C. P. Lepsius 1839 zur Schlosskapelle der Neuenburg in Freyburg an der Unstrut

 

DIE STADTKIRCHE UND DIE SCHLOSSKAPELLE

ZU FREIBURG AN DER UNSTRUT.

BEARBEITET UND HERAUSGEGEBEN

von Dr. L. PUTTRICH, UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON G. W. GEYSER DEM JÜNGERN, MALER, Mitgliedern des Vorstandes der deutschen Gesellschaft zu Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer zu Leipzig, und mehrerer auswärtigen gelehrten Gesellschaften.

MIT HISTORISCHER UND ARTISTISCHER ERLÄUTERUNG

von C. P. LEPSIUS, Königl. Preuss. Landrath des Naumburger Kreises.

 

Leipzig, gedruckt bei F. A. Brockhaus, auf Kosten des Herausgebers. 1839

 

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Verzeichniss der Abbildungen in der siebenten und achten Lieferung.

 

1) Vignette: Ansicht der Stadt Freiburg, von der Nordseite; gez. v. Sprosse, radirt v. Witthöft.

2) Ansicht der Kirche daselbst, von der Südseite; gez. v. E. Kirchner, lithogr. v. A. Brandt.

3) Ansicht derselben Kirche, von der Nordseite; — das Innere der Vorhalle; — und Details vom südlichen Thurme und vom Chor; gez. v. Sprosse, lithogr. v. Caecilie Brandt.

4) Ansicht der Vorhalle von Aussen; gez. v. Max Hauschild, lith. v. Schlick.

5) Verschiedene Details der Kirche und Basrelief aus derselben; gez. v. M. Hauschild und G. W. Geyser, lith. v. Caecilie Brandt.

6) Grundriss der Kirche und einzelner Theile derselben; gez. v. Marx, lith. v. J. G. Bach.

7) Innere Ansicht der oberen Schlosskapelle zu Freiburg; gez. v. E. Kirchner, lith. v. E. Gerhardt.

8) Grundriss der oberen und unteren Kapelle ; gez. v. Budras, gest. v. J. C. Böhme.

9) Durchschnitt derselben beiden Kapellen und Details aus denselben und von der Kirche; gez. v. C. Schröder, lith. v. C. C. Böhme.

10) Kapitäle aus der oberen Kapelle; gez. v. G. W. Geyser, M. Hauschild, E. Kirchner. lith. v. Caecilie Brandt.

 

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Geschichtliche Einleitung.

 

Hochgefeiert von Zeitgenossen und Nachwelt strahlt unter den edelsten deutschen Fürstenhäusern ihrer vielbewegten Zeit der Name der Landgrafen von Thüringen. Aus altem königlichen Stamm entsprossen 1), durch kaiserliche Gunst emporgehoben, berufen, eine der schönsten Provinzen des Reichs zu verwalten, hatten sie, seit der Niederlassung ihres ehrenwerthen Ahnherrn, des Grafen Ludwig mit dem Barte, am Saume des Thüringer Waldes, sich zu einer solchen Höhe der Macht und des Ansehens emporgeschwungen, dass sie mit den ersten Fürsten des Reiches sich messen konnten, ja der letzte Sprosse des edlen Stammes, der dritte Heinrich, es wagen durfte, seine Augen zur deutschen Königskrone zu erheben und sich dem mächtigen Hohenstaufen Friedrich II. entgegenzustellen.

 

Jahrhunderte gingen seitdem unter häufigen Stürmen an der Asche der Entschlafenen vorüber. Ihre Schöpfungen zerfielen; ihr Gedächtniss — sank wie ihre Grüfte.

 

Lange blieben die Mönche zu Reinhardtsbrunn, in dankbarer Erinnerung der ihnen von den Landgrafen zugeflossenen Wohlthaten, die Bewahrer ihrer irdischen Ueberreste. Feierlich ertönte an den Anniversarien der Hingeschiedenen der Festgesang im Chor der Klosterkirche über ihrer Gruft. Doch auch diese Feier erreichte mit dem gesammten Klosterwesen ihr Ende; der Chorgesang verstumnte, die Mönche zerstreuten sich. Die Klosterkirche, unter so vielen Denkmalen der Landgrafen, die sie sich selbst errichtet hatten, das ehrwürdigste, sank in Trümmern, und von der Kirche, wie von der Fürstengruft, ist längst kein Ueberrest – keine Spur mehr vorhanden.

 

Blicken wir auf ihre Burgen hin - sie stehen verödet. Der Glanz, der in ihren fürstlichen Wohnungen ihre gastlichen Hofhaltungen umstrahlte, ist verblichen, die heiteren Lieder, die zu ihrer Namen Preise hier ertönten, sind verklungen; doch ihrer Namen und Thaten Gedächtniss lebt fort!

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1) Nach der gewöhnlichen Annahme, s. Böttiger, Geschichte des Churstaates und Königreiches Sachsen, Th. I. S. 94.

 

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Es lebt fort, wie in den Jahrbüchern der Geschichte und in Liedern, so in den Ueberlieferungen, die sich an die Ueberreste ihrer Schöpfungen und ihres Waltens, besonders an die von ihnen erbauten Burgen und deren Umgebungen anknüpfen. Zu diesen und unstreitig zu den interessantesten Denkmalen ihrer ehemaligen Herrlichkeit, gehört die einst so berühmte Neueburg – denn dies ist der eigentliche und urkundliche Name jener hoch thronenden Veste, die über dem Städtchen Freiburg, auf dem linken Ufer der Unstrut, nicht fern von der Ausmündung dieses Flusses in die Saale, ihr altersgraues Haupt erhebt 1).

 

Gleich ausgezeichnet durch ihre geschichtliche Bedeutung, wie durch ihre romantische Lage, gehört dieselbe nicht nur — in landschaftlicher Beziehung — zu den schönsten Zierden des so reich ausgestatteten Unstrutthals, sondern auch — als geschichtliches Denkmal — zu den bemerkenswerthesten unter vielen, die an den Ufern der Unstrut unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und durch die Erinnerung an grosse Ereignisse einer fernen Vergangenheit dieser Gegend ein so eigenthümliches Interesse geben 2). Ueberall wandeln wir auf klassischem Boden. Die Schatten längst abgeschiedener Jahrhunderte gehen an unserer Seele vorüber, während unsere Blicke auf den anmuthigen Gestaltungen der Gegenwart verweilen.

 

Das Schloss zu Freiburg gehört zu den wenigen alten Burgen hiesiger Gegend, deren Geschichte wir bis zu ihrem Ursprunge verfolgen können. Es unterliegt nehmlich keinem Zweifel, dass der Graf Ludwig, nach seiner Abkunft der Salier genannt, Ludwig’s des Bärtigen Sohn, den Bau nach dem Jahre 1062 begonnen, und jedenfalls bei seinem Lehen vollendet hat 3).

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1) Nuenburg in lateinischen Urkunden meist novum castrum; zur Unterscheidung von der nahe gelegenen bischöflichen Stadt. Der deutsche Name war beiden gemein, welches bei den Geschichtbeschreibungen zu mehreren Verwechselungen Veranlassung gegeben.

2) Es genügt, an zwei der nächstgelegenen zu erinnern, beide im vormaligen Amte, d. h. Verwaltungs-Bezirke Freiburg gelegen: Burgscheidung und Grossjena. Jenes (Schidingi) die Hofburg der Thüringischen Könige, bis deren letzter, Herrmannfried, nach dem Verluste der Schlacht am nahen Runiberge der Waffengewalt des Austrasischen Königs Theodobert unterlag, er selbst ermordet, das Thüringische Reich zertrümmert und dieses eine Beute der Franken und Sachsen wurde; dieses (Geni, Genea) der Stammsitz des mächtigen Markgrafen Eckard, der, aus uraltem Thüringischen Adel entsprossen, vom Kaiser Otto III. mit Zustimmung des ganzen Volkes zum Herzog von Thüringen erhoben wurde, und nach Otto’s Tode selbst als Kronbewerber aufzutreten wagte, jedoch sein Ziel verfehlte und nach seiner Ermordung zu Pölde, hier in der Gruft seiner Väter beigesetzt wurde. Unfehlbar gehörte die ganze Umgegend von Freiburg früher zu Eckard’s Besitzungen. Sie fiel nach dem unbeerbten Tode seines Sohnes Eckard’s I. (1046), als eröffnetes Lehn an den Kaiser (praediorum suorum haeredem reliquit regem. Hermann. contr. Chron.). Der Umstand, dass bald darauf Ludwig der Salier hier die Neueburg erbaute, lässt nicht bezweifeln, dass Ludwig damals sich im Besitz nicht nur dieses Punktes, sondern der ganzen, durch Eckard’s Tod und das Erlöschen seines Hauses dem Reiche heimgefallenen Herrschaft befand, folglich durch kaiserliche Beleihung dazu gelangt war.

3) Es genüge hier und so weit auf den folgenden Blättern nicht die speciellen Quellen, aus denen der Verfasser schöpfte, nachgewiesen sind, auf die mit fleissiger Benutzung der Quellen ausgearbeitete Schrift des Herra Gabler, Freiburg Stadt und Schloss, nebst ihren Umgebungen, Querfurth 1836 zu verweisen, wo auch die grundlose Behauptung eines neueren Schriftstellers, dass den älteren geschichtlichen Nachrichten und den Sagen, die sich auf unsere Neueburg beziehen, eine Verwechselung dieser mit einer andern, längst verschollenen Burg dieses Namens bei Liebenstein zum Grunde liege, S. 77. genügende Abfertigung findet.

 

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Gleichzeitig, oder doch wenig später, entstand am Fusse des Schlossberges die Stadt, die von den Begünstigungen und Befreiungen, die den Anbauern gewährt wurden, den Namen Freiburg erhielt. Hätte es mit dem, was die Sage von des Kaisers Friedrich’s I. Besuche auf der Neuenburg berichtet, seine volle Richtigkeit, so könnte der Bau nicht früher, als nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts von Ludwig’s I. Enkel, dem vierten Ludwig, vollendet worden sein. Es soll nehmlich, so meldet die Sage, Kaiser Friedrich bei seiner Rückkehr von einem Zuge nach Polen den Landgrafen, seinen Schwager, auf der Neuenburg besucht, deren Lage und den ganzen Bau sehr gelobt, dabei aber sein Befremden darüber geäussert haben, dass die Burg nicht von einer schützenden Mauer umgeben sei. „Die sei leicht herzustellen“, — habe der Landgraf darauf erwiedert — „er getraue sich das in 3 Tagen zu bewerkstelligen.“ Der Kaiser habe dazu gelächelt, Ludwig aber eilig seine Mannen aufgeboten, diese in der dritten Nacht um die Burg aufgestellt , und, als der Kaiser sie am Morgen gesehen, diesem das Geständniss abgewonnen, dass man in der That eine schönere und stärkere Mauer nicht sehen könne.

 

Mit dem Besuche des Kaisers auf der Neuenburg mag es seine Richtigkeit haben 1); wie wäre es aber möglich, dass hundert Jahre nach der Gründung des Schlosses dasselbe noch nicht mit Mauern umgeben gewesen sein sollte? — Dass die Neuenburg bereits bei Ludwig’s II. Leben ausreichend befestigt gewesen, geht aus der erweislichen Thatsache hervor, dass dieselbe in der Fehde Heinrich’s IV. mit den Sachsen und Thüringern (1112 — 15) von beiden Theilen abwechselnd belagert und eingenommen worden.

 

An die Thatsache, dass Ludwig II., wo nicht gewöhnlich, doch häufig, auf der Neuenburg Hof gehalten, knüpft sich die Erzählung von dem Liebesverständniss desselben mit der Pfalzgräfin Adelheid und der Ermordung ihres Gemahls Friedrich’s III., der auf der Weisenburg bei Scheiplitz, ganz in der Nähe von Freiburg, residirte. Ludwig erreichte ein hohes Alter und beschloss seine Tage als Mönch in dem von ihm gestifteten Kloster Reinhardtsbrunn (1125).

 

Sein Sohn Ludwig III. wurde zum Landgrafen von Thüringen erhoben, wodurch auch auf unsere Neuenburg ein grösserer Glanz verbreitet wurde; denn es ist urkundlich nachzuweisen, dass sowohl er selbst, als seine Nachfolger zum öftern auf der Neuenburg Hof gehalten; und von Ludwig IV., genannt der Eiserne, ist gewiss, dass er (im Jahre 1172) hier gestorben, sein Leichnam aber von hier nach Reinhardtsbrunn abgeführt worden 2).

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1) Von einem Besuche Kaiser Friedrich’s auf der Neuenburg im Herbste 1171 zeugt eine von ihm ausgestellte Urkunde d. d. Nuenburg a. i. d. 1171 Indict. IV. V. Kl. Decembris. Unrichtig hat man dieses Datum auf die bischöfliche Stadt Naumburg bezogen; für das Schloss Neuenburg spricht ausser anderen Gründen der Umstand, dass unter den Zeugen nicht nur der Landgraf Ludwig selbst, sondern auch, ultimo loco, Godeboldus, den wir als landgräflichen Burggrafen zu Neuenburg kennen, und zwar ebenfalls mit der Bezeichnung de Nuenburg mit aufgeführt wird. Die Urk. s. in Ludewig Rel. Msp. 1. T. I. p. 12.

2) Um noch im Tode sich der Unterwürfigkeit seiner Vasallen zu versichern, soll er die Anordnung getroffen haben, dass sie seinen Leichnam von der Neuenburg auf ihren Schultern bis nach Reinhardtsbrunn tragen müssen. In nächster Verbindung mit dieser Sage steht diejenige, welche sich auf den noch so genannten Adelsacker bei Freiburg bezieht. Sie deuten zur Genüge den Sinn der ihm beigelegten Benennung des Eisernen und erinnern an die Erzählung von seinem Gespräche mit dem Hufschmidt in der Ruhl. S. Grinm, Deutsche Sagen S. 333.

 

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Er hinterliess zwei Söhne, von denen zunächst Ludwig V., der Milde genannt, ihm in der Regierung nachfolgte. Der Gunst seines Oheims, des Kaisers Friedrich, verdankte er die wichtige Erwerbung der Pfalz Sachsen, die er jedoch noch bei seinem Leben an seinen Bruder Herrmann abtrat, der damals auf der Neuenburg Hof hielt 1), bis er nach Ludwig’s Tode (1190) diesem auch in der landgräflichen Regierung folgte und nun seine Hofhaltung auf die Wartburg verlegte. Er starb im Jahre 1216.

 

Welchen Werth sein Soln und Nachfolger Ludwig VI., genannt der Heilige, auf den Besitz der Neuenburg gelegt, ist aus der Antwort zu entnehmen, die er einem Höflinge ertheilte, als dieser ihn auf die verschwenderische Wohlthätigkeit seiner Gemahlin, der heiligen Elisabeth, aufmerksam machte: „lasst sie doch walten und seid ihr darum nicht gram, wenn mir nur die Neueburg etc. bleibt“ 2). Derselbe unternahm im Jahre 1227 eine Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande, kam aber nur bis nach Otranto, wo er erkrankte und am 11. Septbr. g. J. starb. Er hinterliess einen Sohn, Herrmann II.; da aber dieser bei des Vaters Ableben erst 4 Jahr alt war, unterzog sich sein Oheim Heinrich der Verwaltung des Landes, der auch, als Herrmann kurz nach seinem Regierungsantritt im 17. Jahre starb (1240), ihm in der Regierung folgte. Sein Regierungsantritt fiel in die Zeit der Verwickelungen und Kämpfe zwischen König Friedrich II. und dem römischen Stuhle, deren Opfer er selbst wurde; denn obwohl nahe befreundet mit dem Königlichen Hause und durch Friedrich’s Vertrauen ausgezeichnet, liess er gleichwohl durch die Häupter des Clerus und seinen Ehrgeiz sich verleiten, die von jenem ihm angetragene Krone anzunehmen und, Friedrichen gegenüber, als Gegenkönig aufzutreten. Doch nur zu bald sah er sich in seinen glänzenden Erwartungen getäuscht. Nach der entscheidenden Niederlage bei Ulm zog er sich verwundet auf seine Wartburg zurück, um hier seinen letzten Kampf zu kämpfen. Er vollendete am 16. Februar 1247 und wurde, als der letzte seines Stammes, mit Schild und Helm begraben.

 

Es begann nun der blutige Erbfolgekrieg zwischen Heinrich dem Erlauchten, Markgrafen zu Meissen, und der Herzogin Sophie von Brabant, der grosses Weh über Thüringen verbreitete und nicht früher als im Jahre 1262 beendigt wurde. Freiburg kam nun mit dem grössten Theile der landgräflichen Lande an das Haus Wettin. Seitdem wurde die Neuenburg seltener und nur vorübergehend von den Landesfürsten besucht, und wir finden nicht, dass sie derselben eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben 3)! Die Zeit ihres Glanzes war vorüber und bald traten Ereignisse ein,

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1) „Der Pfalenzgrafe Herrmann von der Nuenburg bi der Unstrut“, so bezeichnet ihn der Dichter Heinrich von Veldeck am Schlusse seines Gedichts: „Die Eneit“, wo er erzählt, dass ihm bemeldetes Gedicht vor längerer Zeit entwendet worden, er aber dasselbe durch Vermittelung des Landgrafen und aus dessen Händen auf der Neuenburg wieder erhalten habe, allwo auch dieses Gedicht vollendet worden. Seine Verehrung des deutschen Helden- und Minnegesanges begleitete ihn auch auf die Wartburg, wo an dem Wetteifer der dort versammelten Dichter sich der vielbesprochene poetische Wartburgkrieg entzündete.

2) S. die Lebensbeschr. der heil. Elisabeth bei Menk II. p. 2069.

— vnd lasset sy damit walden
bis das (so lange als) wir dy Newenburg behalden.

3) Dass Markgraf Heinrich im Laufe des Erbfolgekrieges zum öftern auf der Neuenburg verweilte, ist aus mehreren von ihm hier ausgestellten Urkunden zu ersehen.

 

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die sie dem gänzlichen Ruin und Untergange nahe brachten. Sie wurden herbeigeführt durch den unseligen Zwist, der sich zwischen dem Landgrafen Albrecht, genannt der Ausgeartete, und dessen Söhnen, Friedrich und Dietzmann entspann, und durch die daraus hervorgegangene landverderbliche Fehde zwischen letzterem und dem König Adolph über den Besitz von Thüringen.

 

Der Markgraf Friedrich hielt die Neueburg besetzt, als im Jahre 1298 Adolph mit einem mächtigen Heer in Thüringen einfiel und über Eisleben nach der Saale vordrang. Freiburg, die Stadt, wurde nach kurzem Widerstande eingenommen. Die Burg hielt sich länger, aber die muthvolle Gegenwehr der Besatzung hatte keinen anderen Erfolg, als dass die Belagerer dadurch erbittert wurden und ihre Anstrengungen verdoppelten; sie wurde, wie vorher die Stadt, mit Sturm genommen und gleich jener grösstentheils eingeäschert. Letztere soll bald darauf, und zwar schöner und regelmässiger als vorher, wieder aufgebaut worden sein. Durch wen die Burg wieder hergestellt worden, ist nicht zu bestimmen; denn obgleich im Jahre 1310 Friedrich durch den Kaiser Heinrich VII. im Besitz seiner Erblande bestätigt wurde, so konnte er doch nicht gleichzeitig zum Besitz der Neuenburg gelangen, weil der Bischof zu Merseburg, in Folge eines vom Landgrafen Albrecht im Jahre 1292 ihm daran eingeräumten Pfandrechtes, dieselbe besetzt hielt. Dass im Jahre 1304 Heinrich, Markgraf in Brandenburg, auf die Neuenburg gleiche Rechte, wie auf die Herrschaft Landsberg geltend machte, diese Burg auch wirklich in Besitz hatte, und damals dort verweilte, geht aus einer noch unedirten Urkunde desselben hervor, durch welche er zu Gunsten des Bischofs Bruno zu Naumburg allen Ansprüchen auf die Naumburger Aue entsagt 1). Friedrich starb im Jahre 1324. Erst seinem Sohne Friedrich II., genannt der Ernsthafte, gelang es im Jahre 1332 mit Vergünstigung Kaiser Ludwig’s V. mit gewaffneter Hand sich derselben zu bemächtigen, weil des Bischofs Burgvogt, Bernhardt von Schraplau, vom Schlosse aus Weglagerung getrieben hatte, und bei Gelegenheit eines gegen polnische Kaufleute verübten Frevels ein Geheimschreiber des Königs von Polen ermordet worden war 2).

 

Wenig Bemerkenswerthes ist von unserer Neuenburg aus der Folgezeit zu berichten. Es scheint jedoch, dass dieselbe wenigstens in einem wohnlichen Zustande unterhalten worden, wie daraus abzunehmen, dass im Jahre 1447 und wieder im Jahre 1457 Herzog Wilhelm sich hierher begab, um den Verhandlungen wegen Beendigung des Bruderkrieges, die durch Vermittelung der beiderseitigen Landstände im St. Georgen-Kloster zu Naumburg gehalten wurden, nahe zu sein, so wie, dass im Jahre 1525 Herzog Georg der Bärtige sein Hoflager für einige Zeit hierher verlegte, um während des Bauernkrieges hier, in der Nähe des blutigen Schauplatzes der Begebenheiten, den Gang derselben genauer beobachten und seine Dispositionen darnach treffen zu können.

 

Während des Schmalkaldischen Krieges hielt Herzog Moritz das Schloss besetzt. Ein feindlicher Ueberfall, der im Jahre 1547 von Naumburg aus auf gutes Glück unternommen wurde, scheiterte an

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1) Er führt in der Urkunde den Titel: Brandenburgensis et de Landsberg Marchio. Das Datum lautet: act. et dat. In Novo Castro ao. Dni. 1304 feria III. post dominicam qua cantatur Quasimodogeniti. - Dieses noch sehr in Dunkel gehüllte Verhältniss konnte nur berührt werden.

2) Chron Misn. in Ludewig Rel. VIII. S. 255. Noch in demselben Jahre wurde die Sache zwischen dem Landgrafen und dem Bischof Gebhard zu Merseburg von Grund aus verglichen. Davon zeugt der von Ersterem ausgestellte Sühnebrief d. d. zu der nauenburg p. am tage vor Sante Michaelis-Tage, der im Archive des Domcapitels zu Merseburg noch aufbewahrt wird.

 

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der Wachsamkeit der Besatzung und wurde zurückgeschlagen. Von Moritz’s Nachfolger, dem um der Verwaltung des Landes hochverdienten Churfürsten August, der vor seinem Regierungsantritte eine Zeit lang zu Weissenfels residirte, finden wir, dass er die Neueburg zum öftern besucht habe, so wie auch eine in einem Saale des Schlosses angebrachte Inschrift sein und seiner Gemahlin Anna gesegnetes Gedächtniss feiert. Von dem Interesse, das er an der Erhaltung der verfallenden Schlossgebäude nahm, zeugen die von ihm in dieser Absicht getroffenen Anordnungen.

 

Während unter den folgenden Regierungen, namentlich im Laufe des dreissigjährigen Krieges, für die Erhaltung der Schlossgebäude nichts geschah, ging die Neueburg ihrem gänzlichen Verfall entgegen und dieser würde vielleicht erfolgt sein, wenn nicht nach dem Tode des Churfürsten Johann Georg I. der günstige Umstand eingetreten wäre, dass der Prinz August, zu dessen Landestheile das Amt Freiburg geschlagen wurde, seine Residenz zu Weissenfels nahm, welches zur Folge hatte, dass nach dem Umbau des alten Weissenfelser Schlosses auch auf die Wiederherstellung der verfallenen Neuenburg Bedacht genommen wurde, um diese für den Herzog zu einem Lust- und Jagdschlosse einzurichten. Auch der Schlosskapelle widmete er seine besondere Aufmerksamkeit, indem er dieselbe zum evangelisch kirchlichen Gebrauch einrichten liess und sie der heiligen Dreieinigkeit weihte.

 

Dem Herzog August folgte dessen Sohn Johann Adolph I., diesem dessen ältester Sohn Johann Georg, der an der Lage des Freiburger Schlosses so grosses Wohlgefallen fand, dass er dasselbe zu seinem beständigen Sommeraufenthalte erkohr. Von dem grossen Interesse, das er an dessen Erhaltung nahm, zeugt die Inschrift, die er im inneren Schlosshofe mit goldenen Lettern anbringen liess, in welcher er ausser dem Gedächtniss des Gründers der Burg, zugleich die Verdienste seiner nächsten Vorfahren um deren Wiederherstellung, Erweiterung und Erhaltung feierte.

 

Die Schlosskapelle liess er herrlich ausschmücken; er beschenkte dieselbe mit einem silbernen Crucifix, dergleichen Leuchtern und kostbaren Bekleidungen, und am 16. September 1704 wurde dieselbe unter Kanonendonner feierlich eingeweiht.

 

Ihm folgte in der Regierung von den 3 Söhnen Johann Adolph’s I. der zweite, Christian, diesem der dritte, Johann Adolph II., mit welchem diese Linie des Wettinisch-Sächsischen Hauses erlosch, daher mit dem gesammten Landestheile derselben auch Freiburg — Schloss, Stadt und Amt — an das Churhaus zurückfiel. Seitdem ging nun abermals das Schloss seinem Verfall entgegen, da bei der entfernten Residenz der Landesfürsten dieselben an dieser Besitzung kein Interesse nahmen. Auch wurde sie von keinem derselben betreten, bis zum Jahr 1793, wo der höchstselige König Friedrich August hier einsprach, um von hier aus die an der schiffbar gemachten Unstrut angelegten Schleussen in Augenschein zu nehmen.

 

Mit ihm schliesst sich die lange Reihe der Landgrafen Wettinischen Stammes, welche diese alte landgräfliche Veste zu ihren Besitzungen zählten, indem dieselbe durch den Wiener Frieden mit dem gesammten Clursächsischen Antheile an dem ehemaligen landgräflichen Gebiete, an die Krone Preussen überging. Mehrere Jahre vorher schon war unsere Neueburg von Seiner Majestät, dem jetzt regierenden Landesherren, seiner Aufmerksamkeit gewürdigt, ja sogar durch einen persönlichen Besuch ausgezeichnet worden: im Herbste 1806 nehmlich, am 30. September, als Allerhöchst-Dieselben, zugleich mit der höchstseligen Königinn, Marie Louise‚ und des Herzogs Carl von Mecklenburg Durchlaucht von

 

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Naumburg aus sich hierher begaben, um die alterthümliche Veste und, von hier aus, die umgebende anmuthige Landschaft in Augenschein zu nehmen.

 

Wie nun die Absicht Seiner Majestät, dass die geschichtlich merkwürdigen und beachtenswerthen Denkmale der Vorzeit geschont und erhalten werden sollen, sich längst durch die dahin abzweckenden, allgemeinen Anordnungen ausgesprochen, so sehen nun alle, die an der Erhaltung der alten landgräflichen Hofburg patriotischen Antheil nehmen, vertrauensvoll den weiteren Verfügungen entgegen, welche zur Sicherung derselben vor gänzlichem Verfall ergehen werden.

 

Diese wenigen Andeutungen werden genügen, zunächst das geschichtliche Interesse der, in den vorliegenden Blättern dargestellten beiden Denkmale zu bezeichnen, die unter den wenigen, die aus der Zeit ihrer Entstehung (Sec. XI. XII.) in unserer Gegend sich erhalten haben, zu den bemerkenswerthesten gehören.

 

Fassen wir dieselben jetzt näher ins Auge und weilen wir in dieser Absicht zunächst bei der wenigstens theilweise, wohlerhaltenen

 

Schloss-Kapelle.

 

Dieselbe besteht aus zwei Geschossen, oder vielmehr zwei Kapellen über einander, welche durch eine Oeffnung im Fussboden der oberen in Verbindung stehen 1). Dergleichen Anlagen, die man neuerlich als Doppelkapellen bezeichnet hat, kommen nicht eben häufig und wohl nur da vor, wo der beschränkte Raum nicht gestattete, der Kapelle ausreichende Ausdehnung zu geben, um sämmtliche Burgbewohner zu fassen 2). Man ergriff daher den Ausweg, zwei Kapellen übereinander zu erbauen und beide durch eine Oeffnung zu verbinden, so dass die obere für die Herrschaft und die zu deren näherer Umgebung gehörenden Personen geschlossen blieb, in der unteren aber die geringeren Dienstleute etc. sich versammelten. Das Kapellgebäude auf dem Schlosse Freiburg steht gegen Mittag mit den Gebäuden des Schlosses in Verbindung, und zwar so, dass man zu beiden Kapellen jetzt nur durch das anstossende Gebäude gelangt. Diese Eingänge sind jedoch in weit späterer Zeit erst eingebrochen, und führen auf die Frage: wie es ursprünglich mit den Zugängen beschaffen gewesen? worauf wir sogleich zurückkommen werden. Von aussen fällt der ganze Bau wenig ins Auge; doch wird der Kundige bei dem Anblick der einfachen Mauer auf der Mitternachtseite mit der leistenähnlichen Einfassung der wenig vertieften Mauerflächen, die unter dem Dachgesims eine Reihe halbrunder Bogen bildet, denjenigen Baustyl, den wir hier ohne nähere Bezeichnung den älteren nennen wollen 3), nicht verkennen,

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1) s. Bl. 8. wo links der Grundriss der untern, rechts der Grundriss der obern Kapelle zu sehen ist, und Bl. 9.

2) Stieglitz Beiträge zur Geschichte der Ausbildung der Baukunst Thl. II. S. 77. Derselbe über die Doppelkapelle in der Burg zu Landsberg, im Bericht der deutschen Gesellschaft zu Leipzig v. J. 1831. S. 83. Ueber die Doppelkapelle zu Eger s. Berlin. Kunstblatt v. J. 1828. S. 208. Ueber die zu Freiburg, wovon früher schon im dritten Jahresbericht des Thüring. Sächs. Vereins für Alterthumsforschung (1823) einige Nachrichten von mir mitgetheilt wurden, welche dem, was Stieglitz in der oben benannten Schrift darüber mittheilt zum Grunde liegen. (Kugler) Museum, Blätter für bildende Kunst. Berlin 1834. No. 19. u. ff.

3) Wir verstehen darunter den sogenannten byzantinischen Baustyl, der von anderen der romanische, auch der lombardische, von den Britten der sächsische, auch der normannische, und von denen, welche den des späteren Mittelalters ganz willkürlich als den gothischen bezeichnen, eben so willkürlich der vorgothische genannt wird. Unfehlbar stammte derselbe aus Italien, von wo er, wie alle christliche Cultur, durch Vermittelung der Franken sich nach dem Norden und Osten von Deutschland verbreitete. Bei den Franken erhielt er seine eigenthümliche Gestaltung und höchste Ausbildung, daher derselbe am richtigsten wohl als der romanisch-frankische bezeichnet werden möchte. Am längsten blühte er am Rhein. Der spätere oder sogenannte gothische Baustyl, der ohne zureichenden Grund auch der deutsche, von Stieglitz aber der romantische genannt wird, möge daher in diesen Blättern im Gegensatz jenes früheren, als der spätere bezeichnet werden. Beachtenswerthe Bemerkungen über das Unangemessene der Benennung byzantinisch, als Bezeichnung des frühern Baustyles s. in der Schrift von Rumohr, über die Bauschulen des Mittelalters S. 50.

 

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durch die ziemlich breiten, im Spitzbogen überwölbten, Fenster des oberen Stocks sich nicht irren lassen, da nicht zu verkennen, dass diese erst in späterer Zeit, um der Kapelle mehr Licht zu geben, eingebrochen worden, wie dieses oft geschehen.

 

Die Grundform der Kapelle bildet ein verlängertes Viereck 1). Die untere Kapelle (A. bis H.) wird durch einen starken Scheidhogen D. E., der auf weit vorspringenden Mauerpfeilern und daran aufgerichteten Säulen ruht, in zwei Theile getheilt. Der vordere, westliche, F. G. H., ist mit einer Balkendecke bedeckt, in welcher sich die, beide Kapellen verbindende, Oeffnung befindet. Im hinteren Theile der Kapelle, A. bis E., der sich über den vorderen um eine Stufe erhebt, ruht auf vier freistehenden Ecksäulen ein einfaches Krenzgewölbe. Hart an der auf der Westseite der Kapelle schliessenden Mauer I. stehen zwei Säulen aufgerichtet, so dass der Raum zwischen beiden zu ihrer Entfernung von den Seitenmauern sich wie 2 zu 1 verhält. Auf derselben ruhen drei im Halbkreis gebildete Bogen, deren mittelster sich im Verhältniss seiner grösseren Spannung über die Seitenbogen erhebt 2). Diese Säulen- und Bogenstellung, hier an der Schlussmauer der Kapelle, erscheint durch nichts motivirt, und leitet daher auf die Vermuthung, dass die Kapelle sich auf dieser Seite weiter ausdehnte 3), wodurch sich auch das Räthsel löst, wo der ursprüngliche Eingang zu suchen? Unstreitig auf der Westseite, so wie auch solchenfalls zu vermuthen, dass in diesem westlichen Theile des Gebäudes eine Treppe nach der oberen Kapelle führte.

 

Sämmtliche Säulen entsprechen dem Zeitalter ihrer muthmasslichen Entstehung, namentlich in der blätterähnlichen Verzierung an den Basen über der Ecke des Plinthus 4) und der ziemlich steif und trocken ausgeführten Verzierung der Kapitäle. Besonders bemerkenswerth erscheint an den Deckplatten die in mehreren Reihen über einander aus abwechselnd vor- und zurücktretenden kleinen Quadraten gebildete Verzierung, die sich auch an der Aussenseite der unteren Kapelle, hier als Fries, wiederholt 5).

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1) s. Bl. 8.

2) s. Bl. 9.

3) s. Bl. 8. K. L. Z.

4) s. Bl. 8. N. — Wetter in seiner schätzbaren Beschreibung des Domes zu Mainz stellt S. 26. die Behauptung auf, dass die hier bezeichnete Verzierung des Säulenfusses nur in dem Zeitraume von 1160 bis 1225 vor- komme. Mit der Jetzteren Zahl mag es seine Richtigkeit haben, nicht aber mit der ersteren. Es fehlt nicht an Denkmalen aus weit früherer Zeit, welche diese Behauptung widerlegen; dahin gehören die Aureliuskirche zu Hirschau, eingeweiht 1071 (Anzeiger zur Kunde der deutschen Vorzeit III. S. 103.), die Stifts- und Klosterkirchen zu Naumburg, Memleben, Paulinzelle, St. Georg und St. Martin zu Cöln, der Taufstein zu Unkel, und and. die mit Grund für die Ueberreste aus dem 11. Jahrhundert gelten.

5) s. Bl. 9, wo drei Kapitäle abgebildet sind. — Gleichartige Verzierung, theils am Kämpfergesimse, theils auf Wandleisten in wagerechter und lothrechter Richtung in den ehemaligen Klosterkirchen St. Peter zu Erfurt und Paulinzelle. s. Stieglitz S. 76, ingleichen an einem Säulen-Kapitäl am ältesten Theile der Stiftskirche zu Wetzlar, wovon Herr von Lassaulx in der interessanten Schrift über die Kapelle zu Kobern Bl. 2. No. XIX. eine Abbildung gegeben. — Auch im Innern der Trebenkirche bei Weissenfels findet diese Würfelverzierung: s. Abth. I. Lief. 3. u. 4. Bl. 9. der vorliegenden „Denkmale d. Baukunst des Mittelalters in Sachsen“.

 

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Die obere Kapelle ist mit einem vierfachen Krenzgewölbe bedeckt, dem in der Mitte der Kapelle ein Pfeiler, bestehend aus einem vierseitigen Kern, über Eck gestellt, in Verbindung mit vier an der Mitte der vier Seiten sich anschliessenden Säulen, zum Träger dient 1). Gleichförmige Säulen von gleichen Dimensionen erheben sich freistehend in den vier Ecken und an der Mitte der Wände, mit Ausnahme der östlichen, wo über dem angebauten Altar die hier fehlende Säule durch einen Kragstein vertreten wird 2). Sämmtliche Säulen in der oberen Kapelle bestehen aus schwarzem Kiesel-Schiefer 3). Die aus der Rundung über dem Schaftring in den Würfel übergehenden Kapitäle sind mit Laubwerk arabeskenartig verziert, und an den Ecksäulen kommen Thiergestalten in wunderlichen Stellungen vor 4). Fassen wir den Mittelpfeiler näher ins Auge, so bemerken wir, dass nicht nur die vier Seiten des Decksteines, sondern auch die sichtbaren zwei Seiten jedes Säulenknaufes in dem Detail ihrer Verzierungen sich völlig verschieden und doch so gestalten, dass die Verzierungen in den umbiegenden Ecken ganz ungezwungen in einander übergehen 5).

 

Endlich ist noch der merkwürdigen Form der Hauptzurte zu gedenken, welche gleich allen übrigen Bögen im Halbkreise construirt sind. Es zerfällt nehmlich die Bogenlinie jedes Gurtes in eine Anzahl kleiner Halbzirkel, die an den zusammenstossenden abgestumpften Spitzen mit kleinen Rundstäben versehen sind und diesen Gurten ein sonderbar krauses Ansehen geben 6). Es ist uns kein Beispiel ganz ähnlicher Gestaltung vorgekommen. Die Schlusssteine verlängern sich nach unten in herabhängende Kugeln 7).

 

Ueber den Erbauer und die Zeit der Erbauung unserer Kapelle fehlen urkundliche und sonst beglaubte Nachrichten gänzlich; denn wenn Vulpius in seiner Schrift über Ludwig den Springer 8) beiläufig bemerkt, dass dieselbe von dem Landgrafen Ludwig VI. (dem Heiligen, 1228) erbaut worden, so kann, bei der Unzuverlässigkeit dieses Schriftstellers, dessen Autorität den Mangel näherer Nachweisung nicht ersetzen. Als unbezweifelt ist anzunehmen, dass, um den religiösen Bedürfnissen zu genügen, gleichzeitig mit der Gründung der Burg auch auf die Anlage einer Kapelle Bedacht genommen wurde. Dürften wir annehmen, dass wir in dem vorhandenen noch den ursprünglichen Bau erblicken, so würde sich derselbe aus dem letzten Drittheile des 11. Jahrhunderts datiren, und dieses scheint in Betreff der unteren Kapelle nicht zweifelhaft, da in derselben mehrere Eigenthümlichkeiten sich vereinigen, welche den Baustyl jener Zeit bezeichnen. Nicht dasselbe lässt sich von der oberen Kapelle behaupten. Hier erblicken wir in den reicheren Verzierungen der Säulen-Kapitäle und Aufsätze weit mehr Zeichnung und viel freieren Schwung, woraus auf eine spätere Zeit der Entstehung zu schliessen; daher, was Vulpius von der Erbauung der Kapelle durch den Landgrafen Ludwig VI.

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1) s. Bl. 7. und 9. und Bl. 8. M. N.

2) s. Bl. 7. und 10.

3) Die Kapitäle sind reich vergoldet; ob aber diese Vergoldung ursprünglich vorhanden war, oder einer späteren Ausschmückung angehört, möchte nicht zu entscheiden sein.

4) s. Bl. 7. u. 10.

5) Bl. 9. w. z. Und Bl. 10.

6) s. B. 7. 8. M. und 9.

7) s. Bl. 7. und 9.

8) Ludovicus desiliens etc. c. XXVI. S. 36.

 

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meldet, doch vielleicht auf gutem Grunde beruhen, aber nur auf die obere Kapelle zu beziehen sein möchte 1).

 

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1) Zur Vergleichung genüge es, auf die Säulen-Kapitäle in der St. Pantaleonskirche zu Cöln (bei Boisserée fol. 30.) zu verweisen, wo auch einige Vogelgestaltungen in Stellungen vorkommen, die bei dem ersten Blicke an die oben erwähnten in unserer Kapelle erinnern.

 

 

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C. P. Lepsius

 

 

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Nachschrift des Herausgebers.

 

Der Nahme des, durch seine Schriften bereits als gründlicher Geschichtsforscher und als Kenner altdeutscher Kunst bewährten Verfassers der vorstehenden historischen und artistischen Bemerkungen über die beiden mittelalterlichen Bauwerke Freiburg’s lässt schon erwarten, dass hierin Alles erschöpft worden sey, was als vorzüglich bemerkenswerth über diese Bauwerke zu erwähnen war. Meine nachträglichen Zusätze werden sich daher nur auf eine nähere Erklärung einiger von mir gegebenen Abbildungen beschränken.

 

Titel-Vignette. Freiburg bildet den eigentlichen Schlusspunkt des unter dem Namen der goldenen Aue bekannten, dem Laufe der Unstrut folgenden, weiten Wiesenthales, welches in unserem schönen Thüringerlande eine der fruchtbarsten und lieblichsten Gegenden bildet. Dieses Thal zieht sich von Memleben aus, welches im Mittelpunkte der goldenen Aue liegt, ostwärts über Laucha, Nebra, Burgscheidungen, bis Freiburg herab, und wendet sich mit der darin sich hinschlängelnden Unstrut dann südwärts, indem es hier in das weite Thal ausmündet, in welchem die Saale südwestlich herabströmt, und worin Naumburg liegt. - Ich führe den Beschauer auf den Standpunkt am Fusse der nordwärts von der Stadt Freiburg gelegenen Weinberge, von wo aus die Ansicht genommen ist, welche die Vignette darstellt, und zeige ihm von hier aus den schönsten (südlichen) Theil der reizenden Umgegend; denn um ein vollständiges Panorama von der herrlichen Umgebung, würde es noch mehrerer Ansichten bedürfen! - Man erblickt hier im Vorgrunde die zum Theil noch erhaltene alte Stadtmauer mit ihren Zinnen und einem ihrer Eckthürme, hinter welcher sich die Gebäude der freundlichen Stadt erheben. In der letzteren Mitte zeichnet sich das Rathhaus aus; über ihm ragt die ehrwürdige Stadtkirche mit ihren drei Thürmen empor. Weiterhin zur Linken erhebt sich der steile stattliche Schlossberg, dessen kahle Wände, nur durch einige Weinberge und Baumgruppen oder Alleen unterbrochen, einen angenehmen Contrast mit dem üppigen Grün des Thales und der die

 

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Stadt umgebenden Gärten bilden. Den Gipfel dieses Berges schmückt das alterthümliche Schloss, die weitläufige Behausung der ehemaligen Herrscher, und der, in geraumer Entfernung davon stehende, Wachthurm Ein steiler Pfad schlängelt sich aus der Stadt bis zum Schlosse hinan. Da wo dieser Pfad anhebt, steht jetzt das neuerbaute geschmackvolle Haus des alten Jahn, der wegen seiner Wirksamkeit bei Erhebung Deutschlands zum Kampfe gegen Frankreich als damaliger Professor in Berlin sich berühmt gemacht hat. — Zur Rechten, im Mittelgrunde, glänzt die so sanft dahin gleitende Unstrut, welche sich dann südöstlich wendet und sich mit der Saale vereiniget, deren Spiegel mehr nach dem Hintergrunde zum Vorschein kommt. — In weiterer Ferne breitet sich die Stadt Naumburg aus, deren dreithüriger Dom, hochhervortretende Stadtkirche, und schlichte Moritzkirche den Blick auf sich ziehen. — Den Horizont schliessen die dahintergelegenen, allmählig sich erhebenden Höhen, welche mit den von Kösen über Schulpforte und dem Dorfe Altenburg sich herabziehenden Bergen eine fortlaufende Kette bilden. — Dem Schlossberge gegenüber, auf dem rechten Ufer der Unstrut, unmittelbar hinter dem Dorfe, dessen zweispitzigen Kirchturm man am Rande der Titelvignette erblickt, erhebt sich ein mit dem Schlossberge gleich hoher Berg (er konnte wegen des, den Regeln der Perspective gemäss zu beschränkenden Gesichtskreises nicht auf der Vignette dargestellt werden), der in der Form eines abgestumpften Dreieckes dem Laufe der Unstrut nach Westen, und der Saale nach Südwesten folgt. — Von demselben Standpunkte aus, wo obige Ansicht entnommen ist, gewähren die, oberhall der Stadt Freiburg gelegenen Ufer der Unstrut, westwärts zu, einen höchst malerischen Anblick; allein sie konnten aus dem obenangegebenen Grunde auf der Vignette nicht mit abgebildet werden.

 

In Betreff der Abbildungen der Schlosskapelle, Nr. 7. 8. 9. 10., ist Folgendes noch zu erwähnen: Das Innere der oberen Kapelle ist durch höchst geschmacklos verzierte Emporen und durch verschiedenes hölzernes Schnitzwerk am Altar u. s. w., welche jedenfalls der, im Anfange des vorigen Jahrhunderts unternommenen Ausschmückung (vergl. S. 6.) ihre Entstehung verdanken, verunstaltet. Ihre frühere einfache Form ist auf Bl. 7. dargestellt worden; der auf dieser inneren Ansicht abgebildete Altar in gothischem Geschmack, die beiden Wappen an der Wand zu dessen Seite, und die Ampel, sind eine Zugabe des Zeichners. — Um diese Kapelle herum läuft an den Umfassungsmauern hin eine, etwa eine Elle hohe steinerne Erhöhung, auf welcher die an diesen Mauern stehenden Säulen ohne weiteren Untersatz ruhen; dagegen steht die in der Mitte der Kapelle befindliche Gruppe von vier Säulen auf einem Würfel. An der schön verzierten Deckplatte dieser Säulengruppe auf der Westseite ist in der Mitte ein jugendlicher Menschenkopf angebracht 1); ein anderer Kopf, der jedoch eine thierähnliche Gestalt hat, ist unter jenem zwischen den Säulen dargestellt 2). Auf den anderen Seiten dieser Säulengruppe fehlen dergleichen Köpfe 3). Die Kapitäle der einzelnen Säulen dieser Kapelle stellen inmitten der arabeskenartigen Verschlingungen, welche die grösste Mannigfaltigkeit und einen veredelten Geschmack bekunden, verschiedene Thiergestalten dar; so zeigt ein Kapitäl auf Bl. 10, (oben das mittelste) zwei Kraniche, — ein anderes (links neben der Säulengruppe) ein Thier, das in den Wulst unter dem Kapitäl beisst, — ein drittes (rechts diesem gegenüber) einen Habicht, der einen Hasen am Kopfe niederhält, — ein viertes (unten das mittelste) einen Löwen —

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1) s. Bl. 10. und Bl. 8 bei M.

2) s. Bl. 7. und Bl. 8. N.

3) s. Bl. 9. w. z.

 

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und ein fünftes (links daneben) ebenfalls zwei Kraniche. — Was die, an den Hauptgurten der Gewölbe befindliche zackenförmige Ausschmückung betrifft (vergl. 8. 9.), welche der oberen Kapelle einen fast orientalischen Charakter giebt, so findet sich diese in ganz gleicher Weise nur im arabischen Baustyl 1) nahmentlich im Alcazar zu Sevilla, in der Kathedrale zu Cordova, der Alhambra zu Granada. Es scheint jedoch diese Verzierung, obgleich mit verschiedenen Abänderungen, welche der Geschmack der späteren Zeit herbeiführte, auch in Frankreich und England Eingang gefunden zu haben, wo wir sie, auf mehr oder minder ähnliche Weise angewendet, in den Kirchen zu Autun, Harfleurs, Lichfield, in Roslyn-Kapelle, Heinrich’s VII. Kapelle zu Westminster sehen 2). Ein Beispiel ähnlicher Verzierung finden wir aber auch noch in unserer Umgegend, nämlich im inneren Chore des Domes zu Bamberg. Unter dem hohen Chore befindet sich nämlich eine Crypta, deren hohe Fensteröffnungen theils nach dem Schiffe der Kirche, theils nach dem, auf der Süd- und Nordseite um den Chor herumgehenden Umgange zu gehen; die Wölbungen dieser Fensteröffnungen sind ebenfalls mit einer zackenförmigen Verzierung versehen. — Endlich ist noch zu erwähnen, dass der Durchschnitt der oberen und unteren Kapelle auf Bl. 9. nach der Linie B. C. P. Q. des Grundrisses Bl. 8. genommen ist, und so, dass man nach dem westlichen Theile derselben, also nach K. L. Z. hin sieht.

 

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Dr. L. Puttrich.

 

 

Quelle:

Ludwig Puttrich: Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen.: Zweite Abteilung. Erster Band.

Die Stadtkirche und die Schlosskapelle zu Freiburg an der Unstrut. Bearbeitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich unter besonderer Mitwirkung von G. W. Geyser dem Jüngeren, Maler. Mit historischer und artistischer Erläuterung von Carl Peter Lepsius. F. A. Brockhaus, Leipzig 1839