Ranke / Kugler 1838 zur Konradsburg bei Ermsleben

7. Die Kirche von Kloster Conradsburg (bei Ermsleben).

Kleine Grund- und Aufrisse dieser Kirche nebst einer allgemeinen Beschreibung derselben von Hrn. v. Horn befinden sich in dem „Bericht vom Jahre 1834 an die Mitglieder der deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer in Leipzig, herausgb. von K. A. Espe.“ Dort wird, auf den Grund eines älteren Zeugnisses *), das Jahr 1176 als das Jahr der Gründung des Klosters angegeben. Da indeß bereits im J. 1151 eines Abtes zu Conradsburg erwähnt wird **), so kann das Jahr 1176 nicht auf die eigentliche Stiftung des Klosters bezogen werden; und da die Edlen von Conradsburg, welche ihr Stammhaus dem klösterlichen Dienste übergeben hatten, sich bereits seit dem Jahre 1120 nach ihrem neuen Aufenthalte Falkenstein nennen, so ist es auch nicht wahrscheinlich, daß man erst in so viel späterer Zeit (1176) zur Gründung der Klostergebäude geschritten sein sollte. Die gegenwärtig vorhandene Kirche gehört aber nicht den, in eine frühere Zeit

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*) Reimann, in seiner Idea Historiae Ascaniensis, p. 4: „Monast. Conradesburgense prope Ermslebiam a Nobilibus de Conradesburg in honorem S. Sixti conditum.“

**) In einer Urkunde bei Schöttgen u. Kreysig in den Diplomat. Hist. Germ. II, 701

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zurückzudatirenden ersten klösterlichen Anlagen, noch weniger dem ursprünglichen Schlosse von Conradsburg an. Auch das Jahr 1176 (welches schon an sich auf einem Irrthume zu beruhen scheint und überdies in keinem speziellen Bezuge zu den eigentlichen Kirchengebäuden steht) dürfte der Kirche, wie bereits oben (S. 87.) bemerkt wurde, ein um einige Jahrzehente zu frühes Alter zuertheilen. Sie ist ein Rest der anmuthigsten, reichsten und lautersten Entwickelung des byzantinischen Baustyles, besteht jedoch nur aus dem hohen Chor und der Unterkirche, indem das eigentliche Schiff der Kirche, welches gleichwohl im ursprünglichen Plane lag, gegenwärtig nicht vorhanden ist. Der Verfasser der oben angeführten Beschreibung irrt sich, wenn er das Gebäude als ein für sich abgeschlossenes und dem Grundplane nach vollendetes Ganze betrachtet; noch mehr C. L. Stieglitz (in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Ausbildung der Baukunst,“ 1834, Th. II. S. 82.), welcher das vorhandene Gebäude in Eine Kategorie mit den Doppelkapellen setzt, wie deren auf den Burgen von Eger, Nürnberg, Freiburg a. d. Unstrut u.s.w. vorkommen.

 

Beide Theile der vorhandenen Anlage, Chor und Unterkirche, zerfallen in ein Mittelschiff von quadratischer Grundform und Seitenschiffe von gleicher Länge, aber nur halb so breit. Mittelschiff und Seitenschiffe schließen mit halbrunden Nischen, von denen natürlich die des Mittelschiffes der Form und der Tiefe nach als vorherrschend erscheint.

 

In der Unterkirche werden die Seitenschiffe vom Mittelschiff durch Bogenstellungen mit je zwei viereckigen Pfeilern abgesondert; das Mittelschiff ist hier durch eine doppelte Bogenstellung (von zweimal drei Säulen und Pfeilern) ausgefüllt. Sämmtliche Säulen und Pfeiler werden unter sich und mit den ihnen correspondirenden Wandpfeilern an den Wänden und in der Nische des Mittelschiffes durch halbkreisrunde Gurtbänder verbunden, zwischen welchen kleine Kreuzgewölbe (ohne hervortretende Gewölbrippen) eingelassen sind. Die Kämpfergesimse über den Pfeilern und Wandpfeilern sind aus den Hauptformen von Platte, Wulst und Hohlkehle, Alles fein profilirt und der Wulst einem Echinus sich annähernd, zusammengesetzt;

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an den in der Nische des Mittelschiffes befindlichen Wandpfeilern ist der ebengenannte Wulst in der Art eines antiken Perlenstabes ausgemeisselt, was freilich für die Stärke und das Profil dieses Gliedes nicht ganz passend erscheint. - Die Pfeiler, welche die Seitenschiffe vom Mittelschiff absondern, sind mit gegliederten Ecken, in denen Halbsäulchen, mit verschiedengebildeten Kapitälen eingelassen sind, geschmückt. Unter den Pfeilern und Säulen, welche das Mittelschiff ausfüllen, sind stets die zusammengehörigen Paare von einander entsprechender Bildung. Zuerst nemlich, vor dem Beginn der Nische, findet man ein Paar Pfeiler, wiederum viereckig, mit gegliederten Ecken und Halbsäulchen, doch hier die Seitenflächen nicht breiter als diese Halbsäulchen. Dann folgen ein Paar Säulen, deren Schäfte mit verschiedenartig gebildeten, gewundenen Kanelluren versehen und deren Kapitäle mit reichem Ranken- und Blätterwerk geschmückt sind. Das dritte Säulenpaar besteht zum größeren Theil aus einer neuen Restauration. Das hohe Deckgesims, welches diese Säulen und Pfeiler des Mittelschiffes bekrönt, ist wiederum mit dem mannigfaltigsten Blattwerk verziert, welches zwar (wie auch das Ornament an den Säulenkapitälen) immer noch den eigenthümlichen Schwung und den Styl der byzantinischen Kunst bewahrt, denselben aber zugleich mit der anmuthigsten Freiheit und der vollendetsten Ausführung behandelt; Blätter und Ranken zeigen hier eine vollkommen plastische Durchbildung, welche den Organismus ihrer Formation mit feinstem Gefühle anschaulich macht. (Vergl. Taf. VII, 2.) -

 

 

Die Basen sämmtlicher Säulen und Pfeiler sind von attischer Form und ebenfalls schon trefflich profilirt; die Säulenbasen mit einem Blatt auf den Ecken des unteren Pfühles.

 

In der Unterkirche sind sämmtliche Räume, wie dies insgemein bei solchen der Fall ist, von gleicher Höhe. In der Oberkirche (dem Chore) hingegen sind die Seitenschiffe niedriger als das Mittelschiff; auch werden sie hier von letzterem durch eine Bogenstellung gesondert, welche nur aus Einem freistehenden Pfeiler (und den entsprechenden Wandpfeilern) besteht. Dieser Pfeiler wird also nicht durch einen der in der Unterkirche befindlichen Pfeiler, sondern durch die zwischen diesen angeordnete, mittlere Bogenwölbung getragen. Diese Einrichtung

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ist nicht willkührlich: sie stimmt vielmehr überall mit jenen Gebäuden eines entwickelten und auf die Anwendung von Gewölben berechneten byzantinischen Styles überein, in welchen dem einzelnen Kreuzgewölbe des Mittelschiffes zwei kleinere Kreuzgewölbe in den Seitenschiffen entsprachen. So sind auch hier die Seitenschiffe mit zwei kleineren Kreuzgewölben bedeckt, während der quadratische Raum des Mittelschiffes nur mit einem überwölbt werden sollte. Letzteres ist zwar gegenwärtig nicht vorhanden (ist auch wohl nie vollendet gewesen) und statt dessen eine flache Decke eingelegt; doch sieht man oberwärts in den Ecken aufs Deutlichste die, mit der Mauer in Verband stehenden Anfänge desselben. Auf diese Einrichtung deutet auch der Umstand, daß die beiden Halbkreisbögen, welche das Mittelschiff von den Seitenschiffen absondern, an der nach ersterem zugekehrten höheren Wand von einem größeren Bogen, der auf den entsprechenden Wandpfeilern ruht, umfaßt wird, somit die Zweitheiligkeit der Seitenschiffe für das Mittelschiff aufhebt. Dieselbe Einrichtung war unstreitig auch für das, dem Chore vorzubauende Hauptschiff der Kirche beabsichtigt. - Die erwähnten viereckigen Pfeiler sind hier auf den Ecken ausgefalzt, mit einem trefflich geschwungenen Profil, welches eine Art gedoppelter Halbsäulchen hervorbringt, die oberwärts in ein umschlagendes Blatt ausgehen. Das Kämpfergesims der Pfeiler (und ebenso überall auch an den Wandpfeilern) hat dieselbe Form wie in der Unterkirche; die Basis derselben ist hier jedoch nicht attisch, sondern dem Kämpfergesims gleich, nur umgekehrt. - Die Nische des Hochaltares wird von zwei vorspringenden Eckpfeilern (mit den dazu gehörigen Bögen) eingefaßt; die Eckpfeiler sind gegliedert und mit emporlaufenden Halbsäulchen versehen, welche letzteren mit zierlich byzantinischen Blätterkapitälen geschmückt sind.

 

Eine rohe Wand verschließt gegenwärtig die westliche Seite des Chores. Im Aeußeren bemerkt man jedoch die gesammte Anordnung der Pfeiler und Bögen, welche den Chor mit dem Hauptschiff der Kirche verbinden sollten und welche scharf und deutlich in ihrer feineren Construction, mit den Kämpfergesimsen, ja mit den in Verband stehenden Ansätzen für die fortzusetzenden Gewölbe, aus jener roheren

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Wand hervortreten. Durch letztere führt gegenwärtig eine einfache, mit einer Vortreppe versehene Thür in den Chor, sowie tiefer seitwärts eine andre Thür in das Seitenschiff der Unterkirche führt. Es scheint, daß das Hauptschiff nie ausgeführt worden ist.

 

In den Seitenschiffen befinden sich je drei (vermauerte) im Halbkreisbogen überwölbte Fenster; ebenso sind in der Hauptnische - im Chore sowohl, wie in der Unterkirche - je drei, in den Seitennischen je ein Fenster befindlich. Die Seitenwände sämmtlicher Fenster bestehen aus einfachen Schmiegen. - Sehr zierlich ist das Aeußere der genannten drei Nischen. Sie sind mit horizontalen und vertikalen Gesimsen (Liseen) reich umfaßt und abgetheilt. Die Bildung dieser vertikal niederlaufenden Liseen ist von vorzüglicher Schönheit und ganz im reinsten Geiste der Antike ausgeführt; sie bestehen aus einem flachen Bande, welchem sich zu beiden Seiten Wellen von höchst zart geschwungenem Profile anschließen. (Taf. VIII, 3.) - Der Giebel, der sich über den Nischen erhebt, ist unvollendet. Ein neu aufsetzendes, erhöhtes Dachwerk beeinträchtigt wesentlich den Eindruck des Aeußeren. Dies und ebenso die geringen Dimensionen des unvollendeten, versteckt liegenden Gebäudes lassen den Vorüberreisenden nicht erwarten, daß hier einer der edelsten und anmuthreichsten Punkte der deutschen Kunstgeschichte verborgen ist. Gegenwärtig dient der Chor als Kornscheune, die Unterkirche glücklicher Weise zu keinem ökonomischen Bedarf.“

 

 

Zitiert aus:

Ranke / Kugler: Beschreibung und Geschichte der Schloßkirche zu Quedlinburg und der in ihr vorhandenen Alterthümer. Nebst Nachrichten über die St. Wipertikirche bei Quedlinburg, die Kirche zu Kloster Gröningen, die Schloßkirche zu Gernrode, die Kirchen zu Frose, Drübeck, Huyseburg, Conradsburg etc. S. 124-128

Berlin. Verlag George Gropius 1838

 

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