Ludwig Winter 1883: Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig

Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig. Ergebnisse der im Auftrage des Stadtmagistrats angestellten baugeschichtlichen Untersuchungen
von L. Winter Stadtbaurath. Braunschweig 1883 Joh. Heinr. Meyer.

 

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Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig.

 

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Abb.

 

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Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig.

 

Ergebnisse der im Auftrage des Stadtmagistrats angestellten baugeschichtlichen Untersuchungen

 

von

L. Winter

Stadtbaurath.

 

 

Mit 83 in den Text eingedruckten Abbildungen und 20 Lichtdruck-Tafeln.

 

 

Braunschweig 1883

 

Joh. Heinr. Meyer.

 

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Druck von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig.

 

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Vorwort.

 

Im Jahre 1873 fiel ein Theil des ehemaligen Fürstensitzes in der Burg zu Braunschweig, damals im Besitze des Reichs-Militairfiscus und militairischen Zwecken dienend, einem verheerenden Brande anheim. Seit längerer Zeit schon hielten die städtischen Behörden den Plan im Auge, diesen Gebäudecomplex nebst dem umliegenden Areal für die Stadt zu erwerben, und so hier in deren Mittelpunkte Raum für neue Straßenzüge zu gewinnen, welche zur Erleichterung des mehr und mehr anschwellenden Verkehrs unentbehrlich schienen. Jene Katastrophe bot nun Anlaß und Gelegenheit zu den entscheidenden Schritten. Nach mehrfachen Unterbrechungen führten die betreffenden Verhandlungen im Jahre 1878 zu dem gewünschten Ziele, nicht ohne dankenswerthe Begünstigung durch Herzogliches Staatsministerium, welches sich geneigt finden ließ, aus Landesmitteln einen ansehnlichen Zuschuß zur Bestreitung der Kaufgelder zu gewähren.

 

Die damals allgemein verbreitete Ansicht ging dahin, daß jene Ueberreste den Forderungen des Verkehrs schlechthin zum Opfer fallen müßten. Als dieselben aber im Jahre 1880 der Stadt zum Eigenthum überwiesen waren, und weitere Bestimmung darüber getroffen werden sollte, wurden im Innern bisher verborgene Spuren architektonischer Gebilde der romanischen Epoche entdeckt, und so rückte die Frage in den Vordergrund, ob nicht auf Erhaltung der ganzen noch vorhandenen Baulichkeiten, oder doch ihrer älteren, aus dem 12. Jahrhundert herrührenden Theile Bedacht zu nehmen sei. In der Erwägung, daß eine endgültige Entscheidung vor sicherer Einsicht in die historische, architektonische und kunstgeschichtliche Bedeutung dieses Baudenkmals nicht rathsam sein möchte, trat der Stadtmagistrat dieserhalb mit Herzoglichem Staatsministerium in Verhandlung, derzufolge Unterzeichneter mit den dienlichen Untersuchungen beauftragt wurde.

 

Zur Lösung dieser meiner Aufgabe, bin ich bemüht gewesen, aus der mir zu Gebote stehenden Literatur und archivalischen Ueberlieferung die zerstreuten Nachrichten über die Geschichte der Burg zu sammeln und in Zusammenhang zu bringen. Sodann habe ich das Bauwerk selbst und die beim Durchforschen desselben gemachten Funde nach der artistischen und bautechnischen Seite geprüft, die verschiedenen Bauausführungen gesondert, ihre Zeit thunlichst ermittelt, alles beachtenswerthe Material beschrieben

 

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und nach Möglichkeit durch genaue Zeichnungen zur Anschauung gebracht, von der vormaligen Gestalt der Burg je in ihren verschiedenen Entwickelungsphasen ein Bild zu gewinnen gesucht und selbiges einer eingehenden Betrachtung unterzogen.

 

Wie dabei mein stetes Streben war, vorhandene Dunkelheiten aufzuhellen und der Wahrheit auf den Grund zu dringen, so habe ich die gewonnenen Resultate auch ganz objectiv und ohne jede vorgefaßte Meinung vorzutragen versucht, der Ueberzeugung, daß so meinen Auftraggebern und allen Denjenigen am besten gedient sein würde, die sich der obschwebenden Frage gegenüber ein selbstständiges Urtheil zu bilden wünschen. Dieser Absicht sollen auch die angehängten Noten und Excurse dienen; ich darf hoffen, daß Architekten und Geschichtsfreunde darin Mancherlei beisammen finden werden, was der Mittheilung nicht ganz unwerth ist.

 

Bei der großen Theilnahme, welche dem Gegenstande von vielen Seiten entgegengebracht wird, schien es wünschenswerth und geboten, dieses Material auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Daß die städtischen Behörden meinen dahin zielenden Antrag unbedenklich genehmigt und in freigebigster Weise zugleich die Mittel verwilligt haben, dieser Publication eine würdige äußere Ausstattung zu geben, wird denselben ohne Zweifel wie meinen persönlichen Dank so auch die dankbare Anerkennung aller Mitinteressirten eintragen.

 

Vielfache freundliche Unterstüzung fanden meine Forschungen bei den Vorständen des Landeshauptarchivs und der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, sowie der hiesigen Bibliothek Herzoglicher Baudirection, bei Herrn Stadtgeometer Knoll und insbesondere bei meinem verehrten Freunde, Herrn Stadtarchivar Hänselmann hieselbst, welch letzterer überdies den Druck anordnen und überwachen half. Es gereicht mir zu besonderer Freude, meinen herzlichen Dank dafür an dieser Stelle auch öffentlich aussprechen zu können.

 

Möge denn diese Schrift, deren Mängel die berufene Rritik, wie ich hoffe, milde beurtheilen wird, ihrem Zwecke bestens dienen und zugleich das Andenken an die Schöpfungen einer ruhmreichen Vorzeit fördersamst bewahren helfen.

 

Braunschweig, im October 1883.

 

L. Winter.

 

 

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Inhalt.

 

I. Die Burg in der Geschichte der Stadt und des Landes . Seite 1

II. Bautechnische und artistische Betrachtungen . 11

Allgemeine Beschreibung der Gebäudeüberreste des einstigen Palastes in der Burg . 13

Specielle Beschreibung der architektonischen Formen, des Baumaterials und der Ausführungstechnik 14

Der romanische Bau. Die Bogenstellung im Innern des Gebäudes 14. Die östliche Umfangsmauer 15. Zeitbestimmung nach den Architekturformen 16. Baumaterial und Technik 17. Im Mauerwerk aufgefundene Bruchstücke 18. Vergleich mit entsprechenden Bauwerken anderer Orte Niedersachsens 25. Der Renaissancebau. Die Umgestaltung der östlichen Umfangsmauer 25. Neubau der Nord- und Westseite. Fenster 26. Das Hauptgesimse. Giebel der Ostseite. Nördlicher Giebel 27. Die westliche Außenmauer. Hauptportal in derselben. Zeitbestimmung nach den Architekturformen 28. Baumaterial und Technik. Weitere Umbauten 29.

 

Bauepochen des Palastes . 30

 

Fundamentmauern unter dem noch vorhandenen Gebäudeüberreste und in der Umgebung desselben 30

Fundamente der romanischen Bauepoche 31: der Burgkapelle, des Saalbaues 32, der Kemenaten 335. Fundamente des Renaissancebaues 33, der Erweiterungsbauten desselben, des Ferdinandsbaues und der Bauten des 19. Jahrhunderts 34.

 

III. Die Bauepochen der Burg . 35

Ursprüngliche Anlage . 37

Die Hofburg Heinrichs des Löwen. 38

Situation 39. Der Palas: Der Saalbau 40, die Kemenaten 42, die Burgkapelle 43. Der Dom und die Stiftsgebäude. Die Befestigungsbauten 44.

Die Burg im Jahre 1640 . 45

Situation 45. Das fürstliche »Mosthaus« 47.

Die Burg im Jahre 1700 . 48

Situation. Das fürstliche »große Mosthaus« 48.

Die Burg im Jahre 1770 . 50

Situation 50. Das »Mosthaus« mit dem Ferdinandsbau 51.

Die Burg im Jahre 1881 . 52

 

Noten und Excurse . 55

Noten . 57

Excurse . 68

1. Romanische Palasbauten im übrigen Deutschland 68.

2. Die Burgkapelle 75.

 

Index . 77

 

 

 

Verzeichniß der Lichtdruck-Blätter.

 

Titelblatt. Die Hofburg Heinrichs des Löwen gegen Ende des 12. Jahrhunderts.

Blatt I. Westansicht und Grundriß des alten Palastes 1881.

II. Ansicht des Nordgiebels und der freigelegten Ostseite des alten Palastes 1881.

III. Längen- und Querschnitt des alten Palastes 1881.

IV. Grundriß und Querschnitte der Fundamente des Fürstensitzes Heinrichs des Löwen und seiner späteren Umbauten nach dem heutigen Befunde.

V. Situationsplan der Fürstenburg Heinrichs des Löwen gegen Ende des 12. Jahrhunderts.

VI. Grundriß des Fürstensitzes Heinrichs des Löwen im 12. und 13. Jahrhundert.

VII. Westansicht des Fürstensitzes Heinrichs des Löwen im 12. und 13. Jahrhundert.

VIII. Ostansicht des Fürstensitzes Heinrichs des Löwen im 12. und 13. Jahrhundert.

IX. Situationsplan der Burg vom Jahre 1640.

X. Grundriß des alten Palastes 1640-1685.

XI. Westansicht des alten Palastes 1640-1685

XII. Situationsplan der Burg vom Jahre 1700.

XIII. Grundriß des alten Palastes 1700-1763.

XIV. Westansicht des alten Palastes 1700-1763.

XV. Situationsplan der Burg vom Jahre 1770.

XVI. Grundriß des alten Palastes mit dem Ferdinandsbau 1763-1808

XVII. Westansicht des alten Palastes mit dem Ferdinandsbau 1763-1808.

XVIII. Südfront und Durchschnitte des Ferdinandsbaues 1763-1808.

XIX. Situationsplan der Burg vom Jahre 1881.

 

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I. Die Burg in der Geschichte der Stadt und des Landes.

 

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Ueber den Ursprung und die Gründung der Burg Dankwarderode fehlt jeder zuverlässige Nachweis. Das Gepräge sagenhafter Ueberlieferung trägt alles, was die Chronisten darüber berichten; einen festen historischen Kern herauszuschälen, wird schwerlich jemals gelingen. Nur daß das umliegende Gebiet in vorchristlicher Zeit schon besiedelt gewesen, bekunden zu voller Sicherheit die aufgefundenen Spuren heidnischer Grabstätten. 1

 

Engverbunden erscheint in der Chronikantensage die Entstehung der Burg Dankwarderode und der Stadt Braunschweig. Zu gleicher Zeit, im Jahre 861, sollen beide erbaut sein: von Bruno Bruneswik (Brunonis vicus), die nachmalige Altewik, auf dem rechten Ufer der Oker -- von Dankward die Burg gegenüber. 2

 

Als »Ludolfinger«, Söhne Herzog Ludolfs von Sachsen, des Stammvaters der sächsischen Kaiser, werden diese Brüder bezeichnet. 3 Und diese vermeintliche Beziehung Braunschweigs zu dem glorreichsten Herrscherhause der Deutschen galt hier das ganze Mittelalter hindurch für eine unantastbare Thatsache. 4 Von dem Stolze, mit welchem der Bürger die Erinnerung an diesen erlauchten Ursprung der Stadt pflegte, zeugen die Standbilder der sächsischen Kaiser, mit denen noch im 15. Jahrhundert die Lauben des Altstadtrathhauses geschmückt wurden.

 

Die Existenz zweier Brüder Bruno und Dankwart, »Grafen in Bruneswich«, ist durch eine Aufzeichnung im ältesten Memorienbuche des Blasienstiftes beglaubigt. 5 Mag man in ihnen die Gründer der Altenwik und der Burg mit einiger Zuversicht erkennen dürfen -- keinesfalls waren sie doch Herzog Ludolfs Söhne, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Angehörige der »Brunonen«, einer jüngeren Linie des Ludolfingischen Hauses -- Bruno vielleicht identisch mit dem auch sonst noch erwähnten Grafen dieses Namens, der bis in den Unfang des 11. Jahrhunderts gelebt hat. Mit seinem Sohne Ludolf (1002--1038) hebt die sicherer beglaubigte Geschichte der Stadt Braunschweig an.

 

Urkundlich bezeugt ist die unter seiner Mitwirkung erfolgte Gründung der Pfarrkirche St. Magni in der Villa Bruneswik, welche Bischof Branthago von Halberstadt 1031 geweiht. 6 Einem glaubhaften Chronikenberichte zufolge wurden zu seiner Zeit auch, durch Bischof Godehard von Hildesheim, die Stiftskirche in der Burg 7 und eine zweite Pfarrkirche, St. Ulrici auf dem nachmaligen Kohlenmarkte,

 

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consecrirt 8 -- letztere Thatsache ein Beweis, daß auf der Westseite der Oker unfern der Burg bereits städtische Ansiedelungen, die nachmalige Altstadt, vorhanden, ja über ihren ersten Umfang soweit schon hinausgewachsen waren, daß das ältere Gotteshaus St. Jacobi am Steinmarkte für das Bedürfniß der Stadtgemeinde nicht mehr ausreichte.

 

Ludolfs Gemahlin, Gräfin Gertrud ( 1077), vollendete mit Förderung ihres Sohnes, Markgraf Ekberts I (1038-1068), den Bau und die innere Ausstattung der Stiftskirche, die sie mit reichen Schenkungen und Memorienstiftungen bewidmete. 9 Ihr Enkel, Markgraf Ekbert II (1061--1090), gründete auf dem »Berge« am Südrande der Altstadt das Stift St. Cyriaci, wo er, im Kampfe wider Kaiser Heinrich IV erschlagen, die lezte Ruhestätte fand. 10

 

Ekbert war das letzte Glied vom Mannesstamme der Brunonen -- nächste Erbin von Braunschweig und Dankwarderode demnach seine Schwester, die jüngere Gertrud. Sie schloß die Kirchengründungen ihres Hauses 1115 durch Stiftung des Aegidienklosters ab. 11 Unter ihr trat auch die Burg als solche zum ersten Mal in das hellere Licht der Geschichte. Im Fortgang der Kämpfe zwischen den sächsischen Fürsten und dem fränkischen Kaiserhause ward Gertrud von Heinrich IV oder Heinrich V -- die Chronologie der Begebenheit ist unsicher -- in Dankwarderode belagert; nach kurzem Widerstande übergab sie die Burg, welche hiernach von Baiern besetzt blieb, bis eine Erhebung der bedrückten Untersassen die Fremden zum Abzuge nöthigte. Mit einer gewissen Fülle berichtet von diesen Vorgängen die Reimchronik.

 

»In der Burg«, heißt es da, »wohnte ein Bader, der mußte von den Baiern große Beschwerung und Ueberlast leiden, obwohl er nur ein kleiner Mann war. Einstmals gerieth er mit diesen Gästen in einen Streit, wobei ihm großer Unfug angethan ward. Da ergrimmte er in seinem Herzen, und von Stund an richtete er all sein Sinnen darauf, wie er sich rächen möchte: war die Burg gleich fest, ebenso fest war sein Muth. Und so ruhete er denn nicht eher, als bis eine günstige Stätte und Stunde sich bot, in der Burg ein Feuer zu entzünden, daß die rothe Gluth hellleuchtend aufzuckte. Da wurden die Baiern, Hohe und Niedere, allesammt flüchtig und räumten die Veste und das Land. Mit sothaner Mär erhub sich der Bader und eilte mit Bedacht zu der Herrin in Scheverlingenburg. „Ja Frau,“ sprach er, „nimm dein Erbe nun wieder und besitz es mit Ehren von nun wie zuvor; denn die Baiern sind vor mir entronnen, da ich sie auf der Veste wollte gebrannt haben.“ Da wurde die Markgräfin froh und Alle die mit ihr dort waren. Und so half der gnädige Gott, daß ihr die Veste wiederum ward. 12

 

Wiefern dieser Bericht auch für die Baugeschichte der Burg von Bedeutung ist, wird weiterhin noch erhellen.

 

Gertrud, seitdem im ungestörten Besitz ihres Erbes, starb 1117. Aus ihrer dritten Ehe mit Graf Heinrich von Eilenburg, Markgrafen von Meißen, hinterließ sie einen Sohn, der aber bereits nach sechs Jahren verstarb, worauf vermöge eines gütlichen Uebereinkommens unter den Töchtern ihrer zweiten Ehe mit Graf Heinrich von Nordheim, Braunschweig und Dankwarderode auf die ältere Richenza und deren Gemahl, Graf Lothar von Süpplingenburg, übergingen. »In Braunschweig,« d. h. ohne Zweifel auf der Burg, fanden diesen 1125 die Abgesandten der in Mainz versammelten Fürsten, die ihn zur deutschen Königskrone beriefen, 13 und auch in der Folge hat er hier, urkundlichen Zeugnissen nach, zu wiederholten Malen geweilt.

 

Gertrud, Lothars einzige Tochter, brachte mit dessen übrigen Besitzungen in Sachsen 1137 auch die Herrschaft Braunschweig ihrem Gemahl zu, Herzog Heinrich dem Stolzen von Baiern. Nach dem frühen Tode desselben vererbten sie 1139 auf den Sohn dieser Ehe, Heinrich den Löwen. Und indem dieser dann Braunschweig zum Mittelpunkte seines Reiches in Sachsen und Slavien ersah, brach für die alte Burg Dankwarderode die Epoche höchster Blüthe an.

 

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Wann die großartigen baulichen Veränderungen, welche Heinrich hier durchgeführt hat, ihren Anfang nahmen und zum Abschluß gediehen, läßt sich nur annähernd bestimmen. Einem Angriffe zu begegnen, welchen Kaiser Konrad III im Vereine mit den sächsischen Feinden des welfischen Hauses plante, eilte er mit wenigen Getreuen im December 1151 aus Baiern herbei; ohne Schwertstreich räumte darauf der Kaiser das Land. 14 Mit Kaiser Friedrich dem Rothbart, seit 1152 Konrads Nachfolger, söhnte Heinrich sich aus, und damit begann eine vierzehnjährige Friedenszeit, in der muthmaßlich der Hagen und die Neustadt besiedelt und mit der Altstadt in eine gemeinschaftliche Ringmauer gefaßt, 15 zugleich aber auch die Neubauten auf der Burg durchgeführt wurden, deren der Reimchronist folgendermaßen gedenkt:

 

»Welch herrlicher Fürst Heinrich war, davon zeugen zu Urkund der Wahrheit seine Werke. Denn er bauete, wie ich gelesen, den Pallas und St. Georgs Kapelle in der Burg und ließ sie ohn‘ alle Kargheit kostbar bereiten und glänzend schmücken. Auch ließ er von Metall mit großen Kosten einen Löwen gießen, der ward auf ein Postament von wohlbehauenen Steinen gesetzt, wie man zu Braunschweig in der Burg noch sehen mag. Und das that der edle Fürst, Herr Heinrich, wie ich gehört habe, tausend Jahr und hundert sechsundsechszig nach Gottes Geburt und bewährte also seines Namens Schein und Art.« 16

 

Häufig hat Heinrich der Löwe in Tagen der Ruhe, die seine kriegerische Thätigkeit unterbrachen, hier geweilt; denn Dankwarderode ist ohne Zweifel gemeint, so oft Urkunden und Chroniken von seinem Aufenthalte in Braunschweig melden. 1155 feierte er das Weihnachtsfest hier, 17 1156 hielt er hier einen Hoftag. 18 Hier traf er im Winter 1160/61 seine Vorbereitungen auf den für das Frühjahr angesetzten Zug nach Italien. 19 Nach Dankwarderode ließ er Wratislaw, den gefangenen Sohn des Slavenfürsten Niclot, in Gewahrsam bringen; 20 auf Dankwarderode empfing er 1164 eine Gesandtschaft des griechischen Kaisers. 21 1168 beging er hier seine Vermählung mit Mathilde von England. 22



Einfügung: Statuen Herzogs Heinrich des Löwen und Mathilde von England am Altstadtrathaus von Braunschweig

Ende 1171 schickte er sich hier zur Wallfahrt nach dem gelobten Lande an, hier schied er im Januar 1172 von seiner Gemahlin und fand er diese bei seiner Wiederkunft nach Jahresfrist wieder. 23

 

Nach dieser Zeit begann er den Bau des neuen Domes zu St. Blasien in seiner Burg. Wahrscheinlich unterbrochen durch die unglückliche Wendung seines Geschicks, die ihn 1182 nach England in die Verbannung trieb, wurde das Werk 1185 nach seiner Rückkehr wieder aufgenommen und in den folgenden Jahren soweit gefördert, daß der Hochaltar auf dem Chore geweiht werden konnte. 24

 

Aus seiner zweiten Verbannung 1189 durch den Tod seiner Gemahlin und einen neuen Aufstand seiner Vasallen zurückgerufen, bald aber müde des vergeblichen Kampfes um die Herstellung seiner vormaligen Macht, söhnte Heinrich sich mit dem Kaiser aus, um die letzten Jahre seines Lebens wiederum hier auf der Burg nur noch den Werken der Frömmigkeit und des Friedens zu leben. Damals wurde der Dombau der Hauptsache nach vollendet. Kurz vor seinem Tode aber war über Heinrich noch verhängt, von seinem Krankenlager zu sehen, wie der Blitz »gerade über seinem Haupte die Holzsparren unter dem Bleidache des Domes entzündete;« wider alles Verhoffen wandte ein gewaltiger Regen die Gefahr weiterer Zerstörung noch ab. Am 6. August 1195 ging der Herzog zur letzten Ruhe ein; in der prächtigen Grabstätte, die er selber in seinem Dome hergerichtet hatte, ward sein Leib neben den seiner Gattin Mathilde gebettet. 25

 

In der Erbtheilung seiner Söhne, 1202, fiel Braunschweig dem 1198 zum Könige, 1209 zum Kaiser erhobenen Otto (IV) zu. Die Burg Dankwarderode ward dessen bevorzugte Residenz; in seinen sechsjährigen Kämpfen um die Krone bot sie ihm einen sicheren Zufluchtsort und starken Stützpunkt, und von neuem entfaltete seitdem sich in ihren Mauern ein glänzendes Hof- und Kriegsleben. Von zwei Momenten desselben zumal sind bestimmtere Erinnerungen auf uns gebracht. Durch den Tod Philipps von Schwaben zu unbestrittener Alleinherrschaft im Reiche gelangt, feierte Otto mit königlicher Pracht hier inmitten einer erlauchten Versammlung das Pfingstfest des Jahres 1209. 26 Und nicht lange darauf

 

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zog hier Philipps Tochter Beatrix ein, mit der sich Otto wenige Tage nach dieser Pfingstfeier auf einem Hoftage zu Würzburg verlobt. Drei Jahre noch hielt sie als Braut dann hier Hof, indeß Otto draußen im Reiche seines Kaiseramtes waltete; erst 1212 ward die Vermählung des Paares vollzogen, welche Beatrix freilich nur vier Tage überlebte. 27

 

Den Rang eines Fürstensitzes behauptete die Burg Dankwarderode auch unter Pfalzgraf Heinrich, Ottos Bruder und seit 1218 dessen Nachfolger in der Herrschaft über Braunschweig. 28 Als auch er 1227 in die Gruft sank, ward sie abermals Gegenstand und Schauplatz folgenreicher Kämpfe.

 

Heinrichs erwählter Erbe war Otto das Kind, der Sohn seines Bruders Wilhelm von Lüneburg. Kaiser Friedrich II aber bestritt dessen Recht auf Grund der Erbansprüche, welche die Töchter Pfalzgraf Heinrichs erhoben; ungetreue Dienstmannen des Landes fielen ihm zu und öffneten die Burg einer kaiserlichen Besatzung, Schwaben und Baiern. Auch die Bürger der Altstadt wankten in ihrer Treue, bis Herzog Otto von den Anhängern seines Hauses in den Hagen eingelassen ward und von dort her die Burg berannte. Durch die Verleihung werthvoller Rechte und Freiheiten gewonnen, traten alsdann auch die Altstädter zu ihm über, mit ihrer Hilfe nöthigte er die Fremden zur Räumung der Burg, und ihnen vornehmlich war es weiterhin zu danken, daß Burg und Stadt wirksam vertheidigt wurden, als Otto in demselben Jahre bei Bornhöved Gefangener des Grafen Heinrich von Schwerin geworden war, und während seiner Haftzeit König Heinrich und Herzog Otto von Baiern, wiederum im Einverständniß mit ungetreuen Dienstmannen, einen neuen Versuch machten, ihm diesen Mittelpunkt seiner Herrschaft zu entreißen. 29

 

Seitdem blieb Dankwarderode ein Vierteljahrhundert lang der Schauplatz eines fürstlichen Stilllebens. Neue Tage des Glanzes, welche 1252 eintraten, gingen in eine schwere Heimsuchung aus. Am 25. Januar dieses Jahres ward hier das Beilager von Ottos Tochter Elisabeth mit dem 1248 zum deutschen Könige erhobenen Grafen Wilhelm von Holland gefeiert. Viel fremde Fürsten und Herren mit ihren Frauen waren dazu versammelt, eine Reihe glänzender Feste stand bevor, als nach Einbruch der Nacht im Palaste ein gewaltiges Feuer aufschlug und so rasch um sich griff, daß nur mit genauer Noth die Neuvermählten sich retten konnten, all ihre Kostbarkeiten aber, auch des Königs Krone darunter, in Flammen aufgingen. 30

 

Wenige Monate nach diesem Ereignisse, am 9. Juni 1252, starb Herzog Otto in der Blüthe seines Lebens. Sechszehn Jahr alt, trat sein erstgeborener Sohn Albrecht die Regierung zunächst allein an. Im Laufe der nächsten zwei Jahre muß das ausgebrannte Palatium aus den Ruinen wiedererstanden sein, 31 da am 12. Juli 1254 Albrechts Ritterweihe allhier von seinem Oheim, dem Markgrafen von Brandenburg, in Gegenwart zahlreicher anderer Fürsten und Herren mit einem Feste begangen wurde, das nach dem Berichte der Reimchronik prächtiger war als alle, die je zuvor hier vorübergerauscht. 32

 

Mit Albrechts Heimgang aber fand 1279 die Glanzperiode der Burg ihren Abschluß. Bei den fortgesetzten Landestheilungen seiner Nachfolger blieb sie gemeinschaftliches Eigenthum sämmtlicher Linien des welfischen Hauses. Ihrer Lage nach war sie zur Residenz natürlich nur für die Herzöge von Braunschweig im engeren Sinne geeignet; auch diese aber konnten unter den obwaltenden Eigenthumsverhältnissen sich fernerhin hier nicht recht mehr als Herren im Hause fühlen. Hinzu kam ihre wachsende Spannung mit der mehr und mehr zu voller Selbstherrlichkeit aufstrebenden Stadtgemeinde -- eine Spannung, die ihnen den Aufenthalt inmitten einer meist aufsässigen Umgebung unmöglich machen oder doch stark verleiden mußte. Die Folge war, daß seit Beginn des 14. Jahrhunderts auch die Fürsten des alten Hauses Braunschweig ihre Residenz von Dankwarderode zuerst nach der Asseburg und bald nach Wolfenbüttel verlegten. 33

 

Immerhin jedoch muß die Burg bis ins 16. Jahrhundert wenigstens in wohnlichem Zustande erhalten sein. Denn es fehlt nicht an Nachrichten, daß die Herzöge auch in dieser Zeit noch öfters daselbst

 

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ihren Aufenthalt genommen. So feierte hier noch 1436 Heinrich der Friedfertige seine Vermählung mit Helene, der Tochter Herzog Adolfs von Cleve. 34 In eigener Person hielt 1480 hier Wilhelm der ältere Gericht; 35 sechs Jahr früher war von seinem gleichnamigen Sohne König Christian von Dänemark auf der Heimkehr von einer Romfahrt hier fürstlich empfangen und bewirthet; 36 1488, während drunten in der Stadt Lüdeke Hollant und seine aufrührerische Rotte sich als Herren geberdeten, lag auf der Burg Wilhelm der jüngere, wie man meinte, mit einem Anschlage gegen Braunschweig auf der Lauer: in das Moshaus lud er damals die Aufrührer zu einem Gastgebot, dem diese wohlweislich auswichen.37 Noch 1507 und 1509 endlich berief Heinrich der ältere seine Landtage nach Dankwarderode. 38

 

Dann aber, nachdem die Burg, muthmaßlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, abermals von einer Feuersbrunst hart mitgenommen war, 39 gerieth sie allmählich in völligen Verfall. 40 In Trümmern lag sie, als 1569 Herzog Julius nach Entgegennahme der Huldigung der Stadt den Wohnsitz seiner Ahnen in Augenschein nahm, der Meinung, ihn wieder ausbauen zu lassen. 41 Vielfach hat dieser Plan den Herzog während der nachfolgenden Jahre beschäftigt; zu seiner Ausführung aber kam es nicht, weil die anderen, rechtlich immer noch im Mitbesitz stehenden Linien des welfischen Hauses zu den Kosten nicht beitragen wollten. 42 So blieb es denn bei der Erneuerung des westlichen Burgthores, welche 1584 begonnen und in zwei Jahren zu Ende geführt wurde -- trotz des Einspruchs derer von Bartensleben, die ihre vermeintlichen Gerechtsame über den anstoßenden Rolandsplatz durch diesen Bau beeinträchtigt fanden und gegen den Herzog sogar ein kaiserliches Inhibitorialmandat auszuwirken wußten. 43 Ein anderer Plan, mit welchem der Herzog umging, zwischen diesem Burgthore und den Domthürmen ein ansehnliches Gebäude zur Abhaltung der Hofgerichtstage zu bauen, stieß auf Widerstand beim Rathe, und um des lieben Friedens willen stand Julius von diesem Vorhaben ab. 44

 

Vollends ins Stocken geriethen die dergestalt begonnenen Restaurations- und Neubauten auf der Burg in Folge der erbitterten und mehrmals in offenen Krieg ausbrechenden Kämpfe, in die Julius' Sohn, Herzog Heinrich Julius (1589--1613), zeit seines Lebens mit der Stadt Braunschweig verwickelt war. Sie erreichten ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluß unter seinem Nachfolger Friedrich Ulrich (1613--1654) in der vergeblichen Belagerung des Jahres 1615. Vermöge der Friedenstractaten leistete die Stadt demselben 1616 die seinem Vater hartnäckig verweigerte Erbhuldigung; wenige Jahr später fuhren die Stürme des dreißigjährigen Krieges über das Land, vor denen Friedrich Ulrich aus seiner Festung Wolfenbüttel weichen und hinter den sicheren Wällen Braunschweigs Schutz suchen mußte. Hier residirte er aber auf dem »Grauen Hofe«, dem Vorwerke des Klosters Riddagshausen; denn die verfallene Burg Dankwarderode war keine Stätte mehr für ein fürstliches Hoflager. Die Herstellung derselben wieder aufzunehmen, hatte der Herzog, wie es scheint, schon vor diesem die Absicht gehegt; die Noth der Zeiten aber vereitelte dieselbe. 45

 

Erst unter seinem Nachfolger, Herzog August dem jüngern (1634-1666), wurden die fürstlichen Wohngebäude durch umfangreiche Umbauten in brauchbaren Zustand versetzt und im Inneren den Anforderungen der damaligen Zeit entsprechend ausgestattet. 46 Der Aufenthalt Herzog Augusts in Braunschweig war jedoch nur von kurzer Dauer, denn sobald Wolfenbüttel im Jahre 1645 von der kaiserlichen Besatzung geräumt ward, nahm er dort wieder seine Residenz, froh der täglichen Berührung mit einer Bürgerschaft zu entrinnen, deren unbändigen Widerspruchsgeist seine Milde so wenig wie die gemeinsame Noth zu brechen vermocht hatte.

 

Dem Herzoge Rudolf August (1666-1704) war es vorbehalten, diesen Trotz endlich zu beugen. Am 10. Mai 1671, im Bunde mit seinen lüneburgischen Agnaten, begann er die Belagerung der Stadt; von innerem Hader geschwächt, ungerüstet, von Geldmitteln entblößt, ohne jede Aussicht auf Hilfe von außen, mußte sie sich nach wenigen Tagen bedingungslos unterwerfen und die Oberherrlichkeit der

 

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Herzöge anerkennen. Jetzt erst durfte Herzog Rudolf August Braunschweig als seine »Erb- und Landstadt« betrachten, und thatkräftig nahm er sich ihrer Wohlfahrt, der Hebung ihres Wohlstandes, der Begründung neuer, zeitgemäßer Einrichtungen an. Er selbst hatte seine Residenz meistens auf dem »Grauen Hofe«, welchen er durch Ankauf mehrerer Bürgerhäuser noch vergrößerte; 47 sein jüngerer Bruder aber, Anton Ulrich, den er 1685 zum Mitregenten bestellte, wählte für die Zeit seiner Anwesenheit in Braunschweig das Moshaus in der Burg zum Aufenthalt. 48 Um den Anforderungen seiner ausgedehnten Hofhaltung zu genügen, ließ er nicht nur dieses Gebäude erweitern und prachtvoller ausstatten, 49 sondern auch 1687 auf dem gemauerten Gewölbe des ehemaligen Finkenberges das sogenannte kleine »Mosthaus artig ausbauen und herrlich meubliren.« 50 In diesen Räumen residirte Anton Ulrich auch, nachdem er 1704 durch den Tod seines Bruders alleiniger Regent in Braunschweig geworden war. 51

 

Seit sein ältester Sohn, Herzog August Wilhelm (1714-1731), an Stelle des Grauen Hofes ein neues Schloß errichtet hatte, 52 wurde das Moshaus in der Burg nur noch vorübergehend für die fürstliche Hofhaltung benutzt. Bis zum Tode dieses Regenten nahmen in demselben die Herzöge Ludwig Rudolf von Blankenburg (jüngster Sohn Anton Ulrichs) und Ferdinand Albrecht II von Bevern ihr Absteigequartier. 53 1731 wurde die fürstliche Kammerkasse, welche sich bis dahin in Wolfenbüttel befand, in den leerstehenden Räumen des südlichen Gebäudetheiles untergebracht, 54 und noch in demselben Jahre veranstaltete Herzog Ludwig Rudolf (1731-1735) bei Gelegenheit seiner Huldigung dem Magistrate auf dem Moshause ein Festmahl. 55

 

Unter der für die Stadt höchst segensreichen Regierung Herzog Karls I (1735--1780), welcher im Jahre 1754 seine Residenz dauernd wieder nach Braunschweig und zwar in das Schloß am Bohlwege verlegte, sollte auch das fürstliche Gebäude in der Burg nochmals neue Umgestaltungen erfahren. Zunächst bewohnte den südlichen Theil desselben die Wittwe Herzog Ferdinand Albrechts II, welche hier auch am 6. März 1762 ihre irdische Laufbahn beschloß, 56 während mehrere Säle des nördlichen Gebäudetheiles bis 1764 dem neubegründeten »Braunschweiger Kabinet«, nachherigen herzoglichen Museum, Aufnahme gewährten. 57 1763 aber ließ Herzog Karl I den südlichen Theil des Moshauses sammt der vor der Westseite desselben befindlichen Gallerie abbrechen und dort für seinen Bruder Ferdinand, den ruhmgekrönten Feldherrn des siebenjährigen Krieges, einen neuen, im Innern reich ausgestatteten Anbau errichten, welcher nach seinem Besitzer den Namen »Ferdinandsbau« führte. 58 Hier weilte Herzog Ferdinand, abwechselnd mit dem vormaligen Lustschlosse zu Vechelde, bis an seinen Tod (3. Juli 1792), worauf Prinz Georg, zweiter Sohn Herzog Karl Wilhelm Ferdinands, im Obergeschosse des Ferdinandsbaues Wohnung nahm, die Räume des Erdgeschosses aber während der Jahre 1799-1804 dem Schulrath Campe als Geschäftslocal für die von ihm begründete Schulbuchhandlung überwiesen wurden. Der nördliche ältere Gebäudetheil diente häufig zur Aufbewahrung von Handelswaaren. 59

 

Schließlich unter der westphälischen Herrschaft, im Jahre 1808, wurde das Moshaus sammt dem Ferdinandsbau zu einer Kaserne umgewandelt, und seit dieser Zeit diente der alte Fürstensitz unter dem Namen »Burgkaserne« nur noch militairischen Zwecken. 60 Zunächst, nach Vertreibung der westphälischen Besatzung, fand in ihr das braunschweigische Infanterieregiment Aufnahme; 1826 ließ Herzog Karl II die Hauptwache daselbst einrichten, wozu im Innern mancherlei Umbauten, im Aeußeren vor der Westfront ein Arkadenbau ausgeführt, mehrere Fensteröffnungen beseitigt und neue Eingänge angelegt werden mußten; 1843, nach Erbauung einer neuen Infanteriekaserne am Fallersleber Thore, nahm das Leibbataillon, welches bislang in der Aegidienkaserne gelegen hatte, von der Burgkaserne Besitz, und als 1848 das Leibbataillon nach Blankenburg hin verlegt war, blieb dieselbe als Reservekaserne meist unbenutzt. Gleich den übrigen Militairetablissements ging sie 1867 nach Errichtung des Norddeutschen Bundes in dessen Besitz und somit an preußische Verwaltung über. Ein Theil des Gebäudes wurde dann zu

 

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Arrestlocalen ausgebaut, die übrigen Räume nahm die Bekleidungscommission des braunschweigischen Contingents für ihre Zwecke in Nutzung. Die Wiederbeseitigung des bei Einrichtung der Hauptwache (1826) entstandenen Vorbaues, sowie die Anlage neuer, dem früheren Bestande entsprechender Fensteröffnungen an dieser Stelle erfolgte im Jahre 1870.

 

Um 20. Juli 1873 vernichtete ein rasch um sich greifender Brand den südlichen Theil der Burgkaserne, den Ferdinandsbau, so vollständig, daß auch die arg beschädigten Umfassungsmauern abgetragen werden mußten. 61 Zum Ersatz für die eingegangenen Räume ließ die Garnisonverwaltung, nun aber nicht wieder auf dem alten Grunde, sondern neben der Infanteriekaserne am Fallersleberthore, ein neues Gebäude errichten, in der Absicht, den vom Brande verschont gebliebenen nördlichen Theil der Burgkaserne an die Stadt abzutreten. 62 Die Uebergabe erfolgte im Jahre 1879, und seitdem ist die Stadt Braunschweig Eigenthümerin der Trümmer dieses einst stolzen und historisch denkwürdigen, aber auch schicksalsreichen Baues.

 

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II. Bautechnische und artistische Betrachtungen.

 

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Im Mittelpunkte der Stadt Braunschweig, zur Seite des herrlichen Domes, der das Grabmal des gewaltigen Sachsenherzogs Heinrich des Löwen umschließt, da wo das in Erz gegossene Sinnbild dieses Fürsten, jezt als Wahrzeichen der Stadt, auf hohem Postamente thront, ist der Gegenwart das Gedächtniß an die Burg, welche einst diese Stätten umschloß, nicht nur in dem Namen des »Burgplatzes« und in der Bezeichnung der Straße »vor der Burg«, sondern auch in den Trümmern des wesentlichsten Bestandtheiles eines solchen Fürstensitzes, des Palastbaues, erhalten.

 

Als redende Zeugen der Schöpfungen längst abgeschiedener Geschlechter haben diese Gebäudeüberreste für die Erforschung des ehemaligen Zustandes der Burg und der Wandlungen, die sich im Laufe der Zeit an ihr vollzogen, in mancher Beziehung höhern Werth als die nicht immer glaubwürdigen historischen Ueberlieferungen. Um aber das Wesen und den innern Zusammenhang dieses verfallenen Bauwerkes zu erkennen, ist es nöthig, dasselbe hier einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.

 

Die noch zu Tage stehenden Trümmer umfassen mehrere durch ihre Construction und ihren architektonischen Charakter von einander unterschiedene Gebäudetheile. Ihren Kern bildet ein auf drei Seiten von massiven Mauern umgebener Bau, welcher vermöge der an ihm ausgeprägten stilistischen Formen besondere Beachtung verdient, während die an der Ostseite desselben vorgelegten Fachwerksbauten augenscheinlich einer jüngern Zeit angehören und auch sonst nichts Bemerkenswerthes enthalten. Aber auch jener ältere Gebäudetheil, dessen gegenwärtigen Bestand die vorliegenden Zeichnungen Blatt I, II, II im Grundriß und in mehreren Ansichten und Durchschnitten genau wiedergeben, trägt unverkennbar den Ausdruck zweier verschiedener, weit von einander abliegender Bauepochen.

 

Läßt man die erwähnten östlichen Fachwerksbauten einstweilen ganz außer Acht, so stellt sich der zwei Geschoß umfassende Gebäudekern in der Grundform (Bl. I) als ein Rechteck dar, welches noch jetzt in den größten Abmessungen von Norden nach Süden 46 Meter lang und von Westen nach Osten 15 Meter breit ist. Durch zehn massive, 0,94 Meter im Quadrat starke Pfeiler mit darauf ruhenden Bogenstellungen wird dieser Raum im Erdgeschosse der Länge nach in zwei gleiche Theile, durch mehrere in Fachwerk construirte Quer- und Längenscheidewände, sowie durch eine kräftige Quermauer in einzelne Gemächer zerlegt. Eine ähnliche Theilung, welche noch die letzte Benutzung des Gebäudes als Militair-Magazin

 

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und Arrestlocal erkennen läßt, zeigt auch das Obergeschoß, doch fehlt hier die Bogenstellung und die massive Quermauer.

 

In der östlichen Umfassungsmauer, deren äußere und innere Ansicht auf Blatt II und III dargestellt ist, erblicken wir im Erdgeschosse vier kleine, innen von gedrückten Rundbögen geschlossene, außen aber mit Quaderpfosten und geraden Sturzen eingerahmte Oeffnungen, welche, bislang vermauert, erst jetzt wieder freigelegt sind. Zwischen und neben ihnen erkennt man eine größere und eine kleinere, halbkreisförmig mit Barnsteinen eingewölbte Thüröffnung, am Südende ein großes viereckiges Fenster, dessen innere Nische mit einem Korbbogen überspannt ist, am nördlichen Ende noch mehrere mit Quaderpfosten und geraden Sturzen eingefaßte Thür- und Fensteröffnungen. Im Obergeschosse sind es -- außer einigen, den letztgedachten Oeffnungen des Erdgeschosses gleichen oder doch ähnlichen Thüren und Fenstern --- vornehmlich zwei große Bogenöffnungen und vier kleinere Fenstergruppen, welche durch ihre eigenartige Ausbildung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Jene, erst bei der neuerlich angestellten Untersuchung des Bauwerks wieder freigelegt, sind in der ganzen Stärke der Mauer halbkreisförmig mit Quaderbögen geschlossen. Die kleineren, nur unvollkommen erhaltenen Fenstergruppen bildeten -- und bilden zum Theil noch jetzt -- je drei Oeffnungen, die nur durch einzelne freistehende Säulen von einander getrennt werden. Als spätere Zuthat stellen sich die in der äußeren Mauerflucht vor die Säulen vorgesetzten Quaderpfosten und die in der Höhe des Bogenkämpfers, beziehungsweise der Säulenbasis, eingefügten Quadersturze und Sohlbänke dar. Auch die größeren, ursprünglich ungetheilten Bogenöffnungen waren, wie sich bei der Freilegung aus verschiedenen Anzeichen erkennen ließ, nachträglich mit Pfosten, Säulen, Quadersturzen und inneren Blendbögen dergestalt ausgefüllt, daß sie mit den kleineren Fenstergruppen in decorativer Beziehung übereinstimmten.

 

Die nördlich und westlich belegenen Außenmauern (vergl. Bll. III, II und I) enthalten in beiden Geschossen gekuppelte Fenster, welche, gleich weit von einander entfernt, unter sich in den Hauptformen übereinstimmen. Sie sind im Aeußern mit profilirten Quadergewänden eingefaßt, durch einen Quadersturz mit krönendem Giebel überdeckt und im Innern durch große Kreissegmentbögen überspannt. Im Obergeschosse erhalten die Umfassungsmauern ihren Abschluß durch ein einfaches Hauptgesimse, über welchem nur an der Ostseite ein vereinzelt stehender Dacherker mit reich ausgebildetem obern Abschlusse sich erhebt, und die nördliche Außenmauer als schmuckloser Giebel, der Form des Dachprofils entsprechend, höher geführt ist.

 

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen kann es dem Sachkundigen nicht zweifelhaft sein, daß in dem Gesammtbilde theils die romanische Bauweise, theils der Baustil der Renaissance sich ausspricht. Genauere Auskunft über die Bauzeiten der einzelnen Gebäudetheile verheißt eine Prüfung der architektonischen Formen, des verwendeten Baumaterials und der Technik der Ausführung.

 

Romanische Bauformen finden wir an der im Innern des Gebäudes sich hinziehenden Bogenstellung und an der östlichen Umfangsmauer in beiden Geschossen.

 

Die Pfeiler der Bogenstellung (s. Bll. I und III sowie Fig. 1) haben quadratische Grundform mit Ecksäulen, welche in einen rechtwinkligen Ausschnitt des Pfeilers eingefügt sind, den Umfang einer Halbsäule noch nicht erreichen und hinter die Pfeilerflächen zurücktreten. Die Basen der Ecksäulen sind von attischer Form; der untere, ziemlich hohe Pfühl tritt vor den Kern des Pfeilers nicht vor und ist mit der Ecke der Plinthe durch einen einfachen Knollen verbunden; die Hohlkehle zwischen dem untern und obern Rundstabe ist nur wenig eingezogen und durch theils senkrecht, theils schräg stehende Plättchen begrenzt. Das Kapitäl der Ecksäulen zeigt die aus einer Kugel gebildete Würfelform; kleine Nuthen trennen die schlichten Schildflächen und den untern Kugelkern, welch letzterer an den freiliegenden Gratkanten mit zierlichen Rippen versehen ist. Die Pfeilerbasis kennzeichnet sich durch eine einfache Schräge,

 

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während das Kämpfergesims aus einem zarten Plättchen und anstrebendem Wulst mit darüber ruhender Platte besteht, auch bei allen Pfeilern in derselben Form wiederkehrt. Die die Pfeiler verbindenden Bögen haben genau halbkreisförmige Gestalt ohne Ueberhöhung und eine Spannweite von 2,74 Meter; ihre Stirn- und Leibungsflächen treten in rechtwinkligen, scharfen Kanten an einander. 62

 

In der östlichen Umfassungsmauer des Erdgeschosses sind es nur die kleinen schmucklosen Fenster, deren Form die romanische Bauepoche verräth. Sie beginnen in einer Höhe von 1,70 Meter über dem Fußboden, sind an der innern Mauerfläche 1,32 Meter im Lichten breit und verjüngen sich, wenn man die noch vorhandenen schrägen Leibungsflächen bis zur Außenkante der 1,43 Meter starken Mauer fortsetzt, bis auf 0,55 Meter. In konischer Form mit etwas gedrücktem Halbkreise überwölbt, haben diese Fenster bis zum Scheitel des inneren Bogens eine Höhe von 1,72 Meter. Die rechteckig geschlossenen Quadereinfassungen der Außenseite, mit deren Herrichtung die ursprüngliche Form dort verwischt wurde, sind, wie weiterhin zu begründen sein wird, spätere Zuthat. In gleicher Höhe mit der schon besprochenen Bogenstellung hat diese Mauer im Innern einen zur Aufnahme der Balkenlage geeigneten, 0,45 Meter breiten Absatz; ein weiterer Absatz findet sich auch im Aeußern der Mauer, dicht unter den Fenstersohlbänken. Er ist mit einfacher Schräge versehen und 8 Centimeter breit, so daß die Stärke der Außenmauer im Obergeschosse nur noch 0,90 Meter beträgt. Von den hier befindlichen Fenstergruppen ist die besterhaltene, mit Ergänzung der fehlenden Theile, unter Figur 2 dargestellt; die zugehörigen Details sind aus den Zeichnungen (Figg. 3--8) zu ersehen. Der Säulenfuß (Fig. 3) ist wieder nach attischem Muster gebildet; der untere, mit den Ecken der Plinthe durch einen rohen Knauf verbundene Rundstab schneidet mit den geraden Seitenflächen der Plinthe ab, und in der durch gerade und schräg gestellte Plättchen begrenzten Hohlkehle ist das tragende Princip klar zum Ausdrucke gebracht. Der 1,15 Meter hohe Schaft ist glatt und zeigt sich, bei einem untern Durchmesser von 0,21 und einem obern von 0,19 Meter, nach oben verjüngt. Die Kapitäle schließen sich im wesentlichen der Würfelform an, sind aber auf ihrer Oberfläche mit dicht anliegendem, zum Theil verschlungenen Blattwerk reich verziert. Von den vier verschiedenen Mustern derselben (Figg. 4--7) sind je zwei vollständig übereinstimmende Exemplare aufgefunden, wonach anzunehmen ist, daß in jeder Fenstergruppe, wie dies die noch erhaltene auch zeigt, stets zwei gleich geschmückte Kapitäle gestanden haben -- gewiß eine auffallende Erscheinung, da die Künstler damaliger Zeit jede Wiederholung ängstlich vermieden und selbst bei einer großen Anzahl von Säulen jeder doch eine besondere Form zu geben wußten. Besonders ausgezeichnet vor den übrigen sind die Säulenkapitäle der südlichen Fenstergruppe (Figg. 2 u. 4) insofern, als der das Kapitäl vom Schafte trennende Reif (Astragal) mit kleinen Blättern, die sonst schlichte Platte am obern Kapitälrande mit einem Flechtwerke verziert ist.

 

 

 

Fig. 1. Pfeilerecke der Bogenstellung ersten Stocks Maaßstab 1:10

 

An zweien der Kapitäle (Figg. 5 u. 6) sind die Blattrippen sowie die das Blattwerk umschlingenden Bänder mit Perlen besetzt, und nur an einem (Fig. 7) finden sich volutenartig zusammengerollte Blattendigungen, die in den oberen Ecken zusammentreten. Statt einer abschließenden Deckplatte (Abacus) liegt oberhalb des Kapitäls ein besonderer Kämpfer oder Sattel, welcher nach vorn und rückwärts weit ausladet, um den rechteckigen Bogenansatz aufnehmen zu können. Die Ausladung wird durch eine große Hohlkehle bewirkt, an deren obere Kante sich ein Rundstab und einige Plättchen anschließen; letztere ziehen sich auch an den glatten Seiten des Kämpfers fort, wodurch derselbe hier dem Querschnitte des Bogenanfängers

 

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entsprechend verbreitert wird. Die Wandpfeiler zu beiden Seiten der Fenstergruppen sind, ohne bestimmte Reihenfolge, theils mit Ecksäulchen versehen, theils mit scharfen, rechtwinkligen Ecken hergestellt, alle haben aber an den Leibungsflächen ein vor der Mauerflucht stumpf abschneidendes Fußgesimse, oder tragen doch die Spuren, daß dergleichen vorhanden gewesen; ihren oberen Abschluß bildet ein Kämpfer, welcher nicht nur an den Leibungen sich findet, sondern auf eine kurze Strecke auch im Aeußern, im Innern in der ganzen Länge zwischen den Fenstergruppen fortgeführt war, hier jedoch späteren Umgestaltungen zum Opfer gefallen ist (vergl. Bll. II u. III sowie Fig. 2). Die Fußgesimse, von denen nur an einem Fenster ein kleines Stück erhalten geblieben ist, und die vielleicht auch verschieden gestaltet gewesen sein mögen, bestehen, wie Figur 8 zeigt, aus zwei über einander liegenden, durch Platte und Schräge von einander getrennten Wülsten; die Kämpfergesimse sind entweder den an den Pfeilern der Bogenstellung im Erdgeschosse befindlichen nachgebildet, oder haben das Profil der attischen Basis in umgekehrter Folge (s. Figg. 8 a u. b). Auch die Ecksäulchen sind, wie ein Vergleich sofort ergiebt, denen der Arkadenpfeiler ähnlich, (Figg. 8 u. 1), nur daß an dem Säulenfuße die sonst übliche Hohlkehle wegen mangelnder Ausladung fortgeblieben und durch ein gerades Cylinderstück ersetzt ist.

 

 

 

Fig. 2. Gekuppelte Fenster in der östlichen Außenmauer zweiten Stocks Ansicht von Außen, Maaßstab 1 : 40.

 

Von den größeren, zwischen den Fenstergruppen befindlichen Bogenöffnungen hat keine ihre ursprüngliche Form behalten; es ist jedoch zweifellos, daß dieselben keine Thüren sondern nur Fenster waren, deren Sohlbänke, wovon im Mauerwerke sich noch Ansätze finden, gleich denen der Fenstergruppen 1,25 Meter über dem Fußboden des Geschosses lagen. Die Einwölbung sämmtlicher vorgedachten Fenster ist durch halbkreisförmige, schlichte und scharfkantige Quaderbögen bewirkt.

 

Alle in vorstehender Beschreibung angedeuteten Einzelheiten der hier vorliegenden Architekturformen dürfen als die charakteristischen Merkmale der Bauweise des 12. Jahrhunderts angesehen werden, und wenn einerseits die meist strengen Formen der Profilirungen an den Pfeilern und Säulen wohl gestatten möchten, die Entstehung derselben in den Anfang dieses Zeitabschnittes zu setzen, so nöthigt andererseits doch die ornamentale Gestaltung der Kapitäle in den Fenstergruppen, die betrachteten Gebäudeüberreste für ein Werk aus der Zeit zwischen 1150 und 1170 zu erkennen.

 

Auch die Technik der Ausführung steht dieser Annahme nicht entgegen. Der Hauptsache nach ist das Gebäude aus Bruchsteinen aufgeführt: nur bei den weniger umfangreichen Mauerkörpern und

 

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denjenigen Constructionstheilen, die ihrer Functionen wegen größere Sicherheit und Widerstandskraft bieten mußten, oder da wo man einen reichern Eindruck erzielen wollte, sind Quadersteine zur Anwendung gekommen. So bei den Pfeilern und Bögen der Arkade, an den Eckeinfassungen der Fenster des Erdgeschosses in der östlichen Umfassungsmanuer und zur vollständigen innern und äußern Verblendung an dem zwischen der Sohlbank und dem Kämpfergesimse liegenden Theile dieser Mauer im Obergeschosse, einschließlich der die Fensteröffnungen daselbst überspannenden Bögen. Die Quader sind aus dem Muschelkalke gefertigt, welcher noch heute in ausgedehntem Maße aus den etwa drei Meilen von Braunschweig entfernt liegenden Steinbrüchen bei Königslutter am Elme gewonnen wird.

 

Es ist dies ein bildsames Material, das sich in den reineren Varietäten ganz besonders für die Ausarbeitung reich profilirter Gesimse oder des zarten Blätterschmuckes der Kapitäle eignet.

 

Säulen und Pfeilerecken der gekuppelten Fenster in der östlichen Außenmauer zweiten Stocks Maaßstab 1: 10.

 

Einfügung: Kapitell Nr. 65 aus Dissertation Kluckhohn von 1937

Fig. 4. Erste Fenstergruppe (vom Südende ab)

 

 

 

Fig. 5 Zweite Fenstergruppe.

 

Einfügung: Kapitell Nr. 67 aus Dissertation Kluckhohn von 1937

Fig. 6 Vierte Fenstergruppe.

 

 

 

Fig. 7. Dritte Fenstergruppe.

 

 

 

Fig. 8a. Fig. 8b.

 

 

Viele aus jener Zeit aufbewahrte Beispiele liefern den Beweis, daß unsere Vorfahren mit diesem Materiale ebenfalls schon Tüchtiges zu leisten im Stande waren, wenn auch die hier besprochenen Ornamente und architektonischen Gebilde mit verhältnißmäßig geringer Sorgfalt behandelt sind und deshalb der Schärfe und Feinheit in den Formen ermangeln. Die schlichten Quader sind sämmtlich an den Rändern der Stirnseiten und den Kanten der Ecken mit dem Meißel oder Schlageisen umsäumt und auf den Flächen mit dem Hammer geglättet. Die Meißelschläge stehen schräg zu den senkrechten oder horizontalen Kanten, während die Hammerschläge den Stoßfugen der Quader stets parallel laufen (vergl. die Darstellungen in Figg. 1 u. 8). Eine ähnliche Bearbeitung zeigen die Flächen der Lagerfugen, häufig auch die der Stoßfugen. Das Bruchsteinmauerwerk

 

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ist aus kleinen Stücken mit regelrechtem Verbande, in möglichst horizontalen Schichten von ungleichmäßiger Stärke und, soweit die muschelförmigen Bruchflächen der Steine es gestatteten, mit engen Mörtelfugen aufgeführt. Seinen Hauptbestandtheil bilden Roggenstein und Hornmergel der Buntsandsteinformation -- ein Material, welches aus den ehemaligen Steinbrüchen des nächst der Stadt belegenen Nußberges entnommen ist und bei allen älteren monumentalen Bauwerken Braunschweigs von den frühesten Zeiten bis ins 16. und 17. Jahrhundert in größerer Ausdehnung sich nachweisen läßt. Vereinzelt finden sich daneben größere Kalksteine, welche anscheinend als Werkstücke haben dienen sollen, bei der Bearbeitung aber verunglückt sind, auch Raseneisenstein, eine poröse Varietät des Brauneisensteins, die jetzt noch hin und wider am Fuße des Nußberges im sogenannten Hagenbruche auf der Feldmark Braunschweig zum Vorschein kommt (vergl. die Darstellung des Bruchsteinmauerwerks in Fig. 2). In nur geringem Maße, und zwar zur Ueberwölbung der kleinen Fenster im Erdgeschosse der östlichen Umfangsmauer, ist schließlich auch der bekannte Duckstein zur Anwendung gekommen, ein in den Kalksteinbrüchen am Elme gewonnener poröser, aber widerstandsfähiger Kalksinter, der im frischen Zustande sich sehr leicht bearbeiten läßt, nach Verlauf einiger Jahre jedoch eine bedeutende Härte annimmt und sich vermöge dieser Eigenschaften ganz besonders zur Herstellung von Gewölben eignet.

 

Während demnach das Gebäude in allen seinen Theilen aus Materialien aufgeführt wurde, welche die Natur in der nächsten Nähe Braunschweigs geliefert hat, zeigen die Säulenschafte in den gekuppelten Fenstern der Ostmauer ein hier bislang noch nicht beobachtetes Gestein. 64 Den Nachforschungen des Herrn Geh. Kammerraths von Strombeck ist es gelungen, den Fundort dieses Materials zu ermitteln. 65 Es ist ein gelblich bis röthlich braun gefärbter, sinterförmiger Kalkstein, welcher sich als eine verhältnißmäßig mächtige Ablagerung in dem Kanale einer römischen Wasserleitung findet, die einst in der Richtung von Trier nach Köln die Eifel durchzogen hat. Theile dieses Kanales bestehen noch jetzt und zeigen das seltene Gestein; an vielen Kirchen der Rheinprovinz hat dasselbe, namentlich im 12. Jahrhundert, zur Herstellung von Säulen, Kapitälen, Altarstufen u. s. w. Verwendung gefunden, und wo diese Gegenstände nicht den Einflüssen der Witterung ausgesetzt gewesen sind, haben ihre Oberflächen eine vortreffliche Politur bewahrt. Ohne Zweifel waren ursprünglich auch die hier besprochenen Säulenschafte polirt, obgleich sie jetzt ziemlich unscheinbar und stark verwittert sind und von solcher Schönheit keine Spur mehr zeigen. Soweit bis jetzt festgestellt werden konnte, haben im ehemaligen Niedersachsen außer Braunschweig nur noch Hildesheim und Helmstedt in ihren Kirchen einzelne aus diesem Material gefertigte Gegenstände oder Bruchstücke davon aufzuweisen. 66

 

Von gleicher Wichtigkeit wie das Steinmaterial ist für die Chronologie unseres Baues der Mörtel, ein Gemisch von Kalk und mehr oder weniger bedeutenden Zusätzen eines lehmigen und rundkörnigen eisenhaltigen Sandes, wie die Baustätte ihn liefert. Gelbe bis bräunliche Farbe, geringe Festigkeit, die sich nur da steigert, wo mittels eines reinern Sandes ein besseres Gemisch hergestellt und dieses der Feuchtigkeit längere Zeit oder beständig ausgesetzt gewesen ist, ferner Einsprengungen unvermischt gebliebener Kalktheilchen und kleinerer, vom Brennen des Kalkes herrührender Holzkohlenstückchen -- das sind die hauptsächlichsten Kennzeichen dieses Mörtels, charakteristisch genug, um ihn von allen bei den späteren Umbauten verbrauchten Mörtelarten leicht unterscheiden zu können. 67

 

Zur Vervollständigung unseres Ueberbliks sei gleich hier noch über diejenigen Bautheile berichtet, welche theils im Schutte vergraben lagen, theils als Mauersteine bei späteren Umgestaltungen benutzt worden waren und erst bei eindringender Untersuchung des Bauwerkes wieder ans Tageslicht gekommen sind. Darstellungen derselben zeigen die Figuren 9 – 41.

 

Unter Figur 9 erblicken wir mehrere Theile eines Wand- oder Gewölbepfeilers, die zwar -- wie die Zeichnung angiebt -- an verschiedenen Orten aufgefunden sind, deren Zusammengehörigkeit aber

 

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dennoch ganz unverkennbar und aus den Dimensionen der Quaderstücke, aus deren Profilirungen und aus der Art und Weise ihrer Bearbeitung zu erweisen ist. Der Sockel (a) ist frei nach dem attischen Motive gebildet, desgleichen die Basis der Ecksäulen (b), doch fällt hier bei Vergleichung mit den früher betrachteten Säulenfüßen insofern eine Abweichung auf, als der untere Pfühl über die Pfeilerfläche hervorquillt, auch die Eckverzierung an demselben schon in bewegteren Formen gehalten ist. Die Ecksäulen selbst (vergl. den Grundriß c) sind mittels eines doppelten rechtwinkligen Ansatzes in die Pfeilerfläche übergeführt und erscheinen dadurch reicher, während die Kapitäle (d), mit verschlungenem, frei erfundenem Blattwerk bedeckt, der Hauptsache nach die Würfelform erkennen lassen. Geben schon diese Details der Vermuthung Raum, daß selbige einem Gewölbebaue, und zwar der von dem Reimchronisten erwähnten »St. Georgskapelle in der Burg«, angehörten, so wird dieses noch mehr bestätigt durch die Gestalt der in größerer Anzahl aufgefundenen Quader, von denen die wesentlichsten Grundrißformen unter Figg. 10 und 11 wiedergegeben sind.

 

 

 

Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Gefunden in der Füllungsmauer der ersten Fenstergruppe an der Ostseite zweiten Stocks.

 

 

 

Gefunden in der Füllungsmauer der vierten Fenstergruppe.

 

Fig. 9. Ueberreste von Wand- oder Gewölbepfeilern, muthmaßlich zur früheren Capelle gehörig Maaßstab 1: 10.

 

Die Ecken sind in üblicher Weise theils in Halbsäulenform ausgebildet, theils, zur Vermeidung scharfer Kanten, doppelt ausgekehlt; daß diese Bruchstücke von kreuzförmig entwickelten Pfeilern stammen, läßt noch der Verband erkennen, in welchem sie vorliegen. Die zu den Ecksäulen gehörigen Kapitäle (Figg. 12--16), von denen zum Theil nur noch Bruchstücke vorhanden sind, haben keine entschieden ausgesprochene Form und werden als eine Verbindung der beiden in jener Zeit üblichen Arten, der Kelch- und Würfelkapitäle, anzusehen sein. Die Blattverzierungen an denselben sind meist roh und oft geschmacklos angeordnet, wenn auch bei einigen eine geschickte Ueberführung der Säule in die rechtwinklige Form des Pfeilers erreicht ist. Zwei krönende Gesimse zeigen noch die Figuren 17 und 18; sie mögen als Kämpfer- oder Arkadengesimse gedient haben, wenn auch nicht in Verbindung mit den Pfeilern, als deren Abschluß sie auf der Zeichnung dargestellt sind. Das Profil

 

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Figur 17 besteht aus schwach gekrümmter Hohlkehle, Plättchen und Wulst mit darauf ruhender Platte und gehörte dem Eckstücke eines Kämpfergesimses an, wie man aus dem auf seiner Oberfläche noch haftenden Mörtel und aus einem mit dem Meißel eingeschriebenen, dem Mauer- resp. Pfeilerkerne entsprechenden Striche erkennt; Figur 18 dagegen stellt den bei Bauten damaliger Zeit vielfach angewandten Würfel- oder Schachbrettfries dar und ist vermuthlich ein bandartiges Gesimse gewesen. Ein einfacheres und niedrigeres krönendes Gesimse wurde in mehreren Exemplaren, alle jedoch in nur geringen Längenabmessungen, aufgefunden: Figur 19 giebt das Profil desselben wieder. Das Ornament des bandartigen Frieses (Fig. 20) ist nach demselben Motive gebildet, welches wir schon bei einem der Kapitäle aus den

 

Versprengte Bruchstücke Maaßstab 1:10.

 

Fig. 17 Gefunden in dem unterirdischen Raume des nördlichen Gebäudetheiles.

 

 

 

Fig. 18 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

 

 

Fig. 12 Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 13 in der Füllungsmauer der Fenster an der Ostseite ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 10 und Fig. 11 Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 14 Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 15 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

 

 

Fig. 16 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

gekuppelten Fenstern (vergl. Figg. 2 u. 4) kennen gelernt haben; Figur 21, vielleicht das Fragment einer Kapitäldeckplatte, besitzt, bei nur geringer Auskragung, auf der schräg gestellten Fläche eine palmettenartige Verzierung; und das augenscheinlich einem großen Portale angehörige Ornament eines Bogenfrieses (Fig. 22) ist nach einem in jener Zeit häufig, aber auch mit verschiedener Detailbildung behandelten Motive durchgeführt. Die unter Figur 23 dargestellte Säulenbase entspricht in Größe und Form mit ganz geringer Abweichung denen, welche uns schon bei Betrachtung der gekuppelten Fenster (vergl. Figg. 2 u. 3) bekannt geworden sind.

 

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Zwei Kapitäle (Figg. 24 u. 25) scheinen, nach den Formen zu urtheilen, einer andern Periode anzugehören wie die bisherigen Gegenstände unserer Betrachtung; denn während man bei dem in Figur 24 dargestellten Beispiele aus der besonders ausgeprägten, durch eine Nuthe von der Kapitälplatte getrennten Kelche auf eine jüngere Zeit schließen darf, haben wir in dem eigenartig ausgebildeten Würfelkapitäle (Fig. 25), welches nicht nur durch die auf den Schildflächen angebrachten, schwach ausgekehlten Schneckenverzierungen, sondern auch durch das hier ausnahmsweise verwendete Sandsteinmaterial sich auszeichnet, ein viel älteres Werk, vielleicht ein Ueberbleibsel jener zwischen 1022 und 1038 gegründeten, im Jahre 1175 aber von Heinrich dem Löwen abgebrochenen alten Stiftskirche auf der Burg »Thoncguarderoth« vor Augen.

 

Die unter den nachfolgenden Figuren 26, 27 und 28 aufgenommenen Gewändestücke und Bogensteine zeigen an und für sich zwar keine außergewöhnlichen Anordnungen; doch macht ihr Fundort wahrscheinlich, daß sie der westlichen Außenmauer im Obergeschosse des Palastes angehörten. Alle diese

 

Versprengte Bautheile Maaßstab 1: 10.

 

 

 

Fig. 19 Gefunden in der Füllmauer der ersten Fenstergruppe an der Ostseite zweiten Stocks.

 

 

Fig. 20 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

 

 

Fig. 21 Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 22 Gefunden in der westlichen Umfangsmauer ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 23 Gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 24 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

 

 

Abb. 25 Gefunden beim Abbruche des sog. Ferdinandsbaues.

 

Quader nämlich, welche auf dem Boden eines im Gebäude befindlichen, gangartigen Kellers, dicht neben der genannten Mauer, unter Bau- und Brandschutt aufgefunden wurden, haben eine Länge von 0,70 Meter und sind auf beiden Stirnseiten, ebenso wie die übrigen Quader der romanischen Bauperiode, mit Meißelschlag umsäumt und auf den Flächen schlicht bearbeitet. Sie gehörten mithin einer 0,70 Meter starken Mauer an und umschlossen theils Bogenöffnungen mit einer Spannweite von annähernd 2,20 Meter (vergl. Figg. 26 u. 27), theils waren sie Stücke von kleineren gekuppelten Fenstern, deren einzelne, je 0,79 Meter im Lichten weite Oeffnungen mit einem Halbkreise überwölbt waren (vergl. Fig. 28). Hieraus dürfte zu schließen sein, daß jene westliche Außenmauer, ähnlich der der Ostseite, im Obergeschosse von großen und kleinen Oeffnungen durchbrochen gewesen ist und nur eine um 0,20 Meter

 

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geringere Stärke gehabt hat. Letzteres wird um so wahrscheinlicher, wenn man erwägt, daß gleiche Differenz auch in den Mauerstärken des Erdgeschosses beider Wände besteht, und daß muthmaßlich doch die Mauerabsätze auf beiden Seiten gleiche Dimensionen gehabt haben werden. Zu weiterer Bestätigung dieser Annahmen aber dient außer jener Nachricht, laut deren der Palast im 16. Jahrhundert durch eine

 

Versprengte Bautheile.

 

 

 

Fig. 26. gefunden unter dem Bauschutte im unterirdischen Gange des nördlichen Gebäudetheiles Länge der Bogensteine, Figg. 26 u. 28 = 0,70 m.

 

 

 

Fig. 27. gefunden unter dem Bauschutte im unterirdischen Gange des nördlichen Gebäudetheiles

 

 

Fig. 28. gefunden unter dem Bauschutte im unterirdischen Gange des nördlichen Gebäudetheiles

 

 

 

Fig. 29. Westliche und östliche Außenmauer des Palastes.

 

 

 

Fig. 30 gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 31. gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 32. gefunden in der Querscheidemauer des nördlichen Gebäudetheiles ersten Stocks.

 

große Feuersbrunst zerstört und im März 1581 »ein Stück Mauer nach dem Löwen wärts am fürstlichen Moßhause eingefallen ist«, 68 ferner noch die Thatsache, daß die alte westliche Außenmauer, welche an einigen Stellen des Erdgeschosses den späteren Umbauten nicht ganz zum Opfer gefallen ist, in den erhaltenen Theilen eine Stärke von 1,23 Meter besitzt, und da, wo die massive Querscheidemauer sich

 

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anschließt, die Hälfte eines kleinen schlitzartigen Fensters, gleich denen der Ostmauer, noch aufzuweisen hat. Nebenstehende Darstellung (Fig. 29) möge das über die einstige Anordnung und die Stärkenabmessungen der West- und Ostmauer des Palastes soeben Vorgetragene näher veranschaulichen.

 

Auch einzelne Ueberreste der Kemenaten scheinen sich erhalten zu haben. Wenigstens dürften die unter Figg. 30, 31 und 32 zusammengetragenen Bruchstücke als Theile von kleinen gekuppelten Fenstern zu gelten haben, die wohl für bescheidene Wohnräume, nicht aber für den großen Festsaal genügen konnten, auch durch die Anordnung einer in einen größern Mauerbogen eingesetzten Tympanonplatte (vergl. Fig. 51) für die Anbringung eines Verschlusses geeigneter waren. Das zu diesen Fenstern gehörige

 

Versprengte Bautheile Maaßstab 1 : 10.

 

Einfügung: entsprechend Dissertation Kluckhohn 1937 Kapitell Nr. 55



Einfügung: Kapitell Nr. 55 bei Kluckhohn im Detail

Fig. 33. Gefunden im Bauschutte des sog. Ferdinandbaues.

 

Einfügung: Kapitell in Dissertation Eichwede (Tafel IX)



Einfügung: Kapitell im Chor der Stiftskirche Königslutter

Fig. 34 Vermauert im Gewölbepfeiler des Kellers unter dem kleinen Mosthause.

 

 

 

Fig. 35.

 

 

 

Fig. 36.

 

 

 

Fig. 37. Wappen in einer Sohlbank der gekuppelten Fenster zweiten Stocks.

 

 

 

Fig. 38.

 

 

 

Fig. 39. Radius der Gewölberippe = 3,9 m.

 

 

 

Fig. 40. Gefunden in der Füllmauer der Fenster ersten Stocks an der Ostseite.

 

 

 

Fig. 41. Fensterpfosten.

 

Säulenkapitäl (Fig. 32) zeigt in verkleinertem Maaßstabe dasselbe Motiv, wie die Säulen in einem der gekuppelten Fenster der östlichen Saalmauer (vergl. Fig. 7). Beachtenswerth ist das unter Fig. 33 dargestellte Bruchstück eines Kapitäls insofern, als daran nach Form und Größe eine vollständige Uebereinstimmung mit einigen Kapitälen der freistehenden Säulen im Kreuzgange der Stiftskirche zu Königslutter zu beobachten ist, woraus man denn nicht nur auf nähere Beziehungen unter den hier und dort beschäftigten Werkleuten schließen, sondern vielleicht sogar die Vermuthung schöpfen kann, daß dieses Bruchstück von demselben Künstler herrühre, welcher jene Kapitäle in Königslutter gefertigt hat.

 

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Es haben daher auch zur Vervollständigung des Bruchstücks in der Zeichnung (Fig. 33) die Umrißlinien eines aus dem Kreuzgange zu Königslutter entlehnten Kapitäls ohne weiteres angefügt werden können. Derselben Bauschule scheint das reich verzierte friesartige Bruchstük Figur 34 zu entstammen; großartige Blattformen mit weiter Ausladung und stark markirten Rippen bedecken die Fläche, und zwischen den Ornamenten kommen Menschen- und Thierköpfe zum Vorschein.

Leider hat sich, da der Stein als Stütze eines Gewölbes in dem noch benutzten kleinen Moshause dient und nicht ohne Gefahr entfernt werden konnte, bisher nicht ermitteln lassen, in welchem Zusammenhange derselbe mit anderen Bautheilen gestanden hat, oder welche Functionen er verrichtet haben mag. Der romanischen Bauperiode gehören endlich noch zwei Quader (Figg. 35 u. 36) an, an deren Ecken in Hohlkehlen liegende Halbsäulen

 

 

 

Fig. 42.

 

Giebel der Ostseite Maaßstab 1 : 100.

 

angeordnet sind, welche mit theils einfachen, theils nach dem attischen Muster gebildeten Basen endigen. Vermuthlich stammen auch diese Bautheile von den Fensterpfeilern der Kemenaten.

 

Zur Erläuterung der Figuren 37 und 38 sei noch erwähnt, daß die beiden hier abgebildeten Wappenschilde, von denen der obere (Fig. 37) dem 13., der untere (Fig. 38) dem 15. Jahrhundert zuzuschreiben sein dürfte, sich auf der Oberfläche einer Sohlbank in der südlichen Fenstergruppe der Ostmauer befinden und in alter Zeit von müßigen Insassen des Raumes zur Kurzweil mögen eingeschnitten sein.

 

Geringere Bedeutung haben die bei den Untersuchungen aufgefundenen Bruchstücke mehrerer Gewölberippen, eines zugehörigen Schlußsteines und eines Fensterpfostens (Figg. 39--41). Dieselben

 

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sind die einzigen Beispiele gothischer Bauweise des 15. Jahrhunderts und können hier um so eher außer Betracht gelassen werden, weil weder ihre Zugehörigkeit zu den Bauwerken in der Burg, noch bis jetzt auch eine bauliche Veränderung an letzteren aus jener Zeit sich hat nachweisen lassen.

 

Es giebt in der nähern und fernern Umgegend Braunschweigs noch eine große Anzahl von Bauwerken, welche in ihrer stilistischen Behandlung eine große Uebereinstimmung mit den eben betrachteten architektonischen Formen und Ornamenten erkennen lassen und somit den Beweis für einen inneren Zusammenhang der Bauschulen, aus denen sie hervorgegangen sind, und zugleich einen Anhalt zur ungefähren Ermittelung ihrer Entstehungszeit liefern. Bemerkenswerthe Beispiele sind die Klosterkirche St. Michaelis und die Godehardikirche zu Hildesheim, der Kreuzgang der Stiftskirche zu Königslutter, der Capitelsaal der Klosterkirche zu Ilsenburg, der Kreuzgang der Stiftskirche zu Gernrode, die Klosterkirche zu Drübeck am Harz, die Vorhalle des ehemaligen Domes zu Goslar, die Krypta unter den Ruinen der Klosterkirche zu Riechenberg bei Goslar, die Klosterkirche zu Bursfelde bei Münden an der Weser, die Schloßkapelle zu Landsberg bei Halle, die Ruinen der Klosterkirche zu Burghasungen in Hessen, die Stiftskirche zu Wunstorf bei Hannover, die Kirche zu Idensen bei Wunstorf u. a. m. 69 Bei näherer

 

 

Fig. 43. Profil eines Fensterpfeilers in der östlichen Außenmauer zweiten Stocks.

 

 

 

Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46. Fenster der östlichen Außenmauer ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 44a. Fig. 45a. Fig. 46a. Profile der Fenstereinfassungen der östlichen Außenmauer ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 47. Hauptgesims der Ostseite.

 

Maaßstab für die Ansichten 1 : 40, für die Profile 1 : 10.

 

Betrachtung aller dieser Bauwerke gewinnt man mehr und mehr die Ueberzeugung, daß ziemlich gleichzeitig mit ihnen, also um die Mitte etwa und in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, auch der Burgbau aufgeführt ist, dessen Ueberreste hier noch vor Augen liegen. --

 

Vier Jahrhunderte hindurch scheint diese Schöpfung Heinrichs des Löwen, wenn auch nicht von der Hand des Schicksals, so doch von baulichen Eingriffen unberührt geblieben zu sein. Kein Merkmal, weder technischer noch architektonischer Art, deutet darauf hin, daß während dieser Zeit irgend eine wesentliche Veränderung an dem Gebäude vorgenommen ist.

 

Erst die Bauweise des 17. Jahrhunderts, eine ins Barocke und Willkürliche ausartende Spätrenaissance hat dem Bauwerke ihre unverkennbaren Züge wieder aufgeprägt. Freilich nicht überall mit dem Prunke und der Ueberladung, wie es jene Zeit liebte, sondern in einfacher, fast könnte man sagen ärmlicher Ausbildung. An der Ostfaçade (Bl. II) wurde das schlichte Gewand der romanischen Bauart beibehalten: hier hat man sich darauf beschränkt, die vorhandenen Fensteröffnungen mit Quadergewänden einzufassen, und jede Flächengliederung im Aeußeren verschmäht. Selbst die Profilirungen der Fenstereinfassungen sind zum Theil, namentlich am Obergeschosse, ins Innere verlegt, und die zur Aufnahme der Fensterflügel dienenden Falze an der Außenseite angebracht (vergl. Figg. 42 u. 43). Die kleinen

 

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Fenster im Erdgeschosse der Ostmauer haben zwar nach Außen bescheidene, karniesartige Abfasungen, die mit gleichem Profile, unten zuweilen auch mit einer Volute endigen (Figg. 44, 45 u. 46); doch sind auch hier die Fensterfalze wiederholt noch nachträglich außen angefügt (Figg. 45a u. 46a). Ein einfach gegliedertes, schmuckloses Hauptgesimse (Profil Fig. 47) bildet den obern Abschluß der Ostmauer und giebt zu rathen, was ehedem seine Stelle eingenommen haben mag.

 

Dieser nüchternen Façadenbildung gegenüber, in der wohl die Spur eines schwachen Versuchs zur Wiederherstellung des Gebäudes im Anfang des 17. Jahrhunderts, unter der Regierung Friedrich Ulrichs, zu erkennen sein dürfte, fällt die immerhin etwas stattlichere Durchführung der West- und Nordseite sowie jenes Giebels über dem Hauptgesimse der Ostmauer (Bll. I u. II) vortheilhaft ins Auge.

 

 

 

Fig. 48. Fenster der westlichen Außenmauer zweiten Stocks.

 

 

 

Fig. 49.

 

 

 

Fig. 50.

 

 

 

Fig. 51

 

 

 

Fig. 52.

 

 

 

Fig. 53.

 

 

 

Fig. 54. Hauptgesims der West- und Nordseite sowie des östlichen Giebels.

 

 

 

Fig. 55. Gesims des östlichen Giebels

 

 

 

Fig. 56. Gesims des nördlichen Giebels.

 

Maaßstab für die Ansicht 1 : 40, für die Profile 1 : 10.

 

Die Fenster beider Geschosse der genannten Gebäudefronten sind mit profilirten Quadergewänden eingefaßt und durch einen mittlern Steinpfosten getheilt (Fig. 48). Das Profil der Fenstereinfassungen (Figg. 49 u. 50) besteht aus einem Karnies mit anschließenden Plättchen und setzt sich nach unten in eine Schräge über, die ihrerseits auf der rechtwinkligen Kante des Pfostens in eine Volute endigt. Die Fenstersohlbänke (Fig. 51), mit den Gewänden gleichzeitig angefertigt, haben ursprünglich höher gelegen, wie daraus zu schließen ist, daß die Pfosten an denjenigen Fenstern, welche sich nicht als spätere Nachbildungen des Originals ergeben, durch kurze und höchst mangelhaft bearbeitete Quaderstücke um 0,38 Meter nach unten verlängert sind (vergl. die Ansicht Fig. 48). In Folge dieser Tieferlegung der Sohlbänke haben aber auch die Fenster ihre für damalige Zeit charakteristischen Formverhältnisse verloren:

 

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sie erscheinen übermäßig schlank, und das Mißverhältniß fällt um so mehr auf, als der Ablauf der Profilirungen an derselben Stelle geblieben ist. Unmittelbar auf die Sturze legt sich ein zierlich profilirter Giebel, dessen Schildfläche mit der Mauerflucht in gleicher Ebene liegt und mit einem, Metallbeschlägen nachgebildeten Muster, sowie in der Mitte mit einem Kugelabschnitte decorirt ist (vergl. Figg. 48, 52 u. 53).

 

Das Hauptgesimse an der West- und Nordseite hat etwas geringere Höhe, als das der Ostseite, zeigt aber eine reichere Profilirung, der kleinere Zwischenglieder so eingefügt sind, daß die Hängeplatte nur wenig zur Wirkung gelangt (vergl. Fig. 54). Ein völlig gleiches Gesimse wiederholt sich an dem Giebel der Ostseite. Dieser ist in drei Geschossen treppenförmig aufgeführt (Fig. 42), an den Ecken mit Buckelquadern eingefaßt und in der Höhe jedes Geschosses durch ein entsprechend ausgebildetes Gesimse (vergl. die Profile Figg. 54 u. 55) horizontal abgeschlossen. Die sonst schlichten Flächen des Giebels werden nur durch einfache, ungetheilte oder je zu zweien gruppirte Fenster und oben durch eine

 

 

 

Fig. 57.

 

Ueberreste eines Portals in der westlichen Außenmauer Maaßstab 1 : 20.

 

kreisrunde Oeffnung belebt; dagegen sind die einspringenden Winkel der Stufen durch willkürlich geschwungene Schnörkel in geschmackloser Anordnung mit hornartigen Auswüchsen und breitgedrückten Voluten ausgefüllt. Letztere wiederholen sich dann nochmals auf der Giebelspitze und werden hier durch einen Obelisken gekrönt. Ursprünglich haben mehrere solcher Giebel beide Langseiten des Gebäudes geschmückt, wie noch aus dem Dachverbande zu erkennen ist, wo ihren ehemaligen Standpunkt abgeschnittene Kehlbalken und nachträglich eingezogene schwächere Sparren genau anzeigen.

 

Weniger reich ausgebildet ist der nördliche Giebel (Bl. II), welcher in der Neigung der beiden Dachflächen ansteigt und mit schwach profilirten, plattenartigen Quadern abgedeckt ist. Die Fenstermotive des östlichen Giebels finden hier eine Wiederholung, ebenso die Krönung der Giebelspitze durch einen Obelisken; doch fehlen alle sonstigen decorativen Elemente, und als horizontale Höhentheilung der Giebelfläche kommt nur ein Gurtgesimse vor (vergl. Fig. 56).

 

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Der reichste Schmuck wird sich an der nach dem Burgplatze hin belegenen westlichen Hauptfront des Gebäudes entfaltet haben. Zwischen zwei Fenstern des Obergeschosses dieser Façade deuten einige wenige Ueberreste der oberen Bekrönung eines Portalbaues darauf hin, daß hier der Haupteingang gelegen habe (Bl. I u. Fig. 57). Auf dem geschwungenen Giebelgesimse ruht eine Abundantia in phantastischem Gewande, mit einem mächtigen Füllhorne in den Armen und umgeben von der beliebten Flächendecoration des sogenannten Cartouchenwerks. In der Achse des Portals vereinigt sich das Giebelgesimse mit einem größern profilirten Schlußsteine, über dem sich in einer rundbogig geschlossenen Mauernische die fast bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Figur eines Ritters erhebt, in der stilisirten oder idealen Tracht damaliger Zeit, mit dem Wappenschilde zur Seite, während unterhalb auf dem schlichten Giebelfelde eine in den Quader eingemeißelte geringe Vertiefung nach ihrer Form vermuthen läßt, daß dort ein aus Metall gefertigter ovaler Wappenschild mit darüber ruhender Krone angebracht gewesen sei. Was oben bereits über eine später ausgeführte Tieferlegung der Fenstersohlbänke gesagt wurde, wird auch an diesen Bruchstücken der Portalbekrönung recht ersichtlich (Fig. 57); denn das linksseitige Giebelgesimse mit dem figürlichen Schmucke, ursprünglich durch das Sohlbanksgesimse nach oben begrenzt,

 

Versprengte Bautheile Maaßstab 1 : 10.

 

 

 

Fig. 58 Gefunden in der Füllmauer der ersten Fenstergruppe an der Ostseite zweiten Stocks.

 

 

Fig. 59. Gefunden in der Füllmauer der ersten Fenstergruppe an der Ostseite zweiten Stocks.

 

 

 

Fig. 60. Gefunden im südlichen Fenster der Ostmauer ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 61. Gefunden im südlichen Fenster der Ostmauer ersten Stocks.

 

 

 

Fig. 62. Gefunden beim Abbruch des sog. Ferdinandsbaues.

 

 

 

Fig. 63 Gefunden beim Abbruch des sog. Ferdinandsbaues.

 

hat jener nachträglichen Fensterumgestaltung weichen müssen. Mehrere kleinere, bei den Untersuchungen wieder aufgefundene Bruchstücke von Gesimsen und eines Pilasterkapitäls (s. Figg. 58--63) dürfen als Zubehör des eben betrachteten Portales oder eines anderen decorativen Bautheiles gelten; sicher aber ist ihre Entstehung demselben Zeitabschnitte zuzuschreiben.

 

Fragen wir nun nach der Zeit, in welcher diese Umgestaltung des Bauwerks sich vollzogen hat, so brauchen wir nicht weit zu gehen, um die erforderlichen Vergleichsobjecte zu finden, deren architektonische Formen und Ornamente denselben Charakter kundgeben, und an denen das Jahr ihrer Erbauung, sei es durch Maueranker in Zahlenform oder durch eingemeißelte Angaben, der Nachwelt überliefert worden ist. Unter den vielen Gebäuden, welche Braunschweig aus dem 16. und 17. Jahrhundert aufzuweisen hat, giebt es auch eine größere Anzahl stattlicher Wohnhäuser, welche der reiche Patricier zur Befriedigung seiner gesteigerten Lebensansprüche erbauen und glänzend einrichten ließ, und unter diesen ist es besonders ein Haus auf der Reichenstraße (Ord. No. 3), an welchem fast alle jene Decorationsmotive sich wiederfinden, welche dort an der Burg zu beobachten sind. Dieses Haus trägt die Jahreszahl 1630, und die geringen Unterschiede in Einzelheiten, welche sich bei einem eingehenden Vergleiche herausstellen, deuten darauf hin, daß der Umbau des »Moshauses« in der Burg eher später als früher, also etwa zwischen 1630 und 1650 vorgenommen ist. 70

 

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Das zu dem Renaissancebau verwendete Material ist sehr mannigfaltig; überall aber findet man nur natürliche Gesteinsarten: Kalkstein vom Elme, als Quader in den Gesimsen, Fenstergewänden und Ornamenten, als Bruchstein in dem schlichten Mauerwerke; ferner Sandsteinquader in den Einfassungen der Ecken an den inneren Fensterleibungen; endlich auch noch Roggenstein oder Hornmergel vom Nußberge, diesen jedoch nur in ganz untergeordnetem Maaße. Auch mancher alte Stein, der Jahrhunderte lang schon dem Wetter getrotzt hatte, und auf dessen Oberfläche die vertrockneten Moosbildungen noch wahrzunehmen sind, wurde in das neue Mauerwerk wieder eingefügt. In größerer Anzahl kommen diese alten Quadersteine an den inneren Fensterleibungen der Nordseite und des nördlichen Theiles der Westseite vor, werden aber seltener, je mehr man sich dem Südende der Westmauer nähert, woraus zu schließen sein dürfte, daß in dieser Richtung sich auch die Bauausführung bewegt hat.

 

Zu dem Kalkmörtel ist ein scharfkörniger, sehr reiner Sand verwendet; er besitzt, namentlich in den Fundamenten, große Festigkeit und zeigt in feuchtem Zustande eine graue, getrocknet eine blendend weiße Farbe.

 

Sieht man das Mauerwerk der Nord- und Westseite auf seine structive Beschaffenheit an, so erkennt man sehr bald, daß dasselbe nicht vom Grunde heraus neu aufgeführt wurde, daß vielmehr der alte romanische Bau in den zu Tage liegenden unteren Schichten der Westmauer -- an einigen Stellen daselbst auch in größeren Mauerkörpern -- und an der Nordseite sogar fast in der ganzen Höhe des Erdgeschosses bestehen blieb. Wichtig für die Erforschung des ursprünglichen Bestandes des Renaissancebaues sind die Ueberreste eines in der Technik dieser Zeit aus Bruchsteinen ausgeführten Mauerbogens, welcher an der Innenseite der Westmauer -- von der Nordwestecke ab gerechnet, zwischen dem 4. und 5. Fenster -- zu sehen ist und einer großen Thoröffnung angehört haben muß. Da nun dieser Bogen der Oeffnung zwischen zwei Pfeilern der innern Arkade gerade gegenüber liegt, auch die an der entgegengesetzten Seite der Ostmauer befindliche Thüröffnung nachweislich früher breiter gewesen ist, so darf man vermuthen, daß an dieser Stelle eine Durchfahrt bestanden habe. Diese Annahme steigert sich zur Gewißheit, wenn man ferner berücksichtigt, daß die beiden vorhin erwähnten Fenster in der Westmauer nicht für ursprüngliche gelten können, daß die Fundamente der Begrenzungsmauern der Durchfahrt, wie wir weiterhin sehen werden, sich noch vorgefunden haben, und daß endlich die erst bei Canalisation der Oker beseitigte Brücke vor der ehemaligen Burgmühle in der geraden Fortsetzung dieser Durchfahrt gelegen war.

 

Mit dieser Bauperiode schließt die Reihe selbstständiger neuer Schöpfungen, denn alle bautechnischen oder künstlerischen Leistungen, welche in der Folge an dem noch vorhandenen Theile des einstigen Palastgebäudes in der Burg stattgefunden haben, sind nur Abänderungen an dem Bestehenden oder schlechte Nachbildungen schon vorhandener Motive, und entbehren daher auch jeder Originalität und des Charakters eines bestimmten Baustils. Nach ihrer technischen Ausführung lassen sie sich zwar von der ersten Anlage des Renaissancebaues unterscheiden, ebenso auch in bestimmte Classen theilen; doch ist es nicht möglich, aus der Art ihres Vorkommens allein die Zeit der Entstehung nachzuweisen. Zum Glück wird aber die hier fühlbare Lücke durch die von da ab reichlicher fließenden historischen Nachrichten und durch noch vorhandene Situationspläne und Baurisse nach Wunsch ausgefüllt.

 

Die einzelnen Wahrnehmungen, welche bei Erforschung späterer Umgestaltungen gemacht wurden, vermögen, für sich betrachtet, wenig Aufklärung zu geben; sie dürfen daher auch einstweilen unerörtert bleiben, zumal sich noch Gelegenheit bieten wird, dieselben an geeigneterer Stelle, bei Besprechung des Gebäudebestandes in den verschiedenen Bauepochen, einzureihen. Wichtiger ist die Kenntniß der verschiedenartigen, beim Nachgraben des Bauterrains aufgefundenen Grundmauern, ihrer Zusammensetzung und ihrer Verbindung sowohl unter sich als auch mit dem bestehenden Gebäudetheile.

 

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Bevor jedoch versucht wird, von diesem Befunde ein anschauliches Bild zu entwerfen, erscheint es angemessen, die Phasen der Baugeschichte der Burg insgesammt und des Palastes im besondern hier nochmals kurz zu präcisiren.

 

Aus den vorstehend erörterten historischen Ueberlieferungen und Merkmalen des Stils und der Technik ergaben sich deren drei:

 

I. Die der vorromanischen Zeit bis 1150, in welcher, muthmaßlich während des 10. Jahrhunderts, die erste Burganlage durch den Brunonen Dankward erfolgte, von Graf Ludolf, zwischen 1022 und 1038, die alte Stiftskirche in der Burg erbaut, die Burg selbst, nach 1090, ein Raub der Flammen, aber noch vor 1115 wieder hergestellt wurde.

 

II. Die der romanischen Zeit (1150-1616). Herzog Heinrich der Löwe unternahm einen vollständigen Neubau der Burg; auf seine Veranlassung entstand nicht nur der Palast und die Burgkapelle (1150--1170), sondern auch, an Stelle der alten Stiftskirche, ein neuer Dom (1173--1190). Im Jahre 1252 zerstörte ein gewaltiger Brand einen Theil der fürstlichen Wohnung; die entstandenen Schäden waren aber 1254 bereits wieder beseitigt. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gingen, in Folge einer abermaligen Feuersbrunst, die Palastgebäude fast vollständig zu Grunde; als Ruine lagen dieselben bis zum Anfange des 17. Jahrhunderts.

 

III. Die der Renaissance (1616--1763). Herzog Friedrich Ulrich ließ im Jahre 1616 mit der Wiederherstellung des Palastes beginnen, zur Vollendung gelangte der Bau aber erst unter Herzog August im Jahre 1640. Herzog Anton Ulrich führte 1685 einen Umbau des großen »Mosthauses« aus; in den Jahren 1690--1700 erweiterte er dasselbe nach Osten und ließ er vor der Westfront einen Balcon mit anschließenden Colonnaden errichten. Auch das kleine Mosthaus wurde von ihm 1687 »artig ausgebauet«.

 

Diesen Perioden schließt sich noch

 

IV. Die der Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts an, Herzog Karl I ließ 1763 den südlichen Theil des großen »Mosthauses« nebst den Colonnaden vor der Westfront abbrechen und auf dem freigelegten Raum den sog. Ferdinandsbau aufführen. Die Umwandelung der fürstlichen Gebäude zu einer Kaserne erfolgte im Jahre 1808. Ein Arkadenbau vor der Westfront entstand im Jahre 1826; im Jahre 1870 wurde derselbe wieder beseitigt, wobei zugleich mehrere andere Veränderungen zur Ausführung gelangten. Schließlich fiel dem großen Brande vom Jahre 1873 der südliche Theil des Moshauses, der Ferdinandsbau, wieder zum Opfer. Was damals gerettet wurde, ist bis heute erhalten geblieben. --

 

Kehren wir nun zur Betrachtung dessen zurück, was bislang im Schooße der Erde verborgen lag und erst durch Nachforschungen und Ausgrabungen auf dem Bauterrain des Palastgebäudes und in dessen nächster Umgebung wieder zu Tage gefördert ist. Ein wahres Gewirre von Mauern breitet sich vor uns aus, die gleich einem gordischen Knoten fast unlösbar mit einander verschlungen zu sein scheinen, bei näherer Betrachtung der Materialien aber, aus denen sie zusammengefügt sind, sowie der Technik ihrer Ausführung in überraschender Klarheit nach sechs verschiedenen Bauepochen sich sondern lassen. Auf vorliegender Zeichnung (Bl. IV) sind die Resultate der Ausgrabungen im Grundriß und in verschiedenen Quer- und Längenschnitten genau zur Darstellung gebracht, und dabei je die einzelnen zusammengehörigen Mauerkörper nach ihrem größern oder geringern Alter durch dunklere oder hellere Färbung und durch entgegengesetzte Lage der Schraffirung unterschieden.

 

Von den vorhandenen sechs Fundamentarten gehört die auf unserm Plane ganz schwarz wiedergegebene erste und älteste (I) den romanischen Bauten Herzog Heinrichs des Löwen (1150-1190) an; die zweite (II), dritte (III) und vierte (IV) den Renaissancebauten des 17. Jahrhunderts, und zwar II, dunkel schraffirt, den Bauten der Herzöge Friedrich Ulrich und August des jüngeren von 1616 bis 1640,

 

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III und IV den Bauten des Herzogs Anton Ulrich, erstere nämlich denen der Jahre 1685-1687, letztere denen der Zeit von 1690 bis 1700; die fünfte (V) und sechste (VI) endlich den Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts, und zwar V dem durch Herzog Carl I ausgeführten Ferdinandsbau vom Jahre 1763, VI den Bauten der Neuzeit aus den Jahren 1826 und 1870.

 

Diese Classification gründet sich auf eine Reihe von Wahrnehmungen, die in ihrem Zusammentreffen für untrüglich gelten dürfen.

 

Dem Material nach und, soweit äußeren Einwirkungen zu begegnen war, auch an Solidität der Arbeit zeigen die Fundamente der noch vorhandenen romanischen Bautheile und deren Geschoßmauern eine Uebereinstimmung, die zu der Folgerung berechtigt, daß beide gleichzeitig entstanden sind. Gleichen dann diesen Fundamenten wiederum andere, welche später verschüttet oder zu Neubauten benutzt worden sind, so wird ebenermaßen ein Rückschluß auf ihre Zusammengehörigkeit nicht abzuweisen sein. Dasselbe gilt von den Renaissancebauten, soweit deren Geschoßmauern nicht auf den ursprünglichen romanischen Grundmauern aufgeführt sind. Sodann aber durchkreuzen sich auch stellenweis die Fundamente aus verschiedenen Bauepochen, und zuweilen laufen sie dergestalt dicht neben einander her, daß, wenn die ältere Mauer nicht ganz beseitigt worden ist, theils ein directes Aufsetzen, theils ein seitliches Anfügen und Einbinden stattgefunden hat. Wo nun ein solcher Zusammenstoß der Mauern sich zeigt, darf die Reihenfolge ihrer Ausführung als sicher ermittelt angesehen werden. Die Art und Weise, wie die verschiedenen Fundamente, deren es an einigen Stellen zwei-, drei-, ja viererlei giebt, zusammengefügt sind, stellt außer Zweifel, daß jede abweichende Technik im Bau der Grundmauern auch wirklich eine andere Bauepoche charakterisirt. Schließlich ist noch zu bemerken, daß die hier bei Sonderung der Fundamente nach den einzelnen Zeitabschnitten beobachtete Methode sich nirgend mit einer von den aus vorhandenen älteren Plänen ersichtlichen Anordnungen in Widerspruch setzt, durch diese vielmehr nur noch ihre weitere Bestätigung empfängt.

 

Es ist bereits angedeutet, daß die Fundamentmauern der romanischen Bauten nicht überall gleiche Sorgfalt und Solidität der Ausführung zeigen. Fast scheint es, als habe man dabei in der Absicht, immer nur das unbedingt Nothwendige zu schaffen und jeden möglichen Vortheil zu benutzen, alle einschlägigen Verhältnisse ängstlich abgewogen und namentlich jedesmal das Bauterrain sorgfältig geprüft. Nächst dem nördlichen Querschiffsgiebel des Domes liegt der höchste Punkt des Burggebietes; von hier fällt das Terrain, anfangs sanft, dann steiler zum Okerbette hinab. Der Hügel besteht aus einer dichten Ablagerung lehmigen Sandes, welcher in den oberen Schichten große Widerstandskraft besitzt, in der Nähe des Flußbettes hingegen und in den vom Grundwasser durchzogenen Schichten schwimmend wird. Dem natürlichen Terraingefälle folgend, schmiegen sich die alten romanischen Grundmauern zugleich der Beschaffenheit des Baugrundes an. Am südlichen Ende der Westseite sind sie in einer Breite von 1,80 Meter nur etwa 0,65 Meter tief in das Erdreich hinabgeführt; unter dem nördlichen Giebel, wo die Terrainoberfläche weit niedriger liegt, erreichen sie schon bei einer Stärke von 2,30 Meter eine Tiefe von 1,40 Meter; an der östlichen Außenseite gehen sie, gleichfalls 2,30 Meter stark, bis unter den Stand des Grundwassers hinab, zu einer Tiefe, die sich des zu bedeutenden Wasserandranges wegen noch nicht hat feststellen lassen. Die verschiedenen Querprofile (Bl. IV) machen diese Anordnung deutlich. Eine ähnliche Erscheinung wiederholt sich in der unter den Arkadenpfeilern im Innern des Gebäudes fortlaufenden Längenscheidemauer (vergl. die Querschnitte gh, ef u. ab), sowie in den Fundamenten der östlichen Vorbauten (vergl. die Querschnitte gh u. op). Abweichend von der durchgehends beobachteten Fundamentirung der östlichen Langmauer, reicht der von der Linie gh (Bl. IV) durchschnittene südliche Theil derselben nicht bis zum Grundwasser hinab. Diese Erscheinung dürfte dadurch zu erklären sein, daß sich auf dieser Strecke noch ein widerstandsfähiger Untergrund darbot, und außerdem die

 

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Fundamentmauer hier durch den weiter hinabreichenden, quadratischen Vorbau gegen Fluthandrang bei etwa eintretender Anschwellung der Oker, oder auch gegen Angriffsoperationen eines Feindes hinreichend geschützt war. Wo aber besondere Sicherheitsmaßregeln nicht erforderlich erschienen, waren die Werkleute damaliger Zeit auch sorglos genug, die Grundmauern ohne jeden inneren Halt, aus kleinen Bruchsteinen in ganz regelloser Schichtung, mit Lehm zusammenzufügen. 71 Solche Beschaffenheit zeigen die Fundamente unter den Arkadenpfeilern, zeigt ferner ein Theil der Grundmauern der westlichen Langseite, und zeigen fast alle an der Südwestseite des Palastgebäudes noch aufgefundenen Mauerüberreste. Letztere namentlich entbehren des Zusammenhanges fast vollständig, und da sie überdies nur wenig unter der Terrainoberfläche liegen, so kann es nicht überraschen, daß jede Spur ihrer weitern Fortsetzung, die man voraussetzen durfte, vollständig verschwunden ist. Auch auf den bestehenden Gebäudetheil ist diese mangelhafte und leichtfertige Ausführung der Fundamente nicht ohne nachtheiligen Einfluß geblieben: die westliche Umfangsmauer ist am Südende in ihrer ganzen Höhe um 0,30 Meter, an der nördlichen Ecke um 0,10 Meter, der nördliche Giebel bis zur Höhe des Hauptgesimses um 0,16 Meter und bis zur Spitze um 0,26 Meter aus dem Lothe gewichen, wozu freilich auch, namentlich am südlichen Theile der Westmauer, die wiederholten Umgestaltungen im Erdgeschosse mitgewirkt haben mögen.

 

Als ein positiver Erfolg unserer Untersuchungen darf die Wiederauffindung der Burgkapelle gelten, deren Grundmauern in solchem Umfange erhalten sind, daß man über ihre einstige Lage und räumliche Ausdehnung nicht mehr zweifelhaft sein kann. Sie tritt, wie der Grundplan (Bl. IV) ausweist, gegen den Saalbau des Palastes ziemlich weit nach Osten vor und ist hier gegen den Fluß durch eine mächtige und tief unter den Grundwasserstand hinabreichende Mauervorlage (vergl. Schnitt op) geschützt, die in den oberen Schichten von den drei Apsiden getrennt, weiter unten jedoch mit denselben verbunden ist. Alle zu dieser Kapelle gehörigen Mauern lassen in der Ausführung eine große Sorgfalt erkennen: im Innern wie im Aeußern sind die Endflächen und Ecken der Pfeilervorlagen aus Quadern gefertigt, das Fundament des nördlichen Thurmes -- der südliche hat in den Jahren 1685-1687 einer Kelleranlage weichen müssen -- füllen seine ganze Grundfläche aus; der Mauerverband ist regelrecht, der Mörtel von guter Beschaffenheit. Von dem der nördlichen Kapellenmauer vorgelegten, übrigens auch an der Stirnseite in Quadern ausgeführten Pfeiler hat sich eine weitere Fortsetzung nicht ermitteln lassen, wonach es denn scheint, als ob derselbe nur die Sicherstellung des Baues hat bezwecken sollen; dagegen finden sich an der entgegengesetzten südlichen Seite zwei aus Bruchsteinen zusammengefügte Mauerkörper oder Maueransätze, die wohl als Ueberreste einer ehemaligen Umfriedigung des Burggebietes oder eines Gebäudes gelten können und mit anderen, weiter südlich aufgefundenen Grundmauern in Verbindung gestanden haben werden. Der größere Theil der Mittelpfeiler in der Kapelle ist bei der Ausführung des Ferdinandsbaues (1763) verschwunden; desgleichen ein entsprechender Ausschnitt in der nördlichen und südlichen Langmauer. Als einziges Ueberbleibsel der inneren Ausstattung der Kapelle liegt das Eckstück eines Altarsockels vor, welches sich in der südlichen Apsis (s. den Plan) noch angefunden hat.

 

Auch der ursprüngliche Umfang des romanischen Saalbaues läßt sich mit ziemlicher Sicherheit aus den vorhandenen Fundamenten bestimmen. Zweifelhaft könnte nur der südliche Abschluß des Gebäudes sein. Berücksichtigt man indessen, daß die südliche Ecke der Ostmauer in beiden Geschossen aus großen, abwechselnd nach beiden Seiten einbindenden Quadern aufgeführt ist, daß ferner von dieser Ecke nach Westen abzweigend und in paralleler Lage zu der Richtungslinie der Kapelle eine breite, allerdings nicht tief eingreifende Grundmauer besteht, die sich fast bis zur westlichen Langseite hin verfolgen läßt und nach ihrer Technik zu urtheilen dem romanischen Baue angehört, und daß endlich die Entfernung des lezten südlichen Pfeilers der Bogenstellung von dieser Mauer der Zwischenweite zweier Pfeiler gleich ist, so darf eben diese Grundmauer wohl ohne Bedenken als das Fundament der einstigen Südwand

 

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des Saalbaues angesehen werden. Zwei an den Kanten mit Quadern eingefaßte, 1,90--2,10 Meter breite Mauerkörper romanischen Ursprungs, welche fast in der Mitte der Westmauer etwa 4,60 Meter hervortreten, lassen vermuthen, daß die Gebäudefront an dieser Stelle durch einen Vorbau besonders ausgezeichnet gewesen sei, und mit diesem der Haupteingang zum Erdgeschosse sowie die Treppenanlage zum oberen Saale in Verbindung gestanden habe. Dicht neben jenen Mauerpfeilern liegen unter der Terrainoberfläche zwei kleine, 0,80 Meter breite, bis zum Scheitel des halbkreisförmigen Quaderbogens 1,45 Meter hohe Thüröffnungen, und hinter denselben gangartige, 1,93 Meter weite Keller, die, nicht ganz normal, in der Richtung auf die Zwischenweiten der Pfeilerstellung etwa 7,50 Meter tief in das Gebäude hinein sich erstrecken und ehedem, im Lichten 1,68 Meter hoch, mit Ducksteinen (Kalksinter vom Elme) überwölbt waren. Räthselhaft bleibt es, zu welchem Zwecke diese Kellerräume einst gedient haben mögen. Die große Menge von Holzkohlen, welche in denselben aufgefunden wurde, gestattete wohl, an eine Heizanlage zu denken; nur zu bald aber mußte diese Annahme als unbegründet verworfen werden, indem einestheils das Kalksteinmaterial der Seitenmauern und Gewölbanfänger und ebenso der Mörtel sich als unbeschädigt herausstellten, anderntheils auch der zu Anfang des 16. Jahrhunderts stattgehabte Brand, bei welchem ein theilweiser Einsturz des Gebäudes erfolgte, mit größerer Wahrscheinlichkeit als Ursache jener Kohlenablagerungen zu erkennen sein dürfte. Es muß also dahingestellt bleiben, ob diese unterirdischen Gewölbe etwa zu Gefängnissen oder auch als Vorrathsräume dienten.

 

Während über die nördliche Giebelseite des Saalbaues hinaus und im Anschlusse, beziehungsweise im Verbande mit demselben nur ein altes Fundament sich hat auffinden lassen, sind die in südlicher Richtung weiter fortgeführten Nachforschungen erfolgreicher gewesen. Hier zeigten sich mehrere kräftige Mauern, welche mitten im Keller des kleinen Moshauses liegen, mit der räumlichen Eintheilung des Gebäudes in gar keinem, oder doch nur einem schwer zu deutenden Zusammenhange stehen und so auf eine frühere Entstehung hinweisen. In der That ergab dann auch die nähere Untersuchung der Zusammensetzung und technischen Ausführung dieses Mauerwerks seine völlige Uebereinstimmung mit dem der romanischen Bauperiode. Nicht unwahrscheinlich ist, daß alle diese Mauern zu einer größeren Gebäudeanlage gehörten, die, wie schon angedeutet, mit der Burgkapelle in Verbindung stand, und deren Hauptbestandtheil ein nach Osten vorgeschobener Thurm bildete. Letzterer würde, unter entsprechender Ergänzung der fehlenden Südmauer, eine annähernd quadratische Grundform von 12 Meter äußerer und 8 Meter innerer Seitenlänge gehabt haben. Außerhalb des kleinen Moshauses setzt sich eine dieser Mauern, wie aus dem Grundplane (Bl. IV) ersichtlich ist, nach Süden fort; sie hat bis zum Eingange der Burg am Langenhofe, und hier in Verbindung mit einer zweiten Parallelmauer, verfolgt werden können. –

 

Was in Bezug auf die übrigen Bauperioden aus der Betrachtung der aufgefundenen Grundmauern zu folgern sein dürfte, läßt sich kurz folgendermaßen zusammenfassen.

 

Für den Renaissancebau der Jahre 1616 bis 1640 wurden im Wesentlichen die Fundamente der romanischen Anlage beibehalten, und nur im Innern des Gebäudes, theils zur Begrenzung der vorhin (S. 29) erwähnten Durchfahrt, theils zur Abscheidung einzelner Gemächer, mehrere Quer- und Längenscheidemauern errichtet. Wie aus dem Grundplane (Bl. IV) zu ersehen ist, treffen die Grenzmauern der Durchfahrt auf den vierten und fünften Pfeiler -- von Norden -- der inneren Arkade und setzen sich auch außerhalb vor der Westfront des Gebäudes, wo sie vielleicht als Einfriedigung einer Rampe dienten, noch etwa 5,50 Meter fort. Behufs Anlage des Hauptportals, dessen Achse mit der Schnittlinie ef (Bl. IV) zusammenfällt, wurde eine Verstärkung der romanischen Grundmauer in der Westseite und eine Vermauerung des daneben befindlichen unterirdischen Kellereingangs ausgeführt. Ungewiß bleibt, welche Ausdehnung das Gebäude nach Süden hin gehabt habe, doch ist zu vermuthen, daß der Haupteingang wenigstens annähernd in der Mitte seiner Langseite angeordnet gewesen.

 

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Die Erweiterungsbauten der folgenden Periode, 1685 bis 1687, bestehen hauptsächlich aus einer Verlängerung des Gebäudes in südlicher Richtung, wovon die noch erhaltenen Seitenmauern eines Kellers Zeugniß geben, dessen Grundform in auffallender Weise und als ob die Situation der Kapelle darauf eingewirkt hätte, nach einem Parallelogramm gebildet ist. Gleichzeitig wurde auch die östliche Langmauer des Saalbaues über die alten Fundamente des Thurmes der Burgkapelle hinaus nach Süden weiter geführt, woraus wohl zu schließen ist, daß letztere erst bei dieser Gelegenheit abgetragen wurde. Hierfür spricht auch der Umstand, daß die romanischen Bautheile, welche wir als Bruchstücke der Burgkapelle bezeichneten (S. 19), gerade in dieser Periode vielfach zur Aufführung neuer Mauern, sowie zur Ausfüllung von Fensteröffnungen u. s. w. verwendet worden sind. Die Umbauten im Keller des kleinen Moshauses gehören, wie im Grundplane angedeutet ist, derselben Zeit an.

 

In den Jahren zwischen 1690 und 1700 entstanden die Vorbauten an der Westfront, mehrere Umbauten im Innern und die Anbauten der Ostseite; ferner, im Anschluß an den nördlichen Giebel, eine überbaute Thorfahrt, deren Fundamente noch kenntlich sind, und gerade über denselben im Obergeschosse eine Thüröffnung (vergl. Bl. II), durch welche man auf die Thormauer, vielleicht auch in das jenseitige Haus gelangen konnte. –

 

Auch bei Errichtung des Ferdinandsbaues im Jahre 1763 sind die Fundamente früherer Bauepochen der Hauptsache nach beibehalten. Nur für den Vorbau an der Südfront und den an der Ostseite bis zum kleinen Moshause sich hinziehenden Verbindungsgang, sowie für einige innere Scheidewände wurden neue Grundmauern hergerichtet. Von dem was die Neuzeit geschaffen, haben sich nur die Fundamente des im Jahre 1826 vor der Westfront des Gebäudes hergerichteten und im Jahre 1870 wieder beseitigten Arkadenbaues in einigen Bruchstücken nachweisen lassen.

 

Merkwürdig mag es erscheinen, daß in der Westfront zwischen dem noch bestehenden Gebäude und dem südlichen, dicht am Dome belegenen Keller, in einer Länge von etwa 14 Meter gar keine Fundamente aufgefunden sind, obgleich dort nachweislich seit 1640 Umfassungsmauern standen. Zur Aufklärung dieser Erscheinung sei hier bemerkt, daß 1873, bei dem Umsturze der Mauerüberreste des Ferdinandsbaues, die nur etwa 0,25 Meter unter die Terrainoberfläche hinabreichenden Fundamente mit hinausgeworfen wurden, was deswegen zu beklagen ist, weil ihre Beschaffenheit ergeben hätte, wann sie angelegt waren. --

 

In den vorstehenden Betrachtungen dürfte Alles erschöpfend dargelegt sein, was aus den noch vorhandenen Gebäudetrümmern des einstigen Palastes Heinrichs des Löwen sich hat aufdecken und ermitteln lassen. So ergiebig aber das mit Sorgfalt gesammelte Material zu sein scheint, und so sehr dasselbe dazu beitragen mag, manche bislang noch unerledigt gebliebene Frage zu lösen und die Anschauung von dem Bestande der Burg in den verschiedenen Bauepochen zu klären -- immer ist es doch ein viel zu geringes Stückwerk, als daß es über alle sich aufdrängenden Zweifel hinaus helfen könnte. Nichtsdestoweniger soll im Nachfolgenden versucht werden, auf diesen schwachen Grundlagen die Gestaltung der Burg in den verschiedenen Epochen ihrer Entwickelung, wie selbige bei eindringendem Studium des Bauwerks in der Phantasie des Beobachters wiedererstanden ist, einigermaßen zu veranschaulichen. –

 

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III. Die Bauepochen der Burg.

 

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1. Die Burg Dankwarderode in ihrer ursprünglichen Anlage.

 

Ueber die Gestalt und Beschaffenheit der Burg Dankwarderode während des Zeitraums von ihrer ersten Anlage bis auf den Neubau Heinrichs des Löwen sind nur Muthmaßungen möglich. Denn der heutige Befund weist keine Spur mehr aus, die soweit zurückreichte, und die schriftmäßige Ueberlieferung von jenen Anfängen ist dermaßen unbestimmt, daß selbst die Frage dahingestellt bleiben muß, ob Dankwarderode ursprünglich nur eine Villa, ein offener Wohnsitz, oder von Anbeginn schon eine Veste gewesen ist.



Einfügung: Statue Kaiser Lothars am Altstadtrathaus in Braunschweig

Nennt eine Urkunde Kaiser Lothars vom Jahre 1134 Tanquarderoth ein Castrum 72 -- der viel ältere Name an sich, welcher besagt, daß hier ein Dankwart den Waldboden gerodet, erweckt zunächst doch nur die Vorstellung einer agrarischen Anlage. Immerhin jedoch mag deren Befestigung dann früh schon, vielleicht in den Zeiten (924-933) erfolgt sein, als unter König Heinrich I zur Sicherung des Reiches gegen die räuberischen Einfälle der Ungarn zahlreiche Vesten namentlich in den östlichen Grenzgebieten Sachsens entstanden. An einem strategisch wie merkantilisch wichtigen Punkte des Okerthales belegen, 73 mußte Dankwarderode fast mit Nothwendigkeit die Augen Derjenigen auf sich ziehen, die dem Bedürfniß nach geschützten Wohnsitzen und sicheren Zufluchtsorten Genüge zu schaffen bedacht waren.

 

Einerlei aber, wann die erste Befestigung des Ortes ins Werk gerichtet wurde -- Mittel allereinfachster Art waren es jedenfalls, mit denen dabei die natürliche Stärke seiner Lage erhöht ward. Noch kein Gedanke an steinerne Ringmauern und Thürme mit hochragenden Zinnen: Wassergräben, Erdwälle, Zaun-, Planken- und Pfahlwerk werden damals hier wie überall, wohin die römische Befestigungskunst nicht gedrungen war, die einzige Umfriedigung der Burg abgegeben, den wirksamsten Schutz ihr die wasserreiche Oker mit ihren ausgedehnten Sumpfniederungen gewährt haben, welche von Süd und Ost den Zugang sperrten oder erschwerten. Auch hinsichtlich der Beschaffenheit und des Umfangs der inneren Baulichkeiten des Burggebiets ist von vornherein jede Vorstellung von Pracht und Großheit abzuweisen. Wo die Natur ein geeignetes Material bot, wurden allerdings auch in Sachsen hin und wider schon zu jener Zeit kirchliche und Profanbauten in Stein aufgeführt; vorwiegend aber behauptete sich doch überall in diesen Gegenden noch langehin der altväterliche Holzbau. Ein ländlicher Herrensitz inmitten seiner Wirthschaftsgebäude und Hörigenkotten, jener wie diese unter Strohdächern, aus Holzwerk und

 

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lehmbekleibten Gertengeflecht errichtet, das Ganze umschlossen von einem primitiven Bolwerk der vorhin beschriebenen Art 74 -- damit etwa dürften die Hauptzüge des Bildes angedeutet sein, welches die Burg Dankwarderode in ihren ersten Anfängen dargestellt hat.

 

Nur so erklärt sich, daß die sächsischen Burgen jener Zeit bis auf wenige hie und da etwa erhaltene Wall- und Grabenreste spurlos vom Erdboden verschwunden sind. Nur so tritt auch jene Erzählung des Reimchronisten erst in ihr rechtes Licht, laut der die kaiserliche Besazung, welche die Burg um 1090 oder wenig später der Markgräfin Gertrud entrissen hatte, durch Feuer daraus vertrieben werden konnte. 75

 

In welcher Gestalt Dankwarderode aus dieser Katastrophe dann wiedererstand, verlautet nirgend. Schwerlich aber würde ein Neubau von besonderer Stattlichkeit völlig in Vergessenheit gerathen oder von den Chronisten -- absichtlich oder unabsichtlich -- mit Stillschweigen übergangen sein. Und wäre diese Erwägung vielleicht trüglich, so müßte schon die Betrachtung des allgemeinen Culturzustandes der Sachsen um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts, und mehr noch der besonderen Zeitläufte mit ihren unablässig drohenden und zu schleuniger Herstellung der zerstörten Landesveste drängenden Kriegsnöthen zu der Annahme führen, daß auch Markgräfin Gertrud noch sich lediglich darauf beschränkt habe, in alter Weise wieder aufzubauen, was durch Feuersbrunst in Asche gelegt war.

 

Seit einigen fünfzig oder sechzig Jahren hatte damals die Burg schon ihr eigenes Gotteshaus: die Stiftskirche, welche zwischen 1022 und 1037 von Graf Ludolf und seiner Gemahlin, der ältern Gertrud, einer Tochter des Grafen von Holland, gegründet und durch Bischof Godehard von Hildesheim der Jungfrau Maria, dem heiligen Kreuz, Johannes dem Täufer, den Aposteln Petrus und Paulus, St. Blasius und anderen Heiligen geweiht war. 76 Daß sie gleichfalls bei jenem Brande zerstört und von der jüngern Gertrud hernach wieder aufgebaut wäre, ist -- abgesehen wiederum von dem Schweigen des Chronisten -- wenig wahrscheinlich, da diese Kirche, in der die Stifter sich und den Ihrigen die letzte Ruhestatt bereiteten, ohne Zweifel ebenso wie die ungefähr gleichzeitig entstandenen St. Ulrici in der Altstadt und St. Magni in der nachmaligen Altenwik von Anbeginn in Stein aufgeführt war. Als Stiftskirche begründet, wird sie auch mit Räumen ausgestattet gewesen sein, in denen die zur Ausübung des Gottesdienstes angestellten zwanzig Chorherren nach der Regel Chrodegangs lebten und lehrten. Den Kern dieser Gebäude mag hier wie überall ein den Friedhof des Stiftes umschließender Kreuzgang gebildet haben. Auf der Stätte dieses alten Burgstifts, welches nachmals ausschließlich nach dem heiligen Blasius als seinem Hauptpatron benannt wurde, errichtete dem Zeugniß der Reimchronik zufolge 77 1173 Heinrich der Löwe das neue Blasienstift mit seinem bis auf unsere Tage gekommenen Dome.

 

 

2. Die Burg Dankwarderode als Hofburg Heinrichs des Löwen.

 

Die fortschreitende Culturentwickelung, große Wandlungen auf den Gebieten des politischen und socialen Lebens der Nation, vor allem das um sich greifende Streben der Fürsten und Dynasten nach geschlossener Territorialhoheit und die hieraus sich entspinnenden Kämpfe zwischen den kleineren und kleinsten Machthabern -- das waren die Verhältnisse, welche in Deutschland während des 12. Jahrhunderts eine bis dahin unerhörte Vermehrung und Ausbildung befestigter Wohnsitze hervorriefen. Ueberall wurden ältere Burgen den veränderten Verhältnissen entsprechend vergrößert und ausgebaut,

 

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überall erhoben sich neue Burgen, je nach der Bedeutung und den Mitteln der Herren von größerem oder geringerem Umfange, stärkerer oder schwächerer Festigkeit, reicherer oder einfacherer Gestaltung und Ausstattung. 78 In diesen Zusammenhang der Dinge fällt auch der neue Burgbau Heinrichs des Löwen auf Dankwarderode.

 

Dem Umfange und der innern Ausstattung nach unterschieden sich die zahlreicheren Ritterburgen von den Hofburgen der Könige und Fürsten; der Lage nach die Wasserburgen der Ebene von den Höhenburgen des Gebirgslandes. Den deutschen Kaisern und Königen, die bei der bestehenden Organisation des Reichsregiments keine ständige Residenz hatten, sondern bald da bald dort im Reiche auf längere oder kürzere Zeit ihren Sitz nahmen, dienten, zum Theil schon von Alters her, ihre Pfalzen auf den über das ganze Land verstreuten Königshöfen. Die Fürsten hatten fast regelmäßig jeder nur eine Pfalz, die naturgemäß meistens im Mittelpunkte ihrer Herrschaft belegen war.

 

Die Pfalz Heinrichs des Löwen gehörte vermöge ihrer Lage in der Okerniederung zu den sogenannten Wasserburgen. Für die gegen Ende des 12. Jahrhunderts ringsum sich ausdehnende Stadt Brunswich hatte sie die Bedeutung einer Akropolis oder eines Capitols.

 

Die nachfolgende Localbeschreibung wird durch das Titelbild, die Situationszeichnung Bl. V und den Grundplan S. 41 erläutert.

 

Im Osten von der Oker flankirt, im Süden, Westen und Norden von einem künstlich angelegten Graben umflossen, zeigte sie eine den örtlichen Verhältnissen angepaßte unregelmäßige Grundform. Die größte Ausdehnung des von der Ringmauer umschlossenen Raumes betrug von Südost nach Nordwest 200, von Südwest nach Nordost etwa 140 Meter.

 

In der nächsten Umgebung der Burg lag noch freies, unangebautes Terrain: an der Süd-, Ost- und Nordseite ein vom Okerflusse durchzogenes und mit Buschwerk bedecktes Sumpfgebiet, welches von Ortsunkundigen nicht ohne Gefahr betreten werden konnte und daher die Sicherheit der Burg nach dieser Seite hin wesentlich erhöhte; an der Westseite das »Vorblek« der Burg, Feld- und Gartenländerei, Areal der magna curia, 79 auf welchem in der Folge das Sackweichbild Raum fand. 80 Weiter hinaus lagen auf dieser Seite die Weichbilde der Alt- und der Neustadt, von denen letzteres östlich bis zur Oker reichte und somit die Burg, bis dicht an deren Graben herantretend, im Norden umschloß. Jenseit des Flusses, im Osten von Neustadt und Burg, der durch Heinrich den Löwen gegründete Hagen; östlich und südöstlich von diesem das aus der alten Villa Brunswik, dem »Herrendorfe«, erwachsende nachmalige Weichbild der Altenwik. Altstadt, Hagen und Neustadt hatten bereits ihre gemeinsame "Stadtveste", Mauer und Graben; die Altewik, damals noch ein Dorf, wurde erst zu Unfang des 13. Jahrhunderts durch Otto IV in die Ringmauer gezogen.

 

Altstadt und Altewik, zwischen denen sich ursprünglich die sumpfige Flußniederung ausbreitete, standen mit einander durch zwei aufgeschüttete Dammwege in Verbindung. Der eine -- jetzt Hutfiltern, Damm und Langedammstraße -- ging vom "Lauenthor" an der nordöstlichen Ecke des Kohlenmarktes aus und überschritt die weiter östlich mit zwei Armen in das Stadtgebiet eintretende Oker mittels der "Kurzen Brücke" und der "Dammbrücke"; der andere -- jetzt Kattreppeln, Hinter Unser lieben Frauen, Rosenhagen -- zweigte sich von ersterem jenseits der Kurzen Brücke in südöstlicher Richtung ab, um den östlichern Hauptarm der Oker mittels der "Langen Brücke" zu überschreiten.

 

Aus der Altenwik durch das "Rederingthor" in den Hagen eingehend, gelangte man auf den ebenfalls künstlich fahr- und gangbar gemachten, hin und wider aber wohl schon damals besiedelten "Bohlweg", der, dem Okerlaufe parallel, die südliche Hälfte des Weichbildes von Süden nach Norden durchschnitt und auf den "Hagenmarkt" auslief. Die Verbindung zwischen der Neustadt und dem Hagen stellten nachmals drei Brücken her, deren älteste wahrscheinlich die "Hagenbrücke" ist, welche von der

 

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neustädter "Höhe" ebenfalls auf den Hagenmarkt führt. Altstadt und Neustadt waren gegen einander und späterhin auch gegen den "Sack" durch keinerlei natürliche Scheiden abgegrenzt, und demnach jedes dieser Weichbilde von den übrigen durch fortlaufende Straßen ohne andere merkliche Grenzmale als Schlagbäume und Sperrketten zugänglich. Der natürliche Weg aus der Altstadt in den Hagen lief vom Kohlenmarkte die Schuhstraße entlang, unter der Burg hin -- wo er nach Anbau des Sackes die "Sackstraße" bildete -- über die Höhe zur Hagenbrücke.

 

Von diesem bis kurz vor der Hagenbrücke vorwiegend nach Norden streichenden Wege zweigte sich diesseits der "Höhe" in östlicher Richtung die "Burgstraße" -- jetzt "Vor der Burg" -- ab, welche (s. Bl. V) mit mäßigem Anstieg zu dem westlichen Burgthore a führte. 81 Dem Eintretenden gegenüber, auf der Ostseite des Burghofes und hart am Ufer der Oker, lag das Hauptgebäude der Burg, der "Palas", bestehend aus dem Saalbau c (der als vornehmster Theil des Ganzen auch allein wohl "Palas" genannt ward), der Burgkapelle d und den "Kemenaten" oder eigentlichen Wohnräumen des Burgherrn und seiner Familie ee. Die Südseite des Burgplatzes bildete der Dom g mit dem Kapitelhause h, dem Kreuzgange i und den Nebengebäuden des Sti Gefunden beim Abbruch des sog. Ferdinandsbaues. ftes kk; nördlich lagen nächst dem Palas der "Küchenhof" 82 q, westlich von diesem mehrere zum Theil an die Ringmauer gelehnte Gebäude, Dienstmannenwohnungen oo und Stallungen pp, denen sich südlich dicht neben dem Burgthore die "Vogtei", Gerichtshaus 83 und Wohnung des Burgvoigts, mm anschloß. Südlich vom Burgthore, gleichfalls der Ringmauer angebaut, Magazine und Speicher ll. Vor dem Gerichtshause m stand der "Ruland" n; 84 sein Gegenstück war der eherne vergoldete Löwe r 85 vor dem Palas. Die Kemenaten, der Dom und ein Theil der Kreuzgänge umschlossen den fürstlichen Garten, welcher sich südlich bis an die Ringmauer erstreckte. Unter einem Thurme führte hier eine Pforte f auf einen Grasplatz hinaus, von welchem nach Osten ein schmaler Fußsteg 86 über die Oker nach dem Hagen und südlich nach einer künstlich angelegten Insel, dem "Jägerhofe", 87 ging, der durch Erdwall und Palissaden geschützt war und der fürstlichen Familie zu Spiel und Vogelfang diente. Thürme bb an den vorspringenden Ecken der Ringmauer vervollständigten die Befestigung der Burg.

 

Der Palas.

 

Der Palas war das Herrschaftshaus und als solches nothwendigste Zubehör jeder Burg.

 

Wie aber die Burganlagen überhaupt in ihrer räumlichen Ausdehnung je nach der Macht und den Mitteln des Burgherrn große Verschiedenheit zeigten, so wichen auch die Paläste in den verschiedenen Burgen nach Größe und Anordnung wesentlich von einander ab. 88 Für eine bedeutendere Hofhaltung konnte ein einzelnes Haus nicht genügen; wo es deren aber mehrere gab, da wurde allen der Name »Palas« beigelegt, einerlei ob sie größere Säle und hallenartige Gemächer oder nur kleinere Räume, Wohn- und Schlafzimmer, enthielten. So verschiedenartig aber die Palastanlagen unter sich sein mochten, den wesentlichsten Theil bildete allemal der Saalbau.

 

Auch in der Burg Heinrichs des Löwen nahm derselbe einen hervorragenden Platz unter den Palastgebäuden ein (vergl. Bll, VI, VII u. VIII). In zwei Geschossen errichtet und in sich abgeschlossen, hatte er im Aeußern eine Breite von 15 und eine mittlere Länge von 42 Meter. Die östliche Langfronte lag dicht am Okerflusse, und da dieser sammt den dahinter liegenden Sumpfniederungen den Angriff erschwerten, so konnte sie hier zugleich die Ringmauer ersetzen, während ihre Westseite dem Burghofe zugekehrt war. Hier lag auch, in Verbindung mit einem der Westfront angefügten Vorbaue von 11 Meter Länge und 4,80 Meter Breite, die große Freitreppe, welche als Hauptzugang zu dem Festsaal im Obergeschosse diente.

 

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Braunschweig mit nächster Umgebung zu Ende des 12. Jahrhunderts.

 

Abb.

 

Maaßstab 1: 15,000.

 

1 Neustadtthor. 2 Petrithor. 3 Hohethor. 4 Michaelisthor. 5 Bruchthor. 6 Lauenthor. 7 Dammthor. 8 Langer Thurm. 9 Rederingthor. 10 Fallersleberthor. 11 Wendenthor. 12 St. Blasien. 13 St. Cyriaci. 14 St. Aegidien. 15 St. Jacobi. 16 St. Martini. 17 St. Ulrici. 18 St. Michaelis. 19 St. Petri. 20 St. Katharinen. 21 St. Andreae. 22 St. Magni. 23 Rathhaus der Altstadt. 24 Rathhaus des Hagens. 25 Rathhaus der Neustadt.

 

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Vom Burghofe aus (s. Bl. VI) gelangte man durch zwei in diesem Vorbau befindliche große Eingänge in den untern Saal A, welcher das ganze Erdgeschoß des Gebäudes einnahm und der Dienerschaft zum Aufenthalt und als Speisesaal diente. Kleine Fensteröffnungen in beiden Langseiten ließen das Tageslicht herein, während zur Nachtzeit Fackeln, Lampen oder Laternen an den Schlußsteinen der innern Arkade befestigt wurden. 89 Eine Balkendecke, seitlich auf die Mauerabsätze gelegt und in der Mitte durch die Bogenstellung unterstützt, bildete den obern Abschluß des Raumes. Unter demselben lagen zwei gangartige, gewölbte Keller, zu welchen man von Außen auf seitlich neben dem Vorbau angebrachten Treppen hinabstieg.

 

Zwei rechtwinklig zu einander liegende Arme der großen Freitreppe vereinigten sich auf einem Podeste B, von welchem man weiter aufwärts steigend in eine Vorhalle und aus dieser in den ausschließlich für die Herrschaft bestimmten obern Saal gelangte, welcher als ungetheilter Raum im Lichten 13,25 Meter breit und etwa 40 Meter lang war. Hier vereinigte der Fürst seine Vasallen und Dienstleute, hielt er Hof, schloß er Verträge ab, stellte er Urkunden aus, empfing er vornehme Gäste und fremde Gesandtschaften; hier feierte man Vermählungen und andere Feste mit Spiel, Tanz und sonstigen Lustbarkeiten. Dieser Raum war also der Mittelpunkt alles gemeinschaftlichen Lebens in der Burg, und zwar nicht nur bei Gelegenheit festlicher Versammlungen, sondern auch bei den täglichen Mahlzeiten der Herrschaft und ihres vornehmern Gefolges. Neben der Benennung curia, palatium, "palas" führte er demnach auch noch die andere coenaculum, "moshus".

 

Der Fußboden dieses mächtigen Raumes war mit mehrfarbigen, in Mustern zusammengefügten Thonfliesen belegt, die Balkendecke mit Holz vertäfelt und reich bemalt. Un den Wänden, auf Gestellen mit Ringen befestigt, hingen kostbar gewirkte oder gestickte Teppiche, ebensolche vor den Fenstern und Thüren. Ueber hervorragende Plätze im Saal waren Fußteppiche ausgebreitet, und bei allen Festlichkeiten bestreute man den Boden mit Gras, Binsen, Laub und Blumen. Längs den Wänden standen breite, mit schön gestickten Federkissen oder Matrazen belegte Bänke; an erhöhter Stelle der fürstliche Thronsessel, welcher mit Gold, Silber und Edelsteinen, prachtvollen Kissen und Behängen besonders reich geschmückt war. Tische wurden je nach Erforderniß aufgestellt, nachher aber sogleich wieder beseitigt. Zur Erwärmung des Raumes dienten zwei in den Giebelseiten angebrachte offene Kamine, deren Schornsteine über dem Dachfirst mündeten. Die größeren und kleineren Fenster in beiden Langseiten waren ohne Glasverschluß und wurden zur Winterszeit und bei Unwetter durch Vorhänge und eingesetzte Holzblenden geschlossen; die künstliche Erleuchtung des Raumes versahen große, von den Decken herabhängende Kronleuchter nebst Arm- und Standleuchtern an den Wänden und auf den Tischen. 90

 

Zum Palas gehörte ferner die "Kemenate" (caminata). Ursprünglich hießen so ausschließlich die Räume, welche mit einer nur zur Erwärmung dienenden Feuerstätte, einem Kamin, versehen waren; schon früh aber wurde der Name auf den Theil eines Palastbaues insgesammt übertragen, in welchem sich die herrschaftlichen Wohn- und Schlafgemächer befanden. In diesem weitern Umfange galt er auch hier.

 

Nächst dem großen Festsaale, in gleicher Höhe wie dieser und mit ihm durch einen verdeckten Gang C verbunden, lagen die Gemächer des Herrn. Das bedeutendste darunter D, 8,5 Meter lang, 6,5 Meter breit, zwischen der Burgkapelle und dem Dome, bildete den Centralpunkt der ganzen Palastanlage. Nicht nur, daß man von hier aus, wo der Herzog selbst wohnte und endlich zum ewigen Frieden einging, 91 einen freien Blik nach Westen über den ganzen Burghof und das Burgthor, nach Süden auf den Garten E und die diesem angrenzende Frauenkemenate, nach Norden auf die Freitreppe des Saalbaues und den Eingang zur Burgkapelle hatte -- zwischen dieser Kemenate und allen übrigen Räumen des Palas, einschließlich der beiden Gotteshäuser, bestand auch die bequemste und kürzeste Verbindung. Diesem Gemach, das man sich mit Teppichen und Vorhängen, Sesseln, Ruhebetten und

 

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Tischen prachtvoller als alle anderen Räume ausgestattet und mit einem von Consolen getragenen Kamine und farbig verzierten Glasfenstern versehen zu denken haben wird, schlossen sich nach Osten, längs der Südseite der Kapelle, mehrere kleine Kammern FF an, die den bevorzugten Gästen eingeräumt wurden.

 

Von den Herrengemächern getrennt und nur durch einen bedeckten Gang G mit ihnen verbunden, lag weiter südlich ein aus mehreren Theilen zusammengesetztes Bauwerk, welches hauptsächlich den Frauen und Jungfrauen zum Aufenthalt diente, mit Ausnahme des nach Osten vorgeschobenen, thurmähnlichen Gebäudes H in zwei Geschossen aufgeführt war, und in seiner Gesammtheit als Frauenhaus vornehmlich "Kemenate" genannt wurde. Der Thurm oder Bergfried H, wenn man ihm in der hier gewählten Unordnung diese Bezeichnung noch beilegen will, war höher und enthielt in zwei Geschossen Wohnräume: zunächst "der frouwen heimliche kemenate", in welcher die Herrschaft und ihre nächsten Angehörigen traulich mit einander verkehrten, sodann einen Raum, der als Archiv und Schatzkammer benutzt wurde, während im Dachgeschosse der Thurmwächter sein Gemach hatte, die übrigen Räume für Vertheidigungszwecke eingerichtet waren. In mehreren neben dem Wohnzimmer der Herrschaft belegenen Räumen JJ der zweistöckigen Kemenate hatte die weibliche Dienerschaft ihre Schlaf- und Arbeitsstätten. Kammern zur Aufbewahrung von Waffen und anderm Geräth, fertigen Kleidern und Vorräthen an Leinen, Wollstoffen und Pelzwerk befanden sich zum Theil unmittelbar neben den Arbeitsräumen, hauptsächlich aber im Erdgeschosse der Kemenaten. Beide Geschosse waren durch eine schmale, von Mauern begrenzte Steintreppe K mit einander verbunden, welche auch die Herrschaft benutzte, um in den Garten oder weiter hinaus nach dem Jägerhofe zu gelangen. Den Haupteingang zu den Kemenaten aber vermittelte eine große, mit zwei Podesten versehene Freitreppe L, welche zwischen dem südlichen Giebel des Saalbaues und dem Herrengemach lag und vom Burghofe aus zugänglich war. In der Nähe beider Freitreppen befand sich auch ein aus Quadern aufgeführtes Podium M (franz. montoir) mit seitlichen Stufen, hoch genug, um Männern und Frauen das Besteigen der Pferde zu erleichtern.

 

Unter dem obern Podeste der zu den Kemenaten führenden Freitreppe hindurch gelangte man zunächst in einen Vorraum C, und von diesem nach Norden in den untern Saal, nach Süden in das Erdgeschoß der Kemenaten, nach Osten in die untere Burgkapelle. Ganz ähnlich wiederholte sich die Verbindung unter diesen drei Gebäudetheilen im Obergeschosse.

 

Im Zusammenhange mit dem Saalbau und von den Kemenaten zum Theil umschlossen, nach Osten aber bis zum Okerbette frei hervortretend, erhob sich die Burgkapelle N als ein zweigeschossiger Bau von rechteckiger Grundform, mit zwei Thürmen an der Westseite.

 

Ihr Innenraum, 15,50 Meter lang, 10,50 Meter breit, war in beiden Geschossen überwölbt und durch zwei Pfeilerpaare in ein breiteres Mittelschiff und zwei schmalere Seitenschiffe getheilt. Drei halbkreisförmige, dicht zusammengedrängte Chornischen, die durch ausspringende Ecken von einander getrennt, äußerlich nur als Segmentbögen vortraten, bildeten den östlichen Abschluß; zwischen den beiden quadratischen Westthürmen befand sich in jedem Geschosse eine der Breite des Mittelschiffs entsprechende Vorhalle, und in diesen der Haupteingang. Eine in der südlichen Außenmauer hergerichtete Nebenthür stellte die directe Verbindung zwischen der Kapelle und der Frauenkemenate her.

 

Die untere dieser beiden Kapellen, der heiligen Gertrud geweiht, diente dem Gesinde; die obere, in gleicher Höhe mit dem Festsaal und den Kemenaten belegene St. Georgskapelle, reicher ausgestattet als jene, war der Herrschaft und ihrer nähern Umgebung vorbehalten. Wie bei allen Doppelkapellen jener Zeit bestand auch hier die eigenthümliche Anordnung, daß beide Geschosse durch eine große Oeffnung im mittlern Gewölbjoche des untern, beziehungsweise im Fußboden des obern, mit einander in Verbindung standen, und somit beiden Theilen der Gemeinde die gleichzeitige Theilnahme an dem in einer der beiden Kapellen abgehaltenen Gottesdienste ermöglicht war. 92

 

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Der Dom und die Stiftsgebäude.

 

Den südlichen Theil des Burggebietes nahm das Blasienstift ein.

 

Der an Stelle der alten Stiftskirche errichtete und dem heiligen Blasius, Johannes dem Täufer und Thomas von Kanterbury geweihte Dom O ist eine dreischiffige, gewölbte Pfeilerbasilika von kreuzförmiger Grundform. Das 36 Meter lange und 9 Meter breite Mittelschiff setzt sich aus vier quadratischen Kreuzgewölben zusammen, deren jedem zwei gleichfalls quadratische Kreuzgewölbe der niedrigern Seitenschiffe entsprachen und zum Theil noch jetzt entsprechen. Drei Quadrate bilden das Querschiff, über welches hinaus sich das Mittelschiff um ein ferneres Quadrat östlich fortsetzt; seinen Abschluß findet dasselbe in einer halbkreisförmigen Chornische. Eine kleinere Chornische ist auch der Ostseite des nördlichen Kreuzflügels angebaut, während an dem südlichen, des dort angebauten Kreuzganges wegen, dergleichen wenigstens über der Erde gefehlt zu haben scheint. 93 Aus einem der Westseite der Kirche angefügten, rechteckigen und ungegliederten Unterbau erheben sich zwei achteckige, unvollendet gebliebene Thürme, welche bis zur Höhe der Giebelspitze des Kirchendaches durch einen schlichten Zwischenbau mit einander in Verbindung stehen. Unter dem um 3,0 Meter erhöhten Fußboden der Kreuzesvierung und des Chorraumes liegt eine dreischiffige Krypta, deren Kreuzgewölbe theils durch Pfeiler, theils durch Säulen unterstützt werden. Der nördliche Arm des Kreuzflügels ist durch eine Gewölbdecke in zwei Geschosse getheilt, deren oberes, ursprünglich zu einer gesonderten Kapelle für den Burgherrn eingerichtet, durch eine im nördlichen Querschiffsgiebel angebrachte kleine Thür und einen bedeckten Gang P mit dem Obergeschosse der Kemenaten in directer Verbindung stand.

 

Die gegebenen Raumverhältnisse brachten es mit sich, daß der Kreuzgang sich hier nicht, wie sonst fast allgemein üblich war, der Südseite des Langschiffes anschloß, sondern zwischen dessen östliche Verlängerung und den Südarm des Querschiffes eingeschoben war. Westlich von ihm, in südlicher Fortsetzung des Querschiffs, lag das zweistöckige Kapitelhaus Q mit dem Versammlungssaale, dem Speisesaale, den Wohn- und Schlafzimmern der Stiftsherren, der Schule und den sonst nöthigen Räumlichkeiten. An der Südseite des Domes, zwischen diesem und der Ringmauer, befand sich der Stiftsgarten S, während der von den Kreuzgängen umschlossene Raum R als Friedhof benutzt wurde. 94

 

Die Befestigungsbauten der Burg.

 

Die Oker und ein künstlich angelegter Wassergraben bildeten die erste Vertheidigungslinie der Burg. An ihrem innern Ufer war ein Erdwall aufgeworfen, der bei drohendem Anfall mit Palissaden verstärkt wurde. Dahinter erhob sich die 1,50 Meter starke und etwa 7,00 Meter hohe Ringmauer, 95 welche in regelmäßiger Linie das ganze Burggebiet bis auf den mit dem Palas bebauten östlichen Theil längs der Oker umschloß. Ihre Oberfläche bildete einen Vertheidigungsgang, der nach Außen durch eine schwächere Brüstungsmauer mit Zinnen geschützt war. Sollte die Burg in Vertheidigungsstand gesetzt werden, so wurde dem Mauergange noch ein aus Holzwerk construirtes, innen und außen vorspringendes Gerüst aufgesetzt, gegen den Burghof hin offen und somit für die Vertheidiger bequem zugänglich, nach Außen mit starken Brettern verschaalt und überdacht, zum Schutz gegen Brandpfeile auch mit rohen Häuten bekleidet. In der äußern Bretterverschaalung waren Schießscharten eingeschnitten; der Fußboden des äußern Ueberhangs konnte aufgenommen werden, um den bis an den Fuß der Mauer vorgedrungenen Feind mit Steinen, heißem Wasser, siedendem Pech und dergleichen zu bewerfen.

 

An den ausspringenden Winkeln der Mauer, je etwa 40 Meter von einander entfernt, waren Thürme angebracht, von denen sowohl das Terrain vor der Mauer als auch der Mauergang bestrichen

 

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werden konnte. Die Mehrzahl dieser Thürme, mindestens doppelt so hoch wie die Burgmauer, waren nach dem Burghofe hin ebenfalls offen und durch Treppen oder Leitern zugänglich, über welche man auch auf den Mauergang gelangte. Auf allen Seiten geschlossen mußten hingegen die an den rechtwinkligen Ecken der Mauer belegenen Thürme sein, desgleichen der zur Deckung des westlichen Haupteingangs dienende, besonders hohe und starke Thorthurm. Abweichend von der üblichen Anordnung, nach welcher die Thorhallen je durch zwei seitliche Thürme flankirt wurden, befand sich das mit Zugbrücke und zwei Fallgittern verwahrte Eingangsthor im Thurme selbst. Einen gleichen Verschluß hatte auch die östliche Burgpforte, welche durch einen ähnlichen, aber minder mächtigen Thurm hinausführte. 96 Zur Vertheidigung der Eingänge waren gerade über denselben an der Außenseite der Thürme Pechnasen ausgekragt; auch wurde der Zinnenkranz der Thorthürme sowohl wie der Mauerthürme und ebenso der der Ringmauer nöthigenfalls durch ein vorspringendes und mit dem Thurmdache verbundenes Holzgerüst geschützt. In dem westlichen Thorthurme hatte der Thurmwächter seine Wohnung.

 

Als Vertheidigungswerk des Palastes darf außer dem zwischen der Kapelle und der östlichen Pforte belegenen, thurmähnlichen Gebäude H, welches wir schon vorhin bei Betrachtung der Kemenate kennen gelernt haben, auch ein an den Festsaal nach Außen sich anschließender Vorbau T gelten, der eine seitliche Bestreichung der östlichen Langmauer des Palastes und der Nordseite der Kapelle ermöglichte. Dieser gleichfalls durch Zinnen gedeckte Vorbau blieb in Friedenszeiten unbedacht und konnte dann als Altane benutzt werden. Auch auf dem Mauergange, den Treppen und Treppenpodesten ergingen sich die Burgbewohner und schauten sie den Kampfspielen zu, die auf dem Burghofe abgehalten wurden.

 

Ein eigentlicher Bergfried, d. h. ein isolirt stehender Hauptthurm, wie er in den meisten der freiliegenden Burgen als Warte, oder nach Ersteigung der übrigen Burgveste als letzter Zufluchtsort diente, war hier nicht vorhanden, aber auch um so weniger von nöthen, als diese Burg inmitten der ebenfalls befestigten Stadt lag und von Anfang an vorwiegend die Bedeutung und Bestimmung nicht eines uneinnehmbaren Platzes, sondern eines gesicherten Herrschersitzes, einer Herzoglichen Pfalz haben sollte.

 

3. Die Burg im Jahre 1640.

 

Im 17. Jahrhundert war die glänzende Schöpfung Heinrichs des Löwen bereits tief in die Phase ihres Niedergangs eingetreten. Aus dem in sich geschlossenen Herrschersitze war ein vielgetheiltes Gebiet geworden: mehrere Adelsgeschlechter, das Blasienstift, die Bürgergemeinde im Sacke hatten Besitztitel daran erworben; nur zum kleinern Theile waren hier die Herzöge noch Herren.

 

Die Situation veranschaulicht Blatt IX.

 

Noch trennte der Burggraben dieses Gebiet von den angrenzenden, dicht bebauten Weichbilden der Stadt; doch war er bereits sehr eingeengt, mehrfach überbaut, und an vielen Punkten mit Brücken und Stegen versehen.

 

Von Westen her führte die Straße der »Mestwerchten« (Messerwerken) über den an dieser Stelle eingewölbten Burggraben und weiter durch eine kurze Doppelreihe kleinerer Bürger- und Stiftshäuser zu dem von Herzog Julius im Jahre 1569 neu erbauten Burgthore. In der Mitte des Burgplatzes erhob sich der eherne Löwe (2) auf einem pyramidalen Postamente, weiter östlich, als einziger Ueberrest des Palastes, der Saalbau (3), nun »Mosthaus« genannt und schon in dem modernen Gewande, dessen

 

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Ueberbleibsel bis auf unsere Tage gelangt sind. Die Burgkapelle (4) lag verödet, die Kemenaten waren theils ganz vom Erdboden verschwunden, theils zeigte noch ein Trümmerhaufen, der »Finkenberg« (5) im »fürstlichen Garten«, ihre einstige Stätte an. Die Stiftskirche (6) war durch Anfügung neuer Seitenschiffe erweitert, 97 auch die Stiftsgebäude hatten durch Anbauten einen größern Umfang gewonnen. Zu diesen gehörten die Annenkapelle (7) 98 auf dem von den Kreuzgängen (8) eingeschlossenen Friedhofe der Stiftsherren, die an der Südseite des Stifts, unter Benutzung der alten Ringmauer muthmaßlich zu Wirthschaftszwecken errichteten Gewölbe (9), die östlich davon belegene Stiftsbrauerei (10) und das an die Westseite sich anschließende Kornhaus (11) 99 mit der Wohnung des Kornschreibers (11a) 100 über dem Burggraben. Der Raum zwischen lezterm Hause und der Südseite des Domes (12) diente nunmehr der Stiftgemeinde als Friedhof.

 

Noch größer der bauliche Zuwachs, welcher in den Curien entstanden war, seitdem die Stiftsherren im 13. Jahrhundert die gemeinsame Clausur aufgegeben hatten. 101 Die Mehrzahl derselben (13, 13), darunter die Dechanei (14), lag in der kleinen Burg, welche durch eine an der Westseite des Kornhauses (11) über den Burggraben gelegte Brücke zugänglich geworden. Aber auch der Westseite des Domes gegenüber, auf einem frühern Lehnshofe der Familie von Ampleben, waren Stiftsgebäude errichtet: am Südende eine Curie (15), nördlicher ein Vicarienhaus (St. Thomae, 16), neben dem Burgthore die Wohnung des Stiftspredigers (17). Den ehemaligen Jägerhof, welcher längst in den Besitz des Stiftes übergegangen und muthmaßlich als Probsteihof 102 benutzt war, hatte um diese Zeit Herzog August der jüngere sammt dem darauf belegenen »hohen Hause« (18) und dem Nebengebäude (19) wieder an sich gebracht. 103

 

Nördlich von dem zwischen der Stiftsbrauerei und der Oker belegenen Grasbleke »am Finkenberge« führte ein Weg den fürstlichen Garten entlang einerseits nordwestlich nach dem Burgplatze hin, andrerseits östlich mittels des »Schulsteges« 104 die Oker überschreitend, auf die in den »Bohlwegk« ausmündende »Schulstraße«. 105 Ein zweiter Verbindungsweg zwischen der Burg und dem Bohlwege lag weiter nördlich und bildete die östliche Fortsetzung einer Durchfahrt im »Mosthause«. Diese gegen den Bohlweg durch ein Thor abgeschlossene Straße, welche nördlich durch das ehemalige Paulinerkloster (20) 107 und die Burgmühle (21), 108 südlich durch ein Bürgerhaus (22) und den nunmehr fürstlichen, ehemaligen Klostergarten 109 begrenzt wurde, führte in ihrer ganzen Länge die Bezeichnung »das düstere Thor«. An die Burgmühle grenzte nördlich die Hägener Wasserkunst (23); ihr gegenüber lag die des Sackes (24) 110 und daneben der »Burggehrhof« (25), ein von den Schuhmachern gepachteter Gerbeplaß. 111 Ebenfalls nördlich von der Burgmühle längs der Oker standen zunächst das Katharinen-Schulhaus (26), weiterhin vier Klosterhäuser (27, 27) 112 und in Verbindung mit diesen, an der Südseite des »Hagenscharren«, zehn kleinere Bürgerhäuser (28). 113 Vom Hagenscharren führte in südwestlicher Richtung der »lange Steg« 114 über die Oker in das Burggebiet zurück.

 

Die fünf an der Nord- und Nordwestseite des Burgplatzes belegenen Grundstücke (29--33), in ihrer Gesammtheit wohl als »Küchenhof« 115 bezeichnet, waren bereits im Anfange des 14. Jahrhunderts als Lehn in den Besitz der v. Veltheim übergegangen und im Laufe der Zeit unter die einzelnen Linien dieses Adelsgeschlechts getheilt; 116 den ersten Küchenhof (29) nächst dem Mosthause »für der Burgmühle« belegen, hatten sie ohne Vorwissen des Herzogs an Hildebrand v. Salder und dessen Schwester, die Witwe Fritzens v. d. Schulenburg verkauft. 117 An die Südseite des Küchenhofes grenzte der Rulandsplatz (34), 118 an welchem die v. Bartensleben Besitzrechte hatten; von den beiden Anbauten des Burgthores 119 diente der nördliche (35) als Pförtnerwohnung, während der südliche (36) zur Hauptwache eingerichtet war.

 

Von der Straße der Mestwerchten gelangte man in nördlicher Richtung unter einem kleinen Ueberbau, »der Herren (Stiftsherren) Dobbelhus« oder »Kliphus« 120 (37) hindurch auf den längs des Burggrabens sich hinziehenden »Papenstieg« 121 und weiter hinaus »auf die Höhe«. Vom Papenstiege

 

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nach Westen sich abzweigend führte eine Straße in den »Sack«. Der letzteren gegenüber, innerhalb des Burggrabens, an den Küchenhof grenzend und mit einer Durchfahrt nach dem Burgplatz versehen, lag ein dem Kloster Marienthal bei Helmstedt gehöriger Hof, auf welchem sich ein als Absteigequartier und Kornspeicher benutztes Gebäude (38) sowie ein kleiner achteckiger, etwa 14 Meter hoher Glockenthurm (39) befand. 122 Das am Nordende dieses Hofes über dem Burggraben errichtete Gebäude (40) war eine der heiligen Anna gewidmete Kapelle, 123 an deren östlicher Seite, mit ihr unter einem Dache, eine schmale Brücke 124 über den Burggraben zu dem St. Annenconvente (41), der 1326 fundirten Stiftung eines Ludolf v. Veltheim und seiner Gemahlin Mathilde 125 führte. Darneben, zum Theil ebenfalls über dem Burggraben, lag ein von Achaz dem jüngeren v. Veltheim 1575 erbautes Wohnhaus (42), zu welchem das zwischen den Küchenhöfen (30 u. 31) und dem Burggraben sich hinziehende Terrain, Theil eines früher v. Uetze'schen Hofes, als Grasplatz gehörte. 126 Von den angrenzenden fünf Gebäuden am Marstalle waren die beiden östlich belegenen (43), sogenannte »Herren- (d. i. dem Rathe gehörige) Häuser«, den Stadtknechten als Wohnung überwiesen; die übrigen drei (44) bürgerliches Privateigenthum. 127

 

Mittelpunkt und Hauptbestandtheil der Burg bildete immer noch das fürstliche »Mosthaus« (s. Bll. X u. XI).

 

Auf den Grundlagen des romanischen Palastes errichtet und nach Süden durch einen kleinen Anbau erweitert, hatte dasselbe im Grundrisse eine annähernd rechtekige Form, deren langgezogene gerade Linien nur von dem Kapellenanbau unterbrochen wurden. Bei einer Breite von 15 Meter war das Gebäude in der westlichen Hauptfront 54 Meter lang, zweistöckig und bis zum Hauptgesimse etwa 11 Meter hoch. Durch das fast in der Mitte der Westfaçade liegende 2,5 Meter breite Portal A (Bl. X) gelangte man in die Vorhalle B, einen ansehnlichen Raum von etwa 20 Meter Länge und 12,4 Meter Breite, der durch einen Theil der romanischen Arkade getheilt und von beiden Seiten durch kleinere und größere Fenster hinreichend erhellt war. Nördlich von der Vorhalle und durch zwei Thüren mit derselben verbunden, befand sich die Durchfahrt C, welche vom Burgplatze nach dem Düstern Thor führte. Andererseits schlossen sich der Durchfahrt vier zu einer Wohnung vereinigte Zimmer DD an. Um Südende des Erdgeschosses lag noch ein größeres Zimmer E und ein kleineres F; neben letzterem ein Vorgemach G, von welchem eine Freitreppe nach Osten in den fürstlichen Garten führte. Vom Vestibül gelangte man entweder über eine kleine Wendeltreppe, oder auf der stattlichen Haupttreppe in das Obergeschoß: zunächst auf einen Vorplatz H, welcher nach Süden mit drei, ähnlich, wie im Erdgeschosse disponirten Räumen JJ in Verbindung stand, während nördlich ein von beiden Seiten erhellter, 15 Meter langer und 13 Meter breiter Saal K folgte. Den nördlichen Theil des Obergeschosses endlich nahmen drei größere und zwei kleinere Zimmer LL und MM ein, welche nur vom großen Saale ab zugänglich waren.

 

Der verhältnißmäßig geringe Umfang des Gebäudes, die isolirte Lage desselben und der Mangel an Kellern und Nebengebäuden jeder Art lassen erkennen, daß das fürstliche »Mosthaus« für eine ständige Hofhaltung, die damals schon große Ansprüche erhob, nicht genügen konnte. In der That diente dasselbe denn auch nur den Herzögen oder ihren fürstlichen Gästen als Absteigequartier; nur zeitweilig war im Obergeschosse die von Herzog August dem jüngern gesammelte Bibliothek aufgestellt, welche demnächst dann nach Wolfenbüttel übergeführt wurde.

 

Der einfachen Gestalt des Grundrisses entsprach die Einfachheit der künstlerischen Durchbildung des Aeußern, Wie die auf Blatt XI dargestellte westliche Hauptfaçade zeigt, beruhte die Wirkung derselben in einer gleichmäßigen und maßvollen Vertheilung der Fenster auf der ruhigen, ungegliederten Mauerfläche, sowie in der Anordnung von drei über dem horizontal abschließenden Hauptgesimse sich erhebenden Giebeln, welche die nothwendige Unterbrechung des Horizontalbaues und eine Belebung der Dachfläche bewirkten. Den größten Schmuck wies das mit einem Rundbogen überwölbte Hauptportal

 

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auf, welches an jeder Seite durch ein Säulenpaar begrenzt und oberhalb durch ein reich bekröntes Hauptgesimse überdeckt war. Von der Ausstattung der östlichen Gebäudefront und des nördlichen Giebels läßt sich eine Anschauung aus den auf Blatt ll und in Figur 42 (S. 24) gegebenen Darstellungen gewinnen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die mittleren und westlichen Fenster beider Geschosse im nördlichen Giebel erst 1870 eingebrochen wurden, die kleine Thür im Obergeschosse daselbst dem Ende des 17. Jahrhunderts angehört. 128

 

4. Die Burg im Jahre 1700.

 

Die wesentlichsten Veränderungen, die sich auf dem Burggebiete seit der voraufgegangenen Bauepoche vollzogen hatten, betrafen das fürstliche Mosthaus selbst. Durch zahlreiche Anbauten war dasselbe erweitert und für die ausgedehnte, prunkvolle Hofhaltung Herzog Anton Ulrichs, welchen sein älterer Bruder, Herzog Rudolph August, seit 1685 zum Mitregenten angenommen hatte, entsprechend eingerichtet.

 

Die Lage und Bebauung des Burggebietes mit seiner nächsten Umgebung ist auf Blatt XII zur Darstellung gebracht. In den Plan sind unter den beigesezten Zahlen eingetragen:

 

1. das Burgthor; 2. das Löwenstandbild auf dem Burgplatze; 5--12. die fürstlichen Wohn- und Nebengebäude: als 3. das große Mosthaus, 4. das kleine Mosthaus mit Nebengebäude, 5. »Gebäude über dem Wasser«, 6. Neben- und Hintergebäude, Küchen, Schlachthaus, Bäckerei und Dienerwohnungen enthaltend, 7. das Pförtnerhaus, 8. Stallungen für Vieh und Geflügel, 9. Remisen, 10. Conditorei, 11. Pferdeställe, 12. Dienerwohnungen; 13. die Stiftskirche St. Blasii; 14. die Annenkapelle auf dem Friedhofe der Stiftsherren; 15. die Stiftsgebäude nebst den Kreuzgängen; 16. die Stiftsbrauerei; 17. die Wohnung des Kornschreibers; 18. das Kornhaus des Stiftes; 19. der Friedhof der Stiftsgemeinde; 20. Stiftcurien; 21. die Dechanei; 22. Vicarienhaus St. Thomae; 23. Wohnhaus des Stiftspredigers; 24--26. zur Domprobstei gehörige Gebäude: 24. das »hohe Haus« auf dem ehemaligen Jägerhofe, 25. dessen Nebengebäude, 26. ein von dem Intendanten Lautensack 1688 neu erbautes Wohnhaus auf dem ehedem »wüsten Platze am Finkenberge«; 129 27. die bei Erbauung des kleinen »Mosthauses«, an Stelle des Schulsteges hergerichtete neue Brücke, über welche man von der Burg auf den langen Hof, oder durch die Burgtwete, derzeit auch »Phöbustwete« 130 genannt, nach dem Bohlwege gelangen konnte; 28. das ehemalige Paulinerkloster, seit 1671 im Besitze der Landesfürsten; 29. die Burgmühle; 30. die Hägener Wasserkunst ; 31. die Säcker Wasserkunst -- der »Burggehrhof« daneben war beseitigt; 32. das Katharinen-Schulhaus ; 33. ehemalige Klosterhäuser; 34. Bürgerhäuser am Hagenscharren; 35. Hof des Herrn v. Bodendorff; 36. Hof des Herrn v. Veltheim zu Bartensleben; 37. Hof des Herrn v. Veltheim zu Destedt; 38. Hof des Herrn v. Veltheim zu Harbke; 39. Hof der Herren v. Veltheim zu Ostrau und Harbke; 40. Hof des Herrn von Bartensleben zu Wolfsburg; 41. Thorwächterhaus; 42. Hauptwache; 43. Clubhaus (»Kliphus«); 44. Hof des Klosters Marienthal mit der Annenkapelle (45); 46. der St. Annen- convent; 47. Hof des Herrn v. Veltheim zu Harbke; 48. Herrenhäuser und 49. Bürgerhäuser am Marstalle.

 

Das Hauptgebäude des »großen Mosthauses«, dessen Grundrisse und westliche Hauptfaçade auf Blatt XIII und XIV dargestellt sind, hatte 63 Meter Länge bei einer Breite von 15 Meter. Die Eintheilung erfolgte unter Benutzung der aus der vorhergehenden Bauepoche überlieferten Anlage. Zwar war die seitliche Durchfahrt beseitigt und ihr Raum zu Wohnzwecken nutzbar gemacht; das Hauptportal jedoch, wenn auch in veränderter Form und durch einen Vorbau verdeckt, blieb an der früheren Stelle bestehen.

 

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Man gelangte durch dasselbe in die 14,5 Meter lange, 12 Meter breite Vorhalle, »die Dehle« a, welche wie früher durch die romanische Arkade getheilt, aber nur von Westen her durch zwei Fenster erhellt wurde. Dem Eingange gegenüber und mit der Vorhalle durch eine im Rundbogen geschlossene, auch jetzt noch vorhandene Oeffnung verbunden, lag in einem besondern, der Ostseite des Gebäudes angefügten Fachwerksbaue die zweiarmige Freitreppe bb und ein von derselben umschlossener Saal, das »Esgemach vor die Cavallier« c, mit den daneben unter der Haupttreppe eingerichteten Silberkammern dd. Nördlich von der Vorhalle befanden sich im Erdgeschosse zwei Vorzimmer ee, ein Vorgemach f, ein Audienzzimmer g, zwei kleinere Zimmer hh, und ein Schlafgemach i. Von letzterem führte eine der Ostseite des Hauses angebaute, überdeckte Gallerie k in die Garderoben ll. An die Südseite der Vorhalle grenzte eine Wohnung, bestehend aus einem Vorzimmer m, dem Audienzzimmer n, einem Schlafgemache o, zwei kleinen Cabinets pp, zwei Garderoben qq, einer kleinen von Außen zugänglichen Küche r und einer Stube s. Zwischen der letztern und der Vorhalle war in einem abgeschlossenen Raume die Nebentreppe t angelegt. Der Privateingang zum Gebäude lag an der durch den Hof begrenzten Ostseite, wo eine überdeckte Vorfahrt u und außerdem eine Gallerie v eingerichtet war, welche den Zugang zu beiden Treppen und durch einen rechtwinkelig sich abzweigenden Corridor ww nach dem über die Oker fortgeführten Gebäude vermittelte. Letzteres enthielt zwei Speisezimmer xx, mehrere Stuben für die Dienerschaft yy und eine Treppe z.

 

Im Obergeschosse gelangte man von der Haupttreppe in einen Vorsaal, den »Reuthersaal« A, und aus diesem in den großen Festsaal B, der nach Norden mit einem Speisesaal C, einem Audienzzimmer D, einem Schlafgemache E und durch einen an letzteres grenzenden Gang F mit den Garderoben GG in Verbindung stand, während der Südseite des Saales die eigentlichen Wohnräume angeschlossen waren: ein Vorgemach H, ein Vorzimmer J, ein Audienzzimmer K; ferner die sogenannte blaue und rothe Kammer L und M, welche nur mittelbar von dem davor liegenden »Porcellain-Cabinet« NN aus Licht empfingen; endlich ein Schlafgemach O und eine Stube P. Von diesen Wohnräumen führte ein langer Corridor QQ, an welchem auch die »Retirade« R lag, zum Vorsaal und, nach Osten abzweigend, zu dem Gebäude über der Oker. In diesem befanden sich mehrere Kunstkabinets SS sowie die Bildergallerie T. Vor der Westfront des Gebäudes zog sich ein von Säulen unterstützter, unbedeckter Gang U hin, der an mehreren Stellen von den dahinter liegenden Gemächern her zugänglich war, in der Mitte zu einem Altan V sich erweiterte und am Südende W durch die schon von Heinrich dem Löwen angelegte Thür mit dem Dome in Verbindung stand.

 

Die Ausstattung des Gebäudes im Aeußern anlangend, so hatte sich die westliche Hauptfaçade (Bl. XIV) im Vergleich zu der vorigen Bauepoche nicht zu ihrem Vortheil verändert. Durch den Säulenvorbau mit seiner mächtigen horizontalen Linie war der immer noch wohlthuende Eindruck von Ruhe und Einfachheit verloren gegangen, die wirkungsvolle Masse der ungegliederten Mauerfläche zerrissen und eine Höhentheilung herbeigeführt, die jedes Ebenmaßes entbehrte. Hierzu kam noch, daß sich nicht nur das Portal, von dem weit vortretenden Altane fast erdrückt, in arger Verstümmelung zeigte, sondern in Folge der Tieferlegung der Sohlbänke auch die Fenster ihre charakteristische Form und ihr gutes Verhältniß eingebüßt hatten. Dies war auch bei den Fenstern im nördlichen Giebel der Fall, und daß die östliche Ansicht des Gebäudes mit seinen vielen kleinen, in Winkeln und Ecken vorspringenden Fachwerks-Anbauten und den sich anschließenden Hintergebäuden gleicher Construction nicht eben reizvoll gewesen sein kann, bedarf kaum der Erwähnung. 131

 

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5. Die Burg im Jahre 1770.

 

Abermalige große Umwandelungen erfuhr das fürstliche »Mosthaus« in der Burg während des 18. Jahrhunderts. Da es weder den gesteigerten Ansprüchen einer fürstlichen Hofhaltung mehr genügte, noch auch zu einem Umbau für diesen Zweck geeignet schien, und demnach die regierenden Herzöge, als sie 1754 ihre seitherige Residenz in Wolfenbüttel verließen, um in der Landeshauptstadt ihren ständigen Wohnsitz zu nehmen, nicht mehr das »Mosthaus«, sondern das auf dem Grauen Hofe am Bohlwege neu erbaute Residenzschloß bezogen, so verlor jenes vollends seine einstige Bedeutung als Fürstensitz. Nur vorübergehend diente es den Herzögen und anderen fürstlichen Personen noch als Absteigequartier, bis es schließlich durch einen theilweisen Neubau zur Wohnung für Herzog Ferdinand, den glorreichen Feldherrn des siebenjährigen Krieges, eingerichtet wurde.

 

Nicht allein bei dem »fürstlichen Mosthause«, sondern auch auf mehreren anderen Grundstücken des Burggebietes und dessen nächster Umgebung waren seit der letzten Bauepoche bauliche Veränderungen zur Ausführung gelangt, die, wennschon in den vorliegenden, auf Blatt XV dargestellten Situationsplan eingetragen und durch eine hellere Schraffirung kenntlich gemacht, doch bei der nachfolgenden Erklärung noch weitere Berücksichtigung finden werden.

 

Die dort beigesezten Zahlen bezeichnen:

 

1. das Burgthor; 2. das Löwenstandbild; 3--6. fürstliche Gebäude: 3. das »große Mosthaus« mit dem Ferdinandsbau und dem nach dem »kleinen Mosthause« führenden Verbindungsgange, 4. das »kleine Mosthaus«, dessen südlicher Flügel durch einen Neubau ersetzt war, 5. Wirthschafts- und Nebengebäude, 6. Stallungen --- das Gebäude über der Oker, welches ehedem eine Verbindung zwischen dem großen Mosthause (3) und dem Wirthschaftsgebäude (5) herstellte, war beseitigt; 7. die Stiftskirche St. Blasii; 8. die Stiftsgebäude nebst den Kreuzgängen; 9. die Annenkapelle; 10. die Stiftsbrauerei; 11. das Wohnhaus des Kornschreibers, welches eine bauliche Veränderung erlitten hatte; 12. das Kornhaus des Stiftes -- der zwischen dem Kornhause und der Stiftskirche belegene Platz war seit Mitte des 17. Jahrhunderts seiner bisherigen Bestimmung als Friedhof entzogen, als Ersatz diente ein dem Stifte eingeräumter Begräbnißplatz vor der Stadt bei St. Leonhard; 13. die Stiftscurien; 14. die Dechanei in der kleinen Burg -- in Folge der um die Mitte des 18. Jahrhunderts ausgeführten Ueberwölbung des Burggrabens 132 westlich vom Kornhause des Stiftes war zwischen dem Burggebiete und der kleinen Burg eine bequeme Verbindung hergestellt; 133 15. Vicarienhaus ; 16. Wohnung des Stiftpredigers; 17. das »Bevern'sche Schloß«, welches der Domprobst, Herzog Ernst Ferdinand von Braunschweig-Bevern 1707--1709 durch den Landbaumeister Korb auf dem vormaligen Jägerhofe an Stelle des verfallenen Probsteigebäudes oder des »hohen Hauses« hatte erbauen lassen, 134 wobei der an der Nordseite desselben sich hinziehende, schon seit längerer Zeit verschüttet gewesene Burggraben wiedereröffnet war; 18. Stiftscurien auf dem ehemals »wüsten Platze am Finkenberge«, östlich von der Stiftsbrauerei: die von Lautensack dort erbauten Häuser waren erweitert und zu Stiftscurien eingerichtet; 19. zwei im Jahre 1765 neu errichtete Gebäude im »Langen Hofe«, welcher auf Anordnung Herzog Karls I 1756 regulirt und an seinem Ausgange zum »Bohlwege« verbreitert worden war, wogegen die »Burg-(Violen-)twete« durch jene von dem Bauverwalter Strauß ausgeführten Häuserbauten nach Westen hin abgeschlossen und somit zu einer Sackgasse geworden war; 20. das auf Befehl Herzog Karls I für das Collegium Carolinum in dem ehemaligen fürstlichen Garten aufgeführte »Reitschul-Gebäude«; 21. das »Cavalierhaus«, seit 1753 gleichfalls dem Collegium Carolinum überwiesen; 22. das ehemalige Paulinerkloster, von 1712--1734 durch Anbauten erweitert und seitdem zu einem Zeughause eingerichtet; 23, die Burgmühle; 24. die Hägener Wasserkunst; 25. die Säcker Wasserkunst; 26. das Katharinen-Schulhaus:

 

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die benachbarten Klostergebäude waren inzwischen abgebrochen, 135 die Burgmühlenstraße, ehemals »Düsteres Thor« genannt, mit dem Hagenscharren an dieser Seite in Verbindung gesetzt, der lange Steg beseitigt, 136 weiter südlich eine neue Brücke (27) über die Oker hergestellt, 137 der »Rufeidgenplatz« 138 durch Canalisation des Burggrabens erweitert und mit dem Marstalle direct verbunden; 28. Küchenhof des Grafen v. d. Schulenburg; 29--32, Höfe der Herren v. Veltheim -- die Gebäude auf dem Hofe unter 30 waren seit 1740 abgebrochen, auf den übrigen zum Theil neue Seiten- und Hintergebäude errichtet; 33. das kleine Opernhaus, auf dem frühern »Rulandsplatze« von Herzog Karl I im Jahre 1749 zu Behuf der italienischen Oper und pantomimischen Ballets errichtet; 139 34. die Hauptwache neben dem Burgthore; 35. das Kliphaus; 36. Grundstück des Commissarius Lutterloh, welcher den Hof des Klosters Marienthal angekauft und die Gebäude, einschließlich der Annenkapelle, hatte abbrechen lassen; 37. der Annenconvent; 38. Hof der Herren v. Veltheim.

 

Obgleich der südliche Theil des »Mosthauses« in einer Länge von 26 Meter niedergelegt und an dessen Stelle ein Neubau errichtet war, so hatte sich doch die aus Blatt XVI ersichtliche Grundform des Gebäudes nicht wesentlich geändert. Die Abweichungen von dem frühern Plane (Bl. XIII) beschränkten sich auf eine veränderte Raumvertheilung, die Beseitigung der Säulenhalle vor der westlichen Hauptfront, auch des Portals in derselben, und auf die Herrichtung eines nach Süden bis zum kleinen »Mosthause« sich hinziehenden schmalen Verbindungsbaues, durch welchen auch die Einfahrt a auf den innern östlichen Hof führte. Hier, an der Hinterfront des Gebäudes, befand sich der Haupteingang b, nicht etwa in dem der Südseite vorgelegten portalähnlichen und im Aeußern durch zwei freistehende Säulen ausgezeichneten Vorbau c, denn die in demselben eingerichtete, 2 Meter breite und 4 Meter hohe Thür führte -- in den Keller. Die ganze Disposition der neuen Anlage ist unklar und verworren. Aus dem sehr bescheidenen Vestibül d gelangte man über einige, schräg in die Ecke gelegte Stufen auf ein dreieckiges Podest e und in nördlicher Richtung fortschreitend über die Haupttreppe f in das Obergeschoß, nach Westen aber durch eine Thür auf die Nebentreppe g. Der beschränkte Raum vor letzterer bildete den Ausgangspunkt des Verkehrs mit den meisten Räumen des Erdgeschosses, in welchem »die Zimmer für die Hofbedienten, die Küche und ökonomische Behältnisse« untergebracht waren. Den Zugang zum nördlichen Gebäudetheile vermittelte ein schmaler dunkler Gang h, welcher nach Osten mit dem Zimmer i, nach Westen mit der ehemaligen Vorhalle k und nach Norden mit zwei Gemächern l und m, sowie durch letztere mit den öst- lichen Fachwerksanbauten nn in Verbindung stand. Nebeneingänge befanden sich an der Ostseite bei o und p. Im südlichen Gebäudetheile lagen vier größere und ein kleineres Zimmer r, s, t, u und v, deren Ausgänge sich wiederum auf dem Vorraume der Nebentreppe vereinigten. Der Verbindungsbau enthielt, anschließend an das Vestibül d, zwei Zimmer w und x, und jenseits der Durchfahrt einen Raum y, welcher für das Treppenhaus im kleinen »Mosthause« als Vorplatz diente. Etwas übersichtlicher war die Eintheilung des Obergeschosses, in welchem die Grenze zwischen den Festräumen im nördlichen Gebäudeflügel und den »fürstlich eingerichteten« Wohnzimmern des südlichen Theils durch die Treppenhäuser gekennzeichnet wurden. Von der Haupttreppe f gelangte man links in den Vorsaal A und die daneben liegende Garderobe B, dann über den Corridor C in den großen Festsaal D, zu welchem die nördlich sich anschließenden Räume EE und FF als Nebenzimmer gehörten. Letztere hatten auch von dem Corridore C aus durch die verdeckte Gallerie G einen directen Zugang. Zwischen beide Treppen legte sich ein Vorsaal H und westlich an die Uebentreppe ein Vorzimmer J, welches einerseits mit dem großen Saale, andrerseits mit zwei kleineren Wohnzimmern K und L, weiter östlich mit einem größern Gemache N und zwei Cabinets O und P in Verbindung stand. Eingeschlossen von diesen Räumen und von der Nebentreppe sowohl wie vom Vorsaale H direct zugänglich war der Speisesaal M. Die von dem südlichen Kabinet P abzweigende Gallerie Q vermittelte die Verbindung mit dem kleinen »Mosthause«. Der neu aufgeführte

 

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Gebäudetheil, »Ferdinandsbau« genannt, war dreistöckig und enthielt im zweiten Obergeschosse »Wohnungen für die Räthe und Secretaire«.

 

Im Aeußern zeigte der neue Anbau die ausgearteten Formen des Zopfstils in einfacher und nüchterner Behandlung. Dergestalt vollkommen die Richtung charakterisirend, in welcher die Baukunst sich damals bewegte, trat er zugleich in so merklichen Gegensatz zu dem aus den früheren Perioden übrig gebliebenen nördlichen Gebäudetheile, daß man glauben durfte, zwei von einander unabhängige Bauwerke vor sich zu sehen (vergl. Bll. XVII u. XVIII, welche die westliche Hauptfaçade, die südliche Giebelansicht und zwei Querschnitte des Gebäudes zur Anschauung bringen). An den Außenmauern des Erdgeschosses, zwischen den mit Rundbögen geschlossenen Fenstern, waren breite Pfeiler angebracht, welche ebenso wie die dazwischen liegenden Flächen mit nachgeahmter Rustika überzogen waren. Schlanke, nach oben sich verjüngende Pilaster mit darüber ruhendem Hauptgesimse vereinigten die beiden Obergeschosse und bewirkten zugleich eine Belebung der Wandflächen. Den obern Abschluß bildete eine Attika, durch welche das dahinter liegende Dach verdeckt wurde. Die Fenster der beiden Obergeschosse hatten einfache, an den Ecken verkröpfte Umrahmungen, die höheren Fenster des ersten Obergeschosses außerdem in phantastische Formen aufgelöste Ueberdachungen. Die Umfassungsmauern des Baues waren aus Backsteinen aufgeführt und mit Putz überzogen, Quader gänzlich vermieden, alle architektonischen Gliederungen -- die Rustika des Erdgeschosses, das Gurtgesimse, die Säulen und Pilaster der beiden Obergeschosse, die ionischen Kapitäle -- aus Stuck hergestellt, desgleichen die Umrahmungen und Ueberdachungen der Fenster; abweichend zeigte nur das Hauptgesimse seiner bedeutenden Ausladung wegen eine Holzconstruction. Ohne Zweifel war eine Verbindung des Gebäudes mit dem Dome beabsichtigt gewesen, solche jedoch nicht zur Ausführung gekommen: nur so läßt sich erklären, daß die Façadenausbildung der Westfront nicht bis zum südlichen Ende fortgesetzt wurde, hier vielmehr ein ungegliedertes Feld liegen blieb, und die ursprünglich auf Thüranlagen berechneten Oeffnungen in demselben weiter hinabreichende Umrahmungen erhielten.

 

Gleichzeitig mit der Errichtung des Ferdinandsbaues erfolgte die Beseitigung der Giebel über dem Hauptgesimse der westlichen Langseite des älteren Renaissancebaues, wodurch dieser in den Schatten gestellt, jener aber zu besserer Wirkung gebracht wurde. 140

 

6. Die Burg im Jahre 1881.

 

Welche Schicksale der einstige Palast Heinrichs des Löwen im Laufe des lezten Jahrhunderts erfahren hat, und welche Gestalt er gegenwärtig zeigt, ist bereits in den beiden ersten Abschnitten ausführlicher dargelegt. Es erübrigt hier demnach nur, durch eine nochmalige kurze Betrachtung des Burggebiets zu veranschaulichen, wie die alte Burg, vornehmlich in Folge des Strebens, die Verkehrswege im Innern der Stadt dem Bedürfniß ihrer zunehmenden Bevölkerung entsprechend zu erweitern und zu vermehren, eine völlige Umgestaltung erlitten und ihren ursprünglichen Charakter gänzlich verloren hat (vergl. den Situationsplan Blatt XIX).

 

Von Westen führt die Straße »vor der Burg«, sanft ansteigend und sich allmälig erweiternd, auf den Burgplatz. Weder Graben, noch Brücke oder Thor hemmen den Eintritt. Schon am Schlusse des vorigen Jahrhunderts hatte Herzog Karl Wilhelm Ferdinand zu Behuf der Neubauten auf beiden Seiten des Eingangs das Burgthor abbrechen und den Burggraben von der kleinen Burg ab, den Papenstieg

 

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entlang bis zum Marstalle kanalisiren lassen, während die letzte Strecke dieses Grabens, hinter den Häusern am Marstalle bis zum Ruhfäutchenplatze, erst in den Jahren 1863 und 1864 in einen Kanal umgewandelt wurde. Gleichzeitig mit der Niederlegung des Burgthores entstand auf dem nördlich davon belegenen ehemaligen Rolandsplatze, an Stelle des baufällig gewordenen kleinen Opernhauses und unter Mitbenutzung des angrenzenden Hofes der Herren v. Veltheim zu Aderstedt, das umfangreiche Gebäude des Buchhändlers Vieweg (Bl. XIX, 1), und diesem gegenüber, auf der Area des Stiftspredigerhauses, der alten Hauptwache und mehrer kleinerer Bürgerhäuser am Burggraben, nach einem einheitlichen Plane des Kammer-Conducteurs Rothermund, ein neuer Gebäudecomplex (2), welcher jetzt mehreren Privatbesitzern zugehört. 141

 

Von seinem Postamente auf der Mitte des Burgplatzes schaut der eherne Löwe (3) noch immer gen Osten, doch auf ein anderes Bild, als sich einst vor ihm ausbreitete: eine öde Stätte liegt da, welche nördlich von den letzten Trümmern des Palastes (4), südlich von dem kleinen Mosthause, der jetzigen Officier-Speiseanstalt (5), begrenzt wird. Als einziger Ueberrest der kirchlichen Schöpfungen Heinrichs des Löwen in der Burg, vereinzelt auf freiem Platze, steht nur noch der Dom (6). Nach Aufhebung des Stiftes im December 1810 wurden seine Güter und Gebäude »zum Besten des Staates« veräußert, 142 auf Anordnung Herzog Karls II im Herbst 1830 die Kreuzgänge abgebrochen; im folgenden Jahre fielen das Kornhaus des Stiftes und das Kornschreiberhaus, im Jahre 1835 der letzte Anbau, die große Sacristei. Der so gewonnene freie Raum nebst dem frühern Kirchhofe der Stiftsgemeinde bildet jetzt den »Wilhelmsplatz«, welcher in neuerer Zeit eine abermalige Erweiterung und Veränderung seines Charakters erfuhr, indem er zum Mittelpunkte einer neuen, vom Bahnhofe beginnenden Hauptverkehrsstraße ausersehen wurde, die hier durch zwei große herrschaftliche Gebäude, die Herzogliche Polizei-Direction (7) einerseits, das Herzogliche Oberlandes- und Landgericht (8) andrerseits ihren Abschluß erhielt. Der Durchführung dieses Planes aber hat nicht nur eine Kanalisation der Oker und ihrer Nebenarme, sondern auch der Abbruch mehrerer Stiftscurien und der Domprobstei, des spätern Bevern'schen Schlosses, vorausgehen müssen. Letzteres bewohnte während der französischen Occupation der Intendant Daru; 143 nach Rückkehr Herzog Friedrich Wilhelms diente dasselbe bis 1820 dessen Bruder, dem Herzoge August, von 1830 bis 1838, während an Stelle des in den Septembertagen 1830 durch Brand zerstörten Grauen Hofes am Bohlwege das neue Schloß erbaut wurde, dem regierenden Herzoge Wilhelm zur Residenz, worauf es bis zu seinem Abbruch im Jahre 1879 dem Herzoglichen Staats-Ministerium eingeräumt war. Seit dem Jahre 1830 wird die ehemalige Dechanei in der kleinen Burg, seit 1870 auch die östlich daran stoßende Stiftscurie als Stadthaus (9) benutzt. Nördlich von dem Polizeigebäude, auf dem einst »wüsten Platz am Finkenberge« erhebt sich das neue Dompredigerhaus (10); die zuletzt an dieser Stelle noch vorhandenen Stiftscurien sind abgebrochen, und es steht zu hoffen, daß auch die Anbauten derselben (11) nicht zu lange mehr den Eingang zum Langenhofe verunzieren und einschränken werden.

 

Die Reitschulgebäude des Collegii Carolini sind seit dem Jahre 1835 in den Besitz des Land-Gestüts (12) übergegangen, und in dem ehemaligen Nebengebäude des Mosthauses (13) sowohl als auch im sog. Cavalierhause (14) befinden sich Dienstwohnungen für Beamte und Diener des herzoglichen Hofhalts. Der Abbruch der Burgmühle und des angrenzenden Gebäudes der Katharinenschule erfolgte im Jahre 1857; als nach Errichtung des städtischen Wasserwerks die Hägener- und die Säcker Wasserkunst überflüssig geworden waren, wurden auch diese Gebäude beseitigt; der Ruhfäutchenplatz aber erhielt in Folge dessen und durch die in den Jahren 1873 und 1874 ausgeführte Kanalisation der Oker vom Mosthofe bis zum Hagenscharren eine bedeutende Ausdehnung. Das am Südende dieses Platzes errichtete provisorische Wachtlocal und Uebungshaus der städtischen Berufsfeuerwehr (15), für welche 1882 ein Neubau an der Münzstraße vollendet ist, wurde im Februar 1883 wieder beseitigt.

 

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Wenig verändert hat sich der vom Burgplatze, dem Marstalle und dem Ruhfäutchenplatze eingeschlossene Gebäudecomplex auf dem Raume des ehemaligen Küchenhofes. Die meisten der hier liegenden Grundstücke (16--19) befinden sich noch im Besitze der Herren v. Veltheim; nur dem Annenconvente wurde 1789 als Ersatz für das räumlich ungenügende alte Haus am Marstalle eine an der Westseite des Papenstiegs belegene Vicariatspräbende des Blasienstiftes (20) zur Benutzung eingeräumt, und der Küchenhof der Grafen v. d. Schulenburg am Ruhfäutchenplatze (21) unter Vermittelung der städtischen Behörden der Bildungsanstalt für weibliche Dienstboten überlassen.

 

Noch haben die Wandlungen des Burggebietes ihr Ende nicht erreicht: die Verwirklichung des schon lange erwogenen Projects, durch Eröffnung eines directen Verbindungsweges zwischen dem Wilhelmsplatze und dem Hagenmarkte die bereits angebahnte Hauptverkehrsstraße durch das innere Stadtgebiet der Vollendung entgegen zu führen, steht noch bevor. Welche Durchbildung aber dieser Plan noch erfahren, welchen Einfluß derselbe auf die demnächstige Gestaltung des Burggebietes ausüben, und auf welche Weise es gelingen wird, das daran haftende Gewirre widerstreitender Rechte, Ansprüche und Interessen zu lösen, darüber lassen zur Zeit noch nicht einmal Muthmaßungen sich aufstellen.

 

 

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Noten und Excurse.

 

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Noten.

 

Von den an verschiedenen Stellen des Stadtgebietes aufgefundenen sogenannten »Aschenkrügen «, deren Fundorte H. v. Strombeck in der Zeitschr. des Harz. Vereins für Gesch. u. Alterthumsk. 1869 Heft 4 S. 24 ff. zusammengestellt hat, verdienen diesen Namen ohne Zweifel nur wenige: die überwiegende Mehrzahl ist mittelalterliches Geschirr, das zufällig verschüttet oder in Folge eines abergläubischen Brauchs unter die Grundmauern der Häuser eingesenkt worden ist: vgl. L. Hänselmann, Die vergrabenen und eingemauerten Thongeschirre des Mittelalters (in Westermanns Illustr. Deutschen Monatsheften 1877 Bd. XLI S. 393 ff.). Auf ältere Funde vorchristlicher Graburnen deutet aber auch die Bezeichnung eines Terrains dicht vor dem frühern Aegidienthore der Altenwik als »der heydene kerchof« hin: s. H. Dürre, Geschichte der St. Br. im Mittelalter S. 16.

 

2. Das Nähere bei Dürre a. a. O. 5. 25 ff. und L. C. Bethmann, Die Gründung Braunschweigs und der Dom Heinrichs des Löwen (in Westermanns Illustr. deutschen Monatsheften 1861 S. 525 ff.).

 

3. Zuerst in dem 1209 von einem Halberstädter Mönch verfaßten Chronicon Halberstadense (gedruckt in Leibnitz‘ Script. rer. Brunswic. II 110 ff.). Auf einen Zusammenhang der Brunonen mit den Ludolfingern scheinen gewisse Umstände allerdings hinzudeuten; ein streng historischer Beweis aber ist dafür nicht zu erbringen: vgl. O. v. Heinemann, Gesch. von Braunschweig u. Hannover S. 99.

 

4. Schon Aeneas Sylvius in seiner Schrift »De situ, ritu, moribus et conditione Germaniae« nennt »Brunsvicum nobile, Saxonum sedes atque Ottonum quondam Caesarum patria«. In Bothens »Cronecken der Sassen« (Mainz 1492, bei Leibnitz, Script. III S. 300) heißt es zum J. 861, daß Heinrich der Finkler »let de olden stat Brunswick bemuren unde buwede de nyge stadt dar by«; in dem »Außführlichen Warhafften Hist. Bericht« (Braunschw. hist. Händel, 1607) I S. 35: »Es haben zu Braunschweig auff der Burg residiret Bruno, Tanquardus, Otto, Hinricus Auceps« etc. Tobias Olffen (Chronik der St. Br., Msc. vom J. 1635) weiß, daß Otto der Erlauchte ein Bruder Brunos und Dankwards gewesen und die Burg 881 zu seiner Residenz ausersehen, daß ihm dort sein Sohn Heinrich geboren, dieser hier nachmals auch seinen Sitz gehabt, der Finkenherd, von dem ihn die Abgesandten der deutschen Fürsten zum Königthum berufen, der unter der Burg Dankwarderode belegene gewesen.

 

5. Bethmann a. a. O. S. 531.

 

6. Die betr. Urkunde, jetzt im Stadtarchiv, ist fehlerhaft bei Rehtmeier, Kirchenhistorie der St. Br. I, Beilagen S. 3 abgedruckt ; ein Auszug in den Deutschen Städtechroniken Bd. XIV, Einleitung S. LXIII Note 82.

 

7. Urkundlich wird derselben nur bei Gelegenheit einer Schenkung des Probstes Athalold (Origenes Guelficae II S. 334 ff.) gedacht.

 

8. Braunschweigische Reimchronik , herausgegeben von Ludw. Weiland (Deutsche Chroniken in den Monum. Germ. II S. 479 u. 495) V. 1615-18 u. 2838--44.

 

9. Bethmann, Das Grab der Gräfin Gertrud in der Burgkirche (Braunschw. Magaz. 1860 Stü 16).

 

10. Das Cyriacusstift, an der Südseite der Stadt auf dem heutigen Bahnhofsareal belegen, wurde 1545 bei drohender Belagerung von den Bürgern zerstört. Beim Ausheben der Fundamente des Gotteshauses 1689 fand man Ekberts Sarg, welcher dann im Dome beigesetzt wurde. Als er 1862 eröffnet ward, erkannte man an dem wohlerhaltenen Schädel noch deutlich den tödtlichen Spalt.

 

11. Rehtmeier, Kirchenhistorie I S. 46.

 

12. Braunschw. Reimchronik a. a. O. S. 483, V. 1885 bis 1915:

 

Zo eyner zit dhe geste
zorneten mit ungevuge sere
mit eyneme stovere,
dhe dher vesten wonte bi.
sin herze was nicht grimmes vri,
alleyne her eyn kerl were,

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doch hatte her groze swere
dher Beygere oberlast.
alleyne dhe borch were vast,
doch was sin mut algelich,
we daz her gereche sich,
mit danken harte suel,
so langhe daz im gevel
dhe stat und ouch dhe stunde.
dhe borch her unzunde
an vures rote durchluchtich,
so daz dhe Beygere vluchtich,
dhe nideren und ouch dhe besten,
rumten beydhe lant unte vesten.
susgetaner mere
irhub sich dher stovere,
vil snel doch nicht worch,
zo siner vrowen zo Zeverlingheborch.
her sprach: "ja nim, vrowe, din erbe wider
und besiz iz mit eren sider,
went mir dhe Beygere sint untrunnen,
dhe ich uph der vesten wolte haben gebrunnen".
dhes wart dhe marchrevinne vro
und al dhe bi ir waren dho.
sus halph ir got dhe beste,
daz ir wider wart ir veste.

Scheverlingenburg (Z. 17) ist das heutige Walle.

 

13. "Da ze Brunswic sie ihn vunden", berichtet die Kaiserchronik: s. W. Bernhardi, Lothar von Supplinburg (Jahrbücher der deutschen Geschichte) S. 22 Note 56.

 

Einfügung: Burg Dankwarderode 2014

 

14. H. Pruß, Heinrich der Löwe S. 88 ff. Während Heinrich 1150--52 in Baiern kämpfte, weilte seine Gemahlin Clementia in Lüneburg (ebd. S. 95), woraus zu schließen sein dürfte, daß Dankwarderode derzeit für eine größere Hofhaltung noch nicht geeignet war.

 

15. S. Dürre a. a. O. 5. 59 ff. und Hänselmann in den Deutschen Städtechroniken VI Einl. S. XVII.

 

16. Braunschw. Reimchronik a. a. O. S. 496, V. 2884 bis 94:

 

»We herlich eyn vurste ware
Heynrich, daz ton uns offenbare
sine werc, dhe da mugen
dher warheyt orkunde zugen.
want her buwete, als ich las,
dhe capellen und dhen pallas.
sente Georgien in dhe burch.
an ornate harte unkurch
und an kostbarem glize
heyz her machen mit vlize
daz gebuwe albetalle;
und heyz gezen von metalle
eynen lewen von richer kost,
dhen her setzete uf eynen post
von steyne vil wol gehowen,
so men noch mach scowen
in dher burch zo Bruneswich.
daz thete dher vurste Heynrich
dhusent jar, han ich gehort,
hundert sex und sexich von gotes bort,
nach sines namen scine und ort.«

 

So zum J. 1166, nachdem der Chronist kurz zuvor gemeldet hat, daß Heinrich 1173 das Blasiusstift erneuert. -- Die Annales Stadenses, aus welchen die ihm vorliegenden Annales S. Blasii geschöpft haben werden, erwähnen nur die Errichtung des Löwensteins und die Befestigung der Stadt: »Henricus dux Supra basin erexit leonis effigiem et urbem fossa ac vallo circumdedit«, ohne der sonstigen Bauten in der Burg zu erwähnen. -- Botho faßt alles unter dem J. 1172 zusammen: »In dussem jare tobrack hertoghe Hinrick de lauwe de olden kerken upp Danckwerderode sunte Peter unde sunte Pauwel, unde buwede eynen nygen dom in de ere sunte Blasius unde sunte Johannes Baptiste, unde het nu in der borch in Brunswik. Unde buwede ock den pallas unde dat moyshus unde de twey Cappellen, eyn boven der anderen, sunte Jurgen unde sunte Gerdrut, hart by den dom, unde satte vor den dom den lauwensteyn. Ock so leyt he begraven unde bemuren den Hagen to Brunswick unde buwede eyne kerken in der ere sunte Katharina, dat heyt in dem Haghen, unde was eyn Hagen vull brokes, busche, wische, garden, bomhove unde entelen borchgeseten, dat nu de Hagen market het«. -- Der Catalogus episcoporum Hildesheimensium (Leibnitz, Script. II 153 f.) berichtet: »In Brunswick erigitur effigies Leonis per Henricum Leonem. 1166, Fundavit Ecclesiam S. Blasii martyris 1173.« -- Mit einiger Sicherheit wird aus den älteren und wohlbeglaubigten Angaben zu folgern sein, daß Heinrich im Jahre 1166 das Löwenstandbild errichtet habe; wahrscheinlich auch, weil natürlich, daß schon vor dieser Zeit, sobald nämlich seine Macht und sein Ansehen zu wachsen begann, die für eine glänzendere Hofhaltung erforderlichen Gebäude, wie der Pallas, die Kemenaten und die Doppelkapelle, entstanden sind, während die alte Stiftskirche in der Burg, wie dies auch nach den fast übereinstimmenden Berichten aller Chronisten außer Zweifel steht, erst im Jahre 1173, nach der Rückehr Heinrichs aus dem gelobten Lande, dem neuen Dome hat Platz machen müssen. -- Die Bezeichnung Dankwarderode scheint seitdem nicht mehr üblich gewesen zu sein, wenigstens kommt sie in den hier ausgestellten Urkunden nicht mehr vor, die vielmehr datirt sind »in palatio nostro, in domo nostra, in keminata nostra, in pyrali, in coenaculo nostro Brunswich.« (Vgl. Leiste im Br. Magazin v. 24. Mai 1788 S. 329; Orig. Guelf. III 5. 691, 695 u. 713.)

 

17. Pruß a. a. O. 133 und Note 3.

 

18. Ebenda S. 140 und 475 (Urk. No. 7). Auf einen Hoftag darf nach der Ausführung Weiland's (Das sächsische Herzogthum unter Lothar und Heinrich dem Löwen S. 141) aus der Anwesenheit der hier genannten Bischöfe, Aebte, Grafen und anderen edeln Herren geschlossen werden.

 

19. Pruß a. a. O. S. 187.

 

20. Ebenda S. 204.

 

21. Ebenda S. 214.

 

22. Ebenda S. 242. Heinrichs erste Ehe mit Clementia von Zäringen war unter dem Vorwande zu naher Verwandt- schaft im November 1162 zu Constanz gelöst.

 

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23. Pruß a. a. O. 265 u. 276.

 

24. Ueber den Bau und die Ausstattung des Domes vgl. Bothmann in Westermanns Monatsheften, Jahrg. 1861 S. 546 ff.

 

25. Eine ausführliche Schilderung der letzten Tage Heinrichs liefert sein Zeitgenosse, Probst Gerhard von Stederburg (Monum. Germ. XVI 5. 423 ff.).

 

26. Braunschw. Reimchron. V. 6509–27, a.a.O. S. 540:

 

»Sich hatte dhe zit getragen
unz zo dhen zinkestagen,
nach gotes bort zvehundert jar
dhusent nuhene gar,
dho bot dher koninch zo Bruneswich
eynen hob aller eren rich.
dha men kleyne vursten miste,
dhe men an dhem riche wiste,
se ne quamen dha algeliche
mit grozer zucht vil herliche
und mit grozen eren,
daz mögen zugen dhe dha weren,
we richliche iz allez irginc,
we scone men dha untphinc
dhe vursten und ir gesinde
und dhe hohebornen kinde,
dhe zo dhem hobe quamen
dhe ich nicht al bi namen
kan genennen wol.«

 

Arnold v. Lübeck (Chron. Slavorum, bei Leibnitz, Script. II S. 740 f.) nennt als Theilnehmer dieses Festes den Erzbischof Albrecht von Magdeburg, die Bischöfe von Hildesheim, Halberstadt, Merseburg und Havelberg, die Aebte von Corvey und Werden, Bernhard Herzog von Sachsen, Landgraf Hermann von Thüringen, die Markgrafen Friedrich von Meißen, Konrad von Landsberg und Albert von Brandenburg, Otto's Brüder, Pfalzgraf Heinrich und Wilhelm von Lüneburg, neben einer großen Anzahl von Grafen, Rittern und edlen Herren, und erzählt ferner, wie Herzog Bernhard, während alle Anwesende in fröhlicher Laune waren, den ehernen Löwen auf dem Burghofe betrachtet und endlich gesagt habe: "Wie lange wendest du den geöffneten Rachen gen Morgen? Laß ab davon, längst hast du, was du begehrtest, kehre dich nun gen Mitternacht!" »Mit diesen Worten brachte er Alle zum Lachen. Manche jedoch legten denselben einen tiefern Sinn unter und hatten ihr Wunder daran.«

 

27. Braunschw. Reimchronik V. 6550--58, 6912-19, (a. a. O. S. 541 u. 545).

 

28. »In palatio nostro Brunswich« übertrug Heinrich 1219 dem Kloster Marienthal drei Hufen in Berkling : s. L. v. Heinemann, Heinrich von Braunschweig, Pfalzgraf bei Rhein S. 326. Aus Braunschweig, ohne Zweifel also ebenfalls von der Burg, datiren unter den ebd. S. 319 ff. abgedruckten 29 Urkunden nicht weniger als 10.

 

29. Braunschw. Reimchron. V. 7479--7523 (a. a. O. S. 552); Niedersächs. Weltchronik (bei Abel, »Sammlung« etc. S. 158) und Cronecken der Sassen (bei Leibnitz, Script. III S. 361). Vgl. Dürre, a. a. O. S. 96 ; Hänselmann, Urkundenb. der St. Br. I S. 3 u. Chron. der deutschen Städte VI Einl. S. XXIX.

 

30. Ausführlicher schildert dies Ereigniß die Braunschw. Reimchron. V. 7740--70 (a. a. O. S. 555). Die Verse:

 

so begint an ruwelichem galme
brinnen dhes herzogen pallas
und svaz dhazo gebuwet was
von kemenathen richer last,
so daz dhe brut iren leben gast,
dhen koninc, kume uz dhem vüre brachte,
went in dhe vromdhe unkundich machte

 

ergeben, daß der Pallas und die Kemenaten vom Feuer ergriffen wurden, zugleich aber auch, daß die Anordnung der Räume und ihrer Ausgänge wenig übersichtlich war. Vgl. Cronecken der Sassen (bei Leibnitz, Script. III S. 366). Daß König Wilhelm sich derzeit öfters in Braunschweig aufhielt, ist urkundlich bezeugt: s. Dürre, a. a. O. S. 101.

 

31. Braunschw. Reimchron. V. 7887 ff. (a. a. O. S. 557):

 

von Bruneswich herzogen Otten kint
levz buwen an dher borch,
an milte harte unkorch,
gheseze und gebuwe
an menger sconheyt nuwe.

 

32. Ebend. v. 7881 ff.:

 

Darnach dher vurste hoheboren
machete eyne hochzit
zo Bruneswich, so men git,
uf sente Margareten tach.
svaz ich von hochzit ê ghesprach,
daz ist alloz gar eyn wint.

 

Und V. 7906 ff.:

 

wart ê ghetan herlicher
hochzit an Saxen noch richer,
dhes han ich nicht irkoren.
dha nam dher vurste hoheboren
von sinem oheyme wert,
dhem marchreven, daz svert.
und wart selbe ritter an dher stunt.

 

Dürre (a. a. O. S. 102 Note 2) macht auf den Irrthum Rehtmeiers (Chronik S. 492) und Anderer aufmerksam, als gehe aus diesen Berichten hervor, daß Herzog Albrecht sich damals mit Elisabeth, der Tochter Heinrichs III von Brabant und der Sophia von Thüringen, vermählt hätte. Hiervon steht nichts da: der Chronist beschreibt die achttägigen Festlichkeiten der Ritterweihe Albrechts, meldet weiter das große Brandunglück, welches am 22. Juli 1254 die Stadt Braunschweig betraf, und erwähnt dann kurz und ganz beiläufig, Albrecht habe eine Jungfrau von hoher Geburt, Elisabeth, »sente Elyzabeten tochterkint«, zum Weibe genommen, wonach denn zu vermuthen ist, daß seine Vermählung gar nicht in Braunschweig stattfand.

 

33. Rehtmeier, Chronik S. 593; Ribbentrop, Beschreibung der Stadt Br. I S. LVI; Schröder u. Assmann, Die Stadt Braunschweig II. Abth. S. 198 ; Dürre a. a. O. S. 129.

 

34. Niedersächsische Chron. bei Abel S. 218; Cronecken der Sassen (bei Leibnitz, Script. III S. 403).

 

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35. Rehtmeier, Chronik S. 752.

 

36. Ebend. S. 750 und Rehtmeier, Zusammenkünfte großer Herren etc. S. 21 u. 22.

 

37. "In demsulften sommer (1488) do bat hertoghe Wilhelm dussen Hollant to gaste, darto de xxiiii unde de vulmechtigen alle, so dat se scholden komen to der maltiit uppe dat moshus in de borch", berichtet das Schichtbuch, Chroniken der deutschen Städte XVI S. 376. Etwas abweichend das Schichtspiel V. 1568 ff.: ebend. S. 152.

 

38. Rehtmeier, Chronik S. 855. Von Interesse sind einige Urkunden- und Chronikenstellen, in denen einzelner Theile des Burgcomplexes Erwähnung geschieht. So heißt es in dem Theilungs-Recesse der Herzöge Magnus und Ernst vom Jahre 1345: »Vortmer bekenne we, dat we hertoge Magnus unde hertoge Ernst unse broder unde unse rechten erven dat moushus in der borch to Bruneswich unde de kemenaden de twischen deme moushus unde sinte Blasius kore lit, dar men von geyt uppe sinte Peteres kappellen, entsament beholden scullen« (nach dem Originale im Herzogl. Landes-Hauptarchiv zu Wolfenbüttel). -- » Darna des dinsedaghes na unser leven ffruwen daghe der lateren (1413 Sept. 12) ghinghen de Rad uppe dat moshus boven dat dor unde wardeden des daghes « (mit den Stiftsherren, welche damals, im sogen. »Pfaffenkriege«, mit der Stadt arg verfeindet waren): »Papenbok« in den Chron. der deutschen Städte XVI S. 37. -- Als 1491 Herzog Wilhelm der jüngere die Regierung an seine Söhne Heinrich und Erich abtrat, bedang er sich aus: »dat wy vor unns de tit unses levendes beholden de herberge, wanner uns gelustet, dat wy to Brunswigk riden wolden, den hof darsulves mit kameren, stellen und aller nottorft« (Erath, Erbtheilungen, S. 39).

 

39. Winkelmann, Stamm- und Regentenbaum etc. (1677) S. 258; Curieuser Braunschweig-Lüneburgischer Geschichtskalender vom Jahre 1699 S. 10. -- Ribbentrop, Beschreibung der Stadt Braunschweig sagt S. 102: »Dieses Schloß war durch Feuersbrünste fast ganz zu Grunde gerichtet. Alles darin befindliche Holzwerk war durch die Flammen verzehrt, selbst das Mauerwerk geborsten und von einander gesprungen.«

 

40. Ueber den Zustand der fürstlichen Wohngebäude in der Burg giebt ein Schreiben des Rathes zu Braunschweig vom 4. März 1581 einigen Aufschluß. Der Rath meldet bei der Kanzlei in Wolfenbüttel an, daß vergangenen Donnerstag in der Nacht ein Stück Mauer »nach dem Löwen werts am fürstlichen Moßhause« eingefallen sei. »Da nun, wie berichtet, die Mauer nach dem Wasser zu nicht besser und ihr Einfall zu besorgen, durch solchen Einfall aber -- da Gott vor sei -- sowohl den Nachbarn an ihren Wohnhäusern als auch der Burgmühle ein trefflicher Schaden geschehen, ja auch Menschen verunglücken könnten«, so bittet er, den gnädigen Fürsten davon mit Ansuchung baldiger Abhülfe zu verständigen. Sacks handschriftl. Urkundensammlung im Stadtarchiv, Heft 30 5. 457.

 

41. Rehtmeier, Chronik S. 969.

 

42. Ebend. S. 1066.

 

43. Bege, Der Roland in Braunschweig (Vaterländisches Archiv des histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1836 S. 123). Der Streit zwischen dem Herzoge und den Brüdern v. Bartensleben wurde durch einen Vergleich vom 12. Mai 1591 beigelegt.

 

44. Rehtmeier, Chronik S. 1066. Auch sonst wurden manche Dispositionen des Herzogs über die Burg von Stadt wegen hintertrieben. Als er, nach B. Völkerlings handschriftl. Chron. (im Stadtarchive) S. 321, das neue Burgthor, nach Rehtmeier a. a. O. »das noch übrige alte Gebäude an S. Gertruden Capelle belegen« dem Buchdruker Jacob Lucius aus Helmstedt zur Anlegung einer Druckerei einräumte, ließ der Rath dieselbe, unter Berufung auf seine Gerechtsame, wieder schließen. Aehnlich ging es mit der Steinkohlenniederlage, die der Herzog in der Burg einzurichten gedachte, indem der Rath die Anrichtung eines Marktes zu verhindern wußte.

 

45. Rehtmeier, Chronik S. 1252 (vergl. S. 1394): »Nach verrichteter Huldigung (1616) hat Herzog Friedrich Ulrich die Burg Danckwarderode, so hernach das Moeshaus genant, und wegen einer entstandenen Feuersbrunst ruiniret gewesen, wiederum zu bauen angefangen, u. vornemlich das berufene Monument des ehernen übergüldeten Löwens . . . . . von neuen auf ein hohes breites Pyramiden-Mauerwerck von großen Quatersteinen wieder aufrichten . . . . . . lassen« etc.

 

46. Rehtmeier, Chronik 5. 1425. -- Herzog August ließ auch im Jahre 1640 den »ohnedem nur im Wege liegenden« Finkenberg abtragen. Die hierdurch gewonnene Erde wurde zur Erhöhung der niedrigen Stellen des Burgplatzes benutzt, wo nach Olfen a. a. O. I Cap. 2 der Herzog damals ein Ringelrennen zu veranstalten gedachte. Diese Ausbesserungen mögen um so nöthiger gewesen sein, als der Burgplatz schon seit geraumer Zeit zum Ablagerungsort für Hauskehricht und andern Unrath gedient hatte. Schon Herzog Friedrich Ulrich beschwerte sich im Jahre 1634 bei dem Rathe der Stadt, daß der fürstliche Burgplatz und andere Orte daselbst mit todtem Aas, Auskehricht und allerhand Unflat so überschüttet werde, daß er fast einer Schindgrube nicht unähnlich sehe. (Sack, Der eherne Löwe auf dem Burgplatze und seine Jubelfeier nach 700 Jahren, Braunschw. Magazin 1866, Stück 31 u. 32 S. 320.) In jenem von Herzog August neu eingerichteten Gebäude ward vor der Hand, wie es scheint, die Bibliothek aufgestellt, welche derselbe mit großer Mühe und unter den schwierigsten Verhältnissen zusammengebracht hatte (s. O. v. Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel. S. 15). Denn seine Wohnung hatte der Herzog, gleich seinem Vorgänger, auf dem grauen Hofe eingerichtet, während die Kanzlei sammt dem Hofgerichte in dem Kapitelhause des Domstiftes untergebracht wurde (Rehtmeier, Chron. S. 1409). Vorübergehend diente das Gebäude, auf welches der Name »Moshaus oder Mosthaus« übergegangen war, fremden fürstlichen Personen als Absteigequartier, so im Jahre 1643 dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (Rehtmeier, ebend. S. 1435). --

 

47. Rehtmeier, Chronik S. 1517.

 

48. Sturm, Architektonische Reise-Anmerkungen, Augspurg 1719, Th. VI S. 13: »Wie der jüngere Herr Bruder (Anton Ulrich) von beiden gemeinschaftlich regierenden Herrn in diesem Hofe (»Mosthoff«), der ältere (Rudolph August) aber auf dem grauen Hofe logieret, so soll auch auf diesem des itzt regirenden Herrn Durchl. (August Wilhelm) logiren, wenn er

 

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nach Braunschweig kömmt, auf jenem aber dessen Herr Bruder (Ludwig Rudolph), welcher vor itzo zu Blankenburg residiret.«

 

49. Winkelmann, Stamm- und Regentenbaum S. 268: »Damit auch die Herzogen, Herr Rudolph Augustus und Herr Anthon Ulrich, diese Statt in grösern Flor bringen möchten, haben sie nicht allein zu Aufnehmen dieser Statt, sondern des ganzen Landes, zu Beforderung Handels und Wandels, und Vermehrung der Einwohner allerhand Manufacturen angerichtet. Die beyde Herrn Gebrüdere streiten gleichsam unter einander, welcher unter ihnen den Vorzug eines guten Haußhalters und Bauverständigen haben, und ob der Grauenhof oder das Moeßhauß, oder dieses eine bey so vieler Herrn Ankunft an bequemen Gemächern und Ausstaffirung übertreffen möchte.« (Sic!) Wenigstens die damals vorgenommenen baulichen Veränderungen sind hier angedeutet. Vgl. Rehtmeier, Chron. S. 1526.

 

50. Olfen, Chronik I Cap. V.

 

51. Dies dürfte aus Rehtmeiers Angabe (Chron. S. 1557) zu folgern sein, daß die zu Ehren der Geburtstagsfeier König Carls III von Spanien (des spätern deutschen Kaisers Carl VI und Gemahls der braunschweigischen Prinzessin Elisabeth Christine) in Braunschweig anwesenden hohen Herrschaften, nachdem sie der von Anton Ulrich am 1. October 1708 »angestellten Festivität im Opern-Hause« beigewohnt und gegen 9 Uhr Abends die Illumination der Stadt in Augenschein genommen, »sich wiederum nach der Burg in dero Residenz« begeben hätten, wo dann mit einem »Kunst-Feuer« die Festlichkeiten dieses Abends beschlossen wären. Das kleine Mosthaus wird vornehmlich von fürstlichen Personen als Absteigequartier benutzt sein. Hier im Zimmer seiner Schwester, der Aebtissin von Gandersheim, der er einen Besuch abstatten wollte, geschah es auch, daß Anton Ulrich im Februar 1706 einen unvermutheten und schweren Fall that, der ihn nöthigte, auf längere Zeit das Bett zu hüten (Rehtmeier, Chronik S. 1548).

 

52. Der Bau desselben fällt in die Zeit von 1716--1721.

 

53. Le Musthus est le Palais de Son Altesse Serenissime Monseigneur le Duc Louis Rudolphe, et celui de Son Altesse Serenissime Monseigneur le Duc de Bevern le joint. Ce sont des Edifices nouveaux, qui contiennent des apartements considerables pour les Cours de ces deux Princes. (Description de la Ville et du Pais de Brunsvic, 1720.) Vgl. auch Anmerkung 49. und Braunschw. Post-Zeitung No. 64 vom 21. April 1731. Ferdinand Albrecht, Schwiegersohn Ludwig Rudolphs und Vater Carls I, gehört der bevernschen Seitenlinie an, die nach Ludwig Rudolphs Tode zur Landesregierung gelangte. Carl I erblickte im Mosthause am 1. August 1713 das Licht der Welt (Görges, Der Blasiusdom zu Braun- schweig S. 78).

 

54. Auch wurde dem aus Petersburg berufenen Adepten Wiel ein Laboratorium auf dem Mosthause eingeräumt (Handschriftl. Collectanea zur Braunschweigischen Geschichte in der Landschaftlichen Bibliothek S. 501).

 

55. Görges, Vaterländische Geschichten und Denkwürdigkeiten, 2. Auflage, bearb. von Spehr, Th. 1 S. 124.

 

56. Ebd. S. 80.

 

57. Görges, Vaterländische Geschichten etc. S. 22; Steinmann, Die Kunstkammer Herzog Ferdinand Albrechts 1 und die Gründung des herzoglichen Museums, Br. Magazin 1868 Stück 1.

 

58. Ribbentrop, Beschreibung der St. Br. S. 217 f.

 

59. Görges, Vaterl. Geschichten S. 22; Schröder u. Assmann, Die Stadt Braunschweig S. 200; Sack, Erinnerungsblatt; Schiller a. a. O, S. 61.

 

60. Das kleine Mosthaus ließ Herzog Carl II im Jahre 1825 zum Cadettenhause einrichten. Nach Aufhebung dieser Anstalt im Jahre 1847 überwies Herzog Wilhelm dasselbe dem Officiercorps als Clublocal. Seit 1862 besteht darin auch die Officier-Speiseanstalt. Der Verbindungsgang zwischen dem ehemaligen Ferdinandsbau und dem kleinen Mosthause wurde bald nach Einrichtung der Kaserne im großen Mosthause wieder beseitigt. Während der französischen Occupation war auch der eherne Löwe auf dem Burgplatze in Gefahr gerathen, durch Denon nach Paris entführt zu werden. Geheimrath v, Wolffradt schrieb unterm 22. December 1806 an den Landdrosten v. Schrader in Wolfenbüttel: »Von dem egyptischen Löwen höre ich so viel, daß mir anfängt für ihn bange zu werden.« Er entging diesem Schicksale nur dank dem energischen Auftreten des Regierungsrathes, nachmaligen Präfecten des Okerdepartements, Henneberg, der auf diesen Fall einen Aufstand in Aussicht stellte: Schiller a. a. O. S. 9; Sak, Der eherne Löwe etc. a. a. O. 322.

 

61. Den Abbruch der Mauern des Ferdinandsbaues hat Verfasser d. B. geleitet; die dabei aufgefundenen, architektonisch merkwürdigen Bruchstücke, welche weiterhin zu besprechen sind, wurden dem städtischen Museum überwiesen.

 

62. Durch Vertrag des Magistrats mit dem Militair-Fiscus vom 22. Mai 1878. Der Kaufpreis des Gebäudes sammt dem dazu gehörigen Areal wurde auf 105000 Mark vereinbart.

 

65. Mehrere der Pfeiler zeigen in ihren unteren Theilen bis auf etwa 1,5 Meter Höhe starke Brandschäden. Das über dem südlichen Pfeiler senkrecht aufsteigende Mauerwerk ist offenbar kein ursprüngliches, wonach denn zu vermuthen, daß die Bogenstellung nach dieser Seite hin um mindestens noch ein Joch weiter fortgeführt war. Der Bogen zwischen der nördlichen Außenmauer und dem nächstgelegenen Pfeiler wurde erst 1870 bei Einrichtung von Arrestlocalen beseitigt. Mit dieser baulichen Veränderung erfolgte auch die Anlage des mittlern und des westlichen Fensters in beiden Geschossen der Mauer, desgleichen je einer kleinern eintheiligen Fensteröffnung in beiden Geschossen der Ostmauer nächst dem nördlichen Giebel. Im Schlußstein jedes Bogens befindet sich eine mit Blei eingegossene Krampe und in dieser ein beweglicher Ring. Der Art und Weise der Befestigung nach muß diese Vorrichtung, welche zur Aufhängung von Lampen oder Laternen gedient haben mag, den Schlußsteinen vor ihrer Versetzung, also ursprünglich, eingefügt sein.

 

64. Nach der chemischen Analyse des Herrn Dr. Grote besteht das Gestein aus krystallinisch-kohlensaurem Kalk mit sehr geringem Magnesiagehalt, und ist aus einzelnen parallelen, 1 bis 2 mm starken, hellbraunen Schichten zusammengesetzt, die durch äußerst zarte Ablagerungen eines stark eisenhaltigen und deshalb dunkler gefärbten Thones von einander getrennt sind.

 

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Fig. 65. Der Römerkanal bei Katzfei.

 

 

 

Fig. 66. Der Römerkanal bei Kreuzweingarten.

 

65. S. v. Strombeck, Ueber die Fenstersäulen in der Burg Dankwarderode, Braunschw. Anzeigen 1881 No. 185; Nöggerath, Zur architektonischen Mineralogie der preußischen Rheinprovinz im Archiv für Mineralogie etc. von Karsten und Dechen, Bd. 18 und Die Marmorgewinnung aus den römischen Wasserleitungen in der preußischen Rheinprovinz, in Westermanns Monatsheften 1858 S. 165. Aus den an letzterer Stelle gegebenen und hier eingefügten Abbildungen (Figg. 65 u. 66) der Querprofile des Römercanales erhellen auch die Formen und Dimensionen der Ablagerungen des Kalksinters.

 

66. S. v. Strombeck, Ein neuer Fund von Sinter der römischen Wasserleitung, Braunschw. Anzeigen von 1881 No. 268. Nach v. Strombeck's Angaben sind aus Sinter des Römercanales in sächsischen Landen außer den hiesigen Säulen nachweislich hergestellt die Irmensäule im Dome zu Hildesheim, eine Altarbekleidung aus der Kreuzkirche daselbst, wovon Ueberreste im dortigen städtischen Museum aufbewahrt werden, und einige Plattenstücke von St. Ludgeri bei Helmstedt. Mögen auch, wie v. Strombeck zu glauben geneigt ist, die für kirchliche Zwecke aus dem Gestein gefertigten Gegenstände durch Vermittelung der Geistlichkeit von dem rheinischen Fundorte in die hiesige Gegend transportirt sein, so wäre in dem hier vorliegenden Falle doch wohl denkbar, daß Herzog Heinrich selbst die Beschaffung dieses Materiales befohlen habe, und zwar als er im Jahre 1152 den zum Könige erwählten Friedrich I von Frankfurt ab zu Schiff auf dem Main und Rhein nach Sinzig und von dort nach Aachen zur Krönung begleitete, wobei er nicht nur die Linie des Römercanales überschreiten mußte, sondern vielleicht auch Gelegenheit fand, das zu Bonn damals im Bau begriffene Münster, an dessen Ostchore ebenfalls Säulen aus diesem Gestein angebracht sind, und den Fundort des Materials selbst in Augenschein zu nehmen.

 

67. Die bei Untersuchung des Bauwerks aus den verschiedenen Mauern entnommenen Mörtelproben sind, unter Angabe des Fundorts, zu einer Sammlung vereinigt und werden im städtischen Museum aufbewahrt.

 

68. Vgl. Anmerkung 41.

 

69. Ueber die Klosterkirche St. Michaelis zu Hildesheim s. Hase, Die mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens, Heft 1 S. 18 f. S. 26 und Taf. 5 Figg. 1 u. 2; Moller-Gladbach, Denkmäler der deutschen Baukunst Bd. III S. 10 Taff. 45, 46 u. 47; Mithoff, Kunstdenkmale im Hannoverschen, S. 126 f.; Otte, Geschichte der deutschen Baukunst, S. 150 u. 161. Ueber die Godehardikirche zu Hildesheim Hase a. a. O. Heft 1 S. 1 f. Taf. 2; Lübke, Geschichte der Architektur (1865) S. 309; Otte a. a. O. S.553 f.; Mithoff a. a. O. S.142. Ueber die Stiftskirche zu Königslutter Hase a. a. O. Heft 2 S. 38 f. Taf. II; Otte a. a. O. S. 539 f. Herzog Heinrich der Löwe war »des Stiftes Edler Voigt«. Ueber den Capitelsaal der Klosterkirche zu Ilsenburg vergl. Puttrich, Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen Abth, II Bd. II Serie Stolberg S. 9, Taf. 5 u. 7a; Hase a. a. O. Heft 5 S. 151 f. Taf. 37 Figg. 4--10. Große

 

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Verwandtschaft mit den Ilsenburger Säulen haben die im Capitelsaale des ehemaligen Aegidienklosters zu Braunschweig. Ueber den Kreuzgang der Stiftskirche zu Gernrode am Harz vergl. Puttrich a. a. O. Abth. I Bd. I Serie Anhalt S. 46 u. Taf. 26; Otte a. a. O. S. 120, Ueber die Klosterkirche zu Drübeck Puttrich a. a. O. Abth. II Bd. II Serie Stolberg S. 11 u. Taf. 7b ; Hase a. a. O. Heft 5 S. 141f. u. Taf. 34 Figg. 1 u. 2. Ueber die Vorhalle des Domes zu Goslar Mithoff a. a. O. Bd. 3 S. 42; Abbildung bei Mollor-Gladbach III Taf. 1--3; Otte a. a, O. S. 567. Ueber die Krypta der ehemaligen Klosterkirche zu Riechenberg zu Goslar Hase a. a. O. Heft 2 S. 53 f. u. Taf. 13 u. 14. Ueber die Klosterkirche zu Bursfelde bei Münden a. d. W. Hase a. a. O. Heft 3 5. 73f. u. Taf. 18. Ueber die Schloßkapelle zu Landsberg Puttrich a. a. O. Abth. II Bd. II Serie Halle S. 28 f. u. Taff. 14--18. Ueber die Ruinen der Klosterkirche zu Burghasungen in Hessen Hase a. a. O. Heft 4 S. 129f. u. Taf. 30. Ueber die Stiftskirche zu Wunstorf Hase a. a. O. Heft 6 S. 165 f. u. Taff. 42, 43, 44; Otte a. a. O. S. 571 f. Ueber die Kirche zu Idensen Hase a. a. O. Heft 4 S. 133 f. u. Taf. 32 Fig. 9.

 

70. Als charakteristische Bauwerke aus der Zeit vor und nach dieser Periode sind noch anzuführen in Braunschweig der östliche Giebel des Gewandhauses (begonnen 1589); das Martineum am Bankplatze (1592--95); die »Goldene Rose« am Kohlmarkte (1604); das Portal des ehemaligen städtischen Zeughauses hintern Brüdern (1604); das Grabmal des Fähnrichs v. Rauchhaupt an der Nordseite der Martinikirche (1619); die Bürgerschule auf der Wilhelmstraße, früher v. Kalm'sches Haus (1619); das Haus auf der Reichenstraße No. 3 (1630); das Bartels'sche Haus an der Martinikirche No. 5 (1650); die Hagenmarkts-Apotheke (1677); das von Stechinelli im Jahre 1690 errichtete Haus auf dem Altstadtmarkte No. 8; in Wolfenbüttel das Zeughaus am Schloßplatze (1617) und die Marienkirche (1604 --1660).

 

71. In Lehm gelegte Fundamente sind bei mittelalterlichen Bauten keine Seltenheit. Ein Beispiel die St. Godehardikirche in Hildesheim. Als Ursache dieser Constructionsweise dürfte die Schwierigkeit der Beschaffung des nöthigen Kalkes anzusehen sein.

 

72. Orig. Guelf. II 520; Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Beilagen S. 34; Dürre a. a. O. S. 58 u. 674.

 

75. Dgl. Dürre a. a. O. S. 17 ff.; Hänselmann, Braunschweig in seinen Beziehungen zu den Harz- und Seegebieten (Hansische Geschichtsblätter, 5. Jahrg. S. 4 f.).

 

74. Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S. 112; Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit II S. 392.

 

75. Vgl. Seite 4 u. Note 12.

 

76. Vgl. Bethmann, Die Gründung Braunschweigs, in Westermanns Monatsheften Band X S. 536.

 

77. Braunschw. Reimchron. a. a. O. S.495 V. 2825--27.

 

78. Ueber den Bau und die Einrichtung mittelalterlicher Burgen vgl. H. Leo in F. v. Raumers historischem Taschenbuche 8. Jahrg. (1837) S. 165 ff.; Alw. Schulz, Bau und Einrichtung der Hofburgen, und Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger Bd. I; Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S.257 u. 678; Krieg von Hochfelden, Geschichte der Militair-Architektur; Du Caumont, Abécédaire ou rudiment d'archéologie S. 325; Viollet-le-duc, Dictionnaire raisonné de l'arichitecture française unter Architecture militaire, Château, Palais, Salle, Tour etc. und desselben Dictionnaire raisonné du mobilier Bd. I S. 358 ff.

 

79. Im Jahre 1187 erwarb das Kloster Stederburg den Zehnten vom Allod des Herzogs in Thanquarderoth, welches an die magna curia grenzte (Monum. Germ. XVI S. 220). Vgl. Dürre, Die Wüstungen um Braunschweig (Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen 1869 S. 82 f.).

 

80. Die Croneken der Sassen (bei Leibnitz, Script. III S. 355) berichten zum Jahre 1199: »De Sack was da neyn wichbelde, dat was eyn vorbleck vor der borch.« Dieses fünfte und letzte Weichbild der Stadt erwuchs im Laufe des 13. Jahrh.: vgl. Hänselmann in den Deutschen Städtechroniken VI Einl. S. XIX.

 

81. Das erste Degedingebuch des Sackes erwähnt dieses "borchdors" 1356: Dürre a. a. O. 675 Note 12. Vgl. Bethmann a. a. O. S. 544, auch oben S. 11 und Note 43.

 

82. Nach urkundlichen Nachrichten (bei Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Suppl. S. 59) lag der Küchenhof, als dessen Besitzer 1312 der Ritter Ludolf v. Veltheim genannt wird, auf der nordöstlichen Ecke des Burggebiets, da wo der Burggraben sich der Oker wieder zuwendet. Daß mit dem Besitze dieses Hofes das Erbküchenmeisteramt verbunden gewesen sei, wird von Köhler, Histor. Nachricht von den Erb-Land- u. Hof-Aemtern des Herzogth. Braunschweig u. Lüneburg S. 16 f. bestritten.

 

83. Bethmann a. a. O. S. 544.

 

84. »Hier -- neben dem Burgthore --- stand noch im Jahre 1569 das Zeichen des Gerichtsbanns, der Roland, an der Stelle, welche die von Bartensleben zu Lehn trugen. Bei ihm wurden vom Herzoglichen Vogt die Rügegerichte gehegt; beim Löwen erst später.« Bethmann in Westermanns Monatsheften 1861 S. 544. Vgl. Dürre a. a. O. S. 677 Note 27 (nach Urkunden der Martinikirche No. 272, 273 vom Jahre 1517); Sack im Vaterl. Archiv 1847 S. 224 und Braunschw. Magaz. 1817 S. 679. Von der muthmaßlichen Bedeutung der Rolandssäulen handelt ausführlich Heinr. Zoepfl, Die Rulandssäule etc.

 

85. Vgl. Schiller, Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs S. 7 ff. -- »Wie Karl der Große in seiner Kaiserpfalz zu Aachen vor der Münsterkirche das Erzbild der römischen Wölfin und auf den Giebeln des Palastes den Adler, die beiden Zeichen der Weltherrschaft aufgerichtet hatte, so stellte Heinrich in seiner Burg an gleicher Stelle sein Zeichen auf, den ehernen vergoldeten Löwen, ein Symbol nicht seines Amtes, auch nicht der Gerichtsbarkeit, wie man gemeint hat, sondern seines Namens, seiner Macht, seiner Unabhängigkeit auf eigenem Boden, dem angestammten und den sein Schwert ihm erworben. Ein stillschweigendes Gegenstück zu dem Zeichen des Reichs, und zugleich Drohung gegen seine Feinde, Anspielung auf den Namen "Löwe", den das Volk ihm gegeben, und auf seinen Stammesnamen Welf, ein Bild der Kraft und königlichen Stärke, ist dieser eherne Löwe zugleich das älteste Beispiel der Devisen und Wappen, die nachher die Gedanken der Menschen so viel beschäftigt haben.« Bethmann a. a. O. -- » De denne leve de see, dat de lowensten nicht ne valle«, ließ 1332 der Rath des Sackes in sein

 

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Degedingebuch schreiben: Beweis, daß der Löwenstein in diesem Weichbilde, dem distinctum oppidum, speciale judicium der Herzöge, zugleich für das Symbol städtischer Gerechtsame galt. Als im Juni 1858 das Postament aus der Zeit Herzog August Wilhelms zu Behuf einer Erneuerung gänzlich abgebrochen wurde, fand man unter der Plinthe des Löwen einen Stein mit einer defecten Inschrift eingemauert, von der Dr. Karl Schiller ein annäherndes Facsimile nahm, bevor der Stein -- leider! -- die Inschriftseite nach unten, von neuem eingemauert ward. Hoffmann von Fallersleben versuchte (in No. 1186 des "Hannöverschen Courier" vom 27. Juli 1858) das Fragment durch Conjectur zu ergänzen, wonach denn die Inschrift etwa die Gestalt gehabt haben müßte, welche nachstehende, Vorhandenes und Gemuthmaßtes unterscheidende Zeichnung

 

Abb.

 

wiedergiebt. Die Ergänzungen der ersten Zeile und zu Anfang der zweiten fügen sich räumlich bequem in das Gegebene ein, desgleichen die zu Ende der dritten und zu Anfang der vierten; nicht so aber die zu Ende der zweiten und zu Anfang der dritten, da nach Schillers Facsimile die beiden H in HAT Zl. 2 und HEILIGE Zl. 3 senkrecht zu einander stehen müßten. »Die Schrift ist alt, die Sprache aber giebt einen sicherern Halt als die Schrift«, und sie »weist auf das 13. oder 14. Jahrhundert. Auffallend, daß die Inschrift hochdeutsch ist, doch bricht niedersächsischer Einfluß mitunter durch,« sagt Hoffmann. Was er dann aber hinzufügt: »Der Stein gehörte offenbar nicht zu dem Löwendenkmale, sondern zu einer Gerichtsstätte auf demselben Platze«, ist hinfällig: daß die Bürger des Sackes in jener Zeit am Löwenstein zu Gericht gingen, steht außer allem Zweifel.

 

86. Die Lage des fürstlichen Gartens, der Pforte daneben, des Grashofes und des über die Oker nach dem Hagen führenden Fußsteges ergiebt sich aus folgenden Nachrichten. Herzog Albrecht verehrte 1293 der Vicarie St. Johannis ein kleines Haus, neben der Pforte des Schulsteges und dicht am fürstlichen Garten belegen: quandam domunculam, que est sita immediate juxta portam videlicet, per quam itur ad vialia que dicuntur scolsteghe vulgariter, et annexa nostro viridario juxta portam (Ordinarius St. Blasii fol. 34 No. 40). 1295 schenkte er dem Vicar des St. Bartholomäus-Altars außer dem Platze an der Mauer des fürstlichen Gartens noch einige kleinere Bauwurten. Das darauf errichtete Gebäude soll dicht an der vormaligen Langenhofsbrücke gestanden haben (Schmidt, Entstehung der Vicariats-Präbenden, im Braunschw. Magaz. 1817 S. 595). Herzog Magnus ertheilte 1348 seinem Speisemeister, "spisere", Otraven von Bodenrode die Erlaubniß zur Verpfändung eines Hauses, "dat by dem hogen grashove tigen sente Blasius hore gelegen is" (Sudendorf, Urkundenb. II S. 149 No. 266). Herzog Friedrich verkaufte 1381 dem Vicar Berthold v. Northem auf Lebenszeit "use voghehus dat by useme hove gebuet is twischen twen pyleren an der muren uses hohen grashoves in der borch to Brunswich". Herzog Bernhard schenkte 1422 dem Vicar des Altars St. Pauli in der Kluft der Stiftskirche »ein Haus zwischen zwei steinernen Säulen dicht am Thore unseres Hofes, wo man ein- und ausgehet und welcher in unserer Muttersprache "des hertogen hoff" heißt, gerade dem Friedhofe von St. Blasii gegenüber belegen ist und gleichsam mit unserm erhöht aufgemauerten Garten (alto lapideo viridario) in Verbindung steht« (Sack, Urkundensammlung Heft 21).

 

87. Die Lage des Jägerhofes giebt Bethmann a. a. O. S. 544 an. Daß in dortiger Gegend auch später noch der Vogelfang ausgeübt wurde, dürfte aus der Bezeichnung »Papendonenstieg« zu schließen sein, welche der südliche Theil des Bohlwegs führte.

 

88. Vgl. Excurs I.

 

89. Die Ringe in den Shlußsteinen der Arkade sind noch vorhanden. Vgl. Note 63.

 

90. Vgl. Note 78.

 

91. Dgl. oben S. 5 und Note 25.

 

92. S. Excurs II.

 

93. Vgl. Schiller, Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs S. 10 f.; Dürre a. a. O. S. 383 f.; Bethmann in Westermanns Monatsheften Bd. X. S. 545 f. Die Bibliothek Herzogl. Bau-Direction besitzt einen muthmaßlich von Beck gefertigten Kupferstich, welcher einen Grundriß der Stiftskirche St. Blasii in Braunschweig mit den Kreuzgängen sowie eine von Südwest aufgenommene perspektivische Ansicht derselben darstellt. Derselbe ergiebt, daß die der Kirche sich anschließenden Stiftsgebäude in zwei Geschossen errichtet waren. Einen ähnlichen Grundriß der Stiftskirche enthält die Sack'sche Sammlung im Stadtarchiv.

 

94. Die Annahme einer Ringmauer mit davor liegendem Erdwalle stützt sich auf folgende Nachrichten und Wahrnehmungen. Eine Urkunde Herzog Ottos vom Jahre 1333 nennt murum urbis (der Burg: Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Suppl. S. 59). Nach Cronecken der Sassen (bei Leibnitz Script. III S. 299) gab es um 1492 noch eine Burgmauer in der Nähe des Domes. An die Herren in der Burg wurde 1400 von einem Hause neben den »schernen«, den Knochenhauerscharren, worin der Büttel wohnte, und von einem Bleke daneben, welches »bis an die Mauer der Burg« reichte, 22½ Schilling Wurtzins entrichtet (Sack, Beitrag zu den archivalischen Nachrichten über die St. Gertruden-Kapelle, im vaterl. Archiv des histor. Vereins für Niedersachsen 1838 S. 203). Auch verpflichtete sich B. Binder zu einer jährlichen Abgabe von 3 Schilling an das Stift »für den Wall an der Oker hinter der Probstei« (Sack, Urkundensammlung Heft 21). Fundamente, welche unzweifelhaft der Burgmauer angehört haben, sind nächst dem Langenhofe im Garten des jetzigen Officier-Casinos, ferner am Ruhfäutchenplatze nördlich von dem alten Saalbau und im Garten des Grundstücks assec. No. 55 am Marstalle aufgefunden. Gleiche Mauerreste an der Nordseite der v. Veltheimschen Grundstücke am Burgplatze sollen erst bei den 1870 und 1871 dort ausgeführten baulichen Veränderungen beseitigt sein. Diese Mauerfragmente, einzelne Gebäudeseiten und die theils noch vorhandenen, theils aus älteren Karten entnommenen Begrenzungen der am Burggraben belegenen Grundstücke gestatten mit einiger Sicherheit auf die Lage der einstigen Ringmauer zu schließen, während der Lauf des Burggrabens,

 

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welcher erst 1798 zugeworfen wurde, aus noch vorhandenen älteren Stadtplänen erhellt.

 

95*. Die jetzt an der Ostseite des südlichen Kreuzflügels sichtbare Chornische ist erst 1859 nach Abbruch der Kreuzgänge durch Friedrich Krahe neu aufgeführt.

 

96. Nach einer Angabe im ersten Degedingebuche des Sackes S. 205 zum Jahre 1395 bestand noch ein anderes Burgthor an der Nordseite des Burgplatzes. Ribbentrop, Beschreibung von Braunschweig I S. 42 und Sack, Die Befestigungen der Stadt Braunschweig, a. a. O. S. 228, nennen es »das düstere Thor«. Mag auch später, als der Verkehr zwischen Burg und Hagen zunahm, dergleichen hier eingerichtet sein, so läßt sich doch die Existenz eines solchen Thores zur Zeit Heinrichs dos Löwen nicht erweisen. Bei den örtlichen Untersuchungen hat sich keine Spur davon vorgefunden, und ein Blick auf den Situationsplan (Bl. V u. S. 41) ergiebt, daß außer der Pforte am Schulstege (vgl. Note 16) ein zweites Thor an der Ostseite der Burg damals noch vollständig entbehrlich war.

 

97. Eine Erweiterung des südlichen Seitenschschiffes erfolgte unter Herzog Otto dem milden um 1340, die des nördlichen Seitenschiffes unter Herzog Wilhelm dem siegreichen 1469 (Schiller a. a. O. S.18).

 

98. Die Annenkapelle, 1519 durch den Stiftsprobst Wulbrand v. Oberg fundirt, verdankt ihre Entstehung der seit Ende des Mittelalters allgemeiner gewordenen Verehrung der heiligen Anna, Mutter der Jungfrau Maria. Vergl. Rehtmeier, Kirchenhistorie I S. 100; Dürre a. a. O. S. 414 f. und Knoll, in den Braunschw. Anzeigen 1882 No. 86.

 

99. Der Kornspeicher des Stifts, das granarium canonicorum, und daneben ein über den Burggraben führender Steg werden bereits in einer Urkunde von 1290 erwähnt. Urkundlich nachgewiesen ist ferner, daß dem Stege gegenüber eine Curie lag, welche am Ende des 13. Jahrhunderts von ihrem damaligen Bositzer, dem Kanoniker Kronesbeen, für 10 Mark an die Stiftsschule verkauft wurde. Später diente diese unter dem Namen »Kinderhof« oder auch »Klotzburg« bekannte Curie als Küche, Vorrathsraum und Krankenhaus für die Stiftsschüler. Dürre a. a. O. S. 408, 679 f.

 

100. Das Kornschreiberhaus soll an Stelle der nach der Reformation eingegangenen Stiftsschule errichtet sein. Görges, Der Blasiusdom zu Braunschweig S. 65.

 

101. Dürre a. a. O. S. 392.

 

102. Ebd. S. 679.

 

103. Die Lage des »hohen Hauses« und seines Nebengebäudes hat sich nach älteren Plänen nicht mehr feststellen lassen. Einigen Aufschluß darüber gewährt ein Schreiben des Herzogs August vom 22. April 1640 und ein Taxations-Protocoll vom 13. September 1664 (Sack, Urkundensammlung, Band 30 S5. 69 u. 85).

 

104. Vgl. Note 86.

 

105. Die von Sack im Braunschw. Magaz. 1845 Stück 3 entworfene Situation der zwischen der Schulstraße und dem Langen Hofe belegenen Gebäude hat eine Durchsicht der alten Stadtbücher zum Theil als unrichtig herausgestellt. Besonders gilt dieses von den im Sack'schen Plane mit assec. No. 2062 u. 2063 bezeichneten Häusern, die nicht für sich bestanden, sondern nur ein Zubehör zu den Häusorn am Bohlwege bildeten. Die ebd. S. 25 f. citirten Pläne, der Straußsche Regulirungsplan (Original in der Herzogl. Plankammer) und der Dotmer'sche Riß, die neue Straßenreinigung betr. (Original in der Plankammer der städtischen Bau-Verwaltung) geben keinen hinreichenden Anhalt.

 

106. Angedeutet findet sich dieses Thor auf dem »Eigentlichen Geometrischen Grundriß der Weldt berühmten Stadt Braunschweig, wie sie nach eroberung deroselben, so Anno 1671 den 12. Juni geschehen, befunden worden«. Das leider vielfach beschädigte Original in der Plankammer der städtischen Bau-Verwaltung. Die Bezeichnungen dieses Thors ergiebt das Hägener Stadtbuch. So heißt es dort 1591: »Nicolaus Kosens auf dem Bohlwege, das vierte Haus von dem Möncho-Thorwege«; 1670: »Heinrich Schirenberg, ein Hutmacher vor dem Dintster-thore oder Mönche-Thorwege giebt, so lange er lebt, 2 Gulden Zins.«

 

107. Ueber das Paulinerkloster vgl. Dürre a. a. O. S. 528 ff. ; Schiller, Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs 147 f.

 

108. Ueber die Burgmühle vgl. Dürre a. a. O. S. 722 Note 38.

 

109. Der fürstliche Garten, ehemals ein Zubehör des Paulinerklosters, war 1570 vom Rathe der Herzogin Hedwig, Gemahlin des Herzogs Julius, aus besonderer Verehrung überlassen. Die Herzogin übernahm die Verpflichtung, diesen Garten stets als einen Baum- und Lustgarten und das darin belegene Haus als ein Lusthaus zu gebrauchen. Die Benutzung eines daneben an der Oker belegenen Hofes, des »Gerbehofes« wurde den Gerbern vorbehalton (Schmidt im Braunschw. Magazine 1812 Stück 3). Die straßenseitige Grenze des fürstlichen Gartens und des Bürgerhauses (22 auf Bl. IX) ist nach dem Stadtplane von 1671 eingetragen, die übrigen dort gewählten Anordnungen beruhen auf Muthmaßung.

 

110. F. von Vechelde, Braunschweigische Geschichten I S. 311; Sack, Die Stadtmühlen zu Braunschweig, Braunschw. Magaz. 1848 Stück 44.

 

111. Den Gerbeplatz nebst dem umzäunten Grashofe hatte der Rath im Sacke 1437 an acht Schuhmacher in der Schuhstraße für einen jährlichen Zins von 15 Schillingen überlassen (Sack, Alterthümer S. 128).

 

112. Vgl. den Stadtplan vom Jahre 1671. Das eine dieser Häuser bewohnte der Rector der Katharinenschule; wie aus einer Klosterrechnung vom Jahre 1674 hervorgeht, muß es von dem alten Klosterkirchhofe aus zugänglich gewesen sein.

 

115. Die Bürgerhäuser im Hagenscharrn sind, mit Ausnahme der Zwischengrenzen, im Stadtplane von 1671 verzeichnet.

 

114. Der »Lange Steg« wird schon 1336 erwähnt: Dürre a. a. O. S. 722.

 

115. Vgl. Note 82.

 

116. Für die Eintragung der Gebäude auf den Küchenhöfen hat der in Herzoglicher Bibliothek zu Wolfenbüttel

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* Die unter No. 95 abgedruckte Note gehört zu No. 93, Note 93 zu 94 und Note 94 zu No. 95 des Textes.

 

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aufbewahrte »Grund-Riß von dem Burg-Platze in Braunschweig, sammt allen da herum belegenen Gebäuen, aufgenommen im Martio Anno 1740«, nebst einigen anderen hiermit in Vergleich gezogenen älteren Plänen, als Grundlage gedient.

 

117. Braunschw. Historischer Händel Theil II S. 233; Schmidt, Entstehung der Vicariats-Präbenden (im Braunschw. Magazine 1817 Stück 37). Nach einer am Hause erhaltenen Inschrift stammt dasselbe aus dem Jahre 1619.

 

118. 1622 waren die älteren Gebäude auf dem Rulandsplatze zusammengefallen. »Da dieses«, besagt unterm 24. Febr. 1622 ein Schreiben Güntzels und Achaz' v. Bartensleben an den Rath, »der fürstlichen Burg zu keiner geringen Unzier gereicht«, gab Herzog Friedrich Ulrich jenen Besitzern an die Hand, auf dem Platze ein neues Gebäude zu errichten, welches auch bald nachher muß vollendet gewesen sein. Denn schon 1640 wird Henricus Dunte als Besitzer genannt.

 

119. Vgl. oben S. 7 u. Note 44. Von diesem Thore hat der Kupferstecher Ant. Bek nachstehende Abbildung überliefert,

 

 

 

Fig. 67.

 

zweifelsohne eine Ansicht der westlichen Außenseite. Ueber dem Durchgange erkennt man das herzogliche Wappen, umgeben von einem Spruchbande mit der Inschrift Gloria principis et lumen 1586. Die hier sichtbare nächste Umgebung des Thores wird freie Erfindung sein: der Zugang zur Burg war damals beiderseits schon mit Häusern besetzt, die Burgmauer nicht mehr vorhanden. Urkundlichen Nachrichten zufolge lagen »an der Vormauer«, also zwischen dem Burgthore u. dem Burggraben (vgl. den Situationsplan Bl. IX) acht Häuser, von denen das mittlere an der Nordseite (die Vicarie St. Cyriaci in crypta) und die drei ersten Häuser nächst der Hauptwache an der Südseite (die Vicarien Beatae Mariae Virginis und Sanctae Trinitatis sowie das Todtengräberhaus), dem Blasienstifte zugehörten, während die übrigen vier Häuser sich im Besitze von Bürgern befanden. Vgl. Schmidt im Braunschw. Magaz. 1817 Stück 43.

 

120. Dieses Gebäude, schon im Jahre 1347 als "der heren dobbelhus" oder auch "kliphus" (Clubhaus) genannt, und speciell dessen "böne" (Boden) im Obergeschoß, diente den Stiftsherren zu geselligen Zusammenkünften. Sack, Urkundensammlung Bd. 30 S. 163 u. 165.

 

121. "De papenstich" wird urkundlich schon im 14. Jahrhundert erwähnt (Schmidt im Br. Magazin 1812 Stück 3). Die ehemals zwischen dem Papenstieg und dem Sacke belegene magna curia war 1345 in 18 Baustellen aufgetheilt, die damals den in gleicher Anzahl vorhandenen Chorherren unter gewissen Verpflichtungen überlassen wurden (Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Beilage S. 72; Schmidt im Braunschw. Magaz. 1817 Stück 45). Später jedoch gehörten die Gebäude darauf zu den Vicariatspräbenden.

 

122. A. A. Beck, Sammlung von Abbildungen alter Gebäude (in der Stadtbibliothek) liefert unter Anfügung eines »Accuraten Grundrisses« eine genauere Beschreibung dieser Gebäude und des Hofes, der ihm in seinen Jugendjahren (um 1730) noch als Spielplatz gedient hat. Einige Nachrichten über den Klosterhof sind auch enthalten in Sacks Urkundensammlung Bd. 30 S. 113 u. 238.

 

123. Beck a. a. O. weiß, daß die Wände in dieser Kapelle mit Malereien verschiedener Heiligen und alten lateinischen Ueberschriften bedeckt waren, während dieselbe nach der um mehrere Jahrzehnte ältern Angabe Rehtmeiers (Kirchenhistorie I, S. 216) schon zur Zeit der Reformation wäre abgebrochen worden. Ein Widerspruch der dahin zu lösen sein dürfte, daß Rehtmeier an dieser Stelle nicht aus eigener Anschauung wie Beck, sondern aus schriftlichen Ueberlieferungen schöpfte, welche ihn über die ehemalige Bedeutung dieses Gebäudes, worin seit der Reformation kein Gottesdienst mehr gehalten wurde, nicht aufklärten.

 

124. Beck a. a. O. Nächst dieser Brücke lagen am Burggraben zwei "slamkesten" (Schlammkasten) zur Reinhaltung desselben. Einen derselben erwähnt das »Schichtboik« (Stadtchroniken XVI S. 314) gelegentlich des Aufruhrs von 1374.

 

125. Die Administration dieser Stiftung für alte gebrechliche Frauen lag seit 1335 dem Blasienstifte ob. Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Beilage S. 59.

 

126. Beck a. a. O.

 

127. Hinter diesen Häusern, über dem Burggraben, wird auch die Mühle gelegen haben, deren in einer Urkunde von 1355 als der "lutteken mole", in einem zwischen dem Rathe und dem Stifte abgeschlossenen Tauschvertrage, als der "lutken molen achter der borch allernegest dem langen steghe", und unter ähnlicher Bezeichnung noch 1594, bei Gelegenheit von Verhandlungen über die Besserung der Brücke daneben, erwähnt wird. Vgl. Sack, Die Stadtmühlen zu Braunschweig, im Braunschw. Magaz. 1848 Stück 44; Braunschw. Historische Händel I, S. 50. Auf dem Stadtplane von 1671 findet sie sich nicht mehr.

 

128. Von dem fürstlichen Mosthause wird in der Wolfenbüttler Bibliothek ein zwischen 1670 und 1680 aufgezeichneter Grundplan beider Geschosse aufbewahrt. Verschiedene Merkmale, wie z. B. Zirkelstiche im Plane zur Eintragung von inneren Wänden, Thüren und Fenstern, die bei der Auszeichnung fortgelassen sind, sowie die Bezeichnung des Raumes hinter dem Mosthause als: »Hoff oder Garte«, wonach die Benutzung desselben noch zur Wahl gestellt blieb, --- machen es wahrscheinlich, daß mit diesem Plane nur Vorschläge zu baulichen Veränderungen im Innern des Gebäudes, unter Belassung seines äußeren Umfanges, haben gemacht werden sollen. Soviel darf aber zweifelsohne für gewiß gelten, daß das Mosthaus im Jahre 1640, wenn nicht dieselbe, so doch wenigstens

 

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keine größere Ausdehnung gehabt hat, als dieser zwischen 1670 und 1680 gezeichnete Plan ausweist. In Umrißlinien ist auf demselben auch noch die Burgkapelle mit der Bezeichnung »Alte zerfallene Capelle« dargestellt. Das Maaß der Zeichnung sind »Nürnberger Fuß«.

 

129. Um 20. März 1645 hatte Herzog August das hohe Haus an den Pastor Johann Gleim verkauft, dessen Erben das Grundstük, mit Genehmigung des Herzogs Rudolph August am 30. April 1680 dem damaligen Kammerdiener und Hofbarbier, nachherigen Intendanten Johann Peter Lautensack überließen. 1688 erhielt dieser auch den wüsten Platz vor dem Jägerhofe, der Finkenberg genannt, auf dem er dann ein neues Haus erbaute, welches nebst den älteren Gebäuden auf dem Jägerhofe am 4. Juni 1695 von den Herzögen Rudolph August und Anton Ulrich für die Domprobstei zurück erworben wurde (Sack, Urkundensammlung Bd. 30 S. 97-112).

 

130. Sack, Ueber die Entstehung der Bauerschaften etc. im Braunschw. Magaz. 1845 Stück 3.

 

131. Schätzenswerthe Grundpläne des großen Mosthauses besitzt die Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel, und zwar: 1. »Grund-Riß von dem Burg-Platze in Braunschweig, sammt allen da herum belegenen Gebäuen, aufgenommen im Martio Anno 1740«, dessen Urheber nicht genannt ist. Er giebt ein anschauliches Bild von der damaligen Bebauung des Burggebietes, kann aber, wie aus den Maaßverhältnissen einiger noch vorhandener Gebäude, z. B. des Domes, zu erweisen ist, auf Genauigkeit keinen Anspruch erheben. -- 2. Zwei Grundrisse (der unteren und der zweiten Etage) des »Hochfürstlichen großen Mosthauses nebst allen zugehörigen Hinter- und Nebengebäuden, Remise, Stallungen, Holtzhoff, Garten und Hoff-Raumes.« So weit es sich beurtheilen läßt, ganz correct gezeichnet und auch insofern von besonderem Interesse, als daraus Zweck und Benutzung jedes einzelnen Raumes zu erkennen. Weder die Jahreszahl noch der Verfertiger des Planes ist angegeben. Doch läßt die genaue Uebereinstimmung seiner Maaße und Bezeichnungen mit denen eines »Grundriß des Kellergeschosses des Hochfürstlichen großen Mosthauses«, welcher sich in der Sack'schen Sammlung im Stadtarchive befindet und »Braunschweig, den 19. April 1748. Conradi« unterzeichnet ist, die Annahme zu, daß von diesem auch der vorgenannte Plan aufgenommen ist. -- Leonhard Christoph Sturm, Professor der Mathematik in Wolfenbüttel und später meklenburgischer Baumeister, giebt in seinen Architektonischen Reise-Anmerkungen (Theil VI als Anhang zu der Goldmann'schen Baukunst, Augspurg 1719) S. 19 folgende Beschreibung des Mosthauses zu Braunschweig: »Aber wiederum auf das Merkwürdige in Braunschweig zu kommen, so ist wohl der Mosthoff das würdigste zu sehen. Also wird insgemein das Hauß nebst den dazu gehörigen Neben-Gebäuden genennet, welches zu der Herrschaft Logirung auf dem Thun-Platz » -- Domplatz, Burgplatz -- « gelegen. Das Haupt-Gebäude ist ein langes zwey Geschoß hohes Hauß, welches in dem oberen Geschoß ziemlich regulier, in der Mitte mit einem ansehnlichen Saal und beyder Seits mit Fürstlichen Gemächern ausgetheilet ist. An der gantzen vordern faciata lauffet vor den Fenstern des zweyten Geschosses ein Himmel offener Gang vorbey, welcher sich vor der Mitte in einen ziemlich raumlichen Altan verbreitet. Alles dieses ist von Holtz gebauet, und ruhet auf einer Dorischen Colonnata, daran Zweiffels ohne eben der Architect« --- vielleicht der Landbaumeister Korb -- »der oben gemeldetes neue Thor« -- das neue Petersthor in dorischer Ordnung, welches nach Sack, Befestigung der Stadt Br. S. 286 für die Passage im Jahre 1707 geöffnet wurde -- »angegeben, die drey Schlitze wiederum just ausgetheilet hat, aber es vor keinen großen Fehler gehalten, daß die Säulen nicht nur gar zu weit von einander stehen, sondern auch bald eine Säule mitten, bald eine andere Seitwerts vor ein Fenster zu stehen kömmt. Zwar damahl als es gemacht worden soll es von vielen, auch gemeinen Leuten seyn getadelt worden. Aber des Architecti Glück ist, daß er nahe an denen Zeiten ist, da man eine accurate gute Architectur vor unnöthige Difficultät und Scrupulirung hält, ja gar bald vor Fehler halten wird, wie vor diesem, als die absurde Gothische Bau-Art aufkam, alle alte Römische Architectur als absurd verlachet worden« etc. Vgl. Note 48. -- Auf vorstehende Mittheilungen stützen sich alle Schilderungen, welche Ribbentrop, Beschreibung der Stadt Braunschweig, 1789 S. 101, Schröder und Aßmann, Die Stadt Braunschweig, 1841 S. 199, Schiller, Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs, 1852 S. 60, Sack, Erinnerungsblatt und Görges, Vaterländ. Geschichten, 2. Auflage, bearbeitet von Spehr, Band I S. 20 über das Mosthaus geliefert, aber irrthümlich auf den von den Herzögen Friedrich Ulrich und August in den Jahren zwischen 1615 u. 1640 unternommenen Neubau bezogen haben. Bei Sack und Görges wird die Beschreibung der Burg durch nachstehende Ansicht des Mosthauses (Fig. 68) illustrirt, deren Original sich in Becks Sammlung alter Gebäude findet.

 

 

 

Fig. 68.

 

132. Im November 1880, bei Anlage eines von der kleinen Burg über den Wilhelmsplatz nach dem Langenhofe sich hinziehenden Röhrencanals, wurde das alte Tonnengewölbe des Burggrabens vor dem jetzigen Stadthause wieder beseitigt. Ein Schlußstein dieses Gewölbes trug die Jahreszahl 174? -- wahrscheinlich 1749, da der von J. C. C. Schmidt 1748 gefertigte Grundriß der Stadt Braunschweig (Original auf der Herzogl. Bibliothek in Wolfenbüttel) an dieser Stelle noch den offenen Burggraben ausweist.

 

133. Der Friedhof der Stiftsgemeinde ward 1756 seiner bisherigen Bestimmung entzogen; als Ersatz schenkte Herzog Carl I einen Begräbnißplatz bei St. Leonhard (Görges, Der Blasiusdom, S. 58 u. 127).

 

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134. Ribbentrop a. a. O. I S. 219; C. Steinmann, Das Bevernsche Schloß, in den Braunschw. Anzeigen 1878 No. 110. Eine Abbildung des Schlosses giebt J. G. Bek in dem Kupfer-Kalender für das Jahr 1718.

 

135. Nach Ausweis der beim Herzogl. Grundbuch-Amte aufbewahrten Stadtbücher sind die ehemaligen Klosterhäuser an der West- und Nordseite des Zeughauses (ehemaligen Paulinerklosters) in den Jahren 1731 und 1732 von Fürstlicher Kammer angekauft und bald darauf abgebrochen.

 

136. Die Beseitigung des Langen Steges erfolgte bei Gelegenheit der Canalisation des Burggrabens am Ruhfäutchenplatze, muthmaßlich in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Vgl. die Stadtpläne von G. F. Riecke 1731 und von J. C. C. Schmidt 1740.

 

137. Die anfänglich an Stelle des Langen Steges hergerichtete Holzbrücke wurde 1779 durch eine steinerne, die sog. »Carlsbrüce«, ersetzt (Ribbentrop a. a. O. S. 44).

 

138. Die schwer zu deutende Bezeichnung »Rufeidgen- (Rauhfüßchen-?) platz« findet sich zuerst auf dem von J. C. Dettmer um 1753 angefertigten Risse. Auf dem Schmidt'schen Stadtplane von 1748 führt dieser Platz noch den Namen »Bei der weißen Taube.«

 

139. Schröder u. Aßmann a. a. O. S. 107; Ribbentrop a. a. O. S. 220.

 

140. Ueber die äußere architektonische Nusbildung des Ferdinandsbaues geben die noch vorhandenen Photographien hinreichenden Aufschluß. Weitere Nachrichten liefern Ribben- trop, Beschreibung der Stadt Braunschweig, 1789 S. 27 und Sack, Erinnerungsblatt, woraus Folgendes zu entnehmen: Der Ferdinandsbau wurde nach den Plänen des Ingenieurs, späteren Hofbaumeisters, Fleischer und unter dessen persönlicher Leitung in den Jahren 1763-1765, mit einem Kostenaufwande von 190000 Thalern, -- nach dem damals im Umlauf befindlichen sogenannten C-Gelde, einer schlechten Münzsorte, von etwa halbem Werthe der Reichsthaler -- ausgeführt. »Dieser neue Flügel war mit doppelten Wänden von Holz aufgerichtet und dazwischen gemauert, außerhalb mit Barnsteinen verblendet und mit Stucka übertragen, welche nachher mit Braunschweigischem Grün übermalt wurde. . . . . . Das Innere der herzoglichen Wohnung war prachtvoll eingerichtet, doch durch den hiesigen Maler Spaan, einem Stümper in seiner Kunst, in einem schlechten Geschmacke ausgemalt. Der Hauptsaal dieser, für einen ernsten Krieger bestimmten Wohnung war mit Liebesgeschichten, den drei Männern im Feuerofen, dem Mahle des Belsazar etc. verziert, so daß der Herzog über diese abgeschmackten Gemälde zwar lachte, sie indeß alle wieder übermalen ließ.«

 

141. Sack, Urkundensammlung Band 33 S. 267. Das Eckhaus am Burgplatze (jetzt vor der Burg ord. No. 1) diente bis 1824 als Dompredigerwohnung, wurde später dem Herzoglichen Districts- (Kreis-) Gerichte eingeräumt und ging 1851 in Privatbesitz über.

 

142. Oeffentlicher Anzeiger für das Oker-Departement 1812 No. 3; Schmidt, Versuch einer historisch-topographischen Beschreibung der Stadt Braunschweig S. 37 ff.

 

143. Heusinger, Denkwürdigkeiten aus der neueren Braunschweigischen Geschichte S. 33.

 

 

 

Excurse.

 

I. Romanische Palasbauten im übrigen Deutschland.

 

Für den großartigsten der in Deutschland auf unsere Tage gekommenen Palasbauten darf wohl das Kaiserhaus zu Goslar gelten, welches innerhalb der Stadtmauern auf einer die Umgegend beherrschenden Höhe, dem sogenannten Kaiserbleeke, muthmaßlich von Kaiser Heinrich III um die Mitte des 11. Jahrhunderts errichtet wurde. Von der östlichen Hauptfront des Gebäudes (vergl. den Situationsplan Fig. 69) hatte man einen Blik zunächst auf den am Fuße des Kaiserbleekes belegenen Dom, dessen Gründung gleichfalls Heinrich III zugeschrieben wird, und weiter über die ausgedehnte Stadt bis zu den jenseitigen Bergeshöhen.

 

Von dieser Kaiserpfalz besteht nur noch die Doppelkapelle und der Saalbau. Letterer (Fig. 70), ein zweistökiger Bau von 57 Meter Länge und 18 Meter Breite, umfaßte im Hauptgeschosse ursprünglich drei Räume: den Reichssaal und an jeder Seite desselben einen Corridor mit zierlich geschmückter und durch große Freitreppen zugänglich gemachter Vorhalle. Der Saal ist 45 Meter lang, 16 Meter breit und 7 Meter hoch; er wird erleuchtet durch sieben große, dreitheilige Fenstergruppen, von denen die mittlere breiter und höher als die übrigen und seitlich durch kräftigere Mauerpfeiler begrenzt ist. Diesem architektonisch ausgezeichneten Mittelfenster gegenüber stand im Innern an der fensterlosen Westmauer des Saales auf erhöhter Stelle der kaiserliche Thron.

 

Im Gegensatz zu dem reicher gegliederten Obergeschosse zeigt der Unterbau eine ruhigere Masse, die nur durch kleine viereckige Fensteröffnungen und die Vorbauten mit den Treppenrampen unterbrochen wird.

 

Zu bequemer Vergleichung mit dem Kaiserhause ist der Saalbau Heinrichs des Löwen unter Fig. 71 in gleichem Maaßstabe dargestellt.

 

Vgl. Mithoff, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte Abth. III; Unger, Das Kaiserhaus zu Goslar, in der Deutschen Bauzeitung Jahrg. 1871; Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S. 255 u. 712; Hotzen, Das Kaiserhaus zu Goslar, Halle 1872.Das Kaiserhaus zu Goslar.

 

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69

 

 

Das Kaiserhaus zu Goslar (Maaßstab 1 : 2000.)

 

Fig. 69. Situation nach einem Plane vom Jahre 1818.

 

a. Thurm.
b. Stadtmauer.
c. Kaiserhaus.
d. St. Ulrichs Doppelkapelle,
e. Ruinen der Liebfrauenkirche.
f. Dom.
g. Paradies.
h. Theil des Kreuzganges.
i. Vorhalle.
k. Kapelle.
l. Stiftskurien.
m. Stiftsgärten.
n. Schuppen.
o. Privathäuser u. Gärten.

 

 

 

Fig. 70. Ostansicht (1050).

Maaßstab 1: 500.

 

Fig. 71. Der Saalbau in der Burg Dankwarderode zu Braunschweig (1150–1170). (Maaßstab 1: 500.)

 

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70

 

Die Kaiserburg zu Eger. (Maaßstab 1:2000)

 

Fig. 72. Situation.

 

a. Burgthor u. Holzbrücke.
b. Der schwarze Thurm.
c. Saalbau.
d. Doppelte Schloßkapelle.
e. Schloßbrunnen.
f. Vertheidigungsthürme.
g. Stadtmauer.
h. Mühlthor.
i. Sandthor.
k. Alter Anbau.
l. Altes Gebäude von 1650.
m. Kasematten.

 

Reste eines kaiserlichen Palastes aus der Zeit der Hohenstaufen zeigt die Kaiserburg (castrum imperatoris) zu Eger.

 

Muthmaßlich schon im frühen Mittelalter von den Markgrafen von Vohburg gegründet, wurde sie von Kaiser Friedrich I aus dem Heirathsgute seiner ersten, 1153 von ihm geschiedenen Gemahlin, Adelheid von Vohburg, käuflich erworben. Seit dieser Zeit verblieb sie eine kaiserliche Pfalz und wurde von Barbarossa und seinen Nachfolgern oft und mit Vorliebe bewohnt. Sie liegt am Westende der Stadt, hart am Egerflusse auf einer steilen, aus der Hochebene vorspringenden Felskuppe, welche nur durch einen schmalen Bergrücken mit der Umgebung verbunden ist, und beherrscht so den Fluß und das Thalgebiet.

 

Wie der Situationsplan Figur 72 ersehen läßt, bildet die Burg, welche seit ihrer Gründung manche Umgestaltung erfahren hat, in ihrer gegenwärtigen Gestalt ein unregelmäßiges Rechteck von 98 Meter Länge und 72 Meter Breite. Das älteste Bauwerk ist der am Thoreingange belegene Bergfried, »schwarzer Thurm« (b) genannt, welcher noch aus der Markgrafenzeit herrührt; dann folgen chronologisch der Saalbau mit den Kemenaten (c) und die Doppelkapelle (d), welche Friedrich Barbarossa errichten ließ, während alle übrigen Vertheidigungs- und Wohnbauten jüngeren Perioden angehören.

 

Der Palas (Fig. 73), von welchem nur noch die Grundmauern sowie die Außenmauern der nördlichen Langseite und des östlichen Giebels vorhanden sind, war ein zweistöckiger Bau von 49 Meter Länge und 14 Meter Breite, und enthielt in dem obern Geschosse östlich einen 25 Meter langen, 10,5 Meter breiten und 6,5 Meter hohen Saal, westlich zwei vom Saale ab durch einen Corridor zugängliche Kemenaten und eine dahinter liegende Küche. Im Erdgeschosse waren Räumlichkeiten für die Dienerschaft, Vorrathskammern, vielleicht auch Stallungen und ein Gefängniß eingerichtet. Holzdecken mit oder ohne Täfelwerk bildeten den oberen Abschluß beider Geschosse; eine Freitreppe, von der sich noch Spuren vorgefunden haben, führte zu dem etwa 2,5 Meter über dem Burghofe liegenden Eingange des obern Saales. Zur Erleuchtung desselben dienten drei, je durch 4 Säulen getheilte, im Inneren mit einem

 

 

Fig. 73. Nordansicht des Palastes (1150--1180). sowie Querschnitt. (Maaßstab 1 : 500.)

 

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71

 

Segmentbogen überspannte Fenstergruppen in der nördlichen Langfront, und ein zweitheiliges Fenster im östlichen Giebel, während die Kemenaten nur mit kleinen gekuppelten Fenstern versehen waren.

Vgl. Grüber, Beiträge zur Geschichte Böhmens a. a. O. ; Otte a. a. O. S. 694.

 

Bedeutende Ueberreste und schön erhaltenes Ornament eines andern von Kaiser Friedrich I erbauten Palastes finden sich in der Burg zu Gelnhausen, welche südlich von der gleichnamigen Stadt in einem anmuthigen Thale der Kinzig auf einer von diesem Flusse gebildeten Insel belegen, schon 1170 muß vorhanden gewesen sein, da hier in jenem Jahre der neugegründeten Reichsstadt Gelnhausen ihr Freiheitsbrief ausgestellt wurde.

 

 

Die Burg zu Gelnhausen. (Maaßstab 1 : 2000.)

 

Fig. 74. Situation.

 

a. Hauptthor.

b. Ringmauer.

c. 1. Saalbau und 2. Kaiserliche Gemächer.

d. Gewölbte Halle darüber Kapelle.

e. Pforte an der Kinzig.

f. Vertheidigungs-Thürme.

g. Wohnungen der Burgmannen.

 

Von 2 Meter starken Mauern umgeben, nimmt die Burg, wie der Situationsplan Fig. 74 veranschaulicht, als unregelmäßiges Siebeneck von 70 Meter Länge und 45 Meter mittlerer Breite nur eine geringe Grundfläche ein. Durch eine geräumige Thorhalle, die seitlich durch zwei Thurmbauten begrenzt wurde, und über welcher die Kapelle lag, führte von Westen her der Haupteingang auf den Burghof. An der Nordseite desselben, im Anschluß an den nördlichen Thurm und mit der Ringmauer verbunden, der Palas, von welchem nur die südliche Langmauer des um etwa 2,5 Meter erhöhten Erdgeschosses und ein Eckpfeiler des Obergeschosses erhalten ist. Ein vervollständigtes Bild der Südfront des Palastes mit einem Querschnitte der Thorhalle und der Schloßkapelle s. Figur 75. Ueber eine doppelarmige Freitreppe gelangte man vom Burghofe zu dem reich geschmückten Portale, und durch dieses wahrscheinlich nicht direct in das Innere, sondern zunächst in eine längs der Südmauer sich hinziehende Gallerie oder Laube, die sich mittels einer fünftheiligen und zwei dreitheiliger Fenstergruppen nach außen öffnete. Der hinter derselben belegene Raum, von dessen prachtvoll decorirtem Kamine noch bedeutende Ueberreste vorhanden sind, war im Lichten 26 Meter lang und 9,5 Meter breit; er hatte muthmaßlich eine Höhe von etwa 4,5 Meter, und soll, allgemeiner Annahme zufolge, in mehrere Gemächer getheilt gewesen sein.

Vgl. Moller-Gladbach, Denkmäler deutscher Baukunst 111 S. 8 f. u. Tafel XXXVI--XLII; Hundeshagen, Kaiser Friedrichs I Palast in der Burg zu Gelnhausen, 1832; Otte a. a. O. S. 691 ff.; Illustrirte Zeitung No. 1171 vom 9. December 1865 S. 416.

 

Ein interessantes Seitenstück des Palastes zu Gelnhausen bieten die aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammenden Trümmer des Schlosses zu Münzenberg in der Wetterau (39 km NNO von Frankfurt a. M.), das auf einem freistehenden länglichen Basaltkegel muthmaßlich zwischen 1154 und 1174 von Kuno I von Münzenberg erbaut wurde. In manchen Dispositionen und Einzelbildungen besteht zwischen diesem und der Kaiserburg in Gelnhausen große Aehnlichkeit -- eine Erscheinung, die einmal in der nahen Nachbarschaft und ziemlich gleichzeitigen Entstehung beider Bauten, sodann aber auch in dem Umstande ihre Erklärung finden mag, daß Kuno I, der seit 1166 als Reichskämmerer auftritt, ohne Zweifel in enger persönlicher Berührung mit den maßgebenden Kreisen des Kaiserhofes stand.

 

Fig. 75. Querschnitt der Thorhalle und der Schloßkapelle (Maaßstab 1:500)

 

Südansicht des Palastes. Querschnitt des Palastes.

 

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72

 

Den Grundplan der ganzen Anlage in ihrer gegenwärtigen Gestalt und Ausdehnung s. Figur 76. Die innere, eigentliche Burg, 120 Meter lang und 40 Meter breit, hat noch eine äußere Umfassung aus jüngerer Zeit, deren größte Abmessungen 180 Meter in der Länge bei 75 Meter in der Breite betragen. Durch drei in dieser Vorburg belegene Thore und durch eine gewölbte Durchfahrt, über welcher sich, wie in Gelnhausen, die Kapelle befindet, gelangt man auf den innern Burghof, um welchen sich Gebäude aus verschiedenen Zeiten gruppiren. Zwei runde Wachtthürme oder Bergfriede, die am West- und Ostende der langgezogenen Bergkuppe errichtet waren, gestatteten nach jeder Richtung weiteste Ausschau. Romanischen Ursprungs ist nur der am Südrande der Burg belegene Saalbau, dessen äußere, südliche Ansicht nebst Querschnitt Figur 77 zeigt; alle übrigen Bauten wie auch die Thürme gehören nicht zur ersten Anlage, sondern sind später hinzugefügt. Von dem Saalbau, welcher wiederum wie in Gelnhausen, einen Keller und zwei Geschosse von 31,0 Meter Länge und 12 Meter Breite enthielt, bestehen zum größten Theile noch die Umfassungsmauern der Nord-, Ost- und Südseite mit zwei- und vierfach gekuppelten Arkadenfenstern. Im Aeußern der nach dem Burghofe hin belegenen Nordseite des Palastes sieht man am Hauptportal noch die Spuren einer ehemaligen Freitreppe und an der Innenseite wohl erhaltene Ueberreste eines mit der Burg gleichzeitig entstandenen, reich verzierten Kamins, welcher gleichfalls mit dem im Palas zu Gelnhausen die größte Aehnlichkeit hat.

Vgl. Moller-Gladbach a. a. O. III S. 5 u. Tafel 25--33; Otte a. a. O. S. 260 u. 697.

 

Das vollkommenste Bild eines fürstlichen Wohnsitzes im frühen Mittelalter bietet unstreitig die Wartburg bei Eisenach, deren geschmackvolle Restauration und glänzende Ausstattung den einstigen Bestand möglichst getreu hergestellt hat. Auf einer schmalen, von Norden nach Süden hinziehenden Bergkuppe er- richtet, schließt sich die Burg an den schroff abfallenden Felsen an und zeigt demgemäß in ihrer Grundform eine langgezogene, unregelmäßige Gestalt von 165 Meter Länge und 50 Meter Breite. Von Norden her führt der Weg über eine Zugbrücke und durch den Thorthurm zunächst in die Vorburg (s. Fig. 78),

 

Das Schloß zu Münzenberg.

 

Fig. 76. Situation. (Maaßstab 1 : 2000.)

 

a. Eingangsthore. b. Thürme. c. Der ältere (romanische) Bau, d. Die gewölbte Durchfahrt mit der Schloßkapelle. e. Schloßbrunnen. f. Der jüngere (gothische) Bau. g. Der äußere Umgang.

 

 

 

Fig. 77 Südansicht des Saalbaues und Querschnitt. Maaßstab 1 : 500.)

 

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73

 

welche östlich durch eine Ringmauer, westlich durch das Ritterhaus und einige Stallungen begrenzt wird; im Süden eine zweite befestigte Thorhalle, durch die man in die höher gelegene Hofburg und zu den dieselbe umfassenden fürstlichen Wohngebäuden gelangt. Die erste Stelle unter ihnen behauptet das an der Ostseite belegene Landgrafenhaus, auch hier »Mushaus« und »Palas« genannt. Während die erste Anlage der Burg höchst wahrscheinlich durch Ludwig II, den Springer, schon in der Mitte des 11. Jahrhunderts erfolgte, von diesem auch im Jahre 1067 der Grund zu den beiden auf der Burg

 

Die Wartburg.

 

Fig. 78. Situation. (Maaßstab 1: 2000.)

 

a. Aeußeres Thor mit Außenwerk und Zugbrücke.
b. Nördlicher Thurm.
c. Palas oder Mushus.
d. Bad.
e. Kemnate (das neue Haus).
f. Bergfried.
g. Ritterhaus
h. Thorhalle.
i. Dirnitz
k. Marstall.
l. Cisterne.
m. Südlicher Thurm.
n. Ringmauer mit Umgang.

 

 

 

Fig. 79.

 

Westansicht des Landgrafenhauses auf der Wartburg (1130-1150 u. 1190) sowie Querschnitt. (Maaßstab 1:500)

 

befindlichen Wachtthürmen gelegt ist, gehört der scmuckvolle Palas muthmaßlich der Zeit des Landgrafen Ludwig III, also der Mitte, das nachträglich aufgebaute obere Geschoß erst der Landgraf Hermanns I, mithin den letzten Decennien des 12. Jahrhunderts an. Unter Figur 79 ist die westliche Ansicht und der Querschnitt dieses Palastes dargestellt, der sich auf einer nach Süden abfallenden Fläche als rechteckiger, 39,5 Meter langer, 15,5 Meter breiter Bau in drei Geschossen erhebt, ausschließlich des unter dem südlichen Theile befindlichen Kellers. Jedes der beiden unteren Geschosse ist der Hauptsache nach in drei Theile zerlegt, und zwar liegt im Erdgeschosse am nördlichen Ende die Küche, in der Mitte der Speisesaal und am südlichen Ende das Frauengemach, im Obergeschosse über der Küche das Landgrafenzimmer und nach Süden sich anschließend der Sängersaal sowie die Kapelle, während das ganze zweite Obergeschoß nur einen ungetheilten, jetzt als Fest- und Waffensaal bezeichneten Raum von 38 Meter Länge und 10 Meter Breite umfaßt. Vor den genannten Räumen befindet sich in allen Geschossen an der Westseite des Gebäudes ein 2 Meter breiter Corridor, der sich, wie aus der Zeichnung zu ersehen ist, in verschieden gruppirten Rundbogenarkaden nach dem Hofe hin öffnet. Eine am Nordende des Gebäudes angebrachte Freitreppe führt vom Burghofe ab in das Hauptgeschoß; mehrere kleinere Treppen im Inneren stellen die Verbindung der Geschosse unter einander her.

Vgl. Puttrich a. a. O, Abth. I, Band 2, Serie »Weimar-Eisenach« S. 3f. u. Tafel 2--6b; Otte a. a. O. S. 269 u, 703; Ritgen, Der Führer auf der Wartburg 1860.

 

Bemerkenswerthe Ueberreste von kaiserlichen Pfalzen finden sich ferner zu Seligenstadt am Main und in der Reichsstadt Wimpfen am Neckar. Doch läßt sich aus den vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen keine hinreichend klare Anschauung ihres einstigen Bestandes gewinnen.

 

Yon dem Palaste zu Seligenstadt (11 km SSO. von Hanau) ist nur die unter Figur 80 dargestellte Mauer des Erdgeschosses erhalten. In dem über einem hohen Keller liegenden Hauptgeschosse erblickt man sechs Fenstergruppen und zwischen ihnen zwei verzierte Portale, die, wie aus noch vorhandenen Spuren zu schließen, vom Hofe aus durch zwei Freitreppen zugänglich

 

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waren. Den architektonischen Formen nach fällt die Erbauung dieses Palastes in das Ende des 12. und in den Anfang des 13. Jahrhunderts.

Vgl. Die Vorzeit, Taschenbuch für das Jahr 1823; Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine, Jahrg. 1880 S. 64; Kallenbach, Chronologie der deutschen Baukunst, Tafel XXIX; Otte a. a. O. S. 697.

 

Fig. 80. Ansicht des Palastes zu Seligenstadt. (Maaßstab 1 : 500.)

 

Die Salzburg an der fränkischen Saale.

 

Fig. 81. Situation. (Maaßstab 1: 2000.)

 

a. Thorthurm mit Außenwerk.
b.Innere Thürme.
c. Alte Wohngebäude.
d. Wiederhergestellte Kapelle.
e. Brunnen.
f. Thürme in der Ringmauer.
g. Pforte (Poterne) mit Vorbau.
h. Pforte später Gefängniß.
i. Gewölbe mit Treppe.
k. Münzgebäude.
l. Fundamente alter Mauern.
m. Ueberreste eines Gebäudes.
n. Wohn- u. Oeconomiegebäude.
o. Bauernhöfe.

 

Fig. 82 Vorderansicht des Thorthurmes und der Ringmauer sowie Seitenansicht des Turmes und Querschnitt der Mauer (Maaßstab 1: 2000)

 

 

 

Von größerer Ausdehnung scheinen die Trümmer des kaiserlichen Palastes zu Wimpfen zu sein, der gleichfalls dem Anfange des 13. Jahrhunderts angehören dürfte. Fronhäuser berichtet darüber in seiner Geschichte der Reichsstadt Wimpfen S. 29: »Nicht allein die königliche Pfalz, sondern auch die ganze noch jetzt bestehende Burg scheint damals (1218--1224) neu angelegt worden zu sein. Sie hatte nicht nur den Zweck, die Kaiserburg zu schützen, sondern auch die Neckarschifffahrt zu beherrschen, wozu sie durch ihre Lage über dem Fluß geeignet war, wie selten ein Platz. Die Pfalz erstreckte sich auf der Höhe über dem Neckar, in der jetzt noch so genannten Burg der Stadt, ungefähr 230 Schritte weit und war flankirt durch zwei hohe Bergfriede, den später sogenannten rothen und blauen Thurm. Herrliche romanische Bauart zeigt sich an der noch stehenden nördlichen Wand der Pfalz, wo eine prachtvolle, romanische Arkadenreihe erscheint. Noch steht das Steinhaus ganz; die kaiserliche Hofkapelle ist nun in Wohnhaus, Scheune und Stall umgewandelt, zeigt aber noch einige Spuren der vergangenen Schönheit.«

Vgl. Lorent, Wimpfen am Berge 1870 S. 21 ff. u. 162 ff.; Otte a. a. O. S. 697; Mittheilungen der k. k. Centralcommission 1861 S. 61.

 

 

Schließlich sei hier noch des uralten Königshofes, der Salzburg an der fränkischen Saale (52 km NNO. von Würzburg, dicht bei Neustadt), Erwähnung gethan, nicht etwa einer großartigen Palasanlage wegen, sondern hauptsächlich, weil an ihr die höchst wahrscheinlich noch aus der Hohenstaufenzeit stammenden Befestigungswerke, Ringmauern und Zinnen, Vertheidigungs- und Thorthürme, in großer Vollkommenheit sich erhalten haben. Figur 81 zeigt die Situation der Burg, Figur 82 die Ansicht des nordöstlichen Thorthurmes mit der sich anschließenden Ringmauer.

 

Näheres bei Krieg von Hochfelden in Mone's Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1837 5. 89 und Geschichte der Militair-Architektur in Deutschland 1859; Otte a. a. O. S. 61 u. 697.

 

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II. Die Burgkapelle.

 

Ueber die Burgkapelle in Dankwarderode liegen folgende Nach- richten vor.

 

Die Braunschw. Reimchronik (s. Note 16) gedenkt nur der obern St. Georgskapelle als der für die Herrschaft bestimmten und schöner ausgestatteten, wogegen die Tabula Blasiana (bei Leibnitz, Script. III, 148) beide Kapellen, St. Jürgen und St. Gertrudis erwähnt. Nach »Cronecken der Sassen« (bei Leibnitz, Script. III, 348) war es eine Doppelkapelle "eyn boven der andern . . . . . hart by dem dom"; nach dem »Schichtboick« (Deutsche Städtechron. XVI, 471) lag sie "in dem beholde der domheren." Beide Kapellen waren dem Domstifte incorporirt und früh schon mit einem Probst und zwei Priestern besetzt. Die Georgskapelle wurde dem Stifte 1204 vom Kaiser Otto IV zur Entschädigung für die aufgegebene Pfarrsetzung zu St. Martini in der Altstadt übertragen (Rehtmeier, Kirchenhistorie I, Supplement S. 107). Später und bis 1367 verrichtete darin die 1265 gestiftete Brüderschaft des Heiligen Geistes ihren Gottesdienst. Die Gertrudenkapelle wurde im Jahre 1318 von den Herzögen Heinrich, Ulbrecht und Otto von Lüneburg dem 1307 gestifteten Gertrudenkaland überlassen (vgl. Dürre a. a. O. S. 416 ff.). Einer alten Nachricht zufolge (vergl. Schmidt, Entstehung der Vicariatspräbenden beim Stifte St. Blasii, im Br. Magazine 1817, Stück 45) gehörten zur Gertrudenkapelle vier Häuser, von denen zwei »auf dem Hofe des Mosthauses« gelegen haben sollen.

 

Eine noch nicht edirte Urkunde des Blasienstifts vom 20. Januar 1529 besagt nach gütiger Mittheilung des Herrn Dr. P. Zimmermann zu Wolfenbüttel, daß "unseres gnedigenn hernn und landesfursten sancti Georgii capellenn negst der gedachtenn kirchenn sancti Blasii tegenn dem lauwensteine belegenn", woraus sich zugleich auch ergiebt, daß sie nach Westen hin nicht mehr durch Gebäude verdeckt war.

 

Die älteste bekannte Abbildung der Stadt Braunschweig (Westansicht) vom Jahre 1547, ein angeblich von Peter Spitzer gefertigter farbiger Holzschnitt, dessen jetzt muthmaßlich einziger Originalabdruck auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel verwahrt wird, zeigt die beiden Thürme der Burgkapelle, mit der darüber stehenden Bezeichnung »S. Jorgen«, dicht neben dem Dome, und nördlich von demselben. Die von G. Brauns etc. in seiner »Beschreibung und Contrafactur der vornembsten Stät der Welt« (1574) aufgenommene, hier (Fig. 83) wiedergegebene Abbildung der Stadt Braunschweig ist die Spitzer'sche in verkleinertem Maaßstabe. Auf dem gleichfalls in der Bibliothek zu Wolfenbüttel befindlichen ältesten Grundrisse der Stadt vom Jahre 1606 in Vogelperspective stehen die beiden Thürme der Kapelle an der Ostseite, fast gegen die Mitte des Mosthauses. Algermann, »Kurzer Bericht von Erbauung der Stadt Braunschweig« (1605) erwähnt, daß »zwei Capellen, derer eine über die andere, mit Marmelsteinen Pfeilern und Steinen gepflastert, gegen das Stift über gebaut« seien. Eine letzte urkundliche Nachricht über die St. Gertrudskapelle datirt aus dem Jahre 1541 und bezeugt, daß noch Gottesdienst in derselben abgehalten wurde (vgl. Sack, Beitrag zu den Nachrichten der St. Gertruden-Kapelle, im Vaterl. Archiv für Niedersachsen 1838 S. 203). Die Ostansicht Braunschweigs in Merians Topographie vom Jahre 1654 zeigt die Thürme gleichfalls; in der beigefügten Beschreibung heißt es, daß »in der Alten Capellen St. Gertrudis noch zu sehen eine schöne Säule auß einem Jaspis, welche Hertzog Heinrich der Löwe auß dem gelobten Lande mitgebracht hat.« Diese Nachricht wird nochmals 1688 von Winkelmann in einer seinem »Stammbaum« etc. angehängten kurzen Beschreibung der Stadt Braunschweig (S. 270) wörtlich bestätigt. Rehtmeier endlich (Kirchenhistorie I, S. 87) meldet im Jahre 1707, daß »von den Capellen nichts mehr zu sehen«.

 

In den Acten des Consistorialarchivs zu Wolfenbüttel, den Bau der Marienkirche daselbst betr. findet sich nach gütiger Mittheilung des Herrn Consistorialraths G. Spies folgender »Fürstl. Befehl an den Bauverwalter Alhier

 

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76

 

wegen der übrig. 5 Marmeln Seulen In Braunschweig 19 Decembris Anno 1620«: »Von Gots gnaden wir Friedrich Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg geben dir unserm Bawverwaltern und lieben getrewen Johannsen Meyer hiemit In gnaden Zu erkennen, Welchergestalt wir die Marmelstein Seulen klein und Gros, welche In unser Alten Schlos Capellen In unser Burgk In Braunschweig zu befinden sein, Zu behueff des Portals und Peiler unter das Newe Organwerk und Predigtstuel In unser Heinrichsstettischen Newen Kirchen Alhier unlangst Zur ewigen gedechtnus, und also Gots ehren und seins Diensts befürderung, wohin sie anfangs zu gebrauchen von unsern hochgeehrten lieben In Got ruhenden vorfahren Angesehn, aus gnaden geschenkt und verordnet haben. Als begern und befehlen wir hiemit gnediglich undt wollen, das du solche Pfeiler miteinander erstes tags one verlezung von dannen wegnehmen und zu Angeregter behueff Anhero füeren lassest. Un deme verrichtestu unseren zuverlessigen gnedigen willen vnd meinung, Und wir seint dir Zu gnaden gewogen. Geben unter unserem Fürstl. Handzeichen vnd Secret den 14 Decembris Anno 1620.«

 

Ueber die Bedeutung und den Zweck von Doppelkapellen, d.h. solcher, bei denen der untere Raum durch eine Oeffnung im Gewölbe mit dem Oberbau in Verbindung stand, sind die Ansichten getheilt. Einerseits gelten sie für nichts anderes, als »Karner« oder Todtenkapellen mit Grabstätten und darüber liegenden Bethäusern; andrerseits wird angenommen, daß der meist beschränkte Raum in den Burgen, wo dergleichen Anlagen vorzugsweise angetroffen werden, dahin geführt habe, zwei über einander liegende Kapellen zu erbauen und unter sich zu verbinden, um den sämmtlichen Burgbewohnern auf einer kleinern Grundfläche die Theilnahme an dem täglichen Gottesdienste zu ermöglichen.

 

Vgl. Müller und Mothes, Archäologisches Wörterbuch (1877) S. 337; Puttrich a. a. O. Band II, Abth, 2, Serie Halle S. 29; Grüber, Die Kaiserburg zu Eger, S. 34 ff., wo die von Stieglitz, Otte, Grassold, v. Quast und Weingärtner ausgesprochenen Ansichten näher beleuchtet werden; Lübke, Geschichte der Architektur (1865) S. 342.

 

Alwin Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger S. 92, entscheidet die Controverse über die Bedeutung der Doppelkapellen folgendermaßen: »In der unteren Kapelle werden die Exequien gefeiert, die dem Todten weniger nahe stehenden Leidtragenden schauen von oben zu; findet aber kein Trauergottesdienst statt, so wird getrennt in der oberen wie in der unteren Kapelle die Messe gelesen; die obere ist dann als die schönere für die Herrschaft bestimmt.«

 

Wenn in der Burg Heinrichs des Löwen eine Doppelkapelle gedachter Art bestanden hat, woran nicht zu zweifeln ist, so dürfte dieselbe einen ähnlichen Zweck erfüllt haben, wie nach Grüber's Ansicht (a. a. O. S.36) die Schloßkapelle in der Burg zu Eger: der untere Raum war niemals ausschließlich Grabkapelle, sondern für den allgemeinen Gottesdienst bestimmt. Mögen dort gelegentlich auch Exequien gehalten worden sein --- als Grabstätte für die Herrschaft diente sie keinesfalls, denn zu diesem Zwecke bestand die Krypta unter dem Dome, welcher noch heute das Grab seines Stifters umschließt.

 

Bemerkenswerthe Beispiele von Doppelkapellen finden sich im sog. Heidenthurme der Reichsburg zu Nürnberg (Otte, Geschichte der deutschen Baukunst S. 693): ein von Friedrich Barbarossa 1158 errichteter, dreischiffiger Bau mit viereckigem Chore. Sodann in der Kaiserburg zu Eger (Grüber a. a. O. S. 27 ff. u. Tafel V--X): gleichfalls der Zeit Barbarossa's angehörig, ein Rechteck von 16 Meter Länge, 10,7 Meter Breite, wovon das östliche Drittel ein quadratisches Sanctuarium mit seitlichen Nebenräumen (Sacristei und Treppenhaus), die westliche Abtheilung (8,5 und 8,2 m im L.) den durch vier Säulen in neun Felder getheilten Kapellenraum einnimmt. Ferner neben dem Kaiserhause zu Goslar (Unger, in der deutschen Bauzeitung 1871 S. 25): der Unterbau in kreuzförmiger, der obere Raum in achteckiger Grundform, nach dem Durchmesser des eingeschriebenen Kreises im Lichten 7,20 Meter weit. Desgleichen in der Neuenburg bei Freiburg a. d. U. (Otte a. a. O. S. 705; Puttrich Bd. 11, Abth. I, Serie Freiburg S. 7 und Tafel 7-10): ein in seiner ursprünglichen Größe 13,0 Meter langer und 7,5 Meter breiter, rehteckiger Bau, muthmaßlich von Landgraf Ludwig im Anfange des 13. Jahrhunderts gegründet; der untere Raum hat zwei Gewölbejoche, welche durch einen Gurtbogen getrennt werden, der dem Säulenbündel des mit vier Gewölben überspannten Obergeschosses als Stütze dient. Endlich auf der Burg zu Landsberg bei Halle: ein von Dietrich III, der wie Heinrich der Löwe an den italienischen Feldzügen Barbarossa's theilnahm, zwischen 1156 und 1180 errichtetes Bauwerk, welches, im Aeußeren 13,3 Meter lang, 10,7 Meter breit, mit der Burgkapelle Heinrichs des Löwen große Aehnlichkeit in der Grundrißdisposition und nahe Verwandtschaft in den architektonischen Formen und decorativen Elementen zeigt, auch wie die meisten Doppelkapellen, keine Thurmanlage besitzt. Die Kapelle in der Burg zu Braunschweig war in den größten Abmessungen, einschließlich der Thürme, 23,6 Meter lang und 13,0 Meter breit.

 

 

 

Alphabetischer Index.

(Die größeren Ziffern weisen auf Seiten, die kleineren auf Noten).

 

Aachen 66; Pfalz und Münsterkirche zu 85.

Adolf, Herzog von Cleve 7.

Aegidienkloster 41. 69.

Aegidienthor 1.

Albrecht der große, Herzog 6. 31. 32.

Albrecht der fette, Herzog 75. 86.

Albrecht II von Bevern, Herzog 53.

Albrecht, Markgraf von Brandenburg 26.

Albrecht, Erzbischof von Magdeburg 26.

Altäre: St. Bartholomäi, St. Pauli 86.

Altewik 3. 38. 39. 1.

Altstadt 4. 6. 38. 39. 40. 4

Altstadtmarkt 70.

Altstadtrathhaus 3.

v. Ampleben'scher Lehnshof 46.

Andreaskirche 41.

Annenconvent 47. 48. 51. 54. 125.

Annenkapelle 46. 47. 43. 50. 51. 98.

Anton Ulrich, Herzog 8. 31. 48. 48. 49. 51.129.

Aschenkrüge 1.

Asseburg 6.

Athalold, Probst 7.

Aufruhr in Braunschweig 7.

August, Herzog 53. 129.

August der jüngere, Herzog 7. 31.46.47. 46. 103.

August Wilhelm, Herzog 8. 48. 85.

Baiern in der Burg 4. 6.

Barthels'sches Haus 70.

v. Bartensleben, die 7. 46, 43. 84.; ihr Hof 48; Günzel, Achaz 118.

Bartholomäusaltar 86.

Bauerschaften 130.

Beatrix, Gemahlin Kaiser Ottos IV 6.

Beck, Ant., Kupferstecher 93. 119. 122.

Berg St. Cyriaci s. Cyriacusstift.

Bergfried 43. 45.

Berklingen 27.

Bernhard, Herzog 86.

Bernhard, Herzog zu Sachsen 26.

Bevernsches Schloß 50. 53. 134.

Bibliothek 47. 46.

Bildergallerie 49.

Binder, B. 94.

St. Blasien s. Stift.

v. Bodendorf'scher Hof 48.

v. Bodenrode, Otraven 86.

Bohlweg 8. 39. 46. 48. 50. 105.

Bonn: Kalksinter der römischen Wasserleitung als Baumaterial am Münster zu B. 66.

Bornhöved, Schlacht bei B. 6.

Brände in der Burg 6. 9. 22. 50. 33. 38.

Branthago, Bischof von Halberstadt 3.

Bruchthor 41.

Brücken 29. 45. 47. 48. 51. 127.

Bruno, Graf 3. 30. 4.

Brunonen 3. 4. 3.

Bruneswik, Dilla 3. 39.

Bürgerhäuser am Hagenscharren und Marstalle 48.

Burggehrhof s. Gerbehof.

Burggraben 39. 44. 45. 46. 47. 50. 51. 52. 82. 94. 99. 119, 127. 132. 136.

Burgkapelle St. Georgii und St. Gertrudis 5. 19. 30. 32. 33. 34. 40. 42. 43. 45. 46. 75. 76. 128.

Burgkirche s. Stiftskirche.

Burgkirchhof bei St. Leonhard 50. 133; s. auch Stiftskirchhof.

Burgmauer 40. 44. 46. 94. 119.

Burgmühlen 29. 46. 48. 50. 53. 39. 108; Kl. Mühle 127.

Burgmühlenstraße 51.

Burgpforte 45.

Burgplatz 15. 40. 45. 46. 47. 52. 54. 46. 60. 96. 116. 131.

Burgstift, altes 38.

Burgstraße 40.

Burgthore 7. 40. 42. 45. 46. 47. 48. 51. 52. 53. 44. 81. 84. 96. 106. 119.

Burgtwete 48. 50.

Burghasungen, Klosterkirche 25. 69.

Bursfelde, Klosterkirche 25. 69.

Büttelhaus 94.

Campe, Schulrath 8.

Canalisation 29. 51. 53. 54.

Cavalierhaus 50. 53.

Christian, König von Dänemark 7.

Clementia von Zäringen, Heinrichs des Löwen Gemahlin 14. 22.

Collegium Carolinum 50. 53.

Corvey, Abt von 26.

Curien s. Stiftscurien.

Cyriacusstift 4. 41. 10.

Damm 39.

Dammbrüce 39.

Dammthor 41.

Dankward, Graf 3. 37. 4.

Daru, französischer Intendant 53.

Dechanei s. Stiftsdechanei.

Denon, französischer Commissair 60.

Dietrich III von Landsberg 76.

Districtsgerichtsgebäude 141.

Dobbelhaus s. Kliphaus.

Dom, -bau, -thürme, -predigerhaus, -probst, -probstei s. Stiftskirche etc.

 

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78

 

Doppelkapellen: Zweck, Bedeutung und Beispiele 70. 76.

 

Drübeck, Klosterkirche 29. 69.

Dunte, Henricus 118.

Düsteres Thor 46. 47, 51. 96. 106.

Eger: Kaiserburg 70; Doppelkapelle 70. 76.

Eisenach s. Wartburg.

Ekbert I, II, Markgrafen 4. 10.

Elisabeth, Gemahlin König Wilhelms von Holland 6.

Elisabeth v. Brabant, Herzog Albrechts Gemahlin 32.

Elisabeth Christine, Karls I Gemahlin 51.

Elm s. Steinbrüche.

Erbküchenmeisteramt 82.

Erich, Herzog 38.

Ernst, Herzog 38.

Ernst Ferdinand von Bevern, Herzog 50.

Fallersleberthor 41.

Ferdinand, Herzog 8. 50. 140.

Ferdinand Albrecht I, Herzog 57.

Ferdinand Albrecht II, Herzog 8.

Ferdinandsbau 8. 30. 31. 34. 52. 60. 61.

Feuersbrünste s. Brände.

Feuerwehr-Wacht- u. Exercierhaus 53.

Finkenberg, -herd 8. 46. 48. 50. 53. 4. 46. 129. 140.

Fleischer, Ingenieur, Hofbaumeister 140.

Friedrich I, Kaiser 5. 70. 71. 76. 66.

Friedrich II, Kaiser 6.

Friedrich, Herzog 86.

Friedrich, Markgraf von Meißen 26.

Friedrich Ulrich , Herzog 7. 26. 30. 75. 45. 46. 118.

Friedrich Wilhelm, Herzog 53.

Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 46.

Garten, fürstlicher 40. 42. 46. 47. 50. 86. 109. 128.

Gelnhausen: Reichsstadt , Raiserburg, Burgkapelle 71.

Georg, Prinz 8.

Georgskapelle s. Burgkapelle.

Gerbehof, -platz 46. 48. 109. 111.

Gerhard, Abt von Stederburg 25.

Gerichtshaus 40.

Gernrode, Stiftskirche 25. 69.

Gertrud I, Gräfin 4. 38.

Gertrud II, Gräfin 4. 38. 9. 12.

Gertrud, Tochter Kaiser Lothars 4.

Gertrudenkaland 75.

Gertrudenkapelle s. Burgkapelle.

Gewandhaus 70.

Gleim, Joh., Pastor 129.

Godehard, Bischof von Hildesheim 3. 38.

Goldene Rose, Haus zur 70.

Goslar: Dom 25. 69. 69; Doppelkapelle St. Ulrichs 68. 69. 76; Kaiserhaus 68. 69; Liebfrauenkirche 69; Stadtmauer 68. 69.

Grabmahl Heinrichs des Löwen 13.

Graburnen 1.

Grasplatz, -hof 40. 46. 86.

Grauer Hof 7. 8. 50. 53. 46. 48. 49.

Großer Hof 39, 79. 121.

Hagen 5. 6. 39. 41. 54. 16. 86. 96.

Hagenapotheke 70.

Hagenbruch 18.

Hagenbrücke 39. 40.

Hagenmarkt 39. 40. 16.

Hagenscharren 46. 48. 51. 53. 103. 118.

Hauptwache 9. 46. 48. 51. 53. 119.

Hedwig, Herzog Julius' Gemahlin 109.

Heidenkirchhof, heidn. Grabstätten 3. 1.

Heinrich I, Kaiser 37. 4.

Heinrich III, Kaiser 68.

Heinrich IV, Kaiser 4.

Heinrich V, Kaiser 4.

Heinrich VI, König 6.

Heinrich der stolze, Herzog von Baiern 4.

Heinrich der Löwe, Herzog 4. 21. 25. 30. 38. 39. 40. 45. 49. 68. 76. 16. 66. 69.

Heinrich, Pfalzgraf 6. 26. 27.

Heinrich der friedfertige, Herzog 7,

Heinrich der wunderliche 75.

Heinrich der ältere, Herzog 7. 38.

Heinrich Julius, Herzog 7.

Heinrich III, Graf von Brabant 32.

Heinrich von Eilenburg, Markgraf von Meißen 4.

Heinrich, Graf von Nordheim 7.

Heinrich, Graf von Schwerin 6.

Helene, Gemahlin Herzog Heinrichs des friedfertigen 7.

Helmstedt: Kalksinter der röm. Wasserleitung als Baumaterial 18; St. Lud- gerikirche 66.

Henneberg, Präfect des Oferdepartements 60.

Hermann I, Landgraf von Thüringen 73. 26.

Herrendorf 39.

Herren- (des Rathes) Häuser 48.

"des herzogen hof" 86.

Hildesheim: Kalksinter der römischen Wasserleitung als Baumaterial 18; Kirche St. Godehardi 25. 69.; Kreuzkirche 66.; St. Michaelis 25. 69. 71.; Irmensäule im Dome 66.

Hinter Unser lieben Frauen 39.

Höhe 40. 46.

Hofgerichtstage 7, 46.

Hohes Haus 46. 48. 50.

Hollant, Lüdeke 7. 37.

Hutfiltern 39.

Jacobskirche 4. 41.

Jägerhof 40. 45. 46. 48. 50. 87. 129.

Idensen, Kirche 25.

Ilsenburg, Klosterkirche 25. 69.

Johannisvicarie s. Vicarien.

Irmensäule s. Hildesheim.

Italienische Oper 51.

Julius, Herzog 7. 45. 43. 44.

Kalksinter als Baumaterial s. Bonn, Helmstedt, Hildesheim.

v. Kalm'sches Haus auf der Wilhelmstraße 70.

Kanzlei 46.

Karl VI, Kaiser 51.

Karl I, Herzog 8. 31. 50. 51, 53. 133.

Karl II, Herzog 8. 53.

Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog 8. 52.

Karlsbrücke 137.

Katharinenkirche 41. 16.

Katharinen-Schulhaus 46. 48. 50. 53. 112.

Katrepeln 39.

Kinderhof 99.

Kleine Burg 46. 50. 52. 53.

Kliphaus der Domherren 46. 48. 51. 120.

Klostergarten der Pauliner 46.

Klosterhäuser derselben 46. 48. 135.

Klotzburg 99.

Knochenhauerscharren 94.

Kohlenmarkt 3. 39. 70.

Königslutter 17: Stiftskirche 23. 25. 69.

Konrad III, Kaiser 5.

Konrad, Markgraf von Landsberg 26.

Korb, Landbaumeister 50.

Kornhaus, -speicher 46. 47. 48. 50. 53. 99.

Kornschreiberhaus 46. 48. 50. 53. 99.

Kosens, Nicolaus 106.

Krankenhaus der Stiftsschule s. Kinderhof, Klotzburg.

Kreuzgänge 93.

Kronesbeen, Canoniker 99.

Küchenhof 40. 46. 51. 54. 62. 116.

Kuno I von Münzenberg, Reichskämmerer 71.

Kunstkabinet, -kammer 8. 49. 57.

Kurze Brücke 39.

Landgestüt 53.

Landsberg, Schloßkapelle 25. 76. 69.

Landtage in der Burg 7.

Lange Brücke 39.

Langedammstraße 39.

Langehofsbrücke 86.

 

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79

 

Langer Hof 33. 48. 50. 53. 94. 105. 132.

Langer Steg 46. 51. 114. 127. 136, 137.

Langer Thurm 41.

Lauenthor 39.

Lautensack, Joh. Peter, Kammerdiener, Hofbarbier, Intendant 48. 50. 129.

St. Leonhard 50.

Löwenstein 5. 13. 22. 40. 45. 50. 53. 75. 16, 26. 39. 45, 60, 85.

Lothar, Graf von Supplinburg, Kaiser 4. 37. 13.

Lucius, Jacob, Buchdrucker 44.

Ludolf, Herzog zu Sachsen 3.

Ludolf, Graf 3, 30.

Ludolfinger 3. 3.

Ludwig II der Springer, Markgraf von Thüringen 73.

Ludwig III, Markgraf (L. I, Landgraf) von Thüringen 73.

Ludwig IV, Landgraf 76.

Ludwig Rudolf, Herzog 8. 48. 53.

Lustgarten, -haus 109.

Lutterloh, Commissarius 51.

Magnikirche 3. 38. 53.

Magnus der fromme, Herzog 38. 86.

Mainz 4.

Marienthal, Kloster 47. 48. 51. 27.

Marienthalscher Hof 48.

Marstall 47. 53. 54. 94.

Martineum, Schule 70.

Martinikirche 41. 51. 75. 70.

Mathilde, Gemahlin Herzog Heinrichs des Löwen 5.

Mestwerchtenstraße 45. 46

Michaeliskirche 41.

Mönchethorweg 106.

Mos-, Mosthaus, coenaculum 7. 22. 42, 44. 46. 47. 48. 50. 54. 75. 16. 37. 38. 39. 45. 46. 48. 53. 54. 60. 128. 131; Kleines Mosthaus 8. 30. 33. 48. 50. 51. 53. 51. großes Mosthaus 48. 60.

Mosthof 54. 48. 49. 131

Mühlen s. Burgmühlen, Stadtmühlen.

Münden 25.

Münzenberg: Schloß 71; Burgkapelle 72.

Münzstraße 53.

Museum, herzogliches 8. 57

Neuenburg: Doppelkapelle 76.

Neustadt 5. 40. 4.

Niclot, Slavenfürst 5.

v. Northem, Bertold, Vicar 86.

Nürnberg: Doppelkapelle in der Reichsburg 76.

Nußberg s. Steinbrüche.

Oberg, Wulbrand v., Stiftsprobst 98.

Oberlandes- u. Landgerichtsgebäude 53.

Occupation, französische 8. 53.

Officier-Speiseanstalt, -Casino 53. 60. 94.

Oker 29. 39. 40. 44. 46. 82. 86. 94. 109.

Okerthal, -niederung 37. 39. 40.

Opernhaus 51. 53. 51.

Otto IV, Kaiser 5. 39. 75. 26.

Otto der erlauchte, Herzog von Sachsen 4.

Otto das Kind, Herzog 6.

Otto der milde, Herzog 31. 94. 97.

Otto der strenge von Lüneburg 75.

Otto, Herzog von Baiern 6.

Ottonen 4.

Palasbauten 68 ff.

Papendonenstieg 87.

 

Papenstieg 46. 52. 54. 121.

Patricierhäuser 28.

St. Pauli in der Kluft, Altar 86.

Paulinerkloster 46. 48. 50. 107. 109. 112.

Peters- und Paulskapelle 16. 38.

Petrikirche 41.

Petrithor 131.

Pförtnerhaus 46. 48.

Pforte am Schulsteg 86.

Philipp von Schwaben, König 5.

Phöbustwete 48.

Polizeidirectionsgebäude 55.

Porcellain-Cabinet 49.

Probst, Probstei etc. s. Stiftsprobst etc.

Rauchhauptsches Grabmal 70.

Rathhäuser 41.

Rederingthor 39. 41.

Reichenstraße, Haus No. 3: 28. 70.

Reitschule 50. 53.

Residenz nach Braunschweig verlegt 8.

Richenza, Gräfin von Nordheim 4.

Riddagshausen, Kloster 7.

Richenberg, Klosterkirche 69.

Ringmauer der Stadt 39.

Roland, Ruland 40. 43. 44.; Ro-, Rulandsplatz 7. 46. 51. 53. 118.

Römerkanal in der Eifel 18. 65. 66

Rothermund, Kammerconducteur 53.

Rudolf August, Herzog 7. 8. 48. 49. 129.

Rufeidgen-, Ruhfäutchenplatz 51. 53. 54. 94. 136. 138.

Rügegericht 84.

Sack 40. 45. 47. 80. 85. 121.

Sackstraße 40.

v. Saldern, Hildebrand 46.

Salzburg: Königshof Ringmauer, Thor-thurm 74.

Scherenberg, Heinrich 106.

Scheverlingenburg, Walle 4. 12.

Schlammkasten 124.

Schloß im Grauen Hofe 8; neues Schloß 50. 53.; Schloßbrand 53.

v. Schrader, Landdrost 60.

Schuhstraße 40. 46. 111

Schulbuchhandlung 8.

v. der Schulenburg, Grafen 51. 54; Fritz 46.

Schulsteg 40. 46. 48. 86. 96.

Schulstraße 105.

Seligenstadt: Palas 73.

Sinzig : Kaiser Friedrich I und Herzog Heinrich der Löwe in S. 66.

Sophia, Landgräfin von Thüringen 32.

Spaan, Maler 140.

Spitzer, Peter, Holzschneider 75.

Stadthaus 53.

Stadtknechtswohnungen 47.

Stadtmühlen 110.

Stedchinellis Haus 70.

Stederburg, Kloster 79.

Steinbrüche im Elme 17; im Nußberge 18. 29.

Steinkohlenniederlage in der Burg 44.

Steinmarkt 4.

Stift, St. Blasien, Domstift 44. 45. 75. 46.; s. auch Burgstift.

Stiftsbrauerei 46. 50.

Stiftscurien 46. 48. 50. 53. 99.

Stiftsdechanei 46. 48. 50. 53. 86

Stiftsfriedhof 44. 46. 48. 50. 55. 86. neuer bei St. Leonhard 133.

Stiftsgarten 44.

Stiftsgebäude 46. 48. 50.

Stiftsherren 44.

Stiftskapitelhaus 44. 46. 46.

Stiftskirche, alte 38; neue, Dom St. Blasii 3. 5. 13. 21. 30. 31. 34. 40. 41. 44. 46. 48. 50. 53. 86. 93.; Bau derselben 5; Chor 5. 38. 86.; Hochaltar 5; Kreuzgänge 46. 48; Sacristei 53; Thürme 7.

Stiftspredigerhaus 46. 48. 50. 55.

Stiftsprobst 50. 53; Stiftsprobstei, Probsteihof 46. 48. 50. 53. 94.

Stiftsschule 44. 99. 100. deren Krankenhaus s. Kinderhof und Klotzburg.

Stiftsvicariatspräbenden 121.

Stiftsvicarien: St. Bartholomäi 86; St. Cyriaci in crypta 119; Beatae Mariae Virginis 119; St. Johannis 86; St. Thomae 46. 48.

Stiftsvicarienhäuser 46. 50. 54.

Strauß, Bauverwalter 5.

Sturm, Leonh. Christ., Professor der Mathematik zu Wolfenbüttel, Meklenburgscher Landbaumeister 131.

Tanquarderode Allod 79; Tanquarderoth, castrum 37.

 

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80

 

Thor, -thurm 45. 46.

Thongeschirr, mittelalterliches 1.

Todtengräberhaus 119.

Uetzescher Hof 47.

Ulricikirche 3. 38. 41.

Ungarneinfälle 37.

Vechelde, Lustschloß 8.

v. Veltheim, Herren 46; Achaz der jüngere 47; Ludolf 47. 82; Mathilde 47; deren Höfe 51. 54. 94: v. Veltheim-Aderstedter 53; v. Veltheim-Bartensleber 48; v. Veltheim-Harbkescher 48; v. Veltheim-Ostrau-Harbkescher 48.

Vicarien s. Stiftsvicarien.

Viewegsches Haus 53.

Violentwete 50.

"voghehus" 86.

Vogelfang 87.

Vogtei 40.

v. Vohburg, Markgrafen 70; Adelheid, Gemahlin Kaiser Friedrichs I 70.

Vor der Burg, Straße 13. 40. 52.

Waarenniederlage in der Burg 8.

Wall 94.

Walle s. Scheverlingenburg.

Wartburg 72 u. f.

Wasserkünste, Hägener, Säcker 46. 48. 50. 53.

Wasserwerk, städtisches 53.

Wiel, Adept 54.

Wilhelm von Lüneburg, Herzog 6. 26.

Wilhelm von Holland, deutscher König 6. 26. 30.

Wilhelm der ältere, Herzog 7.

Wilhelm der jüngere, Herzog 7. 32. 38.

Wilhelm der siegreiche 97.

Wilhelm, regierender Herzog 53. 60.

Wilhelmsplatz 54. 132.

Wilhelmsstraße 70.

Wimpfen: Reichsstadt, Palas 73.

Wolfenbüttel 6. 7. 8. 50; Bibliothek 75; Zeughaus 70; Marienkirche 76. 70.

v. Wolffradt, Geh. Rath 60.

Wratislav, Slavenfürst 5.

Wunstorf, Stiftskirche 25. 69.

Würzburg, Hoftag zu 6.

Zeughaus, herzogliches 135; städtisches 70.

 

 

 

 

Quelle: Ludwig Winter (Stadtbaurath): Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig. Ergebnisse der im Auftrage des Stadtmagistrats angestellten baugeschichtlichen Untersuchungen. Braunschweig 1883 Druck von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig.

 

Das Buch liegt in den Brunsvicensien der Universitätsbibliothek Braunschweig eingescannt vor und ist dort unter folgendem Link zugänglich:

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00043453

DOI: 10.24355/dbbs.084-201206141426-0

URN: urn:nbn:de:gbv:084-12061414454

 

 

Dort können auch 19 der 20 Tafeln und die 83 in den Text eingedruckten Abbildungen eingesehen werden.

 

Hinweis: Einige nachträglich erfolgte und gesondert gekennzeichnete Einfügungen von Fotos im Text sind kein Bestandteil des Originalwerkes.

 

 

 

Baurath H. Pfeifer 1883: Die Burg Dankwarderode in Braunschweig

No. 51 Centralblatt der Bauverwaltung 477

 

Die Burg Dankwarderode in Braunschweig.

 

Endlich ist die in den Fachkreisen schon seit Jahren erwartete Veröffentlichung der von Stadtbaurath Winter im Auftrage des Magistrats in Braunschweig angestellten Untersuchung und Aufmessung der Reste der Burg Dankwarderode erfolgt, endlich gelangt damit ein zuverlässiges Material über die Burgreste in die Oeffentlichkeit, sodass sich auch weitere Kreise über den Umfang und den Werth der alten Bautheile unterrichten können. *)

 

Jeder Sachverständige wird nach Durchsicht der Winterschen Arbeit dem Verfasser das Zeugniss nicht versagen, dass die Untersuchungen mit der grössten Gewissenhaftigkeit unter Berücksichtigung aller zur Erforschung der Baureste dienenden literarischen Hülfsmittel und örtlichen Umstände, dabei aber auch mit einer Objectivität angestellt sind, welche volles Lob verdient, zumal die Untersuchungen in einer Zeit stattfanden, da das Feldgeschrei: „Hie Erhaltung der Burg“, „Hie fort mit dem Gerümpel“ in Braunschweig zu erbitterten Wort- und Federkriegen führte. Die genannte Arbeit ist auf Kosten der städtischen Behörden im Verlage von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig erschienen und für den allerdings theuern Preis von 40 Mark im Buchhandel zu haben. Verfasser und Verleger haben augenscheinlich alles gethan, was in ihren Kräften stand, um dem Werke eine würdige Austattung zu sichern. Herr Winter behandelt vor der Mittheilung der Untersuchungsergebnisse die Geschichte der Burg in einem gedrängten Abriss und schliesst mit der aus den vorhandenen Bauresten und Zeichnungen gewonnenen Darstellung derselben in den verschiedenen Zeiten.

 

Uralt in der Geschichte ist die Stätte, auf welcher die Burg sich befindet; lange vor Einführung des Christenthums ist dieselbe bebaut gewesen. Der Sage nach ist Braunschweig von zwei Brüdern, Bruno und Dankward gegründet, welche diesseit und jenseit der Oker ihre Burgen errichteten; jener das nachmalige „Bruniswich“, dieser „Dankwarderode“. Aus dem elften Jahrhundert stammen die ersten urkundlich beglaubigten Nachrichten über Dankwarderode. Die Burg wird in dieser Zeit wohl nur ein mit Gräben und Pallisaden umgebener Holzbau gewesen sein, eine Annahme, welche durch die geschichtliche Ueberlieferung bestätigt wird, dass die Burg durch einen Aufstand der Bürger mit Leichtigkeit in Brand gesteckt und zerstört werden konnte. Zu wiederholten Malen ist sie der Sitz deutscher Kaiser und Könige gewesen. Eine ganz neue und prächtige Gestaltung erhielt sie in der Mitte des 12. Jahrhunderts durch Heinrich den Löwen, welcher hier mit Vorliebe weilte und in derselben, nachdem er noch kurz vorher einen Theil der Burgkirche und des Domes durch Blitzschlag in Flammen aufgehen sehen musste, am 6. August 1196 verschied.

 

Am 25. Januar 1252 während der Hochzeitsfeier des Königs Wilhelm von Holland mit der Tochter Herzogs Otto das Kind brach in der Burg selbst eine Feuersbrunst aus, sodass die Neuvermählten zur mit knapper Noth das nackte Leben zu retten vermochten. Zu Ende des 13. Jahrhunderts geht die Burg in den gemeinschaftlichen Besitz der verschiedenen Linien des braunschweigischen Fürstenhauses über und dient bis zum 16. Jahrhundert, nachdem die Residenz von Braunschweig nach Wolfenbüttel verlegt ist, als Absteigequartier oder bei besonderen Anlässen zu Festlichkeiten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist abermals ein Brand zu verzeichnen, welcher das verwahrloste Gebäude allem Vermuthen nach vollständig in Trümmer gelegt haben wird. Ein in der Mitte dieses Jahrhunderts in Angriff genommener Wiederaufbau scheiterte an der Abneigung der Mitregenten und dem Widerstande des Rathes; die Kämpfe der Herzöge mit der Stadt Braunschweig vereitelten den Bau schliesslich vollständig. Erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts wird die Burg wieder in einen bewohnbaren Stand gesetzt, aber nur vorübergehend zur fürstlichen Hofhaltung benutzt. Im 18. Jahrhundert wird ein Theil des Baues zum Wittwensitz einer braunschweigischen Fürstin, ein anderer zur Aufnahme der fürstlichen Kammerkasse eingerichtet. 1764 wird das „fürstliche Kunst-Cabinet“ -- das heutige Museum -- in der Burg untergebracht, sowie der südliche Theil abgebrochen und für den Herzog Ferdinand neu aufgebaut. Am Schluss des 18. Jahrhunderts wurde die Burg dem Schulrath Campe, dem Verfasser des Robinson, zur Einrichtung einer Schulbuchhandlung übergeben, und danach in der westfälischen Zeit als „Burgcaserne“ militärischen Zwecken dienstbar gemacht. 1873 wurde der „Ferdinandsbau“ durch Feuer wieder zerstört, und nachdem 1879 der Militärfiscus ein besonderes Gebäude an anderer Stelle errichtet hatte, der bei diesem letzten Brande verschont gebliebene Gebäudeteil von der Stadt mit Beihülfe des Staates unter der Bedingung erworben, dass der Landesregieraug seitens der Stadt ein Mitverfügungsrecht über die Baureste eingeräumt werde. Diesem Umstande ist wohl hauptsächlich die Erhaltung der Burg und die Vereitelung des von den städtischen Behörden bereits beschlossenen Abbruches zu danken. 1881 endlich erfolgte die Wiederauffindung des Saalbaues aus der Zeit Herzog Heinrich des Löwen **), welche Veranlassung wurde, gegen den Abbruch Einspruch zu erheben und die sorgfältige Untersuchung der Baureste einzuleiten, deren Ergebnisse jetzt in dem Werke des Herrn Winter vorliegen.

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*) Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig. Ergebnisse der im Auftrage des Stadtmagistrats angestellten baugeschichtlichen Untersuchungen von L. Winter, Stadtbaurath. Braunschweig 1883, Verlag von Joh. Heinr. Meyer. Gr. Fol. 80 Seiten Text mit 83 Abbildungen und 23 Lichtdrucktafeln. Preis 40 Mark.

**) Ueber die Wiederauffindung der roman. Ostmauer vergl.: Förster, Zeitschr. f. bild. Kunst 1881 u. Wochenbl. f. A. u. I. 1881.

(Schluss folgt.)

 

 

Centralblatt der Bauverwaltung. Jahrgang III. 1883. No. 52. v. 29.12.1883

 

Die Burg Dankwarderode in Braunschweig.

(Schluss.)

 

Infolge der vielfachen Zerstörungen und Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte ist von der einst ausgedehnten Burganlage heute nur der von Heinrich dem Löwen erbaute Dom und der Saalbau der Burg, letzterer nur als Ruine erhalten (Vgl. Fig. 1).

 

 

Fig. 1. Grundriss des Palastes 1881

 

Die Reste des Palastes gehören theils der romanischen Baukunst, theils der Renaissance an. Romanische Bauformen finden sich beim Saalbau im Innern des Erdgeschosses, wie auch die östliche Umfangsmauer beider Geschosse sowie einzelne Theile der Nord- und Westmauer in das 12. Jahrhundert zu setzen sein dürften. Die südliche Saalmauer fehlt, da dieselbe bei dem Brande des Ferdinandbaues zerstört

 

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wurde, jedoch lässt sich die Lage derselben mit einiger Sicherheit feststellen. Der Saalbau erscheint somit in seiner räumlichen Ausdehnung bis auf die zu ergänzende Südmauer vollständig erhalten. Die Nordfront sowohl, als die Westseite zeigen deutlich die Einwirkung der deutschen Renaissance, in deren Formen auch das Hauptgesims und ein Giebel der Ostmauer erhalten sind.

 

Die romanischen Bautheile im Erdgeschoss bestehen aus einer in der Mitte des Gebäudes nach der Längsrichtung laufenden Bogenstellung, welche den Raum in zwei langgestreckte flach gedeckte Schiffe theilt. Die Ostmauer, welche einem feindlichen Angriff besonders ausgesetzt war, zeigt im Erdgeschoss nur kleine und schmale romanische Rundbogenfenster. Die Pfeiler der Bogenstellung sind von quadratischer Grundform und an den Ecken mit Säulchen streng romanischer Bildung besetzt (Fig. 2).

 

 

Fig. 2. Pfeilerecke der Bogenstellung im Erdgeschoss. Massst. 1:30.

 

Die Bögen der Pfeiler sind halbkreisförmig und schlicht behandelt. Weit reicher als das Erdgeschoss ist das Obergeschoss gestaltet gewesen. Hier ist die Ostwand von einer Reihe gekuppelter und weiter Oeffnungen durchbrochen, die sich, wenn auch theilweise zerstört und vermauert, doch sämtlich nachweisen und mit Leichtigkeit ergänzen lassen. Die gekuppelten Fenster werden hier durch zwei schlanke mit gleichen Capitellen verzierte Säulchen in drei Theile getheilt (Fig. 3).

 

 

Fig. 3. Gekuppeltes Fenster in der östlichen Aussenmauer des Obergeschosses. Massstab 1:40

 

Diese Gleichartigkeit in den Capitellen erscheint, wie Stadtbaurath Winter mit Recht hervorhebt, auffällig, da es die Künstler des Mittelalters ängstlich vermieden, bereits vorhandene Formen und Ornamente an demselben Bauwerke zu wiederholen. Ein weitausladender Kämpfer über dem reichverzierten Capitell vermittelt den Uebergang zum Bogen in der Stärke der Mauer, eine Anordnung, welche, beiläufig bemerkt, auch an den romanischen Fenstern des Glockenhauses von St. Martin in Braunschweig vorkommt.

 

Bei einer Durchforschung der vorhandenen Grundmauern und des angrenzenden Bodens hat Stadtbaurath Winter noch eine grössere Anzahl werthvoller Bautheile, welche jedenfalls dem Bau Heinrich d. L. angehören, zu Tage gefördert (Fig. 5, 6),

 

 

Fig. 5. Gefunden beim Abbruch des Ferdinandsbaues. Massstab 1:10.

 

 

Fig. 6. Gefunden in der westlichen Umfangsmauer. Massstab 1:10

 

sowie einen grossen Theil der Grundmauern des alten Palastbaues blossgelegt. Interessant ist der Fund eines Capitellbruchstückes, dessen Form mit den entsprechenden Theilen eines Capitells aus dem Kreuzgange der Stiftskirche in Königslutter vollkommen übereinstimmt, sodass zur Wiederherstellung nur eine Copie des letzteren gefertigt und in diese das Bruchstück eingefügt zu werden brauchte (Fig. 4).

 

 

Fig. 4. Capitellbruchstück mit der Ergänzung nach einem Capitell im Kreuzgange der Stiftskirche in Königslutter. Massstab 1:10.

 

Ob diese Uebereinstimmung zu dem Schlusse berechtigt, dass ein und derselbe Steinmetz beide Capitelle gefertigt habe, möge dahin gestellt bleiben.

 

Von den blossgelegten Grundmauern verdienen die der Burgkapelle besondere Beachtung. In unmittelbarer Nähe des Saales und der zwischen Saalbau und Dom befindlichen Kemenate belegen, ist diese Capelle muthmasslich ein dreischiffiger, aus zwei Geschossen bestehender Bau gewesen, welcher nach Westen von zwei Thürmen flankirt wurde. Aufgedeckt wurden davon die Mauern der Haupt- und Nebenapsiden, mit dem Eckstück eines Altarsockels in der südlichen Apsis. In der Mitte der Westmauer des Saalbaues hat Winter Mauerkörper gefunden, welche, ebenfalls der Zeit Heinrichs d. L. angehörend, vermuthlich den Eingang zum Erdgeschoss und die Treppe zum Obergeschoss getragen haben. Zu beiden Seiten dieser Mauern führen 1,45 m hohe gewölbte Oeffnungen in Gänge, welche unter dem Fussboden des Erdgeschosses bis zur Mitte desselben als Vorrathskammern oder Gefängnisse gedient haben. Die Vermuthung, dass diese Gänge zur Heizung des Gebäudes gehört haben könnten, hat sich im weiteren Verlaufe der Untersuchung nicht bestätigt. Die aus der Bauperiodes erhaltenen Baureste genügen, wie der Verfasser im dritten Theile seines Werkes anführt, vollständig, um ein klares Bild von der Beschaffenheit des Palastes zur Zeit Heinrichs d. L. zu geben. Ebenso zahlreich wie die Reste romanischer Zeit, wenn auch von geringerer Bedeutung, sind diejenigen der Renaissancebauten des Palastes, welche theilweise neu aufgeführt, oder an Stelle romanischer Bautheile oder zwischen und vor dieselben gesetzt sind.

 

Der Hauptsache nach ist das erhaltene Gebäude aus Bruchsteinen ausgeführt, nur bei den schwächeren Mauertheilen und solchen, welche einen grösseren Widerstand zu bieten hatten, sind Quader zur Anwendung gekommen. Bis auf die Säulenschäfte der Fenster der Ostmauer besteht das Material aus Kalkstein und Rogenstein, welcher nicht weit von Braunschweig (Königslutter und Nussberg) noch heute zu Bauzwecken gebrochen wird. Die Quader zeigen eine sorgfältige Bearbeitung, während das Bruchsteinmauerwerk aus kleineren nur hin und wieder von behauenen Quadern durchsetzten, lagerhaften Steinen hergestellt ist. Die Säulenschäfte der Ostmauern stammen nach den Untersuchungen des Geh. Kammerraths v. Strombeck aus den Ablagerungen einer römischen Wasserleitung der Eifel, aus welchem Material auch Architekturtheile an manchen rheinischen Kirchen und in der Nähe von Braunschweig in St. Ludgeri in Helmstedt, St. Michael und St. Godehard in Hildesheim hergestellt sind. Die Schäfte sind ursprünglich polirt gewesen und besitzen ein marmorartiges Aussehen. Die Untersuchung der Mörtelarten, durch welche die Bestimmung der Zeit, welcher die einzelnen Grundmauern entstammen, sehr erleichtert wurde, ergab bei den romanischen Mauern ein Gemisch von Kalk und mehr oder weniger reichem Zusatz eines auf der Baustelle gewonnenen lehmhaltigen Sandes. Dabei zeigte der Mörtel eine gelbe bis bräunliche Farbe und geringe Festigkeit, welche sich nur da steiget, wo besserer Sand zugesetzt oder der Mörtel dem Wetter ausgesetzt ist. Vielfach fanden sich auch Holzkohlenstückchen,

 

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welche vom Brennen des Kalkes herrühren, und ungelöschte Kalksteinstückchen.

 

Unter der Ueberschrift „die Bauepochen der Burg“ führt Stadtbaurath Winter in der letzten Abtheilung seines Werkes, gestützt auf die Ergebnisse einer Untersuchungen und die Geschichtsforschungen eine Beschreibung und Ansicht der Burg vor, wie dieselbe zu Zeiten Heinrichs des Löwen gewesen sein könnte, und wie dieselbe in den Jahren 1640, 1700, 1770 und 1881 sich dargestellt hat. Die Reconstruction der Heinrichsburg erscheint durch den Verfasser sehr glücklich gelöst; namentlich macht das Titelblatt mit der Vogelperspective der Burg im 12. Jahrhundert, sowie die äussere geometrische Ansicht derselben einen ungemein ansprechenden und wahren Eindruck, während das Blatt mit der hofseitigen Ansicht weniger gelungen sein dürfte.

 

Weit leichter als die Wiederherstellung der Burg Heinrichs des Löwen ergab sich die Darstellung des Palastes in den folgenden Bauepochen, weil hierfür ein hinlängliches Material an Zeichnungen und Beschreibungen vorlag. Die Abbildung aus dem Jahre 1640 führt uns den Bau bereits in den Renaissanceformen, mithin unter theilweiser Beseitigung und Verkleidung der romanischen Bautheile, vor. Die Renaissancefaçade behält das Gebäude auch in den folgenden Bauepochen bei, nur zeigt die Westansicht des Palastes vom Jahre 1700 (-1763) eine Säulenhalle dorischer Ordnung dem Erdgeschosse vorgelegt, von deren Dache aus die fürstlichen Prinzen zum Zeitvertreib Geldstücke in den Rachen des vor der Burg aufgestellten ehernen Löwen zu werfen versuchten. Gleichzeitig finden wir die Fenster durch Senken der Sohlbänke vergrössert, wenn auch nicht verbessert und auf der Ansicht vom Jahre 1770 den südlichen Theil bereits abgerissen und durch den „Ferdinandsbau“ in barocker, nüchterner Weise ersetzt. Die Darstellung des Palastes im Jahre 1881 zeigt natürlich nur denjenigen Theil, welcher bei dem Brande des Ferdinandsbaues 1873 verschont geblieben ist, allerdings den wichtigsten und werthvollsten der Burg: den Saalbau.

 

Als Anhang gibt der Stadtbaurath Winter die Quellen an, welche er bei der Untersuchung der Burgreste und für den geschichtlichen Theil des Werkes benutzt hat, die, wenn auch wohl zum grösseren Theil bekannt, in dieser Zusammenstellung immerhin von Werth sind.

 

Vorschlägen über eine Erhaltung und Wiederherstellung der Burg geht der Verfasser absichtlich aus dem Wege. Dass aber nach der Veröffentlichung seiner Arbeit von einem Abbruche oder einer Verstümmelung der Burgreste nicht wohl mehr die Rede sein kann, dass es vielmehr als unerhört bezeichnet werden müsste, wenn im 19. Jahrhundert die Reste der Burg Heinrichs des Löwen der Zerstörung anheim fielen, werden hoffentlich jetzt auch diejenigen einsehen, welche bislang in dieser Sache einen gar zu engherzigen, den Sachverständigen misstrauenden Standpunkt eingenommen haben. Gerade die vortreffliche Wintersche Arbeit, namentlich die zu den „Bauepochen“ gegebenen Darstellungen beweisen, dass eine Erhaltung der Burgreste unter Dach und Fach mit verhältnissmässig geringen Geldmitteln zu erreichen ist. Wir können und wollen denn auch nicht glauben, dass Braunschweig eine Stätte dem Erdboden gleich macht, welche jedes andere Land, jede andere Stadt im stolzen Selbstbewusstsein pietätvoll sich bewahren würde, zumal in dem vorliegenden Fall ein triftiger Grund für die Beseitigung der Burgreste kaum aufzufinden sein dürfte. Möchten daher die Bestrebungen der deutschen Architekten, insbesondere der Braunschweiger Fachgenossen, deren thatkräftiges Vorgehen bislang das Denkmal vor blindem Zerstörungseifer bewahrt hat, durch einen hochherzigen Entschluss der berufenen Organe im Sinne einer Erhaltung und Wiederherstellung der Burgreste belohnt werden!

 

Zum Schluss aber können wir den Wunsch nicht unterdrücken, dass im Anschlusse an das Wintersche Werk recht bald eine zuverlässige Veröffentlichung des Domes in Braunschweig, welcher mit der Burg in engstem Zusammenhange steht, erfolge und zugleich die bei der Wiederherstellung von Wiehe und Essenwein aufgefundenen höchst werthvollen Baureste aus dem 11. und 12. Jahrhundert allgemeiner bekannter werden. Nur so erhalten die Untersuchungen auf dem Burggebiete einen befriedigenden Abschluss.

 

Pfeifer.

 

 

Quelle:

Zentralblatt der Bauverwaltung Jg. III. 1883 S. 477, 479-481.

Die Arbeit ist digital als Scan unter folgendem Link zugänglich:

https://digital.zlb.de/viewer/image/14688302_1883/486/

 

 

 

 

Paul Zimmermann 1885: Der jüngste Kampf um die Burg Dankwarderode zu Braunschweig

Der jüngste Kampf um die Burg Dankwarderode zu Braunschweig.
Von Dr. Paul Zimmermann,
Herzoglichem Archivar.
Wolfenbüttel, Druck und Verlag von Julius Zwißler. 1885.

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Vorwort.

Dieses Schriftchen erscheint, nicht obgleich sondern weil der Streit um das Schicksal der Burg Dankwarderode bereits so viele Federn in Bewegung gesetzt hat. Denn die übergroße Menge der von Berufenen und Unberufenen in Zeitungen und Zeitschriften ausgestreuten Kundgebungen und die zahlreichen Verhandlungen, welche der Gegenstand in Versammlungen und Vereinen hervorgerufen hat, können Jeden, der all diesen Äußerungen nicht mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt ist, nur verwirrt, die öffentliche Meinung nur getrübt haben. Auf den nachfolgenden Blättern soll der Versuch gemacht werden, durch eine ruhige und sachgemäße Schilderung des im Ganzen recht unerfreulichen Verlaufes dieser Angelegenheit die vorhandenen Vorurtheile zu heben, Fernerstehenden ein richtiges Verständniß für die leicht unerklärlich erscheinenden Ereignisse zu vermitteln und so womöglich zu einer allerseits befriedigenden Lösung der Frage ein Scherflein beizutragen.

Der nachdenkliche Leser wird dann vielleicht noch ein Stück weiter hinausblicken. Er wird erwägen, daß eine falsche Entscheidung, wie sie heute in Braunschweig nicht ganz außer aller Möglichkeit liegt, morgen hier, übermorgen dort im deutschen Vaterlande sich wiederholen kann. Er wird erkennen, wie unsicher es in Deutschland trotz des viel gerühmten geschichtlichen Sinnes unserer Zeit um die Erhaltung der heimischen Kunst- und Geschichtsdenkmäler bestellt ist. Nicht ohne Neid wird er auf andere Länder, auf Oesterreich, Frankreich, Belgien, Holland und Schweden blicken, wo staatliche Commissionen mit theilweise sehr weitgehenden gesetzlichen Befugnissen über solche nationale Schätze zu wachen haben. Unwillkürlich wird sich ihm der Wunsch aufdrängen: möchten doch Vorkommnisse, wie die, welche im Nachfolgenden zu berichten sein werden, auch in Deutschland bald zu den Unmöglichkeiten gehören!

Wolfenbüttel, den 12. October 1885.

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Inhalt.

Rückblick auf die Geschichte der Burg . . . . S. 1

Die Burg und die städtischen Behörden (1873--1880) . . S.15

Aufdeckung der Ostfaçade der Burg und Untersuchung des Burggebiets . . . . . S. 23.

Die Burgfrage vor dem Landtage und den Stadtverordneten (1880 Febr. 1883) . . . . S. 36.

Denkschrift des Architekten- und Ingenieur-Vereins; Stellung des Bürgervereins . . . . . S. 49.

Die Burgfrage nochmals vor den Stadtverordneten und dem Landtage . . . . S. 53.

Schlußfolgerungen . . . . S. 60.

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Rückblick auf die Geschichte der Burg.

Inmitten der späteren Weichbilde, welche allmählich als Stadt Braunschweig zu einem einheitlichen Gemeinwesen zusammenwuchsen, erhob sich auf einer mäßigen Uferhöhe der Oker der Stammsitz der Brunonen, eines der angesehensten altsächsischen Grafengeschlechter. Die früheste Geschichte dieser Familie verliert sich im Dunkel der Vorzeit ; auf keinen Geringeren als auf den Sachsenherzog Wittekind leitet man ihre Abstammung zurück. Eins ihrer Glieder mit Namen Dankward wird zuerst hier dem Walde durch Rodung eine Wohnstätte abgerungen haben ; im 11. Jahrhundert, 1067, wird 'Dankwarderode' zum ersten Mal genannt. Ohne Zweifel war es damals ein großer Herrenhof, neben welchem schon früh eine Kirche entstand. Die Letzte der Brunonen, Gräfin Gertrud, welche dem Grafen Heinrich von Nordheim die Hand reichte, vererbte ihrer einzigen Tochter Richenza, der Gemahlin des nachmaligen Kaisers Lothar


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von Süpplingenburg, mit ihren übrigen Stammgütern auch die Burg Dankwarderode. Hier fanden Lothar dann 1125 nah einer Nachricht der Kaiserchronik die Abgesandten der deutschen Fürsten, welche ihm die Königskrone anboten, und auch nach seiner Wahl hat derselbe häufig an dieser Stätte geweilt*.
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* Vgl. über die Burg Dankwarderode: L. Winter, Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig. Ergebnisse der im Auftrage des Stadtmagistrats angestellten baugeschichtlichen Untersuchungen. Mit 85 in den Text eingedruckten Abbildungen und 20 Lichtdruck-Tafeln. Braunschweig 1883. Dieses Werk beruht auf gründlichen geschichtlichen Studien und sorgfältigen Untersuchungen der gesammten Baulichkeiten und Baureste des Burggebiets; das so gewonnene, umfangreiche, mit besonnener Kritik gesichtete Material, dessen Nachweis zahlreiche Anmerkungen liefern, ist zu einer geschickten Darstellung sämmtlicher Bauepochen der Burg verwandt worden. Die Anschaulichkeit derselben wird noch durch eine Reihe prachtvoller Zeichnungen wesentlich erhöht. Wem irgend daran gelegen ist, sich über Dankwarderode näher zu unterrichten, der findet hier allen gewünschten Aufschluß. In der Hauptsache beruht auch der nachfolgende kurze Überblick auf den Ergebnissen der Winterschen Arbeit. Wo ich glaubte davon abweichen zu müssen, habe ich meine Gründe in den Anmerkungen kurz dargelegt. -- Vgl. außerdem: L. C. Bethmann, Die Gründung Braunschweigs und der Dom Heinrichs des Löwen. Westermanns Monatshefte, Aug. 1861, S. 525 ff. - O. v. Heinemann die Burg Dankwarderode, Vortrag gehalten in der Versammlung des Architekten- u. Ingenieurvereins. Braunschweig 1880. -- Denkschrift des Architekten- und Ingenieur-Vereins für das Herzogthum Braunschweig über die Nothwendigkeit der Erhaltung der Burg Dankwarderode, Braunschweig 1883.


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Durch Lothars einzige Tochter Gertrud, welche Heinrich der Stolze, Herzog von Baiern und Sachsen, heimführte, gelangten die gesammten Brunonischen, Nordheimschen und Süpplingenburgischen Güter und mit ihnen wiederum die Burg Dankwarderode in den Besitz der Welfen. Braunschweig wurde der Mittelpunkt ihrer ausgedehnten Herrschaft.

Hier auf der Burg verlebte nach dem frühen Tode Heinrichs des Stolzen dessen einziger Sohn, Heinrich der Löwe, seine Jugendjahre, und durch ihn sollte diese Stelle sich bald zu hohem Glanze und ungeahnter Bedeutung erheben. Dem mächtigsten Fürsten des Reichs, der an Macht und Ansehen kaum hinter dem Kaiser zurückstand, genügte die bescheidene Burg seiner mütterlichen Ahnen nicht länger. Von Grund aus baute er die Burg dergestalt um, daß sie sich der kaiserlichen Pfalz zu Goslar nicht unwürdig an die Seite stellen konnte. Wann dies geschah, läßt sich mit Sicherheit nicht nachweisen; gut beglaubigt ist nur die Errichtung des Löwenstandbildes im Jahre 1166. Doch läßt sich aus verschiedenen Umständen mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß auch jene Neubauten mit Ausnahme des Doms, dessen Bau Heinrich erst nach seiner Kreuzfahrt im Jahre 1175 in Angriff nahm, etwa um die nemliche Zeit stattgefunden haben.

Wie in allen mittelalterlichen Palastanlagen war der Haupttheil auch hier der sogenannte Palas, ein zweistöckiger


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Saalbau. Das Untergeschoß war der Länge nach von einer Arkadenreihe durchzogen, die den ganzen Raum in zwei gleiche Theile schied und aus zehn mächtigen, mit Quaderbogen überwölbten Pfeilern mit zierlichen Ecksäulchen bestand. Auf ihnen ruhte die Balkendecke, welche das obere Geschoß trug. Dieses bildete einen einzigen großen Raum, zu welchem an der Westseite von außen eine große Freitreppe hinaufführte. Er hatte eine Breite von 13,25 und eine Länge von etwa 40 Metern und war der Mittelpunkt des gesammten Lebens der Burgherrschaft. Nicht nur öffentliche Handlungen fanden hier statt, sondern auch die alltäglichen Zusammenkünfte, die Mahlzeiten u. dgl., weswegen denn dieser Raum nicht nur 'curia, palatium' sondern auch 'moshus' genannt wurde, eine Bezeichnung, die, in der Folge zu 'Mosthaus' verderbt, die gewöhnliche wurde. Das Erdgeschoß des Saalbaues, in welches ebenfalls von Westen zwei große Eingänge führten, diente zum Aufenthalte des Gesindes. Es entspricht diese Anlage genau der Schilderung, welche das Nibelungenlied bei Gelegenheit der Erzählung von den Kämpfen an König Etzels Hofe von solch mittelalterlicher Burganlage liefert.

Nach Osten bildete der Saalbau zugleich einen Theil der Befestigung der Burg, indem er hier unmittelbar aus der Oker emporstieg, von welcher ein Graben rings um die Wälle, Mauern und Thürme des Burggebiets abgeleitet war. Im


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Süden schlossen sich dem Palas die Kemenaten, die eigentlichen Wohnräume, an; diesen im Westen die Burgkapelle, eine jener eigenthümlichen zweistöckigen Doppelkapellen, die durch eine weite Öffnung in der Decke des untern, dem Boden des obern Geschosses, mit einander in Verbindung standen. Jenes war der heiligen Gertrud, dieses dem heiligen Georg geweiht. Südlich stieß an die Kemenaten der Dom, auf dessen hohen Chor von den Wohnräumen aus eine Gallerie durch eine in der Wand des nördlichen Kreuzflügels noch heute sichtbare kleine Thür führte. Vor die Südseite des Doms legten sich der Kreuzgang und die umfangreichen Stiftsgebäude. Den Westen und Norden des Burggebiets nahmen Wohnungen der Burgmannen, Gerichtsgebäude u. s. w. ein. Der Haupteingang zur Burg lag im Westen gerade dem Saalbau gegenüber. In der Mitte des Burgplatzes stand, nach Osten gekehrt, auf steinernem Postament der eherne Löwe, welchen Heinrich als trotziges Wahrzeichen seines Kraftbewußtseins 1166 hatte aufstellen lassen, als ringsum seine zahlreichen Widersacher die Waffen gegen ihn erhoben.

So etwa stellte sich der Fürstensitz des großen Sachsenherzogs dar -- ein stolzer, stattlicher Bau, würdig der Höhe seiner Macht. Er wurde der Schauplatz vieler der bedeutungsvollen Thaten, welche das Leben dieses Fürsten erfüllten. Hier versammelte er die Großen seines Reichs, empfing er die Gesandten des griechischen Kaisers, feierte er seine Heirath


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mit Mathilde, der Tochter König Heinrichs II von England; hierher wurde der gefangene Slavenfürst Wertislaw in sichern Gewahrsam gebracht. Von hier ist Heinrich zur Erfüllung seiner größten historischen Mission hinausgezogen, zu jener Colonisation des Wendenlandes, die weite Strecken im Norden und Osten unseres Vaterlandes deutschem Wesen und deutscher Gesittung gewinnen sollte. Von hier aus betrieb er die Gründung und Hebung zahlreicher Städte, deren Aufblühen im deutschen Norden nicht zum Wenigsten seiner thätigen Fürsorge zu danken ist. Hier fanden die Wissenschaften und Künste eine verständnißvolle Pflege; die hier entstandenen Dichterwerke behaupten einen namhaften Platz in der Geschichte unserer Nationallitteratur. Hier hat dann auch der alte Löwe am 6. August 1195 sein thatenreiches Leben beschlossen; in der Mitte des Domes, den er selbst sich zur Grabeskirche errichtet, ist er beigesetzt worden.

Bei Theilung der Welfenlande unter Heinrichs Söhne im Jahre 1202 fiel die Stadt Braunschweig König Otto IV zu. Auch dieser hat mit Vorliebe auf der Burg Dankwarderode geweilt. Glänzende Tage brachen für diese heran, als hier mit königlicher Pracht 1209 das Pfingstfest, 1212 die Hochzeit Ottos mit der Hohenstaufentochter Beatrix gefeiert wurde, eine Heirath, welche den langjährigen Zwist der beiden Herrschergeschlechter endlich auf immer zu beseitigen schien.

Nach Ottos Tode nahm sein Bruder, Pfalzgraf Heinrich,


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die Burg in Besitz; auch er fand in Braunschweig den hauptsächlichsten Stützpunkt seiner Macht. Begreiflich daher, daß die Kämpfe, in denen sein Neffe, Herzog Otto das Kind, um das erledigte Erbe zu ringen hatte, in erster Linie dieser Stätte galten. Und als er seine Widersacher überwunden, mit dem Kaiser sich ausgesöhnt und von diesem 1235 auf dem Reichstage zu Mainz seine zu Lehen aufgetragenen allodialen Güter als selbständiges Herzogthum zurückempfangen hatte, hielt dieser Erste in der langen Reihe von Herzögen zu Braunschweig und Lüneburg zumeist auf der Burg Dankwarderode seinen Hof. Hier verlieh er u. A. den Bürgern von Braunschweig ihr Stadtrecht, die Grundlage des von dieser Zeit an rasch emporblühenden Gemeinwesens. Nochmals wurde hier auch eine königliche Hochzeit gefeiert, als Ottos Tochter Elisabeth am 25. Januar 1252 dem Könige Wilhelm von Holland die Hand reichte. Für das Gebäude selbst wurde dieses Fest leider verhängnißvoll, da in der Nacht des Beilagers ein Feuer ausbrach und mit solcher Heftigkeit um sich griff, daß die Neuvermählten nur mit genauer Noth demselben entrannen. Der Schaden scheint jedoch schnell wieder hergestellt zu sein, da schon zwei Jahre später (1254) Ottos ältester Sohn, Albrecht der Große, feierlich in Braunschweig den Ritterschlag empfing.

Albrecht war dann auf längere Zeit hin der letzte Herzog, welcher dauernd seinen Aufenthalt in Braunschweig genommen


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hat, Nach seinem Tode (1279) brachen für die Burg stille, glanzlose Tage an. Zwar blieb sie immer noch der Mittelpunkt der gesammten welfischen Lande. Denn wie oft sich auch das welfische Haus in verschiedene Linien gespaltet und nach der verderblichen Gewohnheit jener Zeit seine Länder in immer kleinere Gebiete getheilt hat, so wurden doch die Stadt Braunschweig, die Burg, die Lehen der geistlichen Stifter daselbst Jahrhunderte lang ununterbrochen als gemeinsamer Besitz des Gesammthauses erhalten. Aber diese ideelle Bedeutung der Burg, welche gleichsam die dauernde Gewähr der Zusammengehörigkeit der mitunter sehr uneinigen Herrscherfamilie war, hatte für sie selbst keineswegs günstige Folgen. Da alle Zweige des Fürstenhauses nur ein gemeinsames Recht an derselben hatten, so war jeder Herrscher bei allen, die Stammburg betreffenden Verfügungen an die Zustimmung der anderen Geschlechtsgenossen gebunden; keiner konnte sich in ihr auf eigenem Gebiete, als selbständiger Herr fühlen. So hat sich denn auch bis ins 17. Jahrhundert keine Linie des Welfenhauses für längere Zeit in Braunschweig wieder festsetzen können. Nur ab und zu haben Herzöge dieses oder jenes Zweiges auf der Burg ihrer Väter geweilt; zwar nicht ganz selten, aber doch nicht häufig und niemals lange genug, um durch ihre Anwesenheit den Selbständigkeitsgelüsten der zu Reichthum und Macht gelangten Stadt Braunschweig irgendwie erheblich entgegen zu wirken. Und die seitdem


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höher und höher gesteigerte Spannung zwischen den Herzögen und der Stadt trug wieder nicht wenig dazu bei, daß je länger je mehr die Burg Dankwarderode verödete. Hinzu kam, daß ein abermaliger Brand, muthmaßlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das Gebäude in den übelsten Zustand versetzte. Wir erfahren davon, als Herzog Julius 1569 die Huldigung der Stadt Braunschweig entgegennahm. Offenbar bot damals der alte Palast einen sehr traurigen Anblick; die Westwand drohte mit Einsturz. Und einige Jahre später richtete der Rath an die fürstliche Kanzlei ein Schreiben, in welchem auch über den geradezu gefährlichen Zustand der Ostseite Beschwerde geführt wurde *.

Herzog Julius hegte den Plan, das Hauptgebäude, den alten Saalbau, würdig wieder herzustellen. Natürlich würde dies ein Umbau im Geschmacke seiner Zeit geworden sein, wie er sich denn auch mit der Absicht trug, Chor und Krypte des Domes durch ein kolossales Mausoleum im Renaissancestil von fremden Baumeistern zerstören zu lassen **. Diesem letzteren Plane widersetzte sich das Stiftskapitel von St. Blasien; den Umbau des Palas hingegen war es nach Kräften bereit zu unterstützen. Trotz des unhistorischen Sinnes der Zeit waren bei
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* Nach diesem Schreiben vom 4. März 1581 gefährdete die wankende Wand nach dem Wasser zu die Burgmühle und andere Gebäude. Bekanntlich steht diese Wand noch heutigen Tages.
** Dgl. Bethmann a. a. O. S. 558.


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ihm wohl noch die großen Erinnerungen lebendig, welche sich an diese alten Mauern knüpften. Denn, so schreibt es im Jahre 1572, 'wir nichts Lieberes sehen, auch dem löblichen Stamme Braunschweig von Herzen gönnten, daß das fürstliche urväterliche Moshaus zu einer fürstlichen Wohnung wiederum ehrlich gebauet und angerichtet wäre, wie wir aus göttlicher Verleihung gänzlich hoffen' *.

Politische Erwägungen scheinen vor Allem die Ausführung des Planes vereitelt zu haben. Denn in der Befürchtung, daß Herzog Julius sich in der Burg festsetzen und auf Grund seiner alleinigen Verfügungen und Leistungen weitergehende Rechte in Anspruch nehmen könnte, forderten die anderen Linien des Welfenhauses, sich an jenen Bauten zu betheiligen **.

Herzog Julius aber, der in der That seinen Territorialbesitz möglichst zu festigen und abzurunden suchte und gar zu
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* Nach dem Originale im herzoglichen Landeshauptarchive zu Wolfenbüttel.
** Ich weiche hier von Winter, v. Heinemann u. A. ab, welche auf Rehtmeiers Chronik S. 1066 gestützt den Grund für das Unterbleiben des Baues darin suchen, daß die anderen Linien sich nicht an ihm betheiligen wollten. Doch sagt ein Zeitgenosse des Herzogs, Franz Algermann (S. 231), das gerade Gegentheil und zwar in sämmtlichen Handschriften, die ich eingesehen habe. Rehtmeiers Angabe wird daher wohl auf einem Irrthume beruhen. Jener Quelle folge ich auch da, wo die folgenden Ungaben von denen meiner Vorgänger abweichen oder dieselben ergänzen.


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gern auch die Stadt Braunschweig demselben einverleibt hätte, scheint nicht geneigt gewesen zu sein, seinen Vettern dieses Zugeständniß zu machen. Auch die Stadt Braunschweig wird, so viel an ihr war, diesem Plane entgegengewirkt haben, da ihr, wie des Herzogs zeitgenössischer Biograph, Franz Algermann, sagt, alles daran lag, daß 'der Habicht von der Hecke käme'. So blieb denn in der Burg Dankwarderode vorläufig Alles beim Alten. Zum Glück, darf man jetzt wohl sagen. Denn allem Anscheine nach wollte Julius an Stelle des alten ein ganz neues Gebäude setzen, mit zwei Gallerien geziert, deren reiche Bildhauerarbeit die ganze Geschichte des fürstlichen Hauses zur Darstellung bringen sollte.

Sein Sohn, Herzog Heinrich Julius, welcher mit der Stadt Braunschweig beständig in bitterster Feindschaft lebte, konnte nicht daran denken, dies Werk zu fördern. Und kaum hatte sein Enkel, Herzog Friedrich Ulrich, wirklich wieder einen Anfang damit gemacht, so zwangen ihn die Nöthe des beginnenden großen Krieges, diese Herstellungsbauten in den bescheidensten Grenzen zu halten und demnächst gänzlich darauf zu verzichten. Auch Friedrich Ulrichs Nachfolger, Herzog August, der 1634 zur Regierung gelangte, hatte alle Ursach' zu sparen. Im Vergleich mit den Plänen des Herzogs Julius und mit den Bauten, die Heinrich Julius in seinem Kunstsinne wirklich ausgeführt hat, stellt sich so der Renaissancebau, in den Herzog August das alte romanische Moshaus


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umwandeln ließ, als ein sehr einfaches und anspruchloses Werk dar. Wir verdanken diesem Hergange die Erhaltung der werthvollen romanischen Reste des Palas Heinrichs des Löwen.

Wie schon Herzog Friedrich Ulrich seine Festung Wolfenbüttel einer kaiserlichen Besatzung hatte räumen und in Braunschweig seinen Wohnsitz aufschlagen müssen, so hat auch Herzog August, der Stammvater des jüngst erloschenen älteren Hauses Braunschweig, die ersten Jahre seiner Regierung. in Braunschweig zugebracht. Von hier hat er sein schwieriges Lebenswerk, die Hebung seines wirthschaftlich, geistig und sittlich tief heruntergekommenen Landes mit seltenem Geschick und bestem Glücke begonnen. In den Räumen der Burg hat, wie es scheint, auch seine Lieblingsschöpfung ihr erstes Unterkommen gefunden, die Bibliothek, welche bald darauf der Stadt Wolfenbüttel einen Weltruf verschaffen sollte. Unter den hohen Gästen, die zu jener Zeit auf der Burg abstiegen, wird 1643 auch der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg genannt.

Nachdem in diesem Jahre die Kaiserlichen Wolfenbüttel geräumt hatten, und dann Herzog August dahin übergesiedelt war, diente das Mosthaus, wie man den Bau nunmehr nannte, den Herzögen zunächst wieder nur zeitweilig zum Aufenthalte. Insbesondere hat Augusts Sohn, der geistreiche und prachtliebende Herzog Anton Ulrich, so oft er in der


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Stadt Braunschweig weilte, an dieser Stätte gewohnt. Öfter wurde das Gebäude dann einer Wittwe oder einem Prinzen des herzoglichen Hauses eingeräumt. So vor ihrem Regierungsantritte den Herzögen Ludwig Rudolf und Ferdinand Albrecht II, später der Wittwe des Letzteren, der Herzogin Antoinette Amalie, welche hier am 6. März 1762 verstorben ist. Am 1. August 1713 erblickte in diesen Räumen Herzog Karl I das Licht der Welt. Einige Theile des Hauses wurden später von diesem Fürsten längere Zeit zur Unterbringung des s. g. 'Braunschweigischen Cabinets' verwandt, aus welchem später durch seine Vereinigung mit der Salzdahlumer Bildergallerie das herzogliche Museum erwuchs.

Um das Jahr 1700 unterwarf man das Mosthaus einem weiteren Umbau, der keineswegs zur Verschönerung desselben beitrug: auf der Westseite wurde vor das obere Geschoß eine lange Gallerie gelegt, die auf hölzernen Pfeilern ruhte. Noch entstellender wirkte die folgende und letzte Umgestaltung des Bauwerks im Jahre 1763. Man riß den südlichen Theil desselben nieder und führte ihn im entartetsten Zopfstile wieder auf. Das Gebäude bestand nun aus zwei Hälften, die auf das Übelste zusammen paßten. Die Disharmonie dieses Anblicks vermochte auch der Abbruch der Gallerie und der Renaissancegiebel auf der Westseite nicht zu verwischen.

Der nun südlicheTheil des Gebäudes hieß fortan der 'Ferdinandsbau'. Denn in ihm hat, abwechselnd mit seinem Landsitze


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zu Vechelde, Herzog Ferdinand, der ruhmreiche Feldherr des siebenjährigen Krieges, die letzten Jahrzehnte seines Lebens zugebracht. Dann hat noch Herzog Karl Wilhelm Ferdinands zweiter Sohn, Prinz Georg Wilhelm, hier gewohnt. Seitdem aber hat es nie wieder einem Fürsten Obdach geboten.

Bald folgte die Zeit seiner tiefsten Herabwürdigung. Während der Westfälischen Fremdherrschaft wurde der einst so stolze Palast zu einer Kaserne umgewandelt, und diesem oder ähnlichen Zwecken hat der Bau, nun 'Burgkaserne' genannt, bis in die neueste Zeit hinein dienen müssen. Als im Jahre 1867 alle militärischen Baulichkeiten in preußische Verwaltung übergingen, wurde auch die Burgkaserne der Militärverwaltung abgetreten; durch Reichsgesez vom 25. Mai 1873 (Nr. 927) ging sie als ein zu militärischen Zwecken benutztes Gebäude in das Eigenthum des Reichs über. Die Frage, ob das betreffende Grundstück wirklich Staatseigenthum oder nicht vielmehr Zubehör des herzoglichen Kammergutes sei, scheint man damals nicht erörtert zu haben.


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Die Burg und die städtischen Behörden (1873--1880).

Am 20. Juli 1873 vernichtete ein Brand den südlichen Theil des Gebäudes, den s. g. Ferdinandsbau, derartig, daß auch die Umfassungsmauern abgetragen werden mußten. Die Militärverwaltung beschloß dann, den niedergelegten Theil nicht wieder aufzubauen, sondern das Grundstück, welches die Stadt Braunschweig für ihre Zwecke zu erwerben wünschte, ganz aufzugeben. Am 22. Mai 1878, nachdem für die bisher hier untergebrachten Militäranstalten andere Baulichkeiten hergerichtetet waren, kam zwischen dem Militärfiscus und der Stadtverwaltung ein Vertrag zu Stande, kraft dessen der letzteren das ganze Grundstück für 105000 Mark überlassen wurde. Zu dieser Summe leistete die herzogliche Landesregierung einen Zuschuß von 30000 Mark unter der Bedingung, daß die Stadt Braunschweig über den Erwerb nicht ohne Zustimmung des Staatsministeriums verfügen dürfe.


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Im folgenden Jahre ging dann das Gebäude wirklich in den Besitz der Stadt Braunschweig über.

Die Stadtverwaltung hatte das Bauwerk in der ausgesprochenen Absicht gekauft, es niederzureißen und den gewonnenen Raum zu einer im Interesse des zunehmenden Verkehrs geplanten Straßenveränderung zu benutzen. Zwar hatten bereits Dr. K. Schiller (Mittelalterliche Architektur Braunschweigs S. 61) und Andere darauf hingewiesen, daß in den alten Mauern Überreste der Burg Heinrichs des Löwen enthalten seien; und noch unterm 18. Dec. 1875 hatte sich der Museumsdirector Dr. Riegel in einem Berichte an herzogliches Staatsministerium sowohl im künstlerischen wie geschichtlichen Interesse warm für die Erhaltung des Gebäudes ausgesprochen. Nachdem aber diese Eingabe ohne Erfolg geblieben war, erhob sich zur Unterstützung derselben nirgend mehr eine Stimme. Der Untergang des ehrwürdigen Bauwerks schien unabwendbar.

Da forderte Dr. Riegel gleichsam in letzter Stunde, gegen Ende des Jahrs 1879, den in Wolfenbüttel seßhaften Vorstand des Ortsvereins für Geschichte und Alterthumskunde auf, für jenes Anliegen einzutreten, und hier fand sein Vorschlag in zwei zu reiflicher Erörterung der Frage in Wolfenbüttel abgehaltenen Versammlungen großen Anklang. Nachdem dann bei den städtischen Behörden Erkundigung über die Sachlage eingezogen und das Gebäude besichtigt worden


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war, richtete der Verein unterm 2. Februar 1880 eine Eingabe an den Stadtmagistrat zu Braunschweig, in welcher unter Hinweis auf die hohe Bedeutung des Gebäudes die Bitte ausgesprochen wurde, 'geneigtest eine erneute Prüfung der Angelegenheit veranlassen, einstweilen aber von der Zerstörung der s. g. Burgkaserne Abstand nehmen zu wollen'.

An der Beschlußfassung über dieses Schreiben, das auch dem herzogl. Staatsministerium, dem Architekten- und Ingenieurverein sowie dem Kunstklub zu Braunschweig in Abschrift mitgetheilt wurde, betheiligten sich u. A. der Ober- bibliothekar Dr. O. v. Heinemann und der Vorstand des herzogl. Landeshauptarchivs, Consistorialrath von Schmidt-Phiseldeck in Wolfenbüttel, der Museumsdirector Dr. Riegel, Baurath Wiehe und Stadtarchivar Hänselmann in Braunschweig, Geschichtsforscher, Kunstkenner und Architekten also, die im Herzogthume Braunschweig unbestritten als die berufenen Fachleute gelten und auch weit über dessen Grenzen hinaus sich eines wohlverdienten Ansehens erfreuen.

Da es im Lande kein Organ giebt, das, wie dies in vielen anderen Ländern der Fall ist, von Amts wegen über das Schisal der vaterländischen Denkmäler zu wachen hätte, war es diesen Männern gewiß nicht zu verargen, wenn sie aus eigenem Antriebe für jenes ehrwürdige Gebäude an maßgebender Stelle eintraten. Andererseits läßt sich freilich auch nicht verkennen, daß den städtischen Behörden dieser Antrag


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recht ungelegen kommen mußte. Die neuen Straßenzüge, zu deren Behuf die Burgkaserne fallen sollte, waren bereits geplant; vom Standpunkte der Verwaltung konnte es nur als eine unliebsame Einmischung empfunden werden, wenn jetzt gegen diese Entwürfe ein rein ideales Interesse geltend gemacht wurde. Da man diesem aber eine Berechtigung doch nicht wohl völlig absprechen konnte, so galt es das Für und Wider der Entscheidung auf beiden Seiten gerecht gegen einander abzuwägen. Wiegt der Gewinn einer Verkehrserleichterung den Verlust jener historisch denkwürdigen, baugeschichtlich werthvollen Überreste auf? Lassen sich nicht vielleicht beide Zwecke mit erschwinglichen Kosten erreichen? -- das war die Frage.

Auf diesen Standpunkt stellte sich der Stadtbaumeister Winter in seinem dem Stadtmagistrate erstattetem Berichte vom 7. Febr. 1880. Er führte die praktischen Vortheile aus, welche der Abbruch des Gebäudes mit sich bringen konnte; andererseits hielt er aber 'die Nachtheile, welche aus der Beibehaltung der Burgkaserne für den Verkehr sich ergeben würden, nicht für so erheblich, daß sie allein für die vollständige Niederlegung des fraglichen Gebäudes bestimmend sein könnten'. Ferner machte er geltend, daß die ursprüngliche Form des ehemaligen Burgplatzes bei Belassung der Burgkaserne besser gewahrt bleiben, freilich das Gebäude zum neuen Straßenzuge in eine schiefwinklige Lage kommen werde, Nachdem


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Winter endlich auch die historischen Momente in Betracht gezogen, welche für Erhaltung des Gebäudes sprechen, kam er zu dem Schlusse, daß zunächst wenigstens wünschenswerth wäre, durch Untersuchung festzustellen, welche Theile des Baues wirklich noch aus der Zeit Heinrichs des Löwen herrühren. Bis auf Weiteres schien Winters persönliche Meinung allerdings dahin zu neigen, daß aus jener frühen Zeit nur die Arkadenreihe übrig, und in Anbetracht der durchgängig sehr merklichen Baufälligkeit des Gebäudes glaubte er eine Wiederherstellung desselben, falls nicht ganz bedeutende Geldmittel dazu vorhanden sein sollten, nicht anrathen zu können. Die Erhaltung der Arkadenreihe hingegen erschien ihm 'nicht nur thunlich, sondern auch in Würdigung ihres historischen Interesses durchaus wünschenswerth'.

Der Stadtmagistrat glaubte sich diesen Erwägungen nicht anschließen zu können, vielmehr bei seinem 'Antrage auf Abbruch des fraglichen Gebäudes beharren zu müssen'.

Am 26. Februar kam dieser Antrag in der Versammlung der Stadtverordneten zur Verhandlung. Leider hielt sich der Berichterstatter der Statutencommission, welcher diese Angelegenheit überwiesen war, Stadtverordneter Dr. Grote nicht auf der Höhe unparteiischer Beurtheilung, welche wir den Stadtbaumeister einnehmen sahen. Fühlte er sich in seinem Bürgerstolze beleidigt, daß aus Kreisen außerhalb der städtischen Vertretung, ja von Einwohnern des Nachbarstädtchens


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Wolfenbüttel, in eine Frage eingeredet war, die zunächst ja allerdings eine stadtbraunschweigische war, oder fand er sonst ein besonderes Härchen in der Sache -- genug, ganz unverkennbar zeigte er das Bestreben jene Eingabe lächerlich zu machen, indem er sie durch pathetischen Vortrag zu persiflieren suchte, womit ihm denn wenigstens auch glücklich gelang, die Heiterkeit eines Theiles der Versammlung zu erregen. Hinterher freilich ließ er sich keineswegs als ein grundsätzlicher Feind des Gebäudes finden. Denn als andere Herren, insbesondere die Stadtverordneten Nieß und Dr. Steinacker, eifrig für die historische Bedeutung der Überreste eintraten und wenigstens den Versuch forderten, die Arkadenreihe zu erhalten, stimmte diesen Vorschlägen auch er zu. Allerdings verhehlte man sich nicht, daß es seine Schwierigkeit haben würde, die durch Brand zu wiederholten Malen beschädigten Pfeiler ohne schützende Überbauung gegen den zersetzenden Einfluß von Wind und Wetter auf die Länge zu erhalten, und berief sich dabei auf die Ansicht des Stadtbaumeisters Winter, der 'wiederholt versichert habe', die Arkaden würden, ohne Schutz gelassen, keine zehn Jahre stehen. Weitergehende Wünsche verlauteten nicht; auch der Vorschlag des Stadtbaumeisters, ihn zu einer gründlichen Untersuchung des Gebäudes zu bevollmächtigen, fand keinen Beifall, Immerhin jedoch war es unter den obwaltenden Umständen ein einigermaßen befriedigendes Ergebniß, daß der Antrag, die Erhaltung der Arkaden


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als des, wie man glaubte, alleinigen Überrestes der Burg Heinrichs des Löwen wenigstens zu versuchen, nahezu einstimmige Annahme fand, und von dem Vorsitzenden der Statutencommission, dem damaligen Landsyndicus Otto, ausdrücklich befürwortet wurde, daß man die Abbruchsarbeiten mit aller Sorgfalt werde ausführen lassen, damit nichts, was etwa geschichtlich und architektonisch Merkwürdiges in den alten Mauern noch geborgen sein könnte, ohne zu sicherer Runde für die Nachwelt sorgfältig festgestellt zu sein, der Vernichtung anheimfalle. In diesem Sinne hatte Stadtbaurath Winter bereits bei Niederlegung des sog. Ferdinandsbaues Sorge getragen, daß alle baugeschichtlich werthvollen Fundstücke dem städtischen Museum überwiesen wurden. Von einem sofortigen Abbruche des Gebäudes wurde Abstand genommen; vielmehr beschloß man, dasselbe bis zur Vollendung des neuen Feuerwehrgebäudes zum Schutze des provisorischen Schlauchthurms am Ruhfäutchenplatze gegen die Westwinde stehen zu lassen und zur vorläufigen Unterbringung der Feuerwehrwache zu benutzen.

Diesen Verhandlungen, welche natürlich in den Kreisen der Kunst- und Alterthumsfreunde etwas niederschlagend wirkten, folgte noch ein kleines Nachspiel. Das herausfordernde Auftreten des Commissionsreferenten, das auch sonst in der Presse eine scharfe Beurtheilung erfuhr, veranlaßte den Vorsitzenden des genannten Geschichtsvereins, Dr. v. Heinemann,


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zu einer Erwiderung, in welcher er gegen solche Behandlung der Sache entschiedene Verwahrung einlegte und die dabei untergelaufenen unzutreffenden Voraussetzungen berichtigte *. Es entspann sich daraus eine Polemik zwischen den Freunden und Gegnern der Burg, die von beiden Seiten nicht ohne Gereiztheit geführt wurde und der Sache selbst sich keineswegs förderlich erweisen sollte. Diese Stimmungen muß man im Auge behalten, um die nachfolgenden Vorgänge richtig beurtheilen zu können.
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* Charakteristisch war in dieser Frage die Stellung des Braunschweiger Tageblatts. Alle Auslassungen des Referenten gegen den Verein und dessen Eingabe hatte es ausführlich gebracht, die Eingabe selbst aber nicht abgedruckt. Die Erwiderung v. Heinemanns, welche die anerkannt tactvoll und vorsichtig redigierten officiellen Braunschweigischen Anzeigen anstandslos aufgenommen hatten, wies das Tageblatt zurück, da man sich über Angriffe, die in der Stadtverordnetenversammlung gegen außerhalb Stehende geschähen, zunächst vor dieser selbst zu vertheidigen habe. Erst wenn von dem Vorsitzenden dieser Versammlung eine Erwiderung zurückgewiesen sei, könne die Redaction dieselbe in ihrem Blatte zum Abdruck bringen. Andernfalls drohe Gefahr, daß 'die Redefreiheit in jener Versammlung durch einen Terrorismus nach Art der socialdemokratischen Hetze verkümmert werde' (Tagbl. 1880, Nr. 70). Auch in der Folge blieben mehr oder weniger die Braunschweigischen Anzeigen das Organ der Freunde der Burg, das Braunschw. Tageblatt das der Gegner. Die benachbarten Blätter, wie die Magdeburgische Zeitung, der Hannoversche Courier u. A. sind meines Wissens sämmtlich nur zu Gunsten der Burg eingetreten.


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Aufdeckung der Ostfaçade der Burg und Untersuchung des Burggebiets.

Waehrend der Untergang dieses letzten geschlossenen Restes der Burg Heinrichs des Löwen jetzt unabwendbar schien, und man höchstens die Erhaltung der Arkaden noch glaubte erhoffen zu dürfen, trat plötzlich ein Zwischenfall ein, welcher mit einem Schlage die Sachlage vollständig änderte. Schon früher hatte Baurath Wiehe in einer Versammlung des Geschichtsvereins die Vermuthung geäußert, daß die etwa noch vorhandenen romanischen Bestandtheile in der starken Ostwand des Gebäudes geborgen sein müßten. Diese Ansicht sollte nunmehr ihre volle Bestätigung finden. Bei genauer Besichtigung der Ostwand des Obergeschosses in einem durch Witterungseinflüsse und Beleuchtung besonders günstigen Augenblicke entdeckten die herzoglichen Baumeister Pfeifer und Gittermann, daß unter dem Putze romanische Fensterbogen sich abhoben. In Gegenwart des über diese Entdeckung hocherfreuten Stadtbaumeisters Winter unterzogen sie darauf diese Stelle einer genauen Untersuchung. Und wirklich kamen nach Beseitigung des Putzes zunächst vermauerte Öffnungen und weiterhin eine vollständig erhaltene romanische Fenstergruppe zum Vorschein. Zwei zierliche Säulchen mit kunstvoll gearbeiteten Kapitälen und Basen theilten das Fenster in drei


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Theile *. Das Ganze machte einen so festen und frischen Eindruck, als wenn es erst eben aus der Hand des Steinmetzen hervorgegangen wäre. Dieser Erfolg spornte zu weiterer Arbeit an, und bald hatte man die gesammte romanische Fensteranlage auf dieser Seite des Gebäudes aufgedeckt. Fand sich auch kein zweites Fenster, das so gut erhalten war wie jenes erstentdeckte, war vielmehr die ganze Wand durch das Einbrechen späterer Thüren und Fenster mannigfach entstellt, so bestand doch kein Zweifel mehr, daß man hier einen merkwürdigen Bestandtheil des alten Saalbaues Heinrichs des Löwen vor sich hatte: eine Entdeckung, die von allen Kunst- und Alterthumsfreunden auch außerhalb Braunschweigs mit lauter Freude und lebhaftem Interesse begrüßt wurde und überall den Wunsch nach einer gründlichen Untersuchung des ganzen Gebäudes erregte. Selbstverständlich schien, daß die unter ganz anderen Voraussetzungen gefaßten Beschlüsse der städtischen Behörden nach diesem Zwischenfalle nicht ohne Weiteres mehr zur Ausführung kommen könnten; in vielen Kreisen glaubte man bereits eine würdige Herstellung des Gebäudes für gesichert halten zu dürfen. Der Stadt zwar muthete Niemand solche kostspielige Unternehmung zu; aber man sah es als eine Ehrenpflicht des ganzen Landes an, mit seinen
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* Die Säulenschafte bestehen aus Kalksinter, welcher von einer römischen Wasserleitung am Rhein gewonnen ist. Das Gestein ist sonst in Niedersachsen nur in Hildesheim und in Helmstedt nachweisbar. Vgl. v. Strombeck in den Braunschw. Anz. 1881 Ur. 185 u. 268.


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reicheren Mitteln für die Erhaltung der alten Stammburg seines Fürstenhauses einzutreten.

In diesem Sinne entwickelte jetzt insbesondere der Architekten- und Ingenieurverein zu Braunschweig eine rege Thätigkeit. In einer am 16. März 1880 abgehaltenen Versammlung, an welcher auch der oben genannte Geschichtsverein sich betheiligte und Dr. v. Heinemann den schon früher erwähnten Vortrag hielt, wurden u. A. folgende Anträge angenommen:

1. Der Architekten- und Ingenieurverein erklärt, daß die an der ursprünglichen Façade des herzoglichen Stammschlosses Dankwarderode bereits aufgedeckten umfangreichen Architekturtheile so bedeutend sind, daß ihm eine Erhaltung des ehrwürdigen Gebäudes sowohl aus welt- wie kunstgeschichtlichen Gründen durchaus geboten erscheint.

2. Derselbe ladet den Verein für Geschichte etc. sowie den Kunstklub in Braunschweig ein, nach einem gemeinschaftlich festzustellenden Plane alle erforderlich scheinenden Schritte zu thun, um einen der ältesten Profanbauten Deutschlands vor dem drohenden Untergange zu retten.

3. Derselbe wird an den Stadtmagistrat eine Eingabe richten, in welcher folgende Punkte hauptsächlich zu beantragen sind: a) das Gebäude vorläufig nicht ferner in irgendwelche Benutzung, namentlich nicht für die Feuerwehr, zu nehmen, sondern fürerst intact zu erhalten und in allen seinen


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Theilen, sowie in seiner äußern Umgebung untersuchen zu lassen. -- b) den Stadtmagistrat zugleich in Kenntniß zu setzen, daß der Verein beabsichtige, im Interesse der Sache eine Eingabe an das Herzogliche Staatsministerium wegen Zurückerwerbung der Burg zu richten.

Auch außerhalb des Landes erhoben sich jetzt zahlreiche Stimmen zu Gunsten dieser Anregung, und zwar aus Kreisen, deren Zuständigkeit nicht zu bestreiten war. Mit hoher Freude begrüßte den neuen Fund insbesondere Baurath Hase in Hannover ; zu wiederholten Malen, in Wort und Schrift, ließ er sich angelegen sein, die Bedeutung desselben ins rechte Licht zu setzen und die daraus hervorgehende Verpflichtung nachdrücklich zu betonen. Ähnlich sogleich oder später Baurath Schulze, Leiter der Wiederherstellungsarbeiten des Kaiser-Hauses zu Goslar; Baurath Schuhster und Geh. Regierungsrath Dr. Launhardt in Hannover; Oberbaurath Prof. Adler, Professor v. Dehn-Rothfelser, der inzwischen verstorbene Conservator der Kunstdenkmäler im Königreiche Preußen, Museumsdirector Dr. Bode in Berlin; Geh. Baurath Prof. Dr. H. v. Ritgen in Gießen, der Wiederhersteller der Wartburg; Dr. Essenwein, Director des germanischen Nationalmuseums in Nürnberg; Dombaumeister Fr. Schmidt in Wien und dessen Sohn Prof. H. Schmidt in München; Prof. Steche in Dresden u. A. Die berufene Vertretung der gesammten deutschen Architektenschaft, der Vorstand des Verbandes der


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deutschen Architekten- und Ingenieurvereine, welcher der Zeit in Hannover seinen Sitz hatte, richtete unterm 5. Dec. 1882 eine Eingabe an den Braunschweigischen Landtag, in der auf die hohe architektonische Bedeutung der Burg hingewiesen und um Bewilligung der zu ihrer Wiederherstellung erforderlichen Geldmittel gebeten wurde. Natürlich nahmen jetzt auch die Fachzeitschriften sich der Angelegenheit mit Eifer an und nicht weniger beschäftigten sich damit die politischen Tagesblätter fast aller Orten *.

Dennoch hatte dies erhöhte Interesse auch seine Gegner und, was Fernerstehenden auffällig erscheinen mag, zumeist in der Stadt Braunschweig. Hier herrschte darüber in gewissen Kreisen unverholener Ärger. Man hatte sich einmal in den Gedanken hineingelebt, die 'Burgkaserne' zu beseitigen; das Schlagwort von der nothwendigen Verkehrsader der Stadt u. s. w. übte seinen Einfluß; die Verstimmung, welche durch die an jene Verhandlungen der Stadtverordneten sich anknüpfende Polemik erregt war, wirkte weiter. Man suchte die Bedeutung der erhaltenen Baureste herabzusetzen; je mehr diese von auswärtigen Gelehrten und Architekten anerkannt wurde, desto abfälliger deren Würdigung in Braunschweig selbst. In der hiesigen Tagespresse kamen all diese Strömungen zu deutlichem Ausdruck. In den Braunschweigischen
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* Dgl. auch die kürzlich erschienene Geschichte der deutschen Kunst. Baukunst von Dohme (Berlin 1885) S. 114


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Zeitungen, den Anzeigen und dem Tageblatte, entspann sich ein lebhafter Streit für und wider, bei dem sich die Art und Weise beider Parteien bemerkenswerth von einander unterschied. Während die Freunde sich offen mit Namen zu ihrer Sache bekannten, hüllten sich die Gegner vorsichtig in den Mantel der Anonymität. Man behauptete, daß dem dunkelen Treiben dieser Letzteren gewisse Bauleute nicht fern gestanden haben. Mag dies wahr sein oder nicht -- die Thatsache steht unzweifelhaft fest, daß kein Architekt den hohen Werth der romanischen Gebäudetheile und die Möglichkeit ihrer Erhaltung öffentlich geläugnet hat *.

Die durch jene Entdeckungen vollständig umgestaltete Sachlage erkannten auch die städtischen Behörden rückhaltlos an; sie machten dem Herzoglichen Staatsministerium Anzeige von dem Funde und nahmen von einer Benutzung des Gebäudes durch die Feuerwehr ohne Weiteres Abstand.

Vor Allem kam es jetzt darauf an, eine gründliche Untersuchung des Gebäudes zu veranstalten und so eine sichere
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* Nur eine Ausnahme ist mir bekannt geworden. Herr Architekt Till äußerte sich abweichend in der gemeinschaftlichen Sitzung des August- und Steinthordistricts-Vereins am 28. Mai 1880, und in der Stadtverordnetenversammlung vom 19. Februar 1883 sprach er sich gegen den Verkauf des Gebäudes an die Regierung aus, da dann 'der Stadt die Macht genommen werde, bei der Restauration mitzusprechen' ; doch wünschte er die romanischen Bautheile als Ruine erhalten zu sehen.


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Grundlage zu gewinnen, ohne die alle Wiederherstellungspläne natürlich in der Luft schwebten. Mit dieser Arbeit beauftragte der Stadtmagistrat den Stadtbaumeister Winter, der seine Aufgabe dann in vorzüglichster Weise gelöst hat. Die Ergebnisse seiner umfassenden Untersuchungen sind inzwischen auf Kosten der Stadt in dem prachtvoll ausgestatteten Werke: 'Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig' der Öffentlichkeit übergeben worden. Erst sie ermöglichen eine sichere Beantwortung der Fragen nach dem Ob und dem Wie einer Wiederherstellung des Saalbaues Heinrichs des Löwen.

Es steht nunmehr fest, daß als Überreste des alten romanischen Baues die volle Ostwand, die Nordwand in der ganzen Höhe des Erdgeschosses, sowie die unteren Schichten, an einigen Stellen auch größere Mauerkörper der Westwand in Anspruch zu nehmen sind. Da ferner auch von der Südseite die Grundmauern vorhanden, so läßt sich der Umfang des alten Saalbaues 'mit ziemlicher Sicherheit', wie Winter in seiner vorsichtigen Ausdrucksweise sagt, bestimmen. Alt ist ferner die Bogenstellung in der Längsachse des unteren Geschosses; sie ist nur etwas verkürzt und hat ursprünglich um mindestens einen Bogen weiter nach Süden gereicht. Ihre Bestimmung war, die Balkendecke des oberen Geschosses zu tragen; als einziges Beispiel dieser Bauanlage, welches, so viel man weiß, aus romanischer Zeit auf uns gekommen ist, beansprucht sie eine ganz besondere Wichtigkeit, weswegen


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denn auch Baurath Schulze, der Wiederhersteller des Kaiserhauses zu Goslar, sein lebhaftes Bedauern darüber ausgesprochen hat, die Burg Dankwarderode nicht schon früher gekannt zu haben, da sie ihm bei Gestaltung des unteren Geschosses des Kaiserhauses von wesentlichem Nutzen hätte sein können. Daß das fehlende Stück dieser Arkaden nach Maßgabe der vorhandenen Pfeiler und Bogen leicht zu ergänzen sein würde, liegt auf der Hand. Ebenso ist niemals bestritten worden, daß für Wiederherstellung der ganzen Ostwand vollauf genügende Anhaltspunkte vorhanden sind. Nur das obere Gesimse fehlt, und auch unter den vermauerten Steinen ist leider kein Gesimsstück zum Vorschein gekommen. Hier müßte man die entsprechenden Motive von anderen gleichzeitigen Gebäuden entlehnen, wenn man nicht etwa aus dem Mangel derartiger Fundstücke folgern wollte, daß hier ein Gesimse überhaupt nicht vorhanden gewesen sei *.

Schwieriger gestaltet sich die Frage der Wiederherstellung hinsichtlich der Westwand. Winters Untersuchungen ergeben, daß auch hier eine Fensteranlage gewesen ist, deren ungefähre Form er unter Benutzung aufgefundener Architekturtheile berechnet hat. Festgestellt ist ferner, daß hier ein Vorbau mit
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* Dieser Ansicht ist in Betreff des Saalbaus auf dem Münzenberge in der Wetterau, wo der gleiche Befund vorliegt, der mit dessen Herstellung betraute Professor Dr. H. v. Ritgen in Gießen, dessen freundlicher Mittheilung ich diese Angabe verdanke.


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einer Außentreppe sich anschloß, deren Grundmauern Winter aufgedeckt hat, und daß in das untere Geschoß von außen zwei Eingänge geführt haben.

Wer nach solchen spärlichen Anhaltspunkten eine Wiederherstellung auch dieser Seite in romanischem Stile versuchen wollte, würde natürlich in sehr vielen Punkten auf seine eigene Phantasie angewiesen sein. Wie der Palast von dieser Seite einst ausgesehen hat, kann Niemand wissen; hier eine romanische Façade bilden, hieße mehr oder weniger ins Blaue tasten. Ähnlich verhält es sich mit der Nord- und besonders mit der Südwand des Gebäudes.

Um das Alte in geschichtlicher Treue und mit möglichst geringen Zuthaten zu erhalten, tauchte unter diesen Umständen der Plan auf, nur die Ostwand romanisch herzustellen, auf der Nord- und Westseite die überlieferte Renaissance zu belassen, die Südwand auf den alten Grundmauern aufzuführen und südlich vor dieselbe einen kleinen Anbau zu legen, in welchem die Treppe und die übrigen zu einer Nutzbarmachung des ganzen Gebäudes erforderlichen Räumlichkeiten unterzubringen wären. Würde dann der Renaissancegiebel auf der Ostseite entfernt und die auf der Westseite einst vorhanden gewesenen wieder aufgeführt, so böte zwar das Gebäude hüben und drüben einen grundverschiedenen Anblick. Keinesfalls aber doch mehr als unzählige andere Schlösser und Kirchen, die gleichfalls die verschiedensten Stilarten an


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sich tragen, ohne daß es Jemanden in den Sinn kommt, die eine Kunstform zu Gunsten der andern gewaltsam beseitigen zu wollen. Ganz abgesehen davon, daß in unserem Falle die verschiedenen Stilarten, da beide Seiten eben nie zu gleicher Seit zu sehen sind, einander in keiner Weise stören würden.

Alles Alte würde auf diese Weise erhalten, jeder gewaltsame Zusatz vermieden werden. Von Osten hätte man eine stattliche romanische Façade vor sich, von Westen einen keineswegs uninteressanten Renaissancebau. Schon äußerlich würde so das Gebäude seine Geschichte zur Schau tragen. Im Innern aber hätten wir in beiden Geschossen die Räumlichkeiten des alten Saalbaues in vollem Umfange erneuert.

Daß eine derartige Wiederherstellung möglich, wird allgemein anerkannt. Daß sie im Interesse der Geschichte der deutschen Baukunst dringend wünschenswerth sei, ist wiederholt in und außerhalb Braunschweigs von den berufensten Fachleuten öffentlich erwiesen worden. Bei der Spärlichkeit von Überresten romanischer Profanbauten kann jeder neue Fund der Art nur hochwillkommen sein. Hat doch ganz Norddeutschland nur ein einziges nichtkirchliches Gebäude aus dieser frühen Epoche aufzuweisen, das Kaiserhaus zu Goslar *.
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* Auch in Süd- und Mitteldeutschland sind derartige Palastanlagen nur wenig erhalten. Winter hat deren im ersten Excurse S. 68 ff. im Ganzen nur sechs nachweisen können: in Eger, Gelnhausen, auf dem Münzenberge, der Wartburg, in Seligenstadt und Wimpfen.


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Und gerade zu diesem bildet unser Dankwarderode ein interessantes Gegenstück. Ist diese Herzogsburg auch von geringerer Größe und Stattlichkeit als jene Kaiserpfalz, so finden zwischen beiden doch manche Ähnlichkeiten statt, die sich in gleicher Weise auch an den Kapellen und den Domen wiederholen, welche sich einst bei beiden Palästen erhoben. Leider ist in Goslar von dem alten Münster nur noch die nördliche Eingangskapelle erhalten; der sehr verfallene Hauptbau ist bekanntlich 1819 abgebrochen worden, in einer Zeit, die für Kunst und Alterthümer sehr wenig Sinn hatte und überdies auch nach den Drangsalen der Freiheitskriege, sowie angesichts der vielen näher liegenden Aufgaben, die ihrer Lösung harrten, die Geldmittel für derartige Interessen nicht aufzubringen vermocht hätte. Gleichwohl regte sich auch damals sehr bald, leider aber zu spät erst, das öffentliche Gewissen gegen jene Art der Zerstörung. Schon 1824 suchte die Hannoversche Verwaltung die Schuld daran auf die früheren Regierungen abzuwälzen *. Die hohe Bedeutung der Pfalz freilich erkannte man dort derzeit so wenig wie bis vor Kurzem in Braunschweig die der Burg Dankwarderode. Auch dort waren die Fenster vermauert, störende Anbauten hinzugefügt; seines scheunenartigen Aussehens halber hielt man den Bau für ein Hinterhaus, die eigentliche Pfalz für längst von der Erde
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* Spangenberg, Neues vaterländisches Archiv. 1824 B. I S. 242ff.


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verschwunden *. Zu einer Herstellung bot die dortige Westfaçade, nach der Versicherung unterrichteter Architekten, nicht mehr Anhaltspunkte, als die Ostseite unserer Burg.

Ein glückliches Geschick hat in Braunschweig neben dem Saalbau den alten Dom und somit die beiden werthvollsten Bestandtheile der gesammten Burganlage auf uns gebracht. Sind auch die Kemenaten und die Doppelkapelle St. Georgii und St. Gertrudis längst verschwunden, so läßt sich doch ihre ehemalige Lage aus der Stellung des Doms zum Palaste im Geiste leicht ergänzen. Gerade in dieser ihrer Verbindung aber gewinnen beide Bauwerke, da sie eine sonst in diesem
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* Spiel, Vaterländisches Archiv 1819. B. I S. 247: -- Ferner S. 255 ; 'Es ist ein großes, aber ziemlich unscheinbares Gebäude, welches nach einigen damit vorgenommenen Reparaturen jetzt zu einem Magazine dient'. -- Müller (Streifereien in den Harz, 1800 B. 2 S. 140) nennt das Kaiserhaus ein langes schlechtes Gebäude, das zu seiner Zeit als Stallung gedient haben mag'. Von der Burg selbst', fügt er hinzu, 'sieht man nicht die geringste Spur. Sie brannte 1288 ab und wurde nicht wieder aufgebaut'. Spieker (Der Harz in seinen Ruinen und Sagen 1857 S. 223) schreibt: 'Von der alten kaiserlichen Pfalz steht nur noch der Rest eines Nebengebäudes, das jetzt zu einem Kornspeicher und zu einer militärischen Rumpelkammer eingerichtet ist. Der Pallast muß von großem Umfang gewesen sein etc.' Vgl. außerdem: v. Uffenbach, Merkwürdige Reisen Th. 1, S. 81; Die Vorzeit 4. Jahrg. 1823 S. 95 Anmerkung; Gottschalck, Taschenbuch für Reisende in den Harz, Magdeburg 1833 S. 137 ('Seitenflügel'); Brederlow, Der Harz, Braunschweig 1851 S. 213: 'als Überbleibsel der Feuersbrunst 1288 trauert noch der eine Seitenflügel'.


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Umfange nirgends in Deutschland erhaltene Bauanlage des 13. Jahrhunderts darstellen, eine ungewöhnliche Bedeutung; der Untergang des einen würde auch dem anderen den größten Abbruch zufügen. Jetzt liegt der Burgplatz mit unbedeutenden Veränderungen noch in denselben Raumverhältnissen da, die er zur Zeit Heinrichs des Löwen gehabt hat. Noch schaut von seinem steinernen Postamente der eherne Löwe auf die Burg seines Herrn, vor der er länger denn siebenhundert Jahr treue Wacht gehalten hat. Der historische Charakter, die schöne Harmonie des Platzes *, der seines Gleichen in Deutschland wenig finden dürfte, würde gänzlich zerstört werden, wenn man den alten Saalbau abbrechen und seine Ostseite durch eine neue Häuserreihe schließen wollte. Möchte bei diesen neuen Gebäuden noch so sorgsam ein harmonischer Anschluß an das Vorhandene gesucht werden -- der Platz wäre von Grund aus umgestaltet, seine historische Weihe dahin. Denke man sich nur den alten Löwen, das stolze Wahrzeichen Braunschweigs, hinüberschauend auf moderne Bauwerke, mit denen ihn keinerlei Beziehung, keinerlei innerer Zusammenhang verknüpft! Man hat in letzter Zeit oft darüber Klage geführt, daß die Südseite des Doms durch die neuen Justiz- und Polizeigebäude empfindlichen Eintrag erleidet. Sollte man da
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* Jetzt füllt der Löwenstein den Burgplatz angemessen aus; bei Vergrößerung des Platzes würde aber das schöne Verhältniß zwischen diesem und dem Denkmal sofort verloren werden.


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nicht um so mehr darauf bedacht sein, wenigstens die Nordseite desselben vor ähnlichem, ja noch ungleich größerem Schaden zu bewahren?

Die Burgfrage vor dem Landtage und den Stadtverordneten (1880 -- Febr. 1883).

Diese Erwägungen waren es, die nach Aufdeckung der romanischen Reste in der Heinrichsburg zu erneuter Prüfung der Frage zwangen: Sind die Vortheile, die aus einer Beseitigung des alten Saalbaues erwachsen, so groß, daß man darum den Verlust der ehrwürdigen historischen Stätte leichten Herzens verschmerzen könnte? Daneben trat aber, wie natürlich, noch eine zweite Frage in den Vordergrund: Wer wird die Kosten tragen, welche der Ankauf des Gebäudes bereits gefordert hat und eine würdige Wiederherstellung desselben noch weiter fordern wird?

Schon im Jahre 1880 beschäftigte diese Frage die Landesversammlung. Als in vertraulicher Sitzung berathen wurde, welch bleibendes Erinnerungszeichen zur Feier der fünfzigjährigen Regierung Herzog Wilhelms gestiftet werden könne, fand der Plan, dem allverehrten Landesherrn die Burg seiner Ahnen wieder herzustellen, zwar vielfachen Anklang. Da jedoch von anderer Seite bereits die Stiftung eines Blindenasyls


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vorbereitet war und demnach die Mehrheit zu der Ansicht gelangte, dieser Plan würde in weiteren Kreisen des Volkes mehr ansprechen, wurde darüber jener andere Vorschlag für dieses Mal aufgegeben.

Bald darauf aber kam die Angelegenheit in derselben Versammlung aufs Neue zur Sprache, indem der Abgeordnete Hausmarschall v. Cramm am 29. November 1882 einen Antrag stellte, welcher in der später vom Referenten vorgeschlagenen Fassung folgendermaßen lautete: 'Die Landesversammlung wolle beschließen, an das herzogliche Staatsministerium das Ersuchen zu richten, mit dem Magistrate der Stadt Braunschweig wegen Erwerbung des noch stehenden Theils der sog. alten Burgkaserne mit den darin enthaltenen Resten der Burg Dankwarderode in Verhandlung zu treten und von deren Resultate der Landes-Versammlung demnächst, wenn thunlich unter Beifügung geeigneter Vorschläge zur würdigen Conservirung des Bauwerks, Kenntniß zu geben'.

Der Referent, Consistorialrath von Schmidt-Phiseldeck, welcher der Sache als stellvertretender Vorsitzender des Braunschweig-Wolfenbüttelschen Geschichtsvereins von vornherein ein thätiges Interesse geschenkt hatte, erstattete seinen Bericht am 2. December 1882. In ruhiger, eindringlicher Rede führte er die hohe Bedeutung der Burg für die Landesgeschichte, ihren großen Werth für die Geschichte der deutschen Baukunst aus. Da die Instandsetzung des Gebäudes sehr wohl


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möglich sei -- habe sich doch von der Ostfaçade mehr erhalten als seiner Zeit von der Westseite des Kaiserhauses in Goslar -- dazu auch keineswegs unerschwingliche Geldmittel (etwa 150000 Mk) erforderlich seien, so werde das Land sich der Ehrenpflicht nicht entziehen können, dafür einzutreten. In demselben Sinne äußerte sich der Correferent, Justizrath Häusler. Er habe, bekannte dieser, der Frage anfangs zwar kühler gegenüber gestanden. Nachdem er aber gesehen und von Sachkundigen gehört, um was es sich handele, halte er die Niederlegung des Bauwerks 'für eine Unmöglichkeit'. Das Land dürfte sich der Verpflichtung einer würdigen Restauration des Gebäudes nur dann für überhoben erachten, wenn dasselbe unhaltbar, seine Beseitigung im Verkehrsinteresse nothwendig und die zu seiner Wiederherstellung erforderliche Summe unverhältnißmäßig hoch wäre. Da keine dieser drei Voraussetzungen zutreffe, so könne er den vorliegenden Antrag nur befürworten.

Der Eindruck dieser Reden wurde leider dadurch sehr beeinträchtigt, daß die Geschäftsordnung nicht gestattete, noch an demselben Tage einen Beschluß zu fassen, und daher auch die Fortsezung der Berathung bis auf Weiteres verschoben wurde. Vorher gab der Abg. Commerzienrath Schöttler die Erklärung ab, daß er zwar gegen den Antrag zu sprechen gedenke, zuvor aber den Druck der Referate abwarten wolle.

Erst am 25. Januar 1883 wurden die Verhandlungen


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wieder aufgenommen. Eine Änderung in der Fassung des Antrags wurde vom Abg. Pockels, Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig, vorgeschlagen, welche sowohl die Zustimmung des Antragstellers als auch der Referenten fand. Als seine persönlicheUnsicht, für die er jedoch die Genehmigung des Magistrats und der Stadtverordneten vorbehalten müsse, äußerte er, daß die Stadt Braunschweig als zeitige Besitzerin des Gebäudes dessen Wiederherstellung gewiß gern übernehmen würde, wenn man ihr die von dem Landtage zu verwilligenden Mittel zu diesem Zweke überwiese. Es empfehle sich dies um so mehr, da das Gebäude dem Archiv und der Bibliothek oder dem Museum der Stadt eine passende Unterkunft gewähren und somit auch eine zweckmäßige Verwendung finden könnte, dem Staate aber auf diese Weise eine dauernde Last abgenommen würde. Abg. Pokels beantragte daher, daß an das herzogliche Staats-Ministerium nur das 'Ersuchen gerichtet werde, mit dem Magistrate der Stadt Braunschweig wegen Wiederherstellung der Reste der Burg Dankwarderode in Verhandlung zu treten und von deren Resultate der Landes-Versammlung, eventuell unter Beifügung geeigneter Vorschläge zur würdigen Conservirung des Bauwerks, Kenntniß zu geben'.

Das herzogliche Staatsministerium sprach sich zustimmend aus. Geheimrath Graf Görtz-Wrisberg erklärte dabei, daß herzogliche Landesregierung die würdige Erhaltung der


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denkwürdigen Baureste als eine Pflicht, zugleich aber, da von der Stadt ein solches Opfer nicht wohl zu fordern sei, als eine Landessache ansehe.

Gegen den Antrag sprachen zumeist ländliche Vertreter. Ihre Äußerungen liefen darauf hinaus, daß schon genug Gold für Bauten ausgegeben, daß die fragliche Angelegenheit lediglich von Alterthumsschwärmern angeregt worden sei, die nach ihrer Art zu Übertreibungen neigten, daß die Erinnerung an Heinrich den Löwen durch den Dom und das Löwenstandbild hinlänglich gewahrt werde etc. etc. Einen neuen Gesichtspunkt stellte der Abgeordnete Lambrecht auf. Er bezeichnete den Antrag als einen Eingriff in fremde Rechte: anderwärts seien derartige Gebäude von den Fürstenhäusern wiederhergestellt worden, die es angehe; wenn dies hier nicht geschehe, so werde wohl auch an dem Dinge nicht viel gelegen sein. Daß es allen diesen Herren in erster Linie um eine Ersparniß zu thun war, erhellte aus ihren Äußerungen jedenfalls am klarsten.

Eine abweichende Stellung nahm der Abg. Schöttler ein. Seiner lange vorher angekündigten Rede sah man natürlich mit Spannung entgegen. Zumeist war dieselbe, wie man zu sagen pflegt, aus dem Fenster gesprochen. Mit großer Erregung verbreitete sich Redner über einige Zeitungsartikel, welche Thatsachen verdreht und die städtischen Behörden in ein schlechtes Licht gestellt hätten. Dann polemisirte er gegen


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v. Dehn-Rothfelser, der die starke Baufälligkeit der Westseite des Gebäudes in Zweifel gezogen habe. Außerdem wich er von diesem vor Allem in der Werthschätzung der Pfeilerstellung des Untergeschosses ab. Er ereiferte sich darüber, daß man diese 'plumpen Säulen' mit dem schönen Namen Colonnaden oder Arkaden benenne und berief sich für seine Meinung, daß dies eine arge Schönrednerei sei, 'auf Heyses Fremdwörterbuch und Meyers Conversationslexicon' *. Für die Erhaltung dieser selbigen 's. g. Colonnaden', erklärte er, 'gebe er keinen Dreier'. Trotzdem gestand auch Herr Schöttler zu, 'daß ein gewisser historischer Werth in dem Bau stecke', wonach er sich dann -- Ende gut, Alles gut -- bereit erklärte, für den Antrag Pockels zu stimmen.

Dieser wurde dann in namentlicher Abstimmung von 23 gegen 21 Stimmen angenommen. Daß die ländlichen Vertreter fast geschlossen dagegen eintraten, wird Niemand Wunder nehmen, der die besonderen Verhältnisse des Braunschweigischen Landtages kennt. Nur die Rittergutsbesizer Hausmarshall v. Cramm und Jägermeister Graf von der Schulenburg standen zur Mehrheit, während der Oberkammerherr Hofjägermeister v. Veltheim sich auch in dieser Sache von jenen ländlichen Abgeordneten nicht trennte. Diesen schloß sich eine Anzahl der Vertreter der kleineren Städte des Landes an.
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* Der officielle Sizungsbericht geht hierüber hin. Vf. war Ohrenzeuge.


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Hinzugefügt mag noch werden, daß von keiner Seite das angebliche Verkehrsinteresse der Stadt Braunschweig geltend gemacht wurde, auch nicht von dem Abgeordneten Reuter, welcher gleichfalls dem Pockelsschen Antrage zustimmte.

Somit hatte sich nun der Braunschweigische Landtag mit einer wenn auch schwachen Mehrheit im Princip für die Erhaltung der Burg Dankwarderode ausgesprochen. Trotzdem stieß dieser Ausgang zumal in weiten Kreisen der Stadt Braunschweig, der man doch ein werthvolles Gebäude erhalten wollte, auf die allerungünstigste Beurtheilung, und anonyme 'Eingesandts' und anderes der Art im Braunschweiger Tageblatte suchten diese Mißstimmung von Zeit zu Zeit zu schüren.

Neue Nahrung erhielt dieselbe tagtäglich durch den Anblick des Gebäudes selbst, welcher naturgemäß für die große Menge nur abstoßend sein kann. Schon eine Reihe von Jahren stand das ruinenhafte Gebäude inmitten einer belebten, gewerbreichen Stadt; dem Laien ist nicht zu verdenken, wenn er sich darüber ärgert, sein Unwille sich je länger je mehr steigert, und am Ende sein Schluß kurzweg lautet: lieber ganz fort mit dem Gebäude als noch Jahre lang diese Ansicht und das Geschreibsel darüber in den Zeitungen. Dabei übersieht er jedoch, wie ganz anders das Gebäude sich ausnehmen würde, sobald man es nur einigermaßen wieder in Stand setzte. Wie kümmerlich hat nicht das Goslarer Kaiserhaus vor seiner Wiederherstellung ausgesehen! Der Geh. Regierungsrath


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Blumenbach * nannte es 1846 'eine ehrwürdige Ruine'. Nur in zwei Fenstern standen noch je zwei Säulen, alle übrigen fehlten. Der mittlere Dachgiebel war ganz abgetragen und durch hölzernes Fachwerk ersetzt. Eine Abbildung in der illustrirten Zeitung vom 20. Mai 1871 zeigt das ganze Mittelstük der Westseite des Gebäudes bis in das Erdgeschoß hinunter in Fachwerk aufgeführt. In- und Anbauten, neue Fensteröffnungen etc. hatten es nicht weniger verunstaltet als dermalen die Burg Dankwarderode. Sein malerischer Eindruck war schon 1810 so gering, daß Blumenbach seinen Begleiter, einen Baumeister, nur mit Mühe bewegen konnte, überhaupt nur eine Skizze von der Façade zu nehmen. Wer möchte aber jetzt wohl das Kaiserhaus missen! Erfahrungen wie diese legen die Forderung nahe, in solchen Fragen vor Allem auf das Urtheil von Fachleuten zu hören; sie berechtigen zugleich zu der Hoffnung, daß auch in Braunschweig die jetzige Stimmung umschlagen wird, sobald man an dem Gebäude einmal seine Schuldigkeit gethan hat.

Doch einmal gefaßte Vorurtheile sitzen fest. Das zeigte sich, als der Magistrat seine Vorschläge wegen Herstellung der Burg den Stadtverordeten vorlegte. Am 19. Februar 1883 berichtete über dieselben für die vereinigte Statuten- und Finanzcommission der Stadtv. Heymann. Dreierlei Möglichkeiten
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* Vgl. Archiv des histor. Vereins f. Niedersachsen Nr. 5. Jahrg. 1846, S. 4 ff. und oben S. 33 ff.


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waren zur Entscheidung gestellt: entweder das Gebäude unter Beibehaltung aller architektonisch werthvollen Theile zur Aufnahme des Archivs und der Bibliothek herzurichten, welche beide seit längerer Zeit an unerträglichem Raummangel leiden -- Voraussezung und Bedingung dieses Antrags war, daß der Staat einen Zuschuß von 150000 Mk leisten würde -- oder aber das Gebäude an die Landesregierung für 50 000 Mk zu verkaufen, jedoch unter der Bedingung, daß an der Südseite desselben ein 16 Meter breiter Raum für Straßenzwecke frei bleibe; oder endlich die architektonisch werthvollen Bestandtheile als Ruine zu erhalten -- ein Vorschlag, der nur etwaigen Falls ins Auge gefaßt und daher vor der Hand noch ohne nähere Erläuterung geblieben war.

Oberbürgermeister Pockels hob hervor, daß die Wiederherstellung der Burg Dankwarderode allerdings eine Landesangelegenheit sei. Wenn jetzt die Stadt dieselbe mit staatlicher Unterstützung übernehmen wollte, so könnten für diese Entschließung -- abgesehen von der Ehrenpflicht gegen den Stadtbaurath Winter -- nur nüchterne Nützlichkeitsrücksichten den Ausschlag geben. Das Museum, das Archiv und die Bibliothek seien zur Zeit sehr mangelhaft untergebracht. Verlege man letztere beiden in das restaurirte Burggebäude, so gewinne man in den freigewordenen Räumen im Erdgeschosse des Neustadtrathhauses hinreichenden Platz für das Museum.


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Für diese Zwee sei der erforderliche Aufwand (100000 Mk einschließlich Bauplatz) nicht zu hoch, und jeder selbständige Neubau für jene Anstalten würde ohne Frage ungleich kostspieliger werden. Noch billiger und zweckmäßiger freilich dürften Archiv und Bibliothek in dem neuen Stadthause unterzubringen sein, falls ein solches gebaut werden sollte. Mit warmen Worten gedachte Oberbürgermeister Pockels ferner der Verdienste des Stadtbauraths Winter um die Burg, dem er die ins Auge gefaßte Aufgabe als eine Genugthuung für mancherlei Kränkungen von Herzen wünschen möchte.

Wie zu erwarten war, gingen die Ansichten der Stadtverordneten weit auseinander. Stadtv. Heymann erklärte sich persönlich für das zweite Project, da es gleichgültig sei, ob die Stadt oder der Staat das Gebäude wiederherstelle und für die Versammlung der praktische Gesichtspunkt maßgebend sein müsse. Anders Stadtrath Schöttler. Nachdem er sich gegen falsche Auffassungen seiner im Landtage gehaltenen Rede vertheidigt und sich wiederum des Längeren über die Arkaden verbreitet hatte, die 'bei alleiniger Berücksichtigung ihres architektonischen Werths keine Berechtigung auf Erhaltung' hätten, sprach er seine persönliche Meinung dahin aus, daß der historischen Pietät und dem Kunstwerthe der Fenster in der Ostseite vollständig Rechnung getragen werde, wenn man sie in dem neu zu erbauenden Museum unterbringe, während man ja 'die sogenannten Colonnaden als angenehme


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Decoration hinter dem Museum im Garten aufstellen könne'. Bei alledem erklärte er sich mit dem ersten Vorschlage, also mit Wiederherstellung der Burg einverstanden, falls Winter den Bau ausführe, weil andernfalls doch nur 'Flickwerk' zu Stande kommen würde. Ginge die Burg in den Besitz der Regierung über, so daß diese den Bau müßte ausführen lassen, so würde er mit vielen anderen Collegen im Landtage, wo er bekanntlich früher für Erhaltung der Burg seine Stimme abgegeben hatte, jetzt gegen Bewilligung der nothwendigen Mittel stimmen, 'so daß, wenn heute Project 1 zur Seite geworfen, Project 2 hoffentlich im Landtage fallen würde'. Nur mit Rücksicht auf Stadtbaurath Winter wünsche er den Bau; alle anderen Architekten erklärte er sich gedrungen, nach Kräften davon fern zu halten.

Mit den Herzenswünschen des Stadtraths Schöttler berührte sich die Ansicht des Stadtv. Rieke. Er wollte die Ruinen der Burg noch weiter als jener, in das vor Braunschweig gelegene Fasanenhölzchen, den jetzigen Stadtpark, getragen und hierüber dann eine Denkschrift im Archive niedergelegt wissen. Stadtv. Munte ließ sich dahin vernehmen, wegen der paar Fenster brauche man 'das alte Gerümpel' nicht stehen zu lassen.

Zweckbewußter als diese Herren ging der Stadtverordnete und Director der städtischen Wasserwerke, Herr Reuter, vor. Hatte er unlängst bei Erörterung der Angelegenheit im


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Landtage von dem Verkehrsinteresse der Stadt kein Wort verlauten lassen, so schob er jetzt diese Frage wieder in den Vordergrund, indem er beantragte, an alle Vorschläge die Bedingung zu knüpfen, daß von der Nordseite des Gebäudes mindestens 4 Meter abgebrochen, und dieser Raum der hier nur 5 Meter breiten Straße zugelegt würde. Daß der Stadtbaurath Winter eine derartige Bedingung mit dem Projecte der Restauration für unverträglich erklärt hatte, schien die Mehrzahl der Stadtverordneten keineswegs auf andere Gedanken zu bringen.

Der Stadtv. Winter überbot noch Herrn Reuter. Er beantragte von der Nordseite des Gebäudes unter allen Umständen 7 Meter abbrechen zu lassen; wogegen Stadtv. Dr. Blasius vorschlug, man möge eine Verbreiterung der Straße durch Abbruch des der Burg gegenüberliegenden, architektonisch werthlosen Hauses, der s. g. Löbbeckeschen Speiseanstalt, zu gewinnen suchen. Außer ihm trat, wie schon früher, so auch jetzt wieder Stadtv. Nieß für Erhaltung der Burg ein, indem er ausführte, daß es vor Allem die kunsthistorischen Alterthümer seien, die der Stadt Braunschweig ihre Bedeutung verschafften, zu diesen aber in erster Reihe die Burg Dankwarderode gehöre.

Richtig charakterisirte die Sachlage Bürgermeister Rittmeyer. Zwei Parteien, führte er aus, stehen einander scharf gegenüber. Kunsthistoriker und Architekten treten für die Wiederherstellung


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der Burg ein, die Männer des praktischen Lebens für deren Beseitigung. Der Stadtmagistrat nehme mit seinem Antrage eine vermittelnde Stellung ein; da das Gebäude sich sehr gut zu einem städtischen Zwecke eigne, so suche er den praktischen Standpunkt mit den idealen Interessen zu vereinigen. Demnach bat er nochmals um Annahme des ersten Vorschlags.

Bei der Abstimmung ergab sich Stimmengleichheit für den weitestgehenden Antrag des Stadtv. Winter, welcher dann aber fiel, indem der derzeitige Vorsitzende der Stadtverordneten, Landsyndicus Otto, sich gegen ihn entschied. Angenommen wurde dann der Antrag Reuters mit 13 gegen 11 Stimmen. Von den Magistratsanträgen wurde der erste mit 18 gegen 6 Stimmen abgelehnt, der zweite mit 13 gegen 11 Stimmen angenommen.

Demnach erklärte sich die Stadtverordnetenversammlung bereit, der Regierung das Gebäude für 50000 Mk zu überlassen unter der Bedingung, daß von demselben auf der Nordseite 4 Meter abgebrochen würden. Der bereits vollständig ausgearbeitete Wiederherstellungsplan des Stadtbauraths Winter war somit beseitigt, und dieser selbst um den wohlverdienten Lohn seiner mühevollen Arbeit gebracht worden.


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Denkschrift des Architekten- und Ingenieurvereins; Stellung des Bürgervereins.

Die Aufnahme, welche dieser Beschluss der Stadtverordneten in der Öffentlichkeit fand, war natürlich eine sehr verschiedenartige. In den Verhandlungen des Architekten- und Ingenieurvereins, sowie des Braunschw. Bürgervereins kamen die beiden entgegengesetzten Strömungen zum deutlichsten Ausdruck. Dort herrschte unverhohlene Mißstimmung, hier offene Freude über den gefaßten Beschluß.

Von der Ansicht geleitet, daß die starke Abneigung gegen eine Erhaltung und Wiederherstellung der Burg lediglich aus ungenügender Erkenntniß von dem Werthe und der Nothwendigkeit der Erhaltung derartiger Bauwerke hervorgehe, ließ der Architektenverein durch einige seiner Mitglieder eine Denkschrift ausarbeiten, die mit Nachdruck und Wärme auf den geschichtlichen und architektonischen Werth des Gebäudes hinwies. Scharf wurde hier u. A. der Einfluß solcher Baudenkmäler auf die Hebung von Kunst und Wissenschaft, die Wichtigkeit eigenen Sehens beim Studium derselben hervorgehoben. 'Die eigene Anschauung fördert den angehenden Architekten mehr, als alle in Büchern stehende oder mündlich vorgetragene Lehre, mögen die Monumente nun in diesem oder jenem Stile erbaut sein'. Die hohe Bedeutung


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der Burg als eines Denkmals der Baukunst, das in mancher Beziehung als Unicum gelten müsse, wurde in das rechte Licht gestellt. Der von Laien in Versammlungen und Zeitungen aufgestellten Behauptung gegenüber, daß ein oder zwei Fenster der romanischen Ostfront erhalten seien, wurde mit Entschiedenheit betont, daß vielmehr vierzehn Fenster in sechs Gruppen der Hauptfront aufgefunden worden, und die Details in einer solchen Fülle durch sorgfältige Untersuchungen zu Tage gefördert seien, daß man sagen dürfe : 'die romanische Ostfaçade und somit der hervorragendste und wichtigste Theil der im Übrigen ohne Zweifel außerordentlich einfach ausgestattet gewesenen Burg, ist so gut wie vollständig erhalten'!

Ferner wird hier auf die Nothwendigkeit der Erhaltung des Gebäudes als eines Ganzen mit Nachdruck hingewiesen. Denn 'soll der architektonische Werth der Burgreste ein dauernder bleiben, so läßt sich das nur erreichen, wenn das Gebäude in seiner räumlichen Gestaltung, zugänglich in den einzelnen Stockwerken, zu den Detailstudien zusammen erhalten bleibt. Für die Gesammtwirkung eines Bauwerkes sowohl, als für die Wirkung der einzelnen Glieder in demselben, das Verhältniß der Öffnungen zur Masse, der Breite zur Höhe der Fenster, des Schaftes der Säule zum Kapitäl und der Last, endlich für das richtige Verständniß der äußeren Architekturformen zur Wirkung im Innern, sowie der Verhältnisse der Innenräume unter sich, ist eine Belassung der Burgreste im


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räumlichen Zusammenhang unter Dach und Fach unerläßlich'.

Die Stabilisirung der baufälligen Gebäudetheile wird für eine Aufgabe von keiner besondern Schwierigkeit erklärt und entschieden gegen die Erhaltung der Burgreste als Ruine Stellung genommen, welche zumal an dieser Stelle einen sehr unschönen Anblick gewähren und sich gegen die Einflüsse der Witterung nicht lange widerstandsfähig erweisen würden. In dieser Hinsicht wird an die Chorruine der Walkenrieder Klosterkirche erinnert, deren Einsturz trotz aller aufgewandter Mühen und Mittel unabwendbar scheine, sowie ferner an die Ruinen des Heidelberger Schlosses, 'deren Wiederherstellung unter Dach und Fach von den Technikern und dem gebildeten Deutschland verlangt werde, um einer weiteren Zerstörung vorzubeugen'.

Ganz absprechend wird über den Reuterschen Vorschlag geurtheilt. 'Der Gedanke, von der Burg Dankwarderode einen Theil zur Verbreiterung des nördlichen Zuganges zum Burgplatze abzuschneiden, ist so ungeheuerlich, daß wir es unter unserer Würde halten, darauf einzugehen'. Auch im Interesse des Verkehrs erkennt man diese Maßregel keineswegs für geboten, vielmehr glaubt man, daß dieser Absicht durch Beseitigung des Gebäudes der Löbbecke'schen Speiseanstalt (Dienstbotenanstalt) ungleich besser gedient werde.

So urtheilten in Braunschweig selbst die berufenen Fachleute,


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und überall in Deutschland hat dieses Urtheil unter den Berufsgenossen die lebhafteste Zustimmung gefunden. Entgegnungen von fachmännischer Seite fand das Schriftchen nicht, nur mit anonymen Eingesandts etc. im Braunschweiger Tageblatte kühlten die Widersacher ihr Müthchen.

Daß aber die beabsichtigte Wirkung in den Kreisen, für welche jene Schrift hauptsächlich berechnet war, leider nicht erreicht worden ist, zeigte sich bald darauf in einer Versammlung des Braunschweigischen Bürgervereins vom 5. Juni 1883. Hier hatte der einzige Fürsprecher der Burg, Hoffabrikant Müller, einen harten Stand, da sämmtliche andere Redner sich mit Eifer für den Abbruch des Gebäudes aussprachen. Der Ingenieur Königsdorf stellte den kunsthistorischen Werth der Baureste in Abrede, und auf seinen Antrag beschloß der Bürgerverein 'an den Stadtmagistrat und die Stadtverordnetenversammlung das Ersuchen zu richten, dahin wirken zu wollen, daß die Burg Dankwarderode ganz niedergerissen, wenigstens aber die Bedingung aufrecht erhalten werde, wonach an der Nordseite des Gebäudes 4 Meter abgebrochen werden sollten'.


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Die Burgfrage nochmals vor den Stadtverordneten und dem Landtage.

Inzwischen war der Beschluß der Stadtverordneten der herzoglichen Landesregierung mitgetheilt worden. Diese hatte, gestützt auf ein Gutachten der Baudirection, die angefügte Bedingung, 4 Meter von dem Gebäude abzubrechen, für unannehmbar erklärt, war aber ohne dieselbe bereit, auf die seitens der Stadt gemachten Vorschläge einzugehen. Der Stadtmagistrat stellte daher bei den Stadtverordneten den Antrag, jene Bedingung fallen zu lassen, da er der Überzeu- gung sei, daß der Abbruch von 4 Metern mit der geplanten Wiederherstellung des Gebäudes vom historischen und architektonischen Standpunkte aus unvereinbar und diese Maßnahmen im Verkehrsinteresse keineswegs geboten seien. Die Mehrheit der vereinigten Statuten- und Finanzcommission befürwortete diesen Antrag ; als heftiger Widersacher desselben zeigte sich vor Allen Stadtv. Reuter, der um jeden Preis auf schnurgerade Straßen bestand.

Einen neuen Gedanken brachte diesmal der Stadtv. Reiche vor. Er beklagte den Verlust der 'schönen Stuckatur-Arbeit', des 'sehr schönen Portales mit dorischen Säulen', die er früher an der Burg gesehen habe. Er wollte diese selbst und Anderes beseitigt, so einen großen Platz geschaffen, diesen 'Welfenplatz' genannt und darauf die zur Feier der fünfzigjährigen


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Regierung des hochseligen Herzogs Wilhelm errichtete Säule aufgestellt sehen -- Veranstaltungen, mit denen seiner Ansicht nach 'der Beweis der echten Pietät' erbracht wäre.

Vergeblich trat Bürgermeister Rittmeyer für den Magistratsentwurf ein. Mit 15 gegen 10 Stimmen wurde derselbe abgelehnt.

Unwillkürlich rufen diese Vorgänge die Erinnerung an ähnliche Stimmungen wach, welche die Braunschweiger Bürgerkreise vor 300 Jahren erfüllten. Auch damals hätten diese am liebsten das gesammte Burggebiet zerstört. 'Es sollte ihnen eine Freude im Herzen seyn', berichtet ein Zeitgenosse, 'wenn sie das ganze Stift mit allen Häusern auf Schubkarren, ja in der Schlippe, zur Stadt hinaus, bis hinter den Giersberg tragen und schleppen und die Grund damit ausfüllen möchten'. So äußerte sich damals der freiheitsdurstige Sinn einer machtvoll nach Selbständigkeit strebenden Hansestadt. Was haben diesem Streben die heutigen Braunschweiger als triftigen Grund ihres Widerwillens gegen die Burg an die Seite zu stellen?

Die ganze Sache schien nunmehr auf das Äußerste verfahren. Hielt die Stadtverordnetenversammlung an der Forderung theilweiser Vernichtung des Gebäudes fest, die Regierung ihrerseits aber an der Ablehnung dieser Bedingung und ebenso auch des Vorschlags, die werthvollsten Gebäudetheile als Ruine bestehen zu lassen, so mußte sich ein unleidlicher


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Zustand bis in unabsehbare Zeiten fortschleppen. Um die Sache endlich zum Austrage zu bringen, wurden aufs Neue Verhandlungen zwischen Ministerium und Stadtmagistrat angeknüpft, in Folge deren die Stadt sich bereit finden ließ, den Reuterschen Vorbehalt daran zu geben, wenn die Regierung 20000 Mk beisteuern werde zum Ankaufe der der Burg gegenüberliegenden Löbbeckeschen Speiseanstalt. Nach diesem Plane würde ein 16 Meter breiter Weg an der Südseite der Burg durchführen, die Straße an der Nordseite derselben aber auf 8 Meter verbreitert, nach der Ansicht des Stadtmagistrats also 'eine äußerst wünschenswerthe Verbindung zwischen dem Osten und Westen der Stadt geschaffen werden'. Ein dahin gehender Antrag des Stadtmagistrats wurde am 11. September 1884 von den Stadtverordneten verhandelt. Jetzt fand auch der Stadtv. Reuter, obgleich ihm der Abbruch der Burg immer noch als das 'Rationellste' erschien, keinen Grund mehr, 'weshalb man noch ferner opponiren solle'. Zwar wurde ihm von anderer Seite heftiger Vorhalt gemacht, weil er sich früher dahin ausgesprochen habe, daß die Beseitigung der Löbbeckeschen Speiseanstalt zu der gewünschten geraden Verkehrsstraße von Osten nach Westen 'wenig oder gar nichts beitrüge'. Gleichwohl jedoch stimmte er der Magistratsvorlage zu, und mit ihm die Mehrheit der Stadtverordneten, theilweis allerdings mit dem ausgesprochenen Wunsche, daß der Landtag die erforderlichen


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Mittel verweigern und die Burg dann doch noch zu Falle kommen möchte.

Alles kam jetzt auf die Entscheidung der Landesversammlung an. Zwar hatte diese sich schon durch die Abstimmung vom 23. Januar 1883 dem Plane einer Wiederherstellung der Burg nicht abgeneigt bewiesen; allein die Auslassungen der Abg. Schöttler und Reuter hatten inzwischen hinreichend gezeigt, wie wenig sich einzelne Mitglieder der Versammlung an ihre frühere Stimmabgabe gebunden erachteten.

Eine weitere Veränderung der Sachlage schuf der am 18. October 1884 erfolgte Tod Sr. Hoheit des Herzogs Wilhelm. Die Hoffnung, daß dieser die Herstellung der Burg auf eigene Kosten übernehmen werde, mußte jetzt schwinden; zugleich aber war nun auch der Einrede jeder Boden entzogen, daß die Landesversammlung durch Erhaltung des ehrwürdigen Denkmals in fremde Rechte eingreife. Denn so lange der berechtigte Thronfolger an der thatsächlichen Übernahme der Regierung des Herzogthums behindert ist, kann, wenn nicht sonst von fürstlicher Seite Privatinteressen geltend gemacht und materiell bethätigt werden, nur von einer Verpflichtung des Landes die Rede sein.

Das Bestreben des herzoglichen Staatsministeriums war vor Allem dahin gerichtet, dem Lande die erforderlichen Kosten so wenig fühlbar wie irgend möglich zu machen. Nach der den Ständen gemachten Vorlage sollten dieselben folgendermaßen


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aufgebracht werden. Der hochselige Herzog hatte noch bei Lebzeiten seine Theilnahme für das Stammschloß seiner Ahnen dadurch bezeugt, daß er zu dessen Wiederherstellung diejenigen 75 000 Mk überwies, welche als Kaufgelder für den Bauplatz des neuen Museums an die Hofstaatskasse abgeführt werden mußten. Dazu sollten 50000 Mk den Überschüssen der Hofstaatskasse während des Regierungsjahres des Regentschaftsraths, 75000 Mk dem Kammerkapitalfonds entnommen und diesem vom Jahre 1888 an in zwanzig Jahren aus den Kammereinkünften zurückerstattet werden. Für den Ankauf der Burg, die dann natürlich Eigenthum des Kammergutes würde, sollten 70000 Mk, für Wiederherstellung derselben 130000 Mk verwandt werden. Für diesen Ausbau lag ein in herzoglicher Baudirection ausgearbeiteter Entwurf vor, der alle alten werthvollen Bestandtheile des Gebäudes zu erhalten und dasselbe unter möglichst geringen neuen Zuthaten für einen praktischen Zweck brauchbar zu machen suchte. Als solcher wurde die Verwendung desselben zu einem Museum für vaterländische Denk- und Merkwürdigkeiten angegeben. Die Regierung fügte ihrer Vorlage noch die Bemerkung hinzu, 'daß sie, falls ihr wider Erwarten die erbetenen Mittel versagt werden sollten, der hiesigen Stadt die bei der im Jahre 1880 gewährten Staatsbeihülfe zum Ankauf der Burgcaserne vorbehaltene Genehmigung zur stadtseitigen Verwendung des Grundstückes dann


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unter allen Umständen, mithin auch für den höchst bedauernswerthen Fall ertheilen müßte, daß eine völlige Niederlegung der Burg seitens der hiesigen Stadt in Aussicht genommen werden sollte.

Leider bewirkte dieser Zusatz, der die Bereitwilligkeit der Landstände zur Bewilligung der erforderlichen Geldsummen befördern sollte, bei der obwaltenden Stimmung eines Theiles der Versammlung das gerade Gegentheil. Schon in der Finanzcommission, welcher die Vorlage zur Berichterstattung überwiesen wurde, fand dieselbe eine sehr ungünstige Aufnahme. Der Abg. Reuter erstattete am 13. Mai 1885 deren Bericht, wobei er ausführte, daß ein Mitglied entschieden, ein zweites bedingt für die Regierungsvorlage sei, ein drittes sich dagegen erklärt habe, weil ihm die angeforderte Summe zu niedrig erscheine, drei Mitglieder 'mit Rücksicht auf die von der Baufälligkeit des Gebäudes zu besorgende Gefahr für alsbaldige Beseitigung desselben' und mithin gegen die Vorlage seien. Zu diesen gehörte Herr Reuter selbst, nachdem er in der Stadtverordnetenversammlung vom 11. Sept. 1884, 'keinen Grund eingesehen hatte, weshalb man noch ferner (dem Vorschlage der Regierung) opponiren solle'.

Somit war in der Commission der Antrag abgelehnt, die Aussicht auf Annahme desselben im Plenum sehr gering geworden. Fiel aber der Antrag, so war der Untergang der Burg kaum noch abzuwenden. An die Landesregierung trat


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demnach die Frage heran, ob sie sich berechtigt halten konnte, der Entscheidung des rechtmäßigen Landesherren oder bei andauernder Behinderung desselben der des verfassungsmäßig zu erwählenden Regenten des Landes in einer Angelegenheit von solcher Wichtigkeit vorzugreifen, gerade in dieser Zeit die Stammburg unseres Fürstenhauses der Vernichtung Preis zu geben. In der Sitzung vom 15. Mai 1885 gab Staatsminister Graf Gört-Wrisberg die Erklärung ab, daß die Landesregierung 'sich der zuversichtlichen Hoffnung hingegeben habe, die Landesversammlung werde sich mit Rücksicht darauf, daß die erforderlichen Mittel auf die möglichst leichte Weise zu tragen, dem Lande zugemuthet sei, bereit finden lassen, sich mit dem Antrage der herzoglichen Landesregierung einverstanden zu erklären. Leider müsse die letztere besorgen, in dieser Hoffnung sich getäuscht zu sehen. Die Art und Weise, wie die Commission zu der Vorlage Stellung genommen, lasse eine Ablehnung derselben befürchten, und die herzogliche Landesregierung werde bei einer solchen der peinlichsten Lage ausgesetzt sein. Unter diesen Umständen habe er den Auftrag, zu erklären, daß die herzogliche Landesregierung die bezeichnete Vorlage damit zurückziehe'.

Der allgemein mit Sicherheit erhoffte oder befürchtete Untergang der Burg war damit vor der Hand noch glücklich abgewandt. Seitdem hat herzogliche Landesregierung, welche schon früher die Kosten eines neuen Daches für das Gebäude


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übernommen, dem Stadtmagistrate eröffnet, daß bei Feststellung der neuen Straßenfluchten in der Umgebung der Burg auf deren Erhaltung Rückicht zu nehmen, auch das Gebäude in zweckentsprechender Weise gegen Schaden zu schützen sei.

So steht die Angelegenheit zur Stunde. Welches wird schließlich ihr letzter Ausgang sein?


Schlußfolgerungen.

Ziehen wir unserestheils nunmehr aus vorstehender Betrachtung kurz die Schlußfolgerungen.

Sämmtliche Historiker und Geschichtsfreunde sind darin einig, daß die Burg Dankwarderode ein historisches Denkmal ersten Ranges ist. Sie bildet den Ausgangspunkt der geschichtlichen Entwicklung nicht nur unseres Herzogthums, sondern weiter Strecken des deutschen Nordens, und ist als solcher von hoher Bedeutung für die Geschichte unseres gesammten deutschen Vaterlandes. Keine zweite Stätte unseres Herzogthums kommt ihr an Fülle und Wichtigkeit historischer Erinnerungen gleich. Gegen diese Behauptung ist von keiner Seite jemals ein Widerspruch erhoben worden.

Die Burg Dankwarderode ist ein hochwichtiges Denkmal mittelalterlicher Profanarchitektur, in mancher Beziehung einzig in seiner Art. Ihre Vernichtung würde einen schweren


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Verlust für die Geschichte der deutschen Baukunst bedeuten. Zum Beweise für diese Behauptung berufe ich mich auf die Arbeit des Stadtbauraths Winter, die Beschlüsse und die Denkschrift des Architekten- und Ingenieurvereins, die Ansicht der herzoglichen Baudirection, die Urtheile einheimischer und fremder Kunstkenner und Baumeister *. Kein Fachmann hat öffentlich diesem Urtheile widersprochen **; nur Laien haben in Versammlungen und Zeitungsartikeln den Werth des Gebäudes herabzusetzen versucht.

Die Wiederherstellung der Burg Dankwarderode, insbesondere der Ostfaçade derselben, ist auf Grund der erhaltenen Baureste sehr wohl auszuführen und bietet technisch keine erheblichen Schwierigkeiten. Ich berufe mich auf die gründlichen Untersuchungen des Stadtbauraths Winter und dessen Wiederherstellungsplan, auf den Plan der herzoglichen Baudirection und das Gutachten des Architekten- und Ingenieurvereins. Kein Fachmann hat wiederum die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Gebäudes öffentlich in Zweifel gezogen.

Die Möglichkeit der Erhaltung der romanischen Baureste als Ruine ist den Witterungseinflüssen gegenüber zum mindesten zweifelhaft. Ich berufe mich auf die Ansicht des Stadtbauraths Winter, das Gutachten des Architekten- und Ingenieurvereins.
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* Vgl. S. 26 ff.
** Vgl. S. 28 Anmerkung.


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Kein Sachmann hat bislang sich anheischig gemacht, Gewähr für eine sichere Erhaltung der Ruine zu leisten.

Die Burg Dankwarderode steht, falls die geplanten Straßenzüge auf ihrer Nord- und Südseite ausgeführt werden, den Verkehrsinteressen der Stadt keinesfalls im Wege. Ich berufe mich auf den Stadtmagistrat, auf das Stadtbauamt, auf die herzogliche Baudirection, auf den Architekten- und Ingenieurverein, auf die Mehrzahl der Stadtverordneten, insbesondere auch auf die Ansicht des Stadtv. Reuter vom 11. Sept. 1884.

Sind diese Behauptungen ganz oder theilweise irrig, so würde es zur Aufklärung der Sache erheblich beitragen, wenn man sie widerlegen wollte. Setzt man aber in die genannten Gewährsmänner kein Vertrauen, ist man etwa der Meinung, daß die Urtheile und Gutachten über den baugeschichtlichen Werth der Burg nicht ohne Voreingenommenheit abgegeben sind, dann empfiehlt sich, von Kunst- und Bauverständigen Rath einzuholen, welche bis jetzt dieser Frage und dem über sie entbrannten Streite ganz ferne gestanden haben und auch in keinerlei persönlicher Beziehung zu den hadernden Parteien stehen. Doch eben nur von wirklichen Fachleuten, denen die wissenschaftliche und künstlerische Welt ein Urtheil zutrauen darf. Denn die Forderung muß unter allen Umständen aufrecht erhalten werden, daß derartige Fragen nur von Sachkundigen,


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nicht von beliebigen, im besten Falle lediglich sprachgewandten und redelustigen Laien in richtiger Weise beleuchtet werden können. Mag Jemand die allergrößesten Verdienste um das städtische Gemeinwesen, dessen Anstalten und Einrichtungen besitzen: ungerecht wäre, von ihm nun auch ein zutreffendes Urtheil über Dinge zu fordern, mit denen sich zu beschäftigen er im angestrengten Dienste seines Berufs niemals die Zeit, vielleicht auch niemals den inneren Trieb gehabt hat. Hier muß der Fachmann mit seinem Beirathe eintreten, und nicht ohne Nachtheil für die Sache wird man diesen unberücksichtigt lassen dürfen. Die hier voraufgegangenen Ausführungen dürften dafür hinlängliche Belege liefern.

Erweisen sich aber obige Sätze als richtig, dann kann kein Zweifel mehr obwalten, daß dem Lande die Pflicht obliegt, jenes werthvolle Denkmal einer großen Vergangenheit auch für die Zukunft zu bewahren. Und dies um so mehr, da die erforderlichen Geldmittel vergleichsweise nur gering genannt werden können. Es ist nicht nöthig auszuführen, welche Geldsummen im Lande Braunschweig während der letzten Jahrzehnte auf Bauten verwandt sind. Sowohl in der Stadt Braunschweig als auch anderer Orten in unserem Lande ist bei Errichtung neuer Bauten das Geld wahrlich nicht zu sparsam bemessen gewesen, und auch zur Erhaltung alter Bauwerke -- es sei nur erinnert an die Wiederherstellung


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zahlreicher, oft an einsamen Orten gelegener schöner Klosterkirchen -- sind erhebliche Opfer nicht gescheut. Das ist gewiß kein unfeiner Ruf, zugleich aber ein erfreuliches Zeugniß dafür, daß Regierung und Landesvertretung einträchtig zusammen wirken, wo es sich um die Pflege idealer Güter, die Förderung der Kunst und die Erfüllung historischer Pietätspflichten, handelt. Wer wollte da nicht fest vertrauen, daß solche Gesinnung auch bei der Burg Dankwarderode, der ehrwürdigen Wiege unserer Geschichte, sich bald aufs Schönste bethätigen werde?!

Schon oft hat sich Klage über den Verlust kostbarer alter Bauwerke erhoben, leider nur meist dann erst, wenn es zu spät war. Man denke an den Dom zu Goslar und -- um ein Beispiel aus nächster Nähe heran zu ziehen -- an die Kreuzgänge des Klosters Riddagshausen, welche ebenfalls noch der Zeit Heinrichs des Löwen entstammten. Wenig hätte gefehlt, so wäre ein anderes stolzes Denkmal inmitten der Stadt Braunschweig, jetzt die Freude unser aller, die prachtvollen Lauben des Altstadtrathhauses der Vernichtung anheimgefallen. Wie früher die ähnlichen Lauben des Neustadtrathhauses sollten auch jene im Jahre1786 aus den allernüchternsten Nützlichkeitsrücksichten beseitigt und durch eine moderne Fachwerksfaçade ersetzt werden. Daß diese Gefahr noch glücklich abgewandt wurde, ist das Verdienst des einsichtsvollen Kammerraths v. Gebhardi, und die Nachwelt wird es ihm


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Dank wissen, so lange der Sinn für unsere heimische Kunst und Geschichte noch nicht gänzlich erstorben ist.

Nur dem thatkräftigen Einschreiten des Kammerraths Faber ist es ferner zu danken, daß entgegen einer allgemeinen Stimmung der Abbruch der schönen Annenkapelle an der Martinikirche verhindert wurde. Wer hält in unserer Zeit Derartiges noch für möglich? Wer würde jetzt der Zerstörung dieser herrlichen Bauwerke das Wort reden wollen? Kein Zweifel: ein ähnlicher Umschwung der Stimmung wird eintreten, sobald die Burg Dankwarderode aus ihrer jetzigen traurigen Gestalt zu einer würdigeren ersteht. Dann wird auch der Braunschweiger Bürger voll Stolz auf das Denkmal weisen, das die hehrsten Erinnerungen seiner heimischen Geschichte umschließt, und kommenden Geschlechtern wird unverständlich bleiben der unerquickliche Streit, der in unseren Tagen über Sein oder Nichtsein der Burg Dankwarderode geführt wird.



Quelle:
Dr. Paul Zimmermann: Der jüngste Kampf um die Burg Dankwarderode zu Braunschweig.
Wolfenbüttel, Druck und Verlag von Julius Zwißler. 1885.

Dieses Werk Paul Zimmermanns befindet sich eingescannt auf dem Publikationsserver der TU Braunschweig und ist dort über folgenden Link zugänglich:
https://publikationsserver.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00005257/1204-7103.pdf





C. G. W. Schiller: Der Dom St. Blasii zu Braunschweig

Der Dom,
auch Burgkirche und Stiftskirche St. Blasii genannt 2).
(1172.)
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Herzog Heinrich d. L., der im J. 1172, reich mit Kostbarkeiten und Reliquien versehen, aus dem gelobten Lande zurückkehrte, liess
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1) Gesch. der Stadt Braunschweig von Carl Ludw. Friedr. Lachmann. Brschw. 1816. p. 94.
Diesen Irrthum hat J. A. H. Schmidt nachgeschrieben in seinem:
Versuch einer histor. topogr. Beschr. der Stadt Braunschweig. Brschw. 1821. p. 99.
2) Antiquitates ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae oder der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen - Historie, von Ph. Jul. Rehtmeyer. Brschw. 1707. I. p. 84—118, und Beilagen p. 57—106.
Leibnitz: Scriptores Brunsvicensia illustrantes. Hannov. 1711. I. p. 526; II. p. 59—61; III. p. 52, 53, 84, 173, 723, 724.
(Molani:) Lipsanographia, sive Thesaurus Reliquiarum electoralis Brunsvico-Luneburgicus. ed. 2. Hannov. 1713. ed. IV. 1783.
Phil. Christ. Ribbentrop; Beschreibung der Stadt Braunschweig. Brschw 1789. p. 169—180.

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11    Der Dom

in dem nämlichen Jahre die, vom Markgrafen Ludolph auf der Burg errichtete, und 1030 vom kunstsinnigen und baulustigen Godehard,
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Inscriptionum sepulcralium principum ac ducum brunsvico-luneburgensium in mausoleis haereditariis capituli S. Blasii mollites quiescentium, opusculum, quod edidit J. A. H. Schmidt. Brunsv. 1797.
Joh. Christoph Stübner: Histor. Beschreib. der Kirchenverfass. in den Herzogl. Br.-Lüneb. Landen seit der Reformation. Goslar. 1800.
Shigt-Bok der Stad Brunswyk, herausg. v. K. F. A. Scheller. Brschw. 1829. p. 247.
Erläuterung des Situations-Planes von dem Dom-Kirchhofe zu Braunschweig. 1835.
Fr. Görges: Der St. Blasius-Dom. Brschw. 1815; 2. Aufl. 1836.
J. A. H. Schmidt: Versuch einer histor.-topogr. Beschreib. der Stadt Braunschweig. Brschw. 1821.
H. Schröder und W. Assmann: Die Stadt Braunschweig. Brschw. 1841. p. 138—149.
Von dem h. Blasius, welchem die Stiftskirche in Braunschweig gewidmet ist; von Tr., s. Br. Anz. 1749 St. 11.
Kurzes Verzeichniss der Dompröbste des Stiftes S. Blasii; von A. B., s. Br. Anz. 1749. St. 59.
Erster Beitrag zu dem Verzeichnisse der Dompröbste bei dem Stifte Blasii in Braunschweig; von Constantius Olorino, s. Brschw. Anz. 1749. St. 67.
Die h. Gertrudis in der Burg, s. Br. Anz. 1750. St. 13. 16.
Was es mit der sogenannten h. Era, deren Bildniss in der Stiftsk. S. Blasii zu Braunschweig gewiesen wird, für eine Bewandniss habe? s. Br. Anz. 1750. St. 26. (Dieser Artikel ist eine Nachweisung über die h. Era, als Erwiederung auf die, im 43. St . der Br. Anz. 1748 gestellte Anfrage: ,,Was hat es mit der sogenannten h. Era, deren Bildniss in der Stiftsk. S. Blasii zu Braunschweig gewiesen wird, für ein Bewandniss, und woher ist dieser Name entstanden?")
Von dem eigentlichen Jahr des Ablebens Herzogs Otto des Milden, s. Br. Anz. 1753. 89.
Von einem in der Stiftsk. S. Blasii zu Braunschweig befindlichen Wappen; von Beck, s. Br. Anz. 1754. St. 3.
Beck: Ueber das Begräbniss und Grabmal des Commandanten J. G. v. Stauff, s. Br. Anz. 1757. St. 59.

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12    Der Dom

dem vierzehnten Bischofe von Hildesheim, der Ehre des Petrus und Paulus geweihete Kapelle abbrechen, und bereits im folgenden Jahre den Grund zu der, dem h. Blasius, Bischofe von Sebaste, dem Johannes d. Täufer und dem h. Thomas, d. h. dem berühmten Zeitgenossen Heinrich's d. L., dem Thomas Becket 1) gewidmeten Stiftskirche legen, deren Weihe später Hermann, Bischof von Hildesheim, vollzog 2). Das Document der Gründung ist leider nicht mehr vorhanden. Noch auf dem Sterbelager erfuhr Heinrich den Kummer, dass am 26. Juli Abends 9 Uhr 1195 der Blitz den Thurm entzündete und theilweise zerstörte. Die Kirche blieb indessen unversehrt.
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Aufschriften einiger Denkmäler von adelichen Begräbnissen; von Beck; s. Br. Anz. 1757. St. 76.
Nachricht vom Hrn. Ernst von Hohnrodt, so in der Stiftsk. S. Blasii hieselbst begraben liegt; von Lichtenstein; s. Br. Anz. 1760. St. 16.
J. C. F. Heise: Histor. Erzähl. von St. Blasius, dessen Gedächtniss am 3. Febr. gefeiert wird, s. Br. Anz. 1760. St. 17—18.
Lebensbeschreibung des Kanzlers und Probstes von Wendhausen; s. Br. Anz. 1760. St. 74.
A. A. Beck: Anmerkungen über die Martini- und einige andere Kirchen in Braunschweig; s. Br. Anz. 1777. St. 59.
Schmidt: Zwei Berichtigungen zu der von Ribbentrop im J. 1789 herausgegebenen Beschreibung der Stadt Braunschweig; s. Br. Mag. 1812. St. 2.
Schmidt: Kurze Uebersicht der Dompröbste des Stifts S. Blasii zu Braunschweig; s. Br. Mag. 1815. St. 1—2.
Lüderssen: Recension des Werkes: „Der von Heinr. d. L. erbauete S. Blasius-Dom zu Braunschweig, und seine Merkwürdigkeiten, von Frdr. Görges, Braunschweig, 1815;" s. Br. Mag. 1815. St. 22—23.
Schmidt: Versuch einer historischen Darstellung der successiven Entstehung der Vicariatspräbenden beim Stifte S. Blasii in Braunschweig; s. Br. Mag. 1817. St. 36—38; 41—45.
1) Bereits auf einem Stiftssiegel einer Urkunde vom J. 1238 wird der h. Thomas als Mitpatron genannt, wie seiner auch das Chronicon rhythmicum, bei Leibnitz scr. Brunsv. III. p. 52, mit den Worten gedenkt: „Unde van Kautelenberg darto Sancto Thomasse to ere."
2) J. Kreuser ist deshalb im Irrthum, wenn er die Einweihung der jetzigen Burgkirche dem Godehard zuschreibt; s. Kreuser's: christl. Kirchenbau. Bonn 1851. I. p. 319.

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Mit dem Domstifte verband Heinrich die Gründung zweier Kapellen, der Gertruden-Kapelle, an der Stelle des früheren von Häkelschen Hauses, und der darüber belegenen, bis 1654 noch vorhanden gewesenen Georgs-Kapelle. — Die Probstei des Domes existirte bereits 1157 und hatte in diesem Jahre auch schon ihren Decan. Heinrich d. L. wollte aus deren Canonicis 1), die nach der Regel des h. Augustinus lebten, seine Kanzler und Hofgeistlichen wählen. Die uns erhaltenen ältesten Statuten der Probstei stammen aus dem J. 1308, und wurden 1442 wesentlich revidirt. Am 1. Dec. 1810 wurde das Stift aufgehoben. — In Abwesenheit des katholischen Herzogs Heinrich d. J., führten die Herzoge Philipp Ernst und Erich am 22. Oct. 1542 die Reformation im Dome ein. Nach seiner Rückkehr liess Heinrich d. J. 1546 die Kirche verschliessen, bis sie 1553, auf Betrieb des Rathes der Stadt, dem protestantischen Gottesdienste wieder geöffnet wurde. — Die Domschule kam nach der Reformation in Abnahme, und ging nach dem Aufblühen der Schulen zu S. Catharinen und S. Martini ganz ein. — Die Bibliothek des Domes wurde durch Herzog August mit dem Wolfenbüttler Bücherschatze vereinigt. —
[Von dem ursprünglichen Baue sind, ausser den beiden unteren Thurmgeschossen, noch das Mittelschiff, die Kreuzflügel, das hohe Chor und die Krypta erhalten. Der Dom ist eine Pfeilerbasilika von sehr edler Wirkung, und zerfällt der Länge nach in sechs Reihungen. Die mächtigen romanischen Pfeiler, mit der Kreuzform des Grundprofiles, haben attischen Säulenfuss, Cylinder an den Ecken und Eckblättchen. Sie nehmen, ohne von Pfeiler zu Pfeiler gehende Quergurte, unmittelbar das schlichte Gradgewölbe auf; dieses hat aber bereits, wie auch die Gurte der Kreuzflügel, den leisen Einknick des Spitzbogens 2). Nur im Schiffe sind zwischen die je 4 Hauptpfeiler

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1) Chrodogangus, Bischof von Metz, stiftete zu Pipins Zeiten in der Kirche seines Bisthums eine Gesellschaft Geistlicher zu gemeinschaftlicher Besorgung des Cultus. Nach dem, von ihm in 34 Artikeln entworfenen Kanon zur Regulirung der Lebensweise erhielten die Geistlichen den Namen „Canonici."
2) Frdr. v. Quast ist der Ansicht, dass der Gewölbebau im Braunsch. Dome die Zuthat eines spätem Jahrhunderts sei. In einem Aufsatze: „Zur Charakteristik des altern Ziegelbaues in der Mark Brandenburg", s.

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je 4 kleinere von oblonger Grundform postirt, und mit den Hauptpfeilern durch Gurte verbunden. Ein Würfelfries läuft in der Höhe der Seitenschiffe über den Arkaden fort.
So zeigt sich denn, im Vergleich zu der, im J. 1135 gegründeten Stiftskirche zu Königslutter, bereits am Braunschweiger Dome eine wesentlich fortgeschrittene Stylentwickelung. Dort war ursprünglich nur die Choranlage mit den Kreuzflügeln überwölbt, nicht aber das Mittelschiff, dessen schlichte Pfeiler keine Pilastervorlagen haben, auf denen die Gewölbegurte hätten ruhen können. Als man daher in späterer Zeit die Königsluttersche Kirche überwölbte, musste man die Quergurte auf ausgekragte Pilaster stützen, welche nur bis auf den Würfelfries über den Arkaden herabgehen. Dagegen beweist die Kreuzform der Pfeiler - Grundprofile im Braunschweiger
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Deutsches Kunstblatt von Eggers, No. 31, den 5. Aug. 1850 p. 241, äussert er sich in dieser Beziehung: „Der Dom zu Ratzeburg, ein ausgebildeter rundbogiger Gewölbebau, mit altspitzbogigen Kreuzgewölben ohne Rippen, gehört auf keinen Fall der Gründung des Domstifts in der Mitte des XII. Jhrdts. an; sondern frühestens dem Anfange des XIII. Jhrdts. Derselbe ist eine, mit den für den Ziegelbau notwendigen Abänderungen versehene, fast wörtliche Copie des S. Blasien-Doms zu Braunschweig, der bekanntlich erst 1172 gegründet und 1194 geweiht wurde.  Im J. 1127 (soll wohl heissen: 1227?) war wieder eine neue Einweihung der Kirche, (des Braunschweiger Domes?) und dürften die dem Ratzeburger Dome völlig entsprechenden spitzbogigen Kreuzgewölbe ohne Rippen, sowie die damit zusammenhängenden Wand- und Gewölbemalereien noch jünger sein; folglich auch die zu Ratzeburg, welche jedenfalls ursprünglich sind und noch dem XIII. Jhrdt. angehören." —
Abgesehen von anderen, problematischen Behauptungen dieser Notiz, dürfte Herr v. Quast dabei nur übersehen haben, dass die Vorlagen der Hauptpfeiler im Braunschweiger Dome als Lissenen bis zur Decke emporsteigen, sich damit als Träger der Gewölbe markiren, und dass daher die Ueberwölbung von Grund auf intendirt wurde. Nur ganz schlichte Scheidemauern des Mittelschiffs, wie zu Paulinzelle, lassen auf eine flache Holzüberdeckung schliessen. Der leise spitzbogige Einknick der Gewölbegurte im Braunschweiger Dome kann aber um so weniger befremden, als zu Ende des XIII. Jhrdts. der romanische oder byzantinische Styl bereits als gänzlich abgelebt erscheint.

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Dome eine gleich ursprünglich intendirte Ueberwölbung, auf welche auch die im Mittelschiffe an einander gepaarten Fenster deuten, welche immer genau in die einzelnen Schildbögen passen. Seit 1150 fand überhaupt die Ueberwölbung, obgleich sie vereinzelt schon früher vorkommt, allgemeinere Anwendung, und war im Grunde genommen, nach Kallenbachs richtiger Bemerkung, zum harmonischen Abschlusse des Rundbogenstyles auch nothwendig.
Die Seitenschiffe des Domes hatten ursprünglich, nach üblicher Weise, die halbe Höhe und Breite des Mittelschiffes, wie das, trotz spätern Umbaues, noch fragmentarisch erhaltene südliche Seitenschiff beweist. — Mit den Pfeilern correspondirend, sind an der Aussenseite Lissenen angebracht, die sich unter dem Dachgesimse mit einem romanischen Bogenfriese verbinden, und an die sich zu jeder Seite ein romanisches .Rundbogenfenster mit nach innen und aussen schlicht eingeschrägter Wandung anschliesst.
Von ausserordentlich günstigem Effecte ist die Anlage des hohen Chores, das sich über der Krypta 1) um 11' über das Niveau
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1) Zu der Krypta (ή χρΰπτη, von χρύπτω, ich verberge, daher ein verdeckter Gang, ein Gewölbe) findet sich, wie Hoffstadt im gothischen ABC p. 249 bemerkt, gewissermassen schon im unterirdischen Raume des Tempels zu Eleusis ein Analogon. Chr. W. Schmidt meint, dass die Krypten der christlichen Kirchen ursprünglich nur aus einer, mit Erde ausgefüllten Erhöhung des Chores bestanden hätten, und dass derartige Fundamente, der Festigkeit wegen, erst später überwölbt worden seien. Schmidt meint ferner, dass sich vom vierten bis achten Jahrhundert keine Krypten vorfänden; doch berichtet Bloxam p. 62., dass die Klosterkirchen zu Ripon und Hexham mit ihren Krypten dem Bischöfe Winfried aus der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts zugeschrieben würden. Eine der ältesten Krypten in Deutschland dürfte die der Marienkirche zu Cöln sein, welche im J. 700 erbaut wurde. — Schon in sehr früher Zeit benutzte man diese Räume zu Begräbnissstätten der Bekenner und Heiligen, beging deren Gedächtniss darin, und liess auch in ihnen das Glaubensbekenntniss der neuen Christen ablegen, wovon sie den Namen Confessiones führten. — Zu verwechseln sind die Krypten nicht mit den sogenannten Doppelkapellen, die bis in's dreizehnte Jahrhundert herab hin und wieder in Burgen üblich waren. Nur der beschränkten Räumlichkeit wegen, wurden nämlich zwei Kapellen über einander gebauet, von denen die obere, für die Herrschaft bestimmte, vermittelst einer Oeffnung im Fussboden mit der unteren verbunden war, in welcher die Dienerschaft dem Gottesdienste beiwohnte.

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des Schiffes erhebt. Für die hin und wieder ausgesprochene Ansicht, dass die Krypta ein Ueberbleibsel der früheren Petri- und Paulskapelle sei, lassen sich auch nicht die geringsten Beweise beibringen, am wenigsten aber kunsthistorische und technische. Dass die im Jahre 1117 verstorbene Markgräfin Gertrud hier beigesetzt ist, kann für das Alter dieses Bautheils gar nichts beweisen, indem sowohl der Sarg dieser Fürstin aus der abgebrochenen Petri- und Paulskapelle hieher versetzt wurde, wie später aus der zerstörten Cyriacikirche der Sarg Ecberts II. — Die Krypta ruhet auf 2 Pfeilern und 6 Säulen mit Würfelcapitälen, und correspondirt in ihrem Grundplane vollkommen mit der Gesammtanlage des Domes. Diese unterirdische Kapelle war dem Andenken jener h. Era gewidmet, welche sich, als Schutzmittel gegen die Nachstellungen ihres eigenen Vaters, vom Himmel Hässlichkeit erflehete. Das gekreuzigte Bild dieser, mit langem Barte versehenen Heiligen steht jetzt unter dem Thurmgewölbe, während es früher dem Hauptaltare der Krypta angehörte. An der Südseite dieser sogenannten „Kluft der Era" befand sich der, 1329 gestiftete Altar des h. Paulus; während 1349 der Probst des Cyriacistiftes, Ludolf von Honlage, der zugleich Canonicus zu S. Blasii war, die Nordseite mit einem Altare des h. Cyriacus versah, und bei dieser Gelegenheit auch das angränzende Fenster erweitern liess. — Bis zu genauerer Untersuchung muss es unentschieden bleiben, ob zum Chore früher in der ganzen Breite des Mittelschiffes eine Treppe geführt habe, wie in der mit unserm Dome fast gleichzeitigen Kathedrale zu Parma, oder ob ursprünglich eine Doppeltreppe vorhanden gewesen sei, zwischen welcher ein Fenster oder eine Thür in die Krypta geführt haben könnte, wie dies in der Stiftskirche zu Gandersheim der Fall ist. — Auf die Choranlage kommen der Länge nach zwei Quadrate nebst der Hauptapsis, welche mit einem Kuppelsegment überwölbt ist und drei Fenster enthält. Eine Treppe führt in den südlichen Kreuzflügel hinab, dessen unterer, mit kleinen romanischen Wandsäulen verzierter Raum sonst die Johannis-Kapelle ausmachte. Laut Stiftungsdocumentes, war sie vom Bischofe Rudolph von Verden, mit Erlaubniss des Bischofs Hartbert von Hildesheim, zu Ehren der Maria und des Evangelisten Johannes

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1203 geweihet. Die Apsis dieses Kreuzflügels ist 1839 vom Kreisbaumeister Frdr. Krahe ergänzt worden. — An der Giebelwand des nördlichen Kreuzflügels befindet sich die kleine Thür, durch welche Heinrich d. L. von seiner Burg ab über eine Gallerie in die Kirche gelangte. Vor der Apsis dieses Kreuzflügels befand sich wahrscheinlich der Privataltar dieses Fürsten. Der untere Raum, jetzt die Gruft Rudolph Augusts und seiner beiden Gemahlinnen, war dem h. Petrus als Kapelle gewidmet 1). Vermuthlich liess Heinrich den Hauptaltar mit der Asche des Apostelfürsten aus der abgetragenen Petri- und Pauls-Kapelle hieher versetzen.
Einfach, wie überhaupt die ganze Aussenseite dieses, ursprünglich auf beschränktem Burghofe dicht umbauten Gotteshauses, ist namentlich das Fussgesimse der Chornischen. Aehnlich wie bei Paulinzelle, besteht es aus zwei Wasserschrägen. Nur am Haupteingange des nördlichen Kreuzflügels ist zur Wasserschräge noch der attische Wulst hinzugefügt worden; denn der attische Sockel an der Nordseite des Thurmes schreibt sich erst vom J. 1850 her. — Diese Wasserschräge wurde bei einfachen Architecturwerken das ganze Mittelalter hindurch beibehalten, und selbst in der Epoche der reinentwickelten Gothik. War doch auch merkwürdiger Weise die Gothik gerade in der Sockelgliederung am wenigsten glücklich, die, wie Kallenbach richtig herausfühlt, lange nicht so effectreich ist, wie der attische Sockel, den die römische Bauweise von Griechenland adoptirte, die romanische nach der römischen imitirte, und die gothische nach der romanischen variirte. —. Schliesslich ist nur noch zu bemerken, dass sämmtliche Kranzgesimse vom Bogenfriese üblicher Weise begleitet werden, dass aber, als ein seltenes Vorkommniss, an der Apsis auch noch der Perlstab hinzugefügt worden ist. — Mit jenem Bogenfriese ist auch die grosse Thurmrosette ausgespannt. In dieser Anwendung giebt dieser Fries gewissermaassen die Uranfänge des spätern gothischen Nasenwerkes.]
Eine zweite Erweiterung erfuhr der Dom, obgleich diese nicht urkundlich nachzuweisen ist, am unvollendet gebliebenen, und deshalb
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1) Im Erbvertrage der Herzöge Magnus und Ernst vom J. 1345 heisst es: "Dat Mousshouss in der Borch to Brunswich un de Kemnaden de twischen dem Mousshouss und Sünte Blasius Khore lit, dar men van geit up Sünte Peteres Capellen."
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mit einem Nothdache versehenen obersten Thurmgeschosse nebst dem Glockenhause, und an den beiden grossen Spitzbogenfenstern im Schiffe zunächst den Kreuzflügeln. Diese Baufragmente lassen sich, der Analogie nach, nicht früher als in die zweite Hälfte des XIII. Jhrdts. hinaufdatiren. Kallenbach, freilich auf keine urkundliche Autorität gestutzt, nimmt für das Glockenhaus die Epoche von 1270—1285 an.
[Zeigt das untere Thurmgeschoss in seinem Sockel, in seinen Lissenen, im Rundbogenfriese, zeigt auch das zweite Thurmgeschoss in seinem, mit romanischem Rundbogenfriese ausgespannten Rundfenster, in welchem nur die Radspeichen fehlen, um es dem Radfenster zu St. Martin in Cöln vom J. 1155, oder dem Chorfenster des Wormser Domes, oder auch einem Kreuzflügelfenster des Mainzer Domes gleich zu machen, zeigen diese Baufragmente noch ganz den byzantinischen Charakter, so giebt sich schon in dem reich durchbrochenen Glockenhause der entschieden ausgebildete frühgothische Styl kund. Hier tritt bereits der Spitzbogen auf, hier sehen wir Maasswerk, welches sich im romanischen oder byzantinischen Style nie findet; hier ziehen sich bereits Krabben oder Posen in primitiver Form, nämlich als Knöpfchen auf gekrümmten Stielen, über den Giebel fort. Das Maasswerk in runder Gliederung, wovon die Hauptpfosten besondere Capitäle und Basen haben, zeigt sich aber noch unentwickelt. Es löst sich mit den Spitzen der Vielpässe noch ganz vom Hauptgliede los; ein Dreipass über dem grossen Glockenfenster durchbricht das Mauerwerk, ohne vom Kreise umschlossen zu sein. Denselben Typus tragen die beiden grossen Spitzbogenfenster im Mittelschiffe, deren frühgothisch gegliederte Einfassung das romanische Dachgesims durchschneidet. Sie sind augenscheinlich nur zur Lichtgewinnung aus der Zusammenziehung von je zwei Rundfenstern gebildet.]
Eine wesentliche Veränderung erhielt das Gebäude durch Herzog Otto d. Milden (geb. 1292, st. 1344), nämlich die Erweiterung des südlichen Seitenschiffes. Das Jahr der Einweihung dieser, unter dem Namen der Laurentius-Kapelle bekannten, und vom Stifter mit einer Vicarie ausgestatteten Halle ist nicht genau bekannt, und auch nicht aus der, über der südlichen Eingangsthür befindlichen Inschrift 1), die doch dieses Anbaues gedenkt, zu ersehen. Die Weihe
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1) Sie lautet: "Anno Dn. MCCCXLIIII ob: dux Otto felicis et ad aucti Agnes conthoralis sua ob: MCCCXXXIIII V kal. Dec. a quibus fundata est hec capella anno incarnationis dominice MCCCXLVI." — Das Jahr 1346 kann sich nur auf die Gründung dieser Inschrift, nicht der Kapelle, beziehen.
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selbst vollzog Otto's Bruder, Herzog Albrecht, Bischof von Halberstadt. Otto's Lehrer, Reinhold, stiftete einen, reich mit Reliquien und Geldmitteln bedachten, am Tage Mariae Magdalenae eingeweiheten Altar in dieser Halle.

[Statt des einen, wurden also zwei Navaten dem Mittelschiffe angefügt; aber mit wenig sorgfältiger Ausführung. Man liess Theile der früheren Seitenmauer stehen, ohne sich die Mühe zu nehmen, sie gothisch zu gliedern. Deshalb ist vom ursprünglichen Seitenschiffe die ganze Wölbung erhalten, und an den Pfeilern noch theilweise das alte romanische Fussgesimse sichtbar; wie selbst noch in der neuesten Zeit Ueberreste der alten Wandmalereien daran entdeckt wurden. Dieser Neubau fällt freilich mit der Blütheepoche der Gothik zusammen; allein er giebt davon nur eine wenig gefällige Probe. Das Ganze erscheint schwerfällig, die Profilirungen, obschon scharfkantig, zeigen wenig Formengefühl, wie denn auch das Maasswerk der Fenster unconstructiver Art ist. So wird z. B. der Kreis durch einzelne Theile des Maasswerkes geradezu durchschnitten, und dasselbe beginnt nicht einmal gleichmässig auf der Anfangslinie des Spitzbogens. Die Giebel haben weder Maasswerk noch Krabben. Die im Innern neben einem Fenster angebrachten Standbilder stellen, wie schon Rehtmeyer vermuthete, vielleicht Otto selbst mit seiner Gemahlin Agnes vor, und nicht, nach der gewöhnlichen Annahme, Heinrich d. L. und Mathilde; weil nicht denkbar ist, dass man die so nahe liegenden Vorbilder im Dome hätte unbenutzt lassen sollen. Einen Bart hat wenigstens Heinrich d. L. nicht getragen.]
Endlich wurde auch das nördliche Seitenschiff um das Ganze seiner früheren Breite erweitert, und zwar durch Herzog Wilhelm d. Siegreichen, gen. Gotteskuh, im J. 1469. Diese Jahreszahl ist auch über dem, neben dem Thurme belegenen Portale eingehauen. Die Fonds dieses Neubaues beschaffte hauptsächlich Ludolph von Quirren aus Hannover, der Canonicus zu St. Blasii und zugleich Pfarrer zu St. Andreas war. Die Weihe vollzog Bischof Henning von Hildesheim im J. 1474.

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Dieser Bautheil entstammt der bereits eingetretenen Verfallszeit der Gothik; ist indessen in seiner phantastischen Intention von sehr überraschender Wirkung. Die Gewölbe dieser beiden nördlichen Seitenschiffe ruhen auf sieben schlanken Säulen, um welche sich Cylinder schlingen, welche nach einer complicirten Capitälgliederung in die Ribben des Gewölbes übergehen. Gewundene Säulen waren bereits in der Uebergangsepoche, selbst schon zur Zeit des romanischen Styles üblich, und wiederholen sich hier in der planlos projectirenden Verfallszeit. Es ist erklärlich, dass gewundene Säulen, weil die Biegung des Schaftes der Tragbarkeit Eintrag thut, und somit das Gesetz der Statik verletzt, stets das auf ihnen ruhende Gewölbe als drückend erscheinen lassen müssen. Da aber einmal gegen das XVI. Jhdt. die Construction nicht mehr in Anschlag kam, so verfiel man auf Abenteuerlichkeiten. Man versuchte sich in den wunderlichsten Verschiebungen und Uebereckstellungen, die nicht mehr die Verjüngung der Masse, sondern nur deren Complication bezweckten. Dadurch kam etwas Lebloses, Starr-Krystallinisches und eine unverständliche, mystische Spielerei des Cirkels heraus. Das zeigt sich namentlich auch hier in den Cylindersockeln, die mit ihren Auskehlungen und Abfasungen, Klunzfüssen ähneln. Auch die Auskragungen verrathen ein gleich unschönes Formengefühl. Das Gewölbe ist äusserst flach und mit einem Netze unterzogen. Die Gewölberibben treten nämlich als Oberflächeribben unter verschiedenen Winkeln in Netzform zusammen. In der Uebergangs- und frühgothischen Epoche waren die Quergurte noch massiver als die Diagonalgurte. Jetzt sind Stirn-, Scheide-, Kreuz- und Drittelribben gewöhnlich von gleicher Stärke. Diese Netzgewölbe entwickelten sich consequenter Weise aus dem Haschen nach Effect und Fülle, und beeinträchtigten dadurch den Eindruck der Erhabenheit und Ruhe, weil sie die Construction versteckten, statt sie zu markiren. Aber nicht, wie Kallenbach meint, um die Netzgewölbe besser von unten sehen zu lassen, legte man die Gewölbe flacher; sondern weil das mehr mit Ribben gestützte Gewölbe mehr Festigkeit hatte, konnte man es flacher legen. Gerade deshalb sind auch die Netzgewölbe, als deren älteste die im Kreuzgange zu Gloucester (um 1381—1412) gelten, 1) vorzugsweise mit dem flachen Tudorbogen vereinigt, welcher durch das in England herrschende
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1) S. Romberg's Zeitschr.

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Princip der Horizontale bedingt, und unter den Tudors Heinrich VII. und VIII. äusserst beliebt war.
Die Fenster der Nordhalle sind mit einem stumpfen Winkel von etwa 150 Grad überdeckt, und die Schenkel dieses Winkels setzen sich in kaum merklichen Krümmungen an die Seitenwandung an. Schlug im XVI. Jhdt. die im XV. Jhdt. beliebte Ueberladung des Maasswerkes in das Extrem eines nüchternen Gitterwerkes um, dem häufig sogar alles Nasenwerk fehlte: so bieten die Fenster des nördlichen Domschiffes schon einen Anklang daran dar. Ausser in den beiden westlichsten Fenstern, in denen der Eselsrücken und die Fischblase die Muster bilden, besteht nämlich alles Maasswerk nur aus je zwei schlichten Stäben. Den Hauptschmuck dieser Fenster, die Bildnisse vieler fürstlicher Personen in ganzer Figur, entfernte 1678 Herzog Rudolph August. — Das Maasswerk der Brustwehr zeigt ein Verschmähen aller constructiven Grundbedingung. — Merkwürdiger Weise steigen die Streben mit ihren Fialen noch über das Kranzgesimse und die Brustwehr empor, was sie im XV. Jhdt. selten mehr thaten; sondern meistentheils mit eingebogenen Wasserschrägen tief unterhalb des Hauptgesimses in's Mauerwerk verliefen. Zuweilen dagegen zerfasten sich die Streben widersinniger Weise sogar in zwei Fialen. — Das Portal der Nordhalle ist mit einer plump gegliederten Wimperge im Eselsrücken decorirt. Waren im XIV. Jhdt. Giebel über Portalen, Fenstern und Nischen üblich: so begnügt man sich vom XV. Jhdt. an meistentheils mit einem Gesimse, welches in geschwungener Linie zur Kreuzblume als sogenannter „Eselsrücken" anstrebt. Häufig wird diese geschwungene Bogenlinie sogar mit ihrer Spitze übergebogen, wodurch der sogenannte „Marienschuh" entsteht, wie wir ihn am Münster zu Ulm sehen. Vielleicht entlehnte die christliche Architectur diese unconstructiv unter der Spitze eingedrückte Bogenlinie von den Mauren, deren Herrschaft in Spanien im XV. Jhdt. bekämpft, und mit dem Jahre 1492 gänzlich gebrochen wurde.
Ein grosser Uebelstand der Nordhalle ist das Dach. Um nämlich der öfteren Reparaturen des früher noch flacher ansteigenden Bleidaches überhoben zu sein, legte man 1813 das neue Ziegeldach so hoch, dass dadurch die Hälfte der Fenster des Hauptschiffes verdeckt wurde, und diesem somit an Licht bedeutender Eintrag geschah. —]
Wegen seiner reichen Auswahl an Kunstwerken und Reliquien war früher der Dom hochberühmt. Als gegen Ende des XVH. Jhdts. die stolze, nach Reichsunmittelbarkeit strebende Stadt gedemüthigt

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werden sollte, wurden die verschiedenen Linien des Welfenhauses, die ungeachtet früherer Gebietstheilungen, die Hauptstadt in gemeinschaftlichem Besitze behalten hatten, für die Entsagung ihrer Ansprüche, vom Herzoge Rudolph August von Braunschweig-Wolfenbüttel 1671 entschädigt. So erhielt u. a. der katholische Herzog Joh. Friedrich von Hannover den von Heinrich dem Löwen gesammelten und später reich vermehrten Schatz von Reliquien mit ihren kunstvollen Behältern. Trotz dieser und mehrfacher Beraubungen, besitzt jedoch die Kirche an Merkwürdigkeiten noch mancherlei. Am wichtigsten ist darunter das Grabmal Heinrichs d. Löwen und seiner zweiten Gemahlin Mathilde. Das Gewölbe liess Heinrich selbst herstellen; allein die Deckplatten mit seinem und seiner Gemahlin Standbilde sind wahrscheinlich erst von seinen Söhnen, also zu Ende des XII. oder zu Anfang des XIII. Jhdts. angefertigt worden. Des edlen Styles wegen ist dieses plastische Werk von ausserordentlich grosser Bedeutung. Als Fundator des Domes, trägt Heinrich dessen Modell in seiner Rechten. — Zwischen den Armen der Chortreppe steht der merkwürdige Altar, welchen 1188, also ein Jahr vor ihrem Tode, die Herzogin Mathilde der Kirche widmete. Er ruhet auf fünf ausgehöhlten Bronzesäulen. Die Capitäle sind mit schön stylisirten Adlern ornirt, einem in der altchristlichen Kirche sehr beliebten Symbol der Verjüngung und des Aufschwunges zum Himmel. Die grosse Tischplatte besteht aus dunklem Muschelmarmor. Die Säulen waren früher mit Reliquien gefüllt, welche 1709 vom Herzoge Anton Ulrich dem Abte von Corvey geschenkt wurden. Die Mittelsäule enthält noch jetzt die Stiftungsurkunde.  1)  Im Jahre 1223 bestätigte Pfalzgraf Henricus Longus diese Schenkung seiner Mutter. 2)  Bis
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1) „A. D. MCLXXXVIII dedicatum est hoc altare in honore beati dei genetricis Marie, ab Adelogo venerabili Episcopo hildesemensi, fundante ac promovente illustri duce Henrico, filio filie Lotharii imperatoris, et religiosissima eius consorte Mathildi, filia Henrici secundi Regis Anglorum, filii Mathildis imperatricis Romanorum."
2) Der Anfang dieser Urkunde lautet:
„Notum esse volumus omnibus universis fidelibus tam presentibus quam futuris, quod Karissima mater nostra Mechtildis felicis memorie, Anglorum regis filia, Ducissa Saxonie, pie devotionis spiritu inducta obsequium domino prestare volens, altare sancte Marie, quod est in medio choro beati Blasii, ob salutarem et piam anime eius et carorum suorum memoriam instituit"—etc.

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zum Jahre 1686 stand dieser Altar in der Mitte des hohen Chores, worauf ihn Rudolph August, bei Renovirung der Kirche, vor das Grabmal der Stifterin setzen liess. Anton Ulrich verlegte ihn 1707 wieder an seinen früheren Platz, bis er 1813 an seinen jetzigen Standpunkt kam. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Säulen polirt und vergoldet. Interessant ist dieser Altar auch besonders deswegen, weil er ein getreues Bild von der schon in uralter Zeit gebräuchlichen Altarform giebt. Ein ähnlicher Marmor-Tisch von sehr hohem Alter befindet sich in der Gereonskrypte zu Cöln.
Auch den alten Lettner translocirte Rudolph August vom Eingange des Chores in den rechten Kreuzflügel. Anton Ulrich gönnte diesem, aus Heinrich's d. L. Zeit herstammenden Alterthume auch nicht einmal diesen Platz. Das Christusbild dieses Lettners hat sich gegenwärtig in einen Winkel des Thurmes verirrt.
Früher standen zur Seite von Heinrich's Grabmale die Statuen dieses Fürsten und des Bischofs Hermann von Hildesheim, erstere aus Sandstein des Elmes, letztere aus nordhäuser Alabaster gefertigt. Rudolph August liess sie in das jetzige Erbbegräbniss setzen. Diese merkwürdigen Standbilder sind noch zu, oder wenigstens unmittelbar nach Heinrich's Zeit angefertigt worden.
Von hohem künstlerischen Interesse ist auch der 16' hohe, 13' breite und 7 Ctr. schwere, siebenarmige Bronze - Leuchter vor dem Hochaltare. Heinrich der Löwe liess ihn dem, auf dem Titusbogen dargestellten Leuchter des Tempels zu Jerusalem nachbilden. Wie die daran als Werkzeichen befindlichen lateinischen Buchstaben, und wie auch die früher und gleichzeitig in Deutschland angefertigten stylähnlichen Gusswerke schliessen lassen, ist dieser Leuchter ein vaterländisches Product. Pfalzgraf Heinrich gedenkt desselben in der oben erwähnten Urkunde vom Jahre 1223. 1)  Herzog Anton Ulrich liess 1728 dieses Kunstwerk zur Seite werfen, weil es dem neuen hölzernen Hochaltare mit antiker Frisur im Wege stand. Bei dieser Gelegenheit mögen auch die jetzt wieder ergänzten Füllungen am Fusse und die meisten Einlagen der Schmelzgemälde verloren gegangen sein. Vielleicht stammen diese Schmelzarbeiten von demselben cölner Elbertus her, der die Schmelzgemälde an dem schönen Reliquienkasten fertigte, welcher aus dem braunschweiger Domschatze nach Hannover gelangte. Die Wiederaufstellung dieses Leuchters
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1) „Lumina provideantur supra candelabrum coram iam sepe dicto altari."


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im J. 1830 ist der kräftigen Fürsprache des würdigen Oberbauraths Peter Joseph Krahe zu danken.
Die zur Seite dieses Leuchters an den Wänden des Oberchors fortlaufenden alten Stühle der Stiftsherren sind frevelhafter Weise erst in neuerer Zeit entfernt worden.
Das den Mittelgang des Hauptschiffes beengende Grabmal enthält die in Zinn gegossenen Bildnisse Ludwig Rudolph's und seiner Gemahlin Christine Louise, der Grosseltern der Kaiserin Maria Theresia.
In der jetzt zum Erbbegräbnisse eingerichteten Rudolphs-Kapelle befinden sich, ausser den schon erwähnten Statuen Heinrich's und des Bischofs Hermann, noch einige Reliquien aus Heinrich's d. L. Sammlung, z. B. das Horn und die Schalmei des heil. Blasius, ein Antilopenhorn, eine Rippe Goliaths, welche aber ein Mammuthsknochen ist, etc. Sehenswerth ist auch die schöne Passionssäule aus dem Ende des XV. Jhtds.
In Betreff des historisch höchst merkwürdigen fürstlichen Erbbegräbnisses, welches 1681 von Ferdinand Albrecht dem Wunderlichen in der alten Era-Kluft vorgerichtet worden ist, muss auf die ausführliche Beschreibung von Frdr. Görges verwiesen werden.
Die Orgel ist 1499 von Heinrich Kranz erbaut. Sie war früher die bedeutendste Orgel Deutschlands, und gehört noch zu den ausgezeichneteren. Um die Mitte des XVI. Jhdts. renovirte sie der Organist Johann Thomas. Eine vom Organisten Henke aus Hildesheim 1603 begonnene Erweiterung brachte 1609 Christoph Münch zu Ende. Diese Reparatur kostete 6000 Gulden. Im J. 1711 machte sich Joh. Andr. Graff aus Wolfenbüttel durch Verbesserung der Orgel verdient. Die im J. 1810 gestohlenen 66 Pfeifen wurden 1819 durch den Hoforgelbauer Bethmann aus Hannover ergänzt. Eine durch den Orgelbauer Engelhard aus Herzberg im J. 1845 veranstaltete Restauration kostete über 6000 Thlr., ohne dass im Wesentlichen das herrliche Werk an Wirkung gewonnen hätte.
Ausgezeichnet ist das Glockengeläut des Domes. Unter den 11 Glocken sind am bemerkenswerthesten Blasius major, welche 99 Centner wiegt, und Blasius minimus, welche neben der Inschrift: „St. Blasi memento nostri", auch Heinrich's d. L. Wappen führt, und wahrscheinlich noch von diesem Fürsten herstammt.
Die an der Thür des nördlichen Kreuzflügels eingekratzten Vertiefungen sind ein Wahrzeichen Braunschweigs. Der Volksglaube hält sie für die Spuren eines von Heinrich aus dem Oriente mitgebrachten

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Löwen, der nach seinem, ihm durch den Tod geraubten Herrn verlangt habe. Wahrscheinlich aber verewigten sich hier nur Steinmetzen durch das Schleifen ihrer Instrumente.
Die am Aeussern der Chornische noch jetzt wahrzunehmende Mauerverletzung rührt von einem am 20. August 1615, während der Belagerung durch Herzog Friedrich Ulrich hieher gerichteten Schusse her.
Mit dem Abbruche der an die Südseite angrenzenden Kreuzgänge, des Capitelhauses und der übrigen Stiftsgebäude liess Herzog Carl II. am Morgen des 7. Sept. 1830 beginnen, um dem, über Mangel an Arbeit klagenden Volke Beschäftigung zu geben. Am Abend dieses verhängnissvollen Tages waren die Abbruchsteine eine recht zur Hand gelegene Waffe bei Erstürmung des Schlosses.
Ueber die Wandgemälde wird der Nachtrag Auskunft geben.

Maassen der Domkirche.
Grundriss: Ganze Länge von Aussenkante W. bis Aussenkante O.: 246½'; Vorsprung des Thurmbaues: 28'; Breite desselben: 87'; Länge des Mittelschiffs: 123½‘; Länge des h. Chors im Innern, incl. mittlerer Vierung des Kreuzbaues: 83'; Länge der Seitenschiffe: 126 ¼'; Vierungen des Mittelschiffs, 4 Stück: à 32' breit, 28' und 29' lang, jedes der 4 Seitenschiffe hat ungefähr die halbe Breite des Mittelschiffes; Stärke der kreuzförmigen Hauptpfeiler: 6¾' □; der Zwischenpfeiler: 3½' breit und 4' stark; Tiefe des ganzen Gebäudes von aussen zu aussen: 110'; Fensterbreite des Nordschiffes: 7—10'; des Südschiffes: 6½‘; Breite des Kreuzstammes: 39'.
Nördlicher Aufriss: Höhe der Aussenfronte des nördl. Schiffes bis Oberkante Ballustrade: 39'; Höhe der Aussenfronten des Mittelschiffes bis Oberkante Dachgesimses: 63'; ganze Höhe bis zur Dachfirste: 92'; lichte Höhe der Fenster: 20'; Höhe der Chornischenmauer bis Oberkante Dachgesimses: 46'; Höhe des Thurmunterbaues: 35'; Breite einer Aussenseite des Thurmachtecks: 11'; Höhe der Thürme bis Firstkante des Daches: 158½'
Längenschnitt: Höhe des Mittelschiffes bis Unterkante Gewölbes: 61'; des Kreuzbaues: 50'; des Chors: 48½'; der Kämpfer der Hauptpfeiler im Mittelschiffe vom Fussboden: 43'; der Kämpfer an den Zwischenpfeilern: 18' 6"; der Krypta: zwischen 12¼ und 14¼'.
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Die Wandgemälde des braunschweiger Domes.

In seiner eigentlichen, und höheren Bedeutung kann dieses ehrwürdige Kunstalterthum, der Bilderschmuk des braunschweiger Domes, nur erst durch die Einreihung in seinen historischen Zusammenhang erfasst werden. Darum müssen wir auf die älteste Kirchenarchitectur zurückblicken. Hatte sich auf die römische, von ihrer Mutter, der heitern griechischen Kunst, welche selbst ihr Aussengewand polychromatisch ornirte, wenigstens die Pracht der inneren Decoration vererbt, so wurde diese wiederum von der römischen auf die romanische Kunst übertragen. Bis auf die Standbilder, welche die älteste christliche Kirche aus dem, ihr schon vom Judenthum eingeimpften Abscheu vor dem heidnischen Götzendienste, verschmähete, war daher die ganze Herrlichkeit des edlen Materiales und des inneren Bilderschmuckes von der romanischen Architectur adoptirt. Eine christliche Kirche daher, deren Arkaden von Marmorsäulen mit vergoldeten Capitälen getragen wurden, deren Decke von Schnitzwerk und Vergoldung strotzte, deren Fussboden mit den kostbarsten Steinarten, oft sogar mit den kunstvollsten Mosaiken ausgelegt war, an deren Wänden sich aus dem Glanze des Goldgrundes der Bilderschmuck der Fresken, oder der Mosaiken prachtvoll hervorhob, war mit einer so verschwenderischen Herrlichkeit ausgestattet, dass sie Procopius mit der Blumenpracht einer bunten Wiese verglich. Dabei dürfen wir freilich nicht übersehen, dass der Reichthum mehrentheils den wahren Kunstwerth ersetzen musste; denn das Vorbild der romanischen Kunst, die römische, war zugleich mit dem Untergange des römischen Reiches, der Verderbniss anheimgefallen und es bedurfte einer geraumen Zeit, ehe sich über den Trümmern der heidnisch-classischen Welt das Gebäude der christlich - romantischen erheben konnte. Aber auch ohne den Kunstwerth hatte die Decoration der altchristlichen Architectur, namentlich der Bilderschmuck, einen ganz besondern und immer absolut hohen Werth. Die bildlichen Darstellungen einer christlichen Kirche, am Eingange mit der Schöpfungsgeschichte des Menschengeschlechtes beginnend, weshalb dieser Eingang auch das Paradies genannt wurde, im eigentlichen Schiffsraum zum Leben und Wirken der Propheten und Kirchenväter übergehend, hier auch an den untergeordneteren Stellen, namentlich wo statt der Säulen Pfeiler vorhanden waren, den Bildern der weltlichen Herrscher einen Raum gönnend, in den Kreuzflügeln und im Presbyterium das Leben und Leiden

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des Erlösers, der Jungfrau Marin, der Apostel und der betreffenden Schutzpatrone verherrlichend und endlich in der Chornische mit dem als Weltenrichter am jüngsten Gerichte in der symbolischen Glorie des Welteirundes dargestellten Christus abschliessend, — waren ein Abriss der ganzen Kirchen- und Weltgeschichte. Es wurde damit also gleichmässig das religiöse und nationale Interesse des Volkes berührt und gehoben und diese Bilder mussten in einer Zeit, wo die Masse des Volkes weder lesen noch schreiben konnte, die Schrift ersetzen. So wurden sie denn eine heilige Chronik, für welche das Volk ein um so tieferes Verständniss hatte, weil das religiöse Bewusstsein noch lebendig in ihm wohnte. Bunt, naiv in der Composition, mangelhaft an Zeichnung, gleichsam nur eine Hieroglyphenschrift, waren freilich häufig diese Bilder; aber sie bedeuteten an dieser Stätte auch etwas ganz anderes, als eine blosse Kunstproduction. Um dergleichen Darstellungen so viel, als möglich über die sogenannte künstlerische Illusion hinwegzuführen, legte man absichtlich diesen, gleichsam nur farbig ausgefüllten Contouren einen Grund von blendendem Golde oder von tiefgesättigtem Lazurblau unter. Symbolisch war daher ihre Ausführung, symbolisch die Bedeutung ihrer einzelnen Sujets, symbolisch ihre Gesammtwirkung. Wie die Schrift sagt, bedarf die Stadt Gottes nicht der Sonne, noch des Mondes zu ihrer Erleuchtung; denn die Herrlichkeit Gottes erhellet sie, und ihre Erleuchtung ist das Lamm. 1)  Das Licht der ursprünglich ohnehin nur kleinen Fenster war daher stets mit dünngeschliffenen Steinen oder einer bunten Glasmosaik gebrochen und noch obenein durch Teppiche verhängt. So strömte denn das einzige Licht in dem heiligen Räume von den Kerzen aus, die das Messopfer im Allerheiligsten umstrahlten. In diesem heiligen Dunkel eines magischen Lichtes redeten nun die Wände in den Bildern der heiligen Schrift zu dem Herzen des Volkes, und waren gleichsam nur die prächtige Zeltdecke, welche die Stiftshütte vor dem profanen Auge der Welt verhüllte. Um gehörig gewürdigt zu werden, wollen daher dergleichen Alterthümer nur mit geweiheten Blicken beschauet sein.
Dass übrigens der braunschweiger Dom ursprünglich durchgehends mit Wandgemälden geschmückt gewesen sei, wird nach dem vorhin Gesagten sattsam einleuchten. Die reiche Ausstattung eines romanischen, resp. byzantinischen Bauwerkes pflanzte sich nämlich bis zu
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1) Apocal. I. 23

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Ende des zwölften Jahrhunderts fort. Erst zu Anfang des dreizehnten, mit dem Auftauchen eines neuen Styles, des romanischen, der die abschliessende Horizontallinie pyramidalisch durchbrach, die Wandfläche architectonisch belebte und zu seinen himmelanstrebenden Formen grösserer Lichtöffnungen benöthigt war, verlegte man den Bilderschmuck von der Wand in die erweiterten Fenster. Ein byzantinisches, resp. romanisches Bauwerk ohne Bilderschmuck in seiner nüchternen Kalktünche ist daher immer nur eine farblose Leiche.
Die Dombilder sind, aller Wahrscheinlichkeit nach, erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, während der unseligen Restauration des Domes unter Rudolph August, oder während der noch radicaleren unter Anton Ulrich, überweisst worden. Als das herrliche Bauwerk zu Anfang Augusts 1845 abermals mit einem inneren Aufputze bedacht werden sollte, veranlasste Referent den ausführenden Architecten, Herrn Kreisbaumeister Krahe, vor der gefährlichen Procedur des Abkratzens der Kalktünche, zu sorgfältiger Untersuchung der Wandflächen, in Rücksicht auf etwaige Ueberreste alter Malereien. Die dadurch verursachte kleine Unterbrechung des Bauunternehmens wurde dem Architecten reichlich belohnt. Gleich der erste Versuch führte Malereien zu Tage, und es erwies sich nicht allein das ganze Presbyterium mit der Apsis und dem südlichen Kreuzflügel als durchweg mit diesem Schmucke versehen; sondern es bewiesen auch die in der Apsis des nördlichen Kreuzflügels entdeckten einzelnen Köpfe und die am südöstlichen Pfeiler des Mittelschiffs vorhandenen Kaiserbilder, sowie auch die, an der früheren Umfangsmauer des ehemaligen Seitenschiffes nach Süden, welche jetzt zu Pfeilern ausgearbeitet ist, noch erkennbaren Bilderfragmente, dass sich ursprünglich die Bemalung über das ganze Bauwerk erstreckt haben musste. Da sich nun die zur General-Versammlung deutscher Architecten und Ingenieure, gerade zu Halberstadt anwesenden Künstler auf den 24ten August zu einem Besuche in Braunschweig angemeldet hatten, so betrieb Herr Kreisbaumeister Krahe die Entfernung des störenden Kalkbewurfes mit möglichster Eile. Die ungemeine Theilnahme, deren sich die aufgedeckten Malereien von Seiten so competenter Beurtheiler, wie sie sich unter den eintreffenden Architekten befanden, zu erfreuen hatten, war von der wohlthätigsten Rückwirkung auf Braunschweig selbst. Zum Glück wurde diesem kostbaren Kleinode der Kunst in Sr. Hoheit, dem Herzoge, Höchstwelcher die Gemälde

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am 28. August in Augenschein nahm, der thätigste Beschirmer zugeführt. Nun wurde Herr Gallerieinspector Brandes, in Gemeinschaft mit Herrn Neumann, mit der Auffrischung der alten Malereien beauftragt.
Mit der Renovation der Gemälde nahm man zugleich eine Erneuerung des Gewölbes in der Chornische vor, welches den Einsturz drohete, weil merkwürdiger Weise der Gurtbogen, an welchen sich dieses Kreissegment anlehnte, und auf welchem die östliche Giebelwand ruhete, nicht nach dem Gesetze des Keilschnittes construirt war. Leider gingen durch diesen Umbau sämmtliche Apsiden-Gemälde zu Grunde, die, wenn auch vielleicht von späterer Zeit, doch mindestens von einer höchst gefälligen Anordnung, besonders in Betreff der, die Fenster einschliessenden, und mit Heiligenbildern besetzten Arkaden, zeugten. Die Gemälde-Restauration erstreckte sich übrigens nicht über den mittleren Chorraum hinaus, und so konnte denn das, bis dahin abgeschlossene Chor am 30. November 1849 wieder feierlich zum Gottesdienste eingeweihet werden.
Was nun die Sujets der Gemälde anbetrifft, so enthalten die Gewölbe der beiden Chorquadrate Darstellungen aus dem Leben des Heilands und aus der Geschichte des Davidischen Geschlechtes. Die Seitenwände dagegen werden von Bildern aus dem Leben der Schutzheiligen des Domes eingenommen, und zwar die Nordseite vom Leben Johannis des Täufers, die Südseite von den Legenden des H. Blasius und Thomas Becket. Das Hauptgewölbe über dem Mittelpunkte der eigentlichen Kreuzlinie des Grundplanes, welches Quadrat in byzantinischen Kirchen die Solea hiess, auf welcher der Hochaltar stand, erinnert durch die Abweichung von den übrigen schlichten Gradbögen des Domes, nämlich durch eine complicirtere Wölbung, gewissermaassen an den byzantinischen Typus. In diesem Mittelpunkte der Kirchen-Architectur ist denn auch der Mittelpunkt aller heiligen Geschichten christlicher Anschauungsweise dargestellt, das Leben des Erlösers selbst. Ein grosser Mauerkranz mit zwölf Thürmen, aus welchen die Apostel hervortreten und auf einem Spruchbande das Credo oder Glaubensbekenntniss, als die glückliche Botschaft, der Welt entgegen tragen, umschliesst die ganze Vierung des Gewölbes. Dieser Mauerkranz symbolisirt die Mauern Zions, welche im Mittelalter der Christ eben so gewiss für den Mittelpunkt der Welt ansah, wie der Grieche sein Delphi als den Nabel oder Mittelpunkt der Erde bezeichnete. Der Fond dieses Mauerkranzes ist in sechs

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Felder abgetheilt, welche sich um ein mittleres Rundtheil gruppiren. In diesem Mitteltheile symbolisirt das Lamm mit der Kreuzesfahne und dem Kelche den, zwischen Gott und die sündige Menschheit durch seinen reinen Opfertod versöhnend eingetretenen Vermittler. Das erste Feld zeigt nun die Geburt des Erlösers, welcher in der Krippe zu Bethlehem von seinen Eltern, Joseph und Maria, und von zwei Engeln bewacht wird. — Das zweite Feld enthält die Darstellung Christi im Tempel. Während nämlich Joseph das, vom Gesetze vorgeschriebene Taubenpaar opfert, zeigt Maria ihren Neugebornen dem Simeon, welchem es verheissen war, nicht eher zu sterben, bis er den Heiland geschauet habe und welcher in die Worte ausbrach: „Herr, nun lässest Du deinen Diener in Frieden fahren, wie Du gesagt hast, denn meine Augen haben den Heiland gesehen." 1) — Das dritte Feld zeigt die drei heiligen Frauen, nämlich Maria Magdalena, Maria Jacobi und Solome 2) am Grabe, denen der Engel die Worte entgegen ruft: „Ihr suchet Jesum von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden und ist nicht hier." 3) — Das vierte Feld stellt den Erlöser auf dem Wege nach Emmaus dar, wie er sich den beiden Jüngern, von denen die heilige Schrift nur den Cleophas namhaft macht, zu erkennen giebt, und beim Abschiede mit den Worten zum Eintritt genöthigt wird: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden." 4)— Die fünfte Darstellung zeigt den Erlöser, wie er bei Tisch zu Emmaus an der Gewohnheit des Brodbrechens von den beiden Jüngern erkannt wird. 5) — Das sechste Bild endlich vergegenwärtigt die Ausgiessung des heiligen Geistes am Pfingstfeste, symbolisirt durch die Taube, welche über der Mutter Jesu und seinen Jüngern schwebt. — Die vier Ecken des Gradgewölbes unterhalb des Mauerkranzes sind mit acht Bildern von Propheten ausgefüllt, welche Spruchbänder tragen, die von der Herrlichkeit Zions zeugen. Zu bemerken ist noch, dass sämmtliche Inschriften nur bezügliche Schriftstellen nach der Uebersetzung der Vulgata enthalten. — Unter den vier Stirnansichten der Gurtbögen dieser Bogenvierung zeigt die westliche Stirnseite die Brustbilder des segnenden Christus und Johannes mit dem Lamme. Ihnen zur Seite ist der Pelikan angebracht, der bekanntlich als Sinnbild des Märtyrertodes gilt, weil er durch das Aufbeissen seiner Adern sein eigenes Blut vergiesst, und
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1) Luc. II. 29 — 2) Marc. XVI. 1.
3) Marc. XVI. 6. — 4) Luc. XXIV. 29. — 5) Luc. XXIV. 30 — 31.

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der Phönix, dieses Symbol unsterblicher Verjüngung. Die östliche Stirnseite des Gurtbogens dagegen enthält die Jünglingsgestalt Christi, vom Anfangs- und Schlussbuchstaben des griechischen Alphabets, vom A und O umgeben, wodurch in altsymbolischer Weise Christus als der Anfang und das Ende bezeichnet werden soll. Dem Heiland zur Seite steht die Mutter und sein Lieblingsjünger Johannes. Die beiden anderen Stirnansichten nach Norden und Süden sind durch zwei Engel mit der Weltkugel geschmückt. — Die Untersichten der Gurtbögen führen einen reichen Arabeskenschmuck. Die Inschriften des Gurtbogens zwischen dem ersten Chorquadrate und dem nördlichen Kreuzflügel beziehen sich auf die Cardinaltugenden, die Inschriften des Gurtes zwischen den beiden Chorquadraten dagegen verherrlichen die Jungfrau Maria. Diese letzteren indessen sind nach einem alten Miniatur-Gemälde erneuert. — Die Darstellungen des zweiten Gewölbes unmittelbar vor der Chornische beginnen mit der westlichen Stirnansicht des Gurtbogens. Hier zeigt sich das erste Menschenpaar, durch die Verhüllung mit dem Feigenblatte den Sündenfall andeutend. Das Kreuzgewölbe selbst ist durchweg mit Bildern in Medaillons ausgefüllt, die durch das, das Christenthum symbolisirende Weinblatt stammbaumartig umrankt werden. Unmittelbar unter dem ersten Menschenpaare erblicken wir den Stammvater des jüdischen Volkes, den Abraham; ihm folgt das, an der Harfe kenntliche Bild Davids, des Ahnherrn Josephs; endlich die Gottesmutter selbst, umgeben von Engeln und von den Königen Israels und Juda's. So repräsentirt diese Bogenvierung schon für sich gewissermaassen die ganze Weltgeschichte, von den Stammeltern des Menschengeschlechtes, bis zur Geburt des Erlösers. — Der an der Stirnansicht des Gurtbogens vor der Chornische mit ausgebreiteten Armen dargestellte Engel, sowie auch die Arabeske an der Untersicht dieses Gurtes und die in Medaillons eingeschlossenen Engelbilder der unteren Bogenzwickel sind neu. — Beiläufig sei gleich hier bemerkt, dass diese sowie alle übrigen Ergänzungen, vom Herrn Gallerieinspector Brandes herrühren. Mag man nun von der Renovation dieser Bilder halten, was man will, und sollte man auch wünschen, dass es möglich gewesen wäre, statt einer völligen Uebermalung, nur eine leise Nachhülfe an den beschädigten Stellen anzuwenden, so wird man doch in Betreff der neu hinzugefügten Compositionen stets einräumen müssen, dass der Künstler so glücklich den Charakter des Ursprünglichen zu imitiren gewusst hat, dass es

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selbst einem geübten Auge schwer fallen möchte, das Alte von dem Neuen zu unterscheiden. — Richten wir nun den Blick auf die nördliche Wand dieses Chorquadrates, so zeigt sich in der obersten Spitze Gott-Vater, umstrahlt von dem, die Versöhnung verkündenden Regenbogen. Ihm zur Rechten das verworfene Opfer der Feldfrüchte Cains, der in heftiger Stellung, mit weitgespreizten, halb knieenden Beinen, in den, vom flatternden Gewande verhüllten Händen die Garbe emporhält. 1) — Zur Linken Gottes wird das gnädiglich angesehene Opfer der Heerden-Erstlinge Abels veranschaulicht. 2) — Die Laibung dieses, wie auch die des entsprechenden Fensters an der Südseite, ist mit einer reizenden Arabeske, welche Medaillons mit Engelsköpfchen umschliesst, ornirt. — Neben dem Fenster nach Westen ist der von Cain an seinem Bruder Abel verübte Mord 3), östlich vom Fenster die Lüge Cains dargestellt, der dem Herrn auf die Frage: „Wo ist dein Bruder Abel?" antwortet: „Ich weiss es nicht! Soll ich meines Bruders Hüter sein?" 4) — Wurde vorhin bemerkt, dass die Seitenwände nur Darstellungen aus dem Leben der Schutzpatrone dieser Kirche enthielten, so hat das, auch trotz dieses alttestamentlichen Sujets, seine vollkommene Richtigkeit. Der Märtyrertod Abels gilt hier nur als eine vorbereitende Allegorie auf das unmittelbar darunter abgebildete Märtyrerthum des Täufers. Von dieser, im Mittelalter so beliebten Weise der Anspielung finden wir auch an der Südwand ein entsprechendes Beispiel. — Unterhalb des Fensters ist diese nördliche Chorwand nun durch Gurte in drei friesartige Felder getheilt, die Darstellungen aus dem Leben Johannis d. T. enthalten. Das Westende des obersten Frieses beginnt mit dem Engel Gabriel der dem betagten Priester Zacharias, wie er eben im Allerheiligsten mit dem Opferdienste des Räucherns beschäftigt ist, die Freudenbotschaft überbringt: 5) „Fürchte dich nicht, Zacharias; denn dein Gebet ist erhöret, und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dess Namen sollst du Johannes heissen." — Das zweite Tableau zeigt den, wegen seines Unglaubens, mit Sprachlosigkeit
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1) Sehr richtig bemerkt Ernst Förster in der, nur sehr flüchtig die braunschweiger Domgewölbe berührenden Notiz, dass die leidenschaftliche, fast theatralische Auffassung, wie sie sich in der vorliegenden Composition manifestire, in der Regel auf eine Verfallszeit der Kunst hindeute. S. Ernst Förster: Gesch. d. deutschen Kunst. Lpz. 1851. I. p. 107.
2) Gen. IV. 3. 4. — 3) Gen. IV. 8. — 4) Gen. IV. 9. — 5) Luc. I. 5 — 20.

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bestraften Zacharias. „Und das Volk wartete auf Zacharias und verwunderte sich, dass er so lange verzog. Und da er heraus ging, konnte er nicht mit ihnen reden. Und sie merkten, dass er ein Gesicht gesehen hatte im Tempel. Und er winkte ihnen, und blieb stumm." 1) Diese Verstummung andeutend, steht daher Zacharias vor der erstaunten Volksmenge mit dem auf den Mund gelegten Finger. — Im dritten Bilde sehen wir den Besuch der mit gleicher Freudenbotschaft beglückten Maria bei der Elisabeth in Juda. Letztere ruft der Eintretenden die Worte entgegen: „Gebenedeiet bist du unter den Weibern!" 2) — Hierauf folgt die Geburt des Johannes. Während die Wöchnerin auf dem Lager ruhet, hält eine ihrer Freundinnen den Neugebornen freudig empor. 3) — Den Schluss dieser Abtheilung macht die Beschneidung des Johannes, den die Verwandten, nach seinem Vater, Zacharias nennen wollen; während die Mutter antwortet: „Mit nichten, sondern er soll Johannes heissen!" Als sich nun die Verwandten über diesen in der Familie fremden Namen verwundern, und sich zur Entscheidung an den verstummten Vater wenden, schreibt dieser, zu allgemeinem Erstaunen, den, ihm vom Gabriel verkündeten Namen „Johannes" auf die Tafel. 4) — Die zweite Bilderreihe veranschaulicht die Predigt des Johannes in der Wüste. Die Darstellung beginnt wiederum am westlichen Ende, und zwar mit dem auf dem Throne sitzenden Vierfürsten in Galiläa, Herodes, dem die Hohenpriester Hannas und Kaiphas zur Seite stehen. 5) — Die Namensüberschrift ist alt, das Bild aber neu. — Hierauf erscheint Johannes selbst am Eingange der Wüste. 6)— Der Untertheil seiner Figur ist neu. — Die folgende Scene vergegenwärtigt die Anrede des Johannes an das Volk: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; welcher Baum nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen und in das Feuer geworfen." 7) —Dann folgt die Taufe des Volkes selbst, welches höchst naiver Weise von durchsichtigen Jordan-Fluthen netzartig eingeschlossen neben dem Johannes steht. — Im folgenden Bilde antwortet Johannes drei Zöllnern, welche zu ihm gekommen sind, um sich taufen zu lassen, auf ihre Frage: „Meister, was sollen wir thun?" „„Fordert nicht mehr, denn gesetzet ist!"" 8) — Den Beschluss macht die Antwort des
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1) Luc. I. 21 — 22. —  2) Luc. I. 42. —  3) Luc. I. 57 — 58.
4) Luc. I. 59 — 63. —  5) Luc. III. 1. —  6) Luc. III. 2 — 3.
7) Luc. III. 9. —  8) Luc. III. 12 — 13. —
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Johannes auf die Frage zweier Kriegsknechte: „Was sollen denn wir thun?" „„Thut niemand Gewalt, noch Unrecht und lasset euch begnügen an eurem Solde."" 1) — Die dritte Bilderreihe endlich beginnt, und zwar wiederum am westlichen Ende, mit Veranschaulichung der verfänglichen Frage von Seiten der, dem Johannes bis Bethabara jenseit des Jordans folgenden Priester und Leviten: „Was bist du denn?" denen der Täufer erwiedert: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste."2) — Dieses ganze Bild ist neu. — Hierauf erblicken wir den Herrn selbst, der ebenfalls dem Johannes nachgefolgt ist, und von welchem dieser zu seinen Jüngern spricht: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!" 3)— In diesem Bilde sind nur die Köpfe des Johannes und der Jünger alt. — Die folgende Scene vergegenwärtigt die Demuth des Johannes, von welchem sich Jesus die Taufe erbittet. Aber Johannes wehrete ihm, nach dem Berichte der Schrift, und sprach: „Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde und du kommest zu mir? Jesus aber anwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt also sein, also gebühret es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da liess er es ihm zu."4) — In der folgenden Darstellung ruft Johannes dem, mit seines Bruders Witwe, mit der Herodias, auf dem Throne sitzenden Könige Herodes zu: „Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Weib habest!" 5) — Endlich wird das Gastmahl selbst vorgeführt, welches Herodes an seinem Namenstage den Obersten und Hauptleuten und den Vornehmsten in Galiläa gab. 6) Naiver Weise erscheint in diesem Bilde die Tochter der Herodias in drei verschiedenen Situationen, und zwar zuerst in der Mitte des Bildes vor der zu Tisch sitzenden Versammlung als Tanzende, 7) in der halsbrechenden Stellung des gänzlich nach hinten übergebogenen Oberkörpers. Die Begriffe, welche sich das Mittelalter von der Kunst des Tanzens machte, stimmen mit der vorliegenden Darstellung merkwürdiger Weise sehr genau überein. Dieselbe verrenkte Stellung von Tänzern, namentlich der Tochter der Herodias, kehrt in vielen gleichzeitigen Miniaturen wieder. Vielleicht ist diese Art des Tanzens nur eine Reminiscenz der, während der Kreuzzüge im Orient geschaueten Jongleurkünste. — Wie die Schrift sagt: „Gefiel die Tänzerin dem
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1)    Luc. III. 14. —  2) Joh. I. 19 — 23. —  3) Joh. I. 29
4) Matth. III. 13 — 15. —  5) Marc. VI. 18. —  6) Marc. VI. 21.
7) Marc. VI. 22  Matth. XIV. 6

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Herodes und denen, die am Tische sassen. Da sprach der. König zum Mägdlein: Bitte von mir, was du willst, ich will dir es geben. Und schwur ihr einen Eid: Was du wirst von mir bitten, will ich dir geben, bis an die Hälfte meines Königreichs. Sie ging hinaus, und sprach zu ihrer Mutter: Was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannes des Täufers." 1) Westlich von der tanzenden Tochter der Herodias ist dieselbe also noch einmal im Bilde vorgeführt, und zwar wie ihr über Tisch die Mutter den teuflischen Rathschlag in's Ohr flüstert, oder wie sie nach den Worten des Matthäus „von ihrer Mutter zugerichtet ward." 2) — Zuletzt erscheint sie, auf der Ostseite des Bildes, in einer Schüssel das Haupt des edlen Märtyrers tragend, der als ein Opfer der Rachsucht ihrer Mutter, gegen des Königs eigenen Wunsch, fallen musste. 3) Mit dieser Darstellung wäre gewissermaassen das Schlussbild des ganzen Cyklus, die Enthauptung Johannes, schon anticipirt, wenn es nicht der Künstler verstanden hätte, seinem Gegenstande noch eine neue Seite abzugewinnen. In einem Kerker, welcher durch die, den Fussboden einschliessenden Zinnen angedeutet wird, knieet Johannes, den der Henker, 4) im Begriff, den tödtlichen Streich auszuführen, beim Haupthaare erfasst. Aber um die Seele des edlen Dulders in Empfang zu nehmen, schwebt tröstend und versöhnend der Engel Gottes über dieser Scene des Jammers.
Zum Abschluss unserer Gemälde gehören auch noch die unten an beiden Seitenwänden des Chores fortlaufenden Teppichabbildungen. Sie stellen die, im Mittelalter gebräuchlichen, gewebten oder gestickten Decken vor, welche stets hinter den Sitzen der Geistlichen aufgehängt wurden und daher den Namen Dorsalen führten. Für uns könnte höchstens etwas Befremdendes in der Buntheit dieser verschieden gefärbten einzelnen Teppiche liegen; allein theils wurden dieselben ursprünglich durch die davorgestellten, zierlich geschnitzten und mit wirklichen Teppichen behangenen Stühle der Canonici mehr oder minder verdeckt; theils sollte auch durch diese kräftige Farbenscala dem lebhaften Farbenspiele der Wandmalereien in einem frappanten Grundaccorde ein harmonischer Abschluss gegeben werden. Die Farbenzusammenstellung nämlich ist eine von unserm Gefühl und der neuern Manier entschieden abweichende, sie ist ein prismatisches Farbenverhältniss.
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1) Marc. VI. 22 — 24. —  2) Matth. XIV. 8. —  3) Marc. VI. 25 — 28.  Matth. XIV. 11. —
4) Marc. VI. 27
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Daher finden sich diese verschiedenen prismatischen Farben sowohl in den Gewändern, wie auch in den Arabesken und selbst in den einzelnen Blättern stets vereinigt beisammen. Und so liegt selbst im Grundtone unserer Dombilder ein Charaktermerkmal ihrer Entstehungszeit. Denn während die antiken Wandmalereien der Griechen und Römer vorwaltend grüne Tinten enthalten, und sich die Gemälde der Katakomben durch einen bräunlichen Grundton charakterisiren, 1) der sich bis zur Mitte des zwölften Jahrhunderts erhalten hat, und wovon sich selbst noch in den Bildern der gandersheimer Kirche ein frappanter Anklang vorfindet: vertauschte man die alte griechische Manier, der auf Goldgrund ungebrochen aufgetragenen Farben, im zwölften Jahrhundert mit der prismatischen Brechung und lebhafteren Zusammenstellung der Farben. Von weitem gesehen erscheint daher der Grundton unserer Dombilder, in der Verschwimmung seiner verschiedenen blauen, rothen, grünen und gelben Töne, als ein sanft-violetter.
Wenden wir uns nun von der nördlichen Seitenwand ab, an welcher wir noch, und zwar am Eckpfeiler des nördlichen Kreuzflügels, die Kolossal-Gestalt Johannis des Täufers bemerken, so sehen wir auch die Darstellung der südlichen Seitenwand wiederum oben mit einer alttestamentlichen Allegorie beginnen. Die oberste Spitze wird von Gott-Vater, wie er im feurigen Busche dem Moses auf dem Berge Horeb erscheint 2), eingenommen. Der Herr hat, wie die Schrift sagt, das Elend seines Volkes in Aegypten gesehen, er hat sein Geschrei gehört, und will es durch Moses in das gelobte Land führen lassen. Auch die Heiligen sind Führer auf dem Wege zum Herrn; desshalb liegt die Beziehung dieses Bildes zur untern Darstellung nahe. Links von der Hauptfigur empfängt Moses die Gebote 3), rechts davon errichtet er die eherne Schlange 4). Gott hat nämlich das, auf dem Zuge in's gelobte Land von den Geboten abweichende Volk durch die Plage giftiger Schlangen gestraft. Moses tritt daher als Fürbitter und Vermittler für seine sündigen Mitbrüder bei Gott auf, und der Herr befiehlt ihm, eine eherne Schlange zu errichten, deren
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1) Siehe den, in der „Hamb. Liter. u. kritischen Bl. vom 11. Jan. 1851“ aus dem Athenäum aufgenommenen Bericht, über den von Wyatt im Architecten-Verein zu London gehaltenen Vortrag.
2) II. Mos. III. —  3) II. Mos. XXXIV. 1 — 9 und 27 — 29. —
4) IV. Mos. XXI. 4 — 9.

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Anblick vor dem Bisse der Schlangen schütze. Damit ist denn noch direkter auf die Heiligen hingewiesen, welche auch als Fürbitter bei der Gottheit angesehen, und daher zu Schutzpatronen der Kirche erwählt wurden. — Oestlich vom Fenster nahen dem Abraham 1) die drei Engel, welche ihm, der zum Stammvater eines neuen, gottgeweiheten Volkes ausersehen ist, die Geburt seines Sohnes Isaak verkündigen. — Westlich vom Fenster zeigt sich Abraham eben im Begriff, seinen einzigen Sohn dem Herrn als ein Opfer des Gehorsams darzubringen 2), ein Opfer, für welches den heiligen Märtyrern, auf die damit angespielt wird, selbst ihr eigenes Leben nicht zu theuer war. — Unterhalb des Fensters ist auch diese Wand wieder in drei friesartige Bilderfelder abgetheilt, von denen sich die beiden oberen auf das Leben des Blasius beziehen.
Dieser Blasius 3) nun, denn es giebt noch zwei Heilige gleichen Namens, von denen der eine unter Nero in Spanien litt, der andere sich als Kuhhirt in Cappadocien aufhielt, war Bischof von Sebaste oder Sebastia, dem jetzigen Sivas, einer Stadt im ehemaligen Königreiche Pontus, an der Südseite des schwarzen Meeres. Hier lebte Blasius zu Anfang des vierten Jahrhunderts unter der Regierung des Kaisers Licinius. Als Wohlthäter bekannt, und dafür auch von anderer Seite als Wunderthäter angefeindet, zog er sich einsiedlerisch in eine Höhle zurück, wohin ihm Thiere und Menschen folgten, um seine Hülfe in Anspruch zu nehmen. Aber es folgten ihm auch die Trabanten des Landpflegers Agricola, der ihn vor sich führen und in's Gefängniss werfen liess. Hier wird nun sein Leben nur durch eine dankbare Witwe gefristet, die ihm Fleisch von demselben Schweine bringt, welches er für sie dem Raubzahne des Wolfes entrissen hat. Nach einiger Zeit wird Blasius wiederum vor den Landpfleger geführt, um ihn durch Drohung zur Abschwörung des christlichen Glaubens zu zwingen. Weil er standhaft bleibt, lässt ihm der Landpfleger mit eisernen Haken das Fleisch vom Leibe reissen. Sieben fromme Matronen fangen das Blut des Gemarterten auf, und werden dafür mit dem Kerker bestraft. Weil aber auch sie im Glauben sich standhaft erweisen, und ein
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1) I. Mos. XVIII. 1 — 15. —  2) I. Mos. XXII. 1 — 12
3) Tv.: „Von den h. Blasius, welchem die Stiftskirche in Braunschweig gewidmet ist.“ s. Br. Anz. 1749. St. 11.
J. C. F. Heide: „histor. Erzählung von St. Blasius, dessen Gedächtniss am 3. Febr. gefeiert wird.“ s. Br. Anz. 1760. St. 17 — 18.

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Götzenbild in's Wasser werfen, lässt sie Agricola zerreissen. Aus ihren Wunden fliesst, statt des Blutes, Milch, und weil das Feuer ihres Scheiterhaufens erlischt, lässt sie der Wütherich enthaupten. Vom Anblicke ihres heroischen Todes fühlen sich zwei heidnische Knaben so begeistert, dass sie sich dem Christenthum zuwenden. Jetzt lässt Agricola den Blasius in's Wasser werfen; aber Christus selbst erscheint in einer Wolke, und zwei Engel ziehen den Dulder aus den Fluthen empor. Hierauf wird er zur Richtstätte geführt, um zugleich mit den beiden bekehrten Knaben enthauptet zu werden. Noch unter Weges heilt er einen Knaben, welcher in Gefahr schwebt, an einer Fischgräte zu ersticken. Inbrünstig richtet er das Gebet zum Himmel, dass alle, welche an Halsschäden leiden und in seinem Namen Befreiung bitten würden, geheilt werden möchten. Eine Stimme von oben giebt ihm die Zusicherung dieser Bitte. Deshalb wird S. Blasius bei Krankheiten der Menschen und des Viehes, besonders bei Halsschäden und Zahnweh, als Erretter angerufen, sowie er auch zu den vierzehn Nothhelfern gehört. Der Todestag des Heiligen ist der 3. Februar; über das Todesjahr sind die Meinungen verschieden. Die meiste Wahrscheinlichkeit hat das Jahr 322 für sich 1). Eine besonders grosse Verehrung genoss Blasius im Oriente, und hier wurde auch wahrscheinlich, während seines palästinensischen Zuges, Heinrich der Löwe, der in den Besitz mehrer Reliquien des Blasius gelangt war, auf den Gedanken gebracht, zu Ehren dieses Heiligen eine Kirche in Braunschweig zu stiften.
Richten wir nach diesen Vorbemerkungen, den Blick auf die Gemälde selbst, so zeigt sich an der Ostseite des obersten Frieses der h. Blasius, wie er tröstliche Worte von seiner Höhle herab an die versammelten Thiere des Waldes richtet; indess drei Reiter, die Häscher des Agricola, spähend zur Seite stehen. — Im zweiten Bilde befreiet Blasius den, von dessen Mutter ihm zugeführten Knaben von der verschluckten Fischgräte. — In der dritten Scene befiehlt Blasius dem, vor der Thür der Witwe stehenden Wolfe, das geraubte Schwein zurückzubringen. — Hierauf erblicken wir Blasius vor dem Landpfleger Agricola. — Dicht daneben steht der Dulder bereits an eine Säule gefesselt, wie ihm von Henkersknechten mit eisernen Zacken das Fleisch vom Leibe gerissen wird. — Dann folgt seine Speisung

1) Dieses Datum giebt die Lebensbeschreibung des Bischofs Meinverc von Hildesheim. (s. Leibnitz: scriptor. br. I. p. 526.)

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im Kerker durch die dankbare Witwe. — Der zweite Cyklus, wiederum an der Ostseite beginnend, vergegenwärtigt den Heiligen, von den sieben Matronen begleitet, auf dem Wege zum Feuertode. — Dann erblicken wir die sieben heiligen Matronen selbst, wie sie aus den Flammen des Scheiterhaufens vom Engel befreiet werden. — Hierauf sehen wir sie alle sieben gefesselt am Boden liegen, indess der Henker naiver Weise mit einem Hiebe alle Häupter vom Rumpfe zu trennen im Begriff steht. — In der folgenden Scene wird Blasius durch den Engel aus den Fluthen errettet, indess die Kriegsknechte darin umkommen. — Sodann steht Blasius abermals vor seinem Richter. — Den Beschluss macht seine Enthauptung in Gemeinschaft der beiden bekehrten Knaben.
Der unterste Fries endlich enthält nur Darstellungen aus dem Leben des dritten Schutzpatrones dieser Kirche, des Thomas Becket, der auch in der Weltgeschichte eine bedeutende Rolle spielt, und daher hier etwas ausführlicher erwähnt zu werden verdient. 1) Thomas Becket, geboren 1119 zu London, stammt aus einer vornehmen und reichen Familie. Seiner biedern Eltern, die durch unverschuldete Unglücksfälle, namentlich durch wiederholte Brandschäden verarmten, sah er sich schon in früher Jugend beraubt. Ein wunderbarer Zufall wollte, dass gerade am Tage der Geburt dieses merkwürdigen Menschen, der später grosse Reiche in Flammen setzte, im elterlichen Hause Feuer ausbrach, welches einen grossen Theil Londons in Asche legte. Nach einer zu Oxford, Paris und Bologna genossenen, gründlichen Bildung, wurde er Archidiaconus des Erzbischofs Theobald von Canterbury. Auf Theobalds Empfehlung ernannte ihn sogar König Heinrich II. von England zum Grosskanzler des Reiches und zum Lehrer des Kronprinzen. Als nun 1162 das Erzbisthum Canterbury vacant wurde, mit welchem die Primaswürde verbunden war, setzte König Heinrich II. die Wahl des Thomas Becket durch, in welchem er sich, für alle auf ihn gehäufte Liebe, Ehrenbezeigung und Wohlthat, einen treu ergebenen Anhänger versprach. Plötzlich aber schlug dieser Becket, der bisher unter den weltlichen Lustbarkeiten der Jagd und des Vogelfangs ein üppiges und verschwenderisches Leben geführt, und noch als Erzbischof zu allgemeinem Aergerniss in weltlicher Kleidung das Chor betreten hatte, vom Lebemann
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1) De probatis Sanctorum historiis, collectis per F. Laurentium Surium Charthusianum. Coloniae Agrippinae 1575. Tomus sextus, p. 1033—1045.

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zum Asketen um. Sein Tagewerk war von jetzt an nur den strengsten Bussübungen und der unbegränztesten Mildthätigkeit gewidmet. Daneben aber liess auch der vermeinte Anhänger des Königs sehr bald nur dessen entschiedenen Widersacher erkennen, dessen hierarchisches Streben auf die Schwächung der königlichen Gewalt hinausging. Unter anderen forderte Becket die Befreiung der Geistlichen von der weltlichen Gerichtsbarkeit. Um diesen Planen entgegenzuwirken, schloss der energische König den Canzler von den geheimen Berathungen aus, und berief schleunigst eine Versammlung des Adels und der Prälaten nach Clarendon. Die hier gefassten Beschlüsse fielen nicht allein ganz nach dem Wunsche des Königs aus, sondern Becket selbst unterwarf sich denselben eidlich, auf dringendes Zureden zweier vornehmer Tempelritter. Doch bald gereuet ihn dieser Schritt, und da auch der Papst die Bestätigung jener Beschlüsse verweigert, nimmt Becket sein Wort zurück, sich selbst zur Strafe excommunicirend. Jedoch die Rache des, über diese Treulosigkeit empörten Königs fürchtend, sucht er zu entfliehen. Allein die Schiffer, von gleicher Furcht vor dem Könige erfüllt, verweigern die Ueberfahrt. Nun wird er wegen einer, von einem königlichen Haussoldaten erhobenen Anklage, vor das Gericht zu Northampton gefordert. Weil er sich mit Unwohlsein entschuldigt, empfängt er gleich darauf eine neue Vorladung vor den königlichen Gerichtshof zu London, der er Folge leistet. Hier wird er für sein früheres Nichterscheinen zu einer Strafe von 500 Pfund verurtheilt. Da er nun aber die Competenz des Gerichtes in der Anklage des königlichen Soldaten bestreitet, wird er seines Canzleramtes wegen zur Rechenschaft gezogen. Nach vollbrachtem Messopfer, erscheint er in feierlicher Haltung, mit dem Crucifixe in der Hand, vor seinen Richtern. Das Urtheil lautet auf Gefängniss. Sitzend vernimmt er den Sprueh, mit Stolz erwiedernd: „Es geziemt dem Niedern nicht, über den Höheren zu richten!" Diese Worte schüren einen furchtbaren Tumult an, und weil die anwesende Geistlichkeit fürchtet, Beckets Leben möchte, zu ihrem eigenen Schaden, gefährdet werden, bereden sie mit Arglist den König zur Erlaubniss der Appellation an den Papst. Zugleich aber machen sie dem Könige bemerklich, wie schimpflich es sein würde, wenn der erste Geistliche des Reiches am Hofe des Königs selbst in Mörders Hand fiele, so dass sich Heinrich zu dem Befehle veranlasst sieht, den halsstarrigen Prälaten ungefährdet frei zu lassen. Mit sechs, ihm nur treu gebliebenen Dienern zieht Becket

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heim, der von nun an, aus Furcht vor heimlicher Gewaltthat, hinter dem Altare des Betsaales sein Nachtlager aufschlägt. Doch sich auch so nicht gesichert haltend, entflieht er Nachts zur Winterzeit, unter dem angenommenen Namen des Bruders Hermann, in Begleitung zweier Geistliehen und eines treuen Dieners, nach Frankreich. Rache schnaubend, entsetzt ihn Heinrich seines Amtes, confiscirt seine Güter, bestraft mit Landesverweisung und Kerker seine Diener und Angehörigen, lässt den Kronprinzen, wider das Vorrecht des Erzbischofs von Canterbury, von einem gewöhnlichen Bischofe krönen, verklagt den Becket beim Papste, und verlangt vom Könige von Frankreich die Auslieferung des Flüchtlings. König Ludwig VII. aber, mit dessen geschiedener Gemahlin Eleonore der König Heinrich II. ehelich verbunden ist, hegt Groll und Eifersucht gegen diesen Nebenbuhler, der als Fürst von Anjou - Plantagenet, als Sohn der Mathilde von der Normandie, als Adoptivsohn Stephans von Blois und als Gatte der Erbin von Guienne und Poitou, ein Drittheil Frankreichs in Besitz hat. Ludwig verweigert daher die Auslieferung des Erzbischofs, der sich indessen nach Rom begiebt, vom Papste Alexander höchst liebevoll empfangen, und zur Beibehaltung seines Erzbisthums bewogen wird. So in allen seinen Racheplanen verhöhnt, deutet Heinrich dem Abte des Klosters an, in welches sich Becket, auf Befehl des Papstes, zurückgezogen hat, dass, wenn er die Flüchtlinge so gern in seinem Cistercienserkloster beherberge, er ihm auch alle Cistercienser aus England zuschicken werde. Becket, der nicht wünscht, die Veranlassung zum Unglücke so vieler Menschen zu werden, leistet der Einladung des Königs Ludwig Folge, und verlässt nach zweijahrigem Aufenthalte sein Asyl, um noch vier Jahre der Verbannung, unter den schwersten Körperleiden und den entsetzlichsten Kasteiungen, in Frankreich zu verseufzen. Auch Heinrichs erneuerter Versuch, den König Ludwig von Becket abzuziehen, schlägt fehl, indem Frankreichs Herrscher, trotz der zwischen den beiderseitigen Staaten geschlossenen Uebereinkunft, zur Auslieferung der gegenseitigen Feinde, seinen Schützling Becket nicht preisgeben will. Unter diesen Umständen ergreift Becket die klügste Partei, indem er mit einer Zuschrift an den König, in welcher er die gegenseitigen Rechte und Verpflichtungen auseinandersetzt, die Hand zur Versöhnung bietet. Heinrich II., an die Reue des Prälaten glaubend und sich den, von der Hierarchie hinter seinem Rücken geschmiedeten Ränken nicht gewachsen fühlend, willigt ein. Es kommt zu einer versöhnenden

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Zusammenkunft an der normännischen Gränze, und der König treibt die eigene Demüthigung so weit, dass er dem stolzen Priester die Zügel des Pferdes hält. Nach einigem Zögern kehrt Becket zu seinem Bischofssitze zurück, vom Jubel des Volkes begrüsst, mit der Miene der Demuth, doch nach der Behauptung seiner Feinde, mit innerer Wuth des Löwen. Der geschlossene Friede ist daher nur von kurzer Dauer, und der König beklagt sich sogar über förmlichen Tractatenbruch. Der stolze Kirchenfürst, als er eben, zur Verhandlung kirchlicher Angelegenheiten, zum Kronprinzen nach London will, muss sich daher vom Könige schimpflich zurückgewiesen sehen. Da bestraft dieser selbe Geistliche, welcher einst in seiner Eigenschaft gegen die Competenz der weltlichen Gerichtsbarkeit Protest eingelegt hat, einen königlichen Diener wegen eines bürgerlichen Verbrechens. Unwillig äussert sich der König, dass er mit Undank und Ungehorsam von denen belohnt werde, die er aus dem Staube emporgehoben und mit Wohlthaten überhäuft habe. Diese Worte entflammen vier Edelleute zur Rache. Sie eilen nach Canterbury. Der König, um Unheil zu verhüten, sendet ihnen nach. Aber schon sind sie angelangt, schon sind sie schweigend und ohne Gruss beim Erzbischofe eingetreten. Auch dieser ist eine Zeitlang vor Erstaunen verstummt; sich aber rasch fassend, entbietet er ihnen das Wort des Friedens, welches sie mit Schmähungen und Vorwürfen erwiedern, dass er königliche Diener mit dem Banne bestrafe, die Geistlichen, welche den Sohn des Königs gekrönt hätten, suspendire, und dem Thronerben die Krone zu entziehen trachte. Nach heftigem Wortwechsel stürzen sie hinaus, holen sich vom Schlosshofe die Waden ihrer Trabanten, und weil sie nun die Thür versperrt finden, gelangen sie auf heimlichem Wege durch den Obstgarten in den Palast. Nicht die inständigsten Bitten seiner Umgebung vermögen den stolzen Prälaten, Zuflucht im Heiligthume zu suchen, selbst nicht die Mahnung, dass der Gesang der Vesper seine Gegenwart fordere; fast mit Gewalt muss er zur Kirche fortgeführt werden. Vom verrätherischen Subdiaconus Hugo geleitet, dringen die Mörder nach. Man will die Thüren verschliessen; doch Becket wehrt den Vertheidigern, indem er spricht: „Durch Dulden, nicht durch Kampf werden wir unsere Feinde besiegen!" „Wo ist Becket, rufen sie, wo der Erzbischof, der Verräther an König und Königreich?" — Ruhig tritt er vor: „Hier bin ich; zwar kein Verräther, aber der Priester, bereit für den zu sterben, der mich mit seinem Blute erlöst hat!" Während der eine

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der Mörder zur Abwehr des Volkes sich entfernt, fassen die drei übrigen den Bischof bei der Gurgel, um ihn von heiliger Stätte zu reissen; und weil er sich des einen Angreifers erwehrt, zückt dieser das Schwert nach dem Haupte des Kirchenfürslen. Die gefalteten Hände zum Himmel gewendet, neigt Becket zum Gebete das Haupt, indem er seine und der Kirche Sache der Mutter Gottes und dem heiligen Blutzeugen Dionysius empfiehlt. Da spaltet ein zweiter Hieb den Oberschädel Beckets, und zugleich den Arm des einzigen Treuen, der dem Dulder standhaft zur Seite blieb, des Klosterbruders Eduard, seines spätern Biographen, von dessen beiden Armen er gestützt wurde, bis der eine davon jenem Mörderstreiche zur Beute fiel. Zum Tode verwundet, wie Becket ist, verharrt er ohne Klage, ja selbst ohne Seufzer, unbeweglich in seiner Stellung, bis er, von einem dritten Hiebe getroffen, während ihm Blut und Gehirn über das Antlitz träuft, in die Kniee sinkt und mit matter Stimme die Worte spricht: „Für Christi Namen und der Kirche Vertheidigung bin ich bereit zu sterben!" — Jetzt tritt, zur Schande der Menschheit! auch jener entartete Priester Hugo herzu, und während er mit dem Fusse auf den Nacken seines gemordeten Herrn und Wohlthäters stampft, dass Blut und Gehirn auf dem Estrich des Heiligthums umherspritzt, ruft er in unmenschlichem Hohne aus: „Kommt nun, der wird nicht wieder aufstehn!" — So starb Becket am 4. Januar 1170, indem er die prophetischen Worte des Erlösers, welcher einst seiner erhitzten Phantasie, nach qualvollen Kasteiungen, vor Augen getreten war, zur Wahrheit machte: „Thomas, Thomas, mit deinem Blute wirst du meine Kirche verherrlichen!" Als der Leichnam am folgenden Tage gereinigt werden sollte, fand man ein ekelerregendes, grobhärenes Büssergewand 1) über der blossen Haut. Die irdischen Ueberreste setzte man in der Krypte bei. — Für König Heinrich selbst, der ohnehin durch Familienschicksale schwer gebeugt wurde, indem der eigene Sohn unnatürlicher Weise das Schwert wider den Vater zog, hatte der aus Liebe zu ihm an Becket verübte Mord die entsetzlichsten Folgen. Um sich vom Bannstrahle zu lösen, kam der König nach Canterbury, pilgerte barfuss und im Büssergewande zur Grabeskirche, dort mit ganzem Körper sich auf den Boden niederwerfend, unter blutigen Thränen und Wehklagen für die, gegen den frommen Mann geübte Verfolgung um Verzeihung bittend, alle früheren Vorrechte des Bisthums bestätigend,
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1)  „Cilicium pediculis refertum“, sagt der Text.

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zur Sühne 300 Pfund aus seinem eigenen Vermögen darbringend , und sogar seine geheiligte Person den, von den Händen der Geistlichen geführten Geisselhieben preisgebend, erwirkte er endlich die Absolution. Ausnahmsweise wurde Becket bereits zwei Jahre nach seinem Tode unter die Zahl der Allerheiligen aufgenommen.
Bei dieser Lage der Dinge kann es denn auch nicht befremdend erscheinen, dass Herzog Heinrich der Löwe, der wahrscheinlich Gelegenheit gehabt hatte, bei seinem Schwiegervater Heinrich II. den, nur um zehn Jahre älteren Becket persönlich kennen zu lernen, diesem Märtyrer die Ehre des Mitpatronates über den braunschweiger Dom zuerkannte, zumal er damit, im Interesse des Königs selbst, der Kirche versöhnende Zugeständnisse machte.
Nach diesem Excurse, kommen wir auf unsere Gemälde zurück, die leider aus dem Leben Beckets nur wenige Momente darbieten, und die sich noch dazu in diesen wenigen Sujets nur unvollständig erhalten zeigen. Zuerst erblicken wir die Erhebung Beckets zum Erzbischofe von Canterbury, indem ihm in Gegenwart des Königs der Bischofsstab überreicht wird. — Bis auf die drei westlichsten Köpfe, ist dieses Bild ergänzt worden. — Sodann ist Thomas in der Geheimerathssitzung dargestellt, als Canzler des Reiches dem Könige Heinrich Widerspruch leistend. — Hierauf erblicken wir den Kirchenfürsten zu Rosse, wie er in schlichter Mönchskleidung als Bruder Hermann mit zwei Begleitern die Flucht ergreift. — Die folgende Darstellung ist von zweifelhafter Bedeutung. Der König, von zwei Dienern umgeben, ist vor ein reich geschmücktes Kästchen getreten, welches auf einer kleinen Säule steht. Ein Knabe und mehre Erwachsene legen wie zum Schutze die Hände auf das Kästchen. Vielleicht soll damit die Confiscation der Güter Beckets und der Kirche veranschaulicht werden. — Die letzten drei Darstellungen sind sämmtlich neu, nämlich des Thomas gnädiger Empfang beim Papste Alexander, des Thomas Rückkehr nach Canterbury, und des Thomas Ermordung.
Die Gemälde des südlichen Kreuzflügels hat die Hand des Restaurators noch nicht berührt. Weil sie theilweise von der vorgebaueten Sacristei und der nur unvollständig entfernten Kalktünche noch verdeckt sind, und ohnehin durch den Bau eines in die Südmauer eingelegten Rauchfanges grossen Schaden gelitten haben, lassen sich zu ihrer Erklärung nur die allgemeinsten Umrisse geben. Am Gewölbe ist Christus dargestellt, mit der Himmelskönigin Maria

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den Thron theilend, von den Schaaren der Seraphim und Seligen umringt. Diese Seraphim sind ganz in dem altchristlichen Typus  1) gehalten, wie er sich auch auf einer Sculptur des Domes zu Chartres 2) wiederfindet, nämlich, im Gegensatz zu den nur beflügelten Cherubimköpfen, mit ganzem Körper, welcher auf einem Feuer-Rade schwebt, und mit sechs Flügeln versehen ist, von denen zwei, zur Verhüllung vor der unanschaubaren Herrlichkeit Gottes, nach dem Haupte gerichtet sind, während zwei andere sich nach unten neigen, und die beiden letzten zum Fliegen dienen. — An der Ostseite dieses Kreuzflügels über der Apsis ist die Auferstehung der Todten, die Vorhölle und die Himmelfahrt dargestellt. Daran schliesst sich die Auffindung des wahren Kreuzes Christi durch die Kaiserin Helena, welche die Aechtheit dieser Reliquie durch das Wunder der Belebung der darauf gelegten Todten darthut. Eine Reihefolge von Aposteln und Kirchenvätern und Scenen aus der Lebens- und Leidensgeschichte verschiedener Heiligen, z. B. des Stephan und Sebastian, sind diesem Bildercyklus beigeordnet, der sich auch über die stark beschädigte Südwand fortzieht. — An der westlichen Wand endlich, über der Verbindungsarkade des Nebenschiffes mit diesem Kreuzflügel, ist das Gleichniss von den fünf klugen und fünf thörichten Jungfrauen, welche den Bräutigam empfangen, veranschaulicht 3), eine im Mittelalter höchst beliebte Anspielung auf Christus, den Seelenbräutigam selbst. Oben, dicht neben dem westlichen Eckpfeiler, gleichsam den Eingang der Brautthür bewachend, stehen zwei grosse Engelsgestalten, mit zwei Flügeln und langen Gewändern versehen. Nach dieser Ausstattung zu schliessen, gehören sie der fünften Rangklasse der neun Engelchöre an, dem Engelchore der Tugenden. 4) — Die Südseite des östlichen Pfeilers an diesem Kreuzflügel ist mit der Kolossalgestalt des heiligen Blasius, die Ost- und die Westseite der beiden Eckpfeiler aber mit zwei grossen Figuren fürstlicher Personen geschmückt.
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1) J. Kreuser: Der christliche Kirchenbau. Bonn 1851. II. p. 71.
2) Didron: Annales archéol. I. p. 156.
3) Matth. XXV. 1—13.
4) Die Namen der neun Engelchöre heissen: Die Seraphim, die Cherubim, die Throne, die Herrschaften, die Tugenden, die Mächte, die Fürstenthümer, die Erzengel und die Engel. — Bekanntlich brachte erst Dionysius Areopagita zu Ende des fünften Jahrhunderts die Lehre von den neun Engelchören auf.

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Da die unter der männlichen Figur befindliche Unterschrift sich fast gänzlich verwischt zeigt, so bleibt die Deutung eine zweifelhafte. Der Nimbus aber, welcher die, ein Kind auf dem Arme tragende fürstliche Frau umgiebt, lässt vielleicht auf die Eltern des Kaisers Heinrich II., des Heiligen, schliessen, auf Herzog Heinrich II. von Baiern und Gisela von Burgund. — Im ganzen nördlichen Kreuzflügel sind, ausser einzelnen Köpfen in der Apsis, die einer noch nicht völlig vom Kalkbewurfe befreieten Darstellung des thronenden Christus angehören, keine Malereien erhalten. Die Manier gerade dieser Fragmente aber lässt auf eine spätere Zeit schliessen; wie denn auch der, in diesem Kreuzflügel noch theilweise erhaltene, bereits vollständig vorgerichtete feine Malgrund auf eine nicht völlig zu Stande gekommene, frühere Renovation hindeutet.
Im Allgemeinen möchte noch zu bemerken sein, dass diese Dombilder keine Fresken, welche in dieser frühen Zeit überhaupt noch nicht üblich waren, sondern Secco-Malereien sind, d. h. auf die trokkene Kalkfläche aufgetragene Gemälde. Die beiden Restauratoren bedienten sich desselben Bindemittels der Farben, welches auch bei der Temperamalerei angewendet wird, nämlich des zu Schaum geschlagenen Eies und der Milch. Bei dem Tableau von Herodes Gastmahle, mit welchem man den ersten Restaurationsversuch machte, wurde diesen Ingredienzien, und zwar mit günstigem Erfolge, noch Kopaivbalsam beigemischt.
Die Darstellungen sind übrigens nicht alle von gleichem künstlerischen Werthe, wie sich denn z. B. der Mehrzahl nach, die im südlichen Kreuzflügel durch Styl und Zeichnung vortheilhaft vor allen übrigen unterscheiden. Dieses gilt namentlich von dem Deckengemälde, so wie auch von den beiden grossen Engelsgestalten, die noch ganz das Gepräge der alten byzantinischen Hoheit tragen, und besonders von dem Bilde der zehn Jungfrauen, deren Gestalten überraschend an schöne griechische Vorbilder erinnern. Aus dieser Ungleichmässigkeit geht zur Genüge hervor, dass nicht alle die unendlich vielen Compositionen einem und demselben Meister angehören. Bei der allgemeinen Verbreitung, deren sich die, dem classischen Alterthum entlehnten künstlerischen Traditionen unter der Klostergeistlichkeit zu erfreuen hatten, war es natürlich, dass dergleichen Projecte zwar nach einem leitenden Grundgedanken, aber doch von verschiedenen Künstlern selbstständig ausgeführt wurden. Vielleicht sind sogar die meisten unserer Domgemälde, ohne vorherige Cartonzeichnung,

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gleich aus freier Hand auf die Wand getragen worden. Dafür sprechen wenigstens, ausser der freien Behandlung, einzelne sogenannte Bereuungen, z. B. an einer Prophetengestalt des Gewölbes, wo sich verschiedene Köpfe über einander gezeichnet fanden; sodann aber auch die an der Südwand des Presbyteriums unter den alten Malereien fortlaufenden Contourirungen, welche von dem ausführenden Künstler gleichsam als Gedankenspäne auf die noch unbenutzte Wandfläche geworfen worden waren. Das einzige Bild, welches mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einen vorherigen Carton-Entwurf schliessen lässt, ist die Ausgiessung des heiligen Geistes, weil sich hier die Durchzeichnung förmlich in den Kalkgrund eingedrückt hat. — Ueber der Apsis des südlichen Kreuzflügels fand sich sogar das Monogramm eines Künstlers in die nasse, erst später übermalte Kalkfläche eingekratzt. Leider kann nur der Vorname Henricus entziffert werden, woraus aber doch wenigstens so viel hervorgeht, dass der Künstler kein Byzantiner war, deren sich auch noch um diese Zeit fürstliche Bauherren vielfach bedienten. Möchte nun aber auch der künstlerische Werth unserer Dombilder, bei der gänzlichen Erschöpfung, in die der kirchliche Bilderschmuck, nach allen durchlaufenen Stadien, zu Ende des zwölften Jahrhunderts verfiel, so dass er gewissermaassen zu einer blossen Chablonenarbeit herabsank, noch so gering, und weit geringer sein, als er wirklich ist, so würden dieselben dennoch immer, theils ihres Alters wegen, theils als vermittelnde Bindeglieder in der grossen Kette des kunstgeschichtlichen Ganzen, von ausserordentlichem Interesse sein. Uebt doch selbst in der Totalwirkung das Erhaltene, trotz seiner fragmentarischen Beschaffenheit, in Vergleich zu der nüchternen Kalktünche, einen überwältigend edlen Eindruck aus!
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Quelle:
Carl Georg Wilhelm Schiller: Die mittelalterliche Architectur Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung. S. 10 — 47
Braunschweig. Verlag von C. W. Ramdohr’s Hofkunsthandlung. 1852

Hinweis: Das gesamte Buch kann auch unter folgendem LINK eingesehen werden:

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00022898


Welfische Kunst im Braunschweiger Dom

Stefan Brenskes Interpretation der romanischen Wandmalerei in St. Blasius:
Welfische Kunst im Braunschweiger Dom

BRAUNSCHWEIG  Der spektakuläre Erwerb des Evangeliars Heinrichs des Löwen und dessen Ausstellung in Braunschweig und nunmehr in Wolfenbüttel hat vielfach Interesse geweckt für jenen mächtigen Welfenherzog, der sich auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere mit dem staufischen Kaiser überwarf und Verbannung und Verlust seiner Herzogtümer hinnehmen mußte. Von seiner Machtfülle zeugen in Braunschweig das Löwenstandbild, die Burg Dankwarderode und der St.-Blasius-Dom, den er neu erbauen ließ.
Der 1988 erschienene Band 25 der Reihe A der „Braunschweiger Werkstücke“ widmet sich einem Detail dieses Doms, das nach Auffassung des Autors Stefan Brenske nicht nur von einzigartiger kunstgeschichtlicher Bedeutung ist, sondern zugleich als Ausdruck welfischer Zielsetzungen gedeutet werden kann. Es handelt sich dabei um die romanischen Wandmalereien an der Ost- und Südwand des südlichen Querhauses, den HI.-Kreuz-Zyklus, der die beiden Legenden der Auffindung des Kreuzes Christi durch die Kaiserin Helena und der Kreuzerhöhung, das heißt der Rückeroberung des geraubten Kreuzes durch den Kaiser Heraklius, darstellt.
Im Zentrum der Arbeit Brenskes steht nicht die theologische und kunstgeschichtliche Interpretation der insgesamt 18 Bilder, sondern die Aufdeckung von Bedeutungsebenen, die in direktem Zusammenhang mit der politischen Situation ihrer Entstehungszeit - etwa 50 Jahre nach dem Tod Heinrichs des Löwen - stehen. Zunächst erinnert die Reise Helenas nach Jerusalem an die Pilgerfahrt Heinrichs ins Heilige Land sowie an seinen Kreuzzug gegen die heidnischen Wenden, was den Herzog gewissermaßen als geistigen Erben Helenas und ihres Sohnes Konstantin erscheinen läßt und ihn als christlichen Herrscher idealisiert.
Nimmt man an, daß der Enkel Heinrichs, Otto das Kind, in dessen Regierungszeit die Entstehung des Zyklus' fällt, bewußt an die Tradition seines Großvaters anknüpfen wollte, so lassen sich weitere Bezüge herstellen. Insbesondere die reich ausgestattete Kreuzerhöhungslegende mit dem Kampf gegen den räuberischen Perserkönig Chosroes kann in Parallele zu Ottos eigenem Kreuzzuggelübde für den Fall des gefürchteten Mongoleneinfalls gesetzt werden. Letztlich sieht Brenske in der mit den Merkmalen des Antichrists versehenen Darstellung des Chosroes sogar das Feindbild des Staufenkaisers Friedrich II., womit er Zweifel an der Einschätzung Ottos als eines auf Versöhnung von Staufern und Welfen ausgerichteten Fürsten anmeldet.
Im Kontext des Bildzyklus' erscheint Otto dann als derjenige, der nicht nur den Sturz Heinrichs des Löwen rückgängig macht und die Welfen wieder in ihr Recht einsetzt, sondern als Erfüller des göttlichen Heilsplans, dem dadurch das ewige Leben zuteil wird. Diese Integration politischen Selbstverständnisses in heilsgeschichtliche Zusammenhänge ist in der Kunst der Zeit etwas durchaus übliches, wie man - auf ganz direkte Weise - auch im Widmungs- und im Krönungsbild des Evangeliars erkennen kann.
Die Arbeit von Stefan Brenske mit ihrer ausführlichen Beschreibung und sehr schlüssigen Deutung des Hl.-Kreuz-Zyklus' lädt dazu ein, den Braunschweiger Dom und seine kunstvolle Ausmalung einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten -- als einen Ort welfischen Selbstbewußtseins, der die Vergangenheit glorifiziert und ein Programm für eine machtvolle Zukunft entwirft.
                                                       Joseph König

Stefan Brenske: „Der Hl.-Kreuz-Zyklus in der damaligen Braunschweiger Stiftskirche St. Blasius (Dom)", Studien zu den historischen Bezügen und ideologisch-politischen Zielsetzungen der mittelalterlichen Wandmalereien, Braunschweiger Werkstücke Reihe A, Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv und der Stadtbibliothek, Band 25, Braunschweig 1988, 235 Seiten, 96 Abbildungen, broschiert.


Veröffentlicht in:
Wolfenbütteler Zeitung.  Sonnabend/Sonntag. 2./3. September 1989 unter KULTURELLES

 

 

 

 

H. Brandes: Braunschweigs Dom mit seinen alten und neuen Wandgemälden

BRAUNSCHWEIGS DOM

 

MIT SEINEN

 

ALTEN UND NEUEN WANDGEMÄLDEN.

 

Eine Besprechung zum Verständniss derselben.

von dem Künstler selbst

nach eigenen Beobachtungen mitgetheilt.

 

H. Brandes,

Professor und Gallerie-Inspector.

 

Nebst einem Holzschnitt.

 

Braunschweig,

C. W. Ramdohr’s Hof- Buch- und Kunsthandlung.

1863.

 

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VORWORT.

 

Heinrich der Löwe hatte in Palästina den Boden betreten, auf dem der Heiland gelebt und gelitten hatte; welche frommen Eindrücke er von dort mit zurückgebracht hat, lasst sich ermessen, da er nach seiner Zurückkunft im Jahre 1173 sogleich den Dom in Braunschweig erbaute, sich selbst und seiner Gemahlin Mathilde eine Grabstätte. Wie reich der Held denselben ausstattete, ist in der Geschichte von Braunschweig von Dr. H. Dürre S. 76 nachgewiesen. Die Wandgemälde in diesem Heiligthume, welche mehrere Jahrhunderte lang unter oft wiederholten Kalküberzügen verborgen waren, sind nun wieder blossgelegt und durch mich, den Unterzeichneten, mit Hülfe des Malers H. Neumann so wieder hergestellt, dass der ganze Inhalt, ein vollständiges Glaubensbekenntniss im Geiste der damaligen Zeit, wie ein redender Zeitgenosse uns entgegentritt. Es ist nichts versäumt worden, mit aller Pietat die Ursprünglichkeit der Bilder der Jetztzeit so nahe zu führen wie möglich, und ist das Princip innegehalten, die Gemälde so herzustellen, dass sie als gut erhaltene alte Bilder aus jener Zeit nun erscheinen. Das Verständniss dafür entwickelte sich aus den Darstellungen nach und nach von selbst, um so mehr, da die Contouren der Gemälde fast durchweg noch so aufzufinden waren, dass unbedeutende Ergänzungen ausreichten, um einzelne unterbrochene Linien zu verbinden. Mehrere Figuren waren so gut erhalten, dass der Farbenauftrag und die ursprüngliche Behandlung der Malerei auf das Deutlichste zu erkennen

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war; sie bildeten wesentliche Anhaltspunkte bei der Wiederherstellung stark beschädigter Stellen. Die Auffassung des Totalinhalts sämmtlicher Gemälde gehört offenbar in die Zeit kindlich frommen Sinnes, wo noch die einheitliche katholische Kirche alle Christen umfasste; man könnte sie mit den Inschriften der Spruchbänder wie ein aufgeschlagenes Buch ansehen, aus welchem das Volk die christliche Lehre und Erkenntniss empfängt, eine Predigt in Bildern.

 

Im Ganzen genommen machen die Gemälde den Eindruck reich gewirkter Teppiche, mit denen die Wände bekleidet sind. Durch eine sehr geschickte Anordnung gliedern sie die grossen Wandflächen architektonisch vortrefflich, und die prismatisch zusammengestellte Farbenvertheilung macht den wohlthuendsten Eindruck. Jedenfalls gingen Maler und Baumeister dabei Hand in Hand, um im gemeinschaftlich vorgeschriebenen Wirken die Totaleinheit zu erstreben und zu bewahren.

 

Das Verdienst der Entzifferung so vieler Inschriften, fast alle der Vulgata entnommen, kommt den Herren Dr. Schönemann, Dr. Bethmann und Hof- und Domprediger Dr. Thiele zu; ihre kirchlich historischen Kenntnisse sind mir bei Entwickelung der Gemälde oft zu Nutze gekommen, und spreche ich dafür meinen herzlichsten Dank aus.

 

H. Brandes.

 

 

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Unser Dom zeigt in seiner jetzt allerdings veränderten Form immer noch sehr deutlich die ursprüngliche Eintheilung: Ein erhöhter Chor mit vier Kreuzgewölben und der Apsis; darunter die Krypta mit Ausgängen in das Langschiff der Kirche an der Stelle, wo jetzt die beiden Treppenaufgange zum Chor sich befinden; neben dem Langschiff zwei Seitenschiffe, die später zu vier Seitenschiffen ausgedehnt sind, von denen das südliche unter Otto dem Milden 1346 vollendet und das nördliche unter Herzog Heinrich dem Friedsamen im Jahre 1474 vom Bischof Hennig von Hildesheim eingeweiht wurde. Das Grabmal Heinrichs des Löwen mit seiner Gemahlin Mathilde ist vor dem hohen Chore fast im Mittelpunkte der Kirche zu sehen.

 

tl_files/Fotos/Braunschweig/Sankt-Blasius-Dom-Braunschweig-Modellansicht-des-hohen-Chores-vor-seiner-Umgestaltung-IMG-0585.jpg

 

Wahrscheinlich sind die Wände der ganzen Kirche im Mittelalter mit Gemälden bedeckt gewesen; denn auch im Langschiffe fanden sich, nachdem bei der jüngsten Restauration die alten Kalkschichten weggenommen waren, Figuren an den Pfeilern gemalt, grosse Gestalten mit Heiligenscheinen, die jedoch wieder unter dem einfarbigen Anstrich der Kirche verschwunden sind. Wir haben es mithin nur mit den Gemälden auf dem hohen Chore zu thun, deren Beschreibung ein Leitfaden sein mag, sich in die religiöse Anschauung des 12. und 13. Jahrhunderts zu versetzen. Der Triumphbogen, die Verbindung des hohen Chores mit dem Langschiff der Kirche, ist in seiner Untersicht mit Engelsköpfen geschmückt. Diese sind in Kreise eingeschlossen, welche mit Arabesken, aus Blattrippen geformt, abwechseln. Engel geleiten den eintretenden Christen. Von hier gelangt man unter das erste Kreuzgewölbe, in welchem die Burg Zion als Vorbild des himmlischen Jerusalem dargestellt ist, mit den zwölf Thesen, aus denen die zwölf Apostel das Glaubensbekenntniss herabreichen.

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Die Mauern Zions selbst umschliessen das Leben des Heilandes. Dort erblickt man die Geburt Christi, die Darstellung im Tempel, die drei Frauen am Grabe (Auferstehung Christi), die beiden Jünger auf dem Wege nach Emmaus, dieselben Jünger, wie sie Christus erkennen, an dem, da er das Brod brach (Bezeugung der Auferstehung), und die Ausgiessung des heiligen Geistes. Gekrönt sind sämtliche Bilder in den vereinigten Spitzen des Gewölbes durch die symbolische Darstellung Christi als des Lammes mit dem vergossenen Blute und der Siegesfahne. Der Name „Sieg des neuen Testamentes“ möchte für diese Abtheilung ein richtiger sein. In dem Bilde der Stadt Jerusalem ist das Reich der Gnade dargestellt, von dort herab sollen sich die Segnungen zunächst über die Erde ergiessen, dann aber sollen die Segnungen über die Zeit hinaus in die Ewigkeit hineinreichen: Regnum gloriosum. Die acht Endspitzen der gewölbten Felder sind benutzt, Prophetengestalten anzubringen, welche die Erscheinung des Messias auf der Erde vorher verkündigt haben.

 

Die kleineren vier Räume, welche durch die abgeschnittenen Seitenbögen gebildet werden und die kreuzgewölbte Decke gewissermassen umrahmeu, sind zu Darstellungen benutzt, die symbolisch auf den Gesammtinhalt der Gemälde dieser Abtheilung sich beziehen. Auf der Seite nach Westen ist dargestellt der segnende Christus und Johannes der Täufer mit dem Lamme Gottes, der Pelikan, der seine Jungen mit seinem Blute ernährt. als Sinnbild der Liebe, die sich selbst opfert, und der Phönix in Feuerflammen, als Sinnbild des ewigen Lebens. Die östliche Seite enthält Christus mit geöffnetem Buche, in welchem die Buchstaben A und O, Anfang und Ende geschrieben stehen, auf der einen Seite sieht man noch die Maria gemalt und Johannes den Evangelisten. Die beiden übrigen Felder, Süd- und Nordseite, sind zu Darstellungen von Engelsgestalten verwandt; der eine hält die Weltkugel in seiner Hand, und der andere hat eine betende Stellung.

 

Folgende Inschriften sind auf Spruchbändern zu lesen, welche in dieser Abtheilung vorkommen.

Aus den Thoren von Zion treten:

 

Petrus. Auf seinem Spruchbande steht: Credo in deum patrem omnipotentem creatorem coeli et terre,

 

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Andreas: et in Iesum Christum, filium eius unicum, dominum nostrum,

 

Jacobus: qui conceptus est de spiritu saneto, natus ex Maria

 

Johannes: virgine, passus sub Poncio Pilato, crucifixus, mortuus, sepultus, [NB. An der Decke steht crucipixus. mortuus ist undeutlich in der Abkürzung Ωt'.]

 

Philippus: descendit ad inferna, tercia die resurrexit

 

Bartholomäus: a mortuis, adscendit ad coelos

 

Thomas: sedet ad dexteram dei patris omnipotentis

 

Matthäus: inde venturus est, judicare vivos et mortuos.

 

Jacobus: Credo in spiritum sanctum, sanctam ecclesiam catholicam [NB. An der Decke steht fehlerhaft ecclesuim]

 

Thaddäus: sanctorum communionem

 

Simon: remissionem peccatorum

 

Matthias: carnis resurrectionem et vitam aeternam. Amen.

 

Die Propheten darunter tragen folgende Spruchbänder:

 

Jeremia: In diebus illis salutabitur Iuda et Ierusalem habitabit confidenter.

 

Daniel: Avertatur furor tuus a civitate tua Ierusalem:

 

Amos: Dominus de Sion rugiet et de Ierusalem dabit vocem suam.

 

David: Fiat pax in virtute tua, Ierusalem, et abundantia in turribus tuis.

 

Zacharias: Et effundam super habitatores Ierusalem spiritnm gratia t. precum.

 

Sophonia: In die illa dicetur: Ierusalem noli timere, Sion non dissolvantur manus tuae.

 

Joel: Et erit Ierusalem sancta et alieni non transibunt per eam amplius.

 

Isaia: Induere vestimentis glorie tue Ierusalem civitas.

 

Christus auf dem Wege nach Emmaus:

 

Jesus: O stulti et tardi cord(is.)

Jünger: Mane nobisc(um), quoniam advespe(rascit.)

 

Das östliche Kreuzgewölbe mit der Chornische (Apsis) bildet den Abschluss sämmtlicher Gemälde überhaupt; die in diesem Raume befindlichen Bilder müssen jedoch zuerst besprochen werden, da in demselben die durch den Sündenfall des ersten

 

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Menschenpaares nothwendig gewordene Erscheinung Christi auf Erden zur Darstellung gebracht ist. Die beiden anderen Kreuzflügel sind mit Gemälden bedeckt, welche in dem südlichen Theile sich auf das ewige Leben im Reiche der Herrlichkeit beziehen, in dem nördlichen die Hauptthatsachen evangelischer Tugenden durch Bilder und Inschriften verkündigen.

 

Die Untersicht des verbindenden Bogens zum östlichen Kreuzgewölbe ist in ähnlicher Weise, wie der vorhin benannte Triumphbogen, zu Darstellungen von Köpfen und Arabesken benutzt. Die dabei angebrachten Inschriften verherrlichen in gnadenvollen Ausrufungen die Mutter Maria und bestimmen den Inhalt der Gemälde, welche an der kreuzgewölbten Decke ausgeführt sind; sie bezeichnen den Stammbaum Christi.

 

Die Bilder fangen in der Spitze des anschliessenden Bogens mit dem Sündenfall an. Adam und Eva sind sehr klein gehaltene Figuren. Der Gegensatz zu der gegenüber in der Chornische thronenden göttlichen Christusgestalt rechtfertigt den Glauben, dass durch das entgegengesetzte Grössenverhältniss eine symbolische Andeutung gegeben werden sollte, die unendliche Liebe Gottes recht anschaulich zu machen. Dass gerade für die Anbringung des Sündenfalles der Mittelpunkt im Raume des hohen Chores gewählt ist, verdient wohl beachtet zu werden; denn alle übrigen Gemälde sind dadurch in Verbindung gebracht;

 

Auf dem ersten Bilde im Raume der Decke selbst sehen wir Abraham, eine ernste, grosse, denkende Figur in liegender Stellung mit hellem Gewande. Aus der Gestalt heraus wächst ein Baum, der über das ganze Kreuzgewölbe sich ausbreitet, dasselbe in Kreise gliedert und Königsgestalten umgiebt, welche in mannigfaltigster Weise theils in ganzen, theils in halben Figuren hervortreten. An der Harfe ist König David erkennbar.

 

Das Schlussbild in diesem verschlungenen Astgewinde zeigt die Verkündigung der Maria; es schwebt der Geist Gottes in Gestalt einer Taube über ihrem Haupte, und zwei die Geburt des Heilandes verkündende Engel vermitteln zugleich die Darstellung in der Chornische, die als der Himmel selbst anzusehen ist.

 

Die alten Gemälde in der Chornische waren nach Hinwegnahme der Kalküberlagen nicht mehr in ihrer ersten Ursprünglichkeit sichtbar. Schon in früheren Zeiten sind dieselben übermalt worden; es zeigte sich ein anderer Styl, andere Behandlungsweise

 

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und andere Pigmente. Der Hauptinhalt war jedoch in diesen Gemälden noch zu erkennen, und wenn auch keine Durchzeichnungen von den Figuren gemacht werden konnten, so gaben sie doch hinreichende Anhaltspunkte, bei der Anfertigung neuer Cartons den Hauptgedanken zu bewahren.

 

Zum genaueren Verständniss der neu componirten Bilder in der Chornische, welche erst an Ort und Stelle noch ausgeführt werden sollen, ist der Holzschnitt beigegeben worden.

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Es mögen hier zunächst ein paar Worte eingeschaltet werden, welche die Auffassung der Christusgestalt im frühen Mittelalter erklären. In den Gemälden unseres Domes ist Gott immer in der Gestalt Christi dargestellt; es kommt diese Erscheinung in unseren alten Bildern häufiger vor und wird darauf hingewiesen werden. Bei der Anfertigung der neuen Cartons ist dasselbe Princip inne gehalten. Es ist also der Himmel selbst im Raume der Chornische zu denken, von dort herab strömt der Segen über Zeit und Ewigkeit. Die Darstellungen sind rein symbolischer Art und finden sich an derselben Stelle in den Kirchen jener Zeit stets wiederholt. Christus als Gott selbst und segnender Weltheiland zugleich in der Ellipse des Weltalls thronend, hält in seiner linken Hand das Buch des Lebens, seine rechte Hand ist zum Segnen erhoben. Das Himmelsgewölbe ist durch Sonne, Mond und Sterne ausgedrückt. Ein breites, architektonisch gegliedertes Band umschliesst neun Halbfiguren, Kirchenväter mit Spruchbändern in den Händen, auf denen das Gebet des Herrn, das Pater noster, zu lesen ist; darunter sind die symbolischen Zeichen der vier Evangelisten angebracht. Die Wandfläche zwischen den drei Fenstern der Chornische ist mit Weinranken durchzogen, dieselben sollen an die Worte des Herrn erinnern: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben.“ Die Fensterleibungen selbst sind benutzt, Engelsköpfchen aufzunehmen, die, zwischen Arabeskenschmuck in Kreise eingeschlossen, lobend und dankend den Blick zum Himmel erheben. Die unterste Abtheilung der Chornische ist mit gemalten Teppichen bekleidet; davor erhebt sich der Hochaltar. Ehe wir den Platz, wo der Hochaltar seine Stelle hat, verlassen, mögen zuvor die Gemälde an der nördlichen und südlichen Wand noch besprochen werden. Die obersten Abtheilungen der beiden Seitenwände enthalten Gemälde alttestamentlichen Inhalts. Es sind symbolische Beziehungen

 

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zu der Erscheinung Christi auf Erden. Die darunter befindlichen Bilder enthalten die Geschichte der verschiedenen Kirchenpatrone.

 

In dem obersten Bilde auf der Nordseite empfängt Gott, wie Christus aufgefasst, die Opfergaben von Cain und Abel. Das von Abel in gläubigem Vertrauen dargebrachte Lamm ist das angenommene Opfer, und die von Cain mit von Gott abgewandtem Gesichte dargebrachten Feldfrüchte werden verworfen. Das Verbrechen folgt dem Neide und der Missgunst auf dem Fusse und ist durch die darunter befindlichen Bilder, den Mord und die Lüge darstellend, ergreifend ausgedrückt. Cain erschlägt seinen Bruder, und das Blut schreit wie eine feurige Zunge zum Himmel empor. Im zweiten Bilde spricht der Herr zu Cain: „Wo ist dein Bruder Abel?“ und Cain antwortet dem Herrn: „Ich weiss es nicht!“ In diesen Gemälden ist Gott ebenfalls in der bekannten Gestalt Christi dargestellt, jugendliches Angesicht mit langem lockigem Haar, Spitzbart und Heiligenschein mit hineingemaltem Kreuze.

 

In der Spitze der südlichen Wand sehen wir die Erscheinung Gottes im feurigen Busche. Moses empfängt das Gesetz, die zehn Gebote; Gott, wieder wie Christus aufgefasst, übergiebt dieselben in Gestalt einer Rolle. Die Erhebung der Schlange ist der Gegenstand des sich anreihenden Bildes.

 

Unter den benannten Gemälden folgen nun die geschichtlichen Erzählungen von Abraham, erstens die Verheissung der Geburt seines Sohnes Isaak und zweitens die Opferung Isaaks.

 

Wie diese Bilder, den Erzählungen des alten Testaments entnommen, im innigen Zusammenhang mit dem an der Decke gemalten Stammbaum Christi stehen, geht schon aus der Zusage hervor, welche dem Erzvater Abraham wurde, in der es heisst: „Durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden.“ Mit den beschriebenen Bildern alt- und neutestamentlichen Inhalts ist der heiligste Raum in der Kirche geschlossen. Es reihen sich darunter die Gemälde, welche das Leben der Kirchenpatrone selbst, die Geschichte Johannis des Täufers, die Geschichte des St. Blasius und die Geschichte des St. Thomas Becket darstellen. Die Geschichte Johannis des Täufers ist im Evangelisten Lucas ausführlich beschrieben. Dort wird erzählt: „Zur Zeit als Herodes König in Judäa war und Hannas und Caiphas Hohepriester, lebte daselbst ein Priester Zacharias mit seinem Weibe Elisabeth, Beide gottesfürchtig und fromm. Ihre

 

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Ehe aber war unfruchtbar, und sie waren hochbetagte Leute.“ Erstes Bild: Herodes auf dem Throne mit Caiphas und Hannas. „Es geschah aber, während Zacharias seines Amtes pflegte, und am Altare räucherte, das Volk aber draussen harrete und in der Stunde des Räucherns betete, dass der Engel Gottes zu ihm trat und sprach: Zacharias! dein Gebet ist erhört. Dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, dess Namen sollst du Johannes heissen.“ Zweites Bild: Zacharias und der Engel sind im Tempel sichtbar, während das Volk draussen harret. Im dritten Bilde ist der ungläubige Zacharias dargestellt. Die Worte darüber lauten: „Aber der Engel Gabriel spricht: Wegen deines Unglaubens wirst du stumm sein, bis dass die Zeit erfüllet ist.“ In dem folgenden Bilde tritt Zacharias aus dem Tempel, legt seinen Finger an den Mund, zum Zeichen, dass er stumm geworden, und winkt das harrende Volk zu sich heran. Der Evangelist Lucas erzählt dann weiter: „Sechs Monate später kommt der Engel zu einer Jungfrau, die einem Manne vertraut war mit Namen Joseph, aus dem Hause Davids; die Jungfrau aber hiess Maria. Er spricht zu ihr: du wirst einen Sohn gebären, dess

Namen sollst du Jesus heissen, der wird gross und ein Sohn des Höchsten genannt werden.“ Aus dem Leben der Maria wird dann erzählt, wie sie über das Gebirge gegangen ist, nach der Stadt Juda kommt, in das Haus das Zacharias eintritt und die Elisabeth begrüsst. Aber Elisabeth spricht zu ihr: „Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“ Dieser Gruss ist im Bilde wiedergegeben. Im folgenden Bilde sehen wir die Geburt des Johannes. Der Evangelist erzählt dabei: „Und ihre Nachbaren und Gefreundete freueten sich mit ihr.“ Die Fortsetzung der Erzählung bringt im Bilde das Bad der Reinigung, und im folgenden die Beschneidung des neugeborenen Knaben. Auf diesem Gemälde, sehen wir den Vater Zacharias mit einer Tafel, auf welcher der Name des Kindes, Johannes, geschrieben steht. Der Priester hat seine Sprache wieder erhalten. Dann schliesst die Erzählung mit den Worten: „Und das Kindlein wuchs und ward stark im Geist und war in der Wüste, bis dass er sollte hervortreten vor das Volk Israel.“

 

Die folgenden Gemälde aus dem Leben Johannis des Täufers sind seiner Busspredigt entnommen. Da heisst es denn im ersten Bilde: „Thut rechtschaffene Früchte der Busse; es ist

 

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schon die Axt dem Baume an die Wurzel gelegt; welcher Baum nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Im folgenden Bilde tauft Johannes das Volk. „Und es kamen auch die Zöllner, dass sie sich taufen liessen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen wir thun? Er aber sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, denn gesetzt ist.“ In dem letzten Bilde dieser Abtheilung sagt Johannes zu den Kriegsknechten: „Thut Niemand Gewalt, noch Unrecht, und lasst euch begnügen mit eurem Solde.“ Die unterste Reihenfolge der Gemälde aus dem Leben des Johannes beginnt mit der Frage des Volkes: „Wer bist denn du?“ „Ich bin die Stimme eines Predigers in der Wüste.“ Im folgenden Bilde sieht Johannes Christus zu sich herankommen und spricht zu zweien seiner Jünger: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde tragt.“ Dann folgt die Darstellung, wie Christus zu Johannes herankommt, um sich taufen zu. lassen. Johannes aber wehret ihm und spricht: „Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“ Jesus antwortet: „Also gebühret es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Im folgenden Bilde ist die Zusammenkunft des Johannes mit Herodes dargestellt. Johannes hatte denselben gestraft, um seines Bruders Weib und um alles Uebels willen, das er gethan hatte. Ueber das Alles legte er den Johannes gefangen. In dem letzten Gemälde aus der Geschichte des Johannes sind mehrere Momente zusammengefasst, der Tanz der Tochter Herodis, die Ueberredung derselben durch die Königin, das Haupt Johannis zu verlangen, und dann noch einmal dieselbe Figur, wie sie das Haupt Johannis auf einer Schüssel trägt. Den äussersten Schluss bildet das Gefängniss, in welchem Johannes enthauptet wird. In der Höhe des Bildes sieht man einen Engel, welcher mit ausgebreitetem Tuche die Seele des Heiligen empfangen wird, sie in den Himmel zu tragen.

 

Die Gemälde an der Wand sind so angeordnet, dass sie etagenartig dieselbe theilen. Zwischen jeder Abtheilung befindet sich ein breites, mit fortlaufenden Arabesken geziertes Band so angeordnet, dass die gegenüber an der südlichen Wand angebrachten Darstellungen mit diesen räumlich correspondiren. Die Bilder selbst werden entweder durch einen Baum, eine Säule, oder auch eine Baulichkeit getrennt. Um den Inhalt der Gemälde in jeder Höhe deutlich zu erkennen, sind die obersten

 

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Abtheilungen am grössten gehalten, die zunächst gelegenen aber am kleinsten.

 

Dass die bemalte Wandfläche wie ein gewirkter Teppich angesehen werden soll, geht daraus hervor, dass der Abschluss desselben einer aufgerollten Leinwand ähnlich sieht. Unter diesem ziehen sich Behänge hin, welche den Raum des östlichen Kreuzarmes ganz umschliessen. Die Farben roth, blau, gelb, grün wechseln darin ab. Vor den Abtheilungen dieser Behänge waren die Sitze der Geistlichen. ‘

 

Die südliche Wand enthielt unter den schon besprochenen alttestamentlichen Bildern die Lebensgeschichte des St. Blasius und des Thomas Becket. — Die Geschichte des St. Blasius findet sich in den Actis Sanctorum, Monat Februar, B. I.

 

Der Heilige erlitt den Märtyrertod am 11.Februar im Jahre 287 in Sebastia in Cappadocien durch den Praeses Agricolaus unter der Regierung des Kaisers Diocletian. Er war Bischof von Sebastia und erlangte als Märtyrer, Heiliger und Wunderthäter später eine ausgebreitete Verehrung im ganzen Abendlande. In Neapel heilte er die sogenannte Angina pestilens. Den Reliquien von ihm wurden besondere Kräfte zugeschrieben. Allen denen, die in der Angst, zu ersticken, Gott durch ihn anrufen, soll Hülfe gebracht werden. Bei Zahnschmerzen, Hals- und anderen Leiden wird er der Arzt in der Noth. Seine vielfach zerstreuten Gebeine werden als kostbare heilige Kleinodien in vielen Kirchen verehrt. Er wird auch angerufen, Brod, Wein und Feldfrüchte zu segnen. Erzählt wird von ihm, wie wir im Buche Hiob von Hiob lesen, dass er als Bischof rein, fromm, unschuldig und gottesfürchtig auf einem Berge in einer Höhle wohnete, wo die wilden Thiere zu ihm kamen und sich von ihm heilen liessen. Weiter wird gesagt: Und die Thiere blieben bei ihm. Einst ordnete der Praeses Agricolaus an, dass die wilden Thiere zusammengebracht werden sollten, um sie einzufangen oder zu tödten. Die Jäger, welche den Auftrag ausführten, fanden den Bischof auf einem Berge mitten zwischen den Thieren sitzend, mit denen er redete (Darstellung des ersten Bildes). Die Männer erzählen es dem Praeses, welcher befiehlt, Soldaten mitzunehmen, um alle die Christen, welche dort verborgen sein könnten, zu ihm zu führen. Auf dem Wege zu seinem Richter heilte er viele Kranke durch Handauflegen. Hervorgehoben ist die Erzählung, dass er

 

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durch sein Gebet und seine Berührung einen Knaben von einer Fischgräte befreite, die derselbe verschluckt hatte. Der Knabe erlangte seine Sprache wieder und die Kraft, Speisen zu sich zu nehmen. Es ist dies die Darstellung im folgenden Bilde. Ferner bewirkte er zu Nicopolis, dass einer armen Frau ihr einziges Schwein, welches ein Wolf ihr geraubt hatte, von demselben wieder gebracht wird. Dieser Vorgang ist ebenfalls bildlich dargestellt. Nach Sebastia zurückgekehrt, befiehlt Agricolaus, den Bischof in einen Kerker zu werfen. Des anderen Tages wird er dem Praeses vorgeführt. Derselbe redet den heiligen Mann mild an und nennt ihn einen Freund der Götter! St. Blasius aber antwortet: „Du wirst mich durch deine Strafe von der Liebe Gottes und meines Heilandes Jesu Christi nicht abbringen.“ Darauf wird er in das Gefängniss zurückgebracht. Die Wittwe, deren Wohlthäter er durch Wiederverschaffung ihres Schweines geworden war, schlachtet dasselbe und bringt ihm Kopf und Füsse von dem Thiere zur Speise. Dieser Gegenstand ist ebenfalls im Bilde dargestellt. Der heilige St. Blasius dankt ihr, kostet davon und spricht: „Weil du solches gethan zu meinem Gedächtniss, so soll auch dein Haus forthin von Gottes Gaben nicht leer werden, und wer nach deinem Beispiele also thun wird, der soll von Gott himmlische Gaben empfangen und Segen zu allen Zeiten.“ Nach der fortgesetzten Erzählung in der Legende würde nun die Zerfleischung seines Körpers durch hechelartige Zacken zur Darstellung gekommen sein, sie ist aber in den Martyrologien des südlichen Kreuzflügels abgebildet. Die Erzählung fährt dann weiter fort: Sieben gottesfürchtige Frauen fingen die Blutstropfen des Gemarterten auf und wuschen sich damit, wurden aber gesehen und gefangen genommen. Im Bilde ist diese Scene wiedergegeben. Als sie den heidnischen Göttern opfern sollen, lassen sie sich ihre steinernen Bildnisse bringen, werfen aber dieselben, statt sie anzubeten, in den See. Nun werden sie verdammt, verbrannt zu werden; vorher aber durch eiserne Haken zerfleischt, verwandelt sich das fliessende Blut in Milch, und in einen glühenden Ofen geworfen, erlischt das Feuer, und sie gehen unverletzt aus demselben hervor. Der über ihnen schwebende Engel schützt sie vor dem qualvollen Flammentode. Abermals aufgefordert, den heidnischen Göttern zu opfern, verweigern sie dies, befehlen ihren Geist dem Herrn Jesu Christo und werden

 

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enthauptet. Beide Erzählungen sind abgebildet. In dem folgenden Gemälde ist St. Blasius abermals vor den Richterstuhl des Praeses gebracht, um die falschen Götter anzubeten. Jetzt aber verlacht der Heilige die Drohungen des Richters, und derselbe befiehlt, den Bischof ins Wasser zu werfen, damit er ertrinke. Das Wasser aber „entweicht unter seinen Füssen, und er steht wie auf trockner Erde. Fünf und sechszig heidnische Männer, die er heranruft, um die Kraft ihrer Götter zu zeigen, sind in dem dargestellten Bilde ertrunken und unter dem Wasser zu sehen. Ein Engel Gottes aber steigt zu St. Blasius hernieder und spricht zu ihm: „Egredere Blasi, adleta dilectissime!“ Da ging der Märtyrer heraus aus dem Wasser wie auf trocknem Grunde und wurde vom heiligen Lichte umflossen. Von Agricolaus beschuldigt, ihn und die Götter verachtet und die fünf und sechszig Männer umgebracht zu haben, wird er verurtheilt, enthauptet zu werden. Mit ihm zugleich erlitten zwei Knaben den Märtyrertod. Söhne einer der hingerichteten Frauen, hatten sie sich mit kindlichem Verlangen dem christlichen Glauben zugewendet. Vor seiner Hinrichtung bittet St. Blasius zu Gott für Rettung aller Derjenigen, die auf Grund seines Opfertodes Gott anrufen in Erstickungsqualen und anderen Leiden. Die Gewährung der Bitte ist ihm von Christo, der in den Wolken erschienen ist, zugesagt. Sein Tod ist die Darstellung des letzten Bildes.

 

Die unterste Abtheilung enthält kurz zusammengedrängt die Geschichte des Thomas Becket.

 

Thomas Becket wird erst in dem Jahre 1227 bei der Einweihung des vollendeten Domes genannt. Bis dahin ist immer nur die Rede von den beiden ersten Kirchenpatronen, St. Johannes dem Täufer und St. Blasius. Diese beiden Heiligen sind nach den bildlichen Darstellungen in unserem Dome auch nur als die Träger des frommen Glaubens angesehen; sie nehmen, durch grosse Figuren an den Eingangspfeilem abgebildet, den Platz ein, welcher nach der damaligen religiösen Auffassungsweise den geistigen Führern des Volkes zukommt.

 

Die Zufügung des Thomas Becket als Kirchenpatron in unserer Kirche muss besondere Gründe gehabt haben, die zu ermitteln es noch an beglaubigten Quellen fehlt. So viel aber geht aus der Reihenfolge und der religiösen Bedeutung aller anderen Gemälde hervor, dass die Darstellungen aus seinem Leben ihrer

 

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selbst wegen zur Ausführung gekommen sind, mithin aus dem geistigen belehrenden Verbande aller Uebrigen heraustreten.

 

Aus dem Leben des Thomas Becket wird erzählt: Thomas Becket, nachmaliger Erzbischof von Canterbury, hatte durch kluge Umsicht sich das höchste Vertrauen Heinrichs II., Königs von England, der zugleich der Schwiegervater Heinrichs des Löwen war, erworben. Derselbe verlieh ihm die höchste geistliche Würde in seinem Lande und verband damit die Hoffnung, Thomas würde den Uebergriffen der Kirche entgegentreten. Bitter wurde der König getäuscht. Der mächtig gewordene Becket, früher ein üppiger Verschwender, erschien nun ganz umgewandelt und stand als ein Büssender bei der sächsischen Bevölkerung des Landes im höchsten Ansehn. Dem Könige gegenüber erwies er sich so anspruchsvoll und widerspenstig, dass der König gedrückt und geplagt die Worte aussprach: „Ist denn Niemand, der mich von diesem Priester befreit?“ Vier Barone, welche die Worte, des Königs gehört hatten, ermordeten den Erzbischof zu den Füssen des Altars in der Kathedrale von Canterbury. Das Leben des Thomas Becket ist von seinem Zeitgenossen Evrardus beschrieben. Die in unserem Dome befindlichen Bilder aus seinem Leben sind folgende:

 

Erstes Bild: Der Bischof Heinrich von Winchester weiht in Gegenwart des Prinzen Heinrich Thomas Becket zum Primus mit Uehergabe des Hirtenstabes. Der untere Theil des Bildes ist neu. — Zweites Bild: Thomas Becket tritt den Forderungen des Königs entgegen. — Drittes Bild: Becket verlässt in der Nacht verkleidet die Abtei und entkommt glücklich nach Flandern. — Viertes Bild: Der König belegt die Einkünfte des Erzbisthums von Canterbury mit Beschlag und verbannt alle Verwandten und Diener Beckets. Soweit gehen die alten Gemälde. Die nun folgenden mussten durch eigene Compositionen hinzugefügt werden, um den Cyklus zu vollenden. 1) Die Dispensation des Thomas Becket von allen seinen ungerechten Uebergriffen durch den Papst. 2) Die Rückkehr nach England. 3) Die Ermordung in der Kathedrale am Altare durch die vier Barone W. v. Tracy, H. v. Moreville, R. Brito und R. Fitz Urse.

 

Die Inschriften in der östlichen Kreuzabtheilung sind folgende.

 

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Unter dem östlichen Gratbogen in der Richtung von Nord nach Süd:

 

Ave Maria gratie plena

Dominus tecum

Benedicta tu in mulieribus

Ecce paries filium

Et vocabis nomen ejus Iesum

Regnabit in domo Iacob

Et regni ejus non erit finis.

 

In derselben Abtheilung an der nördlichen Wand des Mittelschiffs:

 

Gott zu Cain: Uhi est frater tuus?

Cain: Nescio, domine, num ejus custos?

 

Zacharias: Ne timeas Zacharia.

Magneficat anima mea dominum.

Benedicta tu inter mulieres.

 

Herodes: Anno XV. I. T. E. FV. D. S’. Iohannem [in der Ueberschrift].

Johannes: Securis ad radicem posita est.

Ego baptizo aqua. —

 

Zöllner: Magister, quid faciemus?

Johannes: Quam quod constitutum est vobis.

 

Der Kriegsknecht: Quid faciemus et nos?

Johannes: Contenti estote stipendiis vestris.

 

Priester d. Leviten: Quid dicis de te ipso?

Johannes: Ego vox clamantis in deserto.

 

Johannes: Ecce agnus dei.

Johannes: Ego a te debeo baptizari.

Jesus: Sine modo, sic enim oportet nos.

 

Johannes: Non licet tibi, habere uxorem fratris tui.

Herodes: Pete a me quod vis l. d. r. (= licet dimidium regni).

 

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Südliche Wand. In der Geschichte des St. Blasius ist auf einem Spruchbande zu lesen: -

 

Egredere Blasi, adleta dilectissime!

 

Ueber den Thomasbildern steht:

S. Thomas, praesul reg . . contrarius . . . . stis p . . . . .

 

Der südliche Kreuzflügel des hohen Chores in unserem Dome versinnlicht durch die sich an einander reihenden Gemälde den Uebergang aus dem zeitlichen Leben in die ewige Herrlichkeit. Der gegenüber liegende nördliche Flügel war bestimmt, die christlichen Lebenstugenden bildlich zur Anschauung zu bringen, um den Eingang zum Gerichte vorzubereiten. Die Gemälde sind aber im Verlauf der Jahrhunderte durch mehrmalige Feuersbrünste im anstossenden Schlosse Dankwarderode entweder zerstört, oder auch gar nicht fertig geworden. Jetzt ist diese Abtheilung mit neuen Gemälden bedeckt, die denselben Inhalt ausdrücken und nachher besprochen werden sollen. Wir wenden uns deshalb zuerst zu den alten Bildern im südlichen Kreuzflügel, welche den Uebergang aus dem Regnum gratiae in das Regnum gloriae, aus dem Gebiete des Glaubens in das Gebiet des Schauens zur Darstellung bringen. Aussagen der Propheten, Bruchstücke aus dem Leben Jesu, Verwendung der Gleichnisse aus seiner Lehre, Zuziehung der Legende von früheren und späteren Heiligen, kurz Alles, was geeignet ist, die Idee des Gerichtes bildlich zur Anschauung zu bringen, ist benutzt, ja, selbst der Mariencultus damaliger Zeit hat für diese Bilder vom Gerichte eine wesentliche Verwendung gefunden.

 

Die Unteransicht des Eingangsbogens ist in ähnliche Kreise, welche Köpfe mit Inschriften enthalten, und abwechselnde Arabesken eingetheilt, wie alle die übrigen auf dem hohen Chore. Die Worte beziehen sich auf den Hauptinhalt der Gemälde. Die tragenden Pfeilerflächen des Bogens sind benutzt, die Gestalten der Fürbitte zum Gericht aufzunehmen; über ihnen, ebenfalls in einen Kreis eingeschlossen, schwingt ein Engel das Rauchgefäss.

 

Auf der östlichen Seite ist die Mutter Maria abgebildet, mit dem segnenden Jesuskinde auf den Armen; gegenüber aber die heilige Catharina als Ueberwinderin des Bösen dargestellt. In der einen Hand hält sie ein Buch, in der anderen das Schwert, das Attribut dieser Heiligen. Sie steht auf einer zusammengeknickten

 

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Figur und hat eine Krone auf ihrem Haupte. Beide Figuren sind als Fürbitterinnen zum Eingang in das Reich der Herrlichkeit anzusehen. Als Vorbilder, die ewige Seligkeit zu erlangen, sind neben der Figur der heiligen Catharina Scenen aus den Leiden verschiedener Märtyrer in zwei über einander fortlaufenden Abtheilungen gemalt, durch welche die Ueberwindung des Todes im christlichen Glauben zur Anschauung gebracht ist. Sie dienen als Gegensatz zu den Darstellungen der thörichten Jungfrauen, die über denselben zwischen den Fensterabtheilungen angebracht sind. Ihnen ist der Eingang in den Himmel verwehrt.

 

Bilder an dieser Wand aus dem Leben verschiedener Märtyrer sind vierzehn. Bezeichnete sind St. Stephanus, St. Laurentius, St. Ignatius, St. Clemens, St. Barnabas. Die Uebrigen sind nicht mit Namen bezeichnet. Die ersten beiden Bilder in der unteren Abtheilung gehören jedoch dem Märtyrer St. Blasius an, das letzte der heiligen Catharina, ihre Enthauptung und die Wegtragung ihrer Seele durch Engel in den Himmel darstellend.

 

Auf der anderen Seite an der östlichen Wand fängt mit der Taufe Constantins die Herrschaft der Kirche an, und mit den Gemälden aus der Auffindung des wahren Kreuzes Christi durch die Kaiserin Helena im vierten Jahrhundert ist hier in unserer Kirche ein entschiedener Anhaltspunkt gegeben, dass die dargestellten Bilder nur als Mittel dienten zu dem Zwecke, die Kraft des christlichen Glaubens im Volke zu befestigen. In einer Inschrift dieser Abtheilung, die auf einem Spruchbande steht, welches ein böser Geist in seiner Klaue hält, indem er durch Auflegung des wahren Kreuzes genöthigt wird, den Körper einer wieder lebend gewordenen Jungfrau zu verlassen, lesen wir die Worte: „Wo das Kreuz ist, fliehet das Böse.“ Eine andere Inschrift bezeichnet, dass das Kreuz Christi nur in wahrer Demuth getragen werden kann.

 

Die Bilder in dieser Abtheilung sind folgende: Die Taufe Constantins; gegenüber: Die Auffindung der Nagel vom Kreuze Christi; Der Kaiser Constantin; Auszug der Kaiserin Helena; Die Kaiserin bezeichnet den Ort, wo gesucht werden soll; Die Auffindung von drei Kreuzen; Die Erkennung des wahren Kreuzes; Die Theilung des Kreuzes; Die Errichtung des Kreuzes; Wegbringung des Kreuzes; Die Bitte des Volkes; Der Raub des Kreuzes durch den Perserkönig Cossoros (Chosroës); Cossoros im

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Besitze des Kreuzes kleidet sich mit seinem Sohne fälschlich in göttliche Herrlichkeit; Der Kampf zwischen den Heeren des Eraculus (Kaiser Heraclius) und Cossoros; Das Kreuz wird wieder erobert und der göttliche Stuhl des Cossoros vernichtet, sein Sohn steht ihm zur Seite; Die Taufe des Sohnes des Cossoros; Eraculus will als geschmückter Kaiser zu Rosse das Kreuz zurückbringen; In Demuth zu Fusse bringt er dasselbe in die Thore von Jerusalem.

 

Die Darstellungen von der Auffindung des wahren Kreuzes Christi durch die Kaiserin Helena gehen gewissermassen aus den darüber an der östlichen Wand befindlichen Gemälden hervor. Die Thatsachen aus dem zweiten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses bilden den Inhalt, wo es heisst: „Auferstanden von den Todten, niedergefahren zur Hölle, aufgefahren gen Himmel und sitzend zur rechten Hand Gottes, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten.“ Der letzte Satz bezeichnet bereits das erste Gemälde an der Decke.

 

Der Ausdruck „sitzend zur rechten Hand Gottes“ findet in diesem Gemälde eine so abweichende Darstellung, dass eine nähere Beschreibung nothwendig erscheint. Es ist früher schon gesagt, dass in den alttestamentlichen Darstellungen Christus und Gott im Bilde übereinstimmend aufgefasst sind. Hier ist das in den Gemälden unserer Kirche am auffallendsten geschehen. Christus, ohne anderweitige Darstellung Gottes des Vaters neben ihm, hat vielmehr zu seiner Rechten die gekrönte Mutter Maria sitzen, umgeben von Cherubim und Seraphim, ihnen gegenüber der Chor der Seligen in Gestalt der vier und zwanzig Aeltesten aus der Apokalypse mit Kronen auf den Häuptern und mit Lampen oder Krügen in den Händen, ähnlich denen der klugen und thörichten Jungfrauen und auch wohl von derselben symbolischen Bedeutung.

 

Der Gedanke, dass zunächst um den gemeinschaftlichen Thron Gottes und der Maria Kindergestalten angebracht sind, die, nach den Abbildungen zu urtheilen, als werdende Engel betrachtet werden müssen, hat etwas Rührendes. Die dem göttlichen Throne zunächst stehenden Cherubim sind mit sechs Flügeln und feurigen Rädern, die Seraphim, sechs an der Zahl, mit zwei Flügeln dargestellt. Der Himmel selbst ist mit grösseren und kleineren goldenen Sternen bedeckt und von zwei Engeln bewacht, von denen der eine die Seligen einlässt, der andere die Verdammten zurückweist.

 

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Das Gleichniss der thörichten und klugen Jungfrauen ist hier angewendet, die Seligen und die Verdammten zu bezeichnen. Nicht körperliche Qualen sind in diesen Bildern zur Anschauung gebracht; das vereinsamte Umherirren der zurückgewiesenen Seele bildet die Strafe der Verdammung. Die auslaufenden Spitzen der Deckenflächen sind zu Abbildungen von Prophetengestalten benutzt, die in Spruchbändern von dem ewigen Leben reden.

 

Die Inschriften in dieser südlichen Abtheilung sind folgende.

 

Unter dem südlichen Gratbogen in der Richtung von Ost nach West:

 

Laudate eum coeli coelorum

Laudate eum sol et luna

Laudate eum omnes angeli ejus.

Laudate eum in excelsis

Laudate dominum de coelis

Laudate eum omnes stellae.

 

Südlicher Kreuzflügel, Ostwand:

Die Engel: Viri Galilei, quid aspicietis?

In den ersten Kreuzesbildern: Salve crux sancta.

Der Teufel: Fugat crux omne malum.

 

Im Nordosten:

Daniel: Potestas ejus potestas aeterna, quae non auferatur et regnum ejus non corrumpitur.

Salomon: Trahe me post te, curremus in odorem unguentorum tuorum. —

Süd-Ost:

Jesaias: Exulta et lauda habitatio Sion quia magni in m. t. s. Js. [unverständlich!]

Jeremias: Et venient et laudabunt in Sion et confluent ad bona Domini. —

Süd-West:

Baruch: Hisrlamm [?] magna est domus dei et ingens locus possessionis ejus. —

Ueberschrift fehlt. Replebitur majestate ejus omnis terra.

Nord-West:

Ueberschrift fehlt. Et timebunt, qui ab occidente nomen Domini et qui ab ortu solis gloriam ejus. [Unvollständig.]

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Aggaei: Ego commonebo coelum et terram et mare et aridum et monebo omnes gentes.

 

Die fünf thörichten Jungfrauen: Domino, domine, aperi nobis.

 

Ueberschriften an der Westseite:

S. Stephanus. Spruchband: Vidi coelum apertum.

St. Laurentius. S. Ignatius. S. Clemens S. Barnabas. S. Sebastianus.

 

Ueberschriften an der Südseite:

Cossorus, Eraculus, Cossorus, Eraculus, Eraculus, Eraculus.

 

Durch den Einbau der Sacristei in diesen Kreuzflügel des Domes ist leider fast eine ganze Abtheilung von Gemälden verloren gegangen. Es waren einzelne Gestalten mit Spruchbändern und Namensbezeichnungen. Ein Paar davon noch nicht zerstörte Figuren können, wenn sie dereinst noch restaurirt werden sollten, über ihre Bestimmung wohl noch Zeugniss abgeben, sie stehen gewiss in enger Verbindung mit dem Inhalt sämmtlicher übrigen Gemälde.

 

Ein Totalüberblick aller alten Bilder in unserem Dome führt zu der Vermuthung, dass in damaliger Zeit eine gewisse Vorschrift gegeben war, nach welcher die Anordnung der Gemälde sowohl für den Platz, wie für den Inhalt getroffen werden musste, vielleicht in ähnlicher Weise, wie bei den Bildern in den griechischen Klöstern auf dem Berge Athos. Dass die damalige Kunst es verstand, immer einen Gedanken abzuschließen, geht aus vielen Bildwerken hervor, die dem früheren Mittelalter angehören. An Auffassung und Durchführung können unsere Gemälde immer als würdige Vorgänger einer späteren vollendeteren Kunstepoche betrachtet werden.

 

Die neuen Gemälde im nördlichen Kreuzflügel.

 

Ueber sechshundert Jahre sind verflossen, seit die alten Gemälde in unserem Dome dastehen, das biblische Wort durch

 

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Bildwerk der gläubigen Menge zu verkündigcn. Die Kunst, namentlich die Malerei im Dienste der Kirche verlässt nach und nach den Weg, als bildliche Sprache zu wirken. Das vielsagende Symbol verschwindet mehr und mehr, und das spätere Mittelalter bemüht sich, in Formen und Farben, der Natur nachgeahmt, die biblischen geistduftenden Geheimnisse zu versinnlichen. Das früher begleitende Spruchband fällt ganz weg, und innere Charakteristik erhebt das Gemälde zum Kunstwerk. Mit welch hoher religiöser Belebung das Studium nach der Natur göttlich verkörpert wurde, zeigen die Werke des Raphael und Michel Angelo. In ihren Gemälden stiegen die Gestalten der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte des einen Künstlers und die der neutestamentlichen des anderen himmlisch verklärt zur Erde hernieder.

 

Im funfzehnten Jahrhundert war die Buchdruckerkunst erfunden, die Bibel wurde in die deutsche Sprache übersetzt, und die Reformation zerstörte an vielen Stellen gewaltsam das Bild, das mit der wiedererkannten rein biblischen Lehre nicht mehr im Einklange stand. Eine Menge Altare verschwanden aus den Gotteshäusern protestantischer Gemeinden, und das vielleicht schon lange vorher nicht mehr geachtete Bildwerk an den Wänden in unserem Dome wurde schliesslich unter einfarbiger Tünche begraben.

 

Die protestantische Kirche verschmähete vielleicht aus übertriebener Sorge und einseitiger Vergeistigung die Beihülfe der Bilder, und die Macht des Wortes hatte allein die leeren Wände der Kirche zu beleben. Erst die neueste Zeit ist wieder so gerecht geworden, das Gute der Vorzeit mit den Flecken derselben zu prüfen und der Kirchengeschichte ihre Denkmäler zu sichern. Mit der Herstellung und Erklärung der alten Gemälde befahl unsere hohe Regierung, den Canon sämmtlicher Bilder wieder zu vollenden, und ertheilte mir die ehrenvolle Aufgabe, im Sinne, unseres evangelischen Glaubens die Darstellung der noch nicht ausgeführten christlichen Lebenstugenden hinzuzufügen. Die Auffassung und Durchbildung der Aufgabe mag nun in den jetzt soweit vollendeten Gemälden sich rechtfertigen.

 

Unter dem Eingangsbogen zum nördlichen Kreuzflügel sind noch die bezeichneten Cardinaltugenden Iustitia, Fides, Prudencia, Temperantia, Castitas, Fortitudo, als alte Gemälde, in Kreise eingeschlossen, zu sehen und bezeichnen entschieden den Inhalt,

 

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welcher in dem Raume selbst zu weiterer Durchbildung kommen musste.

Inhalt der neuen Gemälde: Die christliche That, aus der Lehre Jesu und dem Vorbilde seines Lebens entnommen. „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‚“ so ertönte der Engelgesang bei der Geburt des Herrn. Diese Worte mit darüber angebrachten Engelsgestalten umrahmen das erste Gemälde, Die Anbetung der Hirten, in der Chornische der östlichen Wand ausgeführt.

Allen Menschen soll diese himmlische Botschaft verkündigt werden. In diesem Sinne ist das Gemälde selbst gedacht; jedes Alter ist deshalb in der Hirtenfamilie vertreten und Joseph, Ernährer und Versorger der hülfsbedürftigen Mutter des Messias, erkennt in dem Kinde die göttliche Sendung. An dieses Bild schliesst sich in der unteren Abtheilung der Wandfläche rechts die Taufe Christi, links die Versuchung des Heilandes an. Durch die Taufe Christi, mit den Worten begleitet: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe,“ wird angedeutet, dass der durch die Taufe in die Gemeinschaft Christi aufgenommene Mensch der Segnungen der erlösenden Liebe Christi durch Leben und Tod theilhaftig geworden ist. Im entgegengesetzten Bilde aber, der Ueberwindung des Bösen durch Christus in den Worten: „Hebe dich weg von mir, Satanas!“ ist das Vorbild gegeben, im Kampfe des irdischen Lebens ein Gleiches zu thun. Die darauf folgende obere Abtheilung enthält die Darstellungen: Einzug in Jerusalem; Das Gebet nach dem Abendmahle und Christus am Oelberge. Während das Volk Kleider und Palmenzweige ausbreitet den Gesalbten des Herrn wie einen König zu empfangen, reitet Christus auf einer Eselin, ein Bild der Demuth, durch die Menge des jauchzenden Volkes, welches ihm entgegen ruft: „Hosianna dem Sohne Davids!

Im nächsten Bilde spricht der Herr nach der Einsetzung des heiligen Abendmahles den Lobgesang Gottes. Eilf Jünger sind nur noch bei ihm, Judas Ischarioth war davon geschlichen, seinen Herrn und Meister für dreissig Silberlinge zu verrathen. Die Jünger waren alle betrübt, denn der Heiland der Welt hatte ihren Ehrgeiz gestraft; aber vor der Seele Jesu zogen die sündigen Schatten der ganzen Menschheit vorüber.

Im dritten Bilde, Christus am Oelberge, ist Jesus in einen

 

 

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Garten bei Gethsemane gegangen, und bei ihm sind Petrus und die beiden Söhne Zebedäi, Johannes und Jacobus. Christus spricht zu ihnen: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod, bleibet hier und wachet mit mir.“ Mit welchem Strahle der Seelengrösse und überirdischen Kraft beleuchtet jetzt die Erzählung der Evangelisten die Erscheinung Jesu auf Erden! Die liebsten Freunde, die drei Jünger selbst sind eingeschlafen; verlassen von Allen, allein im Hinblick aller der Qualen, die körperlich und geistig seine Seele erdrücken sollen, ist er dennoch die vollkommene Hingebung in den Willen Gottes. Christus betet: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ In dem Gebet von Gott durch einen Engel gestärkt, tritt Jesus Christus dem nichtswürdigsten Verräther der Schöpfung entgegen und durch einen Kuss wird er seinen Mördern übergeben. Da das Leben Jesu hier vorzugsweise als die Quelle und das Vorbild der christlichen Tugend dargestellt werden sollte, so fehlen die einzelnen Stationen seiner Leidensgeschichte, und wir wenden uns sogleich zu den Jüngern bei der Abnahme vom Kreuze.

 

Jesus ruhet im Schoosse der Mutter. Die Evangelisten erzählen: Als Christus gekreuzigt wurde, standen die Jünger und befreundeten Frauen von ferne. Hier in unserem Bilde sind sie herangekommen, auch Petrus ist dabei, der ihn zuletzt noch verleugnet hatte. Die Thränen bittersten Schmerzes haben die Decke hinweggewaschen, die ihren Blick bis dahin verschleiert hatte, der Vorhang im Tempel war zerrissen, das Allerheiligste war sichtbar geworden zum Zeugniss Gottes, dass durch Christi Tod der freie Zugang zu ihm fortan dem ganzen menschlichen Geschlechte offen stehen sollte.

 

Unter der Abnahme vom Kreuze sind noch drei Bilder zu sehen: Die Sabbathruhe des Heilandes im Grabe; Die beiden Frauen Maria und Magdalena am Grabe und Der auferstandene Christus, den Maria Magdalena erkennt.

 

Durch die Sabbathruhe soll den gläubigen Christen auch die Sabbathfeier angedeutet werden. Mit den beiden Frauen am Grabe aber ist die Sehnsucht der Liebe ausgesprochen. Im folgenden Bilde erkennt Maria Magdalena den auferstandenen Heiland, und freudig ruft sie: „Rabbuni!“ Ihre und unsere Hoffnung ist erfüllt. Alle Gedanken schmelzen in diesem Bewusstsein, wie die zerlegten

 

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Farben des Lichtes, zu einem leuchtenden Kranze zusammen, und das ganze Weltall durchdringt nun der anbetende und selige Ruf Rabbuni, d. h. Herr! Die letzten Worte Christi auf Erden, die er zu seinen Jüngern unmittelbar vor seiner Himmelfahrt gesprochen: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden; gehet hin in alle Welt, und lehret alle Heiden, und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes“ bezeichnen den Inhalt der Gemälde an der kreuzgewölbten Decke. In der Mitte des Raumes schwebt die Taube, das Sinnbild des heiligen Geistes. In dem Felde nach Osten ist Christus dargestellt mit Beziehung auf die Worte, die er zu den versammelten eilf Jüngern spricht. Jesus sitzt auf einem Berge mit der Siegesfahne und als Herr des Weltalls mit der Glorie umflossen. Die eilf Jünger mit ihren Attributen sind in die drei übrigen Felder vertheilt, im südlichen Raume St. Petrus, St. Andreas, St. Thomas, St. Matthäus, im westlichen St. Simon von Cana, St. Thaddäus, St. Jacobus minor, im nördlichen St. Bartholomäus, St. Philippus, St. Johannes, St. .Jacobus major.

 

Unter diesen ersten Aposteln Christi sind, in acht Kreise geschlossen, vier griechische und vier lateinische Kirchenväter angebracht: Leo der Grosse, römischer Bischof, Prediger und Dogmatiker; Gregorius, ebenfalls römischer Bischof, Ordner des Gottesdienstes, wie er noch jetzt in der römischen Messe durchgeführt wird; Basilius, einer der drei Haupt-Kirchenlehrer in Cappadocien, besonders der Vertreter des ascetischen Lebens im Orient; Hieronymus, Uebersetzer der Bibel in die lateinische Sprache (Vulgata); Verbindungsglied zwischen Morgen- und Abendland ist Augustinus, Bischof von Hippo in Afrika, Hauptdogmatiker der alten lateinischen Kirche; Ambrosius von Mailand, christlicher Hymnologe und Bischof; Chrysostomus, Erzbischof in Constantinopel, berühmtester Prediger seiner Zeit; Athanasius von Alexandrien, Theolog und Dogmatiker. Sie stellen dar die Ausbreitung der christlichen Kirche durch die Länder in Asien, Afrika und Europa. In der Spitze des abschliessenden Bogens dieses Gewölbes, da, wo die Decke sich einlegt, ist ein Engel mit einem Spruchbande angebracht, der von oben herab dieselben seligen Worte ausspricht, die in der Umrahmung der Anbetung der Hirten zu lesen sind: „Ehre sei Gott in der Höhe etc.“ Mit diesen benannten Bildern schliesst sich die östliche Wand und die Decke ab.

 

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Die nördliche Wand. Hier ist es die Lehre Jesu, die den Begriff der christlichen Cardinaltugenden, in Bildern ausgedrückt, uns nahe bringen soll.

 

Die Bergpredigt Christi bildet die Spitze. Jünger und befreundete Frauen und allerlei Volk hören das Wort Jesu. „Selig sind, die reines Herzens sind“ ist die besonders hervorgehobene Unterschrift. Der weitere Inhalt der Bergpredigt ist durch die folgenden Gemälde ausgesprochen, welche zur Darstellung bringen: Die Gerechtigkeit; Die Barmherzigkeit; Den Glauben. In dem ersten Bilde ist die Erzählung vom Zinsgroschen gegeben, um die Tugend der Gerechtigkeit auszusprechen. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist.“ Im zweiten Bilde ist die Tugend der Barmherzigkeit ausgedrückt. Der barmherzige Samariter hat nicht bloss die Wunden des Geschlagenen mit Oel begossen und verbunden, sondern den Kranken auch auf sein eigenes Thier gehoben, um in der Herberge seiner weiter zu pflegen. Im dritten Bilde ist der Glaube durch die Begegnung des Heilandes mit dem cananäischen Weibe ausgesprochen.

 

Die nun folgenden Gemälde, welche unter den vorhergehenden den Abschluss an dieser Wand bilden, bezeichnen den Lohn der Thätigkeit, die menschliche väterliche Liebe, und in der Mitte die unendliche göttliche Vaterliebe, mit den symbolischen Figuren der Hoffnung und des Glaubens umrahmt.

 

Im Gleichniss von den anvertrauten Pfunden sind die Worte hervorgehoben: „Du bist über weniges getreu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!“ Das ist die Darstellung des ersten Bildes. Die väterliche Liebe ist im Gemälde von dem verlorenen Sohne ausgedrückt. Er ist in sein väterliches Haus, nachdem er Alles vergeudet hatte, reuevoll zurückgekehrt, und der Vater hat ihm vergeben. Die begleitende Unterschrift enthält die Worte der Busse: „Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir!“

 

Glaube und Hoffnung, als symbolische Figuren aufgefasst, trennen das mittelste Bild: Die göttliche Liebe. „Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,“ das sind die Worte, welche durch die Auffassung dieses Schlussgemäldes an dieser Wand die göttliche Liebe bezeichnen. Jesus Christus ist als der Hort unseres Glaubens, als der Altar der christlichen Kirche selbst gedacht. Um ihn schaart

 

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sich die Sehnsucht, und der Kummer beugt sich zu seinen Füssen nieder, Trost für Zeit und Ewigkeit zu empfangen. Auf der einen Seite beweint die Gattin mit ihren Kindern den gestorbenen Vater, der geschiedene Geist empfängt die Krone des ewigen Lebens. Auf der anderen Seite trauert die Mutter um ihr gestorbenes Kind, und wir sehen, wie die Seele des von der Erde hinweggenommenen durch den Engel des Herrn in den Himmel getragen wird. Der gebeugte König und der gefesselte Sclave, der blinde Sänger mit der zerrissenen Harfe und die in Geistesnacht versunkene Tochter, alle suchen und finden den Frieden in der Zusage des Herrn: „Kommt her zu mir Alle; ich will euch erquicken.“

 

Die westliche Wand. In der Spitze dieser Wand, oberhalb der beiden Fenster, ist im ersten Bilde ausgeführt, wie Christus ein Kind seinen Jüngern zum Vorbilde darstellt. „Es sei denn, dass ihr werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Christus hält einen auf seinem Schoosse sitzenden Knaben, die Hände des Kleinen sind in frommer Weise gefaltet, wie gute Mütter die Kinder wohl lehren, wenn sie ein Dankgebet sprechen sollen. In dem Ganzen des Bildes soll die Cardinaltugend der Unschuld ihren Ausdruck finden.

 

Es folgen nun Bilder aus dem Kindesleben Jesu selbst: Die Anbetung der Könige, Die Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, und Christus als zwölfjähriger Knabe im Tempel lehrend.

 

Es ist nicht wohl möglich, das uns göttlich Erscheinende im Bilde rein naturwahr zum Ausdruck zu bringen. Es steht der künstlerischen Auffassung zu, durch geistiges Weitergreifen einen würdigen Ausdruck zu suchen. Beide Christusgestalten, sowohl die in der Ruhe auf der Flucht nach Aegypten, wie auch die in der Anbetung der Könige, welche mit dem Mittelbilde, Christus als Knabe im Tempel lehrend, ein Ganzes bilden und das Kindesleben Christi vollenden sollen, sind deshalb in symbolischer Weise gedacht und durchgeführt. Alle drei Gemälde aber sind als vorbereitende zu dem unteren Abschluss der letztfolgenden dritten Abtheilung zu betrachten , sie vermitteln den Schluss sämmtlicher Darstellungen der christlichen Tugenden.

 

Christus lehrt als zwölfjähriger Knabe im Tempel, und Alle, die ihm zuhören, verwundern sich seines Verstandes und seiner Antwort. Zu den besorgten Eltem spricht derselbe: „Wisset

 

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ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Das ist das mittlere Bild; eingeleitet ist es durch das vorhergehende, Die Ruhe in Aegypten. Hier ist das Elternpaar, der Ruhe bedürftig, schlafend dargestellt, während der Christusknabe wachend, verklärt, einen Oelzweig, das Symbol des Friedens, in der einen Hand hält und mit der anderen die Erde segnet; er erblickt den Himmel geöffnet; Engel singen das ewige Halleluja.

 

Auf der entgegengesetzten Seite, im Bilde der Anbetung der Könige, nimmt das Jesuskind aus einer Truhe von allen Geschenken, welche die Könige des Morgenlandes gebracht haben, die Rose von Jericho, das Symbol der ewigen Frische, des immer erneueten Lebens. Die Pflanze selbst wächst in der Wüste, und die Legende erzählt, wo Maria mit dem Kinde ihren Fuss hinsetzte, ist sie gewachsen und belebt sich immer aufs Neue, wenn sie mit frischem Thau getränkt wird.

 

Unter den oben bezeichneten Bildern folgt die letzte Abtheilung, ebenfalls in drei Gemälde getrennt. Im Mittelbilde sitzt Jesus, umgeben von den vier Evangelisten, auf den Trümmern zerstörter heidnischer Tempel. Die Sphinx, das Symbol der ungelösten Räthsel, ist gebrochen, die Wahrheit ist verkündigt. Die Liebe Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes hat in der Gestalt Jesu Christi dort nun ihren Wohnsitz genommen, und durch den Mund der vier Evangelisten ruft der Heiland uns zu: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“

 

Das vorhergehende Bild bringt die in Reue zusammengeknickte Sünderin. Sie liegt zu den Füssen Jesu Christi, und der Heiland, welcher als Knabe mit dem Oelzweige in dem Bilde darüber den Himmel geöffnet erblickt, ruft ihr zu: „Stehe auf, deine Sünden sind dir vergeben.“

 

Das entgegengesetzte Gemälde ist aus dem Gespräche Jesu mit der Samariterin genommen. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“

 

Verbunden sind diese drei Schlussbilder durch zwei symbolische Figuren, die Frömmigkeit und die Wahrheit. Zwei grosse Gestalten, Petrus und Paulus, an die Flächen der Eingangspfeiler gemalt, eröffnen den Eingang zu den neu componirten Gemälden, sie sind als die Führer auf dem Wege der christlichen Lebenstugenden

 

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zu betrachten; in technischer Auffassung sollen sie zugleich die alten und neuen Gemälde vermitteln.

 

Ueber beiden Figuren sieht man noch zwei bedeutungsvolle Köpfe in Kreise eingeschlossen. Der eine ist Bonifacius, „der Apostel der Deutschen“, der andere Ludgerus, welcher in unseren Gegenden das Evangelium gepredigt hat.

 

 

Einiges über die technische Behandlung der alten Gemälde.

 

Die alten Wandgemälde in unserem Dome sind al secco, das heisst mit nassen Farben auf trocknem Grunde gemalt, nirgends fand sich ein Mörtelansatz, der eine Frescomanier hätte vermuthen lassen. Bei einem einzigen Bilde, die Ausgiessung des heiligen Geistes, an der Decke im ersten Kreuzgewölbe, zeigten sich eingedrückte Contouren; sie mögen durch Uebertragung entstanden sein. Wenn von Uebertragung in der Kunstsprache die Rede ist, setzt man voraus, dass eine ebenso grosse Zeichnung vorher entworfen wurde, um dann an passender Stelle durchgezeichnet zu werden, wie das in der jetzigen Zeit durchweg geschieht, namentlich bei Fresco-Malereien. Bei unseren alten Gemälden im Dome war das aber gewiss nicht der Fall. Die sicheren Contouren, immer mit sehr flüssiger, rother, tintenartiger Farbe ausgeführt, scheinen gleich an die Wand gezeichnet zu sein. Und wenn auch eine bestimmte Vorschrift als Leitfaden für die Anordnung der Figuren gegeben sein mag und bestimmte Typen innegehalten werden mussten, so ist ein gewisser Begriff von naturalistischer Richtigkeit dem Meister doch fühlbar gewesen; sonst würden nicht auf der Wand noch erkennbare Correcturen vorgekommen sein, die um eine halbe Kopflänge die Gestalten entweder vergrösserten oder verkleinerten.

 

Es lässt sich vermuthen, dass ein byzantinischer, oder italienischer Meister selbst der Componist unserer Gemälde war; der edle Styl vieler Figuren deutet entschieden darauf hin. Eindrücke und Studien aus einer vollendeteren Kunstepoche sind nicht zu verkennen. Ein Umstand muss noch hervorgehoben werden, der

 

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die Meinung unterstützen dürfte. Es fanden sich nämlich an der Stelle, wo die Geschichte des Thomas Becket dargestellt ist, unter den alten Gemälden selbst durcheinander geworfene Entwürfe, wie sie heut zu Tage wohl auch in den Maler-Werkstätten an den Wänden vorkommen, die nicht christlich zu deuten waren. Unter anderen unverständlichen Bruchstücken war in einem Zirkelschlag eine sitzende Figur so geistreich gezeichnet, dass sie nur als das Bild einer Minerva angesehen werden konnte. Leider konnte sie nicht durchgezeichnet werden, man hätte sonst das darüber gemalte Original zerstören müssen. Die Durchführung der Gemälde selbst war verschiedenartig; Manches wurde wahrscheinlich von Mönchen gemalt, die mit Miniaturmalerei sich vielfach beschäftigten, die kleinliche Uebermalung hatte den ersten Entwurf häufig beeinträchtigt. Die Farbenstimmung ist prismatischer Natur und zwar so, dass sich alle Töne in glücklichem Gleichgewicht halten. Die Verschlingungen der Arabesken sind unerschöpflich neu, keine wiederholt sich; und doch bleibt immer eine bestimmte Grundform vorherrschend, die prismatischen Farben derselben liegen entweder in den Blättern auf todtem Grunde, oder der Grund selbst ist, wenn nur Ranken die Verzierung bilden, zu der Farbenabwechselung verwandt. Die architektonische Verwendung in den Gemälden ist so naiv, dass sie ans Unbegreifliche gränzt, um so mehr, da bei der Grössenabnahme der Arabesken unter den Eingangsbögen der Kreuzabtheilungen eine glückliche Berechnung zu bemerken ist. Die wunderbaren Baulichkeiten selbst dienen gewöhnlich zum Abschluss eines Gemäldes.

 

Die Freiheit des künstlerischen Schaffens im 12. und 13. Jahrhundert ist durch naturalistischen Zwang durchaus nicht behindert. Ob eine Figur der anderen auf die Füsse tritt, oder nicht; ob sie den Boden, dem sie angehören soll, berührt, oder nicht: darauf kommt es nicht an. Ist der Gedanke ausgesprochen, und der Eindruck des Ganzen vollendet, so ist Alles erreicht, und dennoch ist die Kirche durch ihre bemalten Wände wirklich ein Heiligthum, ein harmonisches Etwas geworden, das den Verstand und die Sinne mit gleicher Freude berührt. Plastisches Hervortreten oder Zurückweichen der Formen ist durchaus nicht zu erkennen; wie gross der Reichthum und die Pracht der Bildwerke auch ist, der Eindruck der Wandfläche ist immer gewahrt.

 

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Die Anordnung der Gemälde im Grossen und Ganzen ist meisterhaft, und die figürliche Raumvertheilung ist zu bewundern. Die Kirche ist eben die mit Teppichen geschmückte und von seiner Lehre erfüllte Braut Christi.

 

 

Die zwischen den ursprünglich alten Gemälden in gleichem Style zugefügten neuen Compositionen.

 

Es ist gesagt worden, dass nur wenige Linien ausreichten, beschädigte Stellen so wieder herzustellen, dass die alten Contouren in ihre Reinheit zurückgebracht werden konnten. Die Ausnahmen, welche durch die gänzliche Vernichtung einiger alten Bilder vorgekommen, sind folgende.

 

In den südlichen Kreuzflügel auf dem hohen Chore ist in den dreissiger Jahren die Sacristei eingebaut. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Schornstein in der Mitte der südlichen Wand gezogen. Dabei ist zerstört worden in der Spitze der Wand der einladende Engel mit den ausgebreiteten Armen. Die beiden Hände und vorspringende Gewandspitzen waren noch sichtbar. Die darunter stehende Figur, eine der klugen Jungfrauen, war ebenfalls vernichtet, die Hand mit der Lampe war noch zu erkennen. Das weiter unten durchgeführte Bild, die Entführung des Kreuzes Christi, hatte dasselbe Schicksal erlitten; Anfang und Ende der Darstellung, einschliesslich ein Theil des Kreuzes, gaben zur Ergänzung noch Anhaltspunkte. An der westlichen Wand desselben Kreuzflügels war die untere Reihe der Märtyrer-Scenen sehr stark beschädigt; doch liessen die ursprünglichen Formen sich noch herausfinden. Nur in der Emporhebung der heiligen Catharina in den Himmel ist der untere Engel neu zugefügt. Im mittleren Kreuzgewölbe waren alle Darstellungen sehr gut erhalten. In der östlichen Kreuzabtheilung dagegen mussten mehrere Bilder neu componirt werden. In der Geschichte Johannis des Täufers ist das Bild des Herodes, mit ursprünglicher Ueberschrift, neu; ebenso der untere Theil des daneben stehenden Johannes in der Wüste. Das unter Herodes befindliche Gemälde mit der Schrift: „Ego vox clamantis in deserto“ ist neu; ebenso der daneben

 

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stehende Christus in dem Bilde: „Ecce, agnus die!“ Die Apsis des hohen Chores war, wie schon oben gesagt, gänzlich zerstört, und mussten sämmtliche Gemälde dafür neu componirt werden. Die neu zugefügten Bilder in der Geschichte des St. Thomas Becket sind schon bei der Beschreibung derselben genannt worden.

 

Mit diesem möchten die Ergänzungen alle genannt sein; hinzuzufügen wäre noch, dass einzelne Stellen in den Gemälden so gut erhalten waren, dass sie als Anhaltspunkte bei der Wiederherstellung die wesentlichsten Dienste geleistet haben. Die Originaldurchzeichnungen sind dem herzoglichen Museum übergeben.

 

Unter meiner Aufsicht und Verantwortung sind auch die beiden steinernen Figuren Heinrich der Löwe und der bis dahin so benannte Bischof Hermann von Hildesheim wieder hergestellt worden. Die ursprünglichen Formen und Farben der Verzierungen waren sehr deutlich zu erkennen.

 

Die Hülfe des Malers H. Neumann ist mir eine sehr wesentliche gewesen. Namentlich sind es die Arabesken, die mit Verständniss und Sorgfalt von ihm wieder hergestellt sind. Die Mischung der Farbenpigmente ist sein alleiniges Verdienst, und sein williges Eingehen in die Anordnungen trug dazu bei, einen harmonischen Totaleindruck zu erreichen.

 

An den übrigen Restaurationen im Dome hat Verfasser dieses keinen Antheil. F. Krahe, Baumeister am Dome, hat die Malereien in der Krypta angeordnet und den von mir als Taufcapelle gedachten nördlichen Kreuzflügel der Kirche, in welchem die neuen Gemälde sich befinden, mit einem grossen Schrank versehen, der ein historisch höchst interessantes altes Crucifix seiner Hässlichkeit wegen einschliesst. Schade ist es, dass die Wandfläche dadurch zerrissen ist. Die erste Idee war, unter jenen Darstellungen aus dem Leben Christi einen Cyclus von Gemälden zu entwerfen, in welchem die Geschichte Heinrichs des Löwen, des Gründers des Gotteshauses, für diesen Platz den Inhalt geben sollte. Es würde dadurch nicht nur der richtige Abschluss gegeben, sondern auch das Gleichgewicht mit der gegenüberliegenden südlichen Kreuzabtheilung hergestellt sein. Die mit roth bemaltem Pergament überzogene Thür und die mit Blattgold gehobenen, alten eisernen Beschläge sind Anordnungen desselben Künstlers. Als Baumeister hat derselbe auch alle im Dome neu entstandenen Glasmalereien angeordnet und die Fensterleibungen

 

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oben im Langschiff der Kirche mit byzantinischen Arabesken auf Goldgrund versehen. Das Orgelgehäuse ist ebenfalls von ihm entworfen.

 

Das Grabmal Heinrichs des Löwen, unter vielfach überzogenen Kalkschichten unkenntlich geworden, ist von dem Bildhauer G. Howaldt wieder hergestellt, in einzelnen Stellen ergänzt und zum erfreulichsten Genusse gebracht.

 

Ein grosses Verdienst hat sich der Domprediger Dr. Thiele erworben, indem er die bei Tieferlegung des nördlichen Kirchendaches entdeckten unteren Theile alter Glasgemälde vom Untergange rettete. Eins der Fenster war leider nicht wieder herzustellen. Die drei anderen aber sind nicht nur bewahrt, sondern nun auch so wieder hergestellt, dass sie der ursprünglichen Stelle zurückgegeben werden konnten, um nun ein unumstössliches Zeugniss für die Glasmalereien romanischer Kirchen im 13. Jahrhundert zu geben.

 

Der Dom in Braunschweig ist eine ergiebige Quelle geworden zum Studium der Kirchengeschichte und zum Studium mittelalterlicher Kunst. „Die Baukunst in verschiedenen Epochen, die Malereien an den Wänden sowohl, wie die aufgefundenen alten Glasmalereien, das Grabmal Heinrichs des Löwen, der siebenarmige Leuchter in Bronze, der Altartisch mit seinen fünf Säulen, derselben Zeit angehörig, geben ein Zeugniss der künstlerischen Bildung im 12. und 13. Jahrhundert, wie wenige noch erhaltene uns überkommene Denkmäler.

 

Dank unserer hohen Landesregierung, die mit liebender Sorge es übernommen hat, neben der Bewahrung alter uns überkommener Kunstwerke auch neue hinzufügen zu lassen und dadurch die Feier des evangelischen Gottesdienstes in unserem Dome in würdiger Weise zu erhöhen. Möchten die Kirchenverwaltungen es doch recht lebhaft fühlen, dass der geheiligte Raum, in welchem die versammelte Gemeine ihren höchsten Beruf erfüllt, Gott anzubeten, ihre Gemeinschaft mit ihm lebendig zu erhalten und die Opfer ihres Dankes ihm darzubringen, auch des würdigen Schmuckes der Künste nicht entbehren sollte. Möchte das Beispiel unseres Domes die eifrigste Nachahmung finden.

 

 

 

 

Druck von L. Mack in Braunschweig.

 

 

In C. W. Ramdohr's Hof- Buch- und Kunsthandlung erschien ferner:

 

Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung, erläutert von Dr. C. Schiller.

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Druck von L. Mack, Damm Nr. 16

 

Heinrich der Löwe und Byzanz

Braunschweigischer Geschichtsverein

Wie ein König empfangen


Im Anschluß an die Hauptversammlung des Braunschweigischen Geschichtsvereins im Städtischen Museum sprach der Historiker Professor Joachim Ehlers aus Braunschweig vor großer Zuhörerschar über das Thema „Heinrich der Löwe und Byzanz“.

 

In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte Ehlers Heinrich des Löwen Pilgerfahrt nach Jerusalem im Jahre 1172, deren Weg ihn über Konstantinopel führte. Neben einer großen Zahl von Geistlichen — unter ihnen befand sich auch der Benediktinermönch Heinrich von St. Ägidien — habe kaum einer der Großen aus der herzoglichen Umgebung gefehlt: „So glich die Pilgerfahrt angesichts der schlagkräftigen Männer in Heinrichs Gefolge eher einem Kreuzzug.“

 

Sei das Unternehmen des Herzogs in jener Zeit eigentlich nichts Ungewöhnliches gewesen — die Fürsten konnten durchaus selbständig außenpolitische Beziehungen aufnehmen —, habe es mit dem Empfang in Konstantinopel jedoch hochpolitische Bedeutung erlangt.

 

Dieser Empfang, der wie die gesamte Jerusalemwallfahrt Heinrichs in der um 1200 vom Benediktinermönch Arnold von St Ägidien verfaßten Chronik sehr ausführlich beschrieben sei, gebe Aufschluß über den hohen Stellenwert, den der Kaiser von Byzanz, Manuel I., dem Herzog beigemessen habe.

 

Das Interesse an Kontakten ist nach Ehlers’ Einschätzung nicht einseitig gewesen: Im Jahre 1164 hatte Heinrich der Löwe die Belagerung der Burg Demmin in Pommern abgebrochen, da eine byzantinische Gesandschaft nach Braunschweig gekommen war. Dieses Verhalten des Herzogs hatte bereits der Chronist Helmold von Bosau am Ende des 12. Jahrhunderts als bemerkenswert registriert.

 

Für Heinrichs Ankunft in Konstantinopel hatten die Byzantiner, so beschrieb es Arnold, goldene Zelte errichtet. Heinrich der Löwe sei über die Triumphstraße in die Stadt eingeholt worden, wobei er an der Seite des Basileus (Kaiser Manuel I. von Byzanz) habe schreiten dürfen. Im Goldenen Speisesaal sei dem Herzog ein Platz in der Nähe des Thrones zugedacht gewesen.

 

Solch ein Empfangszeremoniell habe eher demjenigen für einen König entsprochen, urteilte Professor Dr. Ehlers, nachdem er anhand einiger Dias von der Stadtanlage Konstantinopels den Weg Heinrichs zum kaiserlichen Palast erklärt hatte und dabei zu den Einzelheiten aus Arnolds Beschreibung Stellung genommen hatte.

 

Zur Bewertung dieses Ereignisses meinte der Referent: „Die Byzantiner haben durch diesen Wink auf einen empfindlichen Punkt in der Reichsverfassung aufmerksam gemacht: Das Verhältnis der höchsten Fürsten zum Kaiser.“

 

„Doch der Herzog kompromittierte sich nicht“, betonte Ehlers. Ein Geschenk von 14 mit Edelmetall beladenen Maultieren, das man als Bündnisangebot des Basileus gegen Barbarossa hätte deuten können, habe Heinrich der Löwe bewußt zurückgewiesen. Gleich nach seiner Rückkehr habe er Friedrich I. Bericht erstattet.

 

Heinrichs des Löwen Fähigkeit aber, mit Barbarossa in Konkurrenz zu treten und damit zukünftige Konflikte heraufzubeschwören, sei damals offensichtlich geworden. ms

 

 

Zitiert aus Braunschweiger Zeitung vom 25. April 1988

 

 

Eugen Lüthgen: Romanische Plastik in Deutschland

„Die letzte Stufe des spätromanischen unruhigen gebrochenen Stiles wird durch das hervorstechendste Meisterwerk der deutschen Plastik, das Grabmal Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin Mathilde im Dom zu Braunschweig, gekennzeichnet (Taf. CXLIV).

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Die Einzelgestalten wölben sich als mächtige vollrund plastische Blöcke vor die ebene Rückfläche vor. Sie ragen so weit über ihre Unterlage hinaus, daß dunkle Schattenmassen, die diese Körper umgeben, den ebenen Grund fast als dunkelschattende Höhlung wirken lassen. Die schneidend scharfe Begrenzung des Raumes nach rückwärts wird dadurch gemildert, ja in eine optische Wirkung umgewandelt. Daß die Figuren auf ihrer Unterlage auf der ebenen Fläche aufliegen, ist für die Auffassung des Mittelalters nachweislich ohne Bedeutung, da Stand- und Liegefigur erst später verschiedenartig komponiert zu werden pflegen. Körperhaft plastische Massendurchformung ist das letzte, das einzige Ziel dieser Kunst. Alle Vorstellung der Stofflichkeit wird, trotz der hervorstechenden Licht-Schatten-Wirkung, durch die taktische Einheit des Körperblockes dem Beschauer zum Bewußtsein gebracht. Der taktischen Stofflichkeit tut es kaum Abbruch, daß die Oberfläche des Blockes in phantastisch-launenhafter Willkür in taktische und optische Flächen zerklüftet ist. In rhythmisch lebendiger Folge sind Falten- und Schattenbündel vereinigt, um den Körperblock mit der optischen Wirkung des Raumes zu umkleiden. Die Faltentäler sind tiefgebohrte, dunkelschattende, raumverratende Einziehungen, die in leidenschaftlicher Erregung ausgemeißelt wurden. Die Faltenstege sind Linien, Bänder, breite Brücken, von feinsten Hebungen und Senkungen, leisesten Schwellungen belebt, in denen sich alle Möglichkeiten der leidenschaft - durchwühlten, phantastisch - deutschen Linienbewegung erschöpfen. Der Überreichtum an kleinen Einzelmotiven wird durch die zwingende und beherrschende Zügigkeit von monumentalem Ausmaß gebändigt. In ihnen atmet der lebendige Schönheitsinn der französischen Kunst, vornehmlich der Reimser Kathedralplastik. Wie anders wäre der herrlich bewegte Mantelsaum der Mathilde, der in verschiedenfachem Überschlag von der Schulter über den Arm zum Knie quer über den Körper hingleitet, zu erklären!

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Auch der edel-schöne Gesichtsschnitt, der empfindsame Geschmack in der Wahl aller Formen, denen eine sinnenhafte Vorstellung von Harmonie und Anmut zugrunde liegt, sind Merkmale der jungen nordfranzösischen Gotik. Man muß die innere Übereinstimmung im Wohlklang der Faltenzüge, die die Schichten verschiedener Gewandteile durch breite Schattentäler voneinander trennen, mit den neuen Kompositionsgesetzen des gotischen Stiles sowohl in der Kathedralplastik in Reims wie in den Stifterfiguren des Naumburger Domes empfunden haben, um den leuchtenden Glanz dieser neuen Schönheit und Sinnlichkeit zu verstehen.

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Wie vielfältige Entnahmen aus gotischen Formerlebnissen auch stattfanden, dieses Werk der sächsischen Plastik bleibt eine Meisterschöpfung des spätromanischen Stiles. Denn die Kernmasse des Körpers zeigt die bewegungslose Blockform des 12. Jahrhunderts. Ein Blick auf die Naumburger Stifterinnen erweist, wie dort der Körper als einheitlich-organisches Gewächs empfunden wurde, wie die Umrißlinie die Bewegung und Körperrundung schaffen hilft, wie diese Umrißlinie deshalb von dem Binnenwerk schlechterdings nicht mehr getrennt werden kann. Demgegenüber sind die Körper des Braunschweiger Grabmales noch durchaus von der alten Viereck-Komposition des romanischen Stiles beherrscht. Ihr Umriß ist erstaunlich genau als Rechteck geformt. Ein gleitender organischer Übergang von der Umrißlinie zum reichbewegten Binnenwerk konnte nicht gefunden werden, weshalb, um diesen Mangel zu verdecken, eine Fülle von optischen Teilflächeneinheiten kleinsten Ausmaßes geschaffen wurde, um das Verlaufen der Linien in einen toten Punkt zu verdecken. Mit welcher Kraft der Phantasie die hochgewölbten Körper von Stufe zu Stufe durch tausend gleitende und verschleierte Übergänge bis in die letzte Raumtiefe hinein durchgeformt werden, am Rande dieser ungefügen Körperblöcke weiß selbst dieser Meister den Ausweg in eine neue Sinnlichkeit nicht zu finden. Er empfindet noch nicht den Organismus des Körpers als ein natürliches Gewächs, dessen gesetzmäßigem Aufbau alle Formeinheiten sich willig unterordnen.“

 

Hinweis: Die abgebildeten Fotos wurden 2013 aufgenommen und sind nicht Bestandteil des Buches.


Veröffentlicht in:
Lüthgen, Eugen: Romanische Plastik in Deutschland S. 106-107, Verlag Kurt Schroeder 1923

 

 

Georg G. Kallenbach 1844 über die mittelalterlichen Bauwerke Braunschweigs

Ueber die mittelalterlichen Bauwerke Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung.
Von Georg G. Kallenbach.

Bekanntlich halten Alterthumsfreunde Nürnberg mit seinen mittelalterlichen Ueberresten für eine der alterthümlichsten Städte Deutschlands, und doch ist Braunschweig in diesem Bezuge reicher ausgestattet. Hat letzteres auch nicht eine Sebalduskirche, einen Lorenz-Kirchthurmbau und eine Frauenkirche aufzuweisen, so hat es doch wieder in seiner Art ein Rathhaus ohne Gleichen, die prachtvollen Thurmbauten der Katharinen- und Andreas-Kirche diesen entgegen zu setzen, und besitzt überhaupt eine so mannigfache Formenfülle aus allen Zeiten des Mittelalters, von 1180 bis 1500, daß diese nur allenfalls in Köln noch übertroffen werden dürfte.

Wenn Leser sich wundern, wie solche Schätze bisher unbekannt bleiben konnten, so mögen sie bedenken, daß viele ähnliche interessante Entdeckungen auf meinen Reisen mir wurden und daß unendlich viel Schönes vielleicht noch Jahrhunderte lang unbekannt bleiben, vielleicht inzwischen für immer verloren gehen wird, wenn nicht bald die deutschen Bundesstaaten eine würdige allgemeine Aufgabe darin finden, nach dem großartigen Vorgange Frankreichs in diesem Bezuge etwas Durchgreifendes zu veranlassen, sondern länger noch die Erbschaft einer großen Vergangenheit, die nothwendigen Anknüpfungspuncte für eine neue große Zukunft mit Gleichgültigkeit zufälliger Privat-Industrie, zufälligen Entdeckungen und Würdigungen oder der meist sehr ohnmächtigen, einseitigen und launenhaften Wirksamkeit unserer Alterthumsvereine überlassen sollten. Schlesien, Oesterreich, Böhmen, Würtemberg, Hannover, Mecklenburg und andere Gegenden hat in diesem Bezuge noch kein Kenner durchmustert, und selbst in den bisher gewürdigten Gegenden, Sachsen, Rheinland und Baiern, wieviel bleibt hier noch aufzusuchen und gründlich zu würdigen übrig!

Doch nun zu unserem Braunschweig, zunächst zu seinen Gotteshäusern und dann zu seinen bürgerlichen Werken.

Die Collegiat-Domkirche St. Blasius verdient neben ihrer Bauart noch besonders ihrer historischen Wichtigkeit halber unstreitig vor den übrigen Kirchen den Vorrang. Heinrich der Löwe begann diesen Bau 1172 und beendigte ihn in wenigen Jahren. Eine sehr geräumige Krypta, der Chor mit Halbkreis-Absis, im Innern um achtzehn Stufen über dem Fußboden der Schiffe, erhöht, der Kreuzstamm mit einer alten und einer in neuerer Zeit sehr gut ergänzten Neben-Absis, das Mittelschiff und das unterste Stückwerk des Doppelthurm-Baues mit Zwischenhalle, haben sich aus dieser Zeit erhalten. Alle diese Theile sind bereits mit gedrückten Spitzbögen gewölbt, doch ohne Gurte. Das südliche Nebenschiff wurde, 1318 in einfacher gothischer Weise und zwar in der Art umgebaut und erweitert, daß man das alte Gewölbe stehen ließ, von der alten äußern Mauer so viel wegmeißelte, daß nur Pfeiler zur Tragung des beibehaltenen Gewölbes übrig blieben, und ein zweites Nebenschiff mit einfachen Kreuzgewölben an dies alte angefügt werden konnte. In ähnlicher Weise erfolgte von 1469 bis 74 der Umbau des nördlichen Nebenschiffes, nur wurde das alte Nebenschiff gänzlich weggeräumt und ein neues zweischiffiges in sehr beachtenswerthen Formen dieser Zeit aufgeführt. Das innere Netzgewölbe desselben wird durch schlanke Cylinder unterstützt, um welche sich dünne Rundstäbchen winden, so daß jeder Pfeiler die ungefähre Form gewundener Säulen erhält.



Einfügung: Säulengestaltung im neuen Nebenschiff des Domes


Die Fenster sind verhältnißmäßig breit und nicht mit Spitzbögen oder gedrückten englischen Bögen, sondern mit einem stumpfen Winkel überdeckt, so daß der obere Fensterschluß von zwei schräg umlaufenden geraden Linien und drei stumpfen Winkeln, von welchen der oberste der größte ist, gebildet wird. Ein einziges dieser Fenster hat reiches Maßwerk, die äußeren Strebepfeiler laufen in Fialen aus, und diese, mit einer zwischengespannten Galerie, bilden die Krönung dieses Nebenschiffes. Das äußere Formen-Verhältniß dieser Architektur halte ich für sehr gelungen. Die Fortsetzung des Thurmbaues in zwei nicht ganz vollendeten Thürmen, so wie das zwischen diesen angeordnete Glockenhaus zeigen uns die versuchenden, unbestimmten frühgothischen Formen um 1250, und für diese ist besonders bezeichnend das Fenster-Maßwerk des Glockenhauses. Das Innere des Domes läßt eine Ausräumung vieler späteren Entstellungen und namentlich die Herstellung einer Verbindung der Nebenschiffe mit den Kreuzstamm-Flügeln und deren Absiden wünschen. So interessant dieser Bau an sich selbst erscheinen muß, um so beachtenswerther wird er noch durch seine mancherlei Bildwerke, Geräthschaften und zuletzt durch seine Fürstengräber. Unter den ersteren befindet sich eine kolossale hölzerne Statue Heinrich's des Löwen, entweder seiner Lebenszeit oder der Zeit bald nach seinem Tode angehörig, ferner eine zwölf Fuß hohe, in reichem gothischem Schnitzwerk ausgeführte Passionssäule.


Einfügung: Passionssäule mit Petrushahn im Dom zu Braunschweig


Zu bedauern ist, daß diese Werke noch bisher in einem dumpfen Begräbnißgewölbe aufbewahrt werden. Die elfenbeinerne Schalmei des h. Blasius und der sechszehn Fuß hohe und dreizehn Fuß breite siebenarmige metallene Leuchter, welchen Heinrich der Löwe aus dem Morgenlande mitgebracht hat, sind nicht minder von Interesse.

 



Einfügung: Detail des siebenarmigen Leuchters im Dom zu Braunschweig

In jüngster Zeit wurde der letztere reparirt und im Chore in passender Art aufgestellt. Dicht vor den Stufen des Chores bedeckt eine metallene Platte die Ueberreste Kaiser Otto's des Vierten, seiner Gemahlin Beatrix, Kaiser Friedrich's, Pfalzgraf Heinrich's, Herzog Ottos des Ersten, Albrecht's des Großen, der Herzoge Wilhelm, Magnus, Wilhelm des Streitbaren, dessen Gemahlinnen Cäcilie und Mathilde, Heinrich's des Aeltern und seiner Gemahlin Helena.

 

Einfügung: Modellansicht des hohen Chores des Braunschweiger Domes vor seiner Umgestaltung


1707 wurden die Gebeine dieser Fürsten in einen großen hölzernen Sarg zusammen gelegt und unter der erwähnten Platte eingesenkt. Nicht einmal einem Kaiser, inmitten seiner fürstlichen Nachkommen, verblieb eine alleinige Ruhestätte, -- welche Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen! Westlich von diesem gemeinsamen Grabe ruhen Heinrich der Löwe und seine Gemahlin Mathilde unter einer gemeinschaftlichen Steinplatte mit den lebensgroßen Bildnissen beider Personen.

 



Einfügung: Grabmal von Heinrich dem Löwen und Mathilde von England im Dom zu Braunschweig



Noch weiter westlich, immer in der Mitte des Langschiffes hin, steht das prunkende, theils metallene, theils marmorne Grabmal Herzog Ludwig Rudolph's und seiner Gemahlin Christine Ludovica, der Großeltern Maria Theresias. Die liegenden Bildsäulen beider, mit Reifrock und Allonge-Perrücke, in mehr tanzender, als ruhender Stellung, scheinen dem Tode förmlich Hohn zu sprechen. Mehr als fünfzig fürstliche, theils metallene, theils hölzerne Särge aus den jüngsten Jahrhunderten nehmen endlich die alte Krypta ein. In der Mitte steht der mit rothem Sammt beschlagene Sarg der englischen Königin Caroline, und in den Särgen rund umher ruhen unter Anderen sieben braunschweigische Herzoge, welche den Feldherrntod starben, und Herzog Max. Jul. Leopold, welcher 1785 als ein Opfer der Menschenliebe seinen Tod in den Wellen der Oder bei Frankfurt fand.

- Auf dem Platze an der Nordseite des Domes steht der metallene Löwe aus Heinrich's Zeit.





Einfügung: Der Löwe vor dem Dom zu Braunschweig



Nächst dem St. Blasius-Dome sind von besonderer Wichtigkeit die Kirchen St. Martini, St. Catharinen, St. Andreas, St. Aegidien und die der Barfüßer, minder bedeutend St. Magnus, St. Peter und St. Paul, welche alle in unentstellter mittelalterlicher Form auf unsere Zeit gekommen sind.

Die Martini-Kirche nebst dem schönen alten Rathhause, die Zierde eines Marktplatzes, auf dessen Mitte sich auch noch ein metallener Springbrunnen aus dem Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts erhalten hat, stammt in ihren ältesten Theilen gleichfalls aus Heinrich's des Löwen Zeit. Betrachtet man diese Kirche, so sieht man, wie schon in so früher Zeit, bei Pfarrkirchen durch mindere Länge und bedeutende Breite, so wie durch die Anlage gleich hoher Schiffe mit schlanken Gewölbe-Pfeilern, eine Architektur um die Predigt-Kanzel herum erzielt würde, – eine Anlage also, welche protestantischer Seits nur nicht erkannt wurde, wenn man glaubte, einen neuen protestantischen Kirchenstyl mit besonderer Rücksicht auf die Predigt, mit Verwerfung der mittelalterlichen Bauweise erfinden zu müssen. Es hat nämlich bereits die älteste Anlage dieser Kirche eine Abweichung von der gewöhnlichen Basilikenform, indem an ihr drei romanische Langschiffe von gleicher Höhe angeordnet wurden. Das Mittelschiff mit seinen Spitzbogen-Gewölben ohne Gurte, gleichwie im Blasius-Dome, das Querschiff und der Doppel-Thurmbau haben sich von ihrer ersten Anlage her erhalten. Die Pfeiler des Mittelschiffes sind viereckig, und kleine Cylinder mit separaten Sockeln und Würfel-Capitälen in die vier Ecken dieser Pfeiler eingelassen. Kämpfergesimse umlaufen den ganzen Pfeiler von allen vier Seiten. Die Nebenschiffe und der Chor sind in verschiedenen gothischen Perioden nach und nach umgebaut und erweitert, jedoch in der Art, daß die alte nicht bedeutende Höhe der Schiffe für den Umbau bestimmend blieb. Ein Hauptdach läuft über dem Hauptschiffe entlang, und über dem Querschiffe so wie längs den Nebenschiffen sind eine Reihe von Giebeln angeordnet, hinter welchen kleine Dächer mit dem Hauptdache sich rechtwinkelig verbinden, -- eine Anordnung, welche auch an der Catharinen-, Andreas-, Aegidien- und anderen hiesigen Kirchen sich wiederholt. An die Südwestseite baute das fünfzehnte Jahrhundert noch eine sehr reiche, vielseitige Capelle an, welche im Innern sich chorartig mit der Hauptkirche verbindet. Die jüngste Restauration des Innern dieser Kirche läßt, einer strengen Kritik gegenüber, zwar Manches zu wünschen übrig, spricht aber doch immer von Liebe zur Sache, sowohl von Seite der Gemeinde als des mit der Ausführung beauftragt gewesenen Architekten.

Die St. Catharinen-Kirche ist im Mittelschiffe gerade so geformt, wie das Mittelschiff des Domes. Nebenschiffe und Chor dagegen gehören wieder verschiedenen Zeiten der Spitzbogen-Periode an, und von dieser gestalten sich die dem Thurmbau zunächst gelegenen Theile als die ältesten. Das Fenster-Maßwerk in den letzten ist charakteristisch für die frühe und noch versuchende Weise aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, eben so das Maßwerk in den Dachgiebeln, so wie deren Bekrönung. Kreuze aus Vierpässen und Vier-Paßtheilen, auch frühe Pflanzenkronen aus Blätterbüscheln sitzen den Giebelspitzen auf, so wie wieder Kügelchen an gekrümmten Tempeln längs den Seiten der Giebel aufsteigen, als Vorläufer der späteren Pflanzen-Krabben. Der Thurmbau dieser Kirche gehört zu Braunschweigs prächtigsten Architekturen, nur ist zu bedauern, daß ein alter Anbau des Schauspielhauses sich dicht vor ihm hinzieht, durch dessen Wegräumung er einen der größten Plätze der Stadt begränzen und eine größere Zierde sein würde, als mancher neue, kostbare Verschönerungsbau. Dem Alter nach zerfällt dieser Thurmbau in drei Zeitperioden: 1210, 1260--70 und 1350. Die ältesten Theile, im größten Reichthume jener Zeit, enthalten ein vielfach gegliedertes Portal mit tief unterschnittenen Pflanzen-Verschlingungen im Spitzbogenfelde über dem Thürsturz, Spitzbogen-Nischen und Fensteröffnungen, mit dem halben Vierpaß überdeckt, so wie Säulchen mit Theilungsknäufen und kelchförmigen Capitälen. Die Fortsetzung des Thurmbaues aus der zweiten Periode ist in den Thürmen einfach, desto reicher aber im prächtigen Glockenhause zwischen den Thürmen. Beide Seiten dieses Glockenhauses bestehen aus durchbrochenem Maßwerk und überraschen um so mehr, als sie Zeugniß geben, mit welcher Kraft und Fülle die Kunst damals sich Bahn brach, um mit 1300 den Höhepunct ihrer vollkommensten Durchbildung zu erreichen. Das reiche Maßwerk zerfällt in runde, starke, mittlere und schwache Stäbe, welche immer je tiefer liegen und Kreise so wie Spitbogen in einander bilden. Während diese runden Stäbe zu drei Viertheilen ihres Umfangs hervortreten, da, wo sie sich berühren, mittels Hohlkehlen verbunden sind und durch ihre weichen Formen noch den letzten Kampf des romanischen Elements mit dem eckigen und spitzigen Charakter des gothischen bekunden, besteht das in ihre innerste Mitte eingespannte Maßwerk noch oft aus Formen, welche nach 1300 nicht mehr vorkommen, und ist als etwas für sich Bestehendes mit den Hauptstäben noch keine organische Verbindung eingegangen.

Die neue Anlage solcher reichen Glockenhäuser, wenngleich zwischen schmucklosen Thürmen, würde sich auch da noch empfehlen, wo eine Kirche umbaut steht, diese oberen, die Umgebung überragenden Theile aber von einem Platze, einer Straße oder sonst einem Puncte aus gesehen werden könnten und dadurch zu dessen Verschönerung dienen würden.

Zuletzt fügte die dritte Periode, dem südlichen Thurme noch, zwei einfache gothische Stockwerke und einen spitzigen Helm zu, dem nördlichen, niedrigern dagegen nur ein Geschoß, welches jetzt eine Haarbeutler-Spitze trägt.

Die St: Andreas-Kirche hat in ihrem Hauptkörper viel Verwandtschaft mit den oben beschriebenen, wogegen der Thurmbau, gleichfalls mit Doppelthürmen, nicht bloß der höchste der Stadt ist, sondern auch in seiner geschmackvollen Anordnung zu den schönsten, wenn auch nicht reichsten Werken des 15. Jahrhunderts gezählt werden muß, wozu noch seine vortheilhafte Lage kommt, als Schluß einer langen, auf ihn zulaufenden Straße. Die Bauweise dieses Thurmes gehört wieder zwei Zeiten an: 1200--1220 und 1380 bis etwa 1480. Die ältesten Theile sind im Gegensatz zum Catharinen-Thurme sehr einfach, und die starre Mauer wird nur unterbrochen durch ein Portal und darüber befindliches Rundfenster. Das letztere vertieft sich bis zu einem Drittheil seines Durchmessers mittels siebenmal wiederholter Stufen, in deren Winkel ein Rundstäbchen und auf deren Ecken jedesmal ein Hohlkehlchen umher läuft, hiedurch die scharfe Kante der Ecken beseitigend. Beachtenswerth ist diese Profilirung als Vorläufer der spätern gothischen. Das Portal mit kaum bemerkbarem Spitzbogen tritt zuerst mittels Viertelkreises, Wulstes, Hohlkehle und Plättchens vor der Mauerfläche des Thurmes vor, wobei zu bemerken ist, daß dieses Vorsprungsprofil, wie fast immer im Romanischen, mit den Sockelgliedern correspondirt. Darauf vertieft sich die Portal-Nische in vier rechtwinkeligen Stufen, deren vortretende Theile Säulen ohne Verjüngung bilden. Die erste und dritte dieser Säulen haben an ihrer vordersten Kante einen Saum, welcher ihnen das birnförmige Profil gibt, dasselbe, welches in der gothischen Kunst so mannigfach in Anwendung kam. Eben dieselbe Profilbewegung läuft auch durch den Portalbogen, wird aber da, wo der Umschwung beginnt, durch Capitäle und Kämpfergesimse bezeichnet. Etwa in der Höhe des Kirchdaches fängt die Fortsetzung des Thurmbaues an, und zwar am nördlichen Thurme mit zwei, am südlichen mit vier Stockwerken, und zwischen den Thürmen mit einem reich durchbrochenen Glockenhause wie an der Katharinen-Kirche, nur daß man hier durchgebildete, bestimmte gothische Formen findet, welche am Catharinen-Thurme noch fehlen. Die Thürme sind einfacher als das Glockenhaus, achtseitig, wenig verjüngt, aber dabei von höchst edler Haltung. Ein reicher Fries nebst Gesims sondert jedes Geschoß, und Lissen im Profil des Frieses fassen die Ecken ein. Die Spitzbogenfenster sind mit Maßwerk und oben im Spitzbogen mit freischwebenden, spitzenartig durchbrochenen Friesen verziert und zuletzt mit einem mäßig geschwungenen Eselsrücken überdeckt, welchem Krabben und Kronen aufsitzen. Es wiederholt sich diese Fensteranordnung theils in Fenstern, theils in Nischen, fast auf allen Seiten aller Stockwerke. Zuletzt deckt leider, zur Entstellung des Thurmes, der Kirche und der ganzen Stadt, den höhern Thurm eine andere Zwiebelhaube.

Die St. Aegidien-Kirche gehörte ehemals einem 1115 eingeweihten, Benedictiner-Kloster an, wurde aber in der Mitte des 13. Säculums im Chor und Querschiff, und im 14. Jahrhundert mit drei Schiffen von gleicher Höhe erneuert. Ist den Schiffen ihre großartige Räumlichkeit auch nicht abzusprechen, so sind die älteren Theile dem Kunstfreunde doch um so lieber, als sie der Entwickelung der gothischen Kunst angehören. Der Chor besteht aus einem höhern und einem niedrigern Baue, und werden die ersteren Theile bereits durch Schwebe-Pfeiler unterstützt, welche in ihrer Hauptform ganz den später vorkommenden gleichen und nur noch massenhafter sind und ohne Maßwerk-Durchbruch. Die Fenster, im Chore sowohl wie im Kreuzschiff, liefern Belege für die Versuche dieser Zeit, so nicht minder das gesammte Ornament am nördlichen Querschiff-Giebel. Im Innern spielt ein angenehmes Pylaster-Cylinder- und Nischenwerk in primitiver gothischer Weise, und sämmtliche Capitäle, entfalten einen mannigfachen, der Natur treu nachgebildeten, nur leider zu sehr vertünchten Blätterschmuck. Zu bedauern ist es, daß eine zu starke Ausweichung dieser Bautheile ihre lange Dauer zu beeinträchtigen droht.

Die Brüder- oder Barfüßer-Kirche, unter den zu besprechenden größeren die letzte, zeichnet sich weder durch Reichthum noch Thurmbau aus, wohl aber durch großartige Verhältnisse und Räumlichkeiten im Chor, wie in drei Schiffen von gleicher Höhe. Geschmacklosigkeit hat hier viel getüncht und eingebaut, doch sieht die Kirche einer nahen und würdigen Herstellung entgegen, für deren Gelingen nicht zu fürchten ist, weil Braunschweigs Architekten keineswegs zu denjenigen gehören, welche auf ihren Lorbeeren ruhen, vielmehr eifrig fortarbeiten, und überdies noch ein Mann, welcher fast nur schönwissenschaftlichen Beschäftigungen obliegt, der dortige, in der ganzen Gegend rühmlichst bekannte D. Schiller, bei der Leitung der Restauration sich mit betheiligen wird, zuletzt Braunschweigs Bewohner nicht allein im Rufe eines regen Kunstlebens stehen, sondern solchen auch thätig bewiesen haben durch die gewagte Säuberung ihres Kunstvereins von den diesem früher anhangenden Lotterie-Interessen, -- einen Schritt, welcher den

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Kunstvereinen zu Dresden und Leipzig und manchen anderen den Todesstoß zuführen würde.

Von den übrigen Kirchen Braunschweigs verdient zuletzt noch das Mittelschiff der Magni-Kirche besondere Aufmerksamkeit. Zwei sich gegenüber stehende massive runde Pfeiler, eine eigene Erscheinung dieser Art, scheinen dem jetzigen Baue des Mittelschiffes um so weniger anzugehören, weil ihr Uebergang ins Gewölbe plump und ohne organische Vermittelung Statt findet, während alle übrigen und viereckigen Pfeiler gleichsam mit dem Gewölbe sich verwachsen zeigen. Fast eben so wenig dürften diese runden Pfeiler der um 1030 erbauten ersten Kirche angehört haben, welche doch wahrscheinlich als eine Basilica mit hölzerner Decke solcher massiven Stützen nicht bedurfte. Die übrigen vierseitigen Pfeiler möchte man für den ersten Augenblick mit den romanischen Pfeilern in der Martini-Kirche für gleichgeformt halten, während, eine genauere Betrachtung frühgothische Formen ergibt, welche sich bemühten, das Vorbild der Martini-Kirchen-Pfeiler in eigener Weise umzubilden.

Sind wir jetzt mit der Behandlung der kirchlichen Bauwerke so weit gediehen, als es der Zweck und Raum dieser Blätter verstattet, so dürften wohl noch leiche Umrisse des schönen Rathhauses und zuletzt zweier Kirchen aus Braunschweigs Nähe den Lesern nicht ganz unwillkommen sein.

Dieses Rathhaus halte ich, seiner großartigen, reichen und eigenthümlichen Formenbildungen halber, für das schönste auf deutschem Boden und für Braunschweigs Perle. Wann es erbaut sein mag, darüber schweigen alle Nachrichten; in der Mitte des 15. Jahrhunderts war es bereits vorhanden, und weil es durchweg die vollkommensten gothischen Formen trägt, muß seine Anlage durchaus in die Zeit zwischen 1300 und 1350 fallen. Wie es, der Martini-Kirche gegenüber, nebst dieser in prächtiger Weise die Westseite eines großen Platzes schließt, ist bereits oben ausgesprochen. Das Ganze dieses Werkes besteht aus zwei Flügeln, welche einen rechten Winkel bilden. Beide innere Seiten dieses Winkels enthalten eine doppelte Architektur. Die äußere ruht unten auf Bogen, über welchen sich, zwischen eleganten Strebepfeilern, in jedem Flügel vier sehr reiche Maßwerk-Durchbrechungen in Form großer Spitzbogenfenster erheben und oben in Giebeln mit Pflanzen und Kronen schließen. An den Strebepfeilern sind die Statuen Heinrich's des Vogelstellers, Otto's I., II., III. und IV., Heinrich's des Löwen und ihrer Gemahlinnen, so wie mehrer braunschweiger Herzoge und Herzoginnen aufgestellt, und die fürstlichen Frauen in weiten, faltenreichen Gewändern, sämmliche Figuren mit Schellenschnüren, gegeben.

 



Einfügung: Bildnis Mathilde von Brandenburg am Altstadtrathaus in Braunschweig



Wird so die vordere Architektur fast nur durch ein reiches Gitterwerk gebildet, so enthält die hintere schlichte Mauern mit großen, im Segment geschlossenen Fenstern, welche den inneren Räumen Licht zuführen. Zwischen dieser innern und der äußern reich durchbrochenen Wand laufen zweimal über einander Corridore hin, von welchen der untere überwölbt, der obere nur durch die Bedachung bedeckt wird. Die Querenden beider Flügel werden durch Treppen-Giebel geschlossen, mit Fenstern und Bilderblenden ohne Statuen. Einer würdigen Herstellung steht dieses, ohnehin wenig verunstaltete, Kunstwerk in nächster Zeit entgegen.

Unter dasigen Wohnhäusern befindet sich noch eine Menge von altem Holzbau, bei welchem das obere Stockwerk, stets über das untere vortritt; oft werden noch ganze Straßen von dieser Bauart gebildet, -- doch reicht nicht ein einziges Haus in die Zeit vor 1500, während viele noch dem 16. Jahrhundert angehören und in so weit schön sind, als mittelalterliche Formen an ihnen noch in Anwendung blieben.

(Schluß folgt.)

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Ueber die mittelalterlichen Bauwerke Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung.
Von Georg G. Kallenbach.
(Schluß. S. Nr. 113 d. Bl.)

Nicht minder reich, als Braunschweig selbst, ist seine Umgegend an Alterthümern. Kaum sieht man von der Eisenbahn, welche Magdeburg mit Braunschweig verbindet; in Städtchen und Dörfern andere Thürme als romanische, freilich oft genug übertüncht und anderweit verstümmelt.

Ausflüge in die Umgegend erlaubte mir theils meine vielfältige Beschäftigung in der Stadt selbst, theils die winterliche Jahreszeit nur nach der ehemaligen Abtei Riddagshausen und dem Dorfe Melverode.





Einfügung: St. Marien-Klosterkirche in Riddagshausen



Die riddagshauser Kirche steht noch ganz erhalten da, das Klostergebäude dagegen ist bis zur Unkenntlichkeit des Alten verstümmelt, und der von dem Kreuzgange eingeschlossene Hof in eine Düngerstätte verwandelt, ein Amtmann haus't jetzt dort. Die Kirche, von bedeutender Ausdehnung und in wenigen Jahren aufgeführt, mithin aus Einem Gusse, trägt eigenthümliche Formen aus der Periode, in welcher der letzte Uebergangsstyl mit dem frühgothischen sich vermählte. Eine besonders frappante Anlage bildet der Chor. Viereckig, etwas länglich von Westen nach Osten hin, ist der hohe Chor an der Ostseite durch eine gerade Linie begränzt und trägt einen Dachgiebel gleich denen auf dem Querschiffe. Der niedrige Chor umgibt nun wieder den hohen von allen drei Seiten und ist zuletzt in gleicher Weise, noch durch einen niedrigern Gang umgeben, welcher wahrscheinlich zu Capellen-Räumen diente, so daß der ganze Chorbau aus drei Terrassen besteht. Aeußere Strebepfeiler, später weggeschlagen, unterstützten ehemals die inneren Gewölbe dieses niedrigsten Umganges, während diese Gewölbe den Gewölben im niedern Chor und die des letztern dem Gewölbe des hohen Chores, ohne Anwendung von weitern äußern Strebepfeilern, zum Widerlager dienen. Die Ausdehnung dieser zusammengesetzten Choranlage von Norden nach Süden ist um etwas geringer, als die der Kreuzschiffflügel, also der Art, daß ihre Enden sämmtlich in die letztere münden. Das hohe Schiff entbehrt gleichfalls der äußeren Streben, während solche am nördlichen Nebenschiffe vorkommen, am südlichen durch den ehemaligen, jetzt abgeschlagenen, Kreuzgangflügel ersetzt wurden. Die Fenster des hohen Chores, hohen Schiffes und Querschiffes bestehen meist aus Gruppen von drei schmalen, hohen, oben zugespitzten Oeffnungen, deren mittelste die übrigen an Höhe überragt, doch ohne Sprossenwerk und ohne die sonst gewöhnliche Anordnung in einer gemeinschaftlichen Mauerblende, wie solche am Kirchenschiffe zu St. Gereon in Köln, am Münster zu Bonn, an der Kirche zu Pforzheim in Schwaben und anderen Werken der letzten Uebergangs-Periode vorkommen. In den unteren Theilen der Kirche stehen die Fenster einzeln, und nur die westliche thurmlose Seite des Mittelschiffes enthält ein sehr großes Spitzbogenfenster mit Maßwerk in primitiver Weise, doch so weit verwittert, daß vollkommene Formen nicht mehr zu entziffern sind. Ein Thurmbau fehlt, während jetzt ein moderner Dachreiter auf der Kreuzung sitzt.

Von dieser Kirche mehre Hundert Fuß entfernt, hat sich noch eine gleichzeitige interessante Capelle erhalten, welche nur theilweise aus einem Thorbaue vorspringt und durch Cloaken, welche sich umherziehen, fast unzugänglich geworden ist.

Viel minder bedeutend in Größe wie in künstlerischer Ausführung, um so interessanter dagegen durch hohes Alter, tritt uns die Kirche zu Melverode entgegen. Das kleine Schiff sowohl als der noch kleinere Chor sind fast quadratisch, und außer der Halbkreis-Absis am Chore sitzen zwei kleinere der Ostseite des Schiffes an. Ein einfacher Thurmbau von der Breite des Schiffes ist diesem am Westende aufgesetzt und ruht im Innern auf zwei einfachen viereckigen Pfeilern nebst Halbkreisbögen. Das Alter dieser Anlage zu bestimmen, bin ich außer Stande. Mit vollständiger Beibehaltung dieser ältesten Form erhielt die Kirche gegen 1200 durch Ueberwölbung eine Umwandlung und durch eingebaute, die Gewölbe unterstützende Pfeiler drei Schiffe von gleicher Höhe. Die freistehenden Pfeiler sowohl als die Halbpfeiler an den Wänden haben gleiche Gestalt mit den Pfeilern in der oben besprochenen Martini-Kirche; auch ist die Wölbung spitzbogig und entbehrt der Gurte. Vor wenigen Jahren wurde die Kirche erneuert und leider zum Theil verunstaltet. Ein dortiger Bauer klagte mir, daß der den Bau leitende Architekt in der Haupt-Absis das einzige Fenster vermauert und dafür unter dessen Stelle eine Thür eingebrochen habe, durch welche noch Niemand gegangen sei, daß er ferner die alten, mit Säulchen unterstützten Fenster im Thurm in kleine, häßliche, viereckige Löcher verwandelt habe, und dies noch dazu ein Hof-Architekt aus Wolfenbüttel gewesen sei; zuletzt bedauerte der Mann noch, daß vor sieben Jahren der Dorfschulmeister einen alten hübschen Schnitzaltar mit vielen Figuren kleingehauen und verbrannt habe.

Gleichwie der Thurmbau dieser Kirche die Breite des Schiffes einnimmt, eine unverhältnißmäßige Breite zu seiner geringen Tiefe in westlich-östlicher Richtung, finden wir gleiche Thürme fast an allen kleinern romanischen Kirchen dieser Gegend, und nur an größeren wird der Thurmbau durch aufgesetzte Thürme am Nord- und Süd-Ende überhöht, wobei das niedrigere, dazwischen übrig bleibende Glockenhaus dennoch stäts die Kirche überragt und Vorbild blieb für die reichen gothischen Glockenhäuser dieser Gegend.



Quelle: Georg G. Kallenbach. Die mittelalterlichen Bauwerke Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung. Kölner Domblätter Nr. 113 und 114 vom 18.08.1844 und 25.08.1844.

Hinweis: Die beiden Domblätter liegen in den Heidelberger historischen Beständen digital vor und sind eingescannt unter folgenden Links zugänglich:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/koelnerdomblatt1844/0138 sowie
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/koelnerdomblatt1844/0141

Die Originalarbeit ist nicht bebildert. Es sind Fotos von 2012 bis 2018 eingefügt.