufgeführt, so z. B. vor einiger Zeit Zriny (nicht der Körner‘sche) wobei die Türken deutsch und die Andern kroatisch sprachen.

 

Näheres über die verschiedenen slavischen Stämme, ihre Wohnsitze und Sitten findet sich in Csaplovics Gemälde von Ungarn und auf Lipszky‘s vortrefflicher Spezialkarte. Obwohl das genannte Buch von etwas frühem Datum, nämlich von 1829 ist (denn in Ungarn hat sich seit dieser Zeit vieles verändert, besonders was die Ankündigung des nationalen Lebens betrifft)

Ermans Russ. Archiv. 1842. Hft. 1.

 

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50 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

so findet man doch darin eine Menge der interessantesten Notizen aller Art. Wir hätten hier noch über die kleineren slavischen Kolonien und Stämme der Böh-men, Polen, Bulgaren und Szolaken berichten können; für unsern Zweck der Gränzenbestimmung ist aber in jener Beziehung vielleicht schon zu viel gesagt. Seit auf dem ungarischen Landtage nur magjarisch gesprochen wird und die magjarische Sprache die amtliche ist, sind die Pairs und Deputirten der slavischen Comitate so wie aller nicht magjarischer genöthigt diese Sprache zu verstehen und zu sprechen, was indessen bei den ersteren schon immer der Fall gewesen ist. Die slavische Bevölkerung in Ungarn ist, mit Ausnahme der slovakischen , bei welcher das Gegentheil stattfindet, bisher immer im Abnehmen gewesen. Wie viel Zeit der Magjarismus mit seiner nun einmal ergriffenen systematischen Offensive brauchen wird, um diese fremden Nationalitäten zu absorbiren, läßt sich nicht berechnen. Wohl aber steht zu erwarten daß die unteren Volksklassen nicht so bald in einem höheren Maaße als es bisher geschehen ist, davon werden angegriffen werden. Noch leben in Ungarn und Dalma-tien gegen 4½ Millionen Slaven, wovon gewiß die Hälfte zu den südlichen gehören, so daß, wenn wir die in der Türkei wohnenden auf drei Millionen und die in Steiermark und Illyrien ansässigen auf 1054000 rechnen, welches gewiß nirgends zu hoch, leicht aber zu niedrig ist, im südlichen Europa also noch 6179000 slavische Seelen leben. Es ist nur noch die Gränzbestimmung der slavischen Gebiete im südlichen Deutschland übrig, die wir noch mit Wenigem abfertigen wollen.

 

Deutsch - Oesterreichische Provinzen.

 

Steiermark. Hier scheiden sich die Völker scharf nach Naturgränzen. Die Wenden, welche im Salader und Eisenburger Comitate von der Mur an bis fast an die Ufer der oberen Raab wohnen, gränzen westlich mit einer Linie von Neuhaus bis Radkersburg an die steiermärkischen Deutschen.

 

 

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51 Westliche Gränze der Slaven.

 

Bei Radkersburg geht die Gränze über die Mur auf die Wasserscheide und verfolgt diese über die windischen Bühel, den Platsch, Remschnig und Radl bis an die illyrische Gränze und läuft von da auf Lavamünde. Siehe Göth: das Herzogthum Steiermark, bis jetzt 2 Bde.

 

Illyrien. Hier fehlen leider die Nachrichten für das Speciellere gänzlich, indessen läßt sich aus hier und daher gesammelten Notizen wohl so viel herausbringen, daß von Lavamünde bis Feistritz im Gailthale ungefähr der Draufluß die Gränze bildet, wenn er auch hie und da von beiden Seiten überschritten werden mag. Von Feistritz aus biegt sich die Gränze nach Süden, geht auf der Scheide des Isonzo- und Saugebietes über den Terglou hinweg bis zum Berge Vochu und von da ungefähr in gerader Linie auf Triest und ans Meer. Die Nachbarn der Slaven auf dieser Linie sind von Csákány im Eisenburger Comitate an bis Feistritz Deutsche; von da nach Süden Italiener. Die Anwohner des Isonzo sind romanisirte Slaven. Italiener begleiten sie nun an der Küste hinab und auf den Inseln bis an die Bocca di Cattaro. Nur eine fremdartige Enklave findet sich im Innern dieses Landes an der Culpa, nämlich das Fürstenthum Gottschee, das von alten Zeiten her mit Deutschen bewohnt ist, die sich auf einem Flächenraum von 9 □ M. streng von ihren Nachbarn gesondert, bisher bei ihrer Sprache und Sitten erhalten haben. Die Wenden in Steiermark und Krain theilen sich nun wieder in mehrere Stämme. Die den Kroaten zunächst wohnenden werden zu diesen gezählt. Ein besonderer Stamm, die Uskoken, oder Ausreißer, wie der Name auf deutsch heißt, sollen zuletzt eingewandert sein und bewohnen das Gebirge von Mötting bis Castua an der Seeküste; sollen auch früher Seeräuberei getrieben haben u. s. w. (s. Hoff Beschreibung von Kärnthen und Krain). Die Slaven haben also in dieser Gegend weit weniger Boden als im Norden von Deutschland. Wie weit sie in dieser Gegend früher verbreitet gewesen sein mögen, zeigen uns die Bewohner von Windischgarten in Oberösterreich, welche von einem

 

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52 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

Stamme der Sodorer sich herleiten und wie die Altenburger Wenden Sitten und Trachten aus dem Schiffbruche gerettet haben. Windisch Matrei und Windisch Tauern in Tyrol möchten die äußersten westlichsten Punkte sein bis zu welchen in dieser Gegend Slaven vorgedrungen sind. Schwerlich haben sie das Thal der Drau an deren Quellen überschritten. Friaul aber, das alte forum Julii, war zum größten Theil slavisch und ist erst sehr spät romanisirt worden. Noch innerhalb der Gränzen des heutigen Italiens giebt es zu Urkund dessen vollkommen slavische Dörfer.

 

Das wäre denn die Westgränze der Slaven, wie sie war und wie sie jetzt ist. Der Flächenraum zwischen beiden, also das Areal, welches die Slaven im Laufe der Zeiten an die Deutschen verloren haben, beträgt 3612 □ M. Stellenweise, z. B. an der Ostseeküste ist die Gränze seit dem 6ten Jahrhundert um 50 Meilen zurückgewichen; von Schleswig nach Mähren reist man in gerader Linie neunzig Meilen weit durch deutsche Länder, welche ehemals vollkommen slavisch waren. In der That sind noch lange nicht genug Daten gesammelt zur Erklärung und Veranschaulichung dieses höchst interessanten Ergebnisses der Geschichte, das auf europäischem Boden in der neueren Geschichte einzig ist und es ist nur unsere Absicht gewesen mit diesem Wenigen von Neuem auf den Gegenstand, der für uns ein besonderes Interesse hat, aufmerksam zu machen. Noch leben unter preußischem, österreichischem und türkischem Scepter 20 Millionen 5laven, wovon auf den ersteren und letzteren je drei Millionen, das Uebrige auf Oesterreich kommen, so daß der letztere, wenn es nach der Bevölkerung geht, eigentlich ein slavischer Staat ist. Die Natur und die hundert anderen menschlichen Hindernisse und Klüfte, durch welche sie jetzt aus einander gehalten werden, machen die Hoffnung der Panslavisten auf eine dereinstige höhere Vereinigung dieser 20 Millionen zu einer chiliastischen. Es ist jetzt die Zeit, wo beide Bestrebungen, nicht nur die der Unterdrückung von Nationalitäten sondern auch die der Aufsuchung und Pflege derselben, wo

 

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sie durch ihre besondere Stellung in ihrer Existenz gefährdet scheinen, zu einem ganz besonderen Leben erwacht sind. Die Folge des Kampfes beider Principien wird sein, daß jede Nationalität bei ihrem Rechte gelassen wird. Man muß zu der Ueberzeugung kommen, daß es eine höhere Qualität giebt durch welche die Völker im Staatsleben zu einer Eins verknüpft werden als die der sprachlichen Nationalität. Wie schwer es gewesen ist ein Volk seiner Sprache und Eigenthümlichkeit zu entwöhnen, lehrt uns z. B. das gegen fremde Nationalitäten so unduldsame Frankreich, das in seinen Gränzen noch eine zahlreiche baskische und bretagnische Bevölkerung hegt und gegen das eigentliche Volk in den deutschen Provinzen Elsaß, Lothringen und Flandern bis heute sehr geringe Fortschritte gemacht hat. Wie schwer dasselbe aber heutzutage ist, wo es in der Macht keines gebildeten Staates steht Mittel anzuwenden, deren man sich in früheren Jahrhunderten nicht zu schämen brauchte, davon erleben wir alle Tage die unzweideutigsten Beweise. Derjenige Staat welcher durch seine eigenthümlichen Einrichtungen heutzutage am meisten berechtigt wäre auf Erfolg von seinen derartigen Bestrebungen (wenn es nämlich Bestrebungen sind) zu hoffen ist ohne Zweifel Preußen. Denn dieses hat durch seine Volksschulen und seine Militairverfassung gewiß die kräftigsten Mittel zur Verbreitung der deutschen Sprache in seinen Händen. Und siehe da, der Erfolg ist gering. Eher lernt ein Volk zwei, drei, ja, wie im Orient, vier und fünf Sprachen zum alltäglichen Gebrauch als daß es eine einzige vergäße um sich mit einer andern zu begnügen. Das lehrt die Erfahrung. Zur Anstellung derartiger Beobachtungen sind Belgien, die Schweitz und Ungarn sehr fruchtbare Gebiete. Im Beregher Comitate, welches eins von den kleineren ungarischen Comitaten ist, werden sechs, und wenn man das Zigeunerische hinzunimmt, sieben Sprachen gesprochen und zwar seit vielen Jahrhunderten. Die Volkssprache in dem unglücklich gelegenen Flandern ist von jeher ignorirt, verachtet, mißhandelt worden.

 

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54 Historisch - linguistische Wissenschaften.

 

Die gebildeten Klassen sind durchaus mit dem Französischen vertraut und haben sich seit sehr langen Zeiten vorzugsweise dieser Sprache bedient; in Südbrabant war der Einfluß des Französischen noch mächtiger geworden; dennoch hat das Volk seine Sprache nicht vergessen, ja es kommt heute zum Bewußtsein über den Besitz seines theuern Erbtheils und seit 1830 giebt es in Belgien zwei und zwanzig vielgelesene flämische Journale; an den belgischen Gerichtshöfen wird flämisch plädirt, jedem wird Recht gesprochen in seiner Sprache und nach dem was bis jetzt geschehen ist von Männern aus dem Volke, welche der Geist ihres Volkes treibt, läßt sich der flämischen Literatur eine Zukunft prophezeien. Die Wallonen in Belgien sehen das freilich nicht gern, nehmen aber doch, zur Ehre des Vaterlandes an den flämischen Festen Theil. In Belgien wie in Ungarn ist das herrschende Volk in der Minderzahl , dennoch besteht der eine dieser Staaten schon lange und wenn man von einer belgischen Nationalität vorläufig blos spricht, so ist doch die ungrische seit langen Zeiten als ein hohes Beispiel gerühmt worden, und der geringste Ungar, welcher Nation er angehöre, mag sich derselben nicht schämen. Die Tage der Gewalt sind vorüber und wem für die Erfüllung seiner warmen Wünsche die Macht des Geistes und der überwiegenden Bildung nicht genügt, der erfinde andere Mittel als diejenigen welche außer diesen, die Weltgeschichte bisher in Vorschlag gebracht hat.

 

Zum richtigen Verständniße der Karte füge ich noch, einmal hinzu daß die Gränzen auf derselben also nur nach der Sprache des Volkes, besonders des Landvolkes gezogen sind und daß die Karte auch nur für die Verbreitung der Slaven gemacht ist, es würden sonst Deutsche oder Magjaren ihre Nation benachteiligt finden können. Die Gebildeten sind Kosmopoliten und ändern ihre Sprache mit dem Winde. In Ungarn war die Darstellung ohnehin schwierig, so daß die kleineren Enclaven ganz vernachlässigt werden mußlen. Dem näher Interessirten werden die angeführten Quellen Genüge leisten.

 

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Quelle: Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland. Herausgegeben von A. Erman. Zweiter Band 1842. S. 1 – 54 Berlin. Gedruckt und verlegt von G. Reimer.
Gleim: Westliche Gränze der Slaven (Mit einer Karte.)

 

Der Artikel ist als Scan im Internet abrufbar unter:

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB)
Permalink: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN332924793_0002

 

 

 

 

A. W. Krahmer 1862: Die Urheimath der Russen in Europa und die wirkliche Localität und Bedeutung der Vorfälle in der Thidreksaga

DIE URHEIMATH DER RUSSEN IN EUROPA

UND DIE WIRKLICHE LOCALITÄT und BEDEUTUNG DER VORFÄLLE

IN DER THIDREKSAGA.

 

Ein Gratulationsschreiben zu dem tausendjährigen Bestehen des russischen Staates

 

an FEODOR IWANOWITSCH BUSZLAJEW gerichtet

 

von A. W. KRAHMER

Dr. phil., Licent. theol., ordentl. Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften u. s. w.

 

MOSKWA 1862.

Zu haben in der Buchhandlung von Moritz Arlt.

 

 

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VORREDE

 

Dass die nachstehende Schrift nicht das Resultat meiner Studien von wenigen Monaten sein kann, versteht sich von selbst. Schon vor sehr vielen Jahren machte ich mir die ersten Notizen über so manchen Ort und manche Persönlichkeit, wie sie mir in meiner Lectüre der altdeutschen Classiker entgegentraten, und benutzte dabei die dahin einschlagenden Schriften meiner Vorgänger: aber immer wollte in dem anschwellenden Stoffe noch kein Licht und keine Klarheit entstehen, obgleich ich mir schon längst die alten Sagenbücher angeschafft, gelesen und geprüft hatte: die späteren Zusätze der mündlichen Erzählungen zu dem Urstoffe der Sagen waren zu massenhaft und überwältigend, die Verwirrung dieses Urstoffes allzugross. Da erschien endlich Raszmann’s vortreffliches Werk über die altdeutsche Heldensage und klärte mich über gar Vieles in derselben auf: ihm verdanke ich das Fundament zu meinen jüngsten Forschungen, Studien und Resultaten, von denen ich in der vorliegenden Schrift einen kleinen Theil mittheile. Von Raszmann’s gründlichen Forschungen aus- und weiter gehend, sie aus meinen eigenen Notizen so viel als thunlich ergänzend, machte ich mir, wie ich das in dergleichen Dingen zu thun pflege, in dem jüngsten Herbste

 

 

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eine geographische Statistik aller Personen- und Ortsnamen der deutschen Heldensage, und erkannte aus ihr, wie so Vieles in ihr hinzugesetzt worden sei, was abgeschnitten werden müsse, wenn es in ihr tagen solle.

 

Ich sah aber auch auf der andern Seite ein, dass ich vor allem erst die Hauptsage aller Sagen, nämlich die von Atli, Thidrek und Erminrek, und was zu ihr unbedingt gehöre, vornehmen und in ihrer wirklichen Localität in Deutschland erforschen müsse, wenn ich anders Klarheit gewinnen wolle. Ich ging sogleich an das Werk, neue Studien waren nothwendig, die aber mit den schönsten und zwar harmonischen Resultaten gelohnt wurden: jetzt fielen die späteren Zusätze von der Sage von selbst ab, das einfache Gerippe ihres Urstoffes stand vor mir.

 

Ich bin aber davon weit entfernt, um zu glauben, dass ich alle hieher gehörigen Momente der Thidreksaga richtig erkannt hätte, vielmehr bin ich fest überzeugt, dass sich Manches noch näher bestimmen, Anderes berichtigen und Uebriggelassenes noch erforschen lässt, denn wer diese Studien kennt, weiss auch von ihrer ungeheueren Schwierigkeit zu sagen und die nachstehenden nackten Resultate zu würdigen: mögen Tüchtigere mit gleicher Liebe auf der Bahn weitergehen!

 

Aus meinen Resultaten wird ein Jeder erkennen, dass die alten Heldensagen keine Erdichtungen oder Fabeln sind, vielmehr als mündlich überlieferte Geschichte in ihren Urstoffen sich herausstellen, und dass namentlich die Deutschen selbst anfingen, sie mit Fremdländischen zu vermischen. Vieles wird in den altdeutschen Gedichten nicht mehr als blosse Dichterphrase dastehen. Zwar hat man z. B. schon früher zu zweifeln angefangen, dass Volker in dem Nibelungenliede eine uralte Heldengestalt sei: aber daran hat man nicht gedacht, dass derselbe in diesem Gedichte dem Günther von Worms nach Ungarn freiwillig folgt und dennoch steht er als dessen

 

 

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Vasall da: ich habe unten den Grund von beiden Erscheinungen angegeben, seine Gestalt gehört dem frühern Mittelalter an und die Volker von Alzei waren Gefolgsmänner der Reichsabtei Maximin in Trier, um das sich alle Momente der Sage drehen, woraus sich gar Vieles erklären lässt. Wenn ferner der Held Widga oder Witege vor Thidreck von Bern in der Rabenschlacht in das Meer unweit Ravenna in Italien springt, das Gedicht aber selbst die Schlacht als an der Mosel vorgefallen schildert; so folgt hieraus, dass Thidreck den Widga auch nur an der Mosel verfolgt haben und Widga nur in den untern Mosellandsee gesprungen sein kann. Nun liest gar das mittelalterliche Travenbach an der Traven, lat. Travenna des Ausonius in der Mosella, das heutige Trarbach unweit Gronsport, dem gemeinten Schlachtfelde, woraus folgt, dass jenes Gedicht Trabenschlacht heissen muss; denn die Deutschen des Mittelalters verwechselten auch hier Ravenna in Italien mit Travenna oder Travenbach an der Mosel, da ihnen ja Thidrek von Bern d. h. Bonn zu Theodorich, dem Grossen geworden war. Wenn wir ferner den uralten Welent als den Sohn Wadis, des Sohns des fabelhaften Wilcinus, des Königs der Wilzen an der Schwalm in Hessen kennen lernen und ihn auf der Weser nach Jütland fahren sehen, und an der Weser seinen Nachkommen Widga auf seinem ersten Ausritte ebenfalls treffen: so ergiebt sich hieraus, dass diese Gestalten ohne Ausnahme dem Ländchen Hessen in der Urzeit unbedingt angehören, da sie mit der ganzen Sage im innigsten Zusammenhange stehen. Da aber in der Urzeit auch Dänen in Hessen wohnten: so ist hierin der Grund zu suchen, woher es kam, dass Scandinavier des Mittelalters es wagen dürfen, diese Heldengestalten auf Seeland zu localisiren. Wenn endlich der Nibelungendichter so Manches der alten Sage verändert und nach seiner Zeit gemodelt hat, was man bisher als Unbekanntes oder gar Widersprüche mit der Sage betrachtete,

 

 

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er aber auch seine Haupthelden aus Worms, dem Breisgau, von dem Hunsrück zwischen Bingen und Trier und aus Metz entlehnte: so folgt hieraus ganz von selbst, dass dieser Dichter die vermischte Sage schon vor sich hatte, deren Grundstoffe aber nach seiner Deutung und zu seinem Zwecke auffasste und in dem Gedichte verarbeitete, und ich hoffe, hieraus kein kleines Resultat zur Schlichtung des Streites über dieses Gedicht ziehen und den wahrscheinlichen Dichter desselben nennen zu können u. s. w. Ich hoffe meinen wissbegierigen Brüdern in Deutschland durch das vorliegende Schriftchen an sich zwar einen kleinen, aber folgereichen Dienst geleistet zu haben, worüber ich mich herzlich freuen würde, wenn billige Beurtheilungen meiner Schrift mir sagten, dass mir meine Absicht einiger Maszen gelungen sei; denn ich wollte ihnen zugleich beweisen, dass ich mit aller Herzwärme stets an sie denke.

 

Auf der andern Seite darf ich annehmen, dass mein Schriftchen auch den Russen nicht gleichgültig, vielmehr willkommen sein wird; denn es kann einem Volke nicht einerlei sein, zu erfahren, wo seine Urväter anfangs gewohnt haben, da durch diese Kunde so manche Erscheinung im Anfange der historischen Zeit und in dem Völkerleben sichern Boden und Klarheit empfängt. Ich kenne den langjährigen Streit über den Russennamen: meine Nachweisungen und Analogien werden einen solchen, wie ich hoffe, künftig hin unmöglich machen, denn der Name ist in Europa uralt und das Volk, welches ihn noch ganz ungetrübt trägt, mit den Germanen in Europa gleichzeitig eingewandert, das sich aber am Ende oder kurz nach der Völkerwanderung gen Osten wenden musste, bis es in seine heutigen Sitze im Anfange des neunten Jahrhunderts gelangte. Daher ist es auch begreiflich, woher es kommt, dass die altdeutsche und russische Sprache in ihrem grammatischen Baue weit mehr übereinstimmen, als irgend welche andere verwandte Sprachen, und dass die älteste Chronik

 

 

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von Nowgorod zum J. 1203 noch den Thidrek von Bern kennen und als den Hauptbesieger der Russen in ihrer Urheimath Europa’s verächtlich darstellen konnte. Aus dem Grunde sieht man ein, woher das stammt, dass der Russen Märchen, Erzählungen und Sagen mit den deutschen in ihrem Stoffe so zahlreich übereinstimmen, wie das Afanasiew als unwiderlegbar dargethan hat, dass Buszlaew die Sigfriedsage in der Murmschen Legende nachweisen und unter den Polen die Walthersage in einer dritten Fassung vorhanden sein konnte, Erscheinungen, die wissenschaftlich unbegreifbar sein würden, wenn meine Construction der Thidreksaga und meine Nachweisungen von Ortschaften in derselben, die noch heute existiren, nicht begründet wären. Welchen Einfluss meine Entdeckungen auf die russischen Fachgenossen ausüben werden, muss ich zwar erwarten, aber ich hoffe den besten und segensreichsten, da unter ihnen die Wissenschaftlichkeit in der Praxis mir auf so vielen Seiten gut und herrlich zu keimen und zu sprossen erscheint. Fahre man nur mit Muth und der angemessenen Ruhe und Besonnenheit fort, der Segen bleibt nicht aus! Russlands Neuzeit, so segensreich begonnen, erheischt neue, eigene und selbstständige Studien und Forschungen, wenn die Russen ihre grosse und hohe Aufgabe im europäischen Völkergeschicke irgend wie zu lösen wünschen! Mich freut es doppelt, dass ich diesen Theil meiner Forschungen, wenn auch einsam und ohne alle und jede Unterstützung oder Hülfe von irgend einer Seite her, in Russland, in dem ich zwei Decennien verlebt habe, fortsetzen und vollenden konnte und zwar zu einer Zeit, in welcher der russische Staat gerade tausend Jahre glücklich bestanden hat, so dass ich demselben und in ihm allen Russen mit der Aufdeckung ihres uralten Namens und ihrer Urheimath in Deutschland Glück wünschen zu können reelle Gelegenheit hatte. Möge das begonnene neue Jahrtausend für Russland in der geistigen

 

 

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Entwickelung und Cultur der Russen eben so grossarlig und segensreich verlaufen, wie das zurückgelegte hinsichts seines staatlichen Körpers!

 

Wo ich mich geirrt habe, mögen Andere verbessern: im Ganzen habe ich gewiss richtig gefolgert und geurtheilt.

 

Moskwa am 1 Febr. 1862.

 

Der Verfasser.

 

 

 

Hauptquellen zu den nachstehenden Forschungen:

 

1. Die Thidreksaga; 2. die Edda, die verwandten Sagen und alten Gedichte der Deutschen; 3. Dr. Ad. Stork, Darstellungen aus dem Preussischen Rhein- und Mosellande. 1818. 2. Bde. 4. Tritheim. Chron. Spanh.; Honth. hist. Treviror und 5. Ausonii Mosella. 6. Aug. Raszmann, Die Deutsche Heldensage und ihre Heimath, Bd. I II.

 

 

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In den nachfolgenden Forschungen folge ich anfangs wohl mit Recht den Ergebnissen, welche Herrn Raszmann’s unermüdliches Streben glücklich zu Tage gefördert hat, und zwar nur in soweit, als sie zu meinem speciellen Zwecke dienen, und gehe hierauf bald meinen eigenen und selbstständigen Weg, wie dieser tüchtige Gelehrte leicht erkennen wird. Zu meinem Zwecke muss ich weit ausholen, weil man ohne die genaueste Kenntniss der Localität der Vorfälle in Thidrek’s Leben und dessen Verhältnisse zu Atli die Urheimath der Russen in Europa unmöglich erkennen kann.

 

Die durch Siegfried’s Heldenthat und den Fafnir berühmte oder berüchtigte Gnitahaide lag zwischen Horus d. h. Horohûs, Dorf am Fusse der Eresburg, und Kiliander, welches letztere offenbar das Dorf Kaldern, 3 Stunden westlich hinter Marburg in Hessen ist, und zwar unweit Thiodi, welches unstreitig die alte Grafschaft Thudeffe der Danduten d. h. Dänen in Hessen nur sein kann. Die Gnitahaide gehörte zu Atli’s Reiche und war ein heiliges Land, gewiss zusammenhängend mit Bertangaland d. h. dem hunischen und dänischen Walland. Von den Norddänen wissen wir, dass sie aus den Gothen hervorgingen, woraus folgt, dass auch die hessischen Dänen und Batten d. h. Tubanten oder Tubatten, die späteren Battaver in Holland, zu den Gothen gehörten, und da auf der andern Seite die Dubanten der Alamannen d. h. der Niflungen aus Walland, dem tubantischen Gaue Erdahe, mit dem Danduten d.h. Dänen verwandt waren, so ergiebt sich hieraus, dass auch die Niflungen d. h. Franken Gothen der Edda und Wölsungasaga waren: also waren auch die Batten Gothen und die Niflungen Dubanten. Aus diesem Grunde heisst Günther von Worm’s, König der burgundischen Franken, in der Edda mit Recht Gothenkönig und Kriemhild die gothische Frau, aber in dem Nibelungenliede eben so richtig Frankenkönig.

 

 

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Wenn nun Kriemhild ihre Tochter Gudrun tröstete und diese sich zu dem Dänenkönige Half, dessen Gattin Thora hiess, wandte: so ist das keineswegs zufällig und ohne Ursache geschehen, sie heirathete hierauf den Atli, der schon König von Hunenland in Sachsen d. h. Westfalen war und von hier aus Kriege in Osten führte, während nach der Thidreksaga Erminrek, nord. Jërmunrek bereits König von Rom und Thidrek von Verona in Italien war, welche Verwirrung in der Ursage offenbar aus neueren deutschen Epen geflossen ist. Erminrek—Hermanrich ist König der Batten d. h. der Gothen oder Franken, und seine Residenz ist Romaburg, die aber an der Mosel liegt: hieraus folgt, dass Romaburg zu handgreiflich nichts anders als Trier, das Augusta Trevirorum, das zweite Rom des Reichs nach Angabe der Römer selbst und der germanischen Völkerstämme sein kann, wofür auch die Wirklichkeit spricht; denn an der Mosel eben liegen auch Thidrek’s zwei Hauptschlachtorte gegen Erminrek, Gronsport und Gregenburg—Graechenburg d. h. das heutige Grach, und Erminrek’s Neffen, die Harlunge residiren in der benachbarten Fritilaburg d. h. Friedberg in der Wetterau. Der Urstamm jener ripuarischen Franken sind die Chatten, die Hunen der Wölsungen, welche aus dem Norden gen Süden gewandert waren. Und jene fränkischen Gothen sind die im dritten Jahrhunderte in das Gebiet der Trevirer verpflanzten Chatten oder Franken, sie sind also mit den Oberlahngauern verwandt, mithin Batten, die in dem achten Jahrhunderte als Sueven an den Unterrhein wanderten. Diese Chatten erhielten ihren Namen Franken von ihrer Hauptwaffe framja, angels. franca, altn. frakka, wie die Sachsen von sax, eig. sahs, eine Art Streitaxt. Dagegen sind aber die Langobarden des Thidrek von Bern d. h. Bonn die Chattuarier von der Ruhr in dem oberrheinischen Ripuarien oder die Sueben Langobarden des Ptolemaeus. Denn dass Bern der Ursage das römische und heutige Bonn ist, nicht aber Verona in Italien, wissen wir schon längst genau, da Bonn noch im 10ten bis 14ten Jahrhunderte auf Münzen, Stadtsiegeln und in Urkunden Verona und Bern genannt wird, vergl. Lersch Jahrbb. des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande, I, 1-34. 125 ff. III, 1-17 ff.

 

 

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Wenn wir nun vorhin sahen, dass die Römer selbst Trier an der Mosel das zweite Rom des Reiches nannten und die deutschen Stämme dasselbe dafür ansahen: so lässt sich auch annehmen, dass sie Bonn am Rheine ihr zweites Verona, deutsch Bern nannten und dasselbe von den Deutschen dafür gehalten wurde. In der Thidreksaga ist aber Thidrek bereits König von Verona in Italien, was natürlich wiederum eine Folge aus deutschen Liedern ist, entstanden aus Verwechslung von Bonn=Verona d. h. Bern mit Verona in Italien; denn aus dem Hunenlande in Sachsen reist man dahin stets über das Gebirge Mundiufiall d. h. die Alpen, obgleich unter ihm ursprünglich auch der Bergrücken von Minden in Westfalen zum Rhein verstanden worden sein kann, richtiger aber das Eifelgebirge jenseits des Rheins ist, da hier Mundina lag, von Minden aus eine Strasse an den Rhein und somit nach Bonn=Verona, Bern ging. Und in Westfalen lag ja des Freundes Atli Reich der Hunen d. h. der Marsen oder Budlunge, dessen Residenz Susat oder Susa d. h. das heutige Soest war, während das Hunenreich der Wölsunge im Lande der Franken und Chatten d. h. in dem spätern Unterlahngaue oder der Tubenten lag und Grossenlinden zu seiner Residenz halte.

 

Daher hat die Edda in ihrer Angabe von zwei Hunenreichen vollkommen Recht und zwar 1) dem der Budlunge oder der Tubanten d. h. Marsen in Westfalen, da Kiar ein Bruder Budli’s war, und 2) dem der Wölfunge oder der Franken und Chatten.

 

Unsere Sagenliteratur der alten Zeit verherrlicht nicht allein die Grossthaten der Helden in den Kämpfen der Deutschen gegen die Römer, sondern auch die während des Zusammenstosses der Völker in der Völkerwanderung. Durch die Römerzüge der deutschen Kaiser ward Italien mit seinen Ortschaften den Deutschen im Mittelalter so geläufig, dass man sich über die Verwechslung verwandter Personen und Ortsnamen in der mündlichen Erzählung gar nicht wundern kann, was sich in den gleichzeitigen Gedichten naturgemäss festsetzen musste, und ein Anfang in solchen Verwechslungen machte im Verlaufe der Zeiten die wundersamsten Fortschritte. Denn dass diese Namenverwechslungen durch Einfluss der Geistlichen, um

 

 

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alle Erinnerungen an das Heidnische dadurch zu unterdrücken, hervorgegangen seien, kann ich nur für ein meisterhaftes Phantasiestück der Literärhistoriker halten, da eine solche „Uebertragung“ von einer Person und einem Orte auf die andere und den andern der wahren Natur der Sage gerade zu widerstrebt. Die Thidreksaga wimmelt, neben der Angabe von sehr vielem Richtigen, von Widersprüchen der Art, sie fusst aber auf mündlichen Erzählungen von Männern aus Bremen, Soest und Münster, so wie auf Angaben von sächsischen und deutschen Liedern, und ist geschrieben worden gegen 1250. Und wer kennt nicht das Gedicht „die Rabenschlacht“ d. h. die Schlacht der Hunen unter Anführung Thidrek’s von Bern=Bonn gegen Erminrek bei Ravenna in Italien!?

 

Der Gesammtinhalt des Gedichts schildert aber die Schlacht als an der Mosel vorgefallen und dennoch sagt es bei Ravenna, das in Italien liegt, obgleich sichtbar hier eine Verwechslung der Schlacht Thidrek’s bei Gronsport an der Mosel vorliegt: mich dünkt aber, dass man auch durch Ravenna auf das Richtige hätte kommen können; denn in der Nähe von Gronsport lag das römische Travenna, deutsch Traben oder Trabenbach, das heutige Trarbach an der Traben (s. Ausonius) und lasse man nun das T in dem lateinischen Namen weg, so ist Ravenna der mündlichen Erzählung da, was keine Conjectur ist, da das b in Rabenschlacht, die künftig hin richtig Trabenschlacht zu betiteln ist, die Richtigkeit meiner Nachweisung ebenfalls verbirgt. Manche mochten diese Schlacht als bei Gronsport, das spätere Ronsoport, Andere als bei Travenna vorgefallen darstellen, einzig daraus entstand alsdann die Verwechslung mit Ravenna in Italien; denn auch Thidrek’s zweite Schlacht fiel an der Mosel bei Graechenburg, dem heutigen Grach vor. Nach dieser Schlacht wurde er König von Romaburg d h. Trier, und die Weiber folgten nun den Männern natürlich nach: aber bald sendet Hildibrand seine Gattin nach Garta, und man meinte, dass darunter Garta am Gartasee in Italien zu verstehen sei, obgleich unsere Helden an der Mosel lebten. An Carden, einen Lieblingsaufenthaltsort schon der alten Römer, an der Mosel, wo sie eine bedeutende Biegung macht und ihre Wasserfläche „wie ein See“ ist, dachte man nicht.

 

 

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In der Thidreksaga, dem speciellen Abschnitte über Thidrek, ist Rodingeir d. h. Rüdiger der Sage Jarl von Salerni in Italien und dennoch wohnt er zugleich in Bakalar am Rheine, seine Tochter Hildisvid entführt der Ritter Samson und ehelicht sie, der Schauplatz der Handlungen ist Italien: aber die Namen Samson und seines Vaters Bruders Thetmar, Rodingeir und sein Bruder Brunstein sind rein deutsche. Rodingeir und Brunstein fallen im Kampfe, und Samson wird König von Salerni in Italien: aber Rodingeir fällt auch wieder in Deutschland im Kampfe und Samson besiegt als König den Elsung von Bern d. h. Bonn, der gar Truppen zu seiner Hülfe aus Ländern jenseits der Alpen, aus Svava d. h. Schwaben und Ungaria nach Italien gezogen haben soll. Konnten jene Heerkönige der Urzeit dergleichen ausgedehnte Reiche besitzen? Nach Samson’s Tode ward sein Sohn Erminrek König von Romaburg (wie Rom nicht gut genannt werden kann) d. h. Trier und sein Bruder Thetmar von Bern d. h. Bonn, nach unserer Sage aber auch zugleich von Verona in Italien, dagegen wird Samson’s natürlicher Sohn Aki, der Aurlungen=d. h. Harlungentrost, Herzog von Fritilaburg d. h. Friedberg in der Wetterau (natürlich mit dem Gebiete), von der aus Aki, Thidrek u. A. später zu einem Gastmahle des Erminrek in Romaburg reiten: wie reimt sich das Alles mit Italien und Salerni, wenn hier nicht Namenverwechslungen durch die mündliche Erzählung der Sage anzunehmen sind, die sich hernach natürlich auch in den Gedichten festsetzten? Salerni kam gewiss erst der Ahnen Thidrek’s halber in die Sage: aber man scheide nur vorsichtig dergleichen Zuwüchse der Sage und man findet sicher das ursprünglich Wahre. Von Bern d. h. Bonn aus führen hierauf Samson und seine Söhne ihr Heer „südwärts“ nach Romaburg: das passte auf Verona und Rom in Italien eben so gut, wie auf Bonn am Rheine und Trier an der Mosel; denn beide Wege waren einander sehr ähnlich und verwandt, da man in Italien den Apenninus und am Rheine das Eifelgebirge, zwei einander sehr ähnliche Gebirgsrücken überschreiten musste. Samson stirbt unterwegs, und Erminrek masst sich aus Ländersucht und als der Aeltere des ganzen Reichs d. h. des grössern und besten Theils an, das hier nach der

 

 

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Mengsage Pul d. h. Apulien in Italien d. h. dem Reiche der Römer jenseits des Rheins an der Mosel heiszt und erobert noch den grössten Theil von Grikland, von dem Meere bis zu dem Gebirge (!) dazu d. h. etwa von dem Mosellandsee der untern Mosel bei Engelport, Valding und Ebernach bis zu dem Hunsrück, den einst die Römer mit Hunen und Sarmaten, welche die ältsten Deutschen wohl Griechen nennen durften, bevölkert hatten, und, fährt die Sage fort, „viele Inseln von Grikland“, was entweder ein nichts bedeutender Zusatz der Sage ist oder man muss dabei an die niedrigen Inseln in jenem Mosellandsee denken. Thetmar von Bern d. h. Bonn heirathete Odilia, die Tochter des besiegten Elsung, und deren Sohn war Thidrek, der dem Vater in der Regierung folgte. Noch zu Thetmar kommen die Brüder und Herzöge. Boltram von Fenidi in Italien und Reginbald von Svaven in Deutschland, welches letztern Sohn Hildibrand, ein Amlunge und Thidrek’s Freund ist! In diesem Svaven gar, „nordwärts von dem Gebirge“, den Alpen der Mengsage liegt Brunhild’s Burg Saegard, deren Gehöfte in einem nahen Walde sich befand, dessen Beschützer Studas hiess, wo sie nach altdeutscher Sitte viele Rosse d. h. eine Stuterei unterhielt, unter denen sich die berühmten Hengste Rispa, Falka und Grani befanden, Sprösslinge von Odin’s Sleipnir, wodurch Brunhild gleich anfangs eine mythische Beziehung erhält. Die Wäringer nannten diesen Studas nach einem bösen Wurme Heimir: dieses mythische Saegard ist der Edda Hlyndalir und fiel nach Brunhild’s Tode an Erminrek als Erbe. Der Sohn jenes Studas hiess wie der Vater und zog südwärts über das Gebirge nach Bern, um sich mit Thidrek zu versuchen, wird aber von diesem besiegt, dem daher auch dessen Rüstung gehört, Studas Heimir ersetzt dem Thidrek jedoch seinen Hengst Rispa durch den bessern Falka: auf diese Weise wird Thidrek von den Schicksalsfäden der Brunhild, die Erminrek’s Verwandte war, umgarnt. Kurz darauf sendet Thidrek diesen Heimir und Hildibrand zu dem slawischen Jarl von Winnland, Hornbogi (kann dieser im fernen Osten wohnen?) und lässt ihn zu sich einladen, er folgt der Einladung und auf ihrer Rückreise treffen sie den Widga, Welent’s Sohn in Seeland (nach der nordischen Localisirung

 

 

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der Sage so gefasst), der auch zu dem schon berühmten Thidrek von Bern=Bonn reist und zwar an der Eidisa, einem grossen Flusse, von dem aus zwei Wege, ein weiterer, beschwerlicher und ein kürzerer, bequemerer, nach Bern führten, auf dem letztern befand sich aber ein Strom mit einer Brücke, auf deren Mitte das Kastell Brictan vor dem Lyrawalde stand, welches Gramaleif mit elf Riesen bewohnte und die Durchreisenden brandschatzte oder tödtete. Widga aus Danmark — die Dänen hatten nach dem Obigen eine Mark in Hessen — kampflustig, schlägt den Reisegenossen den Weg über Brictan vor, und deswegen reitet er auch hernach voraus, den Räubern entgegen und bittet um freien Durchzug (etwa vom römischen Brückenzoll?) und als diesen die Räuber, welche sich schon im voraus in seine Rüstung getheilt haben, verweigern, erschlägt er allein den Gramaleif mit sechs Räubern, die anderen fünf entfliehen. Das Kastell wird nun verbrannt, weil eine frequente (natürlich römische) Heerstrasse über die Brücke führt und sie ein jeder Deutsche ungenirt passiren soll. Hierauf verfolgen sie die entflohenen Räuber, gelangen zu der Wisara d. h. deutlich Weser, über welche eine, wie es scheint, aus Holz gebaute Brücke zwischen zwei Felsen führte, die aber jene Räuber der Verfolgung halber abgeworfen hatten: aber Widga sprengte mit seinem Pferde über den Fluss, während Heimir mitten in denselben setzt und bevor er aus demselben herauskommt, hat jener die Räuber bereits aufgefunden und bekämpft sie eben, als Heimir herzukommt und dem Kampfe ruhig zusieht, obgleich Widga in einem natürlichen Gedränge sich befand, aber dennoch allein die Räuber besiegt und tödtet.

 

Nun reisen sie auf Bern los, übernachten unterwegs aber in Her in dem Hofe und bei der Gattin Hildibrands und gelangen am folgenden Tage nach Bern=Bonn, (das also nicht in Italien, sondern unweit Bonn’s zu suchen ist). Gleich nach der Ankunft kämpft Widga mit Thidreck und besiegt diesen, der einige Zeit später auf Kampfabentheuer ausreitet, um seinen alten Waffenruhm wieder herzustellen, und übernachtet in dem Walde Osning, an dessen anderer Seite die Burg Drecanfils d. h. Drachenfels am Rheine liegt, und dennoch

 

 

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bindet er, wie in Italien, sein Pferd in dem Walde an einen Olivenbaum, während er mit Ecka kämpft und denselben mit Hülfe des sich lossgerissenen Falka besiegt, ebenso ergeht es fast dessen Bruder Fasold, der jedoch noch zeitig mit Thidrek Sühnbrüderschaft schwört und als dessen Geselle mit nach Bern reitet. Unterwegs übernachten sie in Aldinsaela, treffen hierauf in dem Walde Rimslo (in Europa!) einen Elephanten, von welchem Thiere man offenbar erst durch die Kreuzzüge einige Kunde erhalten hatte, so wie auch italische Olivenbäume. In dem Rimsloer Walde erschlagen sie sogar einen Drachen, der den schlafenden und gerüsteten Sistram, Hildibrand’s Neffen, bis an die Schultern verschluckt hatte und forttragen wollte, sie retteten ihn von dem gewissen Tode. Hierauf trennen sie sich, und Thidrek gelangt zu dem Grafen Lodvig in der Burg Aldinflis, wo er das entlaufene Pferd Sistram’s findet und es demselben überbringt. Heimgekehrt schenkt er dem Heimir sein Schwert Naglring, worüber Widga erbittert ihm Heimir’s Schurkerei bei dem Kampfe mit jenen Räubern erzählt, weswegen Thidrek den Heimir aus Bern verbannt, der zu dem Räuber Ingram und dessen zehn Gesellen in den Falstrwald, oberhalb Marburg, zwischen Saxland d. h. Westfalen und Danmark in Hessen entflieht, von wo aus sie einen sächsischen Herzog befehden, ja hier 60 bewaffnete und nach Danmark reisende Kaufleute überfallen und berauben. Thidrek’s Ruhm verbreitete sich so bis in Europa’s hohen Norden, und Thetleif, Sohn Biterolf’s von Skane in Danmark (nach der Localisirung der Sage geschrieben) wollte ihn erproben. Biterolf wohnte in der Stadt, die jetzt (zur Zeit des Sagenschreibers) Tummathorp, auf der Ostküste von Schonen, einem angesehenen Handelsorte in dem heutigen Kirchspiele Tomarup, heisst. Der Vater will ein Gastmahl des Ulf Sotis Sohnes in Wetland Herad besuchen, und der bisher vernachlässigte Thetleif soll zu Hause bleiben, nöthigt aber den Vater, ihn mitzunehmen. Wetlands Herad ist die grosse Stadt Wittala, jetzt ein Flecken in Smaland. Von hier aus besuchen sie noch ein anderes Gastmahl, und erschlagen darauf auf der Heimreise in dem Falstrwalde jene Räuber, von denen nur Heimir nach Bern entrinnt. — Die Thatsache ist offenbar deutsch, sie ist in der Sage nur danisirt

 

 

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worden; denn sie fällt im Saxlande und nicht in dem heutigen Dänemark vor, da der Falstrwald nicht so weit von Bern entfernt liegen kann. Auch Bitterolf’s Gattin heisst Oda=Ute, Thetleif hat sich auf diese Weise als echten Sohn bewährt, und reitet nun auf Wanderschaft aus und soll in dem Saxlande seiner Mutter Vater besuchen und auf diesem Wege in dem Burgwalde (Borgar=, Borgvalld) seines Vaters Gesellen Sigurd in dem Kastelle der Stadt Marstein, das etwa das Schloss auf dem Schlossberge in Marburg sein mag, besuchen und grüssen: aber Thetleif umreist den Grossvater und trifft den Sigurd auf einem Elephanten (!), sie kämpfen und Sigurd wird mit seiner Tochter besiegt, mit dieser verlobt sich nun Thetleif, reist aber auch gleich hernach nach Bern ab. Unterwegs trifft er den Thidrek in Fritilaburg d. h. Friedberg und tritt in dessen Dienste; denn in Saxland (Westfalen) hatte er sich bei einem reisenden Ritter, der aus dem Süden d. h. dem Amlungenlande gen Norden in das Hunenland ritt, nach Thidrek und seinem Aufenthalte erkundigt und erfahren, dass dieser zu einem Gastmahle des Erminrek in der südlichen Romaburg (von Westfalen und Bern aus) geritten sei, ja er beabsichtige auf dieser Reise „einen Abstecher gen Osten an das Meer nach Fenedi zu machen“ (nach der Italienisirung der Mengsage; denn Fenedi steht zu sichtbar für Fritilaburg, in der Thetleif den Thidrek bei seinem Oheim Aki trifft, wornach auch das Folgende zu fassen ist). Thetleif muss daher über Trentudal (Thridentsthal) und Trent d. h. Trient nach Fenedi reiten und gelangt nach Fritilaburg. — Diese Ortsverwirrung in unserer Sage entstand natürlich erst alsdann, sobald man angefangen hatte, die Geschichte Thidrek’s, eines Franken, Königs von Bonn, mit der des Gothen Theodorich, des Grossen im ital. Verona zu verwechseln und zu vermengen. — Unsern Thidrek begleiteten Widga, Heimir u. A. und mit ihnen reitet Thetleif nach Romaburg auf der Römerstrasse von Friedberg nach Bingen, über den Hunsrück nach Trier. In Romaburg giebt Thetleif ein reiches Gastmahl, opfert dazu alles Vermögen, beschenkt den Spielmann Isung mit seiner Mutter Ringe, und versetzt, da Alles noch nicht hinreicht, der vornehmsten Gäste Kostbarkeiten und Pferde,

 

 

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die hernach Erminrek der Ehre halber durch seinen Schatzmeister Sifka mit grossen Summen wieder einlösen lassen muss. Zum Schlusse des Gastmahls besiegt Thetleif den Walther von Waskastein, den Blutsverwandten Erminrek’s, und wird hiernach Thidrek’s Geselle.

 

König Thetmar war gestorben, und Thidrek ward König von Bern d. h. Bonn, sein Reich hiess (von Westfalen aus) „das Südreich“, und seit dem stand er dem Oheim Erminrek immer bei. Zu ihm kam jetzt auch Amlung, Hornbogi’s Sohn, und Wildifer aus dem Amlungenlande, der später den Widga aus dem Gefängnisse des Osangtrix, des Königs der Wilcinen an der Schwalm befreite: aber den Herbrand, „den Weitgefahrnen“, der viele Sprachen verstand und selbst in Griechenland d. h. Südslawenlande gewesen war, lud Thidrek besonders zu sich ein und erhob ihn zu seinem Rathgeber und Bannerführer. Jetzt bekam Erminrek Krieg mit dem Jarl Rimstein von Gerimsheim (A. Geringsheim, B. Beringsheim) d. h. Germersheim am linken Rheinufer und lud zu demselben den stets kampfmuthigen Thidrek zur Hülfe ein: beider Heere trafen sich bald, und man lagerte sich dem Feinde gegenüber. Rimstein machte aber in der Nacht einen Spionsritt, ward von Widga angetroffen und erschlagen, sein Heer entfloh und Gerimsheim ward von den Feinden erstürmt (lag also nicht in Italien). Erminrek erhob nun seinen Blutsverwandten Walther von Waskastein (in den Vogesen) zum Jarl von Gerimsheim (dazu auch durch die Sachlage der Dinge bewogen, weil dieses Gebiet der Stammburg Walther’s in den Vogesen am nächsten lag und er somit beide Gebiete bequem verwalten konnte). Nach diesem Kriege lud aber Thidrek die Niflungen, den Irung, dessen Gattin Oda=Ute, und deren Kinder Gunnar, Guthorm, Gernoz, Gisler und Grimhild zu einem Gastmahl ein. — Auffallender Weise tritt hier die Charakterisirung des Slawen Hornbogi in die Erzählung. Derselbe war hell von Gesicht, hatte schwarzes, gekräuseltes Haar, eine mittlere Statur, war körperlich gewandt, rasch und feurig, ein guter Bogenschütze und Speerwerfer, ein guter Reiter, schweigsam und schwermüthig d. h. melancholisch, auf dem Thinge {also auch bei den Slawen!) beredt, weise, rasch im Urtheilen,

 

 

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beherzt, kühn und tapfer: wer erkennt hieraus nicht den echten Slawen und Russen. — In dieser Zeit erschallte aber auch schon der Ruhm des jung Sigurd „vom Norden bis zu Griechenlands Meere, über alle Welt.“ Griechenland bezeichnet in der alten Sage nun gewöhnlich das Südslawenland, mithin muss Nordslawenland in dem altdeutschen geographischen Sagenkreise gelegen haben, und hieraus begreift man, wie sich aus der altdeutschen Märchen- und Sagenwelt so Manches auch in der alten russischen Sage festsetzen und erhalten konnte, da dasselbe ja beiden Völkern gemeinschaftliches Eigenthum war. Gerade in dieser Zeit unternahm Thidrek von Bern in Begleitung Widga’s und seiner übrigen Helden einen Kampfzug gegen König Isung von Bertangenland mit seinen elf ihm gleichen Söhnen, deren Bannerführer jung Sigurd war. Auf dieser Reise erschlug Widga in dem Bertangenwalde den Riesen Edgeir, den Grenzwächter von Isung’s Reiche auf der entgegengesetzten Seite der königlichen Burg, er war der Bruder Aventrod’s und Widolf’s. Angelangt schlagen sie ihr Zelt unter dem Burgberge der Bertangenburg Isung’s auf, (sie lag also an Hessens Seite), jung Sigurd meldet seinem Könige ihre Ankunft und kommt, sich nach ihrem Begehren zu erkundigen. Auch Amlung Hornbogi (ein Vorname in der alten Sagel), der in Winland (B. Winland, A. Aumlungenland) 12 Burgen besass, war mit hergeritten. Der Kampf blieb lange unentschieden, endlich lieh Thidrek Widga’s Schwert Mimung und besiegte auf diese Weise den jung Sigurd, der deswegen nun in Thidrek’s Genossenschaft trat und mit ihm nach Bern reiste, nachdem Amlung Hornbogi Isung’s Tochter Fallburg geheirathet und mit ihr nach Winland abgereist war. Auch Sintram zog „ostwärts“ nach Fenedi und ward Herzog, ja sogar Herbrand kehrte in sein Reich zurück. In dieser Zeit hatte ein gewisser Tistram seinen Bruder, den Grafen Herthegn, in Iverne residirend, erschlagen und war zu Herzog Iron in Brandinaburg (in Westfalen) entflohen. Thidrek entsandte dagegen einige Zeit vorher den Herburt zu Artus, dem Könige von Bertangenlande, damit derselbe bei diesem um dessen Tochter Hilde für ihn werbe: aber Herburt entführte dieselbe für sich. Thidrek ritt nun auf Heldenthaten aus „gen

 

 

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Norden über das Gebirge“ d. h. die Alpen und gelangte nach Drekanfils d.h. Drachenfels am rechten Rheinufer, mithin meint die Ursage das rheinische Siebengebirge, wo er eine gute Aufnahme fand und sich mit Gudilinda, der Tochter des Königs Drusian (das Land gehörte also nicht mehr zu seinem Reiche) vermählte, während Fasold die zweite und der hessische Däne Thetleif die dritte Tochter heirathete. — Nach diesem Drusian war einst in Cölln die „Drusiansstrasse“ benannt worden, welche erst Wallraff (Fahne, Diplot. Beiträge S. 31) in „Drususstrasse“ umtaufte. — Doch als König Artus von Bertangenland starb, vertrieb Isung dessen Söhne Iron und Apollonius und bemächtigte sich ihres Erbes: sie entflohen und gelangten nach vielen Irrfahrten endlich zu Atli in Susat=Soest, der sie aufnahm und den Iron zum Jarl von Brandinaburg und den Apollonius zum Jarl von Tira (A. Tyram. B. Tyro) d. h. etwa Dierdorf am Rheine (Bezirk Coblenz) erhob; denn Tira lag „nicht weit vom Rheine“ und gehörte zum Hunenlande d. h. Westfalen des Atli. In Iron’s Lande lag der Walslöngawald zwischen seinem Lande und Westfranken (er ist ein Theil des sauerländischen Gebirges zwischen der Sieg und Lippe). Seine Gattin hiess Isolde. In Westfranken herrschte damals Salomon mit seiner Gattin Herburg, deren Tochter auch Herburg hiess. Iron und Apollonius jagten zusammen anfangs im Ungarawalde, später sogar im Walslöngawalde: da ritt aber Salomon „nordwärts“ (sein Wald lag also unter dem Ungarawalde) und jagte wieder in Iron’s Walde, worauf dieser zu dem Bruder reiste, den er aber unwohl antraf, und deshalb heimgekehrt allein im Walslöngawalde jagte und zwar so, dass die hier gehegten Wisende (eine Hirschart) in den Ungarawald entliefen und daselbst getödtet wurden, wofür nun Salomon Iron’s Ungarawald gänzlich verwüstete, diesen hier antraf und gefangen nahm. Iron’s Gattin konnte ihn nur mit ungeheueren Summen und durch nachdrückliche Verwendung Atli’s lösen: hiernach folgte sie dem Apollonius im Tode bald nach. Iron dagegen zettelte später mit Aki’s Gattin Bolfriana ein Liebesabentheuer an, der ihn dafür erschlug, indem Iron mit Atli „gen Süden“ aus Susat zu einem Gastmahle des Erminrek in Romaburg ausgeritten und nach AmIungenland

 

 

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in die Fritilaburg d. h. Friedberg zu Aki, Erminrek’s Bruder, mit Atli gekommen war. Doch auch Aki starb einige Zeit nach dem Gastmahle und hinterliess Bolfriana mit zwei Söhnen, Edgard und Aki und zwar in der Erziehung eines gewissen Fritila: die Gattin, eine Geborene von Drekanfils d. h. Drachenfels, also eine doppelte Verwandte von Thidrek, der Gudilinda von Drachenfels zur Gattin hatte, heirathete den Widga, den Erminrek deshalb zum Grafen von Fritilaburg erhob. Erminrek’s Charakter bestand in Herrsch- und Ländersucht, worin er also den Römern in ihrem zweiten Rom, Trier entsprechend nachstrebte, welche Grundstimmung nun in ihm, nach dem Tode seines letzten Bruders Aki, die Oberhand bekam, aber er war auch eben so wollüstig, wie die Römer; denn seit dieser Zeit sinnt er nur auf Schandthaten, die ihn zum Ziele führen, worin ihn sein Schatzmeister Sifka meisterhaft unterstützte und gar noch übertraf. Sifka wurde von ihm einst versandt: während dessen entehrte Erminrek dessen schöne Gattin Odila, wofür sich Sifka nach seiner Heimkehr auf eine schauerliche Weise rächte, nachdem er der Gattin des Geschehenen wegen strenges Stillschweigen auferlegt hatte, was der Zeit des Vorfalls nicht entspricht und späterer Zusatz der Sage sein muss. Erzählen uns denn nicht die Römer denselben Vorfall an demselben Orte von einem ihrer Kaiser ohne jenen Zusatz? beide Vorfälle geschehen in Trier, Sifka will den Erminrek vernichten, was ihm auch gelingt, aber dessen Reich behält er nicht lange. So erzählen die Römer auch von dem Avitus d. h. sicherlich dem Kaiser Jovinus und seinem Günstlinge Lucius, der jenen in der Sicherung des Reichs kräftig unterstützte. Dafür entehrte Jovinus in Trier dessen schöne Gattin und verhöhnte ihn, als er des Morgens von der Gattin Seite sich erhoben hatte noch mit den Worten: Pulchras thermas habes, et frigida lavas? — Lucius, ein mächtiger und angesehener Senator, hierüber wüthend verlässt sogleich Trier und geht zu den ripuarischen Franken über, die, schon lange anstürmend, bis dahin von den Römern viermal aus dem Trierschen Gebiete zurückgeschlagen worden waren, nun aber durch des Lucius Hülfe das Gebiet und die Stadt Trier erobern und die Römer gegen 450 aus der

 

 

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Gegend vertreiben. Und war denn Erminrek der Sage nicht etwa der erste König seines Geschlechts von Trier und dessen Gebiete? Denn Samson hatte es mit ihm nur erobert. Er kann so geheissen haben, obwohl die Heerkönige oft gewechselt haben, er mag auch sich anders benannt haben und einen Namen der erfinderischen Sage führen: in keinem Falle ist er aber der Gothenkönig Airmanareiks (Erminrich), vielmehr hat die Sage auch ihn des Namens Gleichklangs halber mit diesem verwechselt und vermengt, zumal da er mit Thidrek von Bonn eben so verwandt war, wie dieser mit Theodorich, dem Grossen, und was einmal angefangen worden war, ward auch fortgesetzt und in Atli und Attila vollendet. Warum sind keine anderen heidnischen Sagen in der christl. Zeit der Art „übergetragen“ worden? — Dass Sifka dem Erminrek nun erst die eigenen Kinder mordet und ihn dann zur Vernichtung der Blutsverwandten hetzt: das, glaube ich, ist ein Werk der geschäftigen Sage, der Grund von allem lag sichtbar in Erminrek’s Länder- und Herrschsucht, wodurch er seine Kinder in den gewissen Tod stürzte und die Verwandten ermordete, worin ihn der noch schlechter gesinnte Sifka unterstützte; denn warum und wer sandte die Söhne aus? — Sifka nicht. Die Sage schritt nun naturgemäss in der Verwechslung der handelnden Person zur Verwechslung der Sache; denn nach ihr grenzt deswegen Erminrek’s Reich (kam der gothische Erminrich nach Italien?) an das Meer Adrimar d. h. nur an das adriatische in Italien: dagegen ist das Ziel der Reise Sifka’s die deutsche Stadt Sarkastein in dem Amlungenlande (liegt wo?), und wenn nun Romaburg Trier ist: so folgt hieraus, dass dieses Adrimar aus der Verwechslung der Personen, besonders des Thidrek mit Theodorich, dem Grossen hervorging und unter ihm nur jener zweite und grosse Moselsee bei Engelport in dem Widga verschwand, zu verstehen ist, bis hierher reichte, nach scharfer Auffassung aller Umstände, Erminrek’s Reich nur, warum fielen sonst beide Schlachten mit Thidrek nicht unterhalb dieses See’s, sondern weiter hinauf an der Mosel vor? Nach der Sage führt Sifka erst die Söhne desselben heimtückisch in den sichern Tod, um ihn in seine teuflischen Hände zu bekommen; aber der Tod der Söhne konnte nach des Vaters

 

 

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Charakter und dem Geiste seiner Zeit nicht die sichere Aussicht auf Länderbesitz aufwiegen, weswegen ihm Sifka auch anräth, die Harlunge Edgar und Aki, seines Bruders Söhne zu vernichten und deren Land an sich zu reissen, da sie ja noch jung sind und man noch nicht weiss, ob sie einmal würdige Helden der Zeit werden und überhaupt werden können. Erminrek soll hilflos allein stehen, damit kein Blutsverwandter zeitgemässe Blutrache an Sifka nehmen kann, ist sein Plan, nach dem es zuletzt an Erminrek selbst geht. Der Erzieher der Harlunge, Fritila verweilt eben allein in Romaburg und erfährt diesen schändlichen Plan gegen seine Zöglinge, eilt fort und will sie warnen und retten, aber Erminrek folgt ihm mit einem Heere auf dem Fusse nach, und Fritila lässt sich durch nichts aufhalten; denn in der so nahen Gefahr seiner Zöglinge gelangt er zum Rhein, stürzt sich ohne Bedenken in den Strom und überschwimmt ihn bei Trelinburg d. h. Trechlinburg, der Mosel gegenüber, wo er seine Zöglinge fand, das also den Harlungen gehört haben muss, zumal da von hier aus eine gerade Strasse nach Fritilaburg=Friedberg in der Wetterau ging und noch geht, Erminrek den Ort auch sogleich belagert und schnell erobert und die Eigenthümer sogleich hängen lässt. Warum Edgar und Aki nicht entflohen, wird nicht gesagt, vielleicht trotzten sie auf die Festigkeit des Ortes, vielleicht wurden sie durch die Schnelligkeit der Ankunft des Oheims daran gehindert: aber sie residirten weder hier, noch in Fritilaburg, wie ihr Vater und, wie es scheint, Widga, sondern in Breisach im Breisgaue. Mit Trechlinburg und dem Tode der Herren scheint Erminrek das ganze Land erobert zu haben, das er schnell besetzt, sogar den Stammsitz der Amlunge Fritilaburg, das er der Heirath Widga’s mit Bolfriana, der Wittwe seines Bruders und der Mutter der Harlunge, halber dem Widga verliehen und ihn zum Grafen erhoben hatte, riss er an sich, um auch den Kern der Amlunge zu besitzen, und entschädigte diesen mit der Burg Rana am Rheine und deren Gebiete, das grösser gewesen sein muss, damit er ihn näher habe, weil er ihm gegen Thidrek, den letzten und schwersten Blutsverwandten, an den nun das Schicksal herantreten sollte, zu wichtig war,

 

 

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und gewiss ging diese Länderentschädigung durch Rana nicht ohne Einfluss Sifka’s vor sich. Denn auch er musste Widga in seinem Plane zum Freunde haben und behalten. Rana ist vielleicht Rheinau am linken Rheinufer im Breisgau, und gehörte früher wahrscheinlich dem Thetmar von Bonn, da er Volksthinge hier abhielt, war von ihm aber aus irgend einem Grunde dem Bruder Aki übergeben worden, um dessen Einkünfte zu mehren, und musste jetzt nach der Mordthat an Thidrek wieder zurückfallen oder wenigstens ein bedeutender Gebietstheil desselben, da er dem Oheim der Vergabung des kleinern Theils halber nichts sagen mochte, denn Erminrek, um einen scheinrechtlichen Haken an Thidrek zu bekommen, sendet auf Anrathen Sifka’s den Ritter Reinald in das Amlungenland, um Schatzung zu fordern (aber Friedberg mit der Wetterau und Breisach mit seinem Gebiete besass er!): aber die Insassen berufen sich auf dem Volksthinge auf Thidrek’s Entscheidung, der beschieden wird und bald erscheint, in Folge dessen Reinald mit leeren Händen abziehen muss. Thidrek, nichts Böses ahnend, kehrt nach Bonn zurück, wo gewiss nicht alle seine Ritter versammelt waren. In Romaburg d. h. Trier hielt dagegen Erminrek mit Sifka nun einen geheimen Rath und beschlossen gegen Thidrek einen Vernichtungsplan, zu dessen Ausführung das mächtigste Heer sogleich ausgerüstet wird, das unter Sifka auch sofort auszog. Jetzt erfuhr Widga, Thidrek’s Blutsfreund und weil er vielleicht über jene Schatzforderung vom Amlungenlande d. h. einem Theile seiner Grafschaft, die ihm Erminrek rechtlicher Weise wahrscheinlich nicht verleihen durfte, von dem schändlichen Plane, und eilt über das Eifelgebirge dem Heere, das auch jetzt auf dem Fusse folgte, voraus, um den Freund in Bonn zu warnen. In der Nacht kam er an und, da er für diesen Kampf wenige Ritter bei Thidrek vorfand, meldete: „Wenn ihr hier den Tag erwartet“, so wird Erminrek mit einem grossen Heere da sein und euch alle vernichten! mithin lag Romaburg von Bonn=Bern nicht so weit entfernt, wie Rom von Verona in Italien, im letztern Falle hätte Thidrek über die drohende Gefahr frühere Kunde erhalten und Gegenanstalten treffen können. Das Schicksal der Harlunge sprach zu Thidrek zu laut,

 

 

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um mit den wenigen Rittern die Gefahr zu erwarten: er wählte das Sicherste für den Augenblick und entfloh mit diesen 800 Rittern, die eben um ihn waren, und überliess sein Bern=Bonn am linken Rheinufer, auf der Seite von Trier, dem Feinde. Doch ohne Strafe für Erminrek konnte die reiche Beute nicht gewonnen werden; denn Thidrek, dessen Reich auf dem linken Rheinufer mehr lag, wandte sich mit seinen 800 Rittern „südwärts“ (von Bonn aus) „über Mundina“ (etwa Münster an der Eifel? hiernach hiessen die Eifelgebirge mit dem östlichen Hunsrück Mundifiall) „in das Langbardenland“ d.h. das Land der ripuarischen Franken oder Chattuarier, und verwüstete dasselbe auf eine schreckliche Weise, da es zu Erminrek’s Reiche gehörte, es lag also nicht an der Mosel, sondern es ist der linke Rheingau in den Eifelgebirgen gemeint, der seit uralter Zeit zu Trier gehörte. Dieses geschah, „bevor Thidrek“, über den Rhein setzend, „gen Norden über das Gebirge“ (nach der Mengsage sind die Alpen gemeint, nach der Ursage aber die westphälischen Gebirge und zwar das Siebengebirge zu verstehen) entweicht. Das Siebengebirge überschritten, gelangt er zu Rodingeir d. h. Rüdiger in der Burg Bakalar, „die am Rheine stand“ d. h. in der westfälischen Rheingegend an der Nordseite des Siebengebirges, zum Schutze von Atli’s Reiche gegen die ripuarischen Nordfranken zwischen Tira=Dierdorf und Brandinaburg Iron’s. Rüdiger’s Gattin hiess Gudilinda, er war Atli’s berühmtster Ritter. Nun reitet er mit Rüdiger nach Susat in Westfalen zu Atli, dem Hunen- d. h. Marsen-Könige, der ihm nach 10 Jahren d. h. längerer Zeit ein Heer zur Wiedereroberung seines Reiches verheisst. Nachdem dieses Heer geschaffen worden war, lässt Thidrek den Erminrek zu einer Schlacht nach Gronsport (Membr. Granssport, A. Gransport, B. Grunsport), das spätere Ronsoport an der Mosel in Erminrek’s eigenem Reiche fordern. Erminrek beschenkte in Romaburg d. h. Trier die Boten reich und entliess sie, er nahm die Schlacht also an. Auf Thidrek’s Seite, auch in der Schlacht stand Naudung von Walkaburg (A. Walkim-, Walkum-burg, B. Wolskaburg)) d. h. Wolkenburg neben Drachenfels am rechten Rheinufer oberhalb Bonn, und seines Oheims Aki’s Gattin Bolfriana war eine Geborene von

 

 

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Drachenfels, die nach dessen Tode den Widga heirathete und wahrscheinlich diesen, ergrimmt über die schändliche Ermordung ihrer Söhne, mitbewog, den Thidrek vor seiner Flucht hinsichts der Gefahr zu warnen. — Hierauf zog: Erminrek zu dieser Schlacht bei Gronsport von Trier an der südlichen Mosel „nordwärts über das Gebirge“ (A.B. „über Mundina“!) d. h. über den westlichen Hunsrück (nach der Mengsage sind die Apenninen oder gar Alpen zu verstehen) nach Gronsport, wo er den Thidrek mit seinem Hunenheere traf und zwar in der Gegend von Trarbach d. h. Traben-, Travennabach an der Traben, an der zweiten Hauptmoselbiegung seit Cochem. Thidrek’s Heer lagerte „nördlich vom Strome“ d. h. der Mosel, wo sie durch ihre Biegungen eine Halbinsel bildet, auf der sein Heer mit dem Kerne desselben stand: da der Strom hier nun eine Biegung von Westen gen Osten in fast gerader Linie macht und sich alsdann wieder nordwestlich wendet, so stand Thidrek ganz richtig „nördlich vom Strome“ d. h. auf dem linken Ufer, und gegenüber, also „südlich vom Strome“ lagerte Erminrek’s Heer unter Sifka’s Anführung. Gronsport d. h. Ronsoport, Graechenburg d. h. Grach und Trabenbach oder Trarbach lagen und liegen am rechten Moselufer in Einer Gegend, und auf derselben Seite liegt Trier: Thidrek kannte also das Moselthal genau und hielt die Gegend von Gronsport zu einer Schlacht geeignet, dass er den Oheim hierher forderte. Thidrek kam aus Westfalen, überschritt bei Coblenz wahrscheinlich den Rhein und zog am Westufer der Mosel hinauf nach Gronsport, während Sifka an deren Ostseite eben dahin hinab zog und zwar „nordwärts“ von Trier aus und lagert sich „südlich vom Strome“ dem „nördlich von demselben“ lagernden Thidrek gegenüber. An der Spitze dieser Moselbiegung von Westen gen Osten liegt Trarbach oder Travennabach am Bache Traben lat. Travenna (Ausonius), das noch im Mittelalter Travenbach hiess und dem Grafen von Spannheim gehörte, an der starkenburger Höhe mit der Burg Starkenburg. Um diese Berghöhe herum lag an derselben Flussbiegung Gregen- oder Graechenburg, das heutige Grach, wo Thidrek später den unrechtmässigen Herrscher von Trier, Sifka gänzlich schlug und vernichtete.

 

 

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Jene erste Schlacht heisst in der Sage die von Gronsport, viele mögen sie aber auch die von Trabenbach genannt haben, und da die Mengsage Thidrek mit Theodorich, dem Grossen verwechselte, so ward aus Traben-, Travennabach, durch Abwerfung des anlautenden T um so leichter, Ravenna in Italien, und nannte ein deutscher Dichter sein Gedicht darnach Rabenschlacht, die also richtiger Trabenschlacht betitelt wird. In dieser Gegend lag auch Berncastel und Cröv mit dem Cröver Reiche, von Gebirgen eingeschlossen, eine herrliche Ebene, zu Schlachten sehr geeignet: warum wählte Thidrek also Gronsport? In dem Moselthale setzten sich die Römer gegen Deutschland ganz besonders fest, ihre Flügel von hier aus am Rheine links hinab und rechts hinauf ausbreitend, und schon Julius Caesar erkannte die Wichtigkeit dieser Gegend, der civitas Trevirorum. Durch dasselbe drangen die Franken und andere deutsche Stämme gegen die Römer vorzugsweise vor, in dieser Gegend wütheten die Folgen der Völkerwanderung ganz besonders und deshalb häuften sich an der Mosel und dem nahen Rheine die Festen und Raubburgen am meisten. Diese Gegend spielte eine wichtige Rolle bis tief in das Mittelalter hinab, am andern Rheinufer fand sich ja hier der „Königsstuhl“, in ihr ward das deutsche Kaiserreich ein Wahlreich, und durch das Moselthal, seinen Werth erkennend, schritten Ludwig XIV und Napoleon gegen Deutschland vor, es durch Montroyal befestigend. Man kann daher ganz leicht begreifen, woher es kommt, dass die deutsche Heldensage gerade in dieser Mosel- und Rheingegend ihr Wesen treibt, ihre meisten Helden hier gelebt und gehandelt haben! — Die Angaben der Thidreksaga sind daher richtig, wenn sie den Thidrek „nördlich“, Trarbach gegenüber und den Sifka „südlich“ von der Mosel lagern lässt. Am andern Morgen nach Ankunft von Erminrek’s Heere unter Sifka redete Thidrek das geliehene Hunenheer ganz besonders und seine 800 Ritter, die, wie sich von selbst versteht, an den gefährlichsten Stellen das Meiste thun mussten, kurz mit diesen Worten an: „Ihr (die Hunen) habt oft gegen die Ruzenmänner und Wilcinenmänner (die somit keine gering zu schätzenden Krieger waren!) gesiegt: nun erobert unser Reich wieder!“ und nun überschreiten

 

 

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sie die Mosel. Der Kampf beginnt: Wildifer erschlug Sifka’s Bannerführer Walthari von Waskastein, während Widga Thidrek’s Bannerführer Naudung von Walkaburg, den Verwandten Gudilinda’s der Gattin Rüdiger’s tödtete; auch die zwei Söhne Atli’s und Thidrek’s junger Bruder, welche hier ihre erste Hauptwaffenthat vollbringen sollten, fielen in dieser Schlacht. Als Thidrek dieses erfuhr, wandte er sich wie ein wüthender Löwe gegen den Thäter Widga, der aber, da er sein Pferd verloren hatte, auf des getödteten Theter’s Pferde „längs dem Strome Mosula“ vor Thidrek, dem Blutsfreunde entfloh, jedoch nicht nach Trier zu, der Mosel hinauf, sondern der Mosel hinab nach Coblenz zu; denn er reitet „hinaus an die See“ (nach der Mengsage in Italien) d. h aus dem Reiche des Erminrek an der Mosel hinab bis zum Kloster Engelport (Angelica porta) und Treiz, wo die „Mosel wie ein Landsee ist, nirgends Ausgang noch Eingang“ d. h. Ein- und Ausmündung, ruhig und tief, mit niedrigen Inseln versehen ist. Widga von einem Meerweibe abstammend (nach der Sage), weiss sich vor dem nahen Thidrek nicht zu retten und verschwindet im See, gerettet durch die Mutter d. h. aber wohl, er springt vom Pferde, stürzt in das Wasser und rettet sich durch Schwimmen auf eine der Inseln, wo er sich versteckte und später von hieraus für immer verschwand (nach der Sage ging er nach Seeland in Dänemark, wo ihn Thidrek später aufsuchte und tödtete — ein Werk der Sage!), er kann auch auf diesem Rettungsversuche ertrunken sein. Thidrek, seine Absicht erkennend, „schleudert ihm seinen Spiess nach“, aber der Spiess erreichte ihn nicht, sondern „fuhr an der Mündung des Stromes“ d. h. der Mosel in den Landsee „in die Erde“, wo man ihn „noch diesen Tag“ d. h. zur Zeit des Schreibers der Thidreksaga gegen 1250 „sehen kann“. Thidrek kehrte in die Schlacht zurück: aber Erminrek’s Haupthelden und eine Anzahl von Kriegsknechten waren nicht mehr, und Sifka entflieht mit dem Reste nach Trier, während Thidrek das Schlachtfeld zwar behauptet, aber sein Verlust ist auch nicht zu berechnen; denn nach dem Sinne der Sage und aller übrigen Gedichte hatte er in dieser Schlacht seine 800 Ritter verloren, nur der alte Hildibrand war ihm übrig geblieben

 

 

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und zwar verwundet, auch Rüdiger scheint hier gefallen zu sein und die meisten hunischen Ritter, so dass Thidrek lieber in die weite Welt ziehen, als zu Atli zurückkehren will. Hiernach ist auch der Schluss des Niebelungenliedes zu beurtheilen. Er lässt sich zuletzt bereden, zu Atli zurückzukehren. Auf keinen Fall konnte er mit dem Reste des Heeres sein Reich erobern und behaupten, da er als Flüchtling durch eigene Mittel kein neues Heer schaffen kann und begreifen musste, dass sein Gegener im Besitze von Schätzen und einem grossen Reiche leicht andere grosse Heere aufzustellen vermochte. Die Richtigkeit dieser Darstellung bestätigt auch Atli’s und Thidrek’s gegenseitiges Benehmen in Soest nach dieser Schlacht; denn dass Atli’s Söhne, für welche sich Thidrek vor dem Auszuge verbürgt hatte, in der Schlacht gefallen waren, das allein konnte den Thidrek nicht bestimmen, vor Atli nicht erscheinen zu wollen, wenn nicht vielmehr der grosse Verlust an Rittern und Kriegsleuten der Hauptbeweggrund dazu war, da ja jede Aeltern, wenn sie Söhne in den Krieg senden, die Möglichkeit annehmen müssen, dass sie selbige nicht wiedersehen, zumal wie hier gegen triersche, krieggewandte Römer und Römlinge, wo eine Bürgschaft für ihre Lebenserhaltung von vorn herein als eine leere Verheissung dastand. Auf der andern Seite galt ja bei den alten der Verlust zweier Söhne, in einer Schlacht tapfer kämpfend gefallen, besonders zur Zeit der alten Heerkönige, fast für keinen Verlust, und Atli’s Söhne waren noch junge Leutchen, von denen man, trotz ihres heldenartigen Todes, gegen den weltberühmten Widga, immer noch nicht mit Gewissheit annehmen konnte, ob sie wirklich ganze Helden geworden sein würden. Wie konnte also Atli den Thidrek nicht sehen wollen, wenn er nicht in jener Schlacht den grössten Theil und die bewährtsten Ritter Atli’s verloren gehabt hätte? zu denen nun noch der Verlust beider Söhne kam. Atli’s Gattin, Erka brachte endlich eine Versöhnung zu Stande: warum gab ihm dieser nun kein neues Heer zu dem Zwecke, da ja Thidrek nach jener Schlacht noch 12 oder mehrere Jahre bei ihm verweilte? — Atli vermochte es nicht; denn in dieser Zeit ersetzt der ritterliche Anwuchs den Verlust des Kerns der bewährten Ritter nicht! Während

 

 

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dieser 12 Jahre d. h. einer langen Zeit heirathet Thidrek nun gar Erka’s Verwandte: warum gab ihm nun jetzt Atli kein neues Heer, sein Reich zu erobern, wenn er Ritter genug gehabt hätte? vielmehr verfällt Thidrek auf das dem ganz entsprechende Mittel, mit der Gattin und Hildibrand allein und heimlich in sein Reich zu ziehen (und diesem entspricht auch der letzte Gesang des Nibelungenliedes und die Klage so ganz und gar!) und nachzusehen, wie dort die Sachen stehen; denn der Oheim Erminrek muss jetzt alt und schwach sein, und dem Sifka durfte er gerade jetzt nicht so ganz freie Hand lassen, er kannte ihn ja, und musste sich somit im Stillen Freunde in seinem und, wo möglich, des Oheims Reiche zu erwerben suchen, um endlich zum Ziele zu gelangen. Entspricht dem wiederum nicht Thidrek’s erstes Auftreten in der Heimath? wir werden sehen. Wenn nun aber in dem Nibelungenliede Thidrek einen gewissen italischen Schein hat: so kann das nur eine Folge der Mengsage sein, nirgends vertritt er hier sonst Theodorich, den Grossen, im Grunde erscheint er überall mit seinen 800 Rittern als Franke und als Christ; denn die Franken an der Mosel und dem Rheine nahmen sehr frühe das Christenthum an neben vielen Römern, aber dennoch blieben auch Viele und zwar, wie es scheint, die Meisten noch Heiden. Wenn es daher in der Handschrift C des Gedichts heisst, dass die burgundischen Franken gegen die hunischen Heiden dennoch gesiegt haben würden, wenn „nicht Christen gegen Christen gekämpft hätten,“ so bekommt das einen gewissen historischen Sinn, da Thidrek in der Sage wie im Gedicht auf Seiten Atli’s und Attila’s steht, Günther in diesem aber an Erminrek’s Stelle getreten ist. Wenn nun ferner Thidrek mit seinen 800 Franken gegen 11,000 burgund. Franken Günther’s d. h. Erminrek’s kämpft, er seine Ritter, mit Ausnahme Hildibrand’s, aber auch verwundet, alle verliert und dabei eine sehr grosse Anzahl Hunen fallen, während die Burgunder alle todt da liegen, so kann das nichts Anderes bedeuten, als dass der Verlust am Hofe Attila’s d. h. in der Schlacht bei Gronsport auf Seiten Sifka’s weit grösser war, als der ungeheuere Verlust Thidrek’s und der Hunen; denn Sifka verlor fast das ganze Heer, während dem Thidrek

 

 

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noch ein kleiner Theil übrig blieb. Das Nibelungenlied hält also im Grunde den wirklichen Stoff der Schlacht fest, verfolgt nur einen andern Zweck und ändert darnach die Localitat derselben. Franken mit Hunen kämpfen gegen Franken en masse, auf jener Seite fallen 799 mit sehr vielen Hunen und hier Franken en masse d. h. fast alle, mithin bleibt in beiden Quellen dasselbe treue Bild.

 

Die Uebereinstimmung beider Quellen wird dadurch aber noch bedeutsamer, dass nach der Thidreksaga in diese 12 Jahre nach der Schlacht bei Gronsport die Ermordung Sigfried’s, Hertnid’s Kampf mit Isung und Kriemhild’s Rache fallen, in deren Folge die burgund. Franken an Attila’s Hofe umkommen, welche Darstellung der Nibelungendichter poetisch aufgefasst und in seinem Zwecke ausgeführt hat, aber in beiden Quellen kehrt Thidrek nur begleitet von der Gattin und Hildibrand in die Heimath und sein Reich zurück. Sie reisen, nach der Sage, „9 Nächte und 9 Tage“ d. h. volle Tage „auf der westlichen Strasse gen Mundina“ d. h. auf der Weststrasse der Römer aus Westfalen bis zum Rhein und in die Eifelgebirge, in denen Mundina auf dem linken Rheinufer lag, und zwar heimlich, um zu sehen, ob er in seinem Reiche festen Fuss fassen könne. In der Nacht gelangen sie nach Bakalar am Rheine zu Gudilinda, der Wittwe Rüdiger’s, der also bei Gronsport mit gefallen ist, da er auch an Attila’s Hofe gegen die burgund. Franken in dem Nibelungenliede mitfällt, und mit dem Thidrek einst im Ruzenlande gekämpft hatte. — Bis hierher waren sie in Atli’s Reiche, aber im Anlange der Reise mussten sie feindliche Länder „in der Nähe des Lurawaldes“ zwischen der Weser und Nordwestfalen berühren, und mussten sich daher am Tage in demselben verstecken und des Nachts reisen. Trotz dessen gerathen sie mit Elsung und dessen Leuten, welche sich heim nach Babilonia (etwa eine deutsche Satyre auf Trier unter Erminrek und Sifka?) jenseits des Rheins wünschen, in einen Kampf, in welchem Elsung fällt, seine Leute entfliehen, setzen über den Rhein und gelangen bald nach Babilon. Thidrek gelangt nun mit seiner Begleitung bald in die Gegend von Bern d. h. Bonn, nachdem er einen Besuch bei

 

 

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dem Jarl Lodwig d. h. dem ripuarisch fränkischen Chlodwig am linken Rhein gemacht hat, wo er, südwärts das Mundinagebirge überschritten, das Nöthige über die Heimath erfährt: Erminrek ist todt und Sifka will sich seines Reiches bemächtigen, das Ziel seines ganzen Strebens! Durch Hildibrand erfährt Lodwig von der Anwesenheit und dem Verstecke Thidrek’s von Bern im Walde des Eifelgebirges, und Vater und Sohn eilen hinaus und erkennen ihn als die Ersten zum Könige von Bern wieder an, sie mögen also auch früherhin zu seinen Unterthanen gehört haben. Zu ihrer grössten Freude erfahren sie auch hier, dass Alibrand, Hildibrands Sohn, den er bei der ersten Flucht als kleines Kind zurückgelassen hat (denn hier tritt der Inhalt des alten Hildebrandliedes ein), Jarl von Bern d. h. Bonn sei. Der Wunsch des Vaters, voraus reiten zu dürfen, war ein völlig naturgemässer, da der Vater den Sohn am Besten erforschen und am Leichtsten für Thidrek gewinnen konnte, weil mit der Gewinnung der Haupt- und Residenzstadt des Reiches die Hauptsache gewonnen war. Thidrek bleibt so lange in seinem Waldverstecke und Hildibrand reitet voraus auf Bonn los: aber kaum aus dem Gebirge herausgekommen, reitet ihm ein stattlicher Ritter mit dem Falken auf der Hand, der also jagen will, entgegen und stutzt beim Anblicke des hunisch gekleideten und gerüsteten Ritters, er wittert Gefahr und hält den Ankömmling an. Hildibrand erkennt aus dem Wappen und der Gestalt des Ritters seinen Sohn, einen Amlungen, und giebt sich ihm zu erkennen: aber dieser, kampflustig, behauptet, dass sein Vater, von dem er so lange keine Kunde empfangen, längst todt und er ein Betrüger sein müsse. Der Sohn muss das Jarlthum schützen, und der Kampf beginnt: der Sohn wird besiegt und erkennt, da der Vater das Visir löst, denselben! Freudig reiten nun beide zur Gattin und Mutter, aber nicht nach Bern, sondern nach Her d. h. Höhr im Gebiete Bonn’s: die Freude des Wiedersehens ist gross! Der Inhalt des Hildibrandliedes aus dem achten Jahrh. ist also auch, wenn man die poetischen Elemente demselben abstreift, in dem Grundstoffe historischen Inhalts. Erst jetzt reiten Vater und Sohn nach Bern d. h. Bonn, jener hat diesen erforscht und gewonnen; denn der Jarl Alibrand beruft hier sogleich ein Thing

 

 

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der Besatzung und freien Bürgerschaft und gewinnt beide Theile für Thidrek gegen den schändlichen Sifka, so dass man den Thidrek am andern Morgen feierlich einholt und als König wieder anerkennt, woraus man deutlich ersieht, dass er ein gewählter Heerkönig und kein erblicher König war. Vor Bern bei der Einholung angekommen, übergiebt ihm Alibrand nun erst die Burg Bern und das Reich, worauf Thidrek sogleich ein Thing zu Rana, das ihm also auch nach der Ermordung der Harlunge und nicht dem Erminrek, der deswegen dem Widga dasselbe für Friedberg gab, zufallen musste, abhält, auf dem er als Heerkönig allgemein anerkannt ward und alsdann den Alibrand für seine wichtigen Dienste zum Herzog von Rana erhob: Widga, der Graf von Rana, war also nach der Schlacht bei Gronsport verschollen d. h. todt. Es war vorauszusehen, dass Sifka die Beute seiner Lebensarbeit nicht so leicht aufgeben werde: beide Theile rüsteten und Thidrek zog mit seinem Heer durch das Eifelgebirge an die Mosel. Bei Gregenburg (altschwed. Bearb. Graechenburg, B. Gergenburg) d. h. dem heutigen Grach an der Mosel unweit Gronsport, in der alten Kampfebene, kam es zur blutigen Schlacht, zu der Sifka aus Romaburg d. h. Trier 7000 Ritter allein heranführte. Er, der den Amlungen-Fürsten alles Eigenthum zu entreissen gedachte, verlor hier in einem Schlage alles Errungene, und Thidrek bekam nun auch das Eigenthum seiner mordsüchtigen Feinde zur Belohnung. Denn gleich im Anfange der Schlacht erschlug Alibrand den Sifka, dessen ganzes Heer hierauf zu Thidrek überging: an der Spitze beider Heere zog dieser nun hinauf nach Romaburg,. wo er zum König gekrönt ward. Trier war das zweite Rom des Reichs der Römer gewesen, die Franken hatten es früherhin mehrmals erstürmt und also auch zum Theil verwüstet: Thidrek sucht dasselbe in seiner Pracht sichtbar wieder herzustellen, insoweit er dieses zu thun vermochte; denn er legte hier das Thidreksbad an d. h. offenbar, er baute ein zerstörtes Römerbad wieder auf, errichtete seinem Hengste Falka, der ihn in allen Lebenslagen so lange getragen hatte und wahrscheinlich hier endete, auf der Burgmauer ein Gussbild aus Kupfer (solcher Statuen gab es in dem alten Trier mehrere), während er sein eigenes Bild aus Kupfer,

 

 

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das sein Schwert Eckisax gegen die Steinbrücke über den Rhein zur Warnung für jeden nördlichen Feind schwang, auf einem Thurme zu Bern d. h. Bonn errichtete. Es lag in der Natur der Sache, dass, wenn Thidrek nun seine Residenz von Bonn nach Trier verlegte und ihm dahin die vorzüglichsten Ritter folgten, auch deren Frauen nachfolgten, und so verliess z. B. auch Hildibrands Gattin ihr liebes Her am Rheine und kam nach Trier, aber der Gatte sandte sie, nach der Zeitsitte, in den romantischsten Theil des Moselthales (nach Angabe des Heldenbuches) unter sicherer Begleitung des Ritters Amelolt, nach Garta am See d. h. nach Carden am dritten und grössten Mosellandsee, das schon früher ein sehr beliebter Aufenthaltsort der Römer, wie überhaupt das ganze Moselthal, gewesen war. Das ganze Thal war mit römischen Villen bedeckt, zu Bertrich fand man schon damals die willkommenen heissen Schwefelbäder, und in dem uralten Carden stand ein Tempel mit dem lebensgrossen Bilde eines römischen Kriegers in voller Rüstung aus Marmor, in dem man die römische Kaiserfamilie göttlich verehrte. Nahe von Carden lag ein Marsberg, der noch jetzt mit vielen antiquen Trümmern und Gebäuden bedeckt ist. Und in diesem Orte hausten nach den Römern eben so gern die ripuarischen Franken: der Ort soll von dem heiligen Castor gegründet worden sein, welchen der heilige Maximinus zum Priester geweiht habe, seine Gebeine wurden von hier 836 nach Coblenz gebracht. Selbst Tagobert gründete in diesem Thale viele Höfe, Burgen und Oerter, wie z. B. Enkirch, lat. Enchiariacum, einen Anker in seinem Wappen führend, wornach es anfangs Ancora hiess, in dessen Kirche mehrere Steinbilder von geharnischten Rittern in Lebensgrösse standen. Ja der Kaiser Gratian ertheilte den Trevirern grosse Immunitäten in Hinsicht der Pferde des Circus halber. Das ganze Moselthal ist noch heute voll von römischen Antiquitäten, aber die schönsten Monumente liess Karl, der Grosse, besonders aus Trier nach Achen bringen, so gewiss auch Thidrek’s Kupferbild seines Hengstes Falka und vielleicht sogar dessen Statue aus Bonn.

 

Die alten Trevirer waren kriegerische, schon vor den Römern in Gallien eingedrungene Germanen, die durch die

 

 

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Fruchtbarkeit des Moselthales angelockt vom Rheine wegezogen waren. Ihre Hauptstadt; Trier lag mitten in dem Lande, umgeben von Bergen, durchströmt von der Mosel. Bei der Ankunft der Römer, welche die Wichtigkeit dieses Passes eben so gut, wie die Deutschen, sogleich erkannten, hatten die Trevirer eine freie und geordnete Staatseinrichtung, und ihre Grenzen waren im O. der Rhein und die Ubier, im N. die Völker zwischen Maas und Rhein, im W. die Maas, die Rheiner und Nervier und in S. die Mediomatriker mit ihrer Hauptstadt Metz (Ortwin von Metz im Nibelungenliede!). Sie waren berühmte Reiter und Fusskämpfer, denen in Kriegen für Weiber, Kinder und Greise das dornvolle Ardennengebirge zu Zufluchtsstätten diente. In ihrer Mitte lebte, eine Menge berühmter und grosser Familien; denn in dem Kriege des Civilis und Cerealis flohen mit jenem 113 Senatoren über den Rhein und eine gleiche Anzahl blieb bei diesem in Trier. Diese Familien hatten die eigentliche Herrschaft in den Händen, die Verfassung war aber eine deutsche, an der das, fast gleiches Ansehen geniessende Volk warmen Antheil nahm. Die Trevirer rechnete man zwar zu Gallien, aber in den Völkerbündnissen standen sie zu den Belgen und Deutschen gegen die Römer und waren die tapfersten: mit den eigentlichen Deutschen lagen sie sonst in beständigen Feden. Sie redeten deutsch, und nur die Vornehmen bedienten sich, nach Einzug der Römer, des Lateinischen, nach der Völkerwanderung aber, nachdem die Römer vernichtet worden waren, sprachen sie wieder deutsch. Und wenn gleich sie ihre alte Unabhängigkeit und Selbstständigkeit stets behaupteten, so erhob Augustus dennoch die Stadt Trier, um seine Bewohner allmälig zu kirren, zu einer colonia Augusta, Alles ward römisch, die Stadt das zweite Rom des Reichs, weswegen sie auch die Deutschen mit Recht Romaburg nannten. In ihr residirten entweder für immer oder zeitweise viele Kaiser der Römer: Constantius Chlorus, Constantinus M., Constantius und Constans, dessen Söhne, Julian, die Brüder Valentinian und Valens, Gratian, Valentinianus jun., Jovinus, Maximus und sein Sohn Victor, Theodosius M., u. a. Von hieraus erfolgten seit dem achten Regierungsjahre des Constantin bis zu

 

 

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dem zwölften des Theodosius, also innerhalb 80 Jahren, nicht weniger als 107 Gesetze, ja in Trier war eine berühmte römische Schule, in welcher ein Claudius Mamertinus, Eumenius, Ausonius u. A. lehrten, und dennoch finden sich hier noch heute vorrömische Baudenkmäler, wie z. B. die porta nigra, oben offen, also zu Berathungen erbaut, die Moselbrücke, neben den römischen Thermen, den Fruchthallen (horvea), dem Triumpfbogen des Gratian, Circus, Amphitheater, dem Secundiner-Monumente, im Dorfe Igel, Gräbern, Häusern, Inschriften, dem Steinwege nach Bingen am Rheine, etc. etc. Anfangs war Trier die Hauptstadt der provincia Belgica prima: aber Constantinus M. machte es zu der Hauptstadt von ganzem Gallien, hier residirte der Praefectus Praetorio von den drei Diöcesen: Gallien, Spanien und Britannien. Es war mit Recht das zweite Rom an römischer Pracht, an Ansehen, Schönheit, Sprache und städtischer Verfassung, aber auch in der Heiligkeit, nach der Einführung des Christenthums; denn wie viele Märtyrer und Heilige giebt es und datiren sich von hier! Eucharius und Valerius bekehrten die heidnischen Trevirer, Maternus, Paulinus, Agritius und Maximinus setzen das Begonnene im zweiten und dritten Jahrh. eifrig fort. Constantin erhob das Christenthum zur Staatsreligion, und seitdem behauptet Trier die Orthodoxie: Priscilian wurde mit seiner Partei hier unter Maximus enthauptet, der heilige Ambrosius tadelte diese Strenge und musste deshalb Trier verlassen! Der hiesige Bischof war das Haupt der Christenheit von Belgien, von hier aus ward Cöln und Mainz bekehrt. So lange hier der römische Präfect residirte, so lange präsidirte auch der hiesige Bischof den gallischen Concilien, als aber Honorius dessen Sitz nach Arles verlegte, da beanspruchte auch dessen Bischof das Ansehen eines Hauptes der gallischen Kirche. Martinus, Hilarius, Lupus und Celsus fielen hier als Märtyrer und ruhen in der Paulinerkirche, der grösste Theil der thebäischen Legion fiel hier und färbte durch ihr Blut die Mosel bis nach Neumagen hinab. Dieses zweite Rom des Reiches verwüsteten die Franken vier mal, die Römer verloren zwar den Rhein endlich, aber Trier’s Pracht schwand dennoch erst allmälig: die Römer suchen es lange zu behaupten, der

 

 

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Pass war der wichtigste am Rheine, was der Deutschen Andrang gegen die Römer an diesem Orte, die Grossthaten in dem Mittelalter, Ludwig XIV und Napoleon handgreiflich bestätigen, und in dieser Gegend sollte die altdeutsche Heldensage nicht ihren Urboden und ihre Heimath haben? — Die Franken, mehrmals von den Römern zurückgeworfen, erobern endlich durch Hülfe des Senators Lucius diese Hauptstadt, die römisch cultivirten Trevirer widerstreben zwar noch, aber endlich vertreiben gegen 450 die Franken die Römer gänzlich aus dieser herrlichen Provinz. Die ripuarischen Frankenkönige liessen aber Trier gar bald durch Herzöge verwalten, der Völker Namen schwanden und die Gaueinrichtung trat ein: Trier kam zu Austrasien, die Könige residirten zu Metz, liebten aber auch Trier und hielten sich hier auf, wie Theodorich, Theodebert, Chlotar und Siegbert. Auch die Namen Austrasien und Neustrien schwanden wieder; denn durch den Vertrag zu Verdun 843 erhielt Lothar alles Land von den Rheinquellen, dem Genfer See und den Alpen zwischen Schelde, Maas, Ar und Rhone, also auch das Land der Trevirer, und Lotharingen war vorhanden, getheilt in Herzogthümer, so das Moselherzogthum (Ducatus Mosella) und stand später sogar unter blossen Gaugrafen (duces pagorum), etc. etc. Schon 406 schlug der Frankenkönig Chlodvich die Alemannen in dieser Gegend, ihr gehört der Name Hlodvig schon in uralter Zeit an, bei einem Jarl Hlodvig verweilte der heimkehrende Thidrek von Bonn, wird von ihm zuerst als König wieder anerkannt, und wer will es widerlegen, wenn ich es sogar wage, den Ludwig des alten, heidnischen Ludwigliedes sammt dem Grundstoffe seines Inhaltes der Moselgegend zuzuweisen? Wie eng verbunden sind mit dieser Gegend die Helden des Nibelungenliedes? denn bei Hagen von Tronege noch an die Stadt Tournay in Flandern oder gar das asiatische Troja denken zu wollen, ist lächerlich, da die Stammburg des in dem Erzstift Trier und Rheingaue uralten Geschlechts der Hagen von Tronek auf dem Hunsrücken am Flüsschen Drohn, lat. Drahonus in der Nähe von Zur Motten, drei Stunden von dem alten Kloster Tholey gegen die Saar hin lag und das Geschlecht in alten Urkunden auch unter dem Namen von Haen und Hayn,

 

 

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echt deutsch! vorkommt, ja sogar Hagen ab Indagine genannt wird. Noch 1540 kommt ein Johann von Hagen als Erzbischof von Trier vor, vergl. die Urkunden im Cambio curtis Nassau 1158, reversali fratrum de Hunoltstein 1267 in Honthemii hist. Trev. Dipl. Durch diese Gegend des Hunsrücken führte nun gar die Römerstrasse aus Stein von Bingen nach Trier, von der Seitenstrassen nach allen Weltrichtungen hin ausliefen, wie z. B. nach Lüttich, hier war der Hauptkampfplatz der alten Helden seit der Urzeit, für unsern Nibelungenhelden der wahre Tummelplatz. Die Familie als Urbewohner der Gegend verband sich also mit den Franken zum Kampfe gegen die Fremdlinge, zunächst die Römer und im Nibelungenliede gegen die Hunen. Unser Held steht auf Seiten Günther’s, Königs der fränkischen Burgunder, denen Honorius den Elsass überliess zum Schutze gegen die Alemannen. Und liegt denn Metz, woher Ortwin stammt, etwa nicht in dem Moselgebiete? es ist sichtbar der Südpol von Atli in Soest als Nordpol der Sage! Metz gehörte ja schon zur Zeit der Römer zu Trier. Volker, der „Fiedler von Alzei“ im alten Wormsgaue gehört unserm Sagenkreise, wie ihn ich bisher liniiren musste, unabweisbar an. Er heisst der Alzeier Fiedler, weil die Stadt Alzei eine Geige in ihrem Wappen führt. Die Volker haben, wie wir oben sahen, noch später eine Herberge Brandenburg in Alzei gehabt, die Stadt gehörte der Abtei Maximin in Trier, deren Gefolgsleute sie also auch waren, weswegen auch unser Volker Günthern freiwillig nach Ungarn begleitet. Die übrigen Helden Günther’s sind im Gedichte nicht näher bezeichnet worden. In Alzei wohnten schon im zweiten Jahrh. Römer, wie der hier ausgegrabene Stein mit der Inschrift beweist: Nimphis Vicani Altiaienses aram posuer.. Auch der Idarwald, ein grosser Theil des Hunsrücken, die kaiserlichen Höfe Schabenheim, Ebersheim etc. gehörten der Reichsabtei St. Maximin in Trier, erbaut an der Stelle des Pallastes Constantin’s M., welchen Bischof Agritius in eine Kirche verwandelt hatte, gegründet ist sie 333 von Johannes von Antiochia, und in ihr lebte 6 Jahre lang der heil. Athanasius, in ihr sein berühmtes Glaubensbekenntniss schreibend. Auf den Hunsrücken hatte Kaiser Gratian besiegte Sarmaten und Hunen versetzt,

 

 

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dieser Namen hat sich in Namen des Bergrückens, dem des Schlosses Hunoltstein=Stein der alten Hunen, Castellaun d. h. Castelhun, contrahirt aus Castellum Hunnorum, Huntheim u. dgl. m. bis heute erhalten. Die Bewohner des alten Trichoragau’s heissen somit Hunen und müssen 70 Jahre früher, als Attila das westliche Europa bestürmte, da gewesen sein. Das Nibelungenlied vermengt also zu seinem speciellen Zwecke Helden aus dem Hunsrücken, Nahe- und Wormsgaue. Jener Orthodoxismus der römischen Abtei in Trier scheint mir in Volker's ganzem Charakter fest gehalten worden zu sein, und sonderbar klingt es, zu lesen, dass alle Namen der Nibelungenhelden im 12ten und 13ten Jahrh. in Speier und vorzüglich in Worm’s unter den Vornehmen üblich waren, wie eine jede Urkunde des Klosters Schönau (gegründet 1142) in Cod. Diplomat. Schonaugiensis bei Gudenus beweist. Ein Sigibert, Hausmeier von Worms, und seine Gattin Chriemhilde kämpften einst schon tapfer bei Worms Eroberung durch die Hunnen und Vandalen im J. 538. An der Mosel trat uns ein Volker von Starkenburg entgegen. Ueber der Volker Hof Brandenburg vergl. das Weisthum von Alzei in jenen Quellen. Als Lauretta Gräfin von Salm und Starkenburg, 1326 den Erzbischof Balduin von Trier auf einer Spazierfahrt auf der Mosel nach Coblenz gefangen nehmen liess, sehen wir als ihre Räthe für Spanheim und Berncastel einen Volker von Starkenburg, Ringwin von Milen d. h. Müllheim und Bertram von Vakelar, d. h. etwa Bakalar des Rüdigers „am Rheine“ wirken. Zu bemerken ist endlich noch, dass das Alzeier spätere Stadtwappen zwar in einem gekrönten Löwen mit einer Geige in den Tatzen besteht: aber der Löwe ist das Wappen von der Pfalz und muss erst nach der Besitzergreifung der Stadt Alzei in deren Wappen gekommen sein, das ursprünglich gewiss nur in einer Geige bestand, weswegen auch die Alzeier noch später „die Fiedler“ spottweise genannt wurden.

 

Von dem Südpole der Sage mich ab- und zu dem Nordpole, Atli hinwendend, überspringe ich deren Mittelpunkt den Lahn- und Rheingau, da er jetzt nicht zu meinem Specialzwecke gehört, behalte ihn mir aber für eine künftige Mittheilung nicht minder wichtiger Ergebnisse vor; denn auffallend muss es einem

 

 

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jeden Freunde des Wissens sein, dass in der Sage Thidrek von Bonn und Rüdiger von Bakalar in der Mitte zwischen Atli und Erminrek stehen, indem beide zum Vortheil Atli’s und zum Verderben Erminrek’s wirken, aber mit dem Unterschiede, dass Thidrek als der Höhere und Wichtigere dem Atli grössern Nutzen bringt und anfangs von Erminrek lange Schaden erdulden muss, aber auch dem Atli ein Heer und die Söhne in der Schlacht verliert, während Rüdiger dort nutzt, aber hier im Streben zum Ziele in derselben Schlacht untergeht. Thidrek, lange genug ungerecht gelitten, vernichtet endlich durch eigene Thatkraft den Süden in Sifka und Erminrek. Atli dagegen konnte nur indirekt auf diesen Süden wirken, sein eigentlicher Wirkungskreis musste anders wohin liegen, nämlich im Osten und zwar in den Wilzinen und Ruzen, da im Norden seine eigenen Blutsverwandten wohnten und gleichen Raum für ihr Wirken und Gewinnen beanspruchten, während ihm verschiedene Gründe und Ursachen den nur sumpfigen Westen verschlossen. Atli ist also der handelnde Schwerpunkt im Norden und Erminrek im Süden, Thidrek aber der Mittelpunkt zwischen beiden, erst diesem und dann jenem nutzend.

 

In dem Niebelungenliede ziehen die Franken unter Günther von Worms, nach dem Zwecke des Gedichtes, zu Attila nach Ungarn, der ebenfalls in Susa oder Susat residirte, unter dem man thörichter Weise Pest oder Petsch d. h. Ofen verstanden hat, ohne dabei zu bedenken, dass es in Ungarn zu keiner Zeit ein Susa gegeben hat, vielmehr geht hieraus handgreiflich hervor, dass die mündliche Sage in ihrer Erzählung die Personen Atli und Attila, des Gleichklangs halber, nur verwechselte, den Namen des Ortes der Handlung aber festhielt und die Residenz Susa aus Consequenz nach Ungarn verlegte, aus welchem Stadtnamen also noch das Ursprüngliche der Sage hervorleuchtet. Von dieser handgreiflichen Verwechslung der Namen der Sage aus können wir auch mit vollem Rechte annehmen, dass Thidrek mit Theodorich, dem Grossen verwechselt worden sei, und dass hierbei von einem Einflusse der Geistlichen, um alle Erinnerungen an das Heidnische bei den jungen Christen zu vernichten, gar nicht die Rede sein darf, wenn gleich auch bei den ripuarischen Franken der Arianismus

 

 

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lange Zeit im Schwange war. Alle diese erkannten Anwüchse der Sage sind aus ihr billiger Weise auszuscheiden, um zu dem Ursprünglichen und Wahren allmälig zu gelangen. Dass Sigurd oder Sigfried der indische Karna ist, hat Holtzmann überzeugend dargethan, er drang auch in die deutsche Heldensage ein und erscheint in Verbindung mit Günther von Worms und den Franken überhaupt: Thidrek ist z. B. bei seiner Vermählung mit Kriemhild (Thidreks. c. 226) in Worms zugegen, ja Thidrek ladet auch, wie wir oben sahen, Günther und seine Helden zu einem Gastmahle ein u. s. w., aber man erkennt zugleich, dass Sigfried nicht zu den Franken am Mittel- und Oberrheine gehörte, weswegen er auch in Santen oder Xanten residirt und im Gudrunliede sogar zum Hunenfürsten wird. Ursprünglich kann die Sage von ihm in der vorliegenden Gestalt unter den Deutschen nicht gewesen sein: aber einmal in Verbindung mit den fränkischen und burgundischen Helden gebracht, musste er auch unter diesen einen Vater erhalten, was aber, wie mir scheinen will, erst alsdann geschehen konnte, als die Sage bereits angefangen hatte, den Thidrek mit Theodorich, dem Grossen zu verwechseln. Sigfried’s Vater heisst Sigmund und seine Mutter Siglinde, nach der Thidreks. Sisibe, was offenbar nur ein Werk der Alliteration sein kann. Wie, wenn der fränkische König Sigmund, Kundpalt’s Sohn, der eine Tochter Theodorich’s, des Grossen zur Gattin und mit ihr einen Sohn Sigirih, den der Vater 522 hinrichten liess, hatte, wofür Theodorich an Sigmund Blutrache nahm, Anlass gegeben hätte, den Sigurd, deutsch Siegfried und seinen Vater Sigmund zu nennen? oder hätte es wirklich eine deutsche Sagengestalt dieses Namens gegeben, auf die man die vererbten Erzählungen von dem indischen Karna aufhäufte? was auch denkbar ist, aber der Name des Vaters ist jeden Falls ein geborgter; denn das Verhältniss des Sohnes zum Vater ist im Anfange und am Schlusse der Sage beständig ein widernatürliches und somit unrichtiges und sagenhaftes. Dass aber unser Thidrek mit Theodorich, dem Grossen in der Ursage durchaus nichts zu schaffen hat, wie aus dem Gesagten genugsam erhellt, und an eine christliche Uebertragung der Sage von jenem auf diesen durchaus nicht zu denken ist, dieses

 

 

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vielmehr nur das Werk der Verwechslung beider Namen durch die Sage sein kann, erhellt deutlich aus den zwei anderen Sagengestalten dieser Art, Atli und Attila, da beide Heiden sind und solche auch im christlichen Zeitalter und christlicher Darstellung bleiben. Ob nun aber Atli von Susa d. h. Soest in Westfalen ein jüngerer Jüten- oder Sueven-Prinz war, kann uns hier gleichgültig sein, historisch denkbar ist es aber, dass er der jüngere Sohn eines Heerkönigs des Nordens war, dessen Reich der ältere Bruder, nach dem Feudalrechte, erbte und der jüngere Sohn anderweitig abgefunden wurde.

 

Der Vater machte diesen, nach der Sage, zum Jarl und rüstete ihm ein Heer aus, mit dem er nach dem Geiste des Nordens auf Raub, Plünderung und beiläufige Eroberungen auszog, wodurch er sich alsbald berühmt oder eher berüchtigt machte. Und hierin begünstigte ihn sogar das Glück der Zeitumstände; denn die Schwäche des Königs Milias von Saxlande d. h. des nahen Westfalens gestattete ihm, dessen Reich zu erobern und seine Residenz in Soest zu gründen und von hier aus andere Eroberungen zu machen d. h. die Nordvölker drängten nach Süden, das eine verdrängte das andere, und die östlich wohnenden Slawen wurden immer mehr zurükgedrängt. Es steht aus dem Folgenden fest, dass die Slawen und Germanen ursprünglich ein einziges Volk bildeten, weil die Wilcinen d. h. Wilzen mit den Chatten zugleich eingewandert sind und an der kurhessischen Schwalm wohnten. Thidrek von Bonn flieht von hier aus „nordwärts über das Gebirge“ d. h. nach Westfalen zu Atli in Soest, und zieht später von hier aus wieder „südwärts über das Gebirge“ zu der Schlacht bei Gronsport oder Travennabach d. h. Trarbach, und eben so lautet diese Notiz bei seiner gänzlichen Heimkehr und der Schlacht bei Graechenburg d. h. Grach an der Mosel. — Der Schreiber der Thidreksaga, entstanden gegen 1250, legt zu deutlich das Streben an den Tag, die verschiedenen Berichte über einzelne Sagentheile in Harmonie zu bringen und geräth dadurch gar oft in neue Widersprüche und Verwirrungen, und darnach hat er auch seinen Prolog und Epilog eingerichtet: aber er beruft sich ausdrücklich auf mündliche Erzählungen deutscher Männer

 

 

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aus Bremen, Soest und Münster, welche die Sachen genauer wissen konnten, und auf deutsche d. h. sächsische Lieder, von denen man annehmen darf, dass sie, wenn nicht früher, wenigstens im zehnten Jahrhunderte gedichtet worden sind, mithin jene Verwechslung des Atli mit Attila bereits enthielten, wenn auch in einem geringern Massstabe, wozu alsdann der Schreiber unserer Sage das Seinige beitrug, weil es ihm um die Sage vorzüglich zu thun war. Jene Männer aus Soest, wenn gleich ihr Zeitalter nicht angegeben worden ist, müssen dennoch vor 1200 gelebt und in Norwegen die Sachen erzählt haben, sie stammten aus demselben Orte her, wo Atli gehaust und jene Thaten vorgefallen waren, und es ist kein reeller Grund vorhanden, den Grundstoff der Erzählungen ebenfalls für Erdichtung zu halten, da sie Vieles genauer wissen und Manches aus eigener Anschauung noch kennen konnten, zumal wenn man bedenkt, wie unzerstörbar unsere Urväter bauten, ich erinnere nur an die vorrömische porta nigra und Moselbrücke in Trier. Und auf solche Baudenkmäler berufen sich eben unsere Männer aus Soest, während ich auf der andern Seite kein historisches Faktum kenne, nach welchem der Hunnenkönig Attila in Soest und Münster d. h. in dem nördlichen Westfalen gewesen und gehaust hätte, seine Züge gingen ja meist durch Baiern in die Rheingegend und nach Gallien: von hieraus verbreiteten sich daher auch die Berichte über ihn und seine Thaten in den Norden und kamen natürlich dort zum Theil schon entstellt an. Erst nach Einwanderung dieser Erzählungen über Attila konnte die Verwechslung seiner Person und seiner theilweise entstellten Thaten mit Atli von Soest vor sich gehen, ja es ist gar die Frage, ob dieser sein Name nicht erst durch Atli veranlasst sein mag; denn Attila ist eiu deutsches Diminutivum und bedeutet „Väterchen“, vom goth. atta, russ. отецъ, und ist wohl richtiger zu schreiben Atilla: wie lauten die Berichte der Römer und Deutschen in dieser Hinsicht?— kein Berichterstatter kennt im Grunde Atilla’s wahren Namen. Jene Männer aus Soest haben ausdrücklich gemeldet, dass zu ihrer Zeit noch der Kampfgarten mit der burgartigen Steinwand um ihn herum, in welchem die Niflungen mit den Hunen kämpften, vorhanden sei, dass die Strasse, in

 

 

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welcher hierauf gekämpft ward (Thidreks. c. 381 ff.) noch zu sehen wäre, der Wurmthurm, in welchem Günther starb, noch mitten in Susa stehe, der Steinweg, in welchem Iring fiel, „noch diesen Tag Iringsweg“ heisse, jener Garten noch den Namen „Niflungengarten“ trage, ja dass das Ostthor d. h. der Einbruch eines Theils der Mauer, um durch ihn auf die Strasse gegen die anderen Hunen gelangen zu können und wo der Kampf anhob, noch zu sehen und das gleiche westliche Thor noch „Högni’s Thor“ heisse, u. s. w. Aus diesen so bestimmten Angaben und der nachrücklichen Berufung auf alle Sachsen d. h. Westfalen zur Bestätigung der Wahrheit dieser Angaben geht unzweifelhaft hervor, dass der vorhistorische Atli in Susa d. h. Soest wirklich gehaust habe, zumal da historisch erzählt wird, wie er zu diesem Reiche gekommen sei, womit auch alle übrigen Züge über diesen Wohnort in ihrer Grundform genau übereinstimmen. Ja harmonirt damit etwa nicht jener allgemeine Gedanke des Dichters der Klage, den er dem Pilgrim in den Mund legt: Ich will mich an Ort und Stelle des Kampfes genau erkundigen, kommt wieder (der Berichterstatter), ich will diese lehrreichste Geschichte in ein Buch schreiben lassen, —? wenn gleich der Dichter, nach meiner Auffassung, diesen Gedanken in einem andern Zwecke niederschrieb (darüb. später). Atli war der jüngere Sohn des Friesenkönigs Osid, der mit einem Heere überall raubte und plünderte, besonders aber in Sachsen d. h. Westfalen, dem Reiche des alten und schwächlichen Königs Milias, worüber dieser sich grämte und starb; denn er hatte nur eine Tochter, die weit entfernt, an den Wilcinenkönig verheirathet war. Atli eroberte nun mit Anstrengung das ganze Reich für sich, nämlich das der Hunen, und verlegte des verstorbenen Königs Residenz aus Walterburg (B. Villeraburg, etwa das heutige Werl im Helwege?) nach Susa, „die nun Susack genannt wird“, ja die Burg in Soest soll sogar von Friesen erbaut worden sein. Dass aber Westfalen zu Sachsen gerechnet, wird nicht allein durch unsere Sage, sondern auch durch das westfälische, noch heute existirende Sassendorf verbürgt. Atli’s Eroberung und Besitzergreifung dieses Reiches verursachte ihm manche Kriege mit

 

 

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der Erbin desselben, der Gattin des Osangtrix, Königs der Wilcinen an der Schwalm in Kurhessen und machte ihm diese zu Erbfeinden mit den ihnen stammverwandten Ruzen vom Thüringerwalde an nach der Saale hin bis westlich an die Weser im Hannöverschen. Ueber diese zwei Völker herrschen in den alten Quellen und auch in unsrer Sage die auffallendsten Widersprüche, die sich aber allmälig werden aufklären lassen; denn in unsrer Sage grenzt das Wilcinenland an Pulinenland d. h. Polen und Hunenland d. h. Westfalen! zwischen diesem und den Wilcinen liegt aber der Burgwald, auch Lurawald genannt, in welchem der westfälische Atli später jagte und der auf der Westseite zu dessen Reiche gehörte, an dessen Südrande die Gnitahaide westlich hinter Marburg lag, begrenzt von dem Myrkvidrvalde der Edda, mithin wohnten die Wilcinen d. h. Wilzen nördlich von diesem Walde, und lag nordöstlich von ihm die Wilcinenburg und zwar unweit desselben. Man übersehe in dieser Erzählung ja nicht die latinisirten Namenformen. Noch heute zeichnen sich die Schwalmbewohner durch Körpergrösse, Charakter, Sitte, Gewohnheit und Sprache vor den übrigen Hessen wesentlich aus. Aus dem Streben nach Ausgleichung der verschiedenen Berichte der Sage in den Quellen von Seiten unsres Sagenschreibers mussten neue Irrungen hervorgehen: daher ist zugleich das Hunenland das östliche Hunnenland Ungarn unter Attila, und nach Werlauff liegt Hunenland von Sachsland wirklich östlich und zwar an Pulinen und Reidgothland. In Thidrek’s Sage war aber Pul und Pulinen gar oft Apulien in Italien, und dennoch lag wiederum Hunenland nördlich von Bonn und der Mosel, der in der Sage so oft genannt wird. Und in der ganzen Thidreksage ist ja das Hunenland meistens das westfälische, dessen König Atli und seine Residenz Susa oder Soest, woraus folgt, dass Pulinen nicht Polen sein kann, diese Vermengung der Namen erst eine Frucht der Sage ist, nach dem sie angefangen hatte, den Thidrek mit Theodorich und Atli mit Attila zu verwechseln. Die häufigen Händel und Kriege der westfälischen Hunen d. h. Marsen mit den Wilcinen und Ruzenmännern fordern unabänderlich, dass beider Völker Staaten in unmittelbarer Nähe von einander lagen, da wir hier

 

 

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nirgends von langdauernden Zügen etwas hören, vielmehr kommt man immer rasch an, raubt, schlägt und zieht mit der Beute ab, um diese eben so rasch in der nahen Heimath zu bergen! Die Wilcinensage ist auch eine ursprünglich deutsche, bei den heutigen Russen und Wilzen ist bis heute noch keine Spur entdeckt worden, sie scheint sich bei ihnen verloren zu haben: kann sie aber eine willkürlich deutsche Erfindung sein, da sie mit anderen tief begründeten Sagentheilen in dem innigsten Zusammenhange steht? oder kann sie vielmehr nur dann entstanden sein, wenn beide Völker unter den betreffenden deutschen Stämmen gelebt und gewohnt haben, ihre Erzählungen der Grundform nach dort wirklich vorgefallen sind? ja in ihr findet sich kein einziger slawischer Anklang und Name, was unzweifelhaft der Fall sein würde, wenn das heutige Ungarn, Polen und Russland der Schauplatz der Handlungen sein könnten und wären, ja findet sich nicht auch die Sage von dem Könige Osangtrix noch in anderen deutschen Denkmälern? enthält sie etwa keine deutschen Formen? z. B. Sigfröd, Sigifrid, Luravalld, Borgar-, Borgvalld, Thidrek von Russland, und bei Ostacia’s Zauberheere beruft sich unser Sagenschreiber sogar auf deutsche Lieder, die ganze Sage ward in Scandinavien nach den Erzählungen deutscher Männer aus Bremen, Soest und Münster ausgearbeitet. Die Sage wurde sogar in dem sagenvollen Scandinavien localisirt, woher es auch kam, dass nach ihr Welent und Wadi in Seeland wohnen, Nidung König von Jütland ist, wornach also auch Wilcinus, Wadi’s Vater, und Wilcinenland mit den historischen Wilzen an der Ostsee aus Harmonie des Ganzen liegen und dieses Land jene fabelhafte Ausdehnung erhalten muss; denn es umfasst Seeland, die Wilzen, alle Ostseeländer, das heutige Westrussland, Polen, u. s. w. bis tief in den Süden hinein. Dem widerstreben aber jene Berichte der sächsischen Sage und der deutschen Lieder, dem widerspricht Widga’s erste Ausfahrt, dessen Vaters Aspilians Reich an der obern Eder in Kurhessen lag. Die Widersprüche, hervorgegangen, die verschiedenen Berichte der Sagen in den sächsischen, deutschen und nordischen Quellen in Einklang zu bringen, und aus der geographischen Unkenntniss Deutschlands von Seiten des Schreibers der Thidreksaga

 

 

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finden sich vorzüglich noch in c. 27. 430 ff. und c. 194; c. 81 u. 200.130; c. 174 u. 200; 118 ff. u. 180; 146 u. 292.350. 169— 70; 317—20 u. 337; 349 u. 417; 359 u. 424 ff. 376; 396 u. 429.413; 39 u. 266; 166 u. 359; 207 u. 335, etc. Die Erminrek- und Thidreksaga ward offenbar schon in dem zehnten Jahrh. in Sachsen aufgeschrieben und darnach erzählt, worauf sie in dem Norden in der vorliegenden Form gegen 1250 ausgearbeitet ward: nach der damaligen geographischen Lage der Völker und Reiche drang manches in sie ein, ja erst in dieser Zeit vorzüglich bezog man so Vieles auf reinhistorische Personen und Localitäten und verschob dadurch das Ursprüngliche gänzlich, dass man das Wahre bis jetzt darin gar nicht mehr zu erkennen vermag. Hiernach muss man natürlich den Prolog und cap. 415 beurtheilen, wornach die Thaten der Thidreksaga zwischen 337 und 380 also in der Zeit von Constantin, des Grossen Tode bis zu der Verdammung des Arianismus vorgefallen sein sollen, wornach nun die Wilcinen die histor. Wilzen, die Ruzenmänner die Russen gegen 1200, Svava Schwaben, Hunenland Ungarn, Pulinenland Polen, Ruzia und Windland das Land von der Schlei bis zu der Weichsel und weiter nordöstlich hinauf, und Walland Westfrankreich sein muss! Es steht vielmehr dieses fest, dass Slawen und Germanen ursprünglich ein Volk bilden, die Wilzen mit den Chatten zugleich einwanderten und sich in Kurhessen, jene an der Schwalm ansiedelten, von hier aber später verdrängt wurden.

 

Der Wilcinen d. h. Wilzen erster König (nach dem römisch-deutschen Streben, dem Volke zugleich einen Stammvater zu verleihen) war Wilkinus (latein. Form!): er eroberte Pulinenland d. h. Polen, dessen König Hertnid von Ruzenland d. h. Russland gegen 1200 zugleich Grikkland d. h. Griechenland d. h. die Südslawen, Ungarland und fast ganz Austrriki d. h. Oesterreich beherrschte und dessen Mitregent Hirdir war (deutsche Namen!). Wilkinus besiegte nach einem schnellen und kurzen Zuge die Ruzenmänner und verwüstete ganz Pulinenland „bis an das Meer“, natürlich gegen 1200. Er zog hierauf „hinauf“ d. h. deutlich aus dem Süden gen Norden nach Ruzenland und eroberte viele Burgen auch Smalenzkia (lat. Form!) slaw. Smalensk, deutsch

 

 

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Smalent oder Smaland, wie der Ort auch später genannt wird d. h. Schmalkalden an der Kalde am Westfusse des Thüringerwaldes, und Palteskia (lat. Form!), slaw. Paltesk, deutsch Polte, das heutige Polle an der Weser im Hannöverschen, und der Ruzen Haupt- und Residenzstadt Holmgard, wörtlich Kampfgarten, das sich vielleicht verderbt noch in dem Schlosse und der Stadt Heldrungen an der Saale im Merseburg’schen wieder findet, da in den Saalkreisen bekanntlich Slawen gehaust haben: in der Hauptstadt machte Wilkinus ungeheure Beute an Gold, Silber und Kleinoden, und Hertnid ward ihm tributär. Wilkinus eroberte fast alle Reiche „ostwärts bis an das Meer und viele an dem östlichen Meere“ (in Russland gegen 1200? eine Folge der scandinavischen Vereinigungssucht verschiedener Berichte!), auch Smaland (in Südschweden!) und „führte sein Heer hinauf in Ruscialand“, und eroberte Smalizka, Palteskia und Kiu, eig. Kius d. h. Kösen an der Saale, ein uralter Salinenort. Zieht Wilkinus von der Schwalm in Hessen aus: so passt der Zug zu den gedeuteten Ortschaften und bringt Klarheit und Natürlichkeit in das Ganze; dagegen sind die Reiche am Ost-und Westmeere und Smaland eine Erfindung des Scandinavischen Sagenschreibers, so viel als möglich aus der Sage nach Scandinavien zu ziehen und dort zu localisiren; denn der weltberühmte Schmied Welent d. h. Wieland sollte für Scandinavien gewonnen werden, darum muss Wilkinus die Reiche an der Ost-und Nordsee (denn die sind dort unstreitig zu verstehen) erobern, aber der Sage Urgestalt blickt dennoch überall wieder durch, nach der die Ruzen zwischen jene Meere und Hessen zu wohnen kommen. Um diesen Plan zu erreichen, wird nun auch folgende Fabel hier eingeschoben. Einst, nach jenem Kriege mit den Ruzen, fuhr Wilkinus mit seinen Schiffen auf dem Austrwege d. h. der Ostsee und zeugte in einem Walde am Ufer mit einem Meerweibe den Wadi, dem er hernach 12 Höfe in Svithiod (A. Saxland, B. Sialand) d. h. Schweden gab, während sein ehelicher Sohn Nordian ihm bei seinem Tode in der Regierung nachfolgte. Wir sehen aber, dass mit Svithiod oft auch das Wilcinenland an der Schwalm bezeichnet wird, dieses also darunter zu verstehen ist. Dass in

 

 

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dem latinisirten Wilkinus der deutsche Name Wilke versteckt ist, brauche ich kaum zu erwähnen. Nach Müller (Albinus aulacum. vet. Saxonicum) soll dieser Wilkinus der Alanen König Wilkinus an der Elbe sein! Weit richtiger ist unsere Localauffassung; denn nicht weit von Kiu oder Kius d. h. Kösen an der Saale gegen Westen zwischen Schmalkalden und Kösen etwas nördlich, unweit der Strasse zwischen Nordhausen und Heiligenstadt liegen die zwei uralten Ortschaften Gross- und Klein-Wenden, welche die slawischen Wenden und durch sie die Ruzen dieser Gegend sichern, oder wohnten etwa in der alten Zeit von hieraus bis nach Verden im Hannöverschen hin keine Slawen? — Ja Widga, aus der obern Edergegend in Hessen auf seiner ersten Ausfahrt kommend, trifft an dem rechten Ufer der Weser, auf der Welent nach Jütland schiffte und an der jenes Palteskia d. h. Polte, Polle liegt, die aus Brictan d. h. Wrexen an der Diemel entflohenen Räuber und tödtet sie. Die Wenden wurden später aus dem Eichsfelde auf demselben Bergrücken, auf und an demselben sie gewohnt hatten, hinab gen Osten in ihre späteren Wohnsitze verdrängt. Hornbogi, Heimir, Widga und Hildibrand reisten von der Weser aus direkt nach Bonn zu Thidrek, aber sie hatten zwei Wege vor sich, einen längern und kürzern, von denen jener offenbar durch Hessen an der Lahn hinab zum Rheine und dieser durch den Lura- oder Borgwald in Ostwestfalen hinab lief und auf dem wir oben den Thidrek heimkehren sehen und hatten die Römer in Hessen an der Eder keine Station? — Gegenüber dieser Gegend fliesst die Schwalm, und nicht sehr weit davon liegt Schmalkaden, jenes Smalenzkia, mit einem alten Schlosse in einer erzreichen Gegend des Gebirges, zu dem Thidrek, wie wir hernach sehen werden, von Palteskia d. h. Polte oder Polle an der Weser, der Grenzfeste der Pulinen gegen die Sachsen d. h. Westfalen unter Atli, hinaufzieht, es lag also höher, als jene Wesergegend. Die Ruzen wohnten somit zwischen der Saale, dem Thüringerwalde und der Weser über das Eichsfeld hin bis in das Hannöversche mit ihren nächsten Stammverwandten, und dennoch lege ich kein Gewicht darauf, dass sich in jenen Saalgegenden so viele alte Ortschaften mit Ru und Ro anfangen, wie z. B. Roszla,

 

 

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Stadt und Fluss, Roszlau (etwa Roszlaw?) Stadt und Fluss an der Elbe, Roszleben an der Unstrut, Roszwein an der Mulde, Ruszdorf im Altenburgischen, u. s. w. und dennoch muss ich glauben, dass die Russen in dieser ihrer Urheimath schon so geheissen haben, da die Wilzen und Wenden durch ihre Namen dasselbe verlangen, wenn gleich nach der Thidreksaga zu urtheilen, deren Schreiber diesen Slawenstamm so nach seiner Zeit benannte, wo er schon allgemein Ruzen oder Ruszen benannt ward, und das harmonirt auch mit Nestor, dem alten russischen Chronisten von Kiew, der ausdrücklich sagt, dass die Bewohner von Nowgorod d. h. der neuen Stadt erst nach der Ankunft der Ruriker den Namen Ruszen allgemein angenommen hätten, woraus deutlich folgt, dass dieser Zeit eine andere voranging, in welcher dieser Stamm allmälig anfing, sich selbst mit diesem Namen zu benennen d. h. der Name ist ein fremdländischer, von anderen Völkerstämmen gegebener, mit dem Viele schon vor Ankunft der Ruriker ihr Volk benannten, in der neuen Heimath aber erst allgemein wurde?—Die Ruzen wohnten in Nowgorod und dessen Umgegend bekanntlich stammweise, sie alle nannten die Ruriker nach ihrer Thronbesteigung nach dem mächtigsten Stamme Ruszen, um mehr Einheit in das Ganze zu bringen, und dadurch ward dieser Name allgemeiner. Schon durch diese Bemerkung ist die Ansicht des Herrn Kunik (Academ. Vorlesungg. der Acad. zu St. Petersb. 1840—50.), gestützt auf Nestor’s Notiz und weil in Schweden ein Königsgeschlecht Rotsi hiess und die heutigen Lappen die Russen Rootsi nennen, woraus gefolgert wird, dass die Ruriker den Namen Rusze aus Schweden mitgebracht hätten, vollkommen widerlegt, zumal da es Herrn Kunik schwer werden möchte, aus der Geschichte Analoga beizubringen, dass ein neues Herrschergeschlecht ihren Unterthanen einen neuen Namen gegeben habe, vielmehr nennt sich der Regent gewöhnlich nach dem Volke. Auch haben wir genugsam gesehen, dass die Thidreksaga trotz ihrer zahlreichen Widersprüche überall das Wahre immer wieder durchbrechen lässt, und ihr Typus widerstreitet ganz und gar der Ansicht des Herrn Kunik. Nach ihr wohnten die Wilcinen=Wilzen an der Schwalm in Hessen und nördlich und östlich

 

 

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neben ihnen die stammverwandten Ruzen, die Wilzen waren mit den Chatten, die reine Germanen sind, gleichzeitig in Europa und das heutige Hessen eingewandert, mithin ist dieses auch mit den ihnen verwandten und neben ihnen wohnenden Ruzen der Fall. Und ob aus ots oder lapp. oots in Rotsi und Rootsi so leicht usz in Rusze hervorgehen kann, muss ich bezweifeln, wenn gleich ich kein Freund der etymologischen „Wortspielerei“ bin und überall Fakta beanspruche. Wir wissen ferner genau, dass das Volk der alten Preuszen den Ruszen unter allen europäischen Völkern in Sitten und Sprache am nächsten standen, ihnen also verwandt waren: woher haben nun die Preuszen ihren Namen? man lasse das P vorn einmal weg, und wir haben Reuszen, wie die Ruszen sich auch nennen! Die Preuszen bekamen ihren Namen aus dem Slawischen, und zwar eben so, wie die Ruszen, nach dem Flüsschen Rusz in der preuszischen Provinz Gumbinnen, da beide Völker an dessen West- und Ostufer neben einander wohnten? Preuszen ist offenbar contrahirt worden aus Po-russi-a, latinisirte Form aus по Руси d. h. an der Rusz sc. Wohnende. Da nun die Ruszen durch diese Gegenden zurückgedrängt wurden (s. unten): so haben sie hier auch jedenfalls einige Zeit lang gehaust und, wie die Preuszen, welche aber hier blieben und sich keine neue Stadt, wie die Ruszen, anders wo gründeten, ihren Namen von den benachbarten Stämmen entweder nach dem Flusse Rusz bekommen, bevor sie weiter östlich an denIlmen zogen und Nowgorod, die neue Stadt gründeten, oder sie brachten den Namen aus ihrer Urheimath mit, der erst in der neuen Heimath allgemein ward, sobald sie wieder ein selbstständiges Volk geworden waren, so dass die zurückbleibenden Preuszen zu ihrer Unterscheidung allein nach dem Flusse Rusz benannt worden wären, offenbar wurden sie darin von den Rurikern unterstützt, da ihr Volk einen Namen annehmen musste, weil ein Name nach einer Stadt zu beschränkt gewesen sein würde, wobei man aber nicht an Rom, Athen, Sparta etc. denken darf, da diesen nicht solche leere Länderstrecken, wie den Nowgorodern gegenüber lagen. Dass Jac. Grimm die Roxolanen zu den Urahnen der Ruszen machen wollte, habe ich gleich anfangs für eine ganz unschädliche

 

 

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Hypothese gehalten, (s. unten). Dem Wilkinus folgte in der Regierung sein Sohn Nordian, ein schwacher Regent, den daher auch Hertnid von Pulinenland sogleich angriff, sein ganzes Reich eroberte und ihn zum Jarl d. h. noch nicht einmal zum Vicekönige, sondern zum Schirmvogte machte: konnte das sein, wenn nicht das Wilzinenland dicht neben Pulinen und Ruzenland gelegen hätte? jenes ist offenber nur ein Theil von diesem, vielleicht das Land der Wenden im Hannöverschen und auf dem Eichsfelde. Als Hertnid aber alt ward: so erhob er den ältern Woldemar (Wladimir) zum Könige von Ruzenland, den zweiten Osangtrix zum Könige von Wilcinenlande und den dritten Ilias zum Jarl von Grikland d. h. der Südslawen. Osangtrix von Wilcinenlande entführte gewaltsam und ehelichte die einzige Tochter und Erbin des „hochmüthigen“ Milias von Hunenland d. h. Westfalen, und machte deren Ansprüche auf dasselbe nach Milias Tode gegen den Eindringling Atli geltend. Osangtrix fiel daher in das Hunenland, das also westlich neben seinem Reiche gelegen haben muss, ein und eroberte die Burg und Stadt Brandinaburg, in der später Iron residirte, vielleicht eben weil sie die Hauptfeste nicht allein gegen die Westfranken, sondern überhaupt auch des ganzen Reiches war. Dass er nicht sogleich gegen Atli's Residenz Soest marschirte, geschah vielleicht aus Klugheit oder auch, weil er ihn zu sehr fürchtete. Atli trat dem Feinde sofort entgegen und lieferte ihm bei Brandinaburg (der Ort war somit von Gewicht) eine Schlacht, in welcher Osangtrix durch Thidrek’s Blutsfreund Ulfrad fiel, so dass Hertnid, der Sohn des Ilias von Grikland, weil jener keinen Erben hinterliess, König vom Wilcinenlande ward. Mit Hertnid schloss jetzt Woldemar, König vor Holmgard, ein Schutz- und Trutzbündniss und heerte vom Norden her in dem benachbarten Hunenlande, musste aber vor Atli die Flucht ergreifen, der hierauf die Offensive ergriff und Wilcinen- und Ruzenland mit Krieg überzog (beide Länder liegen also auch hiernach neben einander und sind Nachbarstaaten des Hunenlandes!). Allein Atli fand hier einen solchen Empfang, dass nun er entfliehen musste, worüber sein treuer Freund und Hülfsgenosse Thidrek von Bern schwer ergrimmte, sich in eine Burg Ruzenland’s

 

 

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warf und sich in ihr so lange hielt und vertheidigte, bis Atli wieder zurückkehrte: vereint schlugen sie nun Woldemar mit grossem Verluste in die Flucht. Eben in diesem Kampfe überwand und nahm gefangen Thidrek von Bern des Woldemar’s Sohn, Thidrek von Ruzenland (ein deutscher Name!) und schenkte ihn dem Atli. Beide Thidrek waren schwer verwundet worden. Heimgekehrt, überzog daher Atli allein Pulinen- und Ruzenland Woldemar’s wieder mit Krieg, und übergab seiner Gattin Erka ihren Verwandten, den Thidrek von Ruzenland zur Pflege und Hut, die sich für ihn aber mit ihrem Kopfe verbürgen musste.

 

In solcher Pflege genas Thidrek, aber nun entfloh er aus Susa nach Ruzenland: doch Thidrek von Bern, obgleich von seinen Wunden noch gar nicht hergestellt, verfolgte ihn, auf Erka’s dringende Bitten, in Folge dessen unterwegs alle seine Wunden aufbrachen und stark bluteten, woraus folgt, dass er noch nicht sehr weit und lange zu reiten vermochte. Vor der Wilcinenburg, nördlich von der Gnitahaide und Marburg (Marstein) und östlich von dem Burg- oder Lurawalde gelegen, erfährt Thidrek von Bern von des Jarls Tochter, dass der Flüchtling kaum vorbei in den Wald geritten sei. In dieser Burg hatte Sifka dem Thidrek, Erminrek’s Sohne, den Tod bereitet! Thidrek von Bern sprengt in den Burgwald, der zwischen Pulinen- und Hunenland lag (also lag Pulinen westlich zwischen dem Wilcinen- und Ruzenlande und stiess an das Hunenland im Westen!) und holt den Thidrek von Ruzenland ein, der nach einem langen Kampfe seinen Kopf endlich einbüsste, welchen jener als Siegeszeichen in ein Tuch hüllte und an seinen Sattel band. Darauf kehrte er in der Wilcinenburg ein, wo ihm des Jarls Tochter die Wunden frisch verband, der Jarl ihn aber köstlich bewirthete. Denn von dem Wilcinenlande war Hertnid König und dessen Gattin die zauberkundige Ostacia, die Tochter Runa’s, des Königs von Austrriki. Dieser Hertnid ist offenbar der sagenberühmte Ortnit, aber der ältere und jüngere Ortnit sind jeden Falls nur Eine Person. Hertnid bekam einst Krieg mit Isung, dem Könige von Bertangenland, der in Bertangaburg (altschwed. Bearb. Bratingaborg, etwa=Breidenbach mit einer Burg, einige Stunden südwestlich

 

 

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von Marburg und der Gnitahaide, nach Wetzlar hin?) residirte. Isung rief den Thetleif von Dänen in Hessen und den stolzen Fasold zur Hülfe: sie zogen dem Hertnid, der eben aus Bertangaland beutebeladen heimkehrt, entgegen (Wilcinen- und Bertangaland müssen also einander nahe gelegen haben), wobei es aber nicht blieb; denn Isung überzog sofort das Wilcinenland mit Krieg und verbrannte viele Harden d. h. Vorraths- und Handelsspeicher in Waldgegenden an der Grenze, die zugleich zur Bewachung und zum Schutze des Reiches dienten. Alle Wilcinen entflohen in den Wald, zu Schiffe d. h. in Kähnen auf der Schwalm etc. und in unbewohnte Wüsten wie z. B. in die Gnitahaide, einen heiligen Ort, wo sie vor den Verfolgungen gesichert waren, oder zu Hertnid, der jetzt eine Schlacht wagte und durch die Zauberei der Ostacia siegte. Isung fiel mit seinen drei Söhnen in dieser Schlacht, so Fasold und Thetleif aus Dänen, das ganze Heer der Bertangen, aber Hertnid ward stark verwundet, genas jedoch wieder, während Ostacia an ihren Wunden starb. „Aus deutschen Liedern“ ward, heisst es ausdrücklich am Schlusse dieses Abschnittes, diese Sage entlehnt.

 

Nach der Ynglingsaga (cap. 3.) zog Odin mit Göttern und Menschen aus Asgard d. h. dem angebauten Asien (er brachte also den Odincultus mit) und gelangte „westwärts“ nach Gardarik d. h. Russland, aber nicht das heutige, sondern zu den Nordslawen in Deutschland und wandte sich alsdann, „südwärts nach Sachsenland“ d. h. in die Wesergegenden und Westfalen, eroberte hier viele Reiche und übergab sie zur Schirmung seinen vielen Söhnen, eine deutliche Anspielung auf die Völkerwanderung, diese mit den Urverhältnissen vermengend und sie dennoch zugleich andeutend; denn die Germanen und gewiss auch die Slawen besangen, wie uns die Römer ausdrücklich berichten, ihre Verhältnisse schon lange vor der Völkerwanderung. Und Snorri’s Vorrede zu Gulfaginning bringt dieses Sachsenland sogar mit dem Frankenlande d. h. dem der Wölsungen in Groszenlinden in Zusammenhang. Ja vor Odin’s Ankunft, heisst es weiter, hatten Sachsenland, Westfalen und Franken auch andere Namen und gewiss auch einen anderen Göttercultus, und der Wölsungen Stammvater in

 

 

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diesem Frankenlande heisst Välse oder Vals, welcher Name mit dem slawischen Wolos, Wlas oder Weles, ein Gott des Viehs, der Hirten und der Fruchtbarkeit, gleich dem nordischen Freyr, offenbar zusammenhängt, und nach der Wölsungasaga (cp. 223) ist Sigurd ein Verwandter des Jarls Hornbogi von Windland, da Drasolf (cp. 155) seines Vaters Sigmund Schwester zur Gattin gehabt zu haben scheint, in der Thidreks. (cp. 155) führt dieser Drasolf Krieg gegen Pulinaland, ja (cp. 223.) es gehören Jonakur, Bikki und Svanhild zu dem Geschlechte der Rosamanen d. h. der Winden oder Wenden, und Sigurd’s Blutsfreund ist der Slawe Hornbogi. Selbst die Namen Jarisleif, Joriskar und dergl. sind in der Thidreksaga jeden Falls slawische, und deuten die innige Verwandschaft der deutschen und slawischen Heldensage deutlich genug an. Dem entspricht vollkommen die Uebereinstimmung der Sagen, Märchen und Erzählungen beider Völker, und ihrer Sprachen Bau ist derselbe, wie wir unten sehen werden. Oben sandte Thidrek von Bern d. h. Bonn den Hildibrand und Heimir nach Windland zu Hornbogi und liess ihn zu sich einladen: diese drei trafen auf der Rückreise an der Eidisâ d. h. Eder in Hessen den nach Bern reitenden Widga, der, da sie auf sein Anrathen den kürzern Weg wählen, in dem Kastelle Brictan d. h. Wrexen an der Diemel, auf der Brücke über diesen Strom am Lurawalde, den Räuber Gramaleif mit der Hälfte seiner Genossen erschlägt, während die andern nordwärts entfliehen. Das Kastell ward nun zerstört, um dem Reisenden eine freie Strasse zu schaffen, und man verfolgt die Flüchtigen, setzt über die Wisarâ d. h. Weser, wo man sie findet und erschlägt. Nach den späteren Epen ist aber diese Eidisâ auch nicht die Eider, die ja altnord. Aegisdyr heisst, sondern einzig die Etsch oder Etisâ, und Brictan ist Brixen am Zusammenflusse der Rienz und Eisak, eingeschwärzt durch die Verwechslung Thidrek’s mit Theodorich, dem Grossen, und dennoch liegt (Thidreks. c. 398 f.) der Lurawald diesseit des Rheins zwischen dem Wilcinen- und Hunenlande, gehört dessen Westseite zu Atli’s Reiche, der in ihm (c. 139) jagt, der überhaupt ein heiliger Wald der Lora oder Lura d. h. Tanfana mit dem templum Tanfanae im Lande der Marsen

 

 

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d. h. Hunen in Westfalen war (Menzel, Odin. 288), und die Wisarâ ist unzweifelhaft die Weser, da Welent, Widga’s Vater auf ihr in die See nach Jütland fährt, mithin ist die Eidisâ ursprünglich nicht die Etsch, sondern die benachbarte Edranâ oder Eder in Hessen, wie sie in den sächsischen Liedern sicherlich geheissen hat, die der Schreiber der Thidreksaga nach seiner Ansicht von Bern=Verona in Italien, weil Thidrek König vom ital. Rom geworden sein musste, in Eidisâ statt Etisâ veränderte, wornach nun auch Brictan nicht Brixen in Italien, das ja altnord. Brigôz heisst, sondern ursprünglich Wrexen an der Diemel in Hessen ist, von wo aus jene Helden, über die Weser setzend, nach Bern d. h. Bonn am Rheine direkt gelangen, ja von Wrexen aus führte eine uralte Heerstrasse nach Bonn, was in unsrer Sage also auch erhalten ist: warum zerstören sonst jene Helden das Raubnest? war es etwa gar ein römisches Zollhaus, weil sie den Reisenden und Kaufleuten die Strasse im Innern Deutschlands vom römischen Zolle frei machen wollten? und hatten die Deutschen nicht volles Recht, die habsüchtigen und fremden Römer „Räuber“ zu nennen und als solche zu behandeln und zu schildern?— wie konnten sich blosse Räuber auf der Brücke eines Stromes auf einer grossen und frequenten Heerstrasse festsetzen? — diese Räuber gehören in den Wald! vergl. Meyer u. Erhard westfäl. Zeitschr. V, 92 ff. Von der Weser- und Edergegend aus wohnten ostsüdlich die Wilcinen und ostnördlich die Ruzenmänner: kann das Ganze noch besser harmoniren? Auf der andern Seite macht der Schreiber der Thidreksaga (cp. 27) den Widga zu einem Verwandten des Riesen Aspilian, der ein Sohn des Bruders von Widga’s Grossvater war, also ein Sohn des Wadi, welcher zu dem Wilcinenlande nach dem Obigen gehörte, und dennoch localisirt jenen unser Schreiber als einen König nach Seeland, wo also auch Wadi und Welend nun hausen müssen (cp. 57 ff. 430.434), und zwar in die Nähe des Klosters Wadincusan, das mit Wadi zusammenhängt, aber wiederum in der Lombardei in Italien liegen muss, weil Thidrek König von Romaburg=Rom d. h. aber von dem zweiten, Trier geworden war: aber dieses Kloster Wadincusan ist unbestreitbar Wedinghausen bei Arnsberg in Westfalen, in welcher Gegend auch die sächsische Eresburg mit

 

 

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der Irmensäule stand (Seibertz S. 118), die Burg Aldinflis und Iverne lag, und schreibt nicht Handschrift A. der Thidreks. cp. 23 und 57 übereinstimmend Sachsland statt Seeland? — Gottfried von Monmuth versetzt den Welent gerade zu in die Stadt Siegen (S. 270 f.). Nach dieser verwirrten Darstellung des Sagenschreibers musste nun auch Fritilaburg (cp. 13) nicht Friedberg, sondern Vercelli in Italien sein: aber die Waeringer nannten Friedberg in der Wetterau Friedsaela und dieses ist in cp. 282 Friedberg, (vgl. Abt Nicolaus. Itinerar c. 1150. Werlauf, Symb. ad geogr. med. aevi. p. 18.49). Jenen scheinbaren Widerspruch, dass die Musula d. h. zu deutlich die Mosel (Thidreks. c. 325) in die See fliesse, habe ich oben als unbegründet nachgewiesen, da sich der Ausdruck der Sage auf den Mosellandsee bei Engelport und Valding ursprünglich bezieht, unter dem die Rabenschlacht eig. Trabenschl. und andere spätere Gedichte, weil Thidrek Theodorich, der Grosse sein musste, natürlich das Meer bei Italien verstanden. Wenn dagegen in cp. 362 die Donau in den Rhein fliesst: so tritt darin das gedankenlose Streben, die verschiedenen Erzählungen hübsch vereinigen zu wollen, unsres scandinavischen Sagenschreibers im hellsten Lichte hervor, zumal da er selbst in cp. 363 für die Donau den Fluss Moere d. h. Main nennt, welches irrige neue Fabrikat sich aber erkennen lässt; denn in Moehringen übernachteten die nach Soest zu Atli reitenden Niflungen, mithin musste der Main Moere heissen. Dem entspricht die Krimhilden-Rache in ihrem ganz andern Zwecke; denn in ihr mussten nun auch die Burgunder bei Moeringen über die Donau setzen, und daher fabricirte unser Sagenschreiber aus Main und Rhein Donau und Rhein, die Donau musste in den Rhein fliessen, um beide Ansichten über Moehringen und Moeringen hübsch zu vereinigen, wornach nun freilich der Main Moere heissen musste! Diese gewonnenen Resultate harmoniren völlig mit dem Folgenden, durch das sie unerschütterlich werden; denn Walthari’s Burg Waskastein ist unzweifelhaft die Burg Wasichenstein in den Vogesen, und Gerimsheim, die Burg des Jarls Rimstein, der dem Erminrek in Trier zinsbar ist, bekriegt und getödtet wird, die hernach (c. 147. 151) Walthari empfängt, ist unbestreitbar Germersheim in der Pfalz, am Rheine, ja nach

 

 

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dem Allen erstreckt sich Thidrek’s Kampfplatz mit Ekka, Fasold u. A. (cp. 96 f.) über Drachenfels, Osning, Rimslo, Aldinsaela nach Aldinflis, einer Burg bei Brilon südöstlich von Soest und von hier bis zum Thüringerwalde. Wenn er aber in cp. 434 mit Heimir die Rosse in Friesland tränkt: so ist das zwar eine Frucht des scandinavischen Schreibers, einzelne Theile der Sage nach Scandinavien zu ziehen, aber zugleich erhellt daraus, dass die alte Heldensage ursprünglich ihre Thaten in Deutschland und nicht in Italien vorfallen lässt, sie gehört unbestreitbar den Gegenden des Mittelrheins an, wornach alle späteren wilden Anwüchse hinsichts Dänemarks und Italiens aus ihr gänzlich zu entfernen sind. Die Thidreksaga selbst stellt diese Gegenden des Mittelrheins unwillkürlich fest; denn nach ihr liegt in c. 325.Gronsport d. h. das alte Ronsoport an der Mosel, so Gregen- oder Graechenburg d. h. Grach. Daher berührte sie auch mit Recht in Susa d. h. Soest Westfalen, von wo aus die Berührungen mit den auf der Ostseite des Lurawaldes wohnenden Wilcinen und Ruzen auf eine ganz natürliche Weise erfolgten, da beide Völker sagenberühmt waren und ihre Heldenlieder hatten, wie wir oben aus mehrern Notizen gesehen haben. In Sachsen dachte man also bei Thidrek und Erminrek gar nicht an den historischen Theodorich, den Grossen, und bei Atli, den Marsen- oder Hunenkönige, noch gar nicht an Attila den Hunnenkönig in Ungarn, vielmehr ist die Verwechslung der Namen von Personen und Örtern erst das Werk der deutschen epischen Gedichte, das die scandinavischen Sagenschreiber durch ihr Streben, die verschiedenen Erzählungen in ihren Widersprüchen zu vereinigen, zur höchsten Vollendung brachten, indem sie neue Irrungen begingen. Sie versetzten vorzüglich den Thidrek nach Italien.

 

Auch ihr Werk ist, dass sie besonders die Sagen von den Wilcinen und Ruzenmännern so sehr latinisirten, weil hier sehr wahrscheinlich die Quellen nicht so reich mehr, wie bei der deutschen Sage, flossen und sie oft ihre Zuflucht zu lateinischen Werken von Geistlichen nehmen mussten. Dahin gehören Namen, wie Wilkinus, Ruzia, Ruzcialand, Smalenzkia, Smalizka, Palteskia u. A. Smalenzkia hiess im Deutschen gewiss Smalent oder Smalant, wie es auch in einer Stelle genannt

 

 

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wird, und weil es am Flüsschen Kalde liegt, so wurde, nach Abzug der Slawen gewiss erst, die erste alte Silbe mit dem Flussnamen für Stadt und Fluss sichtlich zusammengesetzt und Schmalkalden nach rein deutscher Aussprache war vorhanden, worin nur eine dunkle Erinnerung an die fortgezogenen Ruzen blieb, wie in der Sage. Dagegen ist Palteskia sicherlich der Flecken Polte oder Polle an der Weser, in Nordosten von Soest aus, die slawische Grenzfeste gegen den wilden und grausamen Eindringling Atli, der dasselbe mit Thidrek lange vergeblich belagerte; denn es war mit einer Steinmauer und tiefen Gräben, natürlich voll Wassers, naturgemäss aus der Weser her, umgeben und auf der Landseite durch ein mächtiges Heer geschützt. Von hier aus zog Thidrek, da ihm die Belagerung der Stadt von drei Monaten zu langweilen begann, sich von Atli trennend, „hinauf“ nach Smalenzkia, das also höher und ziemlich entfernt, in gebirgiger Gegend und tiefer im Lande liegen musste: er belagerte es sofort, worin ihn aber König Waldemar einen Augenblick störte, der ihm, nach dem Zusammenhange zu urtheilen, aus Ostnord herankommend, mit einer Schlacht entgegentrat, in dieser aber fiel und die Ruzen mit grossem Verluste fliehen mussten: war hier also ihr Hauptort? nein, die Natur des Ortes weist uns damit in die Saalgegend, weswegen auch Kius d. h. Kösen an der Saale erst zuletzt erobert worden sein mag.

 

Die Ruzenmänner müssen keine schlechten Helden gewesen sein; denn Thidrek feuert seine Hunen vor der Schlacht bei Gronsport mit den Worten an: „Ihr habt oft gegen die Ruzenmänner gekämpft, nun erobert unser Reich!“ über sie gab es deutsche Heldenlieder, wie wir aus einzelnen Notizen in unseren Gedichten ersehen, wie z. B. „der Riuzen sturn“ d. h. sturm bei Hugo von Trimberg im Renner, ja ein anderes Lied sang: war komen si der Wilzen diet d. h. wohin gekommen sei der Wilzen Volk, das also nicht mehr an der Schwalm wohnte! vergl. Dietrich’s Flucht, wo ein Vorfall in der Wilzen Lande berührt wird. In der Raben- oder Trabenschlacht gab es nach v. 164—74 Lieder über Wilkinus, wo zugleich Wadi’s Zeugung durch ihn mit dem Meerweibe frau Wâchilt d. h. Hilda der Wogen, Meerminne, Witige’s

 

 

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Ahnfrau, Wadi’s Urenkels, erwähnt wird. Man kann annehmen, das Hertnid, Osangtrix, Woldemar und Ilias auch deutsche Sagengestalten sind; denn Hertnid ist offenbar Ortnid, nach der altschwed. Bearbeitung der Sohn Osid’s der in cp. 33 sogar Herding, Herdink genannt wird, und der ältere und jüngere Ortnit sind offenbar eine und dieselbe Person, und in dem Heldenbuche residirt der ältere Ortnid-Hertnid in Garten (nach meiner Nachweisung oben Carden an der Mosel) in Lompardien in Italien und heirathet die Schwester des Königs von Reuszen, wird hernach „Römischer Kaiser“, und ist ein Sohn Elberich’s, während seine Mutter die Schwester des Ilias von Reuszen ist. Auch dem Ortnid diente Ruszland und das Land von Bern (eine deutliche Verwechslung mit Thidrek!). Ilias tritt sogar (Wackernagel II, 4) als König der „wilden Riuzen“ auf, dessen Sohn Pelian, Belligan heisst. Die Handschrift C des Rosengarten nennt den Hertnid kunic von Riuzen, der in Dietrich’s Flucht auf der Seite Etzel’s steht und ein Sohn des Ilias ist, dessen Schwester Hildigunde nach dem Frieden dem Attila vergeisselt wird. In der Handschrift D und E heisst dagegen Hertnid auch Hartune aus Ruszenland. Hertnid, für welchen Mimir Waffen schmiedet, diese aber dem Sigurd giebt, ist daher der Sohn des Ilias, eine sagenberühmte Gestalt. — Schon diese wenigen Thatsachen bedingen, dass die Wilcinen und Ruzen neben und unter den Germanen gewohnt haben, mit ihnen also gleichzeitig in Europa und zwar Deutschland eingewandert sind und mit ihnen somit Ein Volk gebildet haben. S. unten.

 

Die Söhne Nordian’s, des Unterkönigs von dem Wilcinenlande, sind Edgeir, Aventrod, Windolf mit der Eisenstange und Aspilian, die Riesen, gewiss Heldengestalten der Sage und liessen sich dennoch knechten. Der Oberkönig Osangtrix, der Sohn Hertnid’s von Ruzenland, heirathet Juliana, die Tochter des Königs Iran von Skorottan oder Mittan (A. Scrotan, B. Skottan, also das heutige Schottland oder England), die aber bald starb, worauf er sich mit Oda d. h. Ute, der Tochter des Milias, „des Hochmüthigen“, von Hunenland vermählte, was aber nicht so leicht von statten ging. Denn den Osangtrix besuchten die Söhne des Ilias von Greka, seines Bruders, Hertnid und Hirdir,

 

 

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von denen er jenen zum Jarl im Wilcinenlande erhob und als Brautwerber zu dem hochmüthigen Milias im Hunenlande sandte, weswegen er „südwärts“ ritt, da dieser in Walterburg mehr in der Mitte des Landes residirte, aber eine abschlägige Antwort bekam. Nun reist Osangtrix selbst und zwar unter dem angenommenen Namen Thidrek und wirbt um Erka (Herka, Helche=Ospirin in dem Waltharius, wo sie Osiriches kint heisst). Die deutschen und slawischen Fürsten treten auf diese Weise durch Heirathen einander nahe und machen deswegen keine weiten Reisen: wohnen sie noch nicht neben und unter einander? — Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass des Osangtrix eigene Brautfahrt aus der deutschen Sage floss, aber die Slawen haben ihre alten Heldensagen noch gar nicht gesammelt; denn in dem Gedichte „König Rother“ aus dem zwölften Jahrh., das später zweimal umgearbeitet ward, lesen wir jenes deutlich, da König Rothari nur zu deutlich an des Osangtrix Stelle trat, welcher letztere nur in dem Biterolf v. 1962 noch auftritt, wo die Erka Helche heisst und Oserich sicher Osangtrix ist, der die Erka gewaltsam heirathet und mit ihr eine gleichnamige Tochter Erka hat, aber Milias bleibt König vom Hunenlande. In dieser Zeit herrschte König Osid in Frisland, dessen Söhne Ortnit und Atli sind, von denen jener das väterliche Reich erbt, dieser aber zum Jarl erhoben und mit einem Heere ausgestattet wird, mit dem er viele siegreiche und berüchtigte Einfälle in die Nachbarländer und besonders in das Reich des Milias, das Hunenland oder Westfalen macht, dessen Tochter und einzige Erbin „nordwärts“ in das Wilcinenland verheirathet ist, ja Milias war bereits alt und schwach und residirte in Walterburg (B. Villeraburg), gewiss im südlichen Westfalen gelegen. Ueber die Einfälle grämte sich Milias und starb: nun eroberte Atli, wenn auch mit Anstrengung, das ganze Reich und verlegte seine Residenz in das nördliche Susat d. h. Soest, das hernach auch Susack genannt ward, der Grenze und seiner Heimath näher, während er die Südgrenze des Reichs gegen die Franken tüchtigen und berühmten Helden zur Beschützung anvertraute, anfangs nur dem weltberühmten Rodingeir d. h. Rüdiger von Bakalar am Rheine, später noch in Südosten in Tira den Apollonius und in Südwesten in

 

 

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Brandinaburg den Iron als solche Jarl aufstellte. Osangtrix beanspruchte aber der Gattin Erbe und begann Krieg, verlor aber die Schlacht und das Leben, ihm folgte, da er keinen Erben hinterliess, sein Neffe Hertnid. Auch in Frisland starb der König, und Atli’s Bruder Ortnid bestieg des Vaters Thron, dessen Sohn Osid, nach der Zeitsitte, bei Atli erzogen ward.

 

Es hat sich sogar die Sage erhalten, dass die alte Burg in Soest von Friesen erbaut worden sei (Raszmann Heldens. I, 53. 177.), und es ist anzunehmen, dass Atli, weil er Soest zu seiner Residenz erhob, auch die Burg erbauen musste. Um sich und seinen Erben das Reich aber auch von Rechtswegen zu sichern, sandte er den Neffen Osid in Begleitung eines gewissen Rodolf „nordwärts“ in das Wilcinenland und liess um die junge Erka bei Osangtrix vor jenem Kriege werben, den die Boten in Svithiod, wie das Wilcinenland bisweilen auch heisst, trafen, werden aber mit ihrer Werbung zurückgewiesen. Der jungen Erka Schwester hiess Berta, beide wohnten mit dreissig edlen Jungfrauen in einem Thurm, damit kein Mann zu ihnen gelangen könne. Atli sandte nun den Markgrafen (etwa weil er die mittlere und wichtigste Grenzfeste inne hatte?) Rodingeir=Rüdiger von Bakalar am Rheine, den vornehmsten Häuptling des Reiches und berühmtsten Ritter der Zeit, der nach Biterolf gegen die preussische Stadt Gamali und den König Witzlan von Böhmen geheerfahrtet hatte, weshalb ihn die spätere Mengsage auch wohl mit nach Bechlarn zwischen Oesterreich und Ungarn versetzt haben mag. Wird nicht schon durch diese Andeutungen über die Kämpfe der Germanen gegen die Slawenstämme, da sich in der Völkerwanderung das germanische Element nach allen Seiten hin geltend machte, deren Bekämpfung und Zurückdrängung gen Osten angedeutet? — Auch Rüdiger (über den Metellus von Tegernsee und Aventinus annales Bojorum noch Lieder kannten) ritt nordwärts und ward von Osangtrix herrlich empfangen: aber dieser stellte gegen ihn die Ruzenmänner als edlere Blutsfreunde (sind also Stammverwandte von den Wilcinen!) als wie Atli mit den Frisen hin und lehnte den Heirathsantrag dadurch ab. Nun begann Atli seine Kriegzüge „nordwärts“im Wilcinenlande und schlug den Vicekönig

 

 

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und dessen Brüder Aspilian und Edgeir, die nach Austrriki entfliehen müssen. Da sammelte Osangtrix in seinem Reiche ein mächtiges Heer, das bei seinem Zuge gen Süden in Jotland noch mehr wächst. Atli kehrt aber beutebeladen in das Hunenland zurück, und da ihn Osangtrix verfolgte: so versteckte er sich mit seinem Heere in dem Walde zwischen Danmark in Hessen und dem Hunenlande, also im Lurawalde, und lauerte ihm auf, aber jener Rodolf zwang den Osangtrix vorher zur Rückkehr. Auf diese Weise gelangte Atli auf keinem der eingeschlagenen Wege zu seinem Ziele, und musste zu List und Schlauheit seine Zuflucht nehmen. Aus dem Grunde trat Rodolf eine geheime Fahrt zu Osangtrix in das Wilcinenland an, und auch er reitet nordwärts. Als er in die Nähe der Wilcinenburg kam, die nach dem Zusammenhange nicht so entfernt liegt, versteckte er seine berittenen Begleiter in dem Walde des Osangtrix mit der Anweisung, sich den nöthigen Unterhalt in den Harden (s. vorhin) einzukaufen. Er selbst begab sich als Flüchtling vor Atli in die Wilcinenburg, bat in seinem einschmeichelnden Wesen um Aufnahme und Dienst, und ward von dem ihm trauenden Osangtrix gar bald hochgeehrt. Dieses dauerte bis in das dritte Jahr. Da traf Nordung, König von dem Svavenlande als eigener Brautwerber um Erka bei Osangtrix ein, dem er auch nicht unwillkommen war. Da muss der mit vollem Vertrauen beehrte Rodolf der Erka den Heirathsantrag überbringen, bethört dieselbe aber gänzlich und entführte sie mit ihrer Schwester Berta. Unterwegs barg er sich und seine Beute vor dem verfolgenden Vater in dem Kastell Markstein (B. Marstein d. h. das Schloss Marburg, das ein wirklicher Markstein gegen das Bertangenland war, mithin ging eine Strasse, vielleicht jene „längere“ in der Geschichte Widga’s auf seiner ersten Ausfahrt, aus dem Wilcinenlande nach Westfalen hierdurch, in der Edergegend Hessens hatten die Römer eine Station und Stadt, in der Nähe westlich lag die Gnitahaide, in deren Nähe die Burg Brunhild’s war und deren Gehöfte mit ihren Pferden (mar bedeutet ahd. Pferd) in dem nahen Walde, und den Thidrek von Bern sahen wir oben auf seiner Verfolgung des Thidrek von Ruzenland hier ebenfalls reiten , und nördlich von der Gnitahaide lernten wir den Borg- oder Burgwald

 

 

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und nordöstlich von diesem die Wilcinenburg kennen. Dieser Wald hiess in der nächsten Umgebung also Borg- oder Burgwald, wie noch heute, weiter hinauf gen Norden aber Lura- oder Falsterwald, womit auch der ganze Wald benannt ward, weil Mark- oder Marstein als auch in dem Falsterwalde liegend angegeben wird. Atli ward mit Bewaffneten herbeigerufen (die Entfernung war also nicht gross, die Gnitahaide und der westliche Falsterwald gehörten zu seinem Reiche), und angelangt muss Osangtrix entfliehen. Atli heirathete nun die Erka und die Berta ward dem Rodolf zu Theil: Atli bekam von der Erka zwei Söhne Erp und Ortvin (gewiss der Ortlieb des Nibelungenliedes!). Aus dieser That entwickelte sich der oben geschilderte lange Krieg zwischen Atli und Osangtrix, verbunden mit Waldemar von Ruzenland. — Beiläufig sei es hier gesagt, dass das Wanderlied in v. 119--22 die Hräden, denen jene Harden in Namen und Zwecke völlig entsprechen, wahrscheinlich schon nach der Menesage, an den Wistlawald d. h. Weichselwald verlegt, obgleich sie mit unsern Harden am Falsterwalde ein und dasselbe sind, da dieses Gedichtes Aetla unzweifelhaft Atli ist, und der Hräden Heere, dort wie hier die Harden zu dem Schutze von Osangtrix’s Reiche und zum Handel dienen. Die Hräden und Harden gehören überall zu dem Reiche des Osangtrix. Aus dieser Verlegung der Hräden d. h. Harden an die Weichsel ergiebt sich aber auf der andern Seite als unzweifelhafte Wahrheit, dass die Wilcinen und Ruzen zur Zeit des Dichters des Wanderliedes als schon lange aus ihrer Urheimath in Hessen und Thüringen ausgewandert hingestellt werden, und dass sie, besonders die letzteren auf ihrem Rückzuge gen Osten wirklich den Weg, den ich hernach nachweisen werde, genommen und eine Zeit lang an der Weichsel im heutigen Gebiete von Thorn etwa gehaust haben mögen, worauf sie an der Rusz in Ostpreussen wohnten und von hier aus für immer an den Ilmensee auswanderten und ihre neue Stadt (Nowgorod) hier erbauten.

 

Durch jenen Krieg mit Osangtrix, mit dem sich Waldemar von Ruzenland als nächster Verwandter verbunden halte, veranlasst, überzog nun Atli Ruzenland mit Krieg, und lieferte

 

 

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dem Waldemar eine Schlacht, die erste, aus der er unzeitig entfloh, aber Hildibrand und Rüdiger hielten sich lange Zeit, mussten jedoch endlich der Uebermacht weichen und gelangten auf ihrer Flucht bald in das Hunenland, wo sie dem Thidrek von Bern Atli’s Benehmen mitheilten, der denselben dieserhalb hart tadelte (passt das auf Attila?). Thidrek von Bern, von seinen Wunden wieder hergestellt, begann mit Atli einen zweiten Kriegszug gegen Pulinen- und Ruzenland, den sie aber nicht nach der Art der alten Heerkönige raubzugartig ausführten, sondern, wie der Erfolg lehrt, einen strategischen Plan dazu entwarfen, den sie auch ausführten. Sie greifen hiernach zuerst die Grenzfeste gegen Westfalen, die Burg Palteskia (A. Palttica, B. Faltica, nach dem Falsterwalde etwa so geformt?) d. h. Polte, Polle an der Weser, unter dessen Gebiete das Pulinenland verstanden zu werden scheint, das überall Westfalen näher, als Ruzenland liegt, gemeinschaftlich an. Die alten Heerkönige waren an eine rasche Eroberung gewöhnt, aber hier zog sich die Belagerung der Feste über drei Monate hin, das machte den Thidrek ungeduldig; denn Palteskia war, wie wir gesehen haben, mit einer hohen Steinmauer und tiefen Gräben umgeben und ward, natürlich von der Landseite her, durch ein mächtiges Heer geschützt. Drei Monate verstreichen, ohne irgend wie dem Ziele näher zu kommen, da trennte sich Thidrek von Atli, der in der Belagerung beharrte, weil ihn jener über sein Thun im ersten Kriege so hart getadelt hatte. Thidrek zog dagegen wie ein echter Heerkönig tiefer in das Ruzenland hinein; denn „er führt sein Heer hinein“, also südostwärts von jener Grenzfeste aus, und gelangt nach Smaland, ahd. Smalent, wie der Ort hier heisst, im Ruzenlande selbst d. h. Schmalkalden an der Kalde am Thüringerwalde, der ersten Grenzfeste in dem eigentlichen Ruzenlande und belagert sie eben, als ihm Waldemar, aus Nordost, wie es scheint, kommend, entgegentritt. Thidrek hebt schnell die Belagerung einstweilen auf und liefert diesem eine Schlacht, in der derselbe durch Thidrek fällt, worauf die Ruzenmänner mit grossem Verluste entfliehen: er kehrt nun zur Belagerung Smaland’s zurück. Atli hatte dagegen schon nach drei Tagen, nachdem Thidrek

 

 

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sich von ihm getrennt und abgezogen war, die Burg Palteskia erstürmt und dem Erdboden gleich gemacht, wovon die Ruinen „noch der sehen kann, welcher dahin kommt“ d. h. zu der Zeit des Sagenschreibers. Jetzt verliess auch Atli die Gegend, folgte dem Thidrek nach und stiess beutebeladen zu demselben, als er Smaland’s Belagerung von Neuem begann. Auch Atli „zieht hinauf in das Ruzenland“, mithin lag dieses höher, als die Gegend an der Weser d. h. Pulinenland. In der Stadt und Burg Smaland oder Smalenzkia befehligte damals der Jarl Iron, ein Bruder Waldemar’s (?): als derselbe Waldemar’s Tod erfuhr und des Feindes mächtige Verstärkung durch Atli’s Zuzug erkannte, da ergab er sich und die Burg dem Feinde, worauf ihn Atli zum Häuptling von Ruzenland erhob. — Hier schliesst der Bericht der Thidreksaga, er reicht aber vollkommen aus, um richtige Folgerungen aus ihm ziehen zu können; denn man muss wohl bedenken, dass das Wilcinen- und Ruzenland, nach dem Schlusse desselben, keine selbstständigen, sondern zinspflichtigen Staaten geworden sind, die nicht mehr erbliche oder selbstgewählte Häuptlinge haben, sondern den Führer und Regenten annehmen müssen, welchen der wilde Atli wählt und einsetzt, und wodurch wäre denn Atli, wenn bloss durch seine That gegen seine Verwandten, die Niflungen, so sagenberüchtigt geworden, wenn er sich nicht durch Wildheit ganz besonders gegen die Slawenstämme ausgezeichnet hätte? wie hätte man ihn sonst mit dem wilden Attila, dem ungarischen Hunnenkönige verwechseln können und dürfen, oder reichte etwa dazu der Namen Verwandschaft allen aus? — Mir kommt aber hier noch der sonderbare Gedanke, dass die Gewohnheit und Urheimath des Menschen und Volkes eine gewaltige Macht über denselben ausübt: wie könnte daher die Annahme verwerflich und undenkbar sein, dass die Ruszen, in ihrer neuen, heutigen Heimath angelangt, nach jenen alten Wohnorten in Deutschland hier ihre ersten Wohnstätten wieder benannten, denen gegenüber jene neue Stadt d. h. Nowgorod am IImen erst in das rechte Licht träte? so mag Pulinen an der Weser dem heutigen Polen, Smalenzkia an der Kalde der Stadt Smolenzk Kiu oder Kius der Stadt Kiew und Palteskia der Stadt Poltawa

 

 

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den Namen gegeben haben, oder sehen wir etwa nicht dieselbe Erscheinung bei den ausgewanderten Engländern, Holländern, Deutschen, Franzosen in America, Africa, Australien und Südasien? — Die Thidreksaga sowohl, wie auch die übrigen alten Quellen wissen nichts Erhebliches von den Wilcinen und Ruzenmännern in Hinsicht dieses Kampfes weiter zu berichten: aber eben haben wir aus den einzelnen Notizen erkannt, dass er bedeutend gewesen sein muss. Der Zusammenhang der Thidreksaga und deren bestimmte Angabe über den grossen Verlust der Ruzen unweit Schmalkaldens, da ja auch das Wilcinenland bereits zinspflichtig geworden war, und die Flucht der Ruzen scheinen andeuten zu wollen, dass die Ruzen und die Slawen überhaupt deswegen gen Osten entwichen, um sich von dieser Zinspflicht gegen die Germanen auf einmal und für immer zu befreien ; denn es ist ja eine historische Wahrheit, dass sich das germanische Element in der Völkerwanderung nach allen Seiten hin geltend machte, dass also auch die Slawen von den Germanen in ihr gen Osten zurückgedrängt worden sind, jene in ihr angefangen haben müssen, sich aus der Mitte dieser zurückzuziehen und sich mehr im Osten Europa’s anzusiedeln, wo sie von anderen Stämmen ungehindert ihr Leben und Wesen selbstständig treiben konnten. Oder entflieht in unserm Berichte etwa nicht die Hauptmasse der Ruzen, und bleibt nicht deren kleinerer Theil unter Iron zinspflichtig zurück? Ja, wurde Iron etwa Vicekönig oder etwas der Art, wie Hertnid bei der Eroberung Ruzenland’s durch Wilkinus, oder nur zinspflichtiger Häuptling? ja, warum wählten die Ruzen in ihrer neuen Heimath am Ilmen nicht einen Herrscher aus ihrer Mitte, sondern wählten sie den vorüberziehenden Rurik zu einem solchen, wenn nicht jene Erinnerungen aus ihrer Urheimath in Deutschland in dem Volke noch nachgewirkt hätten, weil dasselbe erkannt hatte, dass das alte Herrschergeschlecht zu schwach und zu allerlei Parteiungen in dem jungen Staate Anlass geben werde? — Wie ging aber dieser Rückzug der Ruzen der Thidreksaga vor sich? Haben sich noch Spuren von demselben und von dem Dasein der Slawen in Deutschland in Namen von Personen und Ortschaften bis heute erhalten? — gewiss, aber weniger in der oben notirten

 

 

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Urheimath vom östlichen Hessen und Hannover und in Thüringen, die jedoch immer zahlreicher werden, je weiter man in Ostdeutschland hinaufdringt, ein Beweis, dass die Auswanderung der Ruzen rasch vor sich ging, dass sie aber in Ostpreussen längere Zeit verweilt haben müssen, da uns diese beweisenden Denkmäler hier massenhaft entgegentreten, während sie in den heutigen russ. Ostseeprovinzen nur sehr spärlich vorhanden sind, woraus erhellt, dass der Ruzen Durchzug in ihre neue Heimath auch hier rasch vor sich ging. Dass sich erst mit Anfang des Mittelalters Völkerstämme in das sumpfige und urwaldige Russland am Ilmensee und südöstlich von demselben zurückzuziehen anfingen, das ist natürlich und begreifbar; denn welche Kämpfe hatten die eigentlichen Germanen noch zu bestehen, bevor sie zu festen und geordneten Staaten im Herzen Deutschlands gelangten, dazu bedurfte es erst eines Karls, des Grossen, und welche Kämpfe hatte man bis zu der Zeit immer noch mit den Slawen zu bestehen! Auf den Typus der heutigen Schwalmbewohner, zum Theil gewiss noch Nachkommen der Wilcinen, habe ich bereits hingewiesen. Die Ruzen wohnten nordöstlich von jenen in Niderhessen und Hannover auf der Ostnordseite der Weser bis hinab zum Thüringerwalde, auf dem Eichsfelde, in den sächsischen Herzogthümern und an der Saale am Westufer hinauf, und standen mit den Slawen an der Ostsee in Meklenburg und Pommern im Zusammenhange. Die Winden (Windland) oder Wenden dagegen wohnten auf dem östlichen Eichsfelde, an und auf dem Bergrücken, an dessen Fusse bei Bleicherode noch heute die alten Örter Grosz- und Klein-Wenden liegen, und auf dem sie später hinabgedrückt in ihrer heutigen Heimath sich für immer ansiedelten. Sie waren die Nachbaren des Theils der Ruzen, welcher schon damals Pulinen an der Weser geheissen haben mag, während der wahre Ruzenstamm in den sächsischen Herzogthümern und an der Westseite der Saale hauste: hier herrschten auch, wie wir gesehen haben, Hertnid und sein Sohn Woldemar, deren Residenz Holmgard d. h. Heldrungen mit einem Schlosse (Hel aus Holm und drungen aus Buchstabenverschiebung entstanden d. h. durch deren Umkehrung: drag oder drang=gard mit angehängten en) war. Und soll ich zum Beweise noch auf die Bewohner des Herzogthums

 

 

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Altenburg hinweisen? denn wer erkennt in ihnen nicht noch heute die slawische Färbung! Über Altenburg zogen die Ruzen mit den heutigen Preussen nach Ostpreussen. So wie noch heute die Wenden in Sitte und Sprache den Polen, deren Nachbaren sie in der deutschen Urheimath waren, am nächsten kommen: so standen die Altpreussen in Sitte und Sprache den Ruzen am Nächsten, was sich aber im Verlaufe der Zeit zum grossen Theil verwischt hat, seitdem die Völker durch das Schicksal von einander für immer getrennt wurden. Wenn diese wissenschaftliche Construction an sich richtig ist: so wird sie durch die heutigen Wohnsitze dieser Völker noch mehr bestätigt. Denn wenn die Pulinen an der Weser wohnend zurückgeworfen wurden, so stiessen sie zunächst auf die Wenden, die sich auf ihrem Bergrücken hinabziehen mussten, alsdann aber auf die Ruzen, die mit den heutigen Preussen über Altenburg nach Ostpreussen entwichen und hier für längere Zeit festen Fuss fassten. Hier kamen zuletzt die Pulinen von der Weser an und fanden keinen Raum mehr, sie mussten also durch das heutige Posen entweichen und siedelten sich in Polen an, das sie nach ihrem alten Namen benannten, wofür ihre Grenzfeste Palteskia an der Weser und ihr eigener Name Pul, Pulin, echtslawische Formen, entschieden sprechen. Nach den Namen dieser Völker sind wir auch berechtigt, anzunehmen, dass die Ruzen in jener deutschen Urheimath sich schon so genannt haben, wofür auch die oben angeführten Ortsnamen mit Ru und Ro entschieden sprechen, und dass die Preussen zu ihnen gehört haben: aber ihr gemeinschaftlicher Aufenthalt an dem Flüsschen Rusz, auf dessen Westufer die heutigen Preussen und auf der Ostseite die Russen hausen mochten, trennte beide Stämme, wie der Fluss in der Natur, auch im Namen, indem die Westrussen nach по Русі an der Rusz Wohnende, mit dem Namen Porussen=Preussen benannt wurden, während die Ostrussen nach dem Ilmensee auswanderten, wahrscheinlich aus Beengniss durch die lettischen und finnischen Stämme bewogen. Sie selbst mochten sich in der neuen Heimath, da sie hier vorläufig durch kein anderes Volk beengt wurden und von ihm nicht unterschieden zu werden brauchten, lange Zeit nicht Russen nennen und ihren alten Namen

 

 

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fast vergessen haben, als Rurik ankam und sie ihn zu ihrem Regenten wählten: da ward der alte Name des Volkes wieder hervorgesucht und fing an, nach Nestor’s Ausdrucke, wieder „allgemein“ zu werden. Und nach den Landcharten Russlands von 862— 1000 zu urtheilen, bestätigt sich es ebenfalls, dass die Ruzen nur von Westen her an den Ilmensee eingewandert sein können; denn von hier aus verbreiteten sie sich zuerst nach Kiew und Smolensk, (nach dem alten Kiu an der Saale und Smalent—dem späteren Schmalkalden so benannt), wo sie mit den alten Pulinen wieder zusammen trafen, und zuletzt erst allmälig mehr gen Norden und nordöstlich nach Moskwa zu. Es war natürlich, dass durch ihr Weilen am Ostufer der Rusz im heutigen Bezirke von Gumbinnen und durch ihren neuen Wanderzug an den Ilmensee die lettischen und finnischen Stämme mehr und mehr an die Ufer des baltischen Meeres zurückgedrängt und zum Theil über den finnischen Busen in das heutige Finnland hinübergeworfen wurden, welchem Beispiele später noch andere Abtheilungen gefolgt sein mögen.

 

Wenn gleich meine Construction dieses Theiles der altdeutschen Heldensage nach meiner Überzeugung, wissenschaftlich gesichert und richtig ist, und mein Beweis, dass die Wilcinen und Ruzen mit den Germanen gleichzeitig eingewandert und ein einziges Volk ursprünglich gebildet haben, durch die schärfsten Nachweisungen gestützt und durch die unwiderlegbare Aufdeckung der localen Heimath der speciellen deutschen Heldensage als unabweisbar hingestellt worden ist, da mit dieser die Heldensage der Wilcinen und Ruzen in dem innigsten Zusammenhange stehen und die Thatsachen und Vorfälle so gewaltig in einander eingreifen und die eine ohne die andere als lückenhaft dastehen und unverständlich sein würde d. h. diese auf jener ruht: so fühle ich mich dennoch für verpflichtet, meinen Beweis noch weiter zu führen und womöglich zu erschöpfen, um in dieses dunkle Gebiet der Wissenschaft einiges Licht strahlen zu lassen, weil sonst so Manches in der eigentlichen historischen Zeit auch fernerhin auf blossen Hypothesen beruhend dastehen bleiben wird, Daher

 

 

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1. Jener Rückzug der slawischen Völker aus Deutschland gen Osten wird noch heute durch slawische Ortsnamen markirt und bestätigt, bei deren Nachweisung ich weder auf Vollständigkeit noch beständige Richtigkeit Anspruch mache: aber so viel ist gewiss, dass die Ortsnamen auf la, na, itz, iz, in und an gewöhnlich slawischen Ursprungs durch ihre Formen sind, woraus folgt, dass diese Oerter von Slawen erbaut und benannt worden sein müssen, und dass also in ihren Gegenden Slawen in der Urzeit gewohnt haben, da sie gewöhnlich uralt sind. In Deutschland müssen hierüber neue Studien gemacht werden, weil in dem Namen so manchen Ortes, wie wir in den Beispielen oben gesehen haben, die slawische Form versteckt liegt, die im Verlaufe der Zeit durch das deutsche Streben, Alles rein deutsch zu formen, ganz unkenntlich geworden ist. Daher finden sich auch in den Urheimathen der Wilcinen und Ruzen heute so wenige reelle Belege. Dennoch gehören folgende Ortsnamen hierher: Gross- und Klein-Wenden, Aschers- und Oschersleben, Gardelegen, Roszla, Suhl, Droyszig, Görschen, Kösen, Bibra, Wettin, Glaucha, Moschwig, Gera, Köstritz, Schleiz, Roslau, Wörlitz, Ruhla, Kahla, Roda, Sprotta, Oybin, Welka, Budissin, Oelsnitz, Lösznitz, Zschopau, Oederan, Chemnitz, Oberlungwitz, Meerana, Crimnitzschau, Werdau, Leisnig, Döbeln, Lausigk, Colditz, Rochlitz, Borna, Lommatsch, Pirna, Tharand, Pillnitz; Küstrin, Guben, Cottbus, Lübbenau, Crossen, Zielenzig, Züllichau, Beeskow, Ohlau, Brieg, Mollwitz, Strehlen, Glatz oder Kladzko, Schweidniz, Krieblowitz, Lissa, Trebnitz, Militsch, Leubus, Liegnitz, Bunzlau, Lauban, Muskau für Muskwa, Sagan, Lüben, Oppeln, Kosel, Schlawenzitz für Slawen — Zitz, Ratibor, Lüb- oder Leobschütz, Illubzien, Prudnik, Tarnowitz, Fluss Klodnitz, Gleiwitz; Berlin, Ruppin, Fehrbellin, Zehdenik, Prenzlau, Jüterbogk, Dennewitz, Schwerin, Dobberan, Parchim, Wöbbelin, Grabow, Dömitz, Güstrow, Malchin, Bützow an der Warnow, Wismar, Strelitz, Stargard, Stettin, Pyritz, Treptow, Camin, Demmin, Anklam, —Usedom, Wollin, Wollgast, Rügen, Putbus, Arkona, Cöslin, Stolpe, See Streitzig, Labiau, Gumbin, — nen, Tilsit, Konitz, Posen, Meseritz Lissa oder Leszno, Rawitsch, Bojanowo, Zduny, Krotoschin,

 

 

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Ostrowo, Pleschew, Inowraclaw, etc. etc., Narwa, Dörpt oder Dorpat, Libau, Mitau, etc. Ich gebe gern zu, dass sich der Name und das hohe Alter mancher einzelnen der genannten Localitäten, deren Namen aber noch lange nicht vollständig sind, bezweifeln lässt, aber ihre Masse beweist meinen Satz vollständig. Auch möchte ich gern die Frage beantwortet hören: Wenn die Ruzen und Germanen grundverschiedene Völker, wie man meistens glaubt, und nicht vielmehr ein gleichzeitig in Europa eingewandertes, einziges Volk wären, dass in seiner Sprache nur wenig dialectisch verschieden war, wie haben sich alsdann die angekommenen Ruriker und Ruszen mit einander verständigt, oder gab es etwa damals schon eine politische Hülfssprache, wie das Lateinische in dem Mittelalter oder das Französische in der Neuzeit? — Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten oder von der Hand zu weisen, als wie es scheint und man glaubt. Oder wie kamen die Ruszen in Nowgorod, wenn sie nicht Blutsverwandte der Germanen waren, dazu, sich Regenten aus einem ihnen völlig fremden und von ihnen verschiedenen Volke zu wählen, kannten sie etwa die Ruriker genau, oder hatten sie unter sich selbst gar keine kräftigen und tüchtigen Männer, die sich zu Regenten eigneten? — sie hatten in Deutschland mehr von den eigentlichen Deutschen gelitten, die ursprünglich gothischen Stämme, zu denen auch die Franken gehörten, waren grossmüthiger gegen sie gewesen und hatten grössere Thaten, als jene vollbracht, während ihre eigenen Heerkönige schwächliche Herrscher gewesen und aus Parteisucht sich gegenseitig selbst bekriegt und sich ihre Völker dadurch geschwächt hatten: das mag einzig der Beweggrund zu ihrer Wahl des Rurik, aus einem Gothenstamme entsprossen, gewesen sein. Wir begreifen, dass die Ruszen in jener Niederlage bei Smalkalden durch Thidrek von Bern sehr geschwächt, viele Slawenstämme zersprengt worden waren und sie auf ihrer östlichen Auswanderung unterwegs zu viele Menschen verloren hatten, bis sie zu ihrem neuen Wohnorte gelangten, so blieben z. B. an der Rusz die Preussen zurück; deswegen konnte ihr Anfang in Nowgorod als staatliches Volk nur gering und klein sein, gehörte ein thatkräftiger und weiser Monarch dazu,

 

 

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um dieses herabgekommene Volk zeitgemäss in Ordnung zu halten und allmälig wieder empor zu bringen, und diese Aufgabe haben die Ruriker gelöst, wie der Erfolg lehrt. Dennoch war jene Gegend zwischen dem Ilmen- und Ladogasee nicht ganz unwirthbar; denn an dem letztern lag das uralte Lailaborg, gewiss lettischen oder finnischen Ursprungs.

 

2. Der Gang der geistigen Entwickelung d.h. die Mythologie, die Familienbenennungen und Lebensweise beider Völker müssen noch mancherlei Spuren aus der Urzeit bis heute aufbewahrt haben, aus denen die ursprüngliche Einheit und innigste Blutsverwandschaft beider „ jetzt so verschiedenen Völker deutlich erhellt. Rurik ward von den Nowgorodern zum Herrscher gewählt, um Ordnung in das Ganze zu bringen; denn ein jeder Stamm der Slawen am Ilmen lebte unter seinem Bajar stammweise, ein jeder Stamm wollte über den andern herrschen und keiner gehorchen: Rurik stützt sich daher auf den Hauptstamm der Russen, vereinigt alle Stämme zu einem Ganzen und legt allen den russischen Namen bei, der seitdem, nach den Chronisten, allgemeiner ward.

 

a. Aus der Mythologie der Deutschen wissen wir zwar nicht bestimmt, wie der vorodinsche Götterdienst beschaffen gewesen, aber anzunehmen ist, dass derselbe ganz einfach, ein dem slawischen nahe verwandter, ein blosser Naturdienst gewesen sein muss; denn der Nerthusdienst oder die Personificirung der Erde Fruchtbarkeit und so manche Züge in der Sage von Sigurd als dem indischen Karna, dem Sohne des Gottes der Sonne führen uns darauf. Auch haben wir ja oben gehört, dass Odin oder Wodan als Held mit vielen Söhnen und Menschen aus Asien kam und wahrscheinlich erst in der Völkerwanderung in Europa einwanderte und bei den Sachsen blieb d. h. offenbar, dass er bei den Sachsen einen andern Cultus einführte und bei diesem Volke erst später an die Stelle des obersten Gottes trat, welcher Cultus sich mithin von Sachsen aus über Deutschland allmälig verbreitete. Jedenfalls hatte er sich um sie grosse Verdienste erworben: haben uns denn z. B. die Scandinavier nicht noch Odinsche Gesetze erhalten? Auch die Complicirung des Odindienstes setzt einen einfachern Cultus voraus und verlangt eine höhere Culturstufe des verehrenden

 

 

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Volkes. Dass Odin zu den Sachsen kam und bei ihnen blieb, setzt voraus, dass sie schon längst zwischen der Elbe und Weser und in Westfalen bis zu Odin’s Ankunft gewohnt haben: bis dahin heissen sie aber anders. Ist daher anzunehmen, dass der Natur- oder Nerthusdienst dem Odindienste voranging — und die Nerthus kennen wir durch die Römer, stammt somit aus den Zeiten vor der Völkerwanderung! und jeden Falls gehört, auch die Irmensäule hierher: so stimmt das vollkommen mit dem slawischen Götzendienste; denn oben lernten wir einen Wolos, Wlas oder Weles, den slawischen Gott des Viehs, der Hirten und der Fruchtbarkeit kennen, dem die in Schlesien aufgefundene Statue einer Göttin Bochuta, ein rein slawisches Wort, völlig entspricht. Man wird mir nicht einreden wollen und können, dass der slawische Göttercultus von Anfang an so eingerichtet war, wie die Mythologie lehrt, vielmehr sind auch hier Entwicklungsstufen anzunehmen, da die Lehre von dem Tschernebog und Bälübog d. h. dem dunklen, schwarzen und günstigen Schicksalsgotte jeden Falls die letzte Entwicklungsstufe war und der Einführung des Christenthums voranging. Der slawische Götzendienst ist überhaupt viel einfacher geblieben, was nach meiner Ansicht, natürlich zuging; denn als das deutsche Element in der Völkerwanderung zu wirken und sich die Oberhand zu verschaffen anfıng, da mussten die slawischen Stämme weichen und wandern, blieben einige Jahrhunderte lang fast unstät und konnten an eine ruhige Fortentwickelung nicht gut denken, bis dass sie ihre Staaten gegründet hatten. Jeden Falls war der slawische und deutsche Göttercultus in der Urzeit einander nahe verwandt, wenn nicht ganz gleich. Merkwürdig bleibt es aber, dass wir auf jenem Wege, den ich den Ruzen auf ihrem Rückzuge nach Nowgorod anweisen musste, auch die ältsten Spuren des slawischen Göttercultus verzeichnet finden. In Schlesien ward die Statue der Bochuta entdeckt, in Meklenburg ward Radegast oder Roswodiz verehrt, die Sorben und Wenden verehrten ihn, in Stargard betete man den Prowe, Gott der Gerechtigkeit an, in Nordosten auf Rügen stand in Arkona ein Tempel des obersten Gottes Swantewit, des Swankowit und Tschernobog: übersetze man diese

 

 

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Götternamen und vergleiche den Begriff derselben mit den deutschen Götterwesen, und man wird denselben Ideengang, aber auch dieselben Entwickelungsstufen des Götzendienstes erkennen.

 

b. Dieselbe Beobachtung machen wir in der Annahme der Familiennamen. Familiennamen waren zur Unterscheidung nothwendig, sobald die Menschenmenge zu wachsen und in Ortschaften zu wohnen begann, so dass sie auf gesetzliche Ordnung bedacht sein musste, weil sie keine kleinen, leicht übersehbaren Theile mehr bildete. Man nannte daher das Haupt eines kleinen, durch die Natur zusammengehörenden Theils bald nach seiner Haupteigenschaft im Charakter oder des Körpers, nach seinem Wohnorte, seiner Beschäftigung etc. etc. Dieselbe Erscheinung beurkundet sich bei den Slawen, wie bei den Deutschen. Dass aber die Familiennamen der Rochlitz, Passow, Wangerow, Willamow, Rochow, Zedlitz, Ranzau und Ranzow, Schwerin, Seidlitz u. s. w. unter den Deutschen uralte, nicht aber eingewanderter Slawen sind, steht fest, warum? werden wir sogleich sehen. Denn bei den Slawen und besonders den Russen zeigt sich in den Familiennamen derselbe Ideengang, wie bei den Deutschen, oder man müsste bei denselben an eine blosse Uebersetzung aus der einen oder der andern Sprache denken, was der nothwendige Fall wäre, wenn beide Völker ursprünglich nicht Ein Volk gebildet, neben und unter einander gewohnt hätten. Die Endungen dieser Namen behandelte freilich, besonders nach der Trennung beider Völker eine jede Sprache nach ihrem Geiste und Baue, wie sich von selbst versteht, der Begriff und oft der Stamm bleibt aber derselbe. Auch in Deutschland, wie jetzt in Russland nahmen die Bauern zuletzt und vorzüglich mit ihrer persönlichen Freigebung Familiennamen allgemein und naturgemäss an. Zum Beweise will ich nur einige Beispiele deutscher und russischer Namen geben und deren Stamm anführen wo das nöthig ist: Schreiber u. Писаревъ (lat. scribere, писать), Rose und Rosen u. Розовъ и Розаповъ, Klein u. Микулинъ, Fuchs u. Лисицинъ (Лиса Fuchs), Gotthard, Gotthold u. Богословскій, Weise u. Умновъ (умъ Verstand), Dasch u. Дашковъ, Seemann (eig. Samen-, Semenmann) u. Семеновъ (семя Same), Rauch,

 

 

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Rauchmann u. Дымковъ, Дымновъ (Дымъ Rauch), Daniel u. Даниловъ, Denker, Думанскій (дуать, denken), Arl-t u. Орловъ, wozu auch Adler gehört, Kuhl, Kulmann u. Кулаковъ, Кулаковскій (gewiss ein slaw. Name von куль Mattensack, daher Sackmann), Schmitt u. Кузнецевъ, Dahl, Dahlmann und Дализинъ (долина, ahd. tal Thal), Kessel, Keszler u. Котлеревскій (котелъ, ahd. chezzil), Becker u. Хлѣбниковъ (Хлѣбъ, Brodt), Sauer, Sauermann u. Киселъ, Sonntag u. Воскресенскій etc. etc.

 

c. Die Sitten und Gewohnheiten beider Völker waren ursprünglich dieselben, wenn wir die Nachrichten über die alten Deutschen mit den Überresten der Art in dem Leben des russischen Bauers vergleichen.

 

Beide Völker waren und sind Ackerbau treibende und nicht erobernde und Krieg führende, bei beiden war die Leibeigenschaft üblich, und die Familienglieder und Sclaven bildeten zusammen die Familie wie noch vor Kurzem in Russland. Die alten Deutschen wohnten in einzeln liegenden Gehöften, die mit einem Holzgeflecht umzäumt waren, wie man das noch heute im Innern Russlands nicht selten sieht, und die einzelnen Abtheilungen waren durch Flechtwerk, oft auch gar nicht von einander geschieden, nur das Wohnhaus war aus festern Stoffen erbaut worden, zum Theil sogar in der Erde. Das Dach nur trugen Eckpfeiler. Der Familienvater war das Haupt des Ganzen, er lenkte und leitete dasselbe, und der Aeltste der verwandten Familien war wieder das Oberhaupt dieses grös- sern Ganzen, der die Angelegenheiten dieser Familien leitete durch Berathungen, an denen jedes freie Glied Antheil nahm und Stimmrecht hatte. So gingen die Kreise weiter, bis sie das ganze Volk auf dem Thing umspannten. Der Familienvater war der Richter seiner Untergebenen und verhängte und führte eine jede Strafe aus, ihm gebührte also unbedingte Folgsamkeit: hatte er Zeit frei, so schlief er oder ging auf die Jagd oder zu Gaste. Auf der Frau dagegen ruhte die Hauptlast, sie musste mit den Greisen, Kindern und Sclaven den Acker bebauen und die Ernte einbringen, das ganze Hauswesen besorgen, backen und Meth, russ. Мёдъ, bereiten, einschlachten lassen, spinnen und weben, die Kleider für den gewöhnlichen

 

 

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Gebrauch und Ehrenkleider zum Putz und Verschenken bereiten, bei Festen die Gäste bedienen und ihnen den Meth in grossen Auerochsenhörnern kredenzen etc. und dabei hatte sie oft eine rauhe Behandlung von dem Manne zu erdulden, wenn gleich dieser wiederum auf ihr Wort horchte, dennoch war sie gleichsam seine Sclavin. Jeder Freie trug langes Haar und einen langen, weiten Talar oder Pelz, der Unfreie hatte dagegen geschorenes Haar und einen kurzen, engen Überzug, ähnlich dem russ. Chalat, des Freien Schmuck war der lange Bart — Langobarden! der Sclav durfte entweder keinen oder nur einen sehr kurzen tragen. Ihre Hauptnahrung war Fleisch und das Hauptgetränk Bier oder Meth. Passen etwa die meisten dieser Züge nicht noch heute auf den russischen Bauer? er ist des alten Deutschen treues Ebenbild!—

 

3. Wenn die Slawen und vorzüglich die Russen mit den Germanen und besonders den echten Deutschen ein einziges Volk gebildet und unter einander gewohnt haben: so müssen auch die Volkserzählungen beider Völker d. h. ihre Märchen, Sagen und Erzählungen, da sie meistens Produkte der alten Zeit sind, in ihrem Inhalte übereinstimmen. Dieses ist in Wahrheit der Fall, wie man sich aus Grimm’s Hausmärchen und Sagen und Afanasziew’s Sammlungen, aus dem Munde beider Völker aufgelesen, überzeugen kann. Woher kommt das, wenn mein Satz nicht wahr ist? — oder will man etwa annehmen, dass sie aus einem Volke in das andere durch Erzählung verschleppt worden seien? welcher russ. Bauer kam aber nach Deutschland oder welcher deutsche nach Russland, um diese Masse solcher Erzählungen aufzulesen? oder fand etwa unter den beiden Bauernständen dieser Völker ein frequenter Verkehr Statt? Herrn Afanasziew’s Resultate würden noch weit zahlreicher ausgefallen sein, wenn er des bändereichen Sagenschatzes der Deutschen Herr gewesen wäre: aber auch für das Geleistete muss ihm jeder Freund des Vaterlandes und der Wissenschaft innigst danken, möge er wacker und unermüdet fortsammeln und fleissige Nachahmer finden! Ferner erwarb sich der tüchtige Gelehrte, F. J. Buszlaew das Verdienst, dass er in der Murm’schen Legende die uralte Sigurd- oder Sigfriedssaga nachwies, die sich bei den alten Indern, Persern, Armeniern, Türken,

 

 

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Russen, Finnen, Schweden und Deutschen findet: was bedeutet das? — dass wenigstens die Russen und Deutschen gleichzeitig aus Asien in Europa einwanderten und, nach dem Vorhergehenden, in dem eigentlichen Deutschland bei und unter einander lebten und wohnten; denn sie brachten die Sigurdsaga und andere Erzählungen gemeinschaftlich aus Asien und bildeten sie in Europa eben so fort. Nachdem sich beide getrennt und die Russen Jahrhunderte lang abgeschlossen gelebt hatten, so nannten sie die Deutschen, welche ihre Sprache verlernt und beider Völker Sprachen in ihrem Entwickelungsgange verschiedene Pfade eingeschlagen hatten. нѣмцы d. h. Stumme. Wenn endlich Herr Kunik (s. obige Schrift) aus der ersten Nowgoroder Chronik zum Jahre 1203 beibringt, dass Thidrek von Bern d. h. Bonn erwähnt sei und поганный, злый, verdammter, genannt wird: so stimmt das mit der deutschen Mengsage des Mittelalters vollkommen überein, und mahnt die russischen Gelehrten zum eifrigsten Nachforschen nach diesem und vielem Andern der Heldensage, was sich gewiss finden wird. Wenn Herr Kunik diese Notiz aber für ein späteres Einschiebsel erklärt und sie für eine Ueberlieferung aus Byzanz und Italien hält, weil schon die Sage vom wilden Jäger bei den Arabern des zehnten Jahrh. existire, womit die Thidreksage durchaus nichts zu thun hat: so ist derselbe, offen gestanden, im Irrthume; denn 1) ist das Jahr 1203 eine Zeit, wo die Russen in ihrer neuen Heimath von ihrem Hauptbekämpfer und Hauptvertreiber aus ihrer Urheimath, wie wir ihn oben kennen gelernt haben, noch erzählen konnten, ja noch zu erzählen wissen mussten, und wir begreifen ganz, dass sie ein volles Recht hatten, den Thidrek поганный, злый zu nennen d. h. echt russisch, dem Sinne nach: der verächtliche, nichtswürdige Feind, Vertreiber, und 2) wenn diese Notiz nicht eine nationelle Ueberlieferung, sondern „ein späteres Einschiebsel“ wäre: so stände diese Annahme mit jenen Volksüberlieferungen der Siegfriedsage, der Märchen und Sagen in dem schroffsten Widerspruche, was durchaus unzulässig ist.

 

Hierzu kommt endlich die Sage von Walthari von Waskastein; denn sie findet sich bei Boguphalus unter den Polen, unseren Pulinen von der Weser: wie kam sie, frage ich auch

 

 

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hier wieder, unter die Polen, wenn unser aufgestellte Grundsatz, nach dem ihr Dasein so begreiflich, nicht wahr wäre? oder soll auch sie hierher von Niederdeutschen verschleppt worden sein, wie jene Notiz über Thidrek in der Nowgoroder Chronik, nach der Ansicht Herrn Müllenhof’s, der aber dennoch der alten Sage einen historischen Grund vindicirt? vgl. Haupt Zeitschr. XII, 253 ff. Bekanntlich besassen wir das Waltherlied bisher nur in einer lateinischen Uebersetzung von Ekkehard, aus der ersten Hälfte des zehnten Jahrh., aber die forschende Neuzeit hat nicht allein jene polnische Sage, sondern auch Bruchstücke eines mittel- und althochdeutschen, ja sogar angelsächsischen Gedichts aus dem 9ten Jahrh. aufgespürt (s. Haupt I. c. II, 217 ff. XII, 264 ff.). Nach diesen Quellen erkennen wir jetzt, dass die Walthersage sich in drei Zweige spaltete und zwar 1) in die alemannische, an die sich das Niebelungenlied und Biterolf anlehnen, sie sind also in Alemannien entstanden (darüb. ein anderes Mal); 2) in die fränkische Sage, nach der Etzel (Atli) den geflohenen Walther verfolgen lässt und dieser mit den Verfolgern, anstatt der Burgunder in der alemannischen Sage, kämpfen muss, und 3) in die polnische Sage, die sich an die Thidreksaga anlehnt und mit dieser auf dem angelsächsischen Gedichte fusst; nach ihr kämpft Walther, ermuntert durch die entführte Braut gegen einen Alemannen am Rheine, nahe von Wasichenstein. Wenn nun die Pulinen, die Urvorfahren der heutigen Polen, nicht an der Weser d. h. zwischen den Sachsen und Westfalen gewohnt haben, woher kommt alsdann diese Uebereinstimmung der polnischen Walthersage und der Thidreksaga und des angelsächsischen Gedichts?— Die Thidreksaga (c. 134 ff. 193 ff.) erzählt genug von Thidrek’s und Widga’s Riesenkämpfen im slawischen Osten und zwar immer in Verbindung mit Atli (s. oben). Widga geräth sogar in Osangtrix Gefangenschaft, aus der ihn Wildifer befreite: ist das erdichtet worden oder denkbar? so das angs. Gedicht. Atli führte mit Thidrek viele Kriege mit den Slawen, bevor er zum Ziele gelangte, diese wohnten ihm ja im Osten, aber nicht im heutigen Russland, wie wir gesehen haben. Nun erscheint aber Hildegunde als Schwester des Ilias, die nach „Dietrichs Flucht“ dem Atli vergeisselt wird: ist das etwa undenkbar?

 

 

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und wie wenn der spätere Iron von Smalent dieser Ilias wäre? denn das li in diesem Namen konnte sich so verwischt haben in dem deutschen Gedichte als Quelle, dass man es für r las und Iras, Iron war da. Als Herrscher von Smalent d. h. Schmalkalden war er richtig Regent der Südruzen oder Südslawen, da die Wilcinen nordwestlicher wohnten, an den Pulinen und in Westhessen hinab. Hiernach sind alle übrigen Darstellungen der verschiedenen Gedichte, welche Notizen über Hildegunde enthalten, leicht zu enträthseln. Sie mochte mit Walthari verlobt sein, diesen sehen wir überall auf Erminrek’s Seite stehen, also gegen Thidrek und somit auch gegen Atli, den wir aber nirgends den Rhein überschreiten sehen, mithin kann er auch Atli’s Geissel nicht gewesen sein, wozu ihn offenbar erst die spätere Sage und die deutschen Epen gemacht haben. Nun begann aber Atli seine Kriege mit dem Slawen in Folge, dass ihm die junge Erka=Helche als Gattin verweigert ward, er liess sie entführen, woraus sich diese langen Kriege entwickelten: Osantriks (wie er slawisch zu schreiben ist), deutsch Osorich begann Krieg und verlor Schlacht und Leben, und damals muss Hildegunde bald vergeisselt worden sein, weil der Neffe Hertnid in der Regierung folgt. Von Damenentführung haben wir oben genug gehört. Walther, der seine Braut Vergeisslung erfährt, machte sich wahrscheinlich auf zu Atli nach Soest, spielte hier vielleicht Rodolf’s Rolle bei Osantriks, erwarb sich durch Thaten dessen Vertrauen und—entführte am Ende seine Braut: warum liess ihn sonst Atli verfolgen, wenn er ihn nicht getäuscht und betrogen hätte? — als Geissel konnte er ihn eher, als wie den freien Mann wieder erlangen. Diese Entführung Hildegunde’s muss aber zwischen Erka’s Entführung durch Rodolf und die Schlacht bei Gronsport an der Mosel fallen; denn Hildegunde ist Erka’s Schatzmeisterin und Walther fällt in dieser Schlacht. (s. oben). — Diese polnische Sage von Walther steht also mit dem beigebrachten aus der russischen Sagenwelt und mit meiner Ausführung des Bisherigen in vollkommener Harmonie und stützt meinen Grundgedanken mit: scheide man nur das reine Gold-von den Schlacken in der Mengsage.

 

 

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4. Die bisherigen Resultate werden aber endlich durch die vollkommste Harmonie in dem Baue der Sprachen beider Völker zur Wahrheit reinsten Gehaltes erhoben.

 

Herr Kunik a. a. O. meint zwar, dass das betreffende Element in der russischen Sprache kein deutsches, sondern mehr ein gothisches sei: waren denn aber die Gothen keine reinen Germanen? sie gehören ja bekanntlich zu deren Grundstamme, wie konnte Herr Kunik also zur Vertheidigung seiner Ansicht ein solches quidproquo aufstellen? —— Ich mag ihn nicht mit philologischen „Spielereien“ besonders in Hinsicht der Eigennamen belästigen, auch hier sollen, wie in dem bisher Ausgeführten, nur „Facta“ reden, die, wie ich hoffe, mir Niemand widerlegen soll und kann, aber bemerken muss ich vorher noch, dass Herr Kunik selbst in Hinsicht der Ableitung des Russennamens, abstammend von der schwedischen Königsfamilie der Roisi und weil die Lappen die Russen noch heute Rootsi nennen, kein Factum aufgestellt hat; denn 1) ist Herr Kunik den Beweis schuldig geblieben, dass die Ruriker in der That zu der Königsfamilie der Rotsi, also vom Könige Ros abstammend, gehörten! 2) fehlt der historische Beweis, dass die Ruriker dem Volke den Namen Russen wirklich gegeben haben, wozu die Notiz Nestor’s, wie wir oben gesehen haben, durchaus nicht ausreicht, vielmehr umfassender gedeutet werden muss, wie Nestor’s kurzer Stil überhaupt gebietet, u. 3) ist der lappische oder finnische Name Rootsi dasselbe, was das Wort Russe besagt, weil der Lappe nach dem Geiste seiner Sprache die Stammsilbe gewöhnlich lang spricht und in Namen, besonders fremden, gar oft ts für sz setzt. s. jedes Lexicon.

 

Ich lasse freiwillig diese Gelegenheit vorbeigehen, meinen etymologisch-philologischen Kram auszulegen; denn alle hierher gehörigen Momente gehören in die Grammatik und sind allen indogermanischen Sprachen bald mehr bald weniger gemeinsam, aber das ist wahr und ausgemacht, dass die Russen zu der Erklärung und dem gründlichen Verständniss ihrer Muttersprache durch ein gründliches Studium der deutschen Sprache ungemein Viel gewinnen können, wie Herr Buslajew durch seine rein wissenschaftlich gehaltene Grammatik der russ. Sprache bewiesen hat, aber nicht etwa deswegen, weil die Deutschen

 

 

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die beste Grammatik überhaupt hätten, sondern weil die deutsche Sprache die reichste Literatur seit der ältsten Zeit besitzt und so Manches erhalten hat, nach dessen Aufklärung man in anderen Sprachen vergeblich forscht. Dass die Sprachen beider Völker fast dieselben Wurzeln, Wortbildungen und denselben Satzbau haben, dieselbe Declinations- und Casusbildung im Russischen wie im Althochdeutschen durch Pronomina demonstrativa vorliegt, während sie das Personalpronomen zur Bildung der Personen des Verbi verwenden, dass sie denselben Bau der Pronomina besitzen, die Reduplication, den Ablaut, Auflaut und Umlaut haben; etc. etc.: das Alles haben auch die anderen verwandten Sprachen bald mehr bald weniger, wie ich schon gesagt habe. Auch jene Masse alter und fast gleich geformter Wörter beider Sprachen will ich übergehen, wie z. B. russ. идти u. ahd. idan gehen, russ. скоро u. ahd. skioro schnell, nhd. schier, rein, gar unter den Naturprodukten, wie russ. рожь ( offenbar aus g, wie богъ - божій) ahd. rogg Roggen, russ. рѣдка ahd. ratih Retlig, russ. лукъ ahd. louh Lauch etc., auch das Thüringische, obgleich wir oben sahen, dass die Ruzen eben in Thüringen gewohnt haben und das Volk die Sprache bildet, wie z. B. thür. Debe eine leichtsinnige Weibsperson und auch eine Hündin, russ. дѣвица, thür. teite u. russ. дядя, thür. mî wir, russ. мы, etc. aber darnach will ich mit allem Nachdrucke gefragt haben: Welche zwei indogermanischen Sprachen haben, wie das Russische und Deutsche diese Masse von veralteten Substantiven als Praepositionen mit dem Genitivo? wie z. B. rusz. в-мѣстѣ, an — Statt, для für дѣла, etc. Ja welche zwei Sprachen der verwandten Sprachen haben, wie das Russische, Althochdeutsche und Gothische in ihrem Conjugationsbaue nur das Praesens, das zugleich das Futur. vertritt, weil es kein eigentliches Praesens geben kann, das Praeteritum, den Imperativ, Infinitiv und das Particip? — Denn während die Griechen nach dem Beispiele des Sanscrit ihre Conjugation hinsichts der Tempora mit allen Finessen eines gebildeten Volkes ausbauten, beschränkten die kriegerischen Römer dieselbe nur auf die nothwendigsten Tempora, die Slawen und Germanen dagegen zeigen nur jene 5 Tempora und offenbaren uns keine einzige Spur von einem sechsten oder mehr: bilden sie noch

 

 

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nicht ein ursprünglich einziges Volk, und haben sie in Deutschland noch nicht zusammen gelebt und gewohnt? — dass die Neudeutschen mehrere Tempora haben ist eine Frucht aus dem Wiedererwachen der Wissenschaften und aus dem Lateinischen des 15ten und 16ten Jahrh. und hat mit jener entscheidenden Spracherscheinung durchaus nichts zu schaffen. Doch da fällt mir zum Schlusse noch ein curioses quid proquo als Factum zu einer schönen und gelehrten Hypothese ein, die ich nicht vorbeigehen lassen darf. Auch die semitischen Völker haben nicht mehr Tempora, wie die alten Deutschen und Russen, und dennoch blieben jene noch lange in Asien: aber sie haben das Praeteritum, Futurum, den Imperativ, Infinitiv und das Particip! aber kein Praesens; denn der Handel treibende Semite kannte seinen gemachten Gewinn (Praeteritum) und sein Gedanke war einzig auf den noch zu machenden gerichtet (Futur.), während der Slawe und Germane von diesem Ideale der Gewinnsucht in der Urzeit sichtbar nichts wissen wollte und das Futur. deswegen bei Seite liess: wer konnte hinter diesem Vorhange etwas mit Gewissheit lesen? ihn quälte seine Vergangenheit und Gegenwart zu sehr, und das war ihm genug, wozu das Dunkle erforschen? und diesen melancholischen Charakter hat der Russe bis heute treu bewahrt und beginnt erst heute das Tempus futurum allmälig zu bebauen, während der ihm vorangeeilte Germane seit der Reformationszeit von den Römern gelernt hat, im Reiche der Ideale d. h. der Zukunft (Tempus futurum), in der ihm das Himmelsgewölbe voll Geigen und Trompeten hängt, rein weg zu schwelgen und die Erde, auf der er lebt, fast ganz zu vergessen, als ob er gleichsam schon, wenigstens halb im Himmel wohne! Doch ich wollte eine gelehrte Hypothese calculiren, die ich beinahe vergessen hätte. Wie wäre es, wenn ein Gelehrter nachforschte und sein Urenkel einst nachweisen würde, dass die pelasgischen Stämme in Asien mehr südlich gewohnt, die Slawen und Germanen, unsere Ururgrossväter aber mehr die Semiten berührt hätten? Daher stamme auch jene Harmonie und Dissonanz in der Anzahl der Tempora! — Dem mag sein, wie dem will: ich für meine Person halte mich an die Gegenwart und trachte meine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen: mein Beweis, hoffe ich, steht fest.

 

 

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Excurs 1.

 

Die Beschaffenheit der Sage.

Gegen Müllenhoff.

 

Die meisten Gebildeten und Gelehrten haben noch heut’ zu Tage die wunderlichsten Vorstellungen und Ansichten von der altdeutschen Heldensage, worüber man durchaus nicht staunen kann, wenn man in ihr das Conglomerat der vielen Jahrhunderte nach ihrer ersten Veranlassung scharf in das Auge fasst und das Ganze überschaut, dessen Entzifferung eben so viele Studien, als Ueberlegungen und Erwägungen erheischt. Gewöhnlich glaubt man, dass der Inhalt unserer alten Sage entweder ganz so, wie er uns vorliegt, aufzufassen und zu erklären sei, oder, da dieses nicht angeht, das Ganze eine reine Fabel und Erdichtung wäre. Doch weder das Eine noch das Andere kann das Richtige enthalten, da beides der wirklichen Natur der Sage oder mündlichen Erzählung geradezu widerstrebt. Unsere Sage erzählt solche Heldenthaten, denen man den historischen Grundstoff nicht absprechen kann, die aber in der jahrhundertlangen mündlichen Wiedererzählung vielerlei Fremdstoff durch Verwechslung von verwandtklingenden Namen und ähnlichen Vorfällen in das Ungeheuere wuchsen und so gänzlich überwuchert wurden, dass man in ihr kaum noch das einfache Wahre wieder zu erkennen vermag. Die mündlichen Erzählungen unserer Tage bestätigen dieses vollkommen; denn man darf nur eine ganz unschuldige Wahrheit aussprechen, deren erster, zweiter, dritter, etc. Wiedererzähler unabsichtlich oder absichtlich sich gewiss kleiner Verdrehungen in ihr erlaubt, wozu nun Namenverwechslungen u. dgl. mehr gar bald hinzutreten, bis am Ende ein wirkliches Monstrum von Bericht dasteht. So ist es auch mit unserer alten Sage geschehen, welche aber unsere meisten Gelehrten in der guten Absicht, sie aufzuklären, noch mehr verdunkelt und verwirrt haben, weil sie ihren Inhalt, wie er in ihr vorlag, vornahmen und an eine vorher nothwendige Scheidung des Ursprünglichen von dem später Hinzugefügten nicht im Entferntsten dachten, obgleich das Ursprüngliche in

 

 

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einer jeden Sage immer wieder durchbricht, alle unsere Sagen in jeder Gestalt und die meisten und wichtigsten alten Gedichte mit ihrem Inhalte bald mehr bald weniger in die Gegenden des mittlern Rheins unabweisbar verweisen: hier ruht ihr Mittelpunkt, und von hieraus verlaufen sich ihre Strahlen und Variationen nach allen Himmelsgegenden, je nachdem wohin die Betheiligten der handelden Menschen und Völker durch das Schicksal geschleudert wurden, wodurch eine neue Wandlung durch eine neue Localisirung in dem Inhalte bedingt war. So gehörte z. B. gewiss der berühmte Schmied Wieland ursprünglich den hessischen Dänen an und ihre späten Nachkommen haben ihn nicht mit Unrecht in Seeland localisirt.

 

Unter jene Gelehrten muss ich leider auch Herrn Müllenhoff rechnen, der jüngst in einer gelehrten Abhandlung in Haupt’s Zeitschrift für deutsches Alterthum Band XII, 253—386 „Zeugnisse und Excurse zur Deutschen Heldensage“, alle Gelehrsamkeit und weitgreifende Belesenheit aufgeboten hat, unsere alte Sage erklären zu wollen, sie aber in Wahrheit noch mehr verwirrt hat. Denn das Nothwendigste auch für Herrn M. war, der Sage wirkliche Heimath und Localität erst aufzusuchen, bevor er an deren Erklärung ging, und es würden sich auch ihm ganz andere Resultate dargeboten haben. Ich halte mich hier nur an das, was er über Thidrek, die Wilcinen und Ruzen gesagt hat, und werde ihn wo möglich mit den eigenen Waffen zu widerlegen suchen.

 

Das steht nach dem bisher Ausgeführten von vorn herein fest, dass an eine absichtliche Uebertragung der Erzählungen von Thidrek von Bonn auf Theodorich, den Grossen nicht zu denken ist, sondern dass beide Helden nur durch die Deutschen und zwar durch die deutschen Geistlichen und Reisenden unbeabsichtigt mit einander in der Erzählung verwechselt wurden, da sich die Sage nicht unterdrücken lässt, und die Geistlichen kamen im Mittelalter einzeln oft nach Italien. Ihnen erzählten die Italiener noch von Theodorich, dem Gothenkönige, und die Deutschen sprachen von ihrem Thidrek von Bern d. h. Verona=Bonn: aber in Italien war auch ein Verona sogar noch mit Baudenkmälern von jenem Theodorich,

 

 

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solche hatten sie in der Heimath von Thidrek nicht gesehen: wer hatte also Recht und was war das Richtige? natürlich war nun Thidrek einerlei mit Theodorich, zumal da der Deutschen Sucht die Wahrheit lieber in der Ferne, als in der Nähe, Heimath sucht. Hier nach giebt sich nun Herr M. alle Mühe, jene Denkmäler Thidrek’s, wie sie in der Saga c. 414 genannt werden, in Italien und zwar in Verona und Rom nachzuweisen, ohne vorher unwiderlegbar dargethan zu haben, dass Romaburg nicht Trier an der Mosel, sondern Rom an der Tiber sei. Auch Zosismus nennt Trier „die grösste Stadt jenseits der Alpen“ d. h. natürlich des römischen Reichs, dessen zweites Rom es war (s. oben), denn Trier’s Brücke, welche heute am Südende der Stadt liegt, befand sich zur Zeit der Römer in der Mitte der Stadt, diese liebten Trier sehr (s. oben) und nicht weniger die in seinem Besitze ihnen nachfolgenden Franken, denen Trier als wahre Romaburg erscheinen musste, wie sie von Rom nicht reden konnten, da die meisten von ihnen dieses nie gesehen hatten. Ferner lagen beide Schlachtenorte, Gronsport und Graechenburg mit der Romaburg an einem und demselben Flusse, der Mosel und nicht an der Tiber, mithin kann dieses nur Trier sein. Endlich habe ich oben gesagt, dass die Deutschen diese Verwechslung Thidrek’s und Theodorich’s hauptsächlich den Zügen der deutschen Kaiser nach Italien und Rom zu verdanken hätten, und hier giebt mir Herr M. leider seinen Stoff als Waffen gegen ihn in die Hand. Denn der erste deutsche Kaiser, welcher sich die Kaiserwürde auf einem statlichen Heerzuge aus Rom holte, war Ludwig, das Kind, 898 — 911, worüber die Geistlichen sich natürlich freuten. Otto I 936—73, Otto ll 973—83 und Otto III 983—1002 sahen sich durch politische Verhältnisse zu solchen Römerzügen genöthigt und wurden Schirmvögte zu Rom, ja erst Heinrich II, der Heilige 1002—24 nahm die deutsche Kaiserkrone als Lehn aus den Händen des Papstes an, und seit der Zeit war ein Römerzug jedem neuen Kaiser eine Nothwendigkeit. Nun heisst es in der Thidreks. c. 414: „König Thidrek hat nun manche grosse Werke (Cod. B: gar gewaltige grosse Werke) ausgeführt, welche man noch sehen kann: das Bad, welches Thidreksbad heisst“, etc. die

 

 

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Statue des Hengst’s Falka in Romaburg und seine Statue in Bern, weiter ist nichts genannt worden; denn hierauf ist die Rede von den Bildnissen, die man von ihm malte und machte. Wo ist hier die Rede von Häusern Thidrek’s? denn er zog in Romaburg d. h. Trier ein und eroberte es nicht, Erminrek’s und der römische Kaiserpalast lag zu seinem Empfange bereit, was ausdrücklich ja gesagt worden ist! Nun erzählten aber die Italiener den deutschen Kriegern von Theodorich’s, des Grossen Häusern, die da waren, und da Thidrek dieselbe Person ward, so gehörten dem rheinischen Franken die ital. gothischen Häuser, weil die Deutschen vergassen, dass Romaburg Trier und nicht Rom sei, da Trier bis zu 1050 in seiner frühern römischen Pracht gewaltig herabgekommen war, indem schon Karl, der Grosse die schönsten Kunstschätze von hier nach Achen bringen liess. Nun fallen aber auch die ältsten Urkunden, welche von Häusern Thiederich’s in Italien reden, erst in die Regierungszeit Heinrich’s II, des Heiligen; denn Thietmar von Merseburg, der ältste Berichterstatter, den Herr M. hat auftreiben können, vollendete die fünf ersten Bücher seines Werkes im J. 1012 und er nennt zuerst 4, 21 (Pertz mon. SS. II, 776) zum J. 998, also unter Otto III, das Mausoleum Hadriani domus Thiederici. Schon die Schreibart Thiederici zeigt deutlich, dass nicht der Trier’sche Thidrek, sondern Theo- dorich M., der Gothe gemeint sei, dem auch Rom gehörte, er aber in Verona residirte, jedoch jenes Mausoleum Hadrian’s, wenn er nach Rom käme, zur Wohnung sich vorbehalten haben mochte, wie wir aus einem spätern Berichte schliessen dürfen. Nicht anders sind die zwei nächsten gleichzeitigen Quellen: Quedlinburg. Annalis und annalista Saxo (Pertz I. c. III, 74 u. VI, 642.) zu verstehen. Anders verhält es sich mit Theodericus de Niem (hist. Basileae 1566), wo es ausdrücklich heisst: Mausoleum (Hadriani) vulgariter carcer Theodorici appellatur propter Theodoricum regem Gothorum, qui quondam illud in praesidium pro se tenebat, so war es zu Otto, des Grossen und noch zu Heinrich’s IV Zeiten genannt, als dieser 1083 in Rom erschien. Passt das auf Thidrek von Trier oder Bonn und zu jener Stelle der Thidreksaga? — So wohnt nach Ekkehard chron. (Pertz I. c.

 

 

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VI, 205) zu seiner Zeit Papst Hildebrand in castello Crescenti, quod vulgo domus Theoderici appellatur, und so nennt dasselbe Sigibert Gemblac. ad a. 1085 (Pertz I. c. p. 365) einfach domus Deoderici, aber die annal. Pegaviens. (Pertz I. c. XVI, 238 f.) reden schon von einem domus Tiderici, und nach dem Italiener Liudprand (antapod. 3, 44) zum J. 932 lag es an der Tiber, über die eine kostbare Brücke führte, vor der ein Thurm zur Bewachung stand, auf den nach Herman von Fritzlar (deutsche Myst. 1, 103) Gregor, der Heilige, einen marmornen Engel zu der Abwendung der Pest im J. 590 setzen liess, wie auch die legenda aurea (ce. XLVI, 4) und Roth’s Predigten, (aus dem 12 oder 13 Jahrh.: ûf Dietrîches hûse, S. 76.) melden. Sonderbarer Weise erzählt aber auch Gregor von Tours im J. 542, als in Trier die Pest wüthete, dass die Teufel des Nachts geschrien hätten: „Was sollen wir hier länger, Kameraden? An einem Thor lauert (der Heilige) Eucharius, an dem andern Maximinus (der Heilige), in der Mitte (der Heilige) Nicetius?“ Wie nun, wenn Herman von Fritzlar (das nicht weit von Trier liegt!) als der erste Berichterstatter und Geistliche die Nachricht aus Trier, da sie die ältere und natürlichere ist, zur Verherrlichung Gregor’s des Heiligen und zur Erklärung des Daseins jenes marmornen Engels oder besser der Statue benutzt und angewandt hätte? — Herr M. wird mir freiwillig zugestehen müssen, dass, wenn es mit seinen „Zeugnissen für altdeutsche Sage“, da sie das gerade Gegentheil aussagen von dem, was er beweisen will, so aussieht, seine Arbeit grössten Theils vergeblich war. Denn Niemand wird mehr unter Theodorich, dem Gothenkönige, dieser ältesten Quelle, den rheinischen, deutschen Thidrek verstehen. — Doch Herr M. giebt uns noch mehr Kunde von solchen Dietrichshäusern: das zweite domus Theodorici ist das Amphitheater in Verona in Italien, das der Gothe Theodorich, der Grosse entweder wieder hergestellt oder auch erbaut hat: was hat aber der deutsche Thidrek mit ihm zu schaffen? ja giebt und gab es in Trier etwa kein Amphitheater der Römer? s. oben. Wie nun, wenn man beide mit einander verwechselte und so zur Gewissheit gelangte, dass Theodorich

 

 

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Thidrek sei? denn auch das Amphitheater zu Trier lag ausserhalb der städtischen Ringmauer, welche die Römer aufführten! Die Quellen sind: die Pegauer Annal. (Pertz I. c. XVI, 239) bemerken in der Mitte des 12ten Jahrh. zum J. 1083, dass Heinrich IV, als er Rom erobert habe, vor Verona erschienen sei und sich apud domum Tiderici (der doch gewiss Theodorich M. ist!) gelagert habe. Nun hat aber Theodorich M. die Stadtmauer von Verona erneut, das Amphitheater lag auf dem rechten Etschufer und innerhalb der Mauer, mithin war dieser Stadttheil 1083 wieder ohne Mauer. Die Burg und Hauptfeste lagen, wie noch heute, auf dem linken Etschufer jenseit der altrömischen Marmorbrücke, wornach nun Luidprand (antapod. 2, 40) dasselbe beschreibt, worin ihm der Pegauer Annalist bald nach 1157, so auch das Chronic. Gozecense zum J. 1090 (Pertz. I.c. X, 149) und zwar nach eigener Anschauung, das Amphitheater mit dem Colisseum in Rom (Romulo theatro!) vergleichend beistimmen, indem letzeteres hinzufügt, dass die Veroneser Volkssage, deren Quelle unverkennbar der deutschen Krieger mündliche Erzählungen war, den Theodericus (der ital. Gothe), rex Hunorum (deutsche Erzählung, da Thidrek nie nach Italien gekommen ist!) als Erbauer nennt und usque hodie domus Theoderici domus appellatur. Nach der „Flucht Dietrichs“ v. 324 hat nun gar schon Dietmar, Dietrich’s Vater, „daz wunderhûs ze Berne“ erbaut, natürlich nach der Mengsage und Phantasie des Dichters; denn nach jener kam Samson mit seinen Söhnen aus Italien, eroberte das Amlungenland, Bern d. h. Bonn und Romaburg d. h. Trier und erhob Erminrek zum König von Trier, den Dietmar zum Könige von Bonn, wo er sich einen Palast erbaut haben mag, von dem die Sage noch zu sagen wusste, und den Aki zum Herzog von Fritilaburg d. h. Friedberg in der Wetterau! Ja nun hat Steinhöwel (chronica Ulm. 1473 bl. 10) ganz Recht, wenn er den Dietrich nicht bloss in Verona, sondern auch Ravenna, da es eine berühmte Raben- oder Ravennaschlacht gab, die aber Traben-, Travennaschlacht, an der Mosel vorgefallen, heissen muss, „Wunderbauten“ aufführen lässt! vergl. Epp. obscur. viror. S. 303. Dagegen berichtet aber Hans von Mergenthal (Vulpius Curiositäten 3, 489) offenbar das Richtigere

 

 

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wenn er sagt, er habe mit Albrecht von Sachsen, Dietrichs von Bern wunderbarliches Schloss in Verona gesehen, was durch den Bericht aus der Reise einiger Zürcher vom J. 1545 erklärt wird: „zu Verona“ sieht man ein „wol würdig zu besehen, wärkhaft, mechtig gebuwen des Dietrichs von Bern hus, als die Tütschen nennen, sunst ist es ein theatrum colisseum oder rena d. h. arena, als ich mein von Veronesern geheiszen“ (Wackernagel in Haupt’s Zeitschrift 6, 156). Der Berichterstatter sah also richtiger, als Herr M., der ein Zeugniss für die deutsche Heldensage d. h. der Deutschen, denn die „Tütschen“ nennen das ital. Amphitheater nur so, weil sie ihr heimathliches zu Trier an der Mosel vergessen haben, in solchen Berichten erkennen will, da solche verschleppten, falschen Benennungen weder Quelle noch Zeugniss sein können, beide müssen urheimathlich sein. — Wenn endlich Scaliger den Dietrich die römische villa d. h. die jetzt sogenannte Grotte di Catullo auf der Halbinsel Sirmio im Gardasee erbauen lässt: so ist das aus des Philologen falscher Deutschthümlei im Gegensatze zu der Sucht nach römischen Antiquitäten leicht zu erklären: auch ein Deutscher verstand altrömisch zu bauen, und er kannte kein besseres Mittel, als demselben die römische villa zuzuschreiben! —

 

So weit reichen die Häuser Thidrek’s von Bonn in Italien, nachgewiesen durch Herrn M. und zwar als „Zeugnisse für die deutsche Heldensage“: ich hoffe, sie als unhaltbar als solche nachgewiesen zu haben, was aber für M. noch schlimmer ist, bleibt der Umstand, dass sie das Fundament für die folgenden Nachweisungen des Thidrekbades, des Kupferbildes des Hengstes Falka auf der Burgmauer und Thidrek’s Kupferstatue zu Bern bilden.

 

Herr Müllenhoff schreibt diese Worte nieder: Nach Cod. B. standen beide Bilder noch lange „in Rom nach seinem (Thidrek’s) Tode“, welcher Bericht mir nicht genau zu sein scheint, und ich gestehe es offen, dass ich gegen jeden Lachmannianer misstrauisch bin, da bei ihnen, wie bei dem Meister in der Wissenschaft gar oft der Zweck das Mittel zu heiligen scheint. Denn in meinem Texte steht Thidrek’s Statue ganz deutlich nicht in Romaburg, wie die des Hengstes Falka, sondern in Bern,

 

 

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also in Verona nach M.’s Darstellung, das aber nie Romaburg ist: und nannten die Deutschen Trier, das zweite Rom der Römer in ihrem Reiche, mit Recht Romaburg, so konnten sie und die Römer auch die zweite Prachtstadt der gewesenen Besitzungen am Rheine, Bonn billiger Weise das zweite Verona d. h. Bern auf deutsch nennen: aber eine solche Statue in dem ital. Verona zu documentiren, war unmöglich, mithin kann Bern auch Rom sein, hier fand sich ja die bequeme Reiterstatue Marc. Aurels!! — Doch dem Gedächtnisse und Verstande eines gewissenhaften Gelehrten darf nichts entgehen, in solchen, das grauste Alterthum aufhellenden Angelegenheiten muss auch das Geringfügigste wohl berücksichtigt werden: nun hat aber Herr M. mit keiner Silbe 1) nachgewiesen, dass Rom zu irgend einer Zeit Romaburg genannt worden sei und so genannt werden konnte, und 2) stand nach seinen eigenen Worten diese Reiterstatue Aurel’s zuerst neben dem päpstlichen Palaste und zuletzt auf dem Capitol: in der Thidreksaga lässt aber Thidrek die vollendete Statue — nicht bloss nach Cod. B! der nur „und oben“ hinzufügt — sogleich auf die Burgmauer stellen: wann hat Aurel’s Statue auf der Burg- oder Stadtmauer gestanden? mithin ist diese Nachweisung keine, vielmehr eine falsche Deutung. Herr M. hat diesen Widerspruch auch gefühlt, und wendet sich von diesen Statuen rasch ab, weil die „Dietrichshäuser, die wir schon kennen lernten“ (so! so!) wichtiger sind, ja „vielleicht eignete man ihm noch andre Bauten zu“, — gemach, mein Herr! — In Trier lag der Kaiserpalast in dem Nordtheile der Stadt, auf dessen Mauer diese Statue stand. Die Brücke über die Mosel lag zur Römerzeit in der Mitte der Stadt, in die man durch die porta nigra, die zu alten Zeiten Aldeport d. h. porta vetus hiess, einwandert, und ihr gegenüber liegt die porta alba, die zu den Thermen, Amphitheater, Circus etc. führt. Die alten Trevirer waren berühmte Reiter, die römischen Kaiser begünstigten die Pferdezucht und der Pferde Pflege und Abrichtung sehr, wie wir oben gesehen haben: wenn sie nun der Römer Pracht in einem so hohen Grade annahmen, in Rom es solche Reiterstatuen gab, und die Trierer solche Liebhaber von Pferden waren: so war ihre Stadt sicherlich auch mit solchen Reiterstatuen reichlich geschmückt,

 

 

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zumal da wir oben dergleichen geharnischte Ritter sogar in den christlichen Kirchen wahrnahmen. Wenn auf der andern Seite des Thidrek’s Falka in Trier wahrscheinlich endete, der ihn in allen Lebenslagen treu getragen hatte: so verdiente er, dass ihn sein Herr, wie einst Alexander M. den Bucephalus, ehrte und ihm ein Bild giessen liess und auf die Burgmauer stellte, da er nach Sigfried’s Grani das schönste und berühmtste Pferd war, wodurch er ja der neuen Unterthanen Eigenliebe und ihrem Geschmacke zugleich schmeichelte. Die Wahrheit dieser Sache wird durch das oben Ausgeführte in jeder Hinsicht gestützt, während Herr M. für die Richtigkeit seiner Ansicht keine einzige Quelle beibringen kann. Thidrek selbst scheint, nach Allem zu urtheilen, ein warmer Verehrer schöner Pferde gewesen zu sein, besonders der schwarzen, weswegen es nahe lag, dass ihn zuletzt, als er eben aus dem Bade kam, ein Höllenross entführte, weil er es zu besteigen sich nicht enthalten konnte, woraus denn nachher sein Verhältniss mit dem Teufel von selbst folgte, da er seine Zeit geistig weit überragt haben mag! Dass dieser Sagenauswuchs ein Werk der orthodoxen Geistlichen jener Rheingegend war, versteht sich wohl von selbst. — Doch das Thidreksbad, welches Thidrek erbaute, ist wieder das wichtigste, das man nach Herrn M. auf das balneum Gothorum in Ravenna bezogen hat, was aber nicht angeht, da Dietrich in Rom d. h. Romaburg wohnt, somit muss „der Ort jedenfalls in einer gewissen Nähe der Stadt gesucht werden.“ Der Abt Nicolaus in der Mitte des 12ten Jahrh. bezieht es nach Werlauff’s symb. ad geogr. med. aevi. p. 21 f. auf die Bäder in Boternisborg d. h. Viterbo in Italien, in dessen Nähe auch das balneum regis oder regium lag, welches schon Muratori dem Theodorich, nicht dem rheinischen Thidrek, mit Recht zuschrieb, und das muss auch der Abt Nicolaus gemeint haben, nicht die unbedeutenden Bäder zu Viterbo, die er einmischte; das Richtige erkannte aber schon Paulus Diacon. 4, 33, der Bagnarea d. h. königliches Bad sc. des gothischen Theodorich, des Grossen, wohin Abt Nicolaus nicht kam, an der Heerstrasse nach Rom, als deutscher Pilger, als Königsbad für den deutschen Dietrich beansprucht! Armer Thidrek! um dich zu baden, fehlt dir Rhein und Mosel,

 

 

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sie sind ohne Wasser! ach, du wolltest warme Bäder: nun, so spatziere von Bonn d. h. Verona am Rheine oder in Italien immer hin nach Rom und bade! Doch erinnere man sich, dass die Franken Trier viermal eroberten und theilweise verwüsteten, bevor sie festen Fuss fassten, die Trevirer waren durch die Römer an Luxus und Weichlichkeit gewöhnt, somit auch wie diese an die warmen Bäder, und da sie den Franken auch noch, als jener Lucius zu den Franken geflohen war und durch dessen Hülfe diese Trier eroberten, widerstrebten: so zerstörten sie ihnen gewiss zunächst die undeutschen ital. Bäder, an deren Wiederherstellung der ländersüchtige Erminrek als erster fränkischer König gewiss nicht dachte und der rachsüchtige Sifka gar nicht: aber der weiter schauende Thidrek als neuer und zweiter fränkischer König liess es nach unserm Texte seine erste Sorge sein, die Thermen der neuen Unterthanen wieder aufzubauen, wodurch er sie für sich unbedingt gewann, und aus Dankbarkeit nannten dieselben sie Thidreksbad! Diese Thermen lagen unmittelbar an der porta alba, auf der Seite des Amphitheaters etc. und nahe dem Herrscherpalaste. Hiermit stimmt auf das Vollkommenste jene Sage vom Höllenross, da nach ihr, bei Thidrek’s Pferdeliebhaberei, seine Wohnung näher gelegen haben muss, als Bagnarea vom Colisseum Hadriani in Rom, wozu sie durchaus nicht passt, unsere Thermen liegen aber nicht allein der Wohnung nahe, sondern auch im Freien, so dass Thidrek das wunderschöne, schwarze und wilde Höllenross angallopiren wahrnehmen kann und der gute Reiter und Freund von schönen Pferden bekommt noch im Alter eine natürliche Lust, das Thier zu besteigen und zu bändigen. Man erinnere sich, dass die Franken Freunde des Arianismus waren, die Trevirer aber strenge Orthodoxen Roms, und man begreift ganz, wie es kam, dass den Thidrek der Teufel holen muss, wornach auch die Bilder von ihm mit Hörnern etc. leicht zu erklären sind.

 

Das letzte und wichtigste Baudenkmal Thidrek’s ist seine eigene Statue auf einem Thurme in Bern. Wörtlich heisst es: „Ein anderes Bild liess er noch nördlich auf der Burg Bern nach sich aus Kupfer machen: dort steht er auf einem Thurm und schwingt sein Schwert Eckisax gegen die Steinbrücke,

 

 

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welche über den Strom liegt.“ So, meint Herr M., laute es nach Cod. B, der nach meiner Kunde aber nur „Bern“ richtig und „auch“ hinzufügt, nach Cod. A. gehöre sie nach Rom, d. h. Romaburg, was nirgends Rom im Sinne des Ganzen bezeichnen kann; denn die Ursage hat die Kritik aufzusuchen. Doch hier stört das „nördlich“ wieder auf eine unangenehme Weise, es wird aber durch ein salto mortale übersprungen. Denn in Rom stand ja, der Engelsburg gegenüber vor der Tiberbrücke ein hoher Thurm, geschmückt mit vielen Marmostatuen und Bildwerken: als aber 537 die Gothen hier anstürmten, da zerschlugen die bösen Römer alle diese Bilder und Statuen und schleuderten die Stücke auf die Gothen, doch Eine Statue ist „ohne Zweifel“, auf kritisches Gutbefinden Herrn M.’s, stehen geblieben, woraus alsdann den dummen Deutschen ihr Thidrek von Bern hervorging und hierdurch erst entstand der Name Dietriches hûs! Dieser marmorne Engel als Thidrek von Bern stand noch 1379, wo ihn Hermann von Fritzlar noch sah: aber 1497 warf ihn ein Blitz zur Erde, doch der fromme Papst Paul III stellt diesen deutschen Thidreksengel wieder her! etc. — Jedermann und auch Herr M. muss eingestehen, dass das keine Kritik in solchen Sachen geübt heisst! — Die Sache verhält sich so. Trier war (s. oben) das zweite Rom des römischen Reichs, und so mag Bonn dessen zweites Verona d. h. Bern gewesen sein. Nun wird Thidrek durch Erminrek aus Bonn vertrieben, er verliert die Schlacht bei Gronsport an der Mosel fast eben so gut, wie Sifka, aber nach langer Zeit fasst er nach Erminrek’s Tode wieder festen Fuss in seinem Reiche und wird als König wieder anerkannt, da fällt die Schlacht bei Graechenburg vor, in der Sifka fällt, und Thidrek als wirklicher Erbe und Sieger wird nun auch König in Romaburg d. h. Trier, das er wieder ausbaut und verschönert. Sein geliebtes Bonn vergisst er aber auch nicht, sich der schweren Katastrophe der Verbannung scharf erinnernd, lässt er in Trier, von dem aus Bonn nördlich liest, sein Bildniss aus Kupfer giessen und stellt es in Bonn auf einem Thurme gegenüber der römischen Steinbrücke über den Rhein, also auf der Nordseıte der Stadt auf, welches Bild das berühmte Schwert Eckisax schwang

 

 

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zur Warnung für jedes aus dem Norden etwa andringende Volk, andeutend, dass er sich sein Bonn nicht zum zweiten Male entreissen lassen werde, er sei stets schlagfertig; denn in Süden habe er keinen Feind mehr zu fürchten. Ist diese Deutung nach allen Verhältnissen eben so natürlich, wie richtig: so lässt sich auch begreifen, wie die Sage berichten konnte, Thidrek sei nach seinem Einzuge in Romaburg d. h. Trier herrischer d. h. offenbar wachsamer und pünktlicher hinsichts seiner Befehle geworden; denn man sieht deutlich aus dem Zusammenhange des Ganzen, dass er durch eine gewisse Gutmüthigkeit und Nachlässigkeit gegen den verwandten Erminrek seine Flucht aus Bonn selbst veranlasst und gefördert hatte. Mit Bonn’s Steinbrücke über den Rhein stand die westfälische Römer- oder Heerstrasse in Verbindung. Und hinterliess er im Norden bei seinem Scheiden von Atli keine Feinde? wie viele Kriege hatte er mit diesem gegen nordische Völker, dieser Thidrek von Bern, wie er auch noch als König von Trier so sichtbar heisst, geführt? oder kannten die nordischen Völker sein Geschick schon, dass er auch König von Trier sei? sein Bild in Bonn sprach es laut aus: Auch jetzt noch ist Thidrek von Bern hier, hütet euch! —

 

Ich könnte hier schliessen, aber ich muss Herrn M. noch weiter begleiten, da sein Name in Lachmann’s Schule von Bedeutune ist und zwar mit Recht; denn er ist offenbar des Meisters tüchtigster Geselle, mit dem eine Lanze zu brechen, keinem Besiegten Unehre bringt. Nur um das Eine ersuche ich ihn ernstlich, so fern er antworten sollte, den bekannten Lachmann’schen Grobianismus bei Seite lassen zu wollen und eines Gelehrten würdig zu streiten.

 

Herr M. stützt sich in dem, was er nun über die Wilcinen d. h. Wilzen und Ruzen sagt und beibringt, vorzugsweise auf Saxo’s Berichte, aber in einer Weise, dass man sich nicht genug wundern kann. Waren dem Herrn M. auch in diesem Felde, die Leistungen eines Raszmann zu berücksichtigen, zu unbedeutend? Es scheint unter den Lachmannianern immer mehr Mode zu werden, die Forschungen der jüngern Schule ganz zu negiren. Saxo bemerkt VI p. 274. über Starkad und Wasce,

 

 

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den Riesen, dass die Teutones d. h. die Deutschen diesen Wasce, mit Veränderung der Buchstaben, Wilzce nännten. Ich kann mich nicht enthalten zu bemerken, das Saxo’s Bericht die Frucht der geschäftigen Mengsage ist, und muss gestehen, dass es nicht schwer zu begreifen sei, dass unter diesem Wilzce der Wilcinus der Thidreksaga verstanden werden muss; wenn aber Saxo behauptet, dass dieser Wilzce der Deutschen einerlei mit Wasce sei, so ist das ein unglaubliches Ding, da beide Namen von einander so weit abliegen, wie Nowgorod und Kiel, und Herr M. hätte hier alle Ursache gehabt, die grösste Vorsicht zu beobachten; denn wer nur etwas von slawischen Sprachen versteht, weiss auch, dass der Name Wasce das Diminitivum von Wladimir, deutsch Woldemar ist, und da nun Herr M. im Verlaufe seiner Auseinandersetzung die Behauptung aufstellt, dass jene Sage von der Ruzen Woldemar erst nach dem Bilde Wladimir, des Grossen, also nach 1000 in die deutsche Sage eingedrungen sei, so hätte er billiger Weise begreifen müssen, dass die Sage oder Saxo diesen Wasce aus Woldemar, wie man Wladimir deutsch auch ausdrücken kann, geschaffen habe. Saxo empfing also wahrscheinlich diesen Namen von Slawen und vermengte damit der Deutschen Sage über Wilcinus; denn an Wadi lässt sich bei Wasce nicht denken. Starkad kämpft nun im heutigen Russland mit dem Wisinnus, der doch zu deutlich an Wilcinus erinnert und diesen offenbar bezeichnet, da ja dieser der Ruzen Land eroberte und durch seine fabelhaften Eroberungen wie ein Riese dastand! Hierauf kämpft Starkad mit dem Riesen Tanna, den Saxo eigentlich unter dem Wasce verstanden wissen will, die Sache läuft auf Eins hinaus, sein Bericht ist zu klar die jüngste Frucht der Verdrehung der Sage von Wilcinus bis Woldemar, oder der Wilcinen und Ruzen Kämpfe mit den Germanen um ihre Existenz in Deutschland bis zu beider Völker Abzuge. Denn im Grunde kommt ja wohl im Ganzen nichts darauf an, ob wir die Namen der Haupthelden wissen oder nicht: aber Herr M. geht rasch vorwärts, indem er die Thidreksaga auf Saxo’s Berichte fussen und darnach ihre Berichte über Wilcinus u. s. w. schaffen lässt, hätte er dagegen Raszmann berücksichtigt, so würde er dessen gesundes

 

 

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Urtheil gewiss nicht verworfen haben; denn derselbe sagt ausdrücklich, dass die Thidreksaga, da sie sich auf die mündlichen Erzählungen von Männern aus Bremen, Soest und Münster, auf die Bezeugung der Wahrheit ihrer Aussagen durch alle Sachsen und auf deutsche Lieder ausdrücklich beruft, gewiss schon im zehnten Jahrh. wenn nicht schon früher in Sachsen niedergeschrieben worden sei, woraus man, dem Saxo gegenüber, leicht das umgekehrte Verhältniss folgern könnte. Ich nehme aber an, dass keins von beiden stattgefunden hat, und Saxo in jener Stelle Dinge erzählt, wie er sie von Menschen, aus verschiedenen Volksstämmen herstammend, erfahren hatte. Auch das hat Raszmann angegeben, dass von Wilcinus die deutsche Urform Wilze sei: wenn nun aber Herr M. behauptet, dass derselbe „eine heroische personification des gleichnamigen slawischen Volks“ sei: so muss ich das für unglaublich halten; denn er wird in das graue Alterthum hinaufgerückt, und von den ältsten germanischen Völkern wissen wir, dass sie sich nach dem Beispiele der Römer vorzüglich Stammväter schufen, deren Namen gewöhnlich nach dem des Volkes gebildet war, und es liegt kein Grund vor, diesen Versuch, sich einen Stammvater zu geben, den Wilzen in diesem Falle zu versagen. „Was die Sage (von Thidrek) bestätigt;“ denn eben deswegen ist er der Wilzen erster König, lebte er so kurze Zeit und besass er dennoch jenes fabelhaft grosse Reich. So weit folgt Herr M. unserer Sage, nun überspringt er aber 400 Jahre und geht sofort zu den Wilzen zwischen der mittlern Elbe und Oder über; denn woher die Wilzen stammen und wo sie anfangs in Europa wohnten, was sie zwischen 400—800 gethan und erlebt haben, darüber erfahren wir keine Silbe. Wenn nun aber die Sage die mündlich überlieferte Geschichte eines Volkes in der Urzeit ist, so muss ich doch auch nothwendiger Weise zu erfahren suchen, zwischen welchen Völkern dieses fragliche Volk gewohnt und welchen Einfluss jene auf dieses ausgeübt haben können, um darnach ihre Sagen beurtheilen zu dürfen, oder ich laufe Gefahr, auf einem jeden Schritte, den ich thue, dem Reiche der Träume rettungslos zu verfallen. Darum

 

 

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ist das Studium und die Erforschung der Sagen so ungemein schwer und nicht einem Jeden vergönnt.

 

Doch gut, Herr M. führt uns sofort zu den historischen Wilzen zwischen dem achten und zwölften Jahrh. zwischen der mittlern Elbe und Oder bis gen Rügen hinauf, wann sie den Sachsen so furchtbar waren, und construirt von dieser Localität aus die Wilzen der Thidreksaga: hat denn aber Herr M. gar nicht daran gedacht, dass er dadurch die historischen Wilzen zu den Wilzen der Sage mache d. h. Jahrhunderte in ihrer Bedeutung geradezu umdrehe, dass wir, wenn wir so verfahren dürfen, am Ende gar keine Geschichte mehr haben und behalten? -— Wie kamen denn die Wilzen zwischen die Elbe und Oder bis Rügen hinauf? warum machten sie sich vorzüglich den Sachsen furchtbar, etwa bloss deswegen, weil sie neben diesen wohnten? — o nein, weil sie in ihrer Urheimath in Europa von den Sachsen so viel hatten erdulden müssen und von diesen aus jener offenbar vertrieben worden waren, deswegen waren sie der Sachsen Erbfeinde bis zu ihrem Untergange als selbstständiges Volk, und was erzählt uns die Thidreksaga von ihren beständigen Kämpfen mit den Westfalen d. h. Sachsen? — „Wenigstens im achten und neunten jahrh. hat der name Wilzi, gleich bedeutend mit Weletabi, diese ausdehnung; s. die stellen bei Zeuss 5. 655. anm, Notker Marcian Cap. 105“: aber ein solcher Beweis gegenüber der Urzeit der Sage passt, so zu sagen, wie die Faust auf das Auge d. h. ist gar kein Beweis; denn so waren die Wilzen zwischen der Elbe und Oder in dem 8 und 9ten Jahrh. beschaffen, wie waren denn aber ihre Verhältnisse vor 700 und wo wohnten sie damals?— oder waren diese damals etwa gar, wie nach 7 und 800? sind sie nach der Völkerwanderung in Europa etwa erst eingetroffen, oder wenn nicht, wie hat diese auf sie gewirkt? — Doch genug, in dem 10 bis 11ten Jahrh. hiessen die Südwilzen nicht mehr Weletabi, welcher Name ausser Gebrauch kam, sondern Liutici oder Lutici: warum aber? auch darin lässt uns Herr M. wieder im Stiche, und dennoch hat er selbst gesagt, dass die Wilzen zwischen dem 8 und 12ten Jahrh. den Sachsen furchtbar waren, und er merkte auch aus diesem Namen nicht, dass die Wilzen diese ihre Stellung vollkommen

 

 

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begriffen und als sich bewusste Männer auf sie hielten und pochten, worin auch wohl die nächste Veranlassung zu dem Verschwinden der Südwilzen zu suchen ist; denn wer nennt sie Liutici, Lutici? — deutsche Schriftsteller, weil dieser Name offenbar mit dem slaw. Worte Luidi, ludi d. h. Leute zusammenhängt, und es ist somit nicht gewagt, wenn ich annehme, dass die Wilzen den Sachsen gegenüber oft gesagt haben mögen: Wir sind Leute d. h. ganze Männer! weswegen ihnen die Deutschen jenen Namen gaben: Die Leutchen! ihre drohende Macht sank wahrscheinlich schon. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Lutici, Liutici keine anderen, als die slawischen Lutitschi (Лутичи, Лютичи) sind, worüber Keiner in Zweifel bleibt, der Schafarik’s slaw. Alterth. (deutsche Übers. II S. 549 ff.) gelesen hat. Dass aber ihr Name kein ursprünglicher ist, sondern ein von den Deutschen ihnen gegebener, erhellt schon daraus, dass er zuerst bei den Deutschen vorkommt; denn der baierische Geograph (866 — 90) führt ihn zuerst an, und die Lutizer an der Oder nennen zuerst Dithmar, Wippo, Adam von Bremen u. A. Sie waren tapfere Leute und machten sich den Sachsen furchtbar, so dass man ihnen jenen Namen anfangs aus Furcht und Schrecken und später spottweise geben mochte, weswegen er auch wieder schwand. Ob aber ihr früherer und ursprünglicher Name deutsch Wilzen, slaw. Weleten, einerlei sei mit Wolki d. h. Wölfe (Вильцы=Волки), muss ich bezweifeln; denn nicht die Raub- und Fresssucht kann in ihm hervorgehoben sein, sondern die Kraft und Grösse des Körpers, wodurch sich noch heute die Bewohner an der Schwalm auszeichnen, wo die Wilzen ursprünglich wohnten, und findet sich nicht derselbe Name Wel(e verdumpft aus i) im russischen welikii (вел-икій)? Und deutet nicht Welet auf Wolot (волоть) Riese hin? e geht in der härtern Aussprache leicht in O über, aber nicht umgekehrt. Derselbe Begriff liegt in meiner Auffassung von Leuten=Liuti ausgedrückt, wobei ich aber ausdrücklich bemerke, dass ich dabei von der etymologischen Bedeutung des Wortes ganz absehe, denn diese Benennung ist offenbar die Frucht des praktischen Lebens. Dasselbe kann ich auch nur urtheilen über den Namen Weletabi, der erst entstanden sein kann, nachdem

 

 

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die Sachsen bereits Christen waren, während die Wilzen das Heidenthum noch festhielten. Auch zugegeben, dass Welet=russ. Wolot (Riese) sei: so bleibt dennoch abi oder tabi unerklärt, so dass uns Weles, Wlas auf den Gott der Fruchtbarkeit und Viehzucht zurückführt, und hiefür sprechen sogar alle deutschen, scandinavischen und slawischen Sagen, s. Schafar, a. a. O. Auch dieser Name findet sich zuerst bei deutschen Schriftstellern. Und lässt sich jener andere Name Weletabi nicht ebenso erklären? denn oben lernten wir einen slaw. Gott Wolos, Wlas, oder Weles, d. h. den Gott des Viehs, der Hirten und der Fruchtbarkeit kennen und im Russischen heisst табунъ (tabùn) eine Heerde Pferde, wornach sie also bei den Deutschen spottweise die den Pferde- oder Vieh-Gott Verehrer, Weletabi hiessen, worin zugleich die Andeutung läge, dass die Wilzen gute Vieh- und Pferdezüchtiger gewesen sind. Um die Ruzen kümmert sich unser Herr Sagenforscher M. nun gar nicht, sie scheinen für ihn seit der Ewigkeit in dem heutigen Russland gehaust zu haben, wie wir unten sehen werden. Wenn wir aber auf unsere obige Construction der Thidreksaga zurückblicken, so erfuhren wir dort, dass die Ruzen nach der Schlacht bei Smalent d. h. Schmalkalden mit den heutigen Preussen zuerst zum grossen Theile gen Osten entweichen mussten, sie blieben eine Zeit lang in Ostpreussen, und nach ihnen kamen die Pulinen von der Weser und zogen nach dem heutigen Polen, zuletzt endlich gelangten die südlichen Wilzen von der Schwalm in Hessen an und mussten zwischen der Elbe und Oder, neben ihren Erbfeinden, den Sachsen bleiben, wo wir sie im achten Jahrh. wieder finden: kann eine historische Construction richtiger sein, wenn der Anfang eines Volkes den Folgen logisch und dennoch ungesucht entspricht? denn nach diesen pflege ich mich erst als dann umzusehen, wenn ich die Urheimath desselben gefunden zu haben glaube, um den Anfang mit der Mitte und dem Ende zu vergleichen. Wie construirt nun aber Herr M. dieselbe Sache? — Es heisst a. a. O. S. 341: „nach der saga c 21 ff. hatte könig Vilcinus ganz Schweden, Dänemark und Wendenland unterworfen, dann auch den könig Hertnît, der Russland und den ganzen osten beherrschte, bezwungen, indem er mit einem heere durch

 

 

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Polen über Smolensk (so? in dem Texte steht ja Smalenzkia!) und Polotzk (in dem Texte steht Palteskia!) bis zu seiner Hauptstadt Novgorod (in dem Texte steht Holmgard!) vordrang. also der angriff des Wilcinus auf den osten gieng wenigstens von dem punct aus, wo die Wilzen angesessen waren (das Letztere ist ganz richtig, aber wann und wo? in dem 8ten Jahrh. oder der uralten Sage? — Das Erstere liegt als ausgemachte Thatsache vor, weil Herr M. es sagt und so will!). hier (wann und wo?) lag auch Wilcinaborg (zwischen Elbe und Oder? —) nach einer aufzeichnung der Stockholmer hs. (Unger p. 41. 44) soll es (nämlich Wilcinaborg in Hessen!) die hauptstadt des könig Milias von Hunaland gewesen sein, die nach einer andern c 41 Vallterborg hiess, nach der Kopenhagener hs. B. Villeraborg, so dass Vallterborg fast nur aus Viltenaborg entstellt zu sein scheint.“ Das nenne ich leichtfertig werden; denn, wie auch der Ort geheissen haben mag, Walterburg oder Villeraborg wird überall als Residenz des Milias in Westfalen, dessen Reich Atli eroberte und nach Milias besass, und von Susa aus, das nach allen Merkmalen zu urtheilen nördlicher, als des Milias Residenz lag, stets nördlich gegen die Wilzen auszieht, und stets gen Süden heimkehrt, während er gegen die Wilzen zwischen Elbe und Oder gen Osten hätte ausziehen und gen Westen heimkehren müssen! Und wenn nun gar aus Viltenaborg d. h. Burg der Wilzen aus Vallter- oder Villeraborg entstellt worden ist, freilich sagt Herr M. weislich „zu sein scheint“, weil er die Klippe merkte, an der sein Schiff scheitern werde: so folgt hieraus unbedingt Zweierlei, und zwar 1) dass die Burg der Wilzen gleichzeitig in Westfalen und zwischen der Elbe und Oder gelegen habe, da der Name einer Burg zwischen Elbe und Oder durch den Namen einer westfälischen Burg und Stadt nicht entstellt werden kann, noch obendrein in einer Zeit, die mehr als 300 Jahre aus einander liegt; oder man muss 2) annehmen, dass, wenn Wilcinaborg aus Vallter- oder Villeraborg verderbt worden ist, die Wilzen diese Burg in Westfalen auch besessen und, wie in der Wilcinaborg gewohnt haben: aus welcher Stelle will aber Herr M. beweisen, dass die Wilzen vor 700 jemals in Westfalen gewohnt haben? denn die Zeit nach 700 gehört

 

 

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gar nicht dahin. Doch es heisst weiter: „aber nach c. 278 gehört die stadt zum reiche des König Osantrix von Vilcinaland, der bei Brandenburg c. 291 gegen Attila fällt, in Vilcinaborg ward Friedrich, Ermenrich’s Sohn, auf Sifkas anstiften getödtet, womit die Flucht 2455 stimmt:“ wozu dient alsdann der vorangehende wissenschaftliche Ballast? — Aber aus c. 303 und c. 305 „sieht man deutlich (ich nicht trotz meiner scharfen Brille, obgleich vier Augen immer mehr, als zwei sehen sollen!), da Attila von Susat (Soest) nach Polen und Ruszland gezogen ist (a la Napoleon!), dass Wilcinaborg zwischen Elbe und Oder lag“, nur Schade, dass dieser Zug des Attila d.h. Atli und Thidrek nicht so lange dauerte, als der Napoleon’s 1812, vielmehr kommen jene schnell an, belagern und erobern feste Orte, ohne dass die Polen und Russen während des weiten Kriegszugs irgend eine Kunde von der drohenden Gefahr empfangen und irgend welche Gegenanstalten getroffen haben! Doch halt! auch hier überspringt Herr M. durch Stillschweigen zwei offenbare Widersprüche; denn er selbst giebt an, dass sein Attila in „Susat (Soest)“ gewohnt habe, mithin meint er den von mir oben geschilderten Atli in Westfalen und nicht den Attila von Ungarn, wo es nie ein „Susat (Soest)“ gegeben hat: dieser König der Sage, Atli bleibt also in seinem Sitze der Urzeit, aber die Polen und Russen wohnen bereits in ihren heutigen Ländern oder vielmehr in denen des 12ten Jahrh. nach der verwirrten Ansicht des Schreibers der Thidreksaga, welchen geographischen Wirrwarr vorher erst, wie billig war, zu lösen Herr M. sich nicht einmal die Mühe gegeben hat. Und 2. Nach jenen Stellen wohnen die Wilzen (s. oben) neben den Ruzen, die Pulinen aber westlicher, wie wir oben sahen, an der Weser, sie traf ja Atli’s und Thidrek’s erster Angriff, dann die Russen, nicht die Wilzen mehr, die ja vorher abgefertigt waren. Nun frage ich Herrn M., wie er sich dieses Verhältniss denke; denn wenn die Wilzen zwischen Elbe und Oder, die Polen und Russen in ihren heutigen Ländern wohnten: so wohnten die Wilzen im Westen von den beiden letztern, also an der Stelle der Pulinen, die aber an der Stelle jener hausten, obgleich die Ostseeprovinzen in dem 12ten Jahrh. noch nicht zu Russland gehörten,

 

 

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und dennoch stehen alle drei Völker nach der Thidreksaga in enger Verbindung mit einander?! Wie passt das Alles aber zu dem von Herrn M. selbst Angegebenen? zwischen 8—1200 waren die Wilzen den Sachsen gefährlich, und bekamen, wie wir gesehen haben, deswegen Spottnamen von den Deutschen: Atli muss auf seinem angenommenen Zuge nach dem heutigen Polen und Russland unbedingt durch ihr Land ziehen, da er aus Westfalen kommt, wie passt das zu der angenommenen Stellung der Wilzen zwischen 8—1200 zwischen der Elbe und Oder? kommt Atli auf seinem Heerzuge gegen die Pulinen und Ruzen in der Thidreksaga durch das Wilzenland? — nein, sie waren ja von ihm schon besiegt worden, und erscheinen denn Herrn M.’s Wilzen als Besiegte? nein, oder wohnen sie unmittelbar neben den Russen, wie in der Thidreksaga? — nein! also — —. Auch über alle diese Bedenklichkeiten und, wie es scheint, reine wissenschaftliche Kleinigkeiten springt Herr M. behänd hinweg; denn Wilcinus ist gar keine epische Gestalt, vielmehr ist sie erst im 9 oder 10ten Jahrh. in der Vorstellung der Sachsen entstanden: so schwindet mit dem Anfange zugleich auch das Ende, und man kann mit dem Ganzen leicht umspringen, aber woher weiss Herr M. das so genau? weil Wilcinus in dem hochdeutschen Epos nicht vorkömmt, mithin ist er „in der überlieferung der Thidreksaga deutlich ein später eindringling in den kreis der Heldensage“: aber die Thidreksaga giebt ausdrücklich deutsche Lieder als ihre Quellen an? und besitzen wir etwa schon alle epischen Gedichte der Deutschen zwischen 8 und 1100? — Oserich oder Osantrix, offenbar Eine Gestalt, dagegen flösst mehr Respekt ein, da sich von ihm noch Spuren in dem deutschen Epos vorfinden, aber leider empfängt auch er diese Ehre bei den Deutschen einzig nur durch Wilcinus; denn dieser hatte sich den Hertnît von Russland tributär gemacht, und als Wilcinus starb, fiel Hertnît schnell über dessen schwächern Sohn und Nachfolger her, erobert der Wilzen Land und erhebt seinen Sohn Osantrix zu deren Könige, woraus von selbst die Fabeln von den grossen Kriegen zwischen Russen und Wilcinen folgen, aber dennoch muss ein genealogischer Zusammenhang zwischen

 

 

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Osantrix und Hertnît angenommen worden sein, weil jener erst „durch eroberung zu seinem reiche gelangen konnte, nachdem Wilze oder Vilcinus in den kreis der heldensage hineingezogen worden war:“ gut, Vilcinus gehört der Fabel an, wie kam aber Oserich oder Osantrix zu jener heroischen Gestalt im deutschen Epos, da jene Schönrednerei zu der Aufklärung dieses Räthsels durchaus nicht ausreicht? wie kamen die Russen, die gleich in dem heutigen Russland gewohnt und zu denen jene Sagen durch deutsche Kaufleute verschleppt sein sollen, in dem deutschen Epos zu jenem Ruhme ihrer Tapferkeit, wenn gleich sich davon, wie wir oben sahen, nur wenige Spuren bis dahin erhalten haben? — oder merkt etwa Herr M. nicht, dass diese Sage sich so deutlich bemüht klar zu machen, dass innere Zwietracht unter den Slawenstämmen in der Urheimath sie entkräftet, zerrüttet und von dort vertrieben habe? ist das nicht genug epischen Stoffes? und herrschte denn diese Zwietracht zwischen den Wilzen und Russen zwischen dem 10 und 12ten Jahrh.? wohl zwischen diesen und den Polen: aber die Pulinen sind in der Thidreksaga der Russen zufriedene Unterthanen! doch es wird, trotz meines schwachen Verstandes und meiner ungelösten Fragen, dennoch Licht, dass Alles für Andere, nur für mich nicht leicht zu begreifen ist; denn Wilcinus zeugte mit dem Meerweibe an dem Ufer der Ostsee den Wadi, den Vater Wielands, den Ahnen Witege’s oder Widga’s, dem er 12 Höfe — nach dem Texte: in Svithiod d. h. nicht selten in dem Wilzinenlande gab! Sein ehelicher Sohn Nordian ward nach ihm König, den aber Hertnît von Russland besiegte, und „als unterkönig von Seeland (so?) einsetzte“ (c. 25—27), und als solcher ist er auch wieder „identisch mit dem gewaltigen jägermeister Nordian im dienst des jarl Iron von Brandenburg, obgleich die Sage nichts mehr von einem solchen zusammenhang weiss:“ schön, auf diese Weise kann man leicht aus Allem Alles, selbst aus der Geschichte eine Fabel machen! Weislich springt nun Herr M. von den „in den slawischen gegenden localisirten deutschen sagen“ ab, weil dabei „namentlich auch der eingang der Pegauer annalen (Pertz mon SS. XVI, 234 f.) in betracht kommen müsste:“ aber es steht nun fest, dass eine

 

 

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Genealogie die Einschleppung des Wilcinus in die Heldensage veranlasste, weswegen auch seine Nachkommen Riesen und Helden des Nordens sind, wozu sie aber wahrscheinlich der scandinavische Schreiber der Thidreksaga erst gestempelt hat, da sie sich in ihren Thaten gegen die schwächlichen Menschenkinder der Sachsen und Ruzen im Ganzen als solche gar nicht bethätigen! Doch der Beweis kommt; denn Saxo stellt den Wilcinus daher richtig noch mit dem Riesen Tanna und dem Unhold Wisinnus in eine Reihe (weil seine Söhne Riesen genannt wurden? von einem Scandinavier!), Saxo hatte Ursache, den von Starkad erschlagenen Wasce oder Waza(?) auf Wilze zu deuten, der als König seine riesische Statur freilich eingebüsst hat (so, so!) und der in den deutschen Liedern als ein Feind oder gar Beherrscher der Dänen hingestellt wurde (in der Thidreksaga ist dieses eine ganz andere Frage!). In der Thidreksaga bleiben die Wilzen, nach dem theilweisen Abzuge der Pulinen und Ruzen, zu sichtbar in Hessen an der Schwalm wohnen, während des Marner’s Ausdruck sie nach Verlust ihrer Selbstständigkeit im 12ten Jahrh. deutlich charakterisirt, diese verloren, mussten sie gar bald als verschollen erscheinen. Ob es aber jemals ein Gedicht auf die Vernichtung des Heidenthums diesseit der Oder bis auf Rügen, ein besonderes Gedicht auf die Kriege der Wenden u. s. w. gegeben hat, muss ich aus vielen Ursachen gänzlich bezweifeln, halte dergleichen Annahmen für zwar bezweckende, aber leere Ausflüchte. Und wenn sich der Name Nordian unter den Namen der Zeugen in einer Priflinger Urkunde unter Abt Rudger 1206 findet, und man daraus folgern will, dass deswegen in Baiern im 12ten Jahrh. Lieder über Nordian der Wilzen gesungen worden seien: so kann ich solche bodenlose Annahmen nur für finessenvolle Liederschmiederei halten, hinter denen nichts steckt. Denn der Wilzen gewesener und schwacher König Nordian, der Unterkönig wurde, sollte vorhin identisch sein mit dem „gewaltigen“ Jägermeister gleiches Namens des Jarls Iron in Brandenburg: sang man denn in jener Urzeit, in welcher der Urstoff der Thidreksaga handelt, Lieder auf dergleichen Leute? denn wenn man nun gar die Berichte in der Thidreks. c. 254 — 68 durchliest, so begreift man durchaus

 

 

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nicht, woher dieser Nordian „ein gewaltiger jägermeister“ ist, da das, weil Iron ihn seinen besten Jäger unter den Rittern nennt, dazu noch lange nicht ausreicht, vielmehr erscheint er mir ein gleicher Jäger zu sein, wie Nordian der Wilzen ein König ist. Doch eine Identificirung führte die andere natürlich herbei; denn war der Diener jener „gewaltige jägermeister“ Nordian eine und dieselbe Person mit dem schwachen Könige Nordian der schwächern Wilzen: so mussten auch die stärkeren Ruzen ihren ähnlichen Antheil empfangen, da ja auch ihre Heerkönige der Urzeit reine Erdichtungen und beide Stämme, Wilzen und Ruzen Stammverwandte sind, mithin ist es billig, dass der letzteren Iron von Smalent d. h. Schmalkalden der sich dem Thidrek und Atli ergab und dafür Jarl von ganz Ruzenland ward, weil sein Bruder Waldemar in der Schlacht gefallen war, der Bruder desselben aber überall Ilias heisst, mit dem Jarl Iron von Brandenburg als dem Herrn des Nordian nur eine Person bilden. Es ist wahr, dass Hertnids von Ruzenland Söhne stets Waldemar, Osangtrix und Ilias genannt werden, die beiden ersteren gegen Atli und Thidrek fallen und nur Ilias allein übrig bleibt: da tritt uns plötzlich Iron als vierter Bruder in Smalant entgegen, der daher bei Herrn M. sofort eine willkürliche Erfindung des Schreibers der Thidreksaga ist, obgleich es höchstens nur eine Namenverwechslung mit jenem Iron von Brandenburg und des Ilias sein kann, da dergleichen kritische Gedankenlosigkeit dem Schreiber unserer Sage auch in anderen Dingen bisweilen unter die Finger läuft, oder er fand den Fehler schon in seinen Quellen, den deutschen Liedern, und schrieb ihn gedankenlos nach, was das Wahrscheinlichste ist, oder der Name war in den Quellen undeutlich geschrieben, dass aus li in Ilias ein r, also Iras und hierfür das geläufigere Iron ward; denn auch Ilias war Jarl von Greka d. h. der Südslawen, und haben wir oben nicht Ruzen von Smalent d. h. Schmalkalden und der Umgegend als diese Südslawen der Urzeit kennen gelernt? Iron — Ilias war also schon Jarl und wurde nach dem Tode seines Bruders, des Königs Waldemar, tributpflichtiger Jarl vom ganzen Ruzenlande, aus dem aber ein grosser Theil Ruzen, besonders die ostnördlich wohnenden fortzogen, da sein

 

 

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Sohn Hertnît seinem Onkel Osantrix im Wilzinenlande, aber auch dem Atli tributpflichtig, gefolgt war. Nun erst begreifen wir, wie diese und andere Slawen bis 700 zwischen der Elbe und Oder auftreten konnten.

 

Wenn sich nun aber Herr Müllenhoff in seiner Fabel über die Fabeln von den Wilzen und Ruzen, denen er auf der andern Seite, wie wir sahen, wiederum einen historischen Hintergrund zuschreibt, gegen die oben besprochene Ansicht des gelehrten Kunik in St. Petersburg, über Thidrek, wendet und nach seiner Manier a. a. O. S. 344 ff. mit ihr umspringt: so sehe ich mich zum Schlusse genöthigt, für Herrn Kunik gegen Herrn M. einzutreten. Herr Kunik bezweifelt nämlich in der oben angeführten Schrift mit dem vollsten Rechte und, wie man deutlich erkennt, in Folge des reiflichsten Nachdenkens, dass die deutsche Heldensage von Thidrek durch niederdeutsche Kaufleute nach Russland verpflanzt worden sei, worauf Herr M. antwortet, dass hieran allerdings zu denken sei; denn „was die Thidreksaga von kriegen mit den Russen erzählt, verrät oft die genauste unmittelbarste localkenntnis und anschauung der berichtserstatter (welcher?), ja lücken und schwächen der epischen überlieferung sind von dieser aus ergänzt worden.“ Wo ist aber der Beweis für diese ästhetischen Scheingründe? — Es ist wahr, dass der Schreiber der Thidreksaga in geographischen und völkerlichen Angelegenheiten gar Manches nach der Völkerlage seiner Zeit, nach der Natur der Sage, in seine Darstellung einmischt, aber er sagt auch ausdrücklich, dass er aus deutschen Liedern und den mündlichen Erzählungen von Männern aus Bremen, Soest und Münster, welche sich auf alle Sachsen berufen hätten, die Wahrheit ihrer Erzählungen zu bestätigen, geschöpft habe, und zwar sagt er es viele Male: setzen nun diese Quellen etwa nicht „die genauste unmittelbarste localkenntnis und anschauung“ bei den Ortschaften, an denen ihre Handlungen vorfielen, voraus? — Wenn Herr M. vorgiebt, dass er für die Aufhellung des Alterthums arbeite, warum streifte er in seinem Aufsatze nicht vorher erst, wie das seine Pflicht war, diese so handgreiflichen späteren Zusätze der Sage ab, um Licht zu gewinnen? denn dadurch wären, wie wir oben gesehen haben,. Seine

 

 

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vermeintlichen „lücken und schwächen der epischen überlieferung“ von selbst geschwunden und der innigste epische Zusammenhang hervorgetreten. Hierzu kommt aber, dass Herr Kunik 1849 — 50 schrieb, bis damals jene Notiz über Thidrek in der Nowgoroder ältsten Chronik als Einzelnheit gefunden hatte und sie damals mit Recht für ein späteres Einschiebsel erklären musste: Herr M. schrieb 1861 seinen Aufsatz, er will ein gründlicher und specieller Forscher des deutschen Alterthums sein und über so Manches aburtheilen, von ihm kann ich daher fordern, dass er die Forschungen und Entdeckungen von Seiten der Gelehrten unter den verwandten Völkern und besonders den Russen genau kenne, bevor er wie z. B. über Schaffarik so leicht hin den Stab bricht; denn in dieser Zeit ist nicht bloss die polnische Walthersage, sind nicht bloss die ahd. mhd. und ags. Bruchstücke eines Waltherliedes entdeckt worden, sondern Herr Buszlajew hat auch die Sigfriedssage in der Murm’schen Legende und Herr Afanassjew die Übereinstimmung der meisten russischen Märchen, Sagen und Erzählungen mit den deutschen der Gebrüder Grimm nachgewiesen, wovon aber Herr M. nicht die geringste Kunde hat, und was setzt das voraus? ist da noch an eine blosse Verpflanzung der deutschen Heldensage durch niederdeutsche Kaufleute zu denken, oder verlangt das vielmehr, an ein Gemeingut beider Nationen und an ein Zusammengelebthaben beider Völker in der Urzeit zu denken? s. oben. Wann fing denn auch der Niederdeutschen Handel mit dem heutigen Russland an? — Doch Herr M. tritt, wie billig ist, seinen Beweis an und dieser lautet: „als könig Thidrek die feste stadt Smolensk (nach dem Texte: Smalenzkia, das nach dem eben Gesagten und der obigen Ausführung aber unabweisbar, wenn nicht Schmalkalden, eine andere nahe gelegene Stadt Deutschlands sein muss, so auch die folgenden Städte) erobert hat, da „brachen sie“, heisst es c. 313, „die stadt beinahe ganz nieder und es ward damals das ausgerichtet, was noch diejenigen sehen können, die in dieselbe stadt kommen, d. h. in dem heutigen Südrussland! und das soll die deutsche Heldensage der Völkerwanderung aufklären! Ich muss hier aber Herrn M., dem ich auf Ehre versichere, dass ich es zu meinem grössten Leidwesen thue, da ich seine Gelehrsamkeit hochschätze,

 

 

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eines unverzeihlichen, unrichtigen Citats und einer falschen Angabe des Inhaltes der von ihm angeführten Stelle und ihres Inhaltes beschuldigen, wodurch die Lage der Dinge wesendlich verändert wird. Ich würde dieses nicht gethan haben, wenn ich nicht aus Erfahrung wüsste, dass die Lachmannianer, von dem Meister an gerechnet, gegen die Gelehrsamkeit Anderer so oft ungerecht, in ihren Citaten und Aussprüchen häufig nicht gewissenhaft genug und einzelne Glieder ihrer Rotte auch mich persönlich gröblich verleumdet haben, da es scheint, dass das Mittel den Zweck heiligt! meine persönlichen Verleumder werde ich nächstens nennen und ohne Schonung vorziehen. Herr M. citirt nämlich c. 313 der Thidreksaga und führt Worte aus ihm an, die sich auf Thidrek und die Zerstörung von Smolensk beziehen sollen: Smalenzkia unter Iron — Ilias ergab sich aber nach Waldemar’s Falle durch Thidrek und Atli’s Ankunft vor der Stadt freiwillig, weswegen Atli den Iron — Ilias zum Jarl von ganz Ruzenland, das nun dem Atli gehörte, erhob, mithin wäre es ein Wahnsinn von Atli und Thidrek gewesen, das sich freiwillig ergebene Smalenzkia zu zerstören, zumal da die meisten Ruzen in der Schlacht mit Thidrek gefallen waren. Die Worte, die Herr M. aus c. 313 citirt, beziehen sich nun nicht auf Thidrek, sondern einzig auf Atli, beide hatten sich, wie wir oben sahen, längst von einander getrennt, sie beziehen sich nicht auf Smalenzkia, sondern einzig auf Palteskia, die Grenzfeste an der Weser gegen Westfalen, die Atli allein erobert und als solche als kluger Regent mit Recht zerstört, um freien Ein- und Auszug in das und aus dem eroberten Lande zu haben! Da heisst es aber nicht: Thidrek und Atli, sondern die Hunen d. h. Atli’s Heer, denn Thidrek belagerte schon Smalenzkia, „brachen beinahe die ganze Stadt (Palteskia) bis zur Erde nieder“, worauf jene von Herrn M. weiter citirten Worte bis zum Schlusse des Capitels folgen! — Wer meinen Worten nicht glauben will, lese selbst c. 313 über Palteskia’s und c. 314 f. Smalenzkia’s Belagerung-und Eroberung nach und überzeuge sich; denn Atli eroberte Palteskia allein 3 Tage nach Thidrek’s Abzuge nach Smalenzkia in einem allgemeinen Sturme und folgt hierauf dem Thidrek,

 

 

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beiden ergab sich dieses! Obgleich beide Könige auch noch Kius d. h. Kösen eroberten, wie ganz natürlich ist, da Atli das ganze Ruzenland, nach Smalenzkia’s Ergebung beanspruchte: so kümmert sich Herr M. dennoch nicht weiter darum, weil das historische Grundelement der Sage nicht zu seinem Zwecke gehört, er vielmehr nur nach Mythen jagt, sondern springt sofort zu dem eroberten Holmgard durch Vilcinus über; jenes fälschlich verwüstete Smalenzkia ist zu sichtbar nur eine bezweckende und geschickte Voltigirübung in Lachmannischer Manier zu dem punctum saliens gegen Herrn Kunik. Wir wollen nachsehen, ob auch hier nicht lachmannische Pas vorkommen; denn das Entlarven solcher Kunstgriffe muss der Wissenschaft und Menschheit entschiedenen Nutzen bringen. Holmgard (s. oben) der Thidreksaga ist nämlich Nowgorod, auch Nogard genannt, nach der Voraussetzung des Herrn M , ohne alle Begründung, weil die Ruzen ausgemachter Weise in dem heutigen Russland wohnen müssen; denn, fügt der Herr Dictator in der Wissenschaft hinzu, „die bekanntschaft der sächsischen Kaufleute und seefahrer mit jenen östlichen gegenden, zumal mit Novgorod reicht in eine ziemlich frühe zeit hinauf“ d. h. wohl bis in das 10 oder 11te Jahrh., wie aber stimmt das mit der Ursage und der harmonischen Uebereinstimmung in der Thidreksaga? — Aber „Adam von Bremen II, 19 bezeichnet Ostrogard in Russland als den östlichsten punkt der seefahrt in der Ostsee“, und sagt, dass die Hauptstadt dieses Theils Russlands, der Ostrogard heisse, Chive d. h. Kiew sei, so wieder IV, 11; nun ist aber Lappenberg’s Interpunctation des Adam nicht genau; denn „Adam unterscheidet deutlich an beiden stellen Ostrogard als einen Theil von Russland, dessen Hauptstadt Kiew ist. Helmold’s scholion 116 in I, 1, wornach Ruzzia vocatur a barbaris Danis Ostrogard, kann also füglich von Adam selbst nicht herstammen“ (schnell abgefertigt!), da es „zwei ungenaue angaben enthält“, weil es hinzufügt: haec etiam (Ruzzia) Chungard appellatur, eo quod ibi sedes Hunnorum primo fuit, so auch Helmold. Was hat das aber mit dem Grundstoffe der Thidreksaga zu schaffen? und wie wir oben gesehen haben, so wurde das Wilzinenland, Palteskia und Smalenzkia mit ihren

 

 

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Gebieten dem Atli in der That zinspflichtig, also Theile seines Reiches, mithin waren sie Sitze der Hunen in Wahrheit, also verständen Adam und Helmold unter Ostrogard und Chungard - regnum Hunorum im Grunde und dem Sinne der Thidreksaga die Theile an der Weser, Schwalm, dem Thüringer Walde und an der Saale, haben sie aber, wie Herr M., der gleichlautenden Namen halber mit dem heutigen Russland verwechselt. Oder wurden etwa jene Theile keine Theile des Hunenreichs Atli’s? konnten sie also nicht auch Chungard nach der Erklärung des Herrn M.’s genannt werden? denn Chungard heisst altn. Koenugardr bei Saxo p. 240. Cönogardia, d. h. Reich des Königs d. h. also Reich des Königs Atli, das ganz richtig mit Kvaeland und den Kvaenen in Finnland (Zeuss s. 687, wie er „im widerspruch mit den von ihm selbst angeführten stellen annimmt“) nichts zu thun hat, sondern dieses Chungard ist eben Kiew (Haupt Zeitschr. 10, 165)! denn Chungard und Ostrogard sind nur „ein theil von Russland. Ostrogard oder Austrgardr ist ein den Dänen und im norden ganz unbekannter name (richtig, weil beide Namen verschiedene Dinge bezeichnen!): bei ihnen hiess der ganze slawische und finnische osten Austrriki,, Austrlönd, Austrvegr, und was bei Adam Ostrogard ist, hiess vielmehr Holmgardr, Holmgardaborg, Holmgardariki. Ostrogard ist deutlich Novgorod (so!), mnd. Nogarden (d. h. aber Neugarden, Neuland, was hat das mit Holmgarden zu schaffen?), Lübeck, urkundenb. nr. 317 a. 1269, Nougarten, Detmar I, 343. mhd. Nogarten meister Altswert 161, 11. 214, 8. mlat. Nogardia, dessen gebiet zwischen der Newa und Narwa die see berührte“, etc. Es gab aber auch in Lübeck Novgorodfahrer (seit wann?), woraus erhellt, dass Holmgard und Novgorod eins sind, wie konnte das begreifbarer Weise ein Schaffarik (slaw. alterthumsk. 2, 94) bezweifeln! was noch obendrein so manche Stelle bestätigt, „wie z. B. Werlauff (symbolae ad georg. med. aev. 5. 10), der Holmgarde, koenugardr (Kiew), Palteskia (Polotzk) und Smaleskia (Smolensk) als die Hauptstädte von Gardariki anführt“, mithin kann Holmgardr „vernünftiger weise“ doch nichts anders sein als Novgorod, „das nicht ungenannt bleiben konnte“, und ähnlich berichtet die Eymundssaga (P. E.

 

 

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Müller saga bibl. 3, 178) und Gönguhrofssaga (Fornald sög. 3, 362), wo es ausdrücklich heisst, dass Holmgardaborg, der Sitz der Gardakönige, Nogardr sei (aus welcher Zeit stammt diese Stelle?), und Thidreks. c. 17. 159. 253 hat die altschwed. Uebers. (aus welcher Zeit? stammt aus der Mengsage!) Nogard für Holmgard. Aber Holmgard „nordisch gedeutet passt gar nicht auf Novgorod, auch ist Holmgardr nur scheinbar nordisch, im grunde der ältere slawische name für die am Ilmensee (altruss. ozero Ulmen (d. h. Ilmen) gelegene stadt (gorod), ist aber Ostrogard dasselbe mit Holmgard, so muss es ein von dem nordischen unabhängig, aber gleichfalls sehr früh entstandener altsächsischer (?) name der stadt sein, der wohl schon mit dem zwölften jh. dem jüngern Nôgard, Nougard wich (herrlich!); denn zeitige bekanntschaft der Sachsen mit der stadt wird dann auch durch die Hartungensage erwiesen, die wenigstens schon in der ersten hälfte des zwölften Jahrh. wenn nicht früher, dort (in Nowgorod) localisirt war, denn die Hartunge sind die Hazdinge (myth. 317), bei den Slawen localisirt (in Russland?!): aber die Slawen oder Wenden (sind einerlei?) sind im 8 und 9ten Jahrh. (Wessobrge, bei Wackernag. Wessobr. geb. s. 74 vgl. Diut 2, 353. Haupt zeitschr. 5, 200) den verschollenen Vandalen gleichzusetzen,“ weswegen man die spätere Sage in eine frühere Zeit natürlich umsetzen müsse, was ganz richtig ist, warum handelt Herr M. aber dagegen? — „Der mythus ist ein vandalischer“! von ihm s. nachher.

 

Ich habe Herrn M. bisher meistens wörtlich reden lassen, damit Jedermann selbst dessen kritisches Verfahren durchschauen könne, und bin weit entfernt, ihn Satz für Satz wiederlegen zu wollen, ich wähle dazu mir die Hauptmomente seines vermeintlichen Beweises, und ziehe ihm schon dadurch wie ich hoffe, allen Grund und Boden seiner wortreichen Theorie unter den Füssen weg. Zwei Vorwürfe muss ich aber gleich im Voraus machen. Es steht nämlich fest, dass derjenige, welcher über das slawische Alterthum und dessen Sagen aburtheilen will, die slawischen Sprachen und besonders das Russische gründlich verstehen muss: Herr M. hat aber davon gar keine Kunde, und sollte deswegen gegen einen

 

 

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Schaffarik vorsichtiger und bescheidener auftreten. Sodann sind alle seine beweisenden Quellen allzu jungen Ursprungs und beweisen im Grunde für die alte Heldensage so gut wie nichts, da er die älteren, bewährteren corrigirt und somit verwirft, welchen Irrthum er nicht einmal begriffen hat.

 

Homlgard ist also Nowgorod: holm, das in der germanischen Ursprache gewiss den Slawen und Deutschen gemeinsam war, bedeutet aber jedes hervorragende Theilchen, das mit dem Ganzen selbst nicht verwachsen ist. daher auch kleine Insel, was offenbar mit dem russ. голома (goloma) entfernt vom Festlande, also auch wohl Insel im offenen Meere, auch голмъ Insel, zusammenhängt, und gard ist das russ. gorod Stadt, also bedeutet Holmgard s. v. a. Inselstadt: kann Nowgorod so genannt werden? Wahnwitz darf so etwas allenfalls zu thun wagen. Wenn nun Adam von Bremen und nach ihm Helmold den Ort Ostrogard nennen: so gehört dazu gar nicht viel Witz und Verstand, um zu begreifen, dass beide Männer in dieser Benennung des uralten Orts eine ihrer Zeit völlig angemessene, spätere Übersetzung gaben; denn ostrow heisst im Slaw. und Russ. die Insel=holm, mithin bedeutet Ostrogard wiederum Inselstadt, wie Holmgard: Nowgorod ist aber keine Inselstadt, nicht von Wasser umgeben, mithin unter jenen zwei Namen der alten und spätern Sage gar nicht Nowgorod d. h. die Neustadt zu verstehen. Holmgard kann also nur Schloss und Stadt Heldrungen (s. oben) in einer liefen sumpfigen Gegend, an der Unstrut sein, indem noch heute das alte, sagenreiche Schloss von tiefen, breiten Wassergräben umgeben ist, und bekanntlich wohnten in der alten Zeit in dieser ganzen Gegend Slawen, bis die Thüringer sie in Besitz nahmen und noch später die Sachsen.

 

Auch haben wir oben gesehen, dass dieser Ort zu den Grundelementen der Thidreksaga harmonisch passt. Wenn ferner in denselben Quellen auch der Name Chungard vorkommt, so möchte ich ihn der Zeit nach noch vor Ostrogard ansetzen; denn ich erkenne in Chun eine härtere Aussprache für Hun, also die Stadt der Hunen d. h. Atli’s, so benannt nach deren Eroberung durch diesen. Will man darin aber lieber König erkennen und Königsstadt sagen: so ist das mir auch einerlei, da es auf Eins hinaus läuft, und Atli König war,

 

 

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aber auch Waldemar von Ruzenland: warum nannte man sie unter diesem nicht schon so? ich muss gestehen, dass mir das letztere etwas komisch vorkömmt, da jene alten Heerkönige keine wirklichen Erbkönige waren, mithin ihre Residenzen von den freien Unterthanen auf keine Weise Königssitze oder Königsstädte benannt worden sein würden, also ist die erste Erklärung in jeder Hinsicht vorzuziehen. Ganz anders gestaltet sich die Sache dagegen bei den Scandinaviern, sie übersetzen, wie wir wissen, gar Manches der alten Heldensage nach ihrem Zeitgeiste und in ihrer Sprache, ja sie hatten nach ihrer Auswanderung aus Deutschland schon sehr frühe keine Heerkönige, sondern in der Wirklichkeit erbliche Könige, die ihre Königsitze hatten und hielten, die im altnord. richtig koenugarde heissen. Wenn daher Saxo l. c. Cönogardia übersetzt: so ist das wohl zu begreifen, aber auch einzusehen, dass er nicht wusste, was er nachschrieb; denn Holmgard ist es nicht. Wie aber Herr M. darunter Kiu der Thidreksaga, das allerdings an Kiew stark anstreift, warum? s. oben, verstehen konnte, begreife ich in Wahrheit nicht; denn Kiu und Chun haben weder sprachlich noch sachlich etwas mit einander zu schaffen, eben so wenig wie Ostrogard mit Austrgardr d. h. Oststadt! mithin den Dänen und dem ganzen Norden mit Recht unbekannt. Wohl handelte Lübeck mit dem Osten, besonders mit den Ostseeprovinzen, aber seit wann gegenüber dem uralten Worte Holmgard? und ob man überhaupt von „Nowgorodfahrern“, da die Schiffe nach Nowgorod nicht und zwar niemals gelangen konnten, reden kann, bezweifele ich, da ein solcher Handel mit Nowgorod stets indirect blieb d. h. vermittelt werden musste. Daher sind auch das Lübecker Urkundenbuch, Detmar und Altswert für die Erforschung der alten Sage gar keine Quellen, weil sie hier etwas beweisen sollen, was, wie wir gesehen, in der Wirklichkeit zu existiren unmöglich ist. Wenn sich aber Herr M. auf Werlauff beruft: so hätte er doch von vorn herein bemerken müssen, dass derselbe in der Nennung jener Städte des alten Ruzenlandes vorzugsweise auf der Thidreksaga fusse und dabei zugleich den Adam berücksichtigt: wie kann ein solcher Entlehner gegen seine Quelle zeugen? — denn Ostrogard ist eine

 

 

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halbe spätere Übersetzung von Holmgard, und Koenugardr eine missverstande Umschreibung von Chungard d. h. Holmgard der Hunen, und Palteskia ist daher auch nicht Polotsk, sondern Polte, Polle an der Weser, und Smaleskia nicht Smolensk, sondern Smalent oder Smaland an der Kalde d. h. Schmalkalden. Warum liess aber Herr M. aus dieser Städtereihe das herrliche Kiu der Thidreksaga so geflissentlich aus, das ja nach seiner Ansicht weit eher Kiew, als Chungard und alles Andere bezeichnete? der fein schmeckende Lachmannianer merkte das Ranzige des Bratens; denn er hat sich die Lage jener Städte der Thidreksaga vor Niederschreibung seiner Abhandlung nicht klar gemacht. Atli und Thidrek zogen von Soest in Westfalen aus richtig gen Norden an die Weser, der erste eroberte und zerstörte hier Palteskia, während der letztere hinauf in das Ruzenland, wo sie also noch nicht waren, sondern im Pulinenlande, vor Smalenzkia zieht, und von hier aus? naturgemäss auch nach Kiu und Holmgard, die sie doch in Besitz nehmen mussten! denn ist Palteskia das russ. Polotsk, so kann man nicht gut sagen: Thidrek zog hinauf nach Smolensk, das viel südlicher liegt, da hinauf in der Quelle eine höher gelegene Gegend in Ostsüd andeutet, und von Polotsk lag Nowgorod näher als von Smolensk aus, welches Verhältniss der Thidreksaga aber geradezu widerstrebt. Und zogen sie von Schmalkalden aus gen Ostnord, so kamen sie nach Kiu d. h. Kösen an der Saale, aber Kiew liegt von Smolensk aus gerade zu im Süden um beinahe einen geogr. Grad, und von hier aus sollen sie zurückgekehrt sein mit den Heeren nach Nowgorod? in jener Urzeit der Sage? das ist mir undenkbar. Zu bedenken ist unabwendbar, dass zu sichtbar Palteskia die Grenzfeste des Pulinenreichs gegen Atli's Staaten ist, der in dem heutigen Westfalen haust und in Susat=Soest residirt und zwar in den Zeiten der Völkerwanderung, und dass in diesen Zeiten schon, wie wir oben gesehen haben, nicht sowohl die Residenzen der alten Heerkönige, als vielmehr die Grenzfesten zum Schutze des Reichs gegen die unruhigen Nachbarstaaten ungewöhnlich befestigt waren und sein mussten: so lernten wir in der Rheingegend von Westfalen Tira, Bakalar und Brandinaburg kennen, im Pulinenlande

 

 

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Palteskia gegen die Sachsen und Smalenskia (Smaleskia, wie es auch heisst) oder ahd. Smalent, woraus der erste Name offenbar entstanden ist, gegen die Völkerschaften in dem heutigen Kurhessen, während Kius oder Kiu und Holmgard nicht Festen genannt werden.Die Grenze musste der heerziehende, feindliche König frei machen und zum Rückzuge sich frei erhalten; denn er zog mehr auf Raub, kam deswegen schnell heran, zerstörte und plünderte und verschwand mit der Beute eben so schnell wieder in die Heimath, wie er gekommen war.— Wenn nun der Attila der Sage nicht Atli, sondern der Hunnenkönig Atilla in Petsch (Ofen) oder richtiger Gran an der Donau und unter Palteskia das heutige Polotsk an der Düna in Lithauen zu verstehen ist: so widerstreitet dem zu deutlich 1) die Schnelligkeit und kurze Zeitdauer, mit welcher Atli und Thidrek vor Palteskia erscheinen und dasselbe, umgeben von tiefen Wassergräben und einer hohen Steinmauer, geschützt auf der Landseite durch ein mächtiges Heer, 3 Monate lang vergeblich belagern, worüber Thidrek unwillig wird und abzieht. Past das auf Polotsk? — 2) Der Weg von Petsch (Ofen) in Ungarn nach Polotsk in Lithauen führt durch Galizien, Südost-Polen und Volhynien, und verlangt für einen Heerzug eine Zeit von beinahe 3 Monaten, und dennoch erobern Atli und Thidrek nicht allein Pulinen, sondern auch noch ganz Ruzenland, und ziehen hierauf, sichtbar noch in demselben Sommer den weiten Weg nach Hause zurück? Die Richtung von Petsch nach Polotsk ist noch heute arm an guten Heerstrassen, und nun gar zu Atilla’s Zeiten, wo man sich gar oft erst prakticable Strassen in dem unbebauten und häufig mit Wald bedeckten Lithauen etc. hätte schaffen müssen. 3) Existirte Polotsk urkundlich bereits zu Attila’s Zeiten, und, wenn auch, gehörte es damals zu Polen oder Smolensk, wie letzteres der Zusammenhang der Sage so handgreiflich verlangt? 4) Ist Polotsk jemals eine solche Festung urkundlich gewesen, wie dieses in den Quellen von Palteskia erzählt wird? Herr M. scheint diese Widersprüche gefühlt zu haben und bezog deswegen, wie wir oben sahen, die Schlussvorfälle der Belagerung Palteskia’s auf Smaleskia! 5) Ist das vieljüngere Polotsk eine Grenzfeste gegen ein feindliches Nachbarvolk,

 

 

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hier natürlich die Polen, jemals gewesen, und liegt es diesem unmittelbar gegenüber, wie in den Quellen Palteskia dem Reiche Atli’s? 6) Hat Polotsk urkundlich, wie Palteskia der Sage, jemals eine solche Besatzung gehabt? 7) Thidrek trennt sich nach 3 Monaten der Dauer der Belagerung Palteskia’s von Atli und zieht hinauf nach Smaleskia oder Smalent, das, nach Annahme meiner Gegner, Smolensk sein soll, er zieht also südlich, während jener Ausdruck mehr auf ostsüdlich hindeutet: liegt denn aber Smolensk höher, als Polotsk? so viel ich weiss, liegt jenes tiefer, als wie dieses. 8) Smaleskia oder Smalent ist aber wiederum eine Grenzfeste der Südslawen d. h. Ruzen, das ist aber Smolensk niemals gewesen, vielmehr war es nur die Residenz eines eigenen Fürsten, der selbstständig war und handelte, während Iron-Ilias von Smaleskia sichtbar von Waldemar von Ruzen abhängig ist. 9) Kaum hat Thidrek die Belagerung von Smaleskia angefangen, zu dem er durch die Werra-Gebirge von dem tief gelegenen Polte oder Polle an der Weser hinaufziehen muss, da tritt ihm auch schnell Waldemar von Holmgard in einer Schlacht entgegen, jener muss die Belagerung aufheben und die Schlacht annehmen, dieser wird gänzlich geschlagen und fällt selbst: wenn nun Atli wenige Tage nach Thidrek’s Abzuge Palteskia erobert und zum Theil zerstört und beutebeladen schnell bei Thidrek vor Smalent eintrifft, unmittelbar nach jener Schlacht, wo dieser die Belagerung eben wieder angefangen hat, und wenn auf der andern Seite Holmgard das heutige Nowgorod und Smalent das heutige Smolensk ist: kann diese Schnelligkeit des Kommens Waldemar’s aus Nowgorod und Atli’s aus Polotsk, der von jenes Heranziehen nun gar nichts weiss, wie der Zusammenhang deutlich zeigt, alsdann harmonisch mit dem Ganzen übereinstimmend gedacht werden? 10) Atli und Thidrek beginnen Krieg gegen die Ruzen, denen das Pulinenland tributär ist, die Belagerung von Palteskia dauert über 3 Monate, und Waldemar von Holmgard-Nowgorod weiss von ihr nichts und thut auch nichts für seine näher gelegene Feste, aber nach dem entferntern Smolensk eilt er sogleich herbei, und dennoch sind beide Städte, Polotsk und Smolensk von fast gleichem politischen Gewichte: wie reimt sich das? in der

 

 

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Sage sind Palteskia und Smalent zwei Grenzfesten, Polotsk und Smolensk sind solche nie gewesen, jenes liegt nicht sehr weit von diesem, ihre Entfernung entspricht nicht der in der Sage. 11) Atli und Thidrek beginnen Krieg mit den Ruzen zu deren Vernichtung, wie aus dem Ganzen erhellt: warum zieht nun Thidrek von Palteskia aus nicht sogleich vor Holmgard d. h. Nowgorod, sondern vor Smalent? war Smolensk vielleicht eine wesentliche Stütze Holmgard’s d. h. Nowgorod'’s, und dennoch hatte jenes seinen eigenen, selbstständigen Fürsten im Gegensatz zu denen von Nowgorod? denn von dem spätern Smolensk kann gar nicht die Rede sein. 12) Waldemar von Holmgard = Nowgorod fällt in der Schlacht vor Smalent, Iron — Ilias ergiebt sich daher dem Atli und wird Häuptling vom ganzen Ruzenlande: wann hat nun ein Fürst von Smolensk als tributärer Häuptling der Hunen oder auch Hunnen über ganz Russland, mit Inbegriff Nowgorod’s, geherrscht? 13) Smalent d. h. Smalkalden war die Grenzfeste der Ruzen gegen die Wilzen und die anderen Volksstämme im heutigen Kurhessen, die Wilzen waren bereits dem Atli tributär, durch Eroberung des Ortes ward also ein freierer Raum und grösserere Sicherheit gegenüber dem Innern von Ruzenland, das noch erobert werden musste, geschaffen: kann das von Smolensk, welches einzig von Slawen umringt, so verstanden werden? 14) Der wichtigste Heertheil fällt mit Waldemar in der Schlacht vor Smalent, der Rest entflieht, nach dem Zusammenhange, gen Nordost, und ein Theil bleibt unter Iron—Ilias zurück: Nowgorod liegt aber im directen Norden von Smolensk, kann also Smolensk Smalent sein? und wenn auch, kann die ganze Erzählung von Smolensk verstanden werden, wann stand dieses unter ausländischer Herrschaft in den alten Zeiten? ja der kleinere Theil der Ruzen bleibt nach der Flucht der Übrigen zurück, Fremde treten an die Stelle der Entflohenen, ein Gemisch von Sitten, Gebräuchen und Sprache muss natürlich von selbst entstehen: wann lässt sich dieses von Smolensk und seiner Umgegend bis nach Holmgard hin denken? aber die thüringische Sprache ist voll von slawischen Wörtern und die Altenburger sind zu sichtbar slawischen Ursprungs, sind das etwa einzig

 

 

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nur Folgen von den Kriegen mit den Slawen in dem Mittelalter? 15) Durch jene Schlacht und Eroberung Smalent’s war dem Feinde das Ruzenland gänzlich geöffnet und konnte nur besetzt werden, da auch der König gefallen und sein Bruder ein Häuptling der Feinde geworden war; nach der Sage erobern d. h. besetzen diese nun Kius und Holmgard, die bisherige Residenz, an deren Stelle nun Smalent getreten ist: lässt sich dieses von Kiew Kius am Dnjepr und Holmgard — Nowgorod verstehen? Das wäre ja ein wunderlicher Zug, von Smolensk erst gleich weit gen Süden zu ziehen, und alsdann eine doppelte Entfernung zurückzulegen, damit man die alte Residenz — Nowgorod besetze und einverleibe; denn erst erobert man das Wichtigere und dann das minder Wichtige. Auch unter Wladimir, dem Grossen, sind diese Verhältnisse undenkbar, da er ein Einheimischer und Slawe ist, während in der Sage überall Ausländer und zu anderen Volksstäimmen Gehörige sichtbar gemeint sind: mithin ist Palteskia nicht Polotsk, Smaleskia nicht Smolensk, Kius nicht Kiew und Holmgard nicht Nowgorod, mögen die Kritiker sich auch drehen und wenden wie sie wollen, um diese Phantasie zu einiger Scheinbarkeit zu erheben. 16) Aus der Thidreksaga erfahren wir, dass die Ruzen die Pulinen d. h. späteren Polen sich tributär machten, diese hatten also bis dahin ihren eignen König oder Bojar: nun hat uns Wackernagel in Haupt’s und Hoffmann’s altdeutschen Blättern I, 329 ff. ein Bruchstück von 500 Versen eines Gedichts aus dem 13ten Jahrh. mitgetheilt, wo der Polenkönig Wenezlan zu Etzel d. h. ursprünglich zu Atli von Soest flieht und hier mit Dietrich von Bern=Bonn kämpft, welcher letztere nur den Hildebrand und Wolfhart bei sich, also seine Helden noch hat, mithin floh Wenezlan zu Atli noch vor der Schlacht Dietrich's bei Gronsport, was auf diese Weise vollkommen zu der Zeit u. den Verhältnissen passt. — 17) Wenn endlich Atilla ursprünglich der Atli von Soest ist, wie kann er von hieraus nach dem heutigen Russland in jenen Zeiträumen ziehen und solche Eroberungen machen, zumal da die Wilzen mit ihrer Burg, nach Herrn M., bereits zwischen Oder und Elbe als Hauptfeinde der Sachsen wohnten? das ist undenkbar und dem Ganzen widersprechend, zumal da die Wilzen erst zwischen

 

 

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8 und 1200 hier wohnen. Helden setzen Heldenthaten als Facta voraus. 18) Wenn Atilla ursprünglich Atli von Soest in Westfalen ist und dieser also die Hauptfacta, die ihm in der Thidreksaga zugeschrieben worden sind, vollbracht hat: so müssen diese Thaten auch in Westeuropa, der unmittelbaren Nähe Westfalens vorgefallen sein und können daher nicht in das heutige Russland verlegt werden, mithin können auch jene Städte nicht in Russland, sondern müssen in der Nähe von Westfalen gesucht werden. Doch noch um Eins frage ich Herrn M.: Er führt nämlich an, dass in der altschwed. Uebers. der Thidreksaga und zwar in c. 17. 159 und 253 Nogard für Holmgard stehe, was offenbar das Werk der späten Mengsage, wo man Ruzenland auf das heutige Russland bezog, wäre: aber ich habe alle drei Stellen meines Textes nachgesehen, und finde, dass in demselben alle drei Capitel von ganz anderen Dingen reden, als von Holmgard, und oben habe ich Herrn M. bewiesen, dass er es mit seinen Citaten eben nicht so genau nimmt: wie verhält es sich nun mit diesem Citate? denn es ist nicht gut denkbar, dass ich mich im Nachschlagen geirrt haben sollte, und ich habe schon zu viele Merkmale der Art, auch am hiesigen Orte, dass die Lachmannianer in dergleichen Dingen es nicht so genau nehmen. — Die süddeutsche Sage, fährt Herr M. fort, in dem 13ten Jahrh. weiss von Hertnît oder Hartunc von Riuzen nichts mehr; die Thidreksaga kennt aber noch zwei oder drei slawische Hertnide, und zwar 1) Hertnid von Ruzenland, in c. 22 heisst der Bruder Hirdir, niederd. Herder alts. Hardheri, seine Söhne waren Osantrix von Wilcinenland, Waldemar von Russland und Jarl Ilias von Griechen (es könnte scheinen, als ob sie Hirdir’s Söhne waren, so M. in Haupt’s Zeitschr. a. a. O. S. 348, aber nach c. 25 der Thidreks. sind sie Hertnid’s Söhne). Für Hernit von Holmgard hatte Mime Waffen gefertigt, gab sie aber dem Sigfried, und nach der Vorrede des Heldenbuchs war Schmied Wieland in König Hertnîts Gefangenschaft (W. Grimm S. 288), und fährt dennoch, da er im heutigen russ. Nowgorod in Gefangenschaft gewesen, auf der Weser nach Jütland? s. c. 61. Dass die Gefangenschaft Wieland’s bei Hertnît ein Werk und eine Namensverwechslung der spätsten

 

 

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Mengsage mit dessen Gefangenschaft bei König Nidung sei, konnte Herr M. schon aus Raszmann’s Heldens. II S. 214 ersehen; denn man begriffe ja sonst die Verhältnisse gar nicht: dieses Hertnîts Sohn ist Osantrix, ein Stammverwandter des Wilcinus, dessen Sohn Wadi ist, und dessen Sohn Welent oder Wieland, also auch ein Stammverwandter des Hertnît von Holmgard, für den der berühmte Meister des Wieland, Mimir einst Waffen gefertigt, sie aber als Lösegeld dem ungebärdigen Sigfried ausliefern muss. Warum soll nun der Stammverwandte den noch berühmter gewordenen Volksgenossen in das Gefängniss werfen? denn die Heerkönige beider Völker können wohl mit einander Krieg führen, aber die berühmtsten Leute ihres Volkes in jener Zeit gefangen setzen, ist undenkbar, zumal so berühmte Waffenschmiede jener Zeit, wie Wieland, welche Schande nur ein auswärtiger, weniger gebildeter Jütenkönig Nidung auf sich zu laden wagen durfte. — Oserich oder Osantrix, der Wilzenkönig, zu der Erminrichs- und Etzelssage gehörend (woraus sich aber sehr Vieles ergiebt!) hatte mit Hertnît von Nogarden (d. h. Holmgarden!) vor der Einmischung des Vilcinus nichts zu thun (und der Beweis hiervon? fehlt!), und Woldemar von Russland „kann nicht vor dem elften jahrh. in unserer heldensage einen platz gefunden haben, ehe Wladimir, der Grosse ums j. 1000 über Russland herschte:“ das reicht aber keinesweges aus, solche wissenschaftliche, apodictische Urtheile aufstellen zu können; denn wenn man so umgemein Viel auf Personen- und Ortsnamen legt, wie wir in dem Bisherigen genugsam gesehen haben, so beweist uns eben der Name Wladimir, des Grossen, deutsch Woldemar, um 1000 zur Genüge, dass er ein beliebter und alter Name bei den Slawen war, und recht gut schon in der ältsten Zeit im Gebrauche gewesen sein kann. Doch auch zugegeben, dass Wladimir den Namen Woldemar erst veranlasst hätte: so wäre dieses wiederum nur die Frucht der Mengsage und der Träger unseres Heldennamens muss dann ähnlich geheissen haben, vielleicht Wladi oder Wlade, da kein reeller Grund vorhanden ist, den Helden zu leugnen, weil der Ruzen Grossthaten in der deutschen Heldensage genugsam verbürgt sind. Bevor man daher zu solchen gewaltsamen Aburtheilungen

 

 

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schreitet, warte man lieber erst die Aufdeckungen der alten russ. Heldensage durch russ. Gelehrte ab, wozu schon so mancher gute Schritt geschehen ist. — Jarl Ilias af Greka soll daher nun ein blosses Flickwerk sein, um Wladimir’s Zusammenhang mit Byzanz zu bewirken, was aber in unserer Sage alsdann irgend wie und nothwendiger Weise angedeutet sein müsste und wäre. Zwar kann es nicht geleugnet werden, dass Grek, Greka, Grikland etc. nur Griechenland bezeichnen kann, aber in der Thidreksaga sind diese Benennungen so allgemein und unbestimmt gehalten worden, dass nirgends an die bestimmte Halbinsel Griechenland zu denken ist, vielmehr sieht man überall deutlich ein, dass unter ihnen stets die Südslawen im Gegensatze zu den Nordslawen bis zum baltischen Meere zu verstehen sind, ja man fühlt aus dem ganzen Typus der Thidreksaga lebendig heraus, dass die Nordländer, besonders die Scandinaver von Griechenland nichts weiter, als dessen Namen kannten, und da die wahrscheinlich lateinischen Quellen über die Wilzinen und Ruzen die Südslawen mit keinem heimatlichen Namen mehr erhalten hatten: so benannte sie unser Sagenschreiber mit dem zu seiner Zeit d. h. der Kreuzzüge berühmtsten Namen: Griechenland; denn er schrieb die Thidreksaga gegen 1250. Dieses ist wohl die wahrscheinlichste und richtigere Erklärung dieser Namenerscheinung in der Sage über die Urzeit. — 2) Hertnît, der Sohn des Ilias, dessen Bruder wiederum Hirdir, wie oft nach dem Grossvater und Oheim, hiess (alte Stockholm. hs. hat aber Osîd!), mithin ist dieser Hirdir ein späterer Eindrinling für Osîd, da auch c. 39 Atli’s Vater so hiess, und sein Bruder Ortnît oder Otnît ist, dessen Sohn wiederum Osîd genannt wird, aber Ortnît und Hertnît sind Eine Person, wodurch die Hartungensage in Russland oder Nogarden als localisirt anerkannt wird, was ein zu rascher Schluss ist, vielmehr beweist uns diese Indentität der Namen, dass die Hartungensage den Germanen und den unter ihnen wohnenden Slawenstämmen in ihrer Urheimath gemeinsames Gut war, von den letzteren aber später, wie es scheint, vergessen ward. Ja es ist denkbar, dass die Namen, trotz dieser Uebereinstimmung, dennoch verschiedene Personen bezeichnen: die Zukunft muss das

 

 

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durch den Fleiss der russ. Gelehrten nach der einen oder der andern Seite hin entscheiden. Ilias ist ein Russe (vielmehr ein Ruze!), vgl. Iwein 7584. Haupt Zeitschr. 10, 165 f. Thidreks. c. 308 f., der Sohn Hertnîts und eines Kebsweibes; aber Ilias und Iron sind Brüder Woldemar’s (c. 262 f. 314), „dem berichterstatter war der rechte name entfallen“ und er setzte Iron für Ilias (s. dagegen oben). Als unehelicher Sohn wird daher Ilias nach c. 315 auch nur Jarl und später nur Häuptling von ganz Ruzenland durch Atli, dem er deshalb zur Sicherheit seine Tochter Hildegunde (c. 241) vergeisselt, während, wie ich vermuthend auch hinzusetze, die echteren Ruzen gen Osten aus der Urheimath auswanderten. Desgleichen ist sein Sohn Hertnît dem Atli tribütärer Häuptling zwar auch von Riuzen, aber nicht = „von Nogarden“, sondern der Wilzen an der Schwalm in Hessen, die später, als die Ruzen ausgewandert sein müssen. Dieser Ilias af Greka ist nun „unzweifelhaft der Ilija von Murom der russ. Sage, der hauptheld unter den wunderhelden Wladimir’s, des grossen. Der alttestamentliche name Elias wurde nur im munde der Slaven, nicht der deutschen, zu llija (d. h.) Ilias (warum? und heisst er in der Thidreksaga, die überall in diesem Theile so viel als möglich slawische Namen unverdorben hat oder halb germanisirt, Ilija?), und der grosse prophet und kirchenheilige Elias ist nur bei den Serben (myth. 157) und Russen an die Stelle des Donnergottes getreten, der Ilijia der Heldensage ist aber nur „eine epische umbildung des nach dem propheten benannten Gottes, er wurde durch niederdeutsche erst in die deutsche heldensage verpflanzt“, und erst alsdann sind über ihn Lieder gesungen worden, weil der Name Ilias unter den Baiern als Zeuge in Urkunden vorkommt z. B. M. B. X p. 402, de Chamera p. 406 u. s. w. also vor 1170: da haben wir den Braten! Hat denn Herr M. gar nicht daran gedacht, dass der Name Elias, in jeder andern Sprache nach ihrem Geiste modificirt, in Asien ein uralter war, und schon recht gut in der Völkerwanderung von Stämmen mit nach Europa gebracht sein kann, nicht aber erst durch die Bibel hier in Gebrauch gebracht worden sein mag? und zugegeben, jener Ilija von Murom sei „ohne zweifel“ unser Ilias; wo aber ist der Beweis für diese

 

 

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Vermuthung? denn die blossen Namen verschiedener Personen reichen nicht aus, da das Ganze auf einer einfachen Voraussetzung des Herrn M. beruht, indem er sogar den Beweis schuldig geblieben ist, dass jener Ilija von Murom erst nach Einführung des Christenthums durch Wladimir, den Grossen, dessen Held der Wunderhelden gewesen sei, er diesen Namen erst in seiner damaligen Taufe erhalte habe, so dass er in seinen Thaten nach dem Propheten Elias episch umgebildet ward, oder ob er nicht schon vor der Einführung des Christenthums jener Held war und schon Ilija hiess? denn erst nach dieser Nachweisung können Herrn M.’s Worte beweisende Kraft gegen Herr Kunik haben, so lange aber diese fehlt, wird Herr Kunik richtig geurtheilt haben, sind des Herrn M.’s Ansichten in ihrem leitenden Grundgedanken nichts als Phantasieen.

 

 

 

Excurs 2.

 

Ueber die Zusätze in der ältsten Heldensage.

 

Als ältste Quellen der deutschen Heldensage betrachtet man mit Recht Jornandes, der sein Werkchen derebus geticis um 552 und zwar in seinen ersten Theilen nach alten Heldengesängen schrieb; die Wilkinasaga aus dem 13 oder 14ten Jahrh.; die Lieder der Edda, aus dem 8—10ten Jahrh.; die lex Burgundionum, Beowulf. etc. Ich weiss recht gut, dass ich in meiner obigen Construction der alten Sage Manches mit Stillschweigen übergangen habe, was man als Einwürfe gegen dieselbe benutzen kann: ich habe das Verfahren aber deswegen beobachtet, weil 1) alle jene Momente gegen meinen gegenwärtigen Zweck stritten, da ich in dem vorliegenden Werkchen durchaus keine Kritik der alten Sage oder eine Geschichte derselben geben wollte, vielmehr geht mein Zweck 2) zunächst darauf hinaus, der alten Sage Urheimath wo möglich nachzuweisen und geographisch zu sichern, weil man von diesem Standpunkte aus erst das wirklich Ursprüngliche und später Hinzugesetzte in ihr, nach meiner Auffassung derselben, von einander recht zu scheiden vermag, und weil ich

 

 

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3) bei einer andern Gelegenheit auf diesen Stoff unumgänglich zurückkommen muss und einer ziemlichen Vollständigkeit desselben nicht gut ausweichen darf, ich mich also nicht vorgreifen konnte. So erwähnt z. B. Jornandes der Gothen Amlungen als das edelste und kriegerischste Geschlecht derselben (c. 5. 14. 23 f. 59 etc.) und nennt dessen Stammvater Amala, wie die Wilzen den ihrigen Wilkinus: nun treffen wir aber auch einen Amlungen bei Paul Diac. in 5, 10, wir finden sie am Rheine und in Italien unter Theodorich, dem Grossen, so Amlung Hornbogi bei den Wenden. Wie verhält sich das? an eine Verwechslung und Vermengung desselben Geschlechts ist nicht gut zu denken. Die Frage hängt jeden Falls von der Nachweisung ab, ob die Gothen bei ihrem Erscheinen an der Wolga und dem schwarzen Meere aus Asien kamen, oder ob sie von dem baltischen Meere dahin gezogen sind, und das Letztere scheint mir wahrscheinlicher zu sein, weil die Wassergothen, in dem spätern Gothland Schwedens, als zurückgeblieben dieses fordern, und die Chatten und andere Stämme auch zu den Gothen gehören: aus den Chatten gingen aber die Franken später hervor, mithin gehören auch diese zu den Gothen, und es würde somit nichts Gewagtes sein, anzunehmen, dass der vorzüglichste Theil der Amlungen die Hauptmasse der Gothen an die Wolga und das schwarze Meer, während deren geringere Theil die späteren Franken an den Rhein führte, wo sie ihr Wesen trieben, dagegen blieb der gothische Specialstamm der Chatten in Hessen zurück und absorbirte noch die Batten oder Bataver, die wie die salischen Franken an den Unterrhein zogen. Und schon hieraus würde folgen, dass Erminrek von Trier eben so wenig mit Ermanrich, dem Westgothen, dem Onkel Theodorichs, des Grossen zu thun hat, wie dieser mit Thidrek von Bonn, trotz dessen ist zwischen diesem und dem erstern eine gleiche Verwandschaft recht gut denkbar, wie zwischen den zwei mittleren Genannten. Was dagegen die Sage über die zwei Ersten Gemeinschaftliches liefert, gehört offenbar dem Erminrek von Trier ursprünglich an, das Jornandes aus den alten Liedern auf den Westgothen übertrug, da er schon den Theodorich mit Thidrek

 

 

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verwechselte, welchen letztern er so gut wie gar nicht mehr gekannt zu haben scheint, da er ja in Italien wahrscheinlich schrieb. Mit den Roxolanen mag der westgothische Ermanrich gekämpft haben, aber nicht mit den Rosomonen oder Rosomanen, wie einige Handschriften lesen wollen, die ja bekanntlich den Winden oder Wenden auf den Eichsfelde angehören, und auch mit diesem hat Erminrek von Trier nicht gekämpft. Dagegen scheint mir des Jornandes Svanhild rein mythischen Inhaltes zu sein, wofür schon ihr Name spricht, deren Sage die Völker eben so gut mit aus Asien gebracht haben mögen, wie die des Sigurd, des indischen Karna’s: beide wurden in Europa localisirt und personificirt, und erst nachdem sich beider Sage hier entwickelt hatte, wurde Svanhild mit Sigurd in Zusammenhang gebracht, und zu einer Tochter der Kriemhild oder Gudrun gemacht, alle übrigen Personen sind sichtbare Produkte der Sage. Jeden Falls fand schon Jornandes ähnliche Lieder bei seinen Gothen vor. Für diese Auffassung sprechen auch die verschiedenen Berichte über ihre Herstammung, die nordische Sage z. B. kennt Svanhild nicht als Sigurd’s Toch- ter. Desgleichen soll Kriemhild nach Liedern der Edda den Atli in Soest aus Rache für die Vernichtung ihres Geschlechts ermordet haben, und um dieses zu bestätigen, hat man sich auf die Berichte des Marcellinus comes u. A. berufen: aber genau nachgesehen, erkennt man leicht, dass sie sich auf Atilla, den Hunnenkönig, aber nicht auf Atli beziehen, und mit den Angaben der Eddalieder, zumal da sie so spät entstanden sind, verhält es sich eben, wie mit den vorgeblichen Lücken, Vergessenhaben und anderen sichtbaren Widersprüchen in denselben; denn auch sie sind im Verlaufe der Jahrhunderte aus der Entwicklung der Sage hervorgegangen und noch obendrein aus der Wandersage aus Deutschland nach Scandinavien: trotz dessen ist nicht zu leugnen, dass sie das Ursprüngliche enthalten können, aber nicht überall enthalten.

 

Das Gesagte reicht vollkommen hin, zu zeigen, wie ich die alte Sage auffasse und behandle, und zu bezeichnen, wie ich obigen Beitrag zu deren Aufklärung zu betrachten wünsche.

 

 

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Excurs 3.

 

Resultat der Untersuchungen.

 

In den bisher verfolgten Untersuchungen haben wir gesehen, dass das Volk der Gothen umfangreicher gewesen sei, als die Wissenschaft angenommen hat, dass auch, weil die Chatten und Dänen zu ihm gehörten, die Franken, welche aus den Chatten hervorgingen, zu ihm zu zählen sind, und weil mit den Dänen die Wilzen und durch diese alle Slawen so sichtbar zusammenhingen, so begreifen wir, woher die gothischen Elemente in den slawischen Sprachen stammen, da sie in diesen mächtiger vorliegen, als eine blosse Urverwandschaft beider Völker Sprachen zu rechtfertigen vermag. Wir haben ferner gesehen, dass die Franken schon lange am Rheine gewohnt haben, als die Vorfälle in der Thidreksaga eintraten, während die Wilzen, Dänen, Pulinen, Wenden und Ruzen noch in ihren alten Wohnsitzen in Hessen, der Wesergegend bis zu der Unstrut und Sale hin in Thüringen verweilen, was vor der Zeit stattgefunden haben muss, als die Thüringer in das Land einzogen, dem sie ihren Namen gaben, weil seine Bewohner aus ihm zum grössten Theil entwichen waren, woraus aber keinesweges folgt, dass diese slawischen Stämme aus Asien nach Europa zuletzt eingewandert seien, vielmehr lässt sich eher geltend machen, dass sie wenn nicht ganz gleichzeitig, dennoch kurze Zeit hinterher, also so gut wie gleichzeitig ankamen. Da nun aber z. B. die russische Sprache in ihrem Baue eine so eigenthümliche Verwandtschaft mit der alten deutschen Sprache uns gezeigt und die Sitten, Sagen und Erzählungen der Russen mit denen der alten Deutschen so nachdrücklich übereinstimmen: so bin ich, mag man auch staunen, zu der Annahme geneigt, dass jene Slawenstämme mit den Germanen zugleich in Europa eintrafen, später aber in jene ihre Wohnsitze zurükgedrängt wurden; denn es ist denkbar, dass, als Odin mit seinen Söhnen und vielen Menschen von dem baltischen Meere herab zu den Sachsen in den Wesergegenden kam und viele Reiche eroberte, unter diesen vielen Menschen die Dänen, Chatten u. s. w. zu verstehen sind,

 

 

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die, wie ein Keil das Holz, die slawischen Stämme von den sächsischen Germanen schieden und sich zwischen beide eindrängten und zwar von Nordwestfalen der Weser her. Die Sachsen traf ja Odin bei seiner Ankunft schon an, aber sie hiessen, lautet es ausdrücklich, bis dahin anders, und verehrten etwa nicht die Dänen, Chatten u. s. w. den Odin vorzugsweise? die Sachsen nahmen diesen Cultus offenbar erst an, und zwar von den Dänen, Chatten etc., und finden wir denn nicht den ältsten Odinstempel in der Eresburg an der Diemel, also mehr auf dänisch-chattischem Gebiete, ja war hier nicht der Hauptsitz des Heidenthums bis auf Karl, den Grossen herab? durch diese Trennung der Slawen von den Germanen lässt sich nicht bloss die Verwandtschaft des Cultus beider Völker, der in einem blossen Naturdienste bestand, und die nahe Verwandschaft ihrer Sprachen begreifen, sondern auch verstehen, dass jene Slawenstämme nach ihrer zweiten gänzlichen Verdrängung durch Atli und Dietrich beide Elemente selbstständig und in ihrem Geiste theils stereotypiren theils fortentwickeln mussten. Hieraus würde folgen, dass auch die Gothen mit Odin erst angekommen seien, sie aber in Europa mehr ein Wanderleben führten. Durch diese Annahme würde uns auch begreifbar, woher es gekommen sei, dass die Hunen von einander gesprängt sind, und die Wölsunge in Grossenlinden und die Budlunge in Soest residirten, verbunden durch Bertangenland und die Gnitahaide. Klar ist, dass die Chatten unter diesen Verhältnissen in Hessen nicht Raum genug hatten, und sich deswegen Theile von ihnen scheiden mussten, so die Franken, Chattuarier, Batten oder Bataver u. s. w., die nach Süden und Westen, der Lahn hinab drängten. Wenn aber die Gothen in Europa mehr ein Wanderleben trieben, so wäre zu begreifen, warum wir bald hier bald da gothische Stämme wahrnehmen: jedenfalls drängten die Gothen in Schweden vor den Dänen gen Norden und wurden vielleicht durch diese mit nach Schweden geworfen; denn auch diese mussten, wie die Wilzen aus Hessen weichen. Die Hauptmasse der Gothen, in Deutschland auf diese Weise keinen rechten Raum für sich gewinnend, zog ebenfalls hinauf an das baltische Meer, wandte sich von da aber zur Wolga,

 

 

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in die Krim und an die Donau, wo sie endlich Raum fanden und längere Zeit daselbst verweilten, bis sie sich nach Oberitalien und Spanien wandten und endlich untergingen. Ihr vornehmstes, kriegerischstes Geschlecht waren die Amlungen, aus dem sie, wie es scheint, ihre Heerkönige zu wählen liebten. Die Amlungen treffen wir unter ihnen im höchsten Ansehen an dem Pontus Euxinus, in Oberitalien, wo sogar Theodorich, der Grosse einen Amlungen aus Spanien beruft und als solchen zu seinem Schwiegersohn wählt, sie finden wir nach der Sage wieder am Rheine in Hildebrand, Alibrand, Wolfhart etc. und zu ihnen gehörte sicher auch Dietrich von Bonn, Erminrek von Trier, Aki von Friedberg mit den Harlungen u. s. w. Wenn dieses aber der Fall ist, so muss man annehmen, dass die einzelnen gothischen Stämme, welche von der Masse sich trennten, unter Amlungen auszuziehen pflegten, und dass, wenn die Ruriker schwedische Gothen waren, sie wahrscheinlich Amlungen gewesen sind, die sich als Wikinger Waräger nannten, ihrer Züge nach Constantinopel wegen; denn beide Wörter haben ursprünglich dieselbe Bedeutung. — Wir haben ferner gesehen, dass die Römer seit Julius Caesar die Franken am Rheine, sichtbar ihrer Tapferkeit halber gegen die nordischen Völker sehr begünstigten und ihnen alle möglichen Privilegien ertheilten. So überliessen sie den burgundischen Franken die Gegend um Worms, um die andrängenden Nordvölker zurückzuhalten, schmeichelten sie den ripuarischen Franken und machten das für sie so wichtige Trier zum zweiten Rom ihres Reiches in jeder Hinsicht und Bonn zum zweiten Verona; denn sicher brachten die Römer diese Namen in Gebrauch, um die Franken zu kirren und eitel zu machen, beide Städte hiessen daher in den Augen der Franken Romaburg und Bern mit Recht, sie waren und blieben lange Zeit nicht unempfindlich gegen diese römischen Begünstigungen, die sogar eine jahrhundertlange Anhänglichkeit der Rheinländer an dem alten Rom in Italien begründete, dass dieselbe, als der Römer Herrschaft längst vernichtet worden war, nach Einführung des Christenthums in kirchlich-religiösen Angelegenheiten gegenüber den Päpsten sich naturgemäss wieder geltend machte. Aus dieser Anhänglichkeit der

 

 

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Rheinländer an Rom zunächst schenkte Karl M. dem Papste den Kirchenstaat, um ihm eine würdige äussere Stellung zu verleihen und aus dieser Vorliebe des römischen Primats gegen Trier, und seine Umgegend gab jener Papst Karln die römische Kaiserwürde zurück, da in Trier so viele römische Kaiser residirt hatten, und hatten sich denn die römischen Kaiser etwa nicht die Würde eines Pontifex maximus angemasst und beigelegt? der Eine gab dem Andern also einen Theil des gewesenen Ganzen. Da nun die Römer ihrer Tapferkeit wegen ihre Abstammung von den Trojanern ableiteten: so nannten die salischen Franken am Unterrheine ihre Hauptstadt Xanten Kleintroja und erklärten dadurch, dass auch sie von den Trojanern abstammten, worin mir eine bescheidene Drohung zugleich zu liegen scheint, denn es liess sich voraussehen, dass diese Anhänglichkeit der Franken an Rom in politischer Hinsicht nicht ewig dauern könne und werde, da zu viele Umstände hierin mit zu sprechen haben, und wirklich schildert uns unsere alte Sage den politischen Kampf der Franken gegen die Römer, der lange schwankte, aber endlich gelang, und dennoch wäre Trier’s Eroberung durch die Hab- und Herrschsucht seines fränkischen Herrschers wieder verloren gegangen, wenn es den langjährigen Bemühungen Dietrichs von Bonn nicht gelungen wäre, in das Ganze Halt zu bringen: darum schliesst auch die Sage mit seinem Tode, weil die Römer aus der Gegend für immer vertrieben worden waren. Der Name Kleintroja wäre daher erst seitdem der Stadt Xanten von den Franken beigelegt worden, als die römische Macht am Rheine zu wanken angefangen hätte. Wir haben ferner erkannt, dass jene Langobarden in dem Eifelgebirge die Chattuarier von der Ruhr sind und jener Name erst durch die Mengsage in die Erzählung eingeschwärzt worden ist, und endlich gesehen, dass Dietrich’s zwei Schlachten überall als bei Gronsport und Graechenburg an der Mosel, welche erstere auch als bei Raben d. h. Traben an der Trabe=Travenna vorgefallen geschildert wird, geliefert worden sind, und dass die Bemühungen der Rheinländer uns bewiesen haben, Bonn sei bis in das 14te Jahrhundert herab Bern oder Verona in Urkunden und Stadtsiegeln genannt worden, wodurch wir einen Ausgangs- und

 

 

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sichern Haltpunkt gewonnen haben, von dem wir ausgehen und weiter schliessen müssen. Hieraus ergab sich als evident, dass jene Romaburg keine andere Stadt als die Residenz der römischen Kaiser am Rheine, Trier sein kann und darf, zumal da die Burg Drecanfils und Walkaburg nur zu handgreiflich die zwei neben einander liegenden Burgen Drachenfels und Wolkenburg sind, so wie Trelinburg nichts anderes als Trechlinburg am Rheine ist. Und dem gemäss muss auch des „ Volksbuchs“ Garta das römische Carden am Mosellandsee sein, in dem Widga verschwand. Auf dem Hunsrück liegt daher auch richtig die Stammburg Hagen’s von Tronegge, und der Mosel gegenüber in Westfalen die 3 Grenzfesten, dem Rheine entlang: Tira d. h. Dierdorf, Rüdiger’s Bakalar und Brandinaburg. Wandern wir aber der Lahn hinauf, die der Mosel gegenüber in den Rhein fällt: so stossen wir bei Wetzlar zunächst auf das Bertangenland mit seiner Burg Bradingaburg, etwa Breidenbach, und sehen rechts im Grossherzogthum Hessen Groszenlinden der Wölsunge. Den Begrücken des Bertangenlandes gen Norden durchwandernd, treten wir auf die Gnitahaide mit Brunhilds Saegard und sehen östlich Marstein, gewiss der Urname Marburg’s, in dessen Burgwalde Brunhilds Stuterei war, und von dem westlich Kiliander d. h. Kaldern liegt. Der Burgwald heisst nördlicher Lura- oder Lorawald mit dem röm. templum Tanfanae=Lorae, und in der Wesergegend Falstrwald. Die Gnitahaide gehörte zu Atli’s Reiche: in Nordost von ihr und Marstein (Marburg), im Osten vom Lurawalde lag die Wilzenburg, etwa in der Gegend von Ziegenhain, in deren Nähe, südlich, die Harden oder Hräden des Wanderliedes, in dem freilich die Wilzen schon zwischen der Oder und Weichsel, nachdem sie verdrängt, wohnen, sich ursprünglich befinden und Grenzstationen in Waldgegenden sind. Im Osten dieser Burg, also etwa vom Thüringerwalde an, hausten, nach allen Notizen der Sage zu urtheilen, die Ruzen d. h. die Südslawen in Greka, Grikland, deren Jarl Ilias, der natürliche Bruder des Ruzenkönigs Waldemar ist. Wenden wir uns aber zu der Gnitahaide zurück und zwar gen Westen nach Westfalen: so muss nicht weit von ihr ziemlich in der Mitte des Landes Walter- oder Villeraburg, die Residenz des Milias, vielleicht Werl im

 

 

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Helwege, in der Nähe des merkwürdigen Steinmeeres mit seinen zahlreichen Steinkegeln und Tropfsteinhöhlen, in denen die Alten den Eingang zur Hel=Unterwelt erkannt haben mögen, gelegen haben, denn entscheidend hierbei ist der Umstand, dass die Gnitahaide in Verbindung mit Bertangenland, das gar oft an die Unterwelt mahnt, steht und zugleich im Norden mit der Eresburg und Horus, den Verehrungsstätten Odin’s als Kriegsgottes und Eines der drei gleich hohen Götter d. h. des Har (Grimm, Myth. S. 148) zusammenhängt, und dass Brunhild auf ihrer Helfahrt von Worms aus erst zu Wasser d. h. auf dem Rheine und der Lahn, dann durch fruchtbares Land d. h. Westfalen bis zum Steinmeere und endlich durch Öden (Steinmeer) und Höhlen zu der Hel fährt. In dem Lurawalde lag der templum Tanfanae (Lorae) der Römer, also zwischen der Gnitahaide und der Eresburg d. h. Stadtbergen=Ober- und Nieder-Marsberg mit Horus=Horohus des Abts Nicolaus an der Diemel, an welchem Flusse wir auch Wadincusan, das heutige Wedinghausen bei Arnsberg, wahrnehmen, das offenbar mit Wadi, dem Sohne des mythischen Wilzenkönigs Wilcinus, dem Vater Wieland’s, der auf der Weser (Wisarâ) nach Jütland fährt und in die sich die Diemel ergiesst, des Ahnen Widga’s, der hier in der Gegend mit Hildebrand, Heimir und Hornbogi auf seiner ersten Ausfahrt zusammentrifft, im Zusammenhange steht, und an der Diemel sahen wir auch Brictan mit dem Raubcastell auf der Steinbrücke über den Fluss d. h. das heutige Wrexen, ja hier bis zu der obern Eder lag Aspilian’s Reich, des Vaters Widga’s, woraus folgt, dass dieses Volk mit den Wilzen ursprünglich in einem natürlichen Zusammenhange stand. Diese Gegend wäre also das heutige Waldecksche Gebiet, in deren Ostnorden die Danmark bis zur Weser hin lag d. h. das Reich der Danduten, verkürzt Dänen, mit der alten Grafschaft Thudeffe oder Thiodi, woraus erhellt, warum die späteren Dänen sich des Wieland’s und Widga’s bemächtigten und im heutigen Seeland Dänemarks localisirten. An der östlichen Diemel bis zu der untern Eder hin hausten alsdann die Chatten der Römer d. h. die Tubanten oder Tubatten, verkürzt Batten, woraus die späteren Battaver hervorgingen, und zu denen die Chattuarier an der Ruhr in Westfalen

 

 

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offenbar gehören, die wir wieder in den Langobarden des Eifelgebirges jenseits des Rheins erkannten: sie sind wie die Franken Chatten. Der Chatten Hauptstadt war das römische Mattium d. h. das heutige Maden unweit Fritzlar’s in Hessen, nahe der untern Eder, in die sich nicht weit davon die Schwalm ergiesst, an der die Wilzen wohnten. Aus unserer Sage hören wir nun, dass aus dieser Gegend, also von Mattium aus, zwei Strassen an den Rhein gingen, von denen die eine durch Hessen über Marstein (Marburg) der Lahn entlang und auch über die Gnitahaide, mithin nach Mainz und Bingen lief und für jene Reisenden die nach Bonn wollen, länger und unbequemer war, da sie zugleich eine Nebenstrasse sein mochte und unweit der Wilzenburg vorbeiging. Denn auf ihr sehen wir Dietrich von Bonn dem aus Soest entflohenen Ruzenprinzen verfolgen, in der Nähe der Wilzenburg im Walde einholen und im Zweikampfe tödten, worauf jener in der Burg freundlich bewirthet und seine Wunden neu verbunden werden. Der Prinz hatte diese Strasse eingeschlagen, weil er hier die stammverwandten Wilzen fand, in deren Osten die Ruzen wohnten, und der Weg zu ihnen für den kaum Genesenen nicht so anstrengend war, während er, wenn er aus Soest gen Norden über die Weser und durch die Werragebirge geflohen wäre, fürchten musste, auf den im Ruzenlande heerfahrtenden Atli zu stossen, der diese Nordstrasse in das Herz des Ruzenlandes mit einem Heere einschlagen musste, da wir auch nichts von einer Heerstrasse von der Gnitahaide aus in das Ruzenland hören. Die andere Strasse von Mattium aus, offenbar eine Römerstrasse—und drang nicht Drusus aus der Wesergegend ebenfalls zum Rheine vor? — führte durch die Diemelgegend über Wrexen (Brictan) und durch Westfalen nach Bonn, die zwar näher für jene Reisenden, aber schwieriger war, denn sie mussten auf der Brücke zu Wrexen schwere Abgaben entrichten d. h. offenbar Weg- und Brückenzoll, den jene heimathlich gesinnten, stets kampflustigen Helden für ungerecht, für einen Raub der Nichteinheimischen an den Einheimischen halten, mithin können diese Steuer- oder Zollerheber wohl nur Römer auf einer römischen Brücke und Strasse sein, da auch damals schon die wirklichen Räuber in den Wald und nicht in die unmittelbare Nähe einer Stadt auf die Brücke einer

 

 

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frequenten Strasse gehörten. Die heimathlich Gesinnten wollen also diese Heerstrasse ein für alle Mal von der Abgabe an die Fremdlinge freimachen, erschlagen die Besatzung und zerstören das Castell: die That passt vollkommen zu meiner Construction; denn erst musste sich der Kampf der Deutschen gegen die Römer im Innern des Landes erheben, bevor er am Rheine entstehen und vollendet werden konnte, und noch herrscht Dietrich ruhig in Bonn, zu dem die Reisenden wollen, noch ist er nicht geflohen vor denen aus Trier, und schlug nicht auch Hermann die Römer in der westlichen Diemelgegend? — Wenden wir uns von der Diemel westlich, so treffen wir auf die durch Dietrich berühmte Burg Aldenflis bei Brilon, in deren Nordwest nun gar Susat d. h. Soest des Atli und nördlich Luna d. h. Lünen des Helferich, eines Atli-Mannes liegt, aus welchem letztern die Mengsage später Lane, Lone, dann Lunders, Lütringe, ja endlich Luna in Italien machte; er konnte deshalb, da Dietrich in Soest so lange zugebracht hatte, recht gut als dessen Mann erscheinen und als Helferich von Bunn auftreten. Wenn nun Atli und Dietrich von Soest gen Nordost über die Weser ziehen und sofort der Pulinen Hauptfeste Palteskia belagern, die, nachdem sich Dietrich, verdriesslich über die 3 monatliche Belagerung, von Atli getrennt hat, dieser erobert und fasst ganz zerstört: so folgt hieraus, dass Palteskia nur das heutige Polte, Polle im Hannöverschen, wo Slawen gewohnt haben, sein kann, da die alten Heerkönige ihre Raubzüge naturgemäss schnell ausführen mussten, um nicht überfallen zu werden. Pul ist dagegen das Langobardenland der Chattuarier am Rheine, entweder aus dem italischen Apulien verkürzt, oder richtiger nach den Pulinen so benannt, da die Chattuarier ihre Grenznachbaren gewesen sein und jene mit diesen ursprünglich zusammengehangen haben mochten, wie die Dänen und durch sie die Chatten mit den Wilzen durch Wilcinus, Wadi, Wiland, Aspilian und Widga, was an sich schon ein Zusammenwohnen bedingt, und das reiche gothische Sprachelement in den slawischen Dialecten leicht erklärt. In dem Nordosten von den Pulinen lernten wir der Rosamanen und Hornbogi’s Winden oder Wenden auf dem heutigen Eichsfelde, auch Winnland

 

 

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genannt, wo noch heute bei Witzenhausen eine Art Wein, fast wilder gebaut wird, kennen, deren Hiersein noch heute die zwei Ortschaften Grosz- und Klein- Wenden bestätigen. Von Palteskia an der Weser zieht Dietrich an dieser und durch die Werra-Gebirge hinauf (ein Ausdruck mit rein physischer Bedeutung) in das Ruzenland und belagert sogleich Smaland, Smalent, Smaleskia, Smalenskia d. h. Schmal-kalden an der Kalde, die Hauptgrenzfeste der Südslawen, in gerader Linie des Ostens der Wilzen an der Schwalm, welche Belagerung und Eroberung der Ruzenkönig Waldemar durch Heranzug aus Holmgard vereiteln will: eine Schlacht findet statt, in der Waldemar mit einem grossen Heertheile fällt und aus welcher der andere Theil der Ruzen entflieht, aber nicht in ihr ostnördliches Land, sondern gänzlich, weiter gen Ostnord, wie der Zusammenhang und Erfolg lehren; denn dem Dietrich und dem unter dessen angekommenen Atli ergiebt sich Schmalkalden nun ohne Swertstreich, worauf sie das nordöstlich gelegen Kiu oder Kius d. h. Kösen an der Saale, in der Gegend von Salinae der Alten (denn Salz und Metalle waren auch den Alten die schätzbarsten und unentbehrlichsten Stoffe), und Holmgard d. h. Heldrungen an der Unstrut besetzen, worauf Atli den Ilias von Smalent zum tributären hunischen Häuptling der zurückgebliebenen Ruzen erhebt und mit Dietrich beutebeladen zurückkehrt, aber auch des Ilias Schwester oder Tochter Hildegunde, Walthers von Waskastein Braut, als Geissel mit nimmt, die Walther später, vor der Schlacht bei Gronsport aus Soest entführte. Dem entsprechen die vielen slawisch-russischen Ortsnamen in Thüringen, wie Roszla, Suhla, Rula, Roszleben etc., und der ursprüngliche Conjugationsbau des deutschen und russischen Verbum’s, der Ideengang beider Völker in der Bildung der persönlichen Eigennamen, etc. Wenn nun Holmgard Inselstadt, was Heldrungen factisch ist, bedeutet und hier mit Ostrogard (von ostrow Insel) des Adam von Bremen übereinstimmt; wenn Chungard (Chun härtere Aussprache für Hun, da im Russischen h durch g ersetzt wird, also Gun) nichts Anderes als Hunorum oppidum, was ja Holmgard jetzt de facto ist, und wenn meine ganze Darstellung so mächtig in einander greift und so handgreiflich ein unzertrennbares

 

 

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Ganzes bildet: so folgt hieraus, dass meine Nachweisungen unwiderlegbar richtig sind und bei den 4 zuletzt genannten Städten künftig hin nicht mehr an Polotsk, Smolensk, Kiew und Nowgorod in dem heutigen Russland gedacht werden darf. Daher begreifen wir leicht, woher es kam, dass in den alten deutschen Heldenliedern die Helden der Pulinen, Wenden, Wilzen und Ruzen öfter gerühmt werden, warum der Pulinenkönig Wenezlan nach Eroberung seines Reichs durch die Ruzen zu Atli floh, woher es kam, dass der Polen und Russen Heldensagen, Märchen und Erzählungen mit dem deutschen so sehr übereinstimmen, dass in der thüringischen Sprache sich so viele slawische Wörter vorfinden. Und beginnt der russische Staat von Nowgorod, in den Rurik Ordnung brachte und alle hier wohnenden Stämme nach dem Hauptstamme Russen benannte, nach den Quellen und alten Charten etwa nicht von Westen her? —

 

 

DRUCKFEHLER.

 

Wurden in den Text eingearbeitet!

 

 

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Geographisches Verzeichniss.

 

Aldinflis, Burg bei Brilon, östlich von Soest in Westfalen, dem Grafen Lodvig gehörend. S. 16. 57. 134.

 

Aldinsaela, etwa Aldenhoven bei Aachen? S. 16. 58.

 

Alzei,— Volker’s im Wormsgau, Gefolgsort der Abtei St. Maximin in Trier. S. 38.

 

Aspilians, Widga’s Vaters Reich lag an der obern Eder in Hessen. S. 46. 132.

 

Babilon — etwa eine ironische Benennung Trier’s? S. 31.

 

Bakalar=vielleicht Vakelar (Bertram von Vakelar am Rheine) auf der Nordseite des Siebengebirges in Westfalen der Rheingegend, zu Atli’s Reiche gehörend, mittlere Grenzfeste gegen die ripuarischen Franken am rechten Rheinufer, zwischen Coblenz und Bonn liegend. Im Nibelungenliede ist der Name nach dem Zwecke des Gedichts auf das römische Castell und namensverwandte Bechlaren an der Donau—die in der Thidreksaga daher in den Rhein, wo Bakalar lag, fliessen muss— übergetragen worden. S. 25. 31. 39. 61. 62. 131.

 

Bern=Verona d. h. Bonn am linken Rheinufer, Thidrek’s Residenz. S. 10. 11. 24. 129.

 

Bertangenland, das hunische und dänische Walland, südlich an der Gnitahaide, mithin ist die Bertangaburg oder Bratingaborg an Hessens Seite wahrscheinlich Breidenbach mit einer Burg, südlich von Marburg. S. 9. 19. 20. 53. 131.

 

Brandenburg, ein Hof Volker’s in Alzei. S. 38. 39.

 

Brandinaburg, am untern Rhein, Westfeste Atli’s gegen die salischen Franken in den sauerländischen Gebirgen zwischen Sieg und Lippe, dessen Ostpol Tira=Dierdorf, gegenüber Coblenz, war, und zwischen beiden lag Bakalar Rüdiger’s, zwei Festen gegen die ripuarischen Franken. S. 20. 52. 62. 131.

 

Brictan=Wrexen an der Diemel, ist nicht Brixen altn. Brigôz in Italien. S. 15. 49. 56. 132.

 

Burgwald im Norden von Marburg. S. 14. 17. 45. 53. 63.

 

Chungard i. e. Hunorum appidum. S. 113 ff.

 

Danmark, Urland der Dänen in Hessen an der Eder u. Weser. S. 16. 132.

 

 

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Edranâ=Eder, Fluss in Hessen am Lurawalde diesseit des Rheins, ist nicht die Eider, altn. Aegisdyr, oder Eidisa, nicht die Etsch, Etisa in Italien. S. 15. 55.

 

Falstrwald zwischen Saxland=Westfalen und Danmark in Hessen, S. 16. 17. 64. 131.

 

Fritilaburg=Fridsaela (Abt Nicolaus) der Wäringer ist Friedberg in der Wetterau, des Harlungen Aki Sitz. S. 10. 13. 17. 21. 57.

 

Gamali, alte, berühmte Stadt im heutigen Ostpreussen. S. 8.

 

Garta, am See nicht in Italien, = Carden am dritten Mosellandsee, eine alte Stadt der Römer, deren u. der Franken Lieblingsaufenthaltsort, späterer Wohnsitz der Gattin Hildebrand’s. S. 12. 34. 131.

 

Gerimshein, Sitz Rimstein’s, = Germersheim am Rheine. S. 12. 18. 57 f.

 

Gnitahaide zwischen Horus=Horohûs am Fusse der Eresburg und Kiliander=Kaldern, westlich, 3 Stunden von Marburg entfernt, umgeben vom Burgwalde; auf ihr lag Brunhild’s Burg, Saegard, der Edda Hlyndalir, in dem nahen Walde lag ihr Gehöfte mit einer Stuterei unter dem Schutze des Studas=Heimir. Sie gehörte zu dem Reiche Atli’s, weshalb Brunhild auch als dessen Schwester erscheint. S. 9. 131.

 

Gregen- oder Graechenburg, Schlachtort zwischen Thidrek und Sifka an der Mosel, ist das heutige Grach, nahe bei Gronsport am rechten Moselufer. S. 10. 12, 26. 33. 42.

 

Greka, Grikland ist stets das Südslawenland, mithin lagen die Slawen im deutschen Sagenkreise. S. 19. 131.

 

Gronsport= dem mittelalterl. Ronsoport an der Mosel, der erste Schlachtort zwischen Thidrek und Erminrek=Sifka, unweit Gregenburg’s und Trabenbach’s. S. 12. 25. 26. 42. 130.

 

Harden=ags. Hräden, Grenzschutzstationen des Wilzenlandes. S. 63.

 

Her, Hildebrands Hof und der Sitz seiner Gattin, = Höhr unweit des Rheins am rechten Ufer bei Grenzhausen. S. 15. 32. 34.

 

Holmgard, der Russen Haupt- und Residenzstadt, wahrscheinlich noch erhalten, nach der Localität und dem Ganzen zu urtheilen verderbt und am Ende verschoben in dem sagenberühmten Schloss und Flecken Heldrungen an der Unstrut unweit Merseburg’s; denn Waldemar von Ruzenland scheint aus Nordosten heranzuziehen, dem Thidrek bei Smalenzkia=Schmalkalden jene verderbliche Schlacht lieferte, und auf seinen Wege dahin lag auch Kius oder Kiu=Kösen an der Saale. Aus gard d. h. Stadt, rückwärts gelesen wird drag, aus drag leicht drang, drung, und Holm verkürzt in Hel durch Ausstossung des m, = russ. голмъ, kleine Insel, голома fern vom Lande, offenes

 

 

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Meer, und Schloss und Flecken Heldrungen liegen auf einer Art Insel, mitten in einer sumpfigen, morastigen Gegend, jenes umgeben von tiefen und breiten Wassergräben. Diese Annahme entspricht sogar der Lage des Wilzenlandes an der Schwalm in Hessen, und Holmgard ist dem Ostrogard (ostrow slaw. Insel) des Adam von Bremen völlig gleich. S. 48. 68. 135.

 

Horus=dem Dorfe Horohûs d. h. Haus des Horus, am Fusse der Eresburg d. h. das heutige Stadtbergen oder Ober- und Nieder-Marsberg an der Diemel (s. Abt Nicolaus Itinerarium aus der Mitte des 12ten Jahrhunderts). Hier an der Diemel lag auch Brictan=Wrexen, und auf der Eresburg stand die heidnische Irmensäule, Götzenbild des Kriegsgottes Odin oder Wodan = lat. Mars. Zwischen diesem Dorfe Horus und dem Dorfe Kiliander=Kaldern bei Marburg lag die Gnitahaide, noch heute eine waldlose Ebene Ackerlandes, südlich mit vielen Schluchten versehen: sie gehörte zu Atli’s Reiche und zwar schon durch Horus, in dessen Nähe Paderborn lag, von dem aus gen Westen Atli’s Residenz Susat=Soest sich befindet, auf der Gnitahaide wohnte in Saeburg seine Schwester Brunhild, und er selbst jagte in dem Walde zwischen Horus und Kiliander. Abt Nicolaus sagt ausdrücklich, Horohûs liege zwischen Paderborn und Mainz, beide Orte seien vier Tagereisen von einander entfernt: alle Verhältnisse, Localitäten und die von dem zu Fusse reisenden Abte Nicolaus angegebene Richtung stimmen vollkommen überein (W. Grimm Heldens. Nr. 23). In Paderborn wurden die von Karl, dem Grossen besiegten und zum Christenthume bekehrten Sachsen vorzüglich getauft, in dieser Gegend hauste Herzog Wittekind und liegt nördlich von hier in Herford begraben, in dieser Gegend besiegte im J. 9. p. Chr. Hermann den Varus und die Römer und trieb sie zum Rheine zurück: mithin war diese Gegend, nach der alten Heldensage und der Geschichte, der Heerd und die Heimath des Kampfes des Heidenthums gegen das Christenthum und des Kampfes des rein germanischen Elements gegen ein jedes fremde d. h. nicht germanisches Element, und es ist nichts Gewagtes, wenn die hiesigen Deutschen die Römer als Räuber betrachten mochten (das Räubercastell auf der Brücke bei Brictan=Wrexen, was zu sehr an römischen Brückenzoll erinnert). Daher erhob sich auch von Soest aus durch Atli und Thidrek ein gleicher Kampf gegen die slawischen Stämme im Osten Westfalens d. h. gegen die Pulinen an der Weser, Wenden auf dem Eichsfelde, Wilzen an der Schwalm in Hessen und Ruzen in dem spätern Thüringen, den heutigen sächsischen Herzogthümern. Gen Osten aus der Urheimath vertrieben, wurden die Slawen der Deutschen Erbfeinde und verursachten

 

 

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deshalb jene schweren Kämpfe bis in das Mittelalter herab, um die Urheimath natürlich wieder zu erobern. In der Völkerwanderung kam der durch seinen Namen und seine Grausamkeit dem Atli von Soest verwandte Attila, mit seinen Hunnen aus Ungarn nach Deutschland, Alles verwüstend , und beider Namen wurden mit einander in der Sage natürlich verwechselt und vermengt: auch diese Kämpfe mit den Hunnen dauerten fort bis auf Heinrich, den Finkler, weswegen auch die Hunen (grosse Menschen, Riesen) mit den Hunnen verwechselt wurden, und Atli’s Schandthaten, Hab- und Herrschsucht ohne Ausnahme auf den nicht bessern Attila übergingen: wie konnte ein Deutscher gegen die Deutschen und deren blutsverwandte Stammvölker, die Slawen so gewüthet haben?— Nibelungenl.: Hätten nicht Christen gegen Christen gekämpft etc . . . Und in diesem Sinne ist auch Thidrek von Bern in der Nowgoroder Chronik zum J. 1203 offenbar поганный, злый genannt worden und zwar zugleich mit Anspielung auf die Folgen, dass ihn der Teufel geholt und in den Aetna entführt habe, ja gleichzeitig berichtet in Deutschland Monach. Colon. Godefridus (1162—1237), dass Thidrek auf einem schwarzen Pferde reitend Spatziergängern an der Mosel, wo er auf einem gleichen Thiere verschwand, als er eben aus dem Bade, den Thermen in Trier kam, erschienen sei: von den arthodoxen Thriern und deren Geistlichen ging also schon frühzeitig diese Sage über Tridrek’s Verdammung aus, worin die Slawen nicht zurückblieben, da jener ihr Hauptbekämpfer zum Vortheil des verhassten Atli war. Dessen von ihm ermordeten Schwager Günther versetzt aber schon Abt Nicolaus in die Schlangenhöhle bei Luna in Italien, obgleich darunter ursprünglich das Luna der Sage, das heutige Lünen unweit Soest, mit einem Schlangenthurme, zu verstehen ist; denn ein Helferich von Luna taucht in der Sage auf, ja zwischen Soest und Iserlohn liegt das merkwürdige Steinmeer mit vielen Tropfsteinhöhlen, an welche sich Günther’s Ende leicht anlehnen konnte. Hier lag auch der Sage Lunawald.—Horohûs d. d. Haus, Wohnung des Horus, am Fusse der Eresburg, steht offenbar im Zusammenhange mit deren Irmensäule, dem allgemeinen Bilde des höchsten Gottes, die der nahen Donnereiche bei Geismar in Hessen entsprach (I. Grimm Mythol. I. S. 104 ff. 326 ff.), und in der Nähe lag die Gnitahaide, Bertangenland und noch heute findet sich hier westlich Werl im Helwege: war etwa hier der Eingang zu der Hel?.s. Brunhild’s Helfahrt der Edda. Wer ist aber der Horus der Sachsen? — gewiss nicht der ägyptische Sonnengott Horus, wohl erinnert jedoch die Irmensäule an Wodan, welcher zwischen Hâr und Jafnhâr der Thridi d. h. der dritte höchste oder eigentlich gleich hohe Gott ist (S. Grimm l .c. S.148.),

 

 

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und für diesen Hâr ist Horus offenbar die latinisirte sächsische Bezeichnung. Der den Ort und die Eresburg umgebende mächtige Bergwald hiess Ösning (ös, ans Berg und Wald), gewiss ein heiliger Wald, in dem die Irmensäule unter freiem Himmel verehrt ward, die bald fanum, bald lucus, bald idolum heisst, und Ledebur hält den Teutoburger Wald für den Ösning, ahd. etwa Ansninc, Ensninc, nach Pertz 2, 447 liegt bei Theotmelli=Detmold der Wald silva Osnengi. Ein solcher Osning lag auch unweit Osnabrück (Asnebruggi, Möser, Urk. no. 2.) und ein dritter silva Osning in Ripuarien am Niederrhein (Lacomblet no. 310. 343. 354.), der sich bis Achen zu den Ardennen ausbreitete, da diese bei Barsch zu Schanants Eiflia illustr. 1, 110 Osninka silva hiessen, ja nach diesem Osning war sogar, nach den Osnabrücker Urkunden, der Osnabrücker Osning eingerichtet: ad similitudinem foresti Aquisgranum pertinentis. Die weite und verwandte Einrichtung dieser heiligen Haine Osning bei den Sachsen mit einer Irmensäule bürgt zugleich für deren allgemeine Verehrung als Sinnbild Wodans, der eben zuerst zu den Sachsen kam, und gewiss ist der Urtypus davon in der Eresburg in Verbindung mit dem unter ihr liegenden Horus zu suchen. Aus dem Osning bei Osnabrück stammt sicher die in der Domkirche zu Hildesheim aufbewahrte, 16 Fuss hohe und aus grünlichem Steine gefertigte Irmensäule. S. 9. 56. 132.

 

Hunen, die, des Atli oder Budlunge wohnten in Westfalen und ihre Haupt- und Residenzstadt war Susat, Susa=Soest: diese Hunen sind die Marsen. Die Hunen der Wölsunge dagegen sind Franken und Chatten in dem spätern Unterlahngaue, mit der Residenzstadt Groszenlinden: sie sind die Tubenten. S. 11.

 

Idarwald ist ein Theil des Hunsrücken (mons Hunorum). S. 35.

 

Iverne, wahrscheinlich Eversberg, eig. Evernberg bei Arnsberg in Westfalen, am Gebirge; denn Herthegn scheint ein Graf Atli’s gewesen zu sein, vor dem dessen Bruder und Mörder, Tistram aus Furcht an den Rhein entfloh, von wo aus er leicht weiter entkommen konnte. Nicht weit von diesem Iverne=Eversberg lag Bertangenland, das Erbe des durch Isung vertriebenen Iron’s von Brandinaburg, den Tistram gekannt haben muss, da er zu ihm in das westliche Westfalen entflieht. In Iverne’s Nähe lag auch die Burg Aldinflis. Iverne oder Ivern lag an einem Schieferbruch — Berge, weshalb berg später angehängt ward. S. 19. 57.

 

Kiliander=dem Dorfe Kaldern, westlich von Marburg, auf einer Berghöhe, s. sub Horus. S. 9. 131.

 

Kius oder Kiu, eine Slawenstadt, das heutige Kösen an der Saale, eine uralte Salinie. S. 48. 59. 135.

 

 

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Langobarden des Thidrek sind offenbar die Chattuarier von der Ruhr: sie wohnen von Bonn aus ostsüdlich, zu Erminrek’s Reiche gehörend, und sind die chattuarischen Franken. Nach der Mengsage ward dieser Landtheil aus Verwechslung mit der Lompardei in Italien so benannt. S. 10. ff. 130.

 

Lura- oder Lorawald, auch Burgwald genannt, zwischen der obern Eder u. dem Burgwald bei Marburg, in ihm der Römer templum Tanfanae. S. 15. 31. 45. 63. 131.

 

Lutici, Liutici wohnten zwischen der mittlern Oder und Elbe. S. 101. ff.

 

Marstein wahrscheinlich der ältste Name Marburg’s, aus ahd. mar Pferd und stein Felsen, auf dem das alte Schloss liegt, gebildet: in der Nähe unterhielt Brunhild ihr Gehöfte im Burgwalde mit einer Stuterei. S. 17. 63. 131.

 

Moere, ein irriger Name des Main’s nach der Stadt Moeringen, wo die Burgunder auf ihrer Reise zu Atli übernachten. S. 57.

 

Mundifiall, Gebirge, gewöhnlich die Alpen nach der Mengsage, ursprünglich aber ein Theil des Eifelgebirges am linken Rheinufer, nach der Stadt Mundina, die hier lag, benannt. S. 11. 32. 25.

 

Mundina, Stadt im Eifelgebirge, etwa Münster an der Eifel? S. 11. 26. 31. 32.

 

Musula, Mosula, Ausonii Mosella ist zweifellos die Mosel im Trierschen: sie war der Lieblingsaufenthaltsort der Römer und alten Franken, und macht, sobald sie bei Cochem vorbeigeflossen, gewaltige Krümmungen, wodurch sie drei grössere Landseen bildet und zwar: 1) bei dem Städtchen Cell am Flüsschen Utge; 2) bei dem Kloster Engelport, den grössten, wo das Wasser tief und ruhig und nirgends „einen Aus- und Eingang“ zu haben scheint, mit niedrigen Inseln versehen, in ihm verschwand Widga vor dem verfolgenden Thidrek, und 3) bei der Stadt Treisz mit einer uralten Burg: an seinem linken Ufer lag Carden, der Mengsage Garta, beliebter Aufenthaltsort der Römer und Franken, so später der Gattin Hildebrand’s, nachdem Thidrek König von Trier geworden war; in der Nähe waren und sind Schwefelquellen. S. 28. etc. 57.

 

Osning (os, As, Ans Wald und Berg), ein heiliger Wald 1) bei der Eresburg in Westfalen; 2) bei Osnabrück im Hannöver’schen, und 3) ein Theil des Eifelgebirges bis gen Achen und zu den Ardennen, s. Horus. S. 56. f. 132.

 

Ostrogard, gebildet aus slaw. ostrow=holm Insel und gard Stadt, = Holmgard. S. 68. 135.

 

Palteskia, uralte Grenzfestung der Slawen d. h. der Pulinen gegen das westfälische Hunen- oder Marsenland, das heutige Polte oder Polle an der Weser im Hannöverschen, aber nicht Polotsk im heutigen Russland. S. 48. 59. 65. 134.

 

Pul ist der Römer Reich am linken Rhein und an der Mosel, aber nicht Apulien in Italien, wornach erst die spätere Mengsage jenes benannt und so vermengt hat. S. 14. 134.

 

Pulinenland, das der Pulinen an der Weser mit der Hauptstadt und Grenzfeste Palteskia=Polte, Polle im Hannöverschen. S. 48. 53. 65.

 

 

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Rana am Rhein im Amlungenlande, etwa der heutige Flecken Rheinau am linken Rheinufer im Breisgau, da es zum Staate der Harlunge gehörte, die in Breisach residirten. S. 23. 33.

 

Rimslo, ein Theil des nördlichen Eifelgebirges. S. 16.

 

Romaburg ist nicht Rom in Italien, sondern Trier an der Mosel, der Römer zweites Rom des Reichs und deren zweiter Lieblingsort, wo viele römische Kaiser residirten, und auch Thidrek zieht von Gsaechenburg d. h. dem heutigen Grach nach kurzem Marsche in daselbe ein. S. 10. 11. 13. 25. 129.

 

Rosamanen sind der Winden oder Wenden Amlungen, diese wohnten ursprünglich auf dem Eichsfelde zwischen den Ruzen ostsüdlich und den Wilzen an der Schwalm in Hessen; von ihnen stammen noch Grosz- und Klein-Wenden bei Bleicherode, am Wege nach Heiligenstadt. S. 52. 49.

 

Ruzenland ostnördlich von der Schwalm in Hessen, von dem Thüringerwalde an bis zur Saale und Unstrut, und westlich bis in das Hannöversche, mit den Städten Smalenzkia oder Smaland, ahd. Smalent d. h. Schmalkalden, Kius=Kösen und Holmgard = Heldrungen. S. 49. 65. ff.

 

Saegard, der Edda Hlyndalir auf der Gnitahaide, in Svaven, Brunhild’s Burg, fällt nach ihrem Tode an Erminrek von Trier. S. 11. 14. 131.

 

Sarkastein, Stadt im Amlungenlande, dem Breisgau, welche? S.22.

 

Smalenzkia, Smaland, ahd. Smalend ist offenbar Schmalkalden an der Kalde, am westlichen Fusse des Thüringerwaldes, reich an Erzgruben, Hauptgrenzfeste der Ruzen gegen die Wilzen etc. Die hiesigen Slawen heissen die Südslawen oder Grekland. S. 47. 59. 65. 135.

 

Susat oder Susa=Soest in Westfalen, Atli’s oder der Budlunge Residenz. S. 43. ff.

 

Svava d. h. das Land der Sueven am Rheine und der Lahn. S. 13. f.

 

Skorottan oder Mittan ist das heutige Schottland oder England überhaupt. S. 60.

 

Tanfanae templum=Lurae, Lorae templ., in Westfalen. S. 55.

 

Thiodi = der alten Grafschaft Thudeffe der Danduten oder Dänen in Hessen, unweit der Gnitahaide. S. 1. 182.

 

Tira=Dierdorf am rechten Rheinufer, entgegen den westfranken, Atli’s östliche Grenzfeste gegen die ripuarischen Franken; weiter am Rheine hinab lag die Hauptfeste Bakalar Rüdiger’s, und westlich gegen die salischen Franken im sauerländischen Gebirge lag die dritte Feste Brandinaburg. Atli’s Reich mag sich von der Lippe im N, in O an der Westseite der Wesergebige hinab bis zum Lahngau, Coblenz gegenüber, im W. bis zum Westerwald und den sauerländischen Gebirgen, auf deren Südwestseite am Rheine hinab die West- oder salischen Franken hausten, erstreckt haben. S. 19 f. 61. 131.

 

Travenna=Traben- oder Travenbach an der Travenna, ahd. Traben ist das heutige Trarbach, nicht Ravenna in Italien, wornach es auch Traben-, nicht Rabenschlacht lauten muss. Die Travenna oder Traben fällt in die Mosel, unweit Gronsport. S. 12. 26. 42. 130.

 

Trecanfils = Drachenfels am Rheine. S. 15. 20. 131.

 

Trelinburg=Trechlinburg am Rheine, der Mosel gegenüber, wo Erminrek die Harlunge erhängte. S. 23. 131.

 

 

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Tronegge=Troneck an der Drohn des Hunsrücken, Stammburg Hagen’s und Dankwart’s in dem Nibelungenliede. S. 34. 131.

 

Tubanten oder Tubatten in Hessen sind die Ahnen der Batten oder Battaver in Holland. S. 9. 132.

 

Wadincusan, zusammenhängend mit Wadi, ist Wedinghausen bei Arnsberg in Westfalen und liegt nicht in der Lombardei. S. 56. 132.

 

Walkaburg des Nudung ist Wolkenburg am Rhein bei Drachenfels. S. 25. 28. 131.

 

Walslöngawald ist ein Theil des sauerländischen Gebirges zwischen der Sieg und Lippe, die Grenze zwischen Westfalen und den salischen Franken und gehörte den Westfranken. Ueber ihn lag der Ungarawald Atli’s, zu Brandinaburg gehörend. S. 20.

 

Walterburg oder Villeraborg etwa=Werl im Helwege? S. 44. 59. 61. 101. 131.

 

Waskastein, Walthari’s Burg, = Wasichenstein in den Vogesen. S. 18. 57.

 

Weletabi, ein späterer Name der Südwilzen zwischen der Oder und Elbe. S. 100 ff.

 

Wenden, Grosz- und Klein-, an der Chaussee zwischen Nordhausen und Heiligenstadt, im Lande der Wenden oder Winden auf dem Eichsfelde, das auch Winnland hiess und aus dem der Slawe Hornbogi herstammte, nordöstlich von der Weser, nicht weit von Hessen. S. 14. 46. 68. 135.

 

Wilcinen, die, = Wilzen an der Schwalm in Hessen, ihre Burg war die Wilcinenburg, nordöstlich von Marburg und östlich vom Burg- oder Lurawalde gelegen. S. 45. 48 f. 62 f. 131. 53.

 

Wisarâ ist unzweifelhaft die Weser, die eine Hauptrolle spielt. S. 15. 49.

 

Anm. Durch Verwechslung der Namen von Personen und Örtern hat die spätere Sage im Verlaufe der Zeit viele falsche Namen in sich aufgenommen. Als solche wilde Auswüchse sind alle italischen und scandinavischen Ortsnamen in ihr unbedingt zu streichen. Dahin gehören in Italien vorzüglich Verona, Ravenna, Garta am Gartasee, Salerni, Luna, Fenedi, Rom, Brixen, die Etsch als Eidisa, Pulen und Apulien, Mundifiall, als Alpen, Vercelli, Pulinenland als das heutige Polen, Ruzenland des 13ten Jahrhunderts, und in Scandinavien, obgleich es ein gewisses Recht auf die Sage hat, Seeland, Tummathorp in Schonen, Wetland’s Herad als die grosse Stadt Wittala in Smaland, etc. etc. . . . .

 

 

 

Quelle:

 

Krahmer, A. W. Die Urheimath der Russen in Europa und die Wirkliche Localitat und Bedeutung der Vorfalle in der Thidreksaga : Ein Gratulationsschreiben zu dem tausendjahrigen Bestehen des russischen Staates an Feodor Iwaniwitsch Buszlajew gerichted / von A. W. Krahmer. - Moskwa : Buchhandlung von Moritz Arlt, 1862. - 144 c.

Kollektion: Allgemeine Bibliothek Russlands. Bücher aus der Tschertkovski-Bibliothek. Deutschsprachige Bücher Russlands des 18.-19. Jh.

 

Das Buch ist eingescannt in der elektronischen Bibliothek der staatlich öffentlichen historischen Bibliothek Russlands unter folgendem Link zugänglich:

http://elib.shpl.ru/ru/nodes/26633-krahmer-a-w-die-urheimath-der-russen-in-europa-und-die-wirkliche-localitat-und-bedeutung-der-vorfalle-in-der-thidreksaga-ein-gratulationsschreiben-zu-dem-tausendjahrigen-bestehen-des-russischen-staates-moskwa-1862#mode/inspect/page/5/zoom/4

 

 

 

 

 

Friedrich Panzer 1924: Rezension zu: Die Brünhildsage in Rußland

Löwis of Menar: Die Brünhildsage in Rußland

Von Friedrich Panzer, Heidelberg

 

Im 2. Bande meiner „Studien zur germanischen Sagengeschichte“ versuchte ich der Nibelungenforschung einen Überlieferungskreis zuzuführen, der seit längerem schon in einer oder der anderen seiner Fassungen die Aufmerksamkeit russischer und deutscher Forscher durch seine augenscheinlichen Beziehungen zur Siegfriedsage erweckt hatte, aber nie im Zusammenhang untersucht worden war. Ich hatte mit einiger Mühe 12 Fassungen dieses „Märchens vom Brautwerber“, wie ich es nannte, aus dem Bereiche volkstümlicher Überlieferung zwischen der Bukowina und dem Kaukasus auftreiben können; es war mir nicht zweifelhaft, daß jeder, dem die volkskundliche Literatur Rußlands frei zugänglich war, imstande sein mußte, den Stoff wesentlich zu vermehren und damit ein genaueres Bild der Überlieferung zu zeichnen.

Der Verf. der vorliegenden Schrift *), durch vergleichende Studien auf dem Gebiete deutscher und russischer Märchenüberlieferung bekannt, war der berufene Mann, die dringend nötige Ergänzung meiner Untersuchung zu liefern; unsere Sagenforschung darf also seine Arbeit dankbar willkommen heißen. Seine und seiner Freunde Bemühungen haben meine Liste der Brautwerberfassungen um

nicht weniger als 22 Aufzeichnungen vermehrt, und der Verf. gibt eine eindringliche Analyse des neu Herbeigeschafften in der Form eines Nachtrags zu meiner Darstellung. Es zeigt sich dabei, daß die Vermehrung des Stoffes nichts wesenhaft Neues hat beibringen können. Der Grundriß der Überlieferung, wie ich ihn herauszuarbeiten suchte, bleibt durchaus bestehen, manches einzelne aber kann natürlich aus der größeren Fülle reiner und sicherer hergestellt werden. Es finden sich manche interessante Ausweichungen und Verknüpfungen, z. B. tauchen mehrfach die „Erbteilungsformel“, wie ich sie nannte, oder Motive des Bärensohnmärchens auf, d. h. also Züge, die auch in den Siegfriedssagen begegnen. Auch andere Märchentypen, bes. „Der dankbare Tote“, haben Einfluß gewonnen. Dem für unsere Heldensage freilich nicht in Betracht kommenden Schlußteil des Märchens hätte man noch genauere Darstellung seiner Vorgeschichte gewünscht, als sie ihm hier S. 48 ff. in dankenswerten Verweisen zuteil wird.

Das Verbreitungsgebiet des Märchens reicht nach den jetzt bekannten Fassungen von der Bukowina bis zum Baikalsee und nordsüdlich vom Onegasee bis zum Kaukasus. Von besonderem Interesse ist der Nachweis, daß seine Überlieferung auch in Bylinen eingedrungen ist. Aber nur einzelne Motive und Formeln des Märchens finden sich in dieser Form. Die auch durch den Stil einzelner Fassungen aufgeregte Vermutung, daß der ganze Typus Prosaauflösung einer Byline sein könnte, glaubt der Verf. in vorsichtigen Erwägungen gleichwohl verneinen zu müssen. Als Heimat des Märchens wird Nordostgroßrußland vermutet, weil dort die meisten und besterhaltenen Fassungen sich finden.

 

Ausführlich werden vom Verf. die Веziehungen des Märchens zu den deutschen und nordischen Siegfriedsagen erörtert. Entgegen der von mir vertretenen Auffassung, der, grundsätzlich, auch v. Sydow und Neckel beigetreten waren, betrachtet er mit Heusler und F. R. Schröder die russische Überlieferung als einen Ableger der deutschen Nibelungendichtung, und zwar als die Prosaauflösung jenes Brünhildenliedes, das Heusler als die gemeinsame Voraussetzung der entsprechenden Abschnitte des Nibelungenlieds und der Thidrekssaga konstruiert hat. Die Vermittlung von hanseatischen Kaufleuten hätte das Lied um 1200 nach Rußland gebracht, wo sprachkundige Spielleute seinen Stoff übernommen und in die märchenhafte Prosaerzählung aufgelöst hätten.

Ich kann in der vorliegenden Schrift nichts finden, was meine entgegengesetzte Auffassung widerlegte. Ja, es bedeutet für die vom Verf. verfochtene Anschauung doch eine recht fatale Schwächung, daß auch er die Beeinflussung der deutsch-nordischen Siegfriedsagen durch die russische Überlieferung an mehr als einem Punkte einräumen muß. Er möchte zwar auch die Roßwahl Siegfrieds, die in der Thidrekssage wie in der Еdda und Völsungasaga und nordischen Balladen bezeugt ist, für bodenständig deutsch halten, und jene Studien 2, 199 ff. von mir angezogene

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*) August von Löwis of Menar [Priv.-Doz. f. Archäol. an d. Univ. Riga], Die Brünhildsage in Rußland. [Palaestra 142. Untersuchungen und Texte aus d. deutschen u. engl. Philologie, hrsg. v. A. Brandl (ord. Prof. f. Engl. an d. Univ. Berlin) u. G. Roethe (ord. Prof. f. deutsche Phil. an d. Univ. Berlin.] Leipzig, Mayer u. Müller, 1923. 110 S. 8°.

 

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1917 1924 DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 21. Heft 1918

russische Überlieferung, deren schlagende Übereinstimmung mit der Siegfriedgeschichte er natürlich zugeben muß, als Nachklang eines nach Rußland gedrungenen jüngeren Siegfriedliedes in Anspruch nehmen: gewiß von vornherein eine unwahrscheinliche Annahme gegenüber der Tatsache, daß der russischen Roßgeschichte, die ich anzog, in russischer und östlicher Überlieferung eine lange Reihe von Parallelen zur Seite stehen, die in Deutschland durchaus fehlen. Aber auch Löwis of Menar findet, die Art, wie die Roßwahl in die Erzählung der Thidrekssaga eingefügt ist, setze voraus, daß der Sagaerzähler Brünhild als die Besitzerin jenes unbändigen Rosses gekannt habe, das im Märchen bei der Freierprobe eine so bedeutende Rolle spielt. Nach seiner Auffassung aber ist diese Roßprobe erst eine Erfindung des russischen Märchens, entstellt aus den Waffenproben des deutschen Brünhildliedes. (Der Grund der Entstellung wird S. 99 sehr wunderlich angegeben: „Die russischen Erzähler verloren allmählich die klare Anschauung von den zwei oder drei ihnen überlieferten Kampfspielproben. Der ritterliche Gerschuf mit nachsetzendem Sprung wurde ihnen ein unverständliches Bild.“ Der Gerschuf ritterlich? Und um 1200 unverständlich?) Danach also drang um 1200 das deutsche Lied nach Rußland und ward bis 1250, der Zeit der Entstehung der Thidrekssaga, dort in Prosa überführt, in dieser Gestalt aus Rußland nach Norddeutschland zurückgebracht, dort in die Siegfriedsage aufgenommen und diese so veränderte Sage wieder nach Skandinavien getragen: eine verzweifelte Zumutung an fünf Jahrzehnte! Und nicht bloß für die niederdeutsche Vorlage der Thidrekssaga, auch für die Hvenische Chronik sieht der Verf. sich genötigt, Beeinflussung durch das russische Märchen anzunehmen, da auch er ihre Erzählung, wie die Königin in der Nacht mit Ruten gestrichen wird (die mit den russischen Märchen übereinstimmt), dem deutschen Brünhildliede nicht glaubt zutrauen zu dürfen.

 Eine Lücke in den Ausführungen des Verf.s bedeutet es, daß er die Beziehungen des Brautwerbermärchens zur Göngu-Hrolfs-saga keiner Prüfung unterzogen hat; augenscheinlich ist ihm die Verwandtschaft der beiden Überlieferungsreihen entgangen. In die Lücke tritt teilweise eine soeben in der Festschrift für Mogk erschienene Untersuchung über den Gegenstand von F. R. Schröder. Auch sie freilich beantwortet m. E. die Frage nicht endgültig; es wäre erwünscht, daß eine geduldige Hand einmal den ganzen wirren Knäul der Märchenmotive dieser Saga auflöste und all die bunten Fäden uns sauber im einzelnen vorlegte, die in der Hand des Erzählers zusammengeflossen sind. Auch Schröder unterschätzt m. E. noch den Zusammenhang, der zwischen den beiden Überlieferungen besteht. Denn die Saga gibt nicht nur, wie Schröder richtig ausführt, den zweiten Teil des Märchens, die Geschichte vom Fuß- und Handlosen, in demgesamten Aufbau ihrer Motive genau wieder, sondern enthält auch das Wesentliche seines ersten Teiles mit genau entsprechender Verknüpfung der beiden Teile: Gongu-Hrolfr verlor die Füße, weil er als heimlicher Stellvertreter eines untüchtigen Herrn die Freierproben bestanden hatte. Die Saga ist also entgegen Schröders Meinung ein sicheres Zeugnis für die Bekanntschaft des russischen Märchens im mittelalterlichen Skandinavien.

Ich kann nach all dem Gesagten nur bei der Auffassung stehen bleiben, daß die einschlägigen Erzählungen unserer Siegfriedsagen und die russischen Brautwerbermärchen unserer Zeit aus einer gemeinsamen Überlieferung flossen, die ihrem ursprünglichen Charakter nach in den Märchen genauer festgehalten ist, als in unserer Heldensage. Denn die „Werbungssage“, in deren Mittelpunkt Brünhild-Siegfried-Gunther stehen, kann nicht in der Königshalle erfunden sein; es ist eine, in einzelnen Abschnitten mühsam, heroisierte Märchenhandlung. Es gilt eben zu begreifen, daß Heldensage kein Stoff ist, sondern eine Form, innere, teilweise selbst auch äußere Form; es ist die an irgendwelchen geeigneten Stoffen von Künstlerhand sinnlich gemachte Weltanschauung der Antrustionen (wenn man die Verallgemeinerung dieses fränkischen Ausdrucks gestatten will) und ihrer Erben. Die Stoffe konnten aus dem wirklichen Leben der Antrustionen genommen sein und brauchten dann nur verdichtet, gesteigert, seelisch vertieft zu werden, um Weltbild und -gefühl dieses Kreises aufleuchten zu lassen, die stets der eigentliche Erregungs- und Zielpunkt des Scop waren. Die Form ward aber auch Stoffen anderer Herkunft, auf heimischem Boden gewachsenen, oder aus der Fremde bezogenen, Ortssagen, Märchen, Novellen gegeben und in manchen Teilen wohl auch aufgenötigt. Denn nicht immer ließen diese Stoffe sich restlos im

 

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1919 1924 DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 27. Heft 1920

 Sinne der Umwelt und Lebensauffassung des Scop und seines Kreises stilisieren. Es blieben gelegentlich unfügsame Reste, für den Kritiker Anzeichen eines anders gearteten Stils, für den sie ursprünglich erfunden waren. Eine Brünhild, deren Waffen ein Dutzend Kämmerlinge kaum zu schleppen vermag, ein Burgundenkönig, der in der Brautnacht gefesselt an einem Nagel an der Wand hängt, — das sind verräterische Reste des ursprünglichen Märchenstils eines Stoffes, der nachträglich in die Form germanischer Heldensage überführt wurde.

Der hier in Frage stehende Stoff ist, das scheint mir sicher, aus dem Osten gekommen. Zu welcher Zeit die Übernahme erfolgt ist, mag umstritten werden. Ich habe sie früh gesetzt und sehe kein Hindernis, östlichen Einfluß schon für die älteren Stufen unserer Heldensage anzunehmen. Ließe sich doch, wie mir scheint, auch für das Hildebrandslied östlicher Ursprung seines Vorwurfes wahrscheinlich machen, wie denn überhaupt auch der germanistischen Wissenschaft die Überzeugung immer deutlicher wird, dass Orient und Okzident nicht mehr zu trennen seien.

 

Quelle:

Friedrich Panzer: Rezension zu August von Löwis of Menar: Die Brünhildsage in Rußland. Leipzig Meyer und Müller 1923 in: Deutsche Literaturzeitung 1924 27. Heft Sp. 1915 bis 1920

 

 

 

 

 

 

August Fuchs 1844: Zu den Grenzen der deutschen Sprache und ihrer Mundarten

Blätter für literarische Unterhaltung.

Sonntag, -- Nr. 140. -- 19. Mai 1844.

 

Die Grenzen der deutschen Sprache und ihrer Mundarten.

 

Sprachkarte von Deutschland. Als Versuch entworfen und erläutert von Karl Bernhardi. Kassel, Bohne. 1844. Gr. 8. 1 Thlr. 15 Ngr.

 

Die Untersuchung der Grenzen eines Sprachstammes wie einer einzelnen Sprache ist nicht nur für den Sprachgelehrten von Fach, sondern für jeden Gebildeten so anziehend und lehrreich und zugleich in ihren Ergebnissen für Sprache, Geschichte und Erdbeschreibung so wichtig, daß nur die großen Shwierigkeiten, welche mit solchen Untersuchungen verbunden sind, es erklärlich machen, daß bisher noch so wenig dafür geschehen ist. Mit desto größerer Theilnahme und Dankbarkeit muß daher jeder derartige Versuch aufgenommen werden, zumal wenn er mit solcher Gewissenhaftigkeit und Umsicht ausgeführt wird wie die „Sprachkarte von Deutschland“ von Hrn. Bernhardi, welche wir als den ersten Anfang, die Sprachgrenzen Deutschlands festzustellen, freudig begrüßen. Hr. Bernhardi selbst urtheilt über seine Schrift sehr bescheiden; er bezeichnet sie nur „als einen Versuch auf einem neuen Felde und als eine Auffoderung zu einer gründlichen Bearbeitung des Gegenstandes“. Aber mindestens ist es ein sehr gelungener Versuch, und nach der Ausführung zu urtheilen, sollte man meinen, der Verf. habe eine Menge von Vorarbeiten benutzen können.

 

Wir wollen über das treffliche Buch nur berichten und es der allgemeinsten Theilnahme, deren es in hohem Grade würdig ist, empfehlen; was wir von eigenen Bemerkungen und Wünschen etwa hinzuthun, wird nur unbedeutend sein.

 

Was zunächst die Karte selbst betrifft, so ist ihr die Stieler'sche Flußkarte zum Grunde gelegt; die Gebirge sind nur da angedeutet, wo ihre Lage in Beziehung auf die Sprachgrenze von Bedeutung ist, die Flüsse dagegen sind sehr vollständig aufgenommen. Die Karte reicht von der Nordspitze Dänemarks bis etwas südlich von der Mündung des Po und etwa von Orleans bis Grodno. Die drei Hauptzweige der germanischen Sprachen, Hochdeutsch, Niederdeutsch und Nordisch, sind durch drei verschiedene Arten von Roth bezeichnet, doch das Englische gelb; die angrenzenden fremden Sprachgebiete durch verschiedene deutlich sich absetzende Farben. Anziehend und lehrreich wäre es gewesen, wenn es Hrn. Bernhardi gefallen hätte, zugleich mit einer besondern Farbe die jetzigen staatlichen Grenzen wenigstens der Hauptländer zu bezeichnen, wodurch das Herüber - und Hinübergreifen der Sprachen über dieselben deutlicher in die Augen gefallen sein würde. Hr. Bernhardi hat dies wol darum unterlassen, weil er, ganz vom geschichtlichen Standpunkte ausgehend, mehr die ursprünglichen Volksgrenzen im Auge gehabt hat.

 

Hrn. Bernhardi's Erläuterung zerfällt ganz natürlich in zwei Haupttheile: „Die deutsche Sprachgrenze gegen außen“ und „Abgrenzung der verschiedenen deutschen Mundarten untereinander.“ In den „Allgemeinen Bemerkungen“ (§. 1) läßt uns der Verf. einen Rückblick in die früheste Geschichte unsers Vaterlandes thun, indem er die Nachrichten der römischen Schriftsteller über die ursprünglichen Grenzen der Deutschen zusammenstellt, aus denen sich ergibt, daß jene alten Volksgrenzen fast ganz mit den heutigen Sprachgrenzen übereinstimmen. Nur die Ostgrenze der Deutschen, den Slawen gegenüber, hat öfters gewechselt, und daher hat Hr. Bernhardi, was sehr dankenswerth ist, auch die erloschene westliche Sprachgrenze der Slawen auf der Karte angegeben, wie sie um das Jahr 804 gewesen ist, wo die Slawen am weitesten nach Westen zu vorgedrungen waren. Die Grenze begann am Kieler Meerbusen, ging über den Plönsee, Segeberg und Oldesloe und ungefähr in der Mitte zwischen Hamburg und Lauenburg über die Elbe, dann nahe bei Lüneburg vorbei nach Ülzen, Salzwedel, Osterburg und traf endlich oberhalb Havelberg an die Elbe. Bemerkenswerth ist, daß -- was Hr. Bernhardi nicht anführt -- in den lüneburgischen Aemtern Dannenberg, Lüchow und Wustrow noch bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, wiewol verderbt, Slawisch gesprochen worden ist (s. Adelung's „ Mithridates “, II, S. 689 und Anmerk.). Ferner machte die Elbe bis zur Mündung der Saale und dann die Saale fast bis zu ihrer Quelle die Grenze. Ich erlaube mir hierzu eine kleine Bemerkung. Daß die Saale die alte Grenze zwischen Wenden und Deutschen gewesen sei, ist im Allgemeinen ganz richtig; nur muß man nicht übersehen, daß die Slawen auch vielfach die Saale überschritten und sich auf dem linken Ufer

 

 

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angesiedelt haben; namentlich verrathen in der Gegend etwa von Weißenfels bis Alsleben eine Menge Ortsnamen auf dem linken Saalufer ihren slawischen Ursprung durch ihre Namen. Fast alle diese Orter liegen aber im Thale, höchstens auf dem Abhange der Höhenzüge, welche das linke Saalufer begleiten. Hier liegen z. B., wenn wir in der Gegend von Weißenfels anfangen und nördlich fortgehen, die Dörfer Üchtritz, Crellwitz, Göhlitz, Dörstewitz, Dölitz, Beuchlitz, Cröllwitz, Lettin, Schiepzig, Quitschina (an der Salze, welche bei Salzmünde in die Saale geht), Gödewitz, Zaschwitz (Wettin gegenüber), Trebitz, Kloschwitz, Rumpin. Bei Friedeburg mündet ein Bach in die Saale, die Schleinitz, gewöhnlich Schlenze genannt; an diesem Bache entlang haben die Slawen noch einige Stunden weit aufwärts (westlich) auf beiden Seiten bis an seine Quelle hin Ansiedelungen gehabt; der westlichste slawische Ort scheint hier Hübitz unweit Mansfeld zu sein; außerdem liegen im Schlenzethale die Dörfer Lochwitz, Reidewitz, Zabitz; ferner im Saalthale Zickeritz, Zöllwitz (noch weiter westlich Ihlewitz) , Grölbzig. In Anhalt scheint von jetzt noch vorhandenen Örtern auf dem linken Saalufer nur Plötzkau (alt Plozeke, auch Plotzk) slawischen Ursprungs, doch werden in Urkunden noch mehre jetzt verschwundene Dörfer in dieser Gegend erwähnt, welche die slawischen Endungen in und itz hatten, z. B. Plesin, Lepenitz, Czernitz an der Mündung der Wipper, Lösewitz und einige andere; auch nicht weit von der Mündung der Saale liegt noch auf ihrem linken Ufer das Dorf Werkleitz. Demnach würde die Saale nicht, wie es auf unserer Karte angegeben ist, gerade die alte Grenze zwischen Slawischem und Deutschem machen, sondern größtentheils ganz zum slawischen Gebiete gehören. Auch auf dem linken Elbufer nördlich von Magdeburg liegen mehre Ortschaften, die muthmaßlich slawischen Ursprungs. Sind.

 

Hr. Bernhardi bespricht hierauf im zweiten bis achten Abschnitte die jetzige deutsche Sprachgrenze in Belgien, in Frankreich, in der Schweiz, in Tirol, in Kärnten, Steiermark und Ungarn, in Mähren und Böhmen, in Schlesien, Brandenburg, Pommern und Preußen. Es würde nicht möglich gewesen sein, die deutsche Sprachgrenze allenthalben so genau festzustellen, wie es Hrn. Bernhardi gelungen ist, wenn er sich nicht durch ausdauernden Eifer und Umsicht die mannichfaltigsten Unterstützungen, und zuverlässigsten Hülfsmittel zu verschaffen gewußt hätte. Die Sprachgrenze in Belgien hat er theils selbst bereist, theils aus der im J. 1835 in Brüssel erschienenen „Sprachkarte“ entnommen; die genaue Angabe der Sprachgrenze in Frankreich verdankt er zwei derselben ganz nahe wohnenden Freunden, deren einer in Saarbrück, der andere in Thann lebt; die Grenze in der Schweiz hat er theils selbst untersucht, theils nach Albert Schott's Schriften und nach dessen genauer Angabe auf einer besondern Karte bestimmt, sowie ihm für Graubünden noch, insbesondere Hr. Pfarrer Bänziger in Altstetten auf einer Sonderkarte (Specialkarte)

 

die Sprache jedes Dorfes mitgetheilt hat; die Bestimmung der Sprachgrenze in Tirol verdankt Hr. Bernhardi einem Alpenreisenden, Hrn. Schaubach in Meiningen; die in Illyrien, Ungarn, Mähren und Böhmen hat ihm der berühmte slawische Sprach- und Alterthumsforscher Schafarik in Prag auf vier Sonderkarten mitgetheilt. Solche Hülfsmittel sezten Hrn. Bernhardi in den Stand, die deutsche Sprachgrenze nach außen mit so großer Zuverlässigkeit festzustellen, daß wir ihm fast unbedingt Glauben schenken können.

 

In seiner Erläuterung gibt Hr. Bernhardi allenthalben die äußersten deutschen und die nächsten fremden Ortschaften an; besonders berücksichtigt er dabei den Lauf der Flüsse, welche häufig die Sprachgrenze bilden. Da wir wol voraussetzen müssen, daß die meisten unserer Leser keine so genauen Karten bei der Hand haben werden, daß sie auf denselben die von Hrn. Bernhardi genannten Dörfer und Bäche finden könnten, so wollen wir, indem wir eine kurze Übersicht der Sprachgrenze zu geben versuchen, nur die bedeutendern Örter angeben, welche an derselben liegen.

 

Fangen wir in Belgien an, so finden wir, daß die deutsche Sprache an der Nordsee, bis nach Frankreich hineinreicht; der äußerste deutsche Ort an der Nordsee ist nämlich Grevelingen (Gravelines), halbwegs zwischen Dünkirchen und Calais; von hier trifft die sprachliche Grenze mit der staatlichen zwischen den französischen Landschaften Flandern und Artois zusammen, südöstlich bis zu den französischen Grenzstädten St.-Omer und Aire; von da wendet sie sich östlich und tritt beim französischen Commines nach Belgien über, wo Brüssel, Löwen, Thienen (Tirlemont), Tongern, Mastricht die südlichsten deutschen Städte sind. Bei dem deutschen, unmittelbar an der Grenze liegenden Eupen wendet sich die Sprachgrenze südlich, und trifft eine Strecke lang ziemlich mit der Landesgrenze zwischen Deutschland und Belgien zusammen; doch ist Malmedy französisch, wogegen etwas weiter südlich die deutsche Sprache weiter nach Westen greift bis zur deutschen Grenzstadt Arlon, sodaß die Stadt Luxemburg in deutschem Gebiete liegt. Bei dem französischen Thionyille (Diedenhofen) tritt die deutsche Sprache, abermals nach Frankreich über. *) Hr. Bernhardi meint (S. 14), daß die deutsche Volksgrenze sich ursprünglich noch weiter nach Artois hinein erstreckt hat, was er theils aus den vielen niederländischen Einmischungen, welche die dortige französische Volksmundart zeigt, theils aus den vielen unzweifelhaft deutschen Ortsnamen schließt, welche sich z. B. in der Umgegend von Boulogne finden. Damit stimmt eine Bemerkung in dem (äußerst mangelhaften): „Essai d'un travail sur la géographie de la langue française“ (in den „Mélanges sur les langues, dialectes et patois“; Paris 1834,

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*) Nach einer Nachricht aus Luxemburg vom. 16. Dec. 1843 in Nr. 363 der augsburger „Allgemeinen Zeitung“ (abgedruckt aus der „Allgemeinen Preußischen Zeitung“) fällt die Sprachgrenze hier etwas weiter westlich, namentlich noch 2½ Stunde westlich von Arlon und 2 Meilen westlich von Thionville.

 

 

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S. 12) überein, nach welcher im Bezirke Pas de Calais unweit St.-Omer zwei deutsche (flamändische) Gemeinden mit etwa 1300 Einwohnern sich finden; aber weder sind die Namen derselben genannt, noch geht aus der angeführten Stelle deutlich hervor, ob sie wirklich eine Sprachinsel bilden oder eine Landzunge, die vom Nordbezirk herüberragt.

 

Von Thionville geht. die Sprachgrenze durch das nordöstliche Lothringen in der Richtung auf die deutschen Örter Pfalzburg und Zabern im Elsaß bis in das Wasgaugebirge (französischer Grenzort Sarrebourg), dessen Wasserscheide nun zugleich die Sprachgrenze bildet, sodaß das ganze Elsaß noch deutsch ist. Vom Bärenkopf, einem der höchsten Gipfel des Wasgaugebirgs, aus wendet sich die Grenze südöstlich auf das staatlich schweizerische, sprachlich deutsche Laufen an der Birs zu, oberhalb dessen sie in das Gebiet Bern eintritt; sie folgt nun der Grenze des Gebiets Solothurn bis an den Bielersee, wo der letzte deutsche Grenzort Erlach ist; vom nordöstlichen Ufer des Neuenburgersees geht sie nach dem Murtensee und von da südlich bei Freiburg vorbei (beinahe durch Freiburg hindurch), an der Saane entlang bis auf die berner Alpen, denen sie ein Stück nach Osten hin folgt, bis sie das Gebirge und gerade südlich den Rhone zwischen Siders und Leuk in Wallis überschreitet und immer südlich bis über den Monterosa hinaus eine Strecke nach Piemont hineingeht. Aber nur kleine Gebirgsthäler sind hier deutsch; schnell zieht sich die deutsche Sprache wieder nach der Schweiz zurück über den Simplon und St.-Gotthard, etwas nördlich vom Rheine ungefähr an der nördlichen Grenze von Graubünden entlang, bis sie beim deutschen Reichenau am Zusammenflusse des Vorder- und des Hinterrheins das Rheinthal durchschneidet und der Wasserscheide zwischen Plessur und Albula folgt. An der Grenze von Engadin (bei Martinsbrück) überschreitet sie den Inn und geht in südlicher Richtung nach der Ortelesspitze, wo sie Tirol erreicht. Außerdem liegt in Graubünden noch eine deutsche Sprachinsel südlich von Chur am Einflusse der Albula in den Hinterrhein. Hätte es doch Hrn. Bernhardi gefallen, zu Nutzen und Frommen der romanischen Sprachforscher ein Übriges zu thun und wenigstens in Graubünden genau die Grenzen der drei romanischen Sprächen ladinsch, rumonsch und italisch anzugeben, da dies nach den oben erwähnten Mittheilungen des Hrn. Pfarrers Bänziger für ihn eine leichte Mühe, für die romanischen Sprachforscher aber ein großer Gewinn gewesen sein würde. Ebenso, wäre später eine Sonderung wenigstens der wichtigsten slawischen Mundarten sehr erwünscht gewesen, wie Hr. Bernhardi in der That die Grenze zwischen der ober- und der niederlausitzischen Mundart angedeutet und auch die kassubische Sprache an der Mündung der Leda in die Ostsee besonders bezeichnet hat.

 

(Die Fortsetzung folgt.)

 

 

 

Blätter für literarische Unterhaltung.

Montag, Nr. -- 141. -- 20. Mai 1844.

 

Die Grenzen der deutschen Sprache und ihrer Mundarten. (Fortsetzung aus Nr. 140.)

 

Von der Ortelesspitze geht die deutsche Sprachgrenze nach Salurn zwischen Botzen und Trient (hiervon südlich liegen mitten im italischen Sprachgebiete die 7 und die 13 deutschen Gemeinden, welche in einem Winkel der Karte noch einmal in größerm Maßstabe verzeichnet sind); die fernern deutschen Grenzörter sind Botzen, Klausen und Brixen; dann macht die Wasserscheide der karnischen Alpen die Sprachgrenze. Bei Pontafel, oberhalb des unmittelbar an der Sprachgrenze liegenden, noch deutschen Villach, beginnt die slawische Grenznachbarschaft. Das Deutsche zieht sich nun etwas nördlich von der Drau entlang, fast gleichlaufend mit dieser, überschreitet dann dicht beim slawischen Radkersburg die Murr und wendet sich von hier fast gerade nördlich nach der Südspitze des Neusiedlersees , auf welcher Linie sie schon etwas südlich von jenem See mit der magyarischen Sprache angrenzt; sodann geht die Sprachgrenze etwas östlich vom See bis nach Presburg an der Donau, wo Deutsch, Magyarisch und Slawisch zusammenstoßen. Nördlich von der Donau macht die March wie die Landesgrenze zwischen Deutschland und Ungarn, so auch die Sprachgrenze zwischen Deutsch und Slawisch bis zum Einflusse der Taga oberhalb Rabensburg.

 

Wir brechen hier vorläufig ab, um Hrn. Bernhardi erst auf einem Abstecher zu den großen nach Osten hin ausgegangenen deutschen Niederlassungen in Siebenbürgen und Ungarn zu begleiten. Die Deutschen, durch ihre Lage in der Mitte Europas in näherer Verbindung mit den wichtigsten Volksstämmen Europas als irgend ein anderes Volk und leicht an Alle sich anschließend, überdies durch ihre Eigenthümlichfeit zu allen nützlichen Beschäftigungen geneigt und fähig, haben sich allenthalben hin verbreitet und Fleiß und Ehrlichkeit in die fernsten Länder mit sich getragen. Auf den Gebrauch ihrer Muttersprache aber mußten sie häufig verzichten, da sie meistens zu einzeln und zerstreut als thätige Handwerker und Arbeiter aller Art ihr Unterkommen in der Fremde suchten und fanden. Dennoch sind auch die größern Ansiedelungen der Deutschen, wo sie einzelne Ortschaften ganz oder theilweise besetzt und ihre Sprache bewahrt haben, nicht unbedeutend und Reisende aus allen Völkern stimmen darin überein, daß man überall die deutschen Ansiedelungen am trefflichen Anbau des Landes, an der Freundlichkeit und Zierlichkeit der Häuser, an dem Gepräge von durch Fleiß errungenem Wohlstande leicht erkenne. Wir dürfen wol hoffen, daß Hrn. Bernhardi's „Sprachkarte“ ähnliche Arbeiten über andere Sprachen hervorrufen wird, sodaß endlich auf diesen Grundlagen eine allgemeine Sprachkarte wird aufgebaut werden können, wie in der That in Italien schon ein mir nur dem Namen nach bekannt gewordener „Atlante linguistico d'Europa“ (wenn ich nicht irre von Biondelli in Mailand) herausgegeben wird. Eine solche allgemeine Sprachkarte wird, wenn sie vollständig sein soll, alle deutschen Niederlassungen in Ungarn, Siebenbürgen, der Walachei, Polen, Rußland, Sibirien, am Kaukasus, in Amerika zu berücksichtigen haben. Hr. Bernhardi hat vorläufig nur die wichtigsten und umfangreichsten in Siebenbürgen und Ungarn auf der Karte angegeben und besprochen.

 

In Siebenbürgen wohnen auf 195 Geviertmeilen gegen 500,000 Deutsche, bekannt unter dem Namen Sachsen. Sie zerfallen in das eigentliche Sachsenland mit Hermannstadt, in das Rösnerland mit Bistritz und in das Burzenland mit Kronstadt. Die erste Ansiedelung geschah durch Kriegsgefangene, zu denen im 11. Jahrhunderte zahlreiche und begünstigte Ansiedler kamen, um das verödete Land anzubauen. Die Rösner scheinen besonders zum Betriebe des Bergbaus in das Land gerufen worden zu sein; die Niederlassung im Burzenlande wurde im 13. Jahrhundert gegründet zur Vertheidigung des Landes gegen außen, indem Andreas II. einen wüsten Landstrich unter günstigen Bedingungen dem Deutschen Orden schenkte, welcher Ansiedelungen dorthin schickte, deren Mundart sehr von der der andern Deutschen abweichen soll. Überhaupt herrschen dort sehr verschiedene Mundarten, die sich schwer bestimmen lassen, da sie noch nicht untersucht sind und da die Bewohner fast allen Gegenden Deutschlands angehören. Hr. Bernhardi hat sie sämmtlich als Hochdeutsche bezeichnet und das ist für das Burzenland gewiß auch richtig; die Mundart des eigentlichen Sachsenlandes dagegen scheint

 

 

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mir vorherrschend niederdeutsch zu sein. Meine Gründe für diese Vermuthung sind folgende: Zunächst die Geschichte. Es wird ausdrücklich berichtet, daß die ersten (und doch gewiß zahlreichsten) Ansiedler in und um Hermannstadt Niederdeutsche oder Flamländer gewesen seien und in der von Hrn. Bernhardi selbst (S. 59, Anm. 22) angeführten Urkunde vom Jahre 1189 werden sie ausdrücklich „Flandrenses“ genannt; die Behauptung dagegen, daß die Rösner und Burzen vorzugsweise aus Süddeutschland gekommen seien, wird durch die Angabe bestätigt, daß die Rösner zum Betriebe des Bergbaus und die Burzen aus den durch Ungarn ziehenden Kreuzfahrern (die meistens aus Süddeutschen bestanden) in das Land gezogen worden seien. Ferner deutet der Name Sachsen, der gewiß auch in Anschlag zu bringen ist, sowie die bekannte, von Hrn. Bernhardi nicht erwähnte Verbindung der siebenbürger Deutschen mit der Sage vom Rattenfänger zu Hameln auf niederdeutsche Ansiedelungen hin. Dazu kommt noch eine nicht zu übersehende Angabe, welche sich in John Paget's „Ungarn und Siebenbürgen, politisch, statistisch, ökonomisch“ (übersetzt von Moriarty, Bd. 2, S. 363) findet, daß die Hermannstädter selbst ihre Mundart für dem Englischen sehr ähnlich halten. Ich theile die ganze Stelle hier mit:

 

Die Hermannstädter sollen von flandrischem Ursprung sein, und sie haben die sonderbare Idee, daß der ungewöhnliche Dialekt, in welchem sie gemeiniglich conversiren, eine starke Ähnlichkeit mit dem Englischen habe. Nach Dem, was ich davon verstehen konnte, hätte es meinethalben Hebräisch sein können. Ich glaube, es gibt nicht weniger als sieben verschiedene Dialekte unter diesen Sachsen, die alle aus den verschiedenen Theilen Deutschlands herrühren sollen, woher die Auswanderer ursprünglich kamen. Alle lesen und schreiben das Deutsche so, wie es jetzt gesprochen wird. Hier sowie anderwärts hat Luther's Bibel die Sprache nach ihrem Vorbilde geformt, allein selbst beim Bibellesen übersetzen sie in den gemeinen Dialekt. Es ist ein gewöhnlicher Scherz wider die Sachsen, sie zu fragen, wie sie Boffleisch buchstabiren, und sie antworten durch Zerlegung des classischen deutschen Wortes S-p-e-c-k, wobei sie es zugleich Boffleisch aussprehen. Selbst auf der Kanzel liest der Geistliche im Volksdialekt.

 

Am sichersten muß natürlich die Sprache selbst entscheiden, indessen mir ist nur eine kleine Sprachprobe (wol dieselbe, auf die Hr. Bernhardi hinweist) bekannt, nämlich das Vaterunser, welches Adelung im „Mithridates“ (Bd. 2, S. 221) mittheilt, und aus welchem sich freilich kein sicherer Schluß ziehen läßt. Doch kommen hier allerdings die niederdeutschen Formen dat (daß), gaff (gieb) und vergaff (vergieb) vor.

 

Auch in Ungarn ist außer den vielen einzelnen deutschen Niederlassungen eine bedeutende deutsche Sprachinsel von etwa 90,000 Deutschen in der Zips, etwas westlich und nordwestlich von Kaschau mit der Hauptstadt Käsmark, welche früher alle Bergleute gewesen sein sollen. Über die zipser Mundart hat Hr. Bernhardi nichts Befriedigendes finden können. Man kann wol mit Bestimmtheit sagen, daß sie Hochdeutsch ist. Wenigstens ist das Wenige, was Kohl daraus mittheilt, unbezweifelt Hochdeutsch; er reist in Ungarn mit einem Zipser zusammen und das gibt ihm Veranlassung zu folgender Anmerkung („Hundert Tage auf Reisen in den östreichischen Staaten“, Bd. 4, S. 467 fg.):

 

Jene zipser Deutschen, obgleich sie ursprünglich aus verschiedenen deutschen Kreisen kamen, haben alle etwas Eigenes und ihnen allen Gemeinsames, das sich hier in ihrem neuen Vaterlande bei ihnen entwickelt hat. Sie sind wieder ganz anders als die siebenbürgischen „Sachsen“. Auch ist ihr Dialekt ein ganz anderer. Das Merkwürdigste, was mir bei meinem zipser Genossen auffiel, war dies, daß er gar kein „r“ aussprechen zu können schien. Ich glaubte anfangs, dies sei nur ihm allein eigen, allein ich hörte später, daß dies bei den Zipsern allgemein sei und daß sie in der Regel kein „r“ in ihrer Sprache haben. Sie sagen z. B.: „ä hat's mi g'sogt", statt: „er hat es mir gesagt“ (dieses Beispiel beweist natürlich nichts), -- „gäben“ statt „gerben“, -- die „Schee“ statt die „Scheere“. Ich konnte dieser sonderbaren Auslassung wegen manche Worte anfangs gar nicht verstehen. Zuweilen setzen sie statt des „r' ein „h“, z. B. „mich geheit's“ (d. h. mich ärgert 's), was wahrscheinlich die verdorbene Redenzart: „mich gereut's" ist. „Mich geheit's“, sagte er, „daß i z' Fuß gongi bi“, und als wir in ein Wirthshaus einkehrten, um etwas zu frühstücken, setzte er mir ein „Freßbrett'l“ nebst einem „Freßhölz'l“ vor, d. h. einen Teller mit einer Gabel, und legte mir dann darauf „a Grimpel Fleisch“, d. h. ein Stück Fleisch. In diesen Worten sprach er das „r“' etwas deutlicher aus.

 

Adelung („Mithridates“, Bd. 2, S. 218) theilt aus Genersich's „Merkwürdigkeiten der königlichen Freistadt Käsmark“ (Kaschau 1804) die sehr wahrscheinliche Bemerkung mit, daß die Zipser vom Oberrhein stammen, da sie früher auch ihre Geistlichen aus Strasburg erhielten. Wodurch aber Adelung (denn dieser Abschnitt ist noch nicht von Vater bearbeitet) bewogen wird, hinzuzufügen: „Aber die Einwohner von Käsmark sprechen sehr gut Deutsch in der besten Mundart von Schlesien und beweisen auch durch ihre Sitte, daß sie aus Schlesien gekommen sind“, weiß ich nicht; das oben Mitgetheilte spricht entschieden für die erstere Angabe. Nun, es mögen auch Schlesier unter ihnen sein.

 

Endlich hat Hr. Bernhardi noch in Krain eine kleine deutsche Sprachinsel um Gottscher zwischen der Gurk und der Kulpa, südlich von Laibach, angegeben, über die er jedoch nur eine ältere Nachricht aus Valvasor's „Ehre des Herzogthums Crain“ (Laibach 1680) mittheilt, da ihm neuere Nachrichten fehlen. Cannabich nennt die Bewohner Gottscheer, in Pierer's „Universal-Lexikon“ werden sie Gottschewer genannt und ihre Zahl auf 44,000 angegeben; Hassel nennt sie sogar Gottschewerer.

 

Wir kehren nach dieser Abschweifung wieder zur eigentlichen deutschen Sprachgrenze, die wir bis zur Mündung der Taga in die March verfolgt haben, zurück. Die Taga selbst ist noch ganz deutsch (nur die mährische Taga kommt aus slawischem Gebiete); die Sprachgrenze zieht sich etwas nördlich von derselben bis zur deutschen Grenzstadt Neuhaus in Böhmen, von wo sie sich gerade südlich nach den deutschen Grenzstädten Gratzen und Krummau zieht. Von da geht sie nordwestlich, am Fuße des Böhmerwaldes entlang, welcher mit den Quellen der Flüsse ganz deutsch ist; Sablat, Winterberg,

 

 

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Reichenstein sind deutsche Grenzörter, Klattau ist slawisch; westlich von diesem reicht das Slawische bei Kleutsch bis auf den Kamm des Böhmerwaldes und dies ist überhaupt der westlichste slawische Ort. Im nordwestlichen Böhmen aber haben sich die Deutschen weit in die Thäler herab verbreitet bis dicht an Pilsen, dicht an Rakonitz und bis Leitmeritz. Von hier dehnt sich das Slawische nordöstlich bis in die Gegend von Reichenberg, bis dicht an Hohenelbe, von da südlich bis unfern Josephstadt und wieder nördlich bis Starkstadt aus. Dann macht ungefähr das glatzer Gebirge die Grenze, und das mährische Gebirge bildet eine kleine deutsche Landzunge, auf welcher Zwittau liegt. Am Westabhange der Sudeten sind die deutschen Grenzörter Schönberg, Neustadt, Sternberg; von da geht die Sprachgrenze nördlich, bei dem deutschen Jägerndorf vorbei nach Schlesien. Im slawischen Böhmen und Mähren liegen einige deutsche Sprachinseln Budweis, Iglau und Umgegend, bei Brünn, Olmütz u. s. w.

 

Von der Oppa zwischen Jägerndorf und Troppau, doch näher an jenem, wendet sich die deutsche Sprachgrenze östlich bis in die Gegend von Ratibor, von wo sie nordwestlich geht und oberhalb Brieg die Oder überschreitet, sodaß Ratibor, Kosel, Oppeln slawisch sind. Weiter nördlich sind die deutschen Grenzstädte Kreuzburg, Militsch, Fraustadt, Züllichau, Meseritz, Schwerin, Zirke; noch weiter nördlich bildet die Brahe bis zu ihrer Quelle die Grenze; endlich Bütow, Lauenburg, Stolpe. Das Königreich Preußen ist nur eine große deutsche Sprachinsel, wGebiet der kurischen Sprache bezeichnet.

 

Mitten im lithauischen Sprachgebiete sind mehre deutsche Niederlassungen, namentlich Gumbinnen. Die Untersuchung über delche jedoch durch eine Reihe deutscher Niederlassungen gewissermaßen mit Deutschland zusammenhängt. Die nächsten Ufer der Weichsel von Thorn bis Danzig sind fast ganz von Deutschen besetzt; dann sind die deutschen Grenzorte im Königreich Preußen: Eylau, Guttstadt, Rastenburg, Nordenburg, Wehlau und am Kurischen Haff Schaken. Unfern Nordenburg beginnt die Grenze gegen die lettische Sprache. Hr. Bernhardi hat hier aber Lettisch und Lithauisch miteinander ver- wechselt, was um so auffallender ist, da er (S. 90, Anm. 22) die ganz richtige Angabe Kohl's mittheilt, daß in Ostpreußen nur auf der Kurischen Nehrung von etwa 6000 Menschen Lettisch, bei TGebiet der kurischen Sprache bezeichnet.

 

Mitten im lithauischen Sprachgebiete sind mehre deutsche Niederlassungen, namentlich Gumbinnen. Die Untersuchung über dilsit und Gumbinnen aber (Letzteres ist nicht ganz genau) Lithauisch gesprochen wird. Hr. Bernhardi nennt aber jenes Lettische mit einem fast gleichbedeutenden Namen Kurisch, dieses ziemlich verschiedene lithauische Lettisch. Das Verhältniß dieser Sprachen zueinander ist folgendes (s. den Artikel „Indogermanischer Sprachstamm“ von Pott in der „Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste“): die lithauischen Sprachen zerfallen in drei Abtheilungen, in das eigentliche Lithauische, in das ausgestorbene Altpreußische und in das Lettische. Das Lithauische zerfällt wiederum in das Preußisch-Lithauische und in das Polnisch- ithauische oder Schamaitische. Die letztere Mundart herrscht nur noch in einem Theile Lithauens (in Schamaiten) , indem das übrige Lithauen die polnische Sprache angenommen hat.

 

Weit wichtiger ist das Preußisch-Lithauische (eben die von Hrn. Bernhardi Lettisch genannte Sprache), dessen Umfang Mielcke in der Vorrede zu seinem „Lithauischen Wörterbuche“ so bezeichnet:

 

Diese wird innerhalb der Grenzen des alten Ostpreußens nur in dem Bezirk, welcher die ehemaligen fünf Hauptämter, Namens Memel, Tilse, Ragnit, Labiau und Insterburg befaßt, und in wenigen herumgelegenen Ortern von dem eingeborenen gemeinen Mann gesprochen. In einigen Gegenden dieGebiet der kurischen Sprache bezeichnet.

 

Mitten im lithauischen Sprachgebiete sind mehre deutsche Niederlassungen, namentlich Gumbinnen. Die Untersuchung über dses Bezirks sind die alten Einwohner sehr stark mit deutschen Colonisten vermengt, in andern aber wohnen die Lithauer noch fast allein, besonders im Memelschen und in dem Landstrich an der östlichen Grenze, wo man oftmals in 20 Dörfern hintereinander kaum Einen Deutschen findet. Zu diesen Lithauern im alten Königreich ist nun noch, durch die lezte Theilung von Polen, eine sehr große Anzahl in demjenigen Theile von Neu-Ostpreußen, welcher östlich an jenen Bezirk stößt, hinzugekommen. Die Anzahl aller lithauischen Unterthanen in ganz Preußen, nach seinen jetzigen Grenzen betrachtet (im Jahre 1800), mag wol über 200,000 betragen.

 

Die lettische oder kurländische Sprache dagegen herrscht zufolge der Vorrede Stender's zu seiner „Lettischen Sprachlehre“ 1) in Kurland, Semgallen und in dem Stifte Pilten; 2) in Lettland oder dem westlichen Theile von Livland; 3) in dem ehemaligen polnischen Livland, welches jezt unter dem Namen des dünaischen Bezirks zu Neurußland gehört; 4) in Lithauen an der kurländischen Grenze, besonders in den zwei großen evangelischen Gemeinden Birsen und Scheymen; 5) in Preußen auf der Kurischen Nehrung. Nur diesen letzten Bezirk hat Hr. Bernhardi als das Gebiet der kurischen Sprache bezeichnet.

 

Mitten im lithauischen Sprachgebiete sind mehre deutsche Niederlassungen, namentlich Gumbinnen. Die Untersuchung über die Sprache in den russischen Ostseeländern bleibt noch ausgeschlossen, obgleich einige der nördlicher gelegenen deutschen Sprachgebiete, namentlich Libau, Mitau, Niga (bis hierher reicht die Karte nach Norden) u. s. w. verzeichnet sind; es möchten hier meistens nur Städte und Edelsitze deutsch sein. In der Angabe über die in Deutschland eingeschlossenen Wenden in der Oberlausitz mit Bautzen, in der Niederlausitz mit Kottbus folgt Hr. Bernhardi ganz dem zweiten Bande von Preusker's „Blicken in die vaterländische Vorzeit".

 

Am Schlusse der ersten Abtheilung läßt uns Hr. Bernhardi (S. 91-93) einen „Rückblick“ thun; es ist dies aber weniger ein Rückblick auf das in den vorhergehenden Abschnitten Behandelte, als ein Rückblick in die früheste Zeit, in welcher Europa seine Bevölkerung erhalten hat, um die Lage der verschiedenen Volksstämme zueinander recht deutlich zu machen. Es würde uns zu weit führen, wenn wir uns auf Besprechung dieses Abschnitts einlassen wollten, da wir wedeGebiet der kurischen Sprache bezeichnet.

 

Mitten im lithauischen Sprachgebiete sind mehre deutsche Niederlassungen, namentlich Gumbinnen. Die Untersuchung über dr mit der von Hrn. Bernhardi angenommenen Schafarik'schen Eintheilung aller europäischen Völker in den indisch-europäischen und in den nordischen Stamm (zu welchem Basken, Finnen, Samojeden, Türken gezählt werden) einverstanden sind, noch der Annahme, daß Europa am meisten

 

 

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von Nordwesten her vom Meere bedrägt sei, beistimmen können, da die nach Süden zu abgespitzte Gestalt aller Erdtheile mit den neben den Spitzen liegenden Inseln vielmehr auf eine von Süden herkommende Überflutung hindeutet.

 

(Der Beschluß folgt.)

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Dienstag, --- Nr. 142. – 21. Mai 1844.

 

 

Die Grenzen der deutschen Sprache und ihrer Mundarten.
(Beschluß aus Nr. 141.)

 

Wir kommen nun zur zweiten Abtheilung der Schrift des Hrn. Bernhardi: „Abgrenzung der verschiedenen deutschen Mundarten“ (S. 94-138). In vielen Beziehungen ist diese Untersuchung weit schwieriger als die Feststellung der äußern Grenzen der deutschen Sprache, denn während die meisten Sprachen, welche die deutsche umgeben, ganz andern Sprachfamilien angehören, sodaß auch der Ungelehrte leicht unterscheidet, was deutsch und was fremd ist, gehen dagegen die einzelnen Mundarten -- so verschieden und leicht erkennbar auch die voneinander entfernten sind -- meistens so allmälig und unmerklich ineinander über, daß es kaum möglich ist (wenigstens nur einem größern Vereine einsichtiger Gelehrten), alle einzelsten Unterabtheilungen genau zu umgrenzen, wenn man nicht, was das Leichteste und im Grunde Richtigste ist, geradezu sagen will: jeder Ort, jedes Dorf hat seine besondere Mundart, wodurch aber wiederum nichts gewonnen wird. Man muß sich also vorläufig damit begnügen, eine Menge einzelner Mundarten, die in gewissen Haupteigenthümlichkeiten übereinstimmen, zusammenzufassen und nur die Hauptmundarten voneinander zu scheiden. Schon Dieses ist nicht blos für den Sprachforscher, sondern auch für den Geschichtsforscher von großer Wichtigkeit, da sich wahrscheinlich aus diesen Untersuchungen mit der Zeit ergeben wird, daß die jetzigen Grenzen der Mundarten ihren Ursprung in der alten Eintheilung der Deutschen in Stämme und Gaue haben. Besonders von diesem geschichtlichen Standpunkte aus betrachtet Hr. Bernhardi die Sache, und in den vorausgeschickten „Allgemeinen Bemerkungen“ sagt er (S. 94):

 

Die Ermittelung aller noch erkennbaren Grenzen im Innern des großen deutschen Sprachgebiets, die Rechtfertigung dieser Abgrenzungen durch Darlegung der Spracheigenthümlichkeit eines jeden gefundenen Sprachbezirks und die geschichtliche Nachweisung, ob irgend eine frühere Eintheilung des Landes diesen Sprachgrenzen entspreche, oder deren Entstehung erläutere, Das ist die große Aufgabe, zu deren Lösung ich durch dieses Schriftchen die Geschichtsvereine Deutschlands zu veranlassen beabsichtige. Es versteht sich demnach von selbst, daß eine wirkliche Ausführung Dessen, was ja erst noch geleistet werden soll, und auf eine einigermaßen befriedigende Weise auch nur durch vereinte Kräfte geleistet werden kann, hier gar nicht erwartet werden darf. Denn wer möchte sich wol für hinlänglich befähigt halten, um der im Munde von beinahe 50 Millionen Menschen lebenden deutschen Sprache und der größtentheils noch in schwer zugänglichen Provinzial- und Familienarchiven ruhenden deutschen Specialgeschichte ihre verborgensten Geheimnisse abzulauschen, selbst wenn ein günstiges Geschick ihm gestattete, der Erforschung dieser Verhältnisse ein ganzes Leben unausgesetzt zu widmen?

 

Hr. Bernhardi will daher nur versuchen, einen ersten Anhaltepunkt für künftige Forschungen zu liefern; er arbeitet gleichsam nur erst aus dem Groben. Es ist natürlich, daß er sich vorzugsweise an den Meister aller mundartlichen Forschungen, an Schmeller anschließt, und durchaus zu billigen, daß er die von Schmeller gewählten Benennungen und Lautbezeichnungen möglichst beibehalten hat, „damit nicht auf diesem neueröffneten Felde wissenschaftlicher Forschung alsbald durch rücksichtslose Willkür eine Sprachverwirrung herbeigeführt werde, der in der Regel die Begriffsverwirrung auf dem Fuße folgt“ (S. 95).

 

Das gesammte germanische Sprachgebiet wird eingetheilt in die nordische, die niederdeutsche und die hochdeutsche Hauptmundart, die letztere wiederum in die oberdeutsche und in die mitteldeutsche Mundart. Die deutsche Gesammtsprache nennt Hr. Bernhardi schriftdeutsch.

 

Der elfte Abschnitt behandelt nun zunächst die „Abgrenzung der niederdeutschen Mundart gegen die nordische“. Dänisch und Deutsch scheiden sich im Herzogthum Schleswig, wo bekanntlich seit Jahrhunderten die beiden Schwestersprachen um die Oberherrschaft streiten; das Deutsche ist entschieden im Vortheile. Hr. Bernhardi hat drei verschiedene Sprachgrenzen bezeichnet; die eigentliche Grenze, d. h. die, bis zu welcher Deutsch die Familiensprache der Bewohner des platten Landes ist, geht von dem dänischen Tondern aus südlich bis in die Nähe von Husum und dann nordöstlich (fast nördlich) nach dem Flensburger Meerbusen, sodaß Husum, Schleswig und Flensburg deutsch sind, und zwar ist die deutsche Mundart, welche zwischen Tondern und Husum sowie auf den benachbarten Inseln Sylt, Föhr, Amrom und einigen kleinern in etwa 40 Kirchspielen gesprochen wird, die nordfriesische; die zwischen Flensburg und Schleswig

 

 

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in 48 Kirchspielen von 45,000 Menschen gesprochene ist die anglische Mundart, in welcher in Firmenich's „Völkerstimmen“ (wo sich auch Proben der nordfriesischen Mundart finden), Heft 1, S. 35 fg., ein anziehender, die Bewohner und deren Sitte und Sprache betreffender Aufsatz: „Angeln un de Angler“, mitgetheilt ist. Auch diese beiden Mundarten hat Hr. Bernhardi umgrenzt. Eine zweite Grenze, von Tondern gerade ostwärts nach dem Flensburger Meerbusen zu, bezeichnet die Kirchen- und Schulsprache, welche südlich von dieser Linie Deutsch, nördlich Dänisch ist. Die dritte auf unserer Karte angegebene Grenze, welche in Jütland in gerader Richtung von Wiborg nach Horsens geht, bezeichnet die westliche Grenze der eigentlichen dänischen Sprache. Die Mundarten zwischen der zweiten und dritten Grenze (also zwischen Tondern und Wiborg, Flensburg und Horsens) sind nämlich im Grunde allerdings dänisch; es fehlt ihnen aber noch eine Haupteigenthümlichkeit des Dänischen (wie auch des Schwedischen), nämlich die Anhängung des Einzlers (Artikels) an das Hauptwort; sie setzen jenen nach deutscher Art vor dieses und bilden insofern eigentlich nur den Übergang von den niederdeutschen Mundarten zum Dänischen. In Schleswig gewann seit der Mitte des 17. Jahrhunderts das Schriftdeutsche in Kirche und Schule die Oberhand.

 

Die Abgrenzung der niederdeutschen Mundart gegen die hochdeutsche wird im zwölften Abschnitte behandelt. Hr. Bernhardi hat die Grenze ungefähr so angegeben. Die äußersten hochdeutschen Orter sind Aachen, Düsseldorf, Köln, Bonn, Siegen, Kassel, Heiligenstadt, Ellrich, Ballenstädt, Kalbe, Barby, Dessau, Wittenberg; dann sind Lübben, Guben, Krossen, Züllichau die südlichsten niederdeutschen Städte. Als etwas Bemerkenswerthes führe ich hierbei an, daß die Mundart in Dessau und dem größten Theile von Anhalt (selbst über Anhalt hinaus bis nach Halle hin) früher niederdeutsch war. Denn als Albrecht der Bär (um 1150) einen großen Theil der Slawen von dort verdrängt hatte, zog er Niederdeutsche (Flamländer) in das Land, welche viele Dörfer, vielleicht auch die Stadt Dessau, bauten. Anfangs wurde Niederdeutsch neben dem Slawischen , später (seit dem Ende des 13. Jahrhunderts) blos Niederdeutsch gesprochen, und so sind auch alle deutsche Urkunden aus dem 14. und 15. Jahrhunderte, welche sich in Dessau befinden, niederdeutsch; nach und nach verlor sich das Niederdeutsche aus der Schriftsprache, und noch später, durch den Einfluß von Kirche und Schule, auch aus dem Munde der Bewohner des linken Elbufers, und zwar so, daß sich in der dessauischen Mundart nur einzelne niederdeutsche Wörter erhalten haben; niederdeutsche Namen dagegen sind noch in ziemlicher Menge vorhanden. Nur in einem Dorfe in der Nähe von Dessau, Kakau, zwischen Oranienbaum und Wörlitz, hört man noch viel Niederdeutsches, sodaß die Bewohner des fast unmittelbar anstoßenden, erst 1708 angelegten Dorfes Horsdorf, die Mundart der Kakauer für Wendisch haltend, sagen; „In Kake wendschen se.“

 

Hr. Bernhardi führt auf niederdeutschem Sprachgebiete eine kleine, durch einen schmalen Landstrich getrennte hochdeutsche Sprachinsel auf dem Harze an, welche die Ortschaften Klausthal, Zellerfeld, Widemann, Lautenthal und Andreasberg umfaßt und wahrscheinlich von hier angesiedelten Bergleuten gegründet worden ist. Einer weit größern hochdeutschen Sprachinsel auf niederdeutschem Gebiete hat er nicht gedacht, in Ostpreußen, und zwar im Ermeländischen, östlich von Elbing. Die Bewohner der Städte Wormditt, Heilsberg, Seeburg und Guttstadt nämlich und der umliegenden Dörfer haben sich um das Jahr 1276, größtentheils aus der Gegend von Meißen und aus Schlesien kommend, hier angesiedelt und ihre hochdeutsche Mundart bewahrt. Siehe Firmenich, Heft 2, S. 111 fg.

 

Bei der Abgrenzung des oberdeutschen Sprachgebiets vom mitteldeutschen (§. 13) ist Hr. Bernhardi dem Schmeller's „Mundarten “ beigegebenen Kärtchen „Zur geographischen Übersicht der Mundarten Baierns“ gefolgt.

 

Danach beginnt diese Sprachgrenze am slawischen Sprachgebiete, unweit der Quelle des Regen, nähert sich der Donau bei Regensburg, geht dreimal über die Altmühl, überschreitet die Wernitz nicht weit von Donauwörth und folgt dem rechten Ufer derselben bis über Öttingen, wendet sich dann westwärts, geht nördlich von Schwäbisch-Hall über den Kocher, südlich von Heilbronn über den Neckar, ebenfalls im Süden von Rastatt über den Rhein und trifft nicht weit von den Saarquellen auf das französische Sprachgebiet. (S. 113)

 

Bei der Scheidung der deutschen Hauptmundarten mußte Hr. Bernhardi natürlich auch etwas auf das Sprachliche eingehen und er hat sich hierin gleichfalls an Schmeller gehalten, auf welchen er im Ganzen verweist. Nur zwei Eigenheiten in der Aussprache bezeichnet er, woran der Oberdeutsche am leichtesten zu erkennen ist: die Aussprache der Gaumbuchstaben und die der Vorsylben ge und be. Im Ganzen ist dies nicht unrichtig, doch sind die Beispiele nicht immer glücklich gewählt. Hr. Bernhardi sagt z. B. (S. 114, Anm. 1):

 

Als Schiboleth für Ober-, Mittel- und Niederdeutsch kann das Wörtchen gegen dienen, welches Oberdeutsch gégen, Mitteldeutsch gejen, Niederdeutsch jejen lautet.

 

Danach würde z. B. die mitteldeutsche dessauische Mundart eine niederdeutsche sein, denn in dieser heißt es gleichfalls jejen. Ferner stellt Hr. Bernhardi als wesentlichen Unterschied zwischen Mittel- und Oberdeutsch auf: Mitteldeutsch kalk, mark, Oberdeutsch kalch, march. Danach wäre die dessauische Mundart eine oberdeutsche, denn hier heißt es gleichfalls Kalch, Marcht statt Markt (die Mark wird durch Marke, das Mark durch March ausgedrückt).

 

Hr. Bernhardi selbst gibt zu, daß man nach der Aussprache der Vorsylben be und ge auch noch das Nabgebiet und selbst Oberschlesien mit zum oberdeutschen Sprachgebiete ziehen könne, und er hat daher von der Wernitz bis zum Fichtelgebirge noch eine zweifelhafte Grenze gezogen. Jedenfalls ist hier die Abgrenzung sehr schwierig wegen des unmerklichen Übergehens einer Mundart in die andere. Merkwürdig wäre es, wenn sich, wie Hr. Bernhardi hofft, aus genauen Forschungen

 

 

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noch ergeben sollte, daß der Umfang der mitteldeutschen Mundarten mit den uralten Sitzen der Hermionen, der der Oberdeutschen mit denen der Istävonen übereinstimmten, sowie die Sitze der Ingevonen dem niederdeutschen Sprachgebiete zu entsprechen scheinen. Wir zweifeln daran, daß dies je gelingen werde, um so mehr, da die Nachrichten der Alten selbst (Tacitus und Plinius) über die Sitze der deutschen Hauptstämme zu unbestimmt und selbst widersprechend sind, indem auch vier und fünf deutsche Hauptvölkerschaften genannt werden.

 

Auch in der Abgrenzung der oberdeutschen Mundarten untereinander folgt unser Verf. Schmeller, nach welchem sie in drei Hauptzweige zerfallen, in die oberrheinische, westlechische und ostlechische. Als unterscheidende Kennzeichen werden aufgestellt: für die Scheidung zwischen Oberrhein und Westlech die Aussprache des k vor l, n und r und des au und ei; für die Unterscheidung von Westlech und Ostlech die Aussprache der Endung en und des inlautenden sp und st.

 

Die mitteldeutschen Mundarten zeigen eine viel größere Mannichfaltigkeit als die oberdeutschen, was Hr. Bernhardi daraus erklärt, daß diese durch Berge und Wälder geschützten Gegenden nie von Fremden besetzt gewesen seien, weshalb hier jeder einzelne Volksstamm sich viel selbständiger habe entwickeln können als in dem weiten Donauthale und in der norddeutschen Ebene. Auch hier hat Hr. Bernhardi keine eigenen Forschungen angestellt, sondern von verschiedenen Seiten ihm zugekommene Ansichten und Nachrichten über die westlichen Mundarten zusammengestellt, die zwar nicht hinreichen, um danach einigermaßen zuverlässige Grenzen auf der Karte zu ziehen, die aber doch Denen, welche etwa diese Mundarten später bearbeiten wollen, manchen bemerkenswerthen Fingerzeig geben können.

 

Fast derselbe Fall ist es mit den niederdeutschen Mundarten, über deren Eintheilung im Großen man noch nicht einmal einig ist. Nur zwei Grenzen (außer den schon erwähnten um die nordfriesische und die anglische Mundart) hat Hr. Bernhardi auf der Karte angegeben, die zwischen Niederdeutsch und Holländisch, welche fast ganz mit der staatlichen Grenze zusammenfällt, und die muthmaßliche Grenze des Ostfriesischen, welche Hr. Bernhardi von der Ems nach dem Meerbusen der Jahde gezogen hat, auf welchem Wege sie die drei saterländischen Dörfer an der Leda mit eigenthümlicher (altfriesischer?) Sprache berührt. Ich füge hier nur eine Anmerkung aus dem lesenswerthen Büchlein: „Übersicht der heutigen plattdeutschen Sprache“, von Eduard Krüger (Emden 1843), hinzu, S. 14:

 

In Emden wird noch in der Kirche und in der Volksschule die holländische Sprache gebraucht; diese ist aber, vorzüglich in der Schule, so sehr mit dem deutschen oder dialektischen Platt versetzt, daß der Holländer es selten für classisch erkennt. Rechnungen und Correspondenzen werden von Vielen blos in holländischer Sprache ausgefertigt; so auch die Inschriften an den Häusern und der öffentliche Ausruf. Hierzu kommt bei einem Theile des Volks der Glaube, daß der echte Gottesdienst der holländisch-calvinistischen Kirche sich in keiner andern als der holländischen Sprache ausdrücken lasse, und man hört wol sagen: he leert lutersch, wenn ein Prediger selbst die reformirte Rede hochdeutsch vorträgt. Daher sind, weil die Sprachen zugleich als Glaubensartikel betrachtet werden, die Lutheraner in Emden der hochdeutschen Schriftsprache im Durchschnitt mächtiger als die Reformirten.

 

Zum Schlusse (S. 137 fg.) fodert Hr. Bernhardi die gesammten Geschichtsvereine Deutschlands auf, zu einer Sprachkartensammlung von ganz Deutschland zusammenzuwirken und fügt Vorschläge zur Ausführung dieses großartigen Unternehmens hinzu. So sehr wir auch mit diesen einverstanden sind, so fürchten wir doch, daß sie so bald wol noch nicht zur Ausführung kommen werden; denn abgesehen von der Schwierigkeit der Aufgabe -- es muß, wie Hr. Bernhardi ganz richtig sagt, jedes Dorf sprachlich erkundet werden --, ist in Deutschland zu wenig Einverständniß und Zusammenwirken unter den einzelnen Vereinen. Hätten wir einen allgemeinen gesetzgebenden Gelehrtenverein -- worüber ich früher in d. Bl. gesprochen habe --, so würde sich die Sache viel leichter machen lassen und die Arbeit würde nach übereinstimmenden Grundsätzen ausgeführt werden. Dennoch hoffen wir, daß vorläufig wenigstens Einzelne durch Hrn. Bernhardi's Buch und Karte veranlaßt werden mögen, die Mundarten kleinerer Gebiete möglichst genau zu erforschen und abzugrenzen. Der Unterzeichnete gesteht gern, daß sein längst gehegter Wunsch, die Mundarten Anhalts, wo Niederdeutsch und Hochdeutsch zusammenstoßen und wo die alte slawische Sprachgrenze durchgeht, etwa von Wittenberg bis Halberstadt und von Magdeburg bis zum Petersberge zu bearbeiten, durch Hrn. Bernhardi aufs neue lebhaft angeregt worden ist, und wenn er Muße finden sollte, diesen Plan auszuführen, so wird seine Arbeit das beste Zeichen des Dankes für die vielfachen Belehrungen sein, welche Hrn. Bernhardi's Buch darbietet. Möchten aber auch viele Andere nicht blos Belehrung aus demselben schöpfen , sondern zu eigenen Forschungen angeregt werden, damit wir endlich eine so deutliche und anschauliche Ansicht und Übersicht über alle lebendigen Volksmundarten Deutschlands erhalten mögen, wie wir sie durch bloße -- gleichwol höchst dankenswerthe --- Sprachproben allein nicht erhalten können.

 

August Fuchs.

 

 

 

Quelle:

Blätter für literarischen Unterhaltung Nr. 140 v. 19.05.1844 S. 557-559; Nr. 141 v. 20.05.1844 S. 561-564; Nr. 142 v. 21.05.1844 S. 565-567. Leipzig. F. A. Brockhaus. 1844

 

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Georg Heinrich Oesterley über die Zeit Heinrichs des Löwen

Georg Heinrich Oesterley beschrieb in seinem Werk "Geschichte des Herzogs Otto I. mit dem Beinamen das Kind von Braunschweig" im ersten Kapitel die Zeit Heinrichs des Löwens wie folgt:


"Um die Zeit, als Friedrich I. den Kaiserthron bestieg, war in Deutschland kein Fürst mächtiger, und wegen seiner Macht mehr gefürchtet und beneidet, als Heinrich der Löwe. Zwar waren seinem Vater beide Herzogthümer, Baiern und Sachsen, abgesprochen, und das erstere würklich geraubt, allein der Verzicht, den der junge Heinrich, durch die Vermittlung seiner an den neuen Herzog Heinrich von Oesterreich vermälten Mutter, auf Baiern that, verschafte ihm bald wieder den ruhigen Besitz seines Herzogthums Sachsen; und selbst Baiern kam endlich, theils durch einen Anspruch der zu Goslar versammelten Fürsten, theils durch den gutwilligen Abtritt des dafür so reichlich belohnten Heinrichs von Oesterreich, wieder in seine Hände.

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Nun herrschte Heinrich der Löwe über Baiern und Sachsen, an der Donau und an der Ostsee, jenseits der Elbe und jenseits der Weser, als Herzog; von Thüringen bis Holstein, von Westfalen bis an die Mark Brandenburg erstreckten sich in weiter ununterbrochener Ausdehnung seine Allodiallande. Und welcher Zuwachs an Macht und Besitzthümern bot sich ihm nicht dar, als sein Oheim Welf VI. sich zur Abtretung seines reichen schwäbischen, baierischen und italiänischen Erbgutes willig zeigte!
Aber der Zeitpunkt war gekommen, wo der Sturz der Welfen ihren Feinden eine Zeitlang ein angenehmes Schauspiel geben sollte, unter dessen Zuschauern wohl niemand weniger, als Friedrich I. voraussah, wie tragisch sich, nicht volle hundert Jahre hernach, die Rolle endigen würde, worin sich jezt seine Familie, nach der Demüthigung ihrer größten Nebenbulerin, mit so blendendem Glanze hervortrat.
War es die Staatsklugheit, die es, zumal in Zeiten, wie das zwölfte Jahrhundert, für unmöglich hielt, die Beherrschung und Verwaltung solcher so weit entlegener Länder mit wahrem Vortheile zu übernehmen, oder war es

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eine Nachlässigkeit, die doch sonst nicht in Heinrichs Charakter lag? Genug Heinrich ließ die Gelegenheit verstreichen, seines Oheims Erbgüter in Baiern, Schwaben und Italien zu erwerben, und der alte kinderlose Welf verkaufte sie dem Kaiser Friedrich.
Noch dauerte die Freundschaft zwischen dem Kaiser und dem Herzoge, denn keiner konnte Friedrichs große Plane so mächtig unterstützen, und vieleicht war auch keiner williger dazu, als Heinrich, der wahrscheinlich die Hofnung nährte, daß der dankbare Kaiser wenigstens ein ruhiger Zuschauer bleiben werde, wenn er nun auch von seiner Seite mit mehr offenbarem Ernste und Nachdrucke seinen Zweck zu verfolgen anfangen würde, den die Art, wie er die seiner herzoglichen Gewalt unterworfenen Bischöfe und weltliche Herren behandelte, nicht undeutlich zu verrathen schien.
Diese Unternehmungen Heinrichs waren indessen auch jezt schon auffallend genug gewesen, um die Besorgnisse einiger Fürsten bis zu einem Bündnisse thätig zu machen, dem ein würklicher Angrif der Länder des Herzogs folgte. Zwar ward diese Fehde noch durch das Ansehen des Kaisers beigelegt,

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allein das Feuer glimmte unter der Asche fort, und es zeigte sich bald, daß selbst Friedrich in dem Herzoge nicht sowohl den thätigen Freund liebte, als vielmehr den mächtigen Nebenbuhler fürchtete.
Daß der Kaiser Heinrichs Vernachlässigung der Welfischen Erbschaft benutzte, wird ihm niemand zum Vorwurfe machen. Aber wie stark muste der Unwille des Herzogs gereizt werden, wie schmerzhaft muste er es empfinden, als er bei seiner Rückkehr aus Palästina erfuhr, daß Friedrichs Eigennutz schon auf seinen Tod gerechnet, schon seine Vasallen durch Drohungen und Verheissungen zu dem Versprechen genöthiget habe, im Fall daß Heinrich nicht zurück käme, ihm das ihrer Treue anvertraute Land in die Hände zu liefern! Mochte es sich auch Heinrich immer nicht verhehlt haben, daß die Freundschaft, die ihn mit Friedrich vereinte, nur auf Eigennuz gebaut wäre, so war doch wohl nie eine entfernte Ahndung so unedler Schleichwege in seiner großen biedern Seele aufgestiegen. Wechselseitige Vergrößerung schien ihm der Zweck dieser Freundschaft zu seyn, und wie fand er sich nun betrogen!
Es ist nicht schwer zu errathen, welche Veränderungen hierauf in den Gemüthern

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beider Fürsten, und in dem Verhältnisse, worin sie bisher gegen einander gestanden, erfolgen musten. Heinrich ward mistrauisch, und dem Kaiser, der seine Absichten entdeckt sah, muste die zweideutige Maske, die er doch noch lange nicht ganz ablegen konnte, von Tage zu Tage lästiger werden. Als es der Herzog nun abschlug, Friedrichs neuem italiänischen Zuge persönlich beizuwohnen, und dieser also durch zwei Kränkungen, wie man sie am seltensten zu verzeihen pflegt, durch das Bewustseyn einer nun ruchbar gewordenen unedlen Handlung, und durch eine mit den demüthigensten Umständen begleitete Fehlbitte, zur Rache aufgereizt ward, so führte er dieselbe auch mit aller der gewöhnlichen Erbitterung eines mächtigen Feindes aus, der nicht für erlittenes Unrecht, sondern dafür Rache nimmt, daß sein Gegner mehr Edelmuth, als er selbst besizt, gezeigt hat.
Schlag auf Schlag erfolgten nun wiederholte Vorladungen des Herzogs; Angriffe von allen den Erzbischöfen und Bischöfen, die ihre gekränkte Würde zu rächen hatten; von den Fürsten, die Heinrichs Macht und Anmassungen schon lange nicht ohne die gegründetesten Besorgnisse betrachten konnten; von seinen eigenen Vasallen, die den

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ungewöhnlichen Druck, worunter sie Heinrich gehalten, mit einer willkommenen Unabhängigkeit zu vertauschen zu können glaubten; und endlich - die Achtserklärung, die desto würksamer war, da dem Herzoge nur wenige seiner alten Freunde, und unter diesen nur solche treu blieben, deren Beistand keine der stärksten Stüzen für ihn seyn konnte.
So unerschrocken und standhaft sich auch Heinrich dem Sturme entgegenstellte, so überwältigte ihn doch endlich die Uebermacht seiner verbundenen Feinde. Seine Herzogthümer giengen verloren. Baiern ward an Otto von Wittelsbach gegeben, nur Regensburg und Meran ausgenommen, von denen das erste reichsfrei, das leztere ein eignes Herzogthum ward. Eine ungleich größere Revolution traf das dem Kaiser vorzüglich furchtbare Herzogthum Sachsen. Die wichtigsten Belohnungen erhielten der Erzbischof von Kölln, dem Egern und Westfalen als ein eigenes Herzogthum zu Theil ward; und Bernhard von Anhalt, der, obwohl bei weitem nicht die Macht und das Ansehen der vorigen Herzoge, doch den Titel eines Herzogs von Sachsen, einige Länder und einen Schatten der alten herzoglichen Rechte empfieng. Ausserdem mußte auch noch ein

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Theil des Raubes den nicht unwichtigen Bundesgenossen, die mit dem Bannstrale in der einen, und mit der Lanze in der andern Hand, so treulich zu Heinrichs Sturze mitgeholfen hatten, ausgetheilt werden; und so erhielten dann die Erzbischöfe von Mainz, Magdeburg und Bremen, und die Bischöfe von Paderborn, Hildesheim, Verden, und Minden manches ansehnliche Stück von des Herzogs zertrümmerten Ländern. Heinrich behielt nichts als seine Erbgüter, und auch von diesen ward ihm hier und da etwas entrissen. Nun fiengen die Erzbischöfe und Bischöfe, die benachbarten kleinen Fürsten - denn kleine Fürsten waren damals selbst die Herzoge von Sachsen und die Markgrafen von Brandenburg - an, ihr Haupt empor zu heben, und mancher Graf, der sonst unter Heinrichs Herrschaft gezittert hatte, schaltete jezt in seinem kleinen Bezirke, als erkenne er niemanden ausser Kaiser und Reich für seine Oberherrn  a). Vorher hatten kaum zehn verbündete Fürsten den Muth gehabt, sich an Heinrich zu wagen, und nur das furchtbarste Ungewitter, das sich je in Deutschland über einen Fürsten zusammenzog, war vermögend, seiner Macht den tödlichen Streich

a) Origg. Guelf. T. 4 praef. §. 3.

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beizubringen - aber bald unter seinen Nachfolgern sieht man schon einzelne Bischöfe, die sich es mit ihnen aufzunehmen erkühnen.
Nach manchem vergeblichen Streben, wenigstens einen Theil des Verlohrnen wieder zu erhalten, wozu sich ihm ein flüchtiger Schimmer von Hofnung, als Friedrich in Palästina umgekommen war, gezeigt hatte; und nachdem er sich endlich auch mit dessen Nachfolger, dem Kaiser Heinrich, dem Scheine nach ausgesöhnt, und einen seiner Söhne mit der Pfalz am Rheine belehnt gesehen hatte, genoß Heinrich noch in den lezten Jahren seines Lebens einer gezwungenen Ruhe, die er sich durch eine anhaltende Beschäftigung mit den innern Angelegenheiten seines Landes, und durch das Studium der Geschichte - immer der kräftigsten Trösterin des unglücklichen großen Mannes - erträglich machte.
Nach seinem Tode schien es, als sollte den Welfen alles von den Hohenstaufen und den deutschen Fürsten erlittene Unrecht doppelt vergütet werden. Friedrich I. und Heinrich VI. hatten es den Päbsten genug gezeigt, daß es ihnen um nichts geringeres, als die gänzliche Unterjochung Italiens zu thun sey, und darum waren es die ungünstigsten

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Umstände, die sich jezt für die Hohenstaufische Familie ereignen konnten, daß Heinrich VI. so unvermuthet starb, und sein Sohn Friedrich noch minderjährig war, und Innocenz III. einer der größten und staatsklugesten Männer, zum Pabste erwält wurde. Als daher die Wahl einiger weniger Fürsten auf Otto von Braunschweig fiel, unterstützte ihn Innocenz aufs eifrigste gegen den von den übrigen Fürsten gewälten Philipp von Hohenstauffen; und da dieser, während des fortdauernden Kampfes um die Kaiserkrone, ermordet wurde, so wären die glänzenden Aussichten, die sich jezt für Otto eröfneten, auch vielleicht nicht sobald wieder verschwunden, wenn Otto nicht zu früh, ohne seine Kräfte berechnet zu haben, mit dem Pabste gebrochen hätte. Da er aber seine Gewissenhaftigkeit so weit trieb, daß er selbst seinem größten Wohlthäter - wie er doch Innocenzen und zwar mit Recht nannt - die dem Reiche entrissenen Länder und Städte wieder abnehmen wollte, so musten die deutschen Fürsten, die sich bei dem Besize der seinem Vater geraubten Länder so wohl befanden, noch mehr von seinem zärtlichen Gewissen befürchten, und so geschah es nun, daß Otto, von allen verlassen, seinem jungen nun auch von dem Pabste begünstigten Nebenbuler Friedrich II. weichen, und sich

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mit dem bloßen Kaiserlichen Titel begnügen muste. Hätte er doch lieber das ihm - wie gesagt wird - von Philipp von Hohenstaufen, mit einigen wichtigen Hohenstaufischen Gütern angebotene Herzogthum Schwaben dafür angenommen, und auf die so schwer zu behauptende Kaiserwürde Verzicht gethan!
Otto's Erhebung war also für ihn selbst nichts weniger als vortheilhaft gewesen. Noch weniger war sie es für seine Familie. Die vielen freigegebenen Schenkungen, wodurch er sich Anhänger zu werben suchte, schwächten das Welfische Erbgut ungemein, und bewogen endlich seinen Bruder, den Pfalzgrafen Heinrich, auf Theilung zu dringen. Was indessen Ehrgeiz bei dem einen gethan hatte, das that Andacht bei dem andern, und wenn es die Nachkommen Otten verzeihen konnten, daß er in der Hofnung größeren Gewinns sich zu mancher Verschwendung an Undankbare verleiten lassen, so konnten sie es doch nicht eben so leicht verschmerzen, daß Heinrich, blos aus übelverstandener Andacht, Kirchen und Klöster durch die ansehnlichsten Schenkungen bereichert, und sogar die Grafschaft Stade an das Erzstift Bremen verschenkt hatte.
Von Heinrichs des Löwen Söhnen war der Kaiser Otto ohne Kinder; des Pfalzgrafen

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Heinrichs einziger Sohn starb zu früh, und es blieben ihm nur noch zwei Töchter übrig: es war folglich ein Glück, daß Heinrichs des Löwen dritter Sohn, Wilhelm  b), der sonst nicht sehr merkwürdig für die Geschichte ist, einen Sohn hatte, und durch diesen der Stammvater der Fürsten wurde, die durch ihre großen Eigenschften die Ehre des Welfischen Namens behauptet, und durch ihr Glück seinen alten Glanz wieder hergestellt haben."

b) Noch ein Sohn Heinrichs des Löwen, Namens Lüder, war vor seinem Vater gestorben.



Quelle:
Georg Heinrich Oesterley: Geschichte des Herzogs Otto I. mit dem Beinamen das Kind von Braunschweig,
Göttingen, Verlag bei Victorinus Bossiegel, 1786 S. 1 bis 11

Eine Rezension zum Werk liegt in der Universität Bielefeld vor und ist digital über folgenden LINK zugänglich:
http://www.ub.uni-bielefeld.de/cgi-bin/navtif.cgi?pfad=/diglib/aufkl/adb/254877&seite=00000531.TIF&scale=6



Weitergehende Informationen vom Grabungsleiter Andreas Wolff und seinem Grabungsteam sind Salzgitter-aktuell vom 18.05.2002 (LINK: http://www.salzgitter-aktuell.de/dynasite.cfm?dssid=3194&dsmid=30653&dspaid=176092) sowie den jährlich erscheinenden Burgkurieren des Fördervereins Burg Lichtenberg e.V. sowie den Grabungsberichten zu entnehmen.