E. Wackenroder: Das heilige Grab in der Stiftskirche zu Gernrode

Das heilige Grab in der Stiftskirche zu Gernrode.

 

Inaugural - Dissertation

zur

Erlangung der Doktorwürde

bei der

hohen philosophischen Fakultät

der

Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg.

Vorgelegt von

Ernst Wackenroder

aus Uelzen

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Halle a. S.

1907.

 

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Referent: Professor Dr. Adolph Goldschmidt.

 

 

Die Arbeit erscheint mit Abbildungen im Buchhandel.

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Inhalt.                                                                             Seite

Einleitung: Allgemeine Beschreibung des heutigen Zustandes des heiligen Grabes in der Stiftskirche zu Gernrode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5—10

I. Teil. Bauperioden und Rekonstruktionen. Beziehung zum hl. Grabe in Jerusalem. . . . . . . . . . . 10—28

II. Teil. Die Skulpturen am hl. Grabe in Gernrode.

a) die Stuckskulpturen:·Ikonographie, Stil und Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28—34

b) die Steinskulpturen: Beschreibung, Ergänzung, Stil.

Inhaltliche Vorbilder in Italien. Versuch einer Deutung des Türfrieses der Westseite . . . . . . . . . . 34—40

III. Teil. Stilistischer Einfluß Italiens auf Sachsen zu Anfang des XII. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 40—49

IV. Teil. Datierung der drei Bauperioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49—55

V. Teil. Fußboden und Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   55—60

 

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Allgemeine Beschreibung.

In der Stiftskirche St. Cyriaci zu Gernrode befindet sich ein zweiräumiger Einbau, der als „heiliges Grab“ gedient hat und die östliche Hälfte des südlichen Seitenschiffs ausfüllt. Dieser Einbau, an dem ganz offenbar in früher und später Zeit mehrfach Veränderungen vorgenommen sind, ist häufig beschrieben und abgebildet 1).

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Puttrich entscheidet nicht, ob der westliche Teil davon Bußkapelle, wie er jetzt meist bezeichnet wird, oder Gerokapelle, oder Grabkapelle Hedwig I. 2), oder sonstwie zu benennen ist. Doch nimmt er als sicher an, daß dieser Teil später wenigstens als heiliges Grab diente. Die im Innern auch zur Zeit Puttrichs schon nicht mehr an ihrem Ort befindlichen Skulpturfragmente: eine Gruppe die drei Frauen am Grabe und ein Engel, der ein auf die Auferstehung bezügliches Schriftband in der Hand hält, gaben ihm die unmittelbare Veranlassung dazu. Puttrichs Annahme stützt sich ferner darauf, daß der Einbau im XVI. Jahrhundert von dem Gernroder Prediger Andreas

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1) L. Puttrich, Denkmale der Baukunst des Mittelalters in den Herzoglich Anhaltischen Landen, 1841, S. 39—45. — E. F. Ranke und F. Kugler, Beschreibung und Geschichte der Schloßkirche zu Quedlinburg, 1838, S. 109, ff. Wiederholt in F. Kugler, Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, 1853, I. 604.—O. v. Heinemann, Geschichte der Abtei und Beschreibung der Stiftskirche zu Gernrode 2. Aufl. 1877. — Desgl. in Zeitschrift des Harzvereins, 1877. -- F. Maurer, Zeitschrift für Bauwesen, 1888, Heft IV, S. 179—194. Als Sonderdruck: Romanische Bauten in Anhalt, 1888. — Büttner Pfänner zu Thal, Anhalts Bau- und Kunstdenkmäler, 1892, S. 30. — Th. Kutschmann, Romanische Baukunst und Ornamentik in Sachsen, I., 1902. Photographieen: Kgl. Meßbildanstalt in Berlin, Schinkelplatz 6. Apotheker E. Kliche, Quedlinburg. Photographieenwerk: C. Schäfer, Bauornamente der romanischen und gotischen Zeit, 1903.

2) Erste Aebtissin (959—1014) des Benediktiner-Nonnenklosters zu Gernrode.

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Popperod 1) in seinen Annalen ausdrücklich als „Sepulcrum Domini nostri“ bezeichnet wird. Wegen des Zusatzes „apud Capellam S. Aegidii“ nannte Puttrich den östlichen Teil des Einbaus „Kapelle des heiligen Ägidius.“ Dem schließt sich von Heinemann an und nimmt ebenfalls mit Recht an, daß es sich ums ein heiliges Grab handelt.

Kugler fand 1838 die nach dem Schiff zu gelegene Nordseite durch Gestühl ganz verbaut und den östlichen Raum, die sog. Kapelle des heiligen Ägidius, in eine Grabkammer umgewandelt. Diesen Raum muß man als ersten zunächst betreten, um in den zweiten, westlich daneben liegenden Raum zu gelangen. Die westliche Aussenseite dieses zweiten Raumes war auch ganz verdeckt, da auch westlich an den Einbau Grabkammern angrenzten. Die Ostseite bildete, wie heute auch noch, die westliche Mauer des südlichen Querschiffs, dessen Oeffnung nach dem Seitenschiff geschlossen ist. Diese Grabkammern mußten jede für sich vom Mittelschiff aus zugänglich sein. Um den östlichen Teil des Einbaues, den Teil, den man zunächst betritt, zugänglich zu machen, wurden an der östlichen Hälfte der Nordwand für eine Tür die Stein- und Stuckskulpturen durchbrochen und gingen zum Teil verloren. Der linke Pfosten und der Sturz der Tür bestehen nicht aus den an dieser Stelle fortgenommenen Teilen. Der rechte Pfosten wird von dem ganz um die Wand herumlaufenden Umrahmungsprofil mitgebildet. Ein natürlicher Zugang zu der Anlage ist daher nicht mehr vorhanden. Es muß der Zugang wo anders vielleicht vom Querschiff aus, zu suchen sein. Wir betrachten zunächst das Innere dieser beiden Räume. Die Nord- und Westwand des ersten, fast quadratischen Raumes sind aus lagerrechtem Bruchsteinmauerwerk; Ost- und Südwand bilden die Kirchenmauern. Der Raum ist ganz offen oben; Anzeichen, daß er gedeckt oder gewölbt war, sind nicht vorhanden. Er ist leer und schmucklos, bis auf eine schmale, niedrige Tür, die mit Ecksäulchen verziert ist und über dem geraden Sturz ein einfaches Halbkreistympanon aufweist. Diese Tür führt in den westlichen zweiten Raum. Seine Grundform ist quadratisch, er hat glatte Hausteinwände, zeigt die Reste eines eingestürzten

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1) Meibom, scriptores rerum Germanorum II 144 ff.: Popperode, Annales Gernrodenses. Bei Beschreibung eines im Jahre 1489 unter der Aebtissin Scholastika gefeierten Jubiläums.

 

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Gewölbes und hat auf allen vier Seiten Nischen, von denen die an der Südseite durch ihre Größe gleich auffällt und durch einen tief herabgehenden Stuckbogen gebildet wird, dessen mittleres Drittel, wie das Gewölbe, eingestürzt ist. Die drei übrigen sind ziemlich flache Blendnischen mit Halbsäulen auf den Ecken. Von den Stirnflächen der Nischenbögen steigt das Gewölbe halbkreisförmig an, wie sich aus der Krümmung des Putzauftrages noch feststellen läßt. Durch den horizontalen Bruch erweist sich das Gewölbe als regelmäßig achtseitiges, dessen Kappen Kehlen erzeugten, die auf die Ecken der Halbsäulenkapitelle zuliefen, bis auf zwei, die in die Stirnmauer des Stuckbogens einschnitten. Wir haben es mit einem Klostergewölbe zu tun, das in den vier Ecken des quadratischen Raumes aus den Zwickelnischen, auf drei Seiten aus den Rücken der Blendnischen aufsaß und aus der vierten Seite des Raumes in die Stirnwand des Stuckbogens einschnitt. Da der Halbkreis nicht überhöht war, lag der Scheitelpunkt 3,66 m über dem Fußboden. Die aus Haustein gefertigten Gewölbeanfänger der drei kleineren Nischen und der vier Zwickelnischen sind diesen Nischenbögen gemeinsam. Der übrige Teil der Nischenbögen besteht aus gesägtem, porösen Kalkstein von Ziegelformat 1). Das achtseitige Klostergewölbe bestand wahrscheinlich aus demselben Material und war jedenfalls auf Schalung verlegt. Der Stuckbogen hat Steineinlagen ohne jeden Verband und bildet, an der Außenmauer der Kirche stehend, die Südwand des Raumes. Ebensowenig wie der Stuckbogen sind Ost- und Westwand des Raumes im Verband mit der Außenmauer. Der Stuckbogen ist mit Ost- und Westwand auch nur in seinem oberen Teile, da wo der Bogen aushüftet, im Verbande. Die Dicke der Wände des Einbaues ist beträchtlich. Die Trennungswand der beiden Räume ist 66 cm dick, die Nordwand des ersten Raumes 54 cm, die Nordwand des zweiten Raumes 92 cm und dessen Westwand 86 cm dick. Das Material ist Kalkstein, Sandstein und Stuck. Beide Räume haben in der Außenmauer, der Südwand des Kirchenschiffes, ein kleines Fenster, das quadratisch in die innere Wandfläche einschneidet. Die Fensterfläche selbst ist bei dem im ersten Raum rund, bei dem im zweiten Raum quadratisch. An die äußere Wandfläche der

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1) z. B. 22 X 15 X 7,5 cm.

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Kirchenmauer lehnt sich der Kreuzgang an, von dem aus man durch die Fenster in die beiden Räume hineinblicken kann. Die Fenster geben nur wenig Licht, und da der westliche Raum gewölbt war, muß er fast dunkel gewesen sein. Zu den in diesem 2. Raum befindlichen Skulpturen, die wir schon genannt haben, nämlich eine Gruppe der drei Frauen und ein Engel, kommt ein zweites Engelfragment hinzu, das wir nirgends erwähnt gefunden haben, und ferner die überlebensgroße Figur eines Bischofs, dem der Kopf abgeschlagen ist. Dieser Bischof steht noch an seinem alten Platz in der Westwandnische. Der Nordwandnische ist eine stufenähnliche Platte vorgelagert, die die Grundfläche der Nische mit ausfüllt und meist als Stufe für einen Altar oder Grabkasten gedeutet ist. Die Nische in der Ostwand dient, wie wir sahen, als Eingang in diesen westlichen Raum.

Die Außenwände dieser beiden Räume sind mit Stein- und Stuckreliefs geschmückt. Diese Skulpturen haben bisher am meisten Interesse zu erwecken vermocht. Die Nordwand zerfällt, den zwei Räumen innen entsprechend, ihrer Komposition nach in zwei Hälften, einer östlichen links und einer westlichen rechts. Diese östliche und westliche Nordwand, wie wir sagen wollen, sind auch äußerlich durch eine davorstehende Schiffssäule für das Auge von einander getrennt. Die östliche Nordwand und die Westwand stimmen in der Komposition darin überein, daß ein großes Mittelfeld von Rankenfriesen umgeben ist. Diese Friese sind aus einzelnen Kalksteinplatten gebildet, über deren Fugen das Relief hinweggeht. Das Mittelfeld der östlichen Nordwand wird durch eine Stuckplatte gebildet, auf der zwei nach rechts schreitende Figuren von Dreiviertellebensgröße in Relief dargestellt waren, aber bis auf den Grund planmäßig abgemeißelt sind.

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Von den Steinskulpturen dieser Wand ist ebenfalls ein Teil verloren gegangen, teils durch Abmeißeln, teils dadurch, daß die jetzige Eingangstür, die der Grabkammer wegen angelegt war, ihre Stelle einnimmt. Das Mittelfeld der Westwand wird durch zwei glatte Pfosten in drei Teile zerlegt.

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Die beiden äußeren enthalten Halbkreisnischen, in denen je eine Säule steht, der mittlere ist durch eine Stuckplatte gefüllt, auf der sich das Relief einer Frau in Frontstellung befindet. Die westliche Nordwand ist ganz anders als die beiden anderen Wände gegliedert. Sie ist durch vertikale und horizontale Rahmenprofile in

 

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acht rechteckige Felder geteilt, von denen auf den Seiten drei und in der Mitte zwei übereinander angeordnet sind.

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Das untere Feld von diesen beiden ist in der Mitte durch ein eingeschobenes Teilungsstück, dessen Material Stuck ist, in horizontaler Richtung noch einmal geteilt. Da die Umrahmungsglieder von Sandstein und Kalkstein sind, und da dieses ornamentierte Stuckprofil ohne Verband mit dem übrigen ist, darf man es als nachträgliche Zutat ansehen. Das Feld links unten ist mit dem Fragment einer Kalksteinplatte zum Teil gefüllt. Die korrespondierenden Felder: rechts unten und links und rechts oben sind glatt geputzt, ebenso das untere mittlere Feld. Die noch übrig bleibenden drei Felder: das obere mittlere und die beiden rechts und links in der Mitte sind mit Stuckplatten gefüllt. Auf den seitlichen Feldern sind links Christus und rechts eine heilige Frau dargestellt, beide in ganzer Figur.

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Im oberen mittleren Feld ist eine Halbfigur dargestellt, die von ganz ungeübter Hand einen modernen Kopf von Zement erhalten hat, der seit Puttrich immer noch Anlaß giebt, die Platte für den Grabstein einer Äbtissin zu erklären 1). Diese Stuckreliefs sind aus allen drei Wänden nachträglich eingesetzt. An der östlichen Nordwand geht nämlich der glatte Grund der Umrahmung, die durch Steinskulpturen gebildet ist, in den Grund der Stuckreliefs, die das Mittelfeld bilden, ohne Trennung über. An der westlichen Nordwand sind sie offenbar vor einen glatten Hintergrund in die umrahmten Felder eingefügt. Die Stuckplatte an der Westseite nimmt auf eine Auswetzung Rücksicht, die sich zwischen zwei eingemeißelten Löchern an der Seitenfläche des Pfostens rechts befindet. Die beiden Löcher deuten darauf hin, daß an dieser Stelle, wo jetzt die Stuckplatte angebracht ist, vorher eine türartige Holztafel beweglich angebracht war.

Puttrich (a. a. O. S. 44) meint, daß die Stuckplatten vorher zum Teil am Kreuzaltar sich befunden hätten und hier an das hl. Grab erst später versetzt seien. Da die Platten aber nicht beschnitten

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1) v. Heinemann a. a. O. S. 51 . . . „aus Sandstein gemeißelte Halbfigur, welche Kugler unbegreiflicher Weise für einen thronenden Christus, Lucanus dagegen für den h. Cyriacus angesehen hat, während doch der erste Blick zeigt, daß sie eine Frau und zwar eine Matrone darstellt . . .“

 

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sind und genau in ihre Felder passen, können sie nur für das hl. Grab angefertigt sein. Sie stimmen mit den Stuckskulpturen im Innern stilistisch völlig überein. Auch aus stilistischen Gründen sind diese Stuckarbeiten später als die Steinskulpturen entstanden und sind ebenso eine Zutat in früher Zeit wie die kleine Verbindungstür. Die beiden Halbsäulen der Tür haben Kapitelle und Basen, die im spätromanischen Kreuzgang wiederkehren.

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I. Teil

Bauperioden und Rekonstruktionen. Beziehung zum hl. Grabe in Jerusalem.

Für das hl. Grab in Gernrode wird teils das XI., teils das XII. Jahrhundert in Anspruch genommen. Wir geben später eine Übersicht über die verschiedenen Meinungen und wollen aus die Frage der Datierung vorläufig nicht eingehen. Da uns der Befund lehrt, daß mehrfach Veränderungen stattgefunden haben müssen, wollen wir erst versuchen, den Bau zu rekonstruieren und die Bauperioden von einander zu trennen.

Gleichzeitig aber müssen wir das hl. Grab in Jerusalem selbst 1) und andre hl. Gräber 2) in Betracht ziehen. Für uns kommt der Zustand des hl. Grabes in Jerusalem von 1048 in Betracht, der als nächster vor dem Neubau durch Bonifacius von Ragusa liegt. Über den Neubau des Bonifacius berichtet Quaresmius 3), teilt aber auch einiges über den Zustand vorher mit. Über diesen früheren von 1048

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1) Neueste Arbeit: Carl Mommert, Golgatha und das hl. Grab zu Jerusalem 1900. (Mit teilweiser Aufzählung der großen Jerusalemlitteratur).

2) Aufzählung und Litteratur: H. Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie, 1883/85. I., 365. ff.

3) Mommert a. a. O. S. 245.

 

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unterrichtet uns von den bei Tobler 1) genannten Pilgern am besten Breytenbach 2) und nach ihm, diesen ergänzend, Felix Fabri 3).

Als getreuste Copie des heiligen Grabes gilt das hl. Grab in Görlitz 4), an das sich die hl. Gräber in Sagan 5), Grüßau 6), Reichenberg in Böhmen 7) und Torgau 8) als Nachahmungen anlehnen. Die sonstigen spätmittelalterlichen heiligen Gräber 9) die namentlich in Westdeutschland so häufig vorkommenden, mehr als Stationen anzusehenden Statuengruppen, die mit Beweinung, Grablegung und Auferstehung zusammenfließen, kommen nur ikonographisch in Betracht. Ebensowenig können die spätgotischen wundervollen kirchenhausartigen Schnitzwerke in Wien 10), Salzburg und Zwickau 11), wie auch die frühgotischen Polygone in Konstanz 12) und Magdeburg 13) als Nachahmungen des heiligen Grabes im Sinne einer Kopie, die getreu sein will, angesehen werden. In einer Darstellung eines heiligen Grabes, das als Aufbau aus dem Deckel eines im Germanischen Museum zu Nürnberg befindlichen kleinen Reliquienkästchens von Bronze angebracht ist, kann man allenfalls eine Nachahmung des heiligen Grabes in Jerusalem sehen. Der Aufbau hat die Form eines Hauses. Den Kurzseiten des Hauses gegenüber sitzen zwei Engel. An der Stirnfläche

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1) Aufzählung der Pilgerberichte: Titus Tobler, Bibliographia Geographica Palaestinae. 1867.

2) Bernhardus de Breydenbach, Peregrinationes in terram sauctam. Mainz 1486.

3) Fratris Felicis Fabri Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti, Pereginationem ed. C. D. Haßler, Stuttgart, Societ. litterar. 1843-—-9.

4) Hans Lutsch, Verzeichnis der Kunstdenkmäler Schlesiens III 678/79. Abbildung: Tafelwerk, Mappe I; 43, 2.

5) Lutsch a. a. O. III 159 und Grundriß im Wegweiser S. 76 als Textbild 29.

6) Lutsch a. a. O. III 376 und Textbild 67 im Wegweiser S. 241.

7) Lutsch a. a. O. III 680. Errichtet 1772.

8) 1496 ca. errichtet, 1533 abgebrochen; s. Studien zur deutschen Kunstgeschichte 1903. Heft 45: Robert Bruck, Friedrich der Weise als Förderer der Kunst.

9) Otte, u. a. O. I 365 ff.

10) Ambraser Sammlung. Photographische Abbildung in Mitt. d. K. K. C. C. XVII 37; 1872.

11) R. Steche, Bau- und Kunstdenkmäler des Königreich Sachsen XII. Abbildung.

12) Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden 1887. I 138 und 156.

13) Rosenthal, der Dom zu Magdeburg Lief. III, Tafel V.

 

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des Kästchens selbst sind drei Krieger eingraviert. Durch die Engel und die Krieger giebt sich das Gebäude als heiliges Grab kund. Die kleine Bronze ist von Essenwein 1) dem XI. Jahrhundert zugeschrieben und der Aufbau auch als hl. Grab angesehen. Im Innern des Hauses ist als Wiedergabe eine Osterspielscene dargestellt, wie Joseph von Arimathia und Nikodemus den Leichnam Christi niederlegen. Auf die Spitze des Daches ist als weitere Darstellung eine Kreuzabnahme aufgesetzt. Das Haus selbst ist rechteckig, hat aus den Ecken je eine Säule,und auf den Langseiten Arkadenbögen. Die Spitze des Daches bildet ein Kuppeltürmchen und umgeben ist das Häuschen von einer niedrigen Mauer. Die Mauer wird von Pilgern wie z. B. Fabri erwähnt, die Arkaden und das Türmchen kehren aus Breytenbachs Darstellung und am Görlitzer Grabe wieder. Es scheinen das nicht bloß, wie Essenwein meint, Nachklänge römischer Architektur ohne besondere Beziehung zu sein, sondern gewollte Anlehnungen an das Vorbild in Jerusalem. Die Bronze ist ziemlich rohe Arbeit und die Datierung schwierig. Nach der Tracht der Krieger möchten wir die Arbeit dem XII. Jahrhundert zuweisen. Die Krieger tragen eng anliegende Kettenpanzer, Spitzhelm und einen Schild, der oben rund und unten spitz ist. Die Enden des Schwertgurtes hängen wie eine Schärpe herab. Die Krieger in der Szene der Frauen am Grabe auf dem Mauritius Tragaltar in Siegburg vom Jahr 1135 2) und in den Darstellungen der Herrad von Landsberg sind ähnlich gekleidet. Nach Essenwein soll die Bronze aus Maastricht stammen. Diese Darstellung des hl. Grabes hat wegen ihres Alters Interesse, bietet aber für die Rekonstruktion des hl. Grabes in Gernrode weiter keinen Anhalt.

Wie die heiligen Gräber in Wien, Reichenau, Konstanz, Fulda, Paderborn, die dem IX. und X. Jahrhundert angehören, ausgesehen haben, läßt sich nur vermuten. Von Wien heißt es anno 854 3) „domunculam quendam instar sepulcri dominici construi fecit, ante cuius etiam ostiolum altare consecravit . . .“ Von Reichenau

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1) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1870, I, 1 ff.

2) Falke-Frauberger, Deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters 1904. Tafel 20.

3) Quellenschriften für Kunstgeschichte. Neue Folge IV S. 284. Ex. Breviaro Viennensi c. VI, A. S. S. VI, 278.

 

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sagt Oheim 1): „rotund nach form des hl. Grabes gemacht.“ Das würde wie in Konstanz 2) eine Nachahmung der Anastasiskirche mit dem heil. Grabe gewesen sein. Nach der Konstanzer Chronik (allerdings XIV. Jahrhundert) würde das Konstanzer Grab ca. 934— 995 vom heiligen Konrad errichtet 3). In St. Michael zu Fulda war nach Brunn, Vita Eigilis 4) ein heiliges Grab:

„Hoc altare deo dedicatum est maxime Christo,

Cuius hic tumulus nostra sepulcra iuvat.

Pars montis Sinai, Moysi [et] memoratio digna

Hic Christi Domini est genitale solum“.

In Paderborn muß auch ein heil. Grab geplant oder ausgeführt gewesen sein. Bischof Meinwerk von Paderborn 5) schickte den Abt Wino von Helmwardshausen ab, um den Plan der Kirche des heil. Grabes und das Sepulcrum Christi aufzunehmen 6). In Goslar wurde nach Fertigstellung dieser Arbeit ein heil. Grab gefunden, das aber nur in geringen Resten erhalten ist, sodaß nur wenig Gewinn für das Gernroder Grab daraus zu ziehen ist. Nach dem folgenden über das Gernroder Grab läßt sich von Goslar der frühere Zustand vermuten. Der Verfasser will aber der in Aussicht genommenen Veröffentlichung darüber nicht vorgreifen. Über das Aussehen des heiligen Grabes in Jerusalem in dieser frühen Zeit sind wir weiter unterrichtet durch die Pilger. Es berichtet z. B. a. 728 Willibaldus 7): „Illud sepulcrum fuerat in petra excisum; et illa petra stat super terram, et est quadrans (idest quadrata) in imo, et in Summa subtilis.“ Adamnanus 8) berichtet Anfang VIII. Jahrhunderts: „In medio spatio huius

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1) Bibliothek des Stuttgarter lit. Vereins LXXXIV S. 27. Gallus Oheim, Chronik von Reichenau.

2) F. X. Kraus, die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden I 138 ff.

3) Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, Mone, I 312 und Kraus a. a. S. 104.

4) Brower, Fuldensium Antiquitatum libri IV. II. 5. S. 117 ff.

5) Bau- und Kunstdenkmäler Westphalens, Kreis Paderborn S. 68.

6) Mommet a. a. O. S. 279.

7) Acta sauctorum Saec III, pars II S. 375. vita S. Willibaldi Episcopi.

8) Os. N. F. VII. S. 50 und Acta Sauctorum Saec III, p. II. S. 456 ff. Adamnani abbatis Hiiensis libri III de locis sanctis ex Arculfi relatione episcopi Galli.

 

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interioris rotundae domus rotundum inest in una eademque petra excisum tegorium, in quo possunt ter terni homines stantes orare et a vertice alicuius non brevis staturae stantis hominis usque ad illius domunculae camaram pes et semipes mensurae in altum extenditur.“

Die Darstellungen scheinen daher kleine einräumige Bauten gewesen zu sein, die ein Felsgrab nachahmten. Den von Modestus (614) wieder angebauten Vorraum, den Kaiser Konstantin hatte beseitigen lassen, erwähnen diese Quellen nicht. Er scheint damals als nicht eigentlich zugehörig angesehen zu sein.

Im späteren Mittelalter werden in Jerusalem ausdrücklich immer zwei Räume genannt. Der Eingang zum hl. Grabe in Jerusalem befand sich immer, wie auch heute noch, auf der Ostseite. Man gelangte z. B. nach Breytenbach, zunächst in einen Vorraum mit je einem Fenster links und rechts und von da in die eigentliche Grabeshöhle mit dem Grab zur Rechten in einer Nische. Wir brauchen in Gernrode nur den Eingang an der östlichen Nordwand zu schließen und vom Querschiff aus eine Oeffnung in den Vorraum zu schaffen, um die Aehnlichkeit zu erreichen. Die Trennungswand bestand nach Fabri aus Naturfels, den unsere Bruchsteinmauerwand nachahmen soll. Die Mittelachse des Mittelfeldes außen auf der östlichen Nordwand trifft mit der des kleinen Kreisfensters auf der gegenüberliegenden Wand zusammen. Das in seinen Profilen gleiche Kreisfenster, das in der Außenwand der Kirche links neben der Südconche eingemauert ist, gehört wahrscheinlich hier an die Nordwand des Vorraumes an Stelle der Stuckplatte mit den abgemeißelten Reliefs. So hat der Vorraum wie das Vorbild, links und rechts für den Eintretenden ein kleines Fenster. Innen schnitten die Fensterleibungen dieser Kreisfenster quadratisch ein. Hierauf bezieht sich jedenfalls Fabris 1) Angabe: „et in quolibet latere unam parvam fenestram quadratam.“ Amico da Gallipoli 2) zeichnet diese Fenster auch und nach Mommert 3) sind sie im heutigen Bau auch noch: „rechts und

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1) a. a. O. 127 A.

2) Trattato delle Piante e Imagini de Sacri Edifici di Terra Santa. Rom 1609. Florenz 1620.

3) a. a. O. 272.

 

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links in den zwei Seitenwänden befindet sich je eine rundliche Fensteröffnung, durch die die Schismatiker an ihrem Ostersamstag das heilige Feuer reichen und an denen man die Dicke der Mauer messen kann.“ Den Bau von 1048 fanden die Kreuzfahrer vor, vermutlich nicht unbeschädigt; ebenso Emmerich 1465 und 1476, Breytenbach 1483/86 und Fabri etwas später. Nach der genauen Beschreibung des Innern bei Breytenbach kommen im hl. Grabe zu Jerusalem zwei Räume mit drei „loci“ in Betracht: Vorraum (primus locus), Grabraum (secundus locus), und Grabnische (tertius locus). Eine Abbildung des Aeußeren findet sich bei Breytenbach auf der Rückseite der Landkarte von Jerusalem. Das Aeußere, das er nicht beschreibt im einzelnen, stimmt ganz überein mit dem hl. Grab in Görlitz, das der Kaufmann Emmerich 1489 errichtete. Bei beiden finden sich an der Facade eine Mitteltür mit Stufenfries in Höhe des Kämpfers, die Steine der gesprengten Tür vor dem Eingang in gleichartiger Anordnung, drei tafelförmige Umrahmungen, 2 ohrenartige Aufsätze, das Kuppeltürmchen und an den Seiten die sich herumziehenden Säulenarkaden. Nach dem Aeußeren zu urteilen sollen im Görlitzer hl. Grabe Vorraum, Grabraum und Grabnische dargestellt sein. Die Beschreibung Breytenbachs vom Innern paßt aber garnicht für Görlitz, Sagan und die übrigen davon abhängigen hl. Gräber. Nach der Abbildung bei Lutsch hat das hl. Grab in Sagan, dessen Grundriß mit dem zu Görlitz identisch ist, einen quadratischen Raum von ca. 2,74 X 2,74 m; ein Maß, das wir aus der Zeichnung entnommen haben. Dahinter liegt ein kleiner oblonger Raum, in dem nur das Grab selbst Platz hat. Dieser kleine Raum ist mit dem größeren durch eine kleine, nicht in der Axe liegende Tür verbunden. In Grüssau ist die Anordnung ebenso, nur ist der hintere Raum auch quadratisch, jedoch nicht größer, als daß eine Tumba darin Platz fände. Es sind bei diesen hl. Gräbern in Schlesien also weder die drei loci zum Ausdruck gekommen, noch auch liegt das Grab rechts vom Eintretenden.

Anders ist es in Gernrode. Die Grundrißanordnung und die Maße des Zustandes vom hl. Grabe, den wir durch Fortnahme der Grabkammertür und der Stuckreliefs außen und innen schaffen, stimmen auffallend mit dem Bericht Breytenbachs überein. Nach ihm hat die Vorhöhle 13 Fuß und die Grabhöhle 9 Fuß im Quadrat. Rechnet

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man den Fuß zu 30 cm, so gibt das 3,90 m für den Vorraum und 2,70 m für den Grabraum. Der Vorraum in Gernrode mißt Süd-Nord 3,64 m und 3,68 m, Ost-West 3,90 m und 3,98 m. Wir haben nun bereits in der Nordwand ein Fenster angenommen und wahrscheinlich gemacht, daß ein solches der Stuckplatte voranging. Dann müßte die innere Bruchsteinverkleidung dieser Nordwand für das Fenster durchbrochen gewesen sein. Dafür sind aber in dem Mauerwerk keine Anzeichen vorhanden. Es muß daher das hinter der Wand befindliche Mauerwerk erst aus späterer Zeit stammen. Wenn diese Hintermauerung schon ursprünglich vorhanden gewesen wäre, würde man mit dem Einsetzen der Stuckplatte zugleich einfach das Fenster innen zugemauert haben und die Hintermauerung nicht deswegen ganz neu ausgeführt haben. Wir sind deswegen geneigt, auch für die Süd-Nordrichtung des Vorraumes 3,90 m als Maß anzunehmen, bei dann 32 cm Dicke der Hausteinwand. Es mag sich aus dem Wunsche, auch den Vorraum quadratisch zu haben, erklären, weshalb der Teil der Nordwand um 7 cm vor die Vorderkante des andern Teils gerückt ist und ein wenig die Platte der Säulenbasis bedeckt. Der Grabraum mißt in der Süd-Nordrichtung 2,72 m und Ost-West 2,70 m und 2,78 m. Das Ausweichen der Wände um 8 cm in der Ost-Westrichtung an der Nordseite der Räume erklärt sich durch das Ausweichen der Schiffswände. Die ungewöhnliche Dicke der Wände der Grabhöhle weist das Vorbild, das Grab in Jerusalem ebenfalls auf. Man hielt zu Breytenbachs Zeit das Grab für den Originalfels, der durch roten und weißen Marmor innen und durch weißen Marmor außen verkleidet war. Nach Mommert 1) ist die Nordwand 3,5 Fuß, die Südwand 4,5 Fuß dick gewesen zu Saewulfs Zeit (1103). Ferner liegt in Gernrode das Grab selbst, wenn auch nicht ganz in einer Nische, so doch zur Rechten des Eintretenden. Wir fanden in dem zweiten Raum zur Rechten an der Nordwand eine Stufe, die nichts weiter ist als der erhaltene Boden einer Stucktumba. Dicke und Höhe ihrer Seitenwände lassen sich aus den Spuren an der Wand noch nachmessen. Die Vorderkante des Bodens zeigt ein Profil, in das sich die Vorderwand der Tumba einfügte. Oberkante des Bodens liegt 25 cm über dem Fußboden und die ganze Tumba war 60 cm

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1) a. a. O. S. 234.

 

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hoch, 2,05 m lang und bis zur glatten Wand gemessen, ohne die 20 cm tiefe Nische, 65 cm tief. Der Boden ist so hergestellt, daß aus in Stuck gebetteten Feldsteinen eine Stuckschicht mit glatter Oberfläche aufgetragen wurde. In Jerusalem befand sich dagegen eine Felsbank, die durch die Pilger allmählich trogartig ausgehöhlt worden war. Nach Adamnanus-Arkulf 1) war die Felsbank 7 Fuß lang, ein Maß, das zu dem Raum in Jerusalem mit 9 Fuß Seitenlänge nach Breytenbach stimmt und zur Länge von 2,05 m der Tumba in Gernrode paßt.

Innere Anordnung und Maße sind also in Gernrode noch recht getreu; in Görlitz, Sagan u. s. w. hat man es nicht so genau damit genommen. Den Maßen nach müßte der erste Raum in Görlitz z. B. mit 2,74 m X 2,74 m der Grabraum sein, und der Vorraum in Fortfall gekommen sein. Oder der Vorraum hat die Maße des Grabraums bekommen und der zweite kleine Raum ist secundus und tertius locus zugleich.

Wir müssen nun noch sehen, wie sich in Gernrode bei dem Zustande ohne die Stuckreliefs Fenster und Türen gestalten und wie das Aeußere im Vergleich zu Breytenbachs Zeichnung und zum Aeußeren des Görlitzer Grabes aufzufassen ist.

Wir wollten in der Nordwand des Vorraumes ein kleines Rundfenster einsetzen, das jetzt an einer ganz andern Stelle, außen neben der Südconche eingemauert ist. Die Umrahmung des Rundfensters ist wie die des ihm entsprechenden Fensters in der Südseite des Vorraumes quadratisch. Das Fenster in der Südseite ist 50 X 50 cm groß, das andere an der Nordseite 64 X 64 cm groß. Es bleibt also in dem Mittelfeld an der Nordseite, das die Stuckplatte von 1,30 m Höhe und 1,70 m Breite ausfüllte, noch viel Platz übrig. Es muß jedoch unbestimmt bleiben, wie das Mittelfeld ausgesehen hat. Außer dem anzunehmenden 64 X 64 cm großen Fenster ist jedoch als zweites ziemlich sicher eine äußere Leiste anzunehmen, die das Mittelfeld gegen die Umrahmung begrenzte. Der Rankenfries dieser Wand muß nicht bloß, ähnlich wie aus der Westseite, aus ornamentalem Bedürfnis vom Mittelfeld durch eine profilierte Leiste getrennt gewesen sein. Es muß auf der Leiste der untere Teil des über die Rankenumrahmung hinausragenden Vogelleibes noch Platz

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1) Mommert a. a. O. S. 207.

 

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gehabt haben, der auf der Stuckplatte dann wieder angebracht wurde und jetzt mit abgemeißelt ist. Dafür spricht auch, daß z. B. Der geflügelte Löwe links das äußere Profil mit benutzt.

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Wenn man nun noch das quadratische Fenster mit einer in die Tiefe gehenden Schräge umzieht, so bleibt in der Breitenrichtung immer noch die Differenz 170 - 130 = 40 cm übrig, also links und rechts vom Fenster vielleicht ein vertikaler Schlitz von 20 cm Breite. In diesen würden zwei Säulchen hineinpassen. Das Motiv solcher in einen Schlitz gestellten Säulchen ist nicht ungewöhnlich. Es kommt in ähnlicher Verwendung wie Ecksäulen am Pfeiler vor und meist mit Würfelkapitellen. Beim Ambo in Gernrode z. B. ist bei der Restauration dieses Motiv benutzt. Die Schranken des Kaiserstuhls in Goslar zeigen dieses Motiv ebenfalls.

In Jerusalem war die Grabhöhle selbst völlig dunkel und nur durch Lampen erleuchtet. Das quadratische Fenster mit quadratischer Oeffnung zur Linken im Grabraume zu Gernrode ist durch einen in die quadratische Oeffnung eingeschobenen Vierpaß erheblich verkleinert und konnte durch einen Holzladen von innen zeitweise verschlossen werden, da ein breiter Spalt im Sturz und ein Anschlag unten auf der Sohlbank wohl dazu dienen kann. Die Verkleinerung durch den Vierpaß ist nicht ursprünglich, da der Vierpaß nicht mit der übrigen Umrahmung im Verbande ist. Jedenfalls hat man den Eindruck, daß verdunkelt werden sollte, der Grabraum als ohne Tageslicht angenommen wurde und durch Lampen wie in Jerusalem erhellt wurde.

Wie die Eingänge zu Vorraum und Grabraum im Einzelnen ausgesehen haben, ist schwer zu sagen. Für jeden Eingang sind zwei Möglichkeiten vorhanden. Die Axe des Eingangs zum Vorraum fiel entweder mit der 2,80 m breiten Durchgangsöffnung zusammen, die sich als flache Blendnische im Innern des Vorraumes zeigt. Dann war der Querschiffemporeneinbau mit den Kreuzgewölben darunter noch nicht bei Erbauung des hl. Grabes vorhanden. Oder die Eingangstür richtete sich nach den an die Querschiffswand rundbogig anschneidenden Kreuzgewölben und lag dann wahrscheinlich in der Mittelaxe eines oben rundbogig abgeschlossenen Feldes von 2,50 m Höhe und 2,10 m Breite. Sie kann dann ein ähnliches Aussehen wie die spätromanische Eingangstür zum zweiten Raum gehabt haben: eine rechteckige Türöffnung mit rundbogigem Tympanon darüber, finden

 

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wir auch auf Breytenbachs Zeichnung an dieser Stelle. Die Tür zum Grabraum selbst war entweder eine Felstürnachahmung, dem Bruchsteinmauerwerk dieser Wand entsprechend, oder sie hatte als Sturz vielleicht das giebelartige Tympanon, das jetzt im Kreuzgang Verwendung gefunden hat und dessen Erklärung unsicher ist.

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Die drei Zeichen 1) darauf haben kreisrunde Form und sehen wie ins Große übertragene Abdrücke von Siegelringen aus. Das eine kreuznimbusähnliche Zeichen hat durch die Bäumchen, die auf zwei Kreuzbalken senkrecht stehen. ein heraldisches Aussehen. Die drei Zeichen stellen möglicher Weise die drei Siegel des Pilatus 2) vor und der Türsturz wäre dann hier über dem Eingang zum Grabraum an seinem Platze. Die Unterfläche des Sturzes ist 1,48 m, die Nische der Eingangswand innen 1,14 m breit. Es scheint die Tür fast die ganze Breite der Nische eingenommen zu haben, wobei dann der Türsturz aus jeder Seite 17 cm Auflager hatte auf den durch das hochgehende Bruchsteinmauerwerk gebildeten Pfosten.

Vor dieser Grabraumtür lagen in Jerusalem die Stücke der gesprengten Tür und der Engelstein. Entgegen seiner Beschreibung verlegt Breytenbach diese Stücke an die Fassade in seiner Außenansicht vom heiligen Grabe a. a. O. In Görlitz liegen die Stücke ebenso wie aus Breytenbachs Zeichnung symmetrisch rechts und links vom Eingang. Wo sie in Gernrode gelegen haben, läßt sich nicht sagen und vorhanden sind sie nicht mehr.

Der Gesammteindruck des Äußeren vom heiligen Grabe in Gernrode war bei beiden Zuständen, dem mit den beiden Fenstern im Vorraum und dem mit dem Schmuck durch die Stuckreliefs ungefähr der gleiche. Der erste Raum war oben offen; jedenfalls ist in technischer Beziehung kein Anhalt dafür vorhanden, daß er geschlossen war.

Wäre er wie in Jerusalem mit einer Decke versehen gewesen, so könnte nur eine flache Decke dem Vorbilde gemäß in Frage kommen, die dann wahrscheinlich eine Balkendecke gewesen wäre und der Raum wird nicht, wie Maurer vermutet, gewölbt gewesen sein.

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1) Abb. bei Büttner a. a. O. S. 31 und bei Puttrich a. a. O. Tafel 23, k.

2) Siehe Gesta Pilati XIII: „et signastis anulis vestris.“

 

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Ein besonderes Gesims, wie es bei der Restauration in den sechziger Jahren an der Westwand angenommen ist, ging nicht herum. Der zweite Raum war oben durch das Klostergewölbe geschlossen, das 80 cm hoch mit seinen Graten kuppelartig herausragte. Die Breite des Görlitzer Baues beträgt nach Puttrich 1) 13½ Fuß, ein Maß, das mit der Breite der Westwand in Gernrode (4,08 m) übereinstimmt. Die Länge stimmt jedoch mit Görlitz nicht überein: Görlitz ist 21 Fuß

lang, Gernrode einschließlich der Querschiffsmauer 9,12 m. Es entfallen auf die westliche Nordwand 3,46 m, auf die östliche Nordwand 3,00 m; das übrige fällt auf den Raum hinter den Schiffspfeilern und auf die Dicke der Querschiffswand. Breytenbach bringt keine Außenmaße und Amico da Gallipoli sagt: „Die Außenmaße des Kapellengebäudes übergehe ich, weil sie nicht so notwendig sind.“

Den Innenmaßen entsprechend werden in Gernrode die Außenmaße ungefähr mit dem Grabe in Jerusalem übereinstimmen. Der Hauptunterschied zwischen dem heiligen Grabe in Jerusalem und dem zu Gernrode bleibt immer der, daß das heilige Grab in Jerusalem innerhalb eines Rundbaues central angeordnet war und frei dastand, während in Gernrode das Grab mit einer ganzen Langseite angebaut ist und auch die Ostwand des Vorraums offenbar keine selbstständige Wand, sondern nur eine Ausfüllung des Durchgangs vom südlichen Querschiff zum Seitenschiff bildete. Die eigentlichen Schauseiten bildeten nach dem Schiff zu die in ihrem Zustande fast unberührt gebliebene Westwand und die Nordwand.

Daß die äußere Form des hl. Grabes in Gernrode wenig mit der des hl. Grabes in Jerusalem übereinstimmt, liegt aber nicht blos daran, daß das Grab in Gernrode nicht frei stand. Verschiedene Umstände sprechen dafür, daß auch die erste rekonstruierte Form des Gernroder Grabes ohne die Stuckplatten nicht die ursprüngliche war, und daß auch diese schon aus einer vorhergehenden Form entstanden und dem Zustande in Jerusalem, soweit es ging, ähnlich gemacht ist, ohne daß Bauteile hinzugefügt wurden, die das nach Umfang oder Stil sofort erkennen ließen. Folgende Umstände sprechen jedoch für einen, den beiden geschilderten noch vorhergehenden Zustand. Die Außenwände haben verschiedene Höhen; die beiden Rundfenster im

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1) a. a. O. S. 9.

 

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Vorraum haben ganz andere Profile als das quadratische Fenster im Grabraum. Der schmale, kreisförmig gebogene Streifen aus Stuck, durch den wir das untere mittlere Feld der westlichen Nordwand horizontal geteilt fanden, scheint nicht ohne Grund dort hingekommen zu sein. Dieses untere Feld sieht nach der Art seiner Anordnung auf der Mitte der Wand, nach Verhältnis von Höhe und Breite, wegen seiner nach innen führenden und, im Gegensatz zu den Profilen der übrigen Umrahmungen dieser Wand, reicheren Profile durchaus so aus wie eine kleine Tür, deren lichte Oeffnung zugemauert ist.

Der horizontale Teilungsstreifen sollte den Eindruck einer Tür verwischen 1). Vor allem aber spricht für die Annahme eines den beiden geschilderten Zuständen noch vorhergehenden Zustandes der große Stuckbogen, der mit 2,40 m Breite und 50 cm Tiefe die südliche Nische im Grabraum bildet. In der Projektion des Bogens liegt, in den Fußboden bündig eingelassen, eine Sandsteinplatte von 2,22 m Länge, 46 cm Breite und 13 cm Dicke. Ohne Zweifel stellte diese Nische von der Form eines Arkosolgrabes den tertius locus dar, bevor das Grab des Herrn in Form einer offenen Tumba an die Nordwandnische verlegt wurde.

Die ehemalige, jetzt zugemauerte Tür in der Verkleidung der westlichen Nordwand und das in der Axe der Tür liegende, durch den großen Stuckbogen formal so betonte Grab, könnte man nach dem Vorbilde in Görlitz in Beziehung bringen und hier an der Nordseite den Eingang beim früheren Zustande annehmen. Wie in Görlitz würde dann der Eingang dem Grabe gegenüber gelegen haben.

Diese Vermutung findet eine nur scheinbare Bestätigung. Es befindet sich nämlich in der Axe des Türfeldes auch innen in der entsprechenden Nische eine zugemauerte Offnung, die sich dadurch bemerklich macht, daß der Putz fast ganz abgefallen ist, und daß die Ausfüllung dieser ehemaligen Offnung aus Bruchsteinen besteht, während daneben Hausteinquader verwendet sind. Diese ehemalige Offnung von 83 X 185 cm liegt nicht in der Axe der zugehörigen Nische. Die westliche sauber gearbeitete Kante der Öffnung ist auf dem Meßbildblatt

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1) v. Heinemann meint a. a. O. S. 51, daß das Mittelfeld symbolisch die Tür vorstellt, die zum Grabe des Erlösers führt, während Puttrich Verzierungen, ähnlich denen unten links in der Ecke, als Füllung annehmen will.

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(Gernrode 739,31) deutlich zu sehen. Die östliche Kante rechts ist zugleich die Kante der Nischenleibung. Bei der Annahme einer solchen Tür in der westlichen Nordwand wäre man nun also direkt in den Grabraum gelangt, der Vorraum käme in Fortfall, und die Ostwand des nur einräumigen heiligen Grabes hätte dann durch die jetzige östliche Nordwand gebildet sein müssen. Man würde in sehr einfacher Weise die Bruchsteinverkleidung des Vorraums fortnehmen

und die östliche Nordwand um 90° herumdrehen.

Die östliche Nordwand ist aber mit 3,00 m Länge erheblich zu kurz und bildet ihrer Komposition nach ein nicht zu vergrößerndes Ganzes. Ferner hätte dann der Eingang zum hl. Grabe an der Nordseite gelegen und die Ost-West-Richtung für die Eingangsaxe war sicher bekannt. Die westliche Nordwand bildete aber tatsächlich der Türumrahmung außen wegen eine Eingangswand und um auch hier den Eingang bei dem vermuteten früheren Zustande östlich zu bekommen und die ehemalige Eingangswand zu benutzen, müssen wir die Verkleidung der Nordwand so vertauschen, daß der westliche Teil der Nordwand an die Ostseite des Grabes und der östliche Teil der Nordwand an die Stelle der westlichen Hälfte tritt. Wir erhalten dann auch statt zweier Räume nur einen. Wenn man die jetzt nur mit 32 cm sichtbare vertikale Umrahmung der westlichen Nordwand hinter dem Pfeiler auf dieselbe Breite bringt wie das entsprechende Stück links, also auf 71 cm, so ist diese Wand statt 3,46 m dann 3,85 m lang. Bei der neuen Anordnung an der Ostseite trifft die Tür der nun Ostwand zu nennenden westlichen Nordwand zwar auf die Nische, liegt aber nicht in der Axe wie die fortgenommene spätromanische Tür. Der Künstler brauchte für die Tür außen die Mitte der Wand und im Innern war durch das Gewölbe die Nische gegeben. Die 3,00 m breite östliche Nordwand paßt gerade zwischen Ost- und Westwand an die Stelle der ehemaligen westlichen Nordwand und ist mit den für sie, durch die Annahme eines Quadrates von 3,90 m für den Vorraum, schon gefundenen 32 cm Dicke, gerade bündig mit Pfeilersockel und Pfeilergesims.

Dem Innern entsprechend erscheint das jetzt einräumige hl. Grab auch außen quadratisch. Die ganze Länge in der Ost-Westrichtung gemessen ist 4,25 m und in der Süd-Nordrichtung gemessen ist 4,08 m

 

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an der Westseite, 3,85 m an der Ostseite. Wenn man die äußere Schräge der Westwand nicht in Betracht zieht, sind alle drei Wände des ersten Zustandes ca. 70 cm dick. Von Osten zugänglich steht es jetzt, auf drei Seiten frei, mit der vierten vor der Schiffswand.

Dieser einräumige Zustand bildete die erste Form des hl. Grabes in Gernrode, wir wollen ihn den „ersten Zustand“ des hl. Grabes in Gernrode nennen. Der „zweite Zustand“ wurde dadurch geschaffen, daß in enger Anlehnung an das hl. Grab in Jerusalem ein zweiter Raum hinzugefügt wurde. Durch das Einfügen der Stuckreliefs wurde dann ein „dritter Zustand“ geschaffen.

Es bleibt noch übrig, die Nordwand und Ostwand des ersten Zustandes auf die einzelnen Punkte hin zu betrachten, in denen der zweite Zustand Aenderung brachte. Es fragt sich, ob das Fenster in der Nordwand bleiben kann oder nicht. Die Mittelaxe des Fensters trifft nun gerade mit der Mittelaxe der vermauerten Oeffnung zusammen, die wir im Innern in der Nische festgestellt haben. Es liegt nahe, daß beim ersten Zustande die Nordwand ebenfalls ein Fenster hatte wie die Südwand, durch das man in den Raum dahinter hineinblicken konnte, und daß die Fläche, mit der das Fenster innen einschnitt, beim zweiten Zustande geschlossen und neu verputzt wurde. Statt der runden Durchblicksöffnung müssen wir aber wohl eine quadratische Maueröffnung annehmen, weil das Fenster dieses Raumes in der Südwand auch quadratisch ist und weil die Profile der beiden Rundfenster im Vorraum gleich sind und wenigstens das Rundfenster in der Südwand erst entstanden sein kann, als der Vorraum angelegt wurde, also beim zweiten Zustand. Die Fenster im Grabraum stimmen nicht mit dem hl. Grabe in Jerusalem überein, ebensowenig die Lage des Grabplatzes unter dem Stuckbogen links vom Eintretenden. Es wurde das alles durch den zweiten Zustand korrigiert. Es wird daher auch der Vierpaß im Südfenster des Grabraumes in der zweiten Bauperiode entstanden sein zu dem Zwecke, die Fensterfläche zu verkleinern. Das Fenster in der Nordwand würde aber immer noch nicht die Größe der ehemaligen Oeffnung in der Nordnische rechtfertigen. Die Fläche, die aus Bruchsteinmauerwerk gebildet wird, ist 83 cm breit und 185 cm hoch und geht vielleicht noch etwas höher hinauf. Diese ehemalige Oeffnung wird so zu erklären sein, daß diese Nordwandverkleidung,

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vielleicht nur deren mittleres Drittel, zuletzt versetzt wurde, als innen alles fertig war. Die Oeffnung, nach dem Schiff zu gelegen, bildete den Zugang während des Baues, da der Osteingang ungünstiger lag, bei 56 cm Türbreite und 1,40 m lichter Höhe zu klein war für den Materialtransport, seine Profile geschont werden mußten und die horizontal durchgehenden Glieder dieser Wand sich für eine nachträgliche Zusammensetzung schlecht eigneten.

Die Anordnung der acht Felder an der Ostwand bestand, wie wir sahen, darin, daß in den Ecken vier ungefähr gleiche Felder lagen. Diese haben die Form eines liegenden Rechtecks. Das achte Feld ist jetzt Tür geworden. Ueber der Tür und links und rechts von ihr fanden wir drei Felder von der Form eines stehenden Rechtecks. Die Facade des hl. Grabes zu Jerusalem haben wir nach der Zeichnung Breytenbachs mit der Facade des Görlitzer Grabes schon in Vergleich gezogen. Wir fanden an Uebereinstimmungen einen Stufenfries in Höhe des Kämpfers der Türen; über dem Fries ferner drei tafelförmige Umrahmungen und als Abschluß der Facade zwei Aufsätze, rechts und links, von der Form rechteckiger Platten. Von den tafelförmigen Umrahmungen in Görlitz sagt Lutsch 1) „diese drei tafelförmigen Umrahmungen der Ostseite sollen die Siegel vorstellen, womit Pilatus das Grab Christi verwahren ließ.“

Die drei tafelförmigen Felder an der Ostwand des 1. Zustandes in Gernrode, links und rechts von der Tür und über der Tür, könnten mit den drei Feldern in Görlitz identisch sein. Lutsch fährt dann fort: „während in den ohrenartigen Aufsätzen Salbgesäße dargestellt sein sollen.“ Die Darstellung in den Aufsätzen ist also nicht mehr genau zu erkennen. Bei Breytenbach sind die Zeichen in den Aufsätzen etwas deutlicher. Die Aufsätze sehen dort aus, als wenn je drei Ballustradenpfeilerchen in eine Umrahmung gestellt sind. In Gernrode fanden wir in dem Felde unten links an der westlichen Nordwand, der Ostwand des ersten Zustandes, ein Fragment einer Steinplatte eingelassen. Die Steinplatte ist mit zwei geometrischen Figuren besetzt, von denen die eine nur zur Hälfte erhalten ist, sich aber leicht ergänzen läßt. Das Material dieser Platte ist dasselbe wie das der östlichen Nordwand. Die Querschnittform der bandartigen Streifen

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1) a. a. O. Verzeichnis III, 159.

 

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der Figuren ist dieselbe wie z. B. die der Rankenstengel an der östlichen Nordwand. Die Platte gehört daher dem ursprünglichen Zustande des hl. Grabes an. Von den Zeichen selbst stellt eins ein gleicharmiges Kreuz, das andere ein Quadrat dar, in dessen Ecken eine trapezförmige Klammer jedesmal sitzt. Die Zeichen werden zwei von den Siegeln des Pilatus vorstellen. Diese Platte und eine noch anzunehmende zweite möchten wir als Füllungen solcher Aufsätze annehmen, wie wir sie in Jerusalem und Görlitz gefunden haben. Wir erwarten nun diese Aufsätze an der Ostwand des ersten Zustandes, sie befanden sich aber in Gernrode an der Nordwand und zwar in zwei Feldern eines einzigen großen Aufsatzes angebracht.

Die rechte Hälfte dieses Aufsatzes ist noch vorhanden. Die heute als Eingang dienende kleineTür in der Nordwand ist weiter nichts als diese rechte Hälfte des Aufsatzes. Wir brauchen nur die Tür um 90° zu drehen und auf die Wand zu setzen, sodaß der Sturz der Tür dann die stehende Mittelteilung zwischen den beiden Siegelfeldern wird. Profile und Maße dieser Stücke passen ganz genau zu den übrigen Profilstücken der Wand. Das Stück, das heute den linken Türpfosten bildet, ist besonders breit, es bildet zugleich das obere Horizontalgesims der Wand und das untere Horizontalgesims des Aufsatzes. Der Sturz der kleinen Tür zeigt an den Enden oben und unten vier angearbeitete Profile, die ihn als Mittelpfosten zwischen zwei umrahmten Felder charakterisieren. An dem für Wand und Aufsatz gemeinsamen Horizontalgesims entspricht nun, am rechten Ende bei unserm Stück, der nach unten führenden Kehlung keine Kehlung, die nach oben führt. Es lagen also die äußere Vertikalumrahmung von Wand und Aufsatz nicht übereinander, sondern die Umrahmung des Aufsatzes muß dem Befunde nach um mindestens 10 cm auf jeder Seite hinausrücken, also in konstruktiv vorteilhafter Weise auf die benachbarten Wände übergreifen. Wir haben somit mit Hilfe der Stücke zwei große Felder bilden können, in die zwei Steinplatten von 1,42 m X 0,57 m als Füllungen hineinpassen. Die links unten an der westlichen Nordwand eingelassene Platte mit den beiden geometrischen Zeichen ist rund herum behauen, damit sie dort Platz hatte.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-westliche-Nordwand-geometrische-Zeichen-IMG-5912.jpg

Nach Material und Querschnitt des Ornaments gehört sie, wie wir sahen, zur östlichen Nordwand. Wenn man etwas freien Raum um die

 

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beiden Zeichen herum annimmt, füllt die Platte gerade eins der Felder. Im andern Felde saß dann eine Platte mit einem Zeichen unbekannter Form, als drittem Siegelzeichen des Pilatus.

Diese Nordwand des ersten Zustandes war mit dem Aufsatz 80 cm höher als die beiden andern Wände und verdeckte nach dem Schiff zu die Kuppel. Das Höhenmaß der Westwand steht mit 2,91 m fest; die westliche Nordwand, also die Ostwand des ersten Zustandes, wird genau so hoch gewesen sein und, abgesehen von einer kleinen Höhendifferenz, in den Profilen richtig ergänzt sein, während die Ergänzung der östlichen Nordwand keinem der Zustände entspricht. Die moderne Abdeckung der Westwand wird ebenfalls in Fortfall kommen müssen.

Als der Vorraum mit dem zweiten Zustande angelegt wurde, wird der Aufsatz fortgenommen sein, da ja der Türsturz der Ostwand mit dem Siegelzeichen die Stelle der ersten Siegel vertrat. Das untere Gesims des Aufsatzes, das für die Wand den oberen Abschluß bedeutete, blieb jedoch an seinem Orte. Der Mittelpfosten wurde herausgenommen und das Gesims zusammengeschoben. Heruntergenommen muß es erst sein, als man das Material zur Bildung der Grabkammertür benutzen wollte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Teile des Aufsatzes bei Anlage des Vorraumes dazu verwendet wurden, die beiden Steine, die als gesprengte Tür vor dem Eingang lagen, sowie den Engelstein darzustellen.

Wir haben also beim ersten Zustande statt der erwarteten zwei Aufsätze auf der Ostwand, einen großen mit zwei Feldern auf der Nordwand als oberen Abschluß der Wand. Die Zeichen selbst werden denen am Original nahe kommen, während die bei Breytenbach gezeichneten und die in Görlitz ausgeführten sich jedenfalls als falsch verstanden erweisen. Die Zeichen werden in Jerusalem schon im XV. Jahrhundert nicht mehr zu erkennen gewesen sein. Die drei tafelförmigen Umrahmungen in Görlitz z. B. können daher nicht die Siegel des Pilatus vorstellen. Sie haben aber eine bestimmte Bedeutung. Wie auf Breytenbachs Zeichnung und ebenso in Gernrode, wird man sich den Fels, aus dem das Grab besteht, als hinter der Verkleidung befindlich vorstellen sollen; in den Flächen der Felder tritt er dann zu Tage.

 

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Wir haben somit beim ersten Zustand des hl. Grabes in Gernrode eine Ostwand, die, mit der Klosterkuppel oben über sich dem Aussehen der Ostwand des hl. Grabes in Jerusalem und Görlitz verhältnismäßig nahe kommt. Die Maße des Grabraumes bleiben beim ersten Zustand dieselben und sind schon von vornherein absichtlich gewählt. Der zweite Zustand ließ die Aehnlichkeit der Ostwand fallen zu Gunsten eines Vorraumes und legte Wert auf Maße und Aehnlichkeit der Einrichtung im Innern. Daß dieser Zustand durch die Stuckarbeiten und eine neue Tür zum Grabraum in einen weiteren dritten Zustand verwandelt wurde, läßt sich nur aus dem Wunsche erklären, dem hl. Grabe noch reicheren Schmuck zu verleihen, als die Steinskulpturen des ersten Zustandes schon darboten; nach dem prophetischen Wort „et erit sepulcrum eius gloriosum.“

Zum Schluß bleibt uns bei Betrachtung des tatsächlichen Befundes noch eine Frage übrig. Wir fanden am hl. Grab in Gernrode vier kleine 1,00 m hohe Säulchen von gleichem Stil, zwei im Innern unter dem Stuckbogen und zwei außen verwendet. Es fragt sich, welchen Zwecken sie vorher dienten. Im Innern stehen sie jetzt vor je einem Steinpfeiler von gleicher Höhe, der mit dem Kern zusammen entstanden ist. Säule und Steinpfeiler haben ein gemeinsames Deckgesims von 10 cm Dicke. In ihrem oberen Teil sind die Säulchen, wie das Gesims, ganz zerstört, anscheinend durch Abpressen, da der ganze Stuckbogen und ein entsprechender Teil des Gewölbes auf ihnen lastete. Die kleinen Säulchen stehen in gar keinem Verhältnis zu dem großen Bogen. Ihr stilistischer Abstand von den Halbsäulen im Innern des Grabraumes ist ferner so groß, daß sie ohne Zweifel vor dem ersten Zustand des hl. Grabes schon vorhanden waren. Die Zerstörung des Details dieser Kapitelle kann nicht dem Alter zugeschrieben werden, denn außen sind die Säulchen ausgezeichnet erhalten. Es sind Kelchkapitelle von stark reduzierter korinthischer Form mit zwei Reihen dachziegelartiger Blätter.

Der Stuckbogen mit der Grabplatte im Fußboden erinnerte uns an die Form der Arkosolgräber wie z. B. an das im Dom zu Trier 1) aus späterer Zeit. In Erinnerung an ein solches kann vielleicht der Stuckbogen entstanden sein. Die vier Säulchen können

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1) Abb. bei Otte a. a. O. I. 340.

 

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möglicher Weise der Rest eines dem ersten Zustand des hl. Grabes in Gernrode nach vorangegangenen hl. Grabes sein, das die Form eines Arkosolgrabes hatte, falls sie nicht von einem andern kirchlichen Gegenstande herstammen.

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II. Teil.

Die Skulpturen am hl. Grabe in Gernrode.

a) Die Stuckskulpturen.

Heilige Gräber als selbständige kleine Bauten mit Figuren im Innern finden sich außer in Konstanz nicht. Der ganz ähnliche Polygonbau in Magdeburg ist leer. In Konstanz sind die Frauen am Grabe im Innern zweimal dargestellt. Einmal, wie sie Salben kaufen 1) und einmal in der üblichen Scene mit dem Engel und den Kriegern. Es ist also noch der Salbenverkäufer zu den üblichen Personen 2) hinzugekommen. In Gernrode ist, wie wir sahen, die ikonographisch am hl. Grabe zu erwartende Scene, also die der Frauen am Grabe, erst nachträglich beim dritten Zustand plastisch dargestellt. Die Krieger waren als Figuren nicht vorhanden. Das Ikonographische ist aber durch die Figur eines Bischofs sowie durch die Stuckreliefs außen erweitert. Der Bischof findet sich sonst nirgends, auch nicht bei den figurenreichen spätgotischen Gruppen. Er hat infolgedessen mancherlei Deutungen erfahren. Die Figur steht dem Eintretenden gerade gegenüber in der Westnische und ist überlebensgroß. Der Kopf ist abgeschlagen; die Figur wird aber ca. 1,90 m groß gewesen sein. Sie steht auf einem Sockel, der als Erdboden charakterisiert ist.

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1) Dieselbe Scene auf einem romanischen Kapitell im Museum zu Modena. Vergl. Venturi a. a. O. II, S. 270, Abbild. 262, und S. 263, Anm. 2.

2) W. Petkowic, ein frühchristliches Elfenbeinrelief im Nationalmuseum zu München. Dissertation Halle 1905. Enthält für das frühere Mittelalter einen Beitrag zur Ikonographie der Frauen am Grabe. S. 50 eine Tabelle.

 

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In der vor die Brust gelegten Rechten trägt der Bischof, der in vollem Ornat dargestellt ist, die Palme der Märtyrer, die bis an das linke Knie hinabreicht und deren Fächer oberhalb der Schulter abgebrochen ist. In der erhobenen Linken trägt er einen Bischossstab, der bis auf die Füße hinabreichte, oberhalb der Schulter auch abgebrochen ist. Die Figur ist sehr verschieden gedeutet, als Markgraf Gero, als hl. Ägidius, als hl. Cyriacus und als Bischof Bernhard von Halberstadt, der die erste Äbtissin einführte. Das Irrige der Deutungen als Gero, und als Cyriacus ergibt sich durch die Bischofstracht. Der Cyriacus, der in Gernrode verehrt wurde, war Diakon, wird in den Urkunden immer als solcher bezeichnet und ist auf dem Gernroder Siegel und der bei Büttner abgebildeten Glocke als solcher dargestellt. Ägidius kann die Figur nicht darstellen, da von Heinemanns Annahme über die Ägidiuskapelle gefallen ist. Die Deutung als Bischof Bernhard hat v. H. nur in der Annahme vorgenommen, daß es sich bei dem hl. Grabe zunächst um ein Grabmonument der Äbtissin Hedwig I. handle.

Der hl. Bischof muß in Beziehung zum hl. Grabe stehen, und es ist wahrscheinlich, das Jakobus minor, „der Bruder des Herrn“, der erste Bischof der Urgemeinde zu Jerusalem dargestellt ist. Nach dem „Hebräerevangelium“ 1) ist Jakobus „der Gerechte“ der erste, dem Jesus erscheint, weil er fest von dessen Auferstehung schon vorher überzeugt war. Vor seinem Martirium, das A. S. S. 1. Mai S. 33 h erzählt ist, gab er noch sein Zeugnis für die wirklich stattgehabte Auferstehung ab.

Die beiden Engelfragmente, die im Grabraum losgebrochen sich vorfanden, gehören östlich und westlich an die Wandflächen, die den Kurzseiten der Tumba gegenüberliegen. Teile einer Hand und der Kreuzstäbe sitzen noch an der Wandfläche fest. Die Reliefs waren ohne Grund und sind mit Eisendübeln befestigt gewesen, deren Löcher auf den Rückseiten der Stücke mit den Löchern in der Wand übereinstimmen. Sie saßen auf 60 cm hohen Sockeln, beginnen also bei der Oberkante der Tumba und waren ca. 1,00 m groß. Der Engel rechts, das größere Fragment, wies mit der Rechten auf den leeren Sarkophag. In romanischen Majuskeln stand auf seinem Schriftband:

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1) Henneke, Neutestamentliche Apokryphen No. 16. Handbuch 1904.

 

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„surrexit non est hic“. Der Engel links hatte die Rechte erhoben und auf dem Schriftband: „nolite expavescere.“ Es ist das aus den Buchstaben: „sur rex it non est“ und „no li te ex“ leicht zu ergänzen. Es befindet sich in dem Raum ferner ein Fragment einer Gruppe der drei Frauen.

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Es ist ein Stück von 85 cm Breite und 1,35 m Höhe. Die Füße sind fast ganz abgestoßen, die beiden Köpfe der Frauen links, Nase und Kinn der Frau rechts sind abgeschlagen. Im Grabraum ist nur ein Platz für sie möglich. Die Frauen können nur in der Nische der Nordwand gestanden haben und zwar auf dem Boden der offenen Tumba. Auf dem Boden ist auch tatsächlich die Standspur zu sehen. An dieser Stelle erwartet man die Frauen in Frontansicht. Sie schreiten aber nach links auf den Engel zu, auf dessen Spruchband zu lesen ist „nolite expavescere“. Es läßt das auf Vorbilder schließen. Für das Auge standen sie nicht in der Tumba, sondern dahinter. Diese Anordnung, die Frauen hinter der Tumba, findet sich z. B. auf einem Relief an einem silbernen Kelch aus dem XII. Jahrhundert in der St. Godehardi Kirche zu Hildesheim und auf einer Schmelzplatte der Sammlung Schnütgen 1). Bei den spätmittelalterlichen, noch als hl. Grab zu bezeichnenden Statuengruppen stehen die Frauen fast immer hinter dem Sarkophag. Die Krieger, die in Gernrode ganz fehlen, sind immer im Relief an der Tumbawand dargestellt, möglicherweise waren sie es auch in Gernrode, vielleicht nur eingeritzt und gemalt, wenn man keine Reliefs annehmen will. Als Beteiligte kommen zu den Personen, die im Mittelalter dargestellt werden, noch Joseph von Arimathia und Nikodemus sowie Johannes hinzu. Im späteren Mittelalter sind die Beispiele sehr zahlreich; es seien beispielsweise angeführt die hl. Gräber in Gmünd (um 1400), Altthan (um 1500), Oberehnheim (1504). Die Engel fallen oft fort oder sind wieder zu zweien symmetrisch angeordnet, wozu bei diesen hl. Gräbern in Nischenform die Architektur den Anlaß gab.

Die figürlichen Reliefs an den Außenwänden verteilten sich auf fünf einzelne Platten. Die Figuren haben drei, jedoch nur wenig verschiedene Maßstabe. Die abgemeißelten Reliefs an der östlichen Nordwand nehmen die ganze Höhe der Platte ein. Der Christus und die Heilige ihm gegenüber an der westlichen Nordwand sind der Erdbodenangabe

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-Heilige-an-der-westlichen-Nordwand-IMG-5908.jpg

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1) Abbildung bei O. v. Falke und H. Frauberger, deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters, 1904.

 

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wegen etwas kleiner. Alle drei Darstellungen sind 1,30 m hoch. Die Halbfigur an der westlichen Nordwand ist etwa lebensgroß und die Frau auf der Westseite ist dadurch, daß der Heiligenschein fortgelassen ist, in gleiche Körpergröße mit Christus und der Heiligen gebracht. Von den abgemeißelten beiden Figuren wendet die rechts den Kopf zurück und scheint mit der Rechten vorwärts zu zeigen. Beide Figuren sind nimbiert. Nach den Umrissen und den ganz ähnlich wie beim Christus behandelten Gewandzipfeln, wovon noch kleine Spuren stehen geblieben sind, können es nur Männer sein: es sind Petrus und Johannes, die zum Grabe des Herrn eilen (nach Ev. Joh. XX, 3, 4). Die Heilige auf der westlichen Hälfte der Wand erhebt abwehrend und erschrocken die Rechte, die Linke ist vor die Brust gelegt. Christus steht auf Erdboden, die Heilige auf Fels. Dadurch ist der Ort der Begegnung angegeben, es ist der Garten, in dem das Felsgrab lag und die Heilige ist Maria Magdalena, der Christus nach der Auferstehung erscheint. Die Frau an der Westseite nimmt die Mitte der ganzen Wand ein. Sie legt die Rechte wie erschreckt vor die Brust, die Linke wehrt demütig ab. Ohne Zweifel ist sie eine der Frauen, die zum Grabe geeilt waren. Die heiligen Frauen sind oft ohne Nimbus dargestellt, z. B. auf der angeführten Schmelzplatte. Daher ist das Fortlassen nicht auffällig hier. Die Kleidung der Frauen ist ähnlich der der Äbtissinnen auf den Quedlinburger Grabsteinen. Sie tragen langes Untergewand, Obergewand mit breitem Saum, enganliegend, und ein Kopftuch, das mehrfach um den Kopf geschlagen ist und auf die Brust herabhängt. Die Frau rechts in der Gruppe im Innern scheint noch einmal Maria Magdalena vorzustellen. Sie trägt wie außen einen Mantel und das Gesicht ist sehr ähnlich. In der Gruppe der Frauen fällt sie dadurch auf, daß sie mehr als die beiden andern in den Händen trägt, in der Rechten ein Räuchergefäß und im linken Arm zwei Salbbüchsen. Den Mantel hat sie hochgenommen, der dadurch in einem großen Zipfel von einem Arm zum andern gleitet und vom linken Unterarm dann steil herabfällt. Der Frau links sind beide Hände abgeschlagen, doch trug sie in der Linken einen Gegenstand. Die Frau zwischen beiden ist nach hinten gerückt und hält ein kleines Ölgefäß in der Linken. Die Ärmel des Untergewandes der Frauen sind entweder am Handgelenk zusammengeschoben,

 

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oder hängen lang herab, wie bei der Frau links in der Gruppe, bei der Maria Magdalena außen und bei der Frau an der Westwand. Bei allen Figuren laufen bei enganliegenden Gewändern die Falten in langen steilen Linien von oben nach unten. Besonders charakteristisch sind die von der Körpermitte, ähnlich wie bei den Quedlinburger Äbtissinnen, auf die Füße herabfallenden Falten. Die Köpfe der Frauen sind fein und zierlich. Die Schläfen sind eingezogen, die Stirn gewölbt, die Augen weit geöffnet und die Partieen neben den Lippen und unter dem Kinn bilden Gruben, sodaß die drei erhaltenen Frauenköpfe einen ängstlichen und bekümmerten Ausdruck erhalten. Der Christus hat ein schmales bärtiges Gesicht. Das Haar, in der Mitte gescheitelt, fällt in langen Strähnen auf die Schulter herab. Das Kinn und der linke Unterarm sind abgeschlagen. Der Auferstandene trägt Rock und Mantel, der in einem charakteristischen Zipfel endigt. Die Ärmel sind kurz und mit weiter Öffnung lang herabfallend wie beim Halbfigurenfragment. Mit der Rechten macht er den Redegestus und aus der angezogenen Linken hängt eine Schriftrolle herab, deren aufgemalter Text „noli me tangere“ gewesen sein wird. Im oberen Feld ist in der Halbfigur mit dem modernen Kopf ebenfalls Christus dargestellt. Er macht dieselben Gesten wie ein thronender Christus, indem er mit der Rechten segnet und in der Linken ein Buch hält 1). Beide Christusfiguren sind gleich gekleidet. Die Flächen sind bei der oberen Figur größer und nur in der Achsel sind kleine geschnittene Falten vorhanden und der Bauch ist von concentrischen Falten umgeben. Der Bischof steht aus der Erdbodenangabe; die Füße stehen aber noch nicht fest auf und sehen wie herabhängend aus, wie bei einem mittelalterlichen Grabdenkmal. Die Hände, besonders die Linie, sind von feiner Form. Das Gewand verdeckt die Körperform, hat nur wenige leichte Falten und läßt nur die Unterschenkel bemerken. Während der Bischof und die Frauengruppe aus dicken, hinten zugespitzten Gußkernen bestehen, die nach dem Aufstellen ausgefüllt sind, und auf dem Boden aufstehen müssen, sind die beiden Engelfragmente dünne Stücke, die an der Wand in

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1) Von Kugler richtig gedeutet. v. Heinemann meint mit Puttrich a. a. O. S. 51 in der oberen Hälfte die Grabplatte einer der ältesten Äbtissinnen, vielleicht die der Hedwig I. zu erkennen.

 

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der schon angegebenen Weise angebracht waren. Das kleinere bietet seiner Zerstörung wegen wenig Anhalt, es ist nur das mittlere Drittel des Reliefs vorhanden. Dem größeren fehlt Kopf und rechter Arm. Die Engel tragen wie die Frauen Untergewand und Obergewand mit breitem Saum. Da sie sitzend dargestellt sind, bildet das Obergewand im Schoß eine große herabhängende Falte. Die Parallelführung der Gewandfalten ist beim größeren Fragment steif und schematisch, namentlich an der Seite, wo der gekrümmte scepterhaltende Arm sie verursacht.

Ad. Goldschmidt 1) seht diese Stuckskulpturen in die Zeit von 1170 - 1190 und weist auf die Stilverwandschaft mit den Marmortafeln in Magdeburg hin. Eine etwa gleiche Stilstufe zeigen die bei Clemen 2) abgebildeten Stuckskulpturen in der Kirche zu Gusdorf. Sie sind noch einfacher in der Faltengebung gehalten als die Gernroder und zeigen große ruhige Flächen wie die Gruppe von Reliefs aus Walroß, die in Cöln oder in der Maaßgegend entstanden sind und in die zweite Hälfte des XII. Jahrhunderts gehören. Für die Walroßreliefs sind die kleinen punktähnlichen Löcher, die die Falten begleiten, charakteristisch.

Drei Frauen am Grabe finden sich auf einer solchen Platte im Kunstgewerbemuseum zu Cöln. Sie schreiten nach rechts, tragen zwei Weihrauchgefäße und stehen auf Felsboden. Um den Kopf tragen sie ein Tuch mehrfach geschlagen und stehen in der ganzen Auffassung der Gruppe in Gernrode nahe. Da sich auf einem Hildesheimer Buchdeckel in Trier, der nach v. Falke-Frauberger aus der Zeit um 1160 stammt 3), derselbe Stil findet, so scheint es sich bei den sächsischen Stuckskulpturen um rheinische Einflüsse zu handeln. Unter den noch erhaltenen sieben Relieftafeln in Gusdorf befindet sich auch eine mit der Darstellung der drei Frauen am Grabe. Eine Gruppe der drei Frauen am Grabe nebst einem Engel findet sich ferner unter den im Hildesheimer Andreasmuseum aufbewahrten Fragmenten von Stuckreliefs. Diese und die in Gusdorf stammen aber nicht von einem

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1) Studien zur Geschichte der sächsischen Skulptur in der Übergangszeit vom romanischen zum gotischen Stil 1902. S. 8 ff. Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Königl. Preußischen Kunstsammlungen Band XX, XXI und XXII.

2) Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz III, 638.

3) a. a. O. Tafel 103.

 

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hl. Grabe, sondern nach den übrigen, dazugehörigen, Darstellungen zu schließen, von Chorschranken. Die Gusdorfer waren bemalt. Auch die Gernroder Stuckskulpturen im Innern des Grabes zeigen wie die Gröninger Apostel Reste von Bemalung. Dunkelrot an der Gruppe

der Frauen, mattes Rot und Grün zeigt sich am Jakobus und dem größeren Engelfragment. Diese Reste scheinen jedoch von der spätmittelalterlichen Ausmalung herzurühren und es läßt sich nur vermuten, daß die Skulpturen auch ursprünglich schon bemalt waren nach dem fettigen Aussehen der Oberfläche gegenüber dem Bruch.

 

b) Die Steinskulpturen.

In die Stuckplatte zwischen Petrus und Johannes ragte, wie wir schon sahen, vom oberen Fries her das Ende des Leibes und die Fänge eines Adlers hinein, Teile, für die wir annahmen, daß sie vorher auf einer inneren Umrahmung Platz hatten. Wie die Stuckskulpturen an dieser Wand sollten auch die Steinskulpturen abgemeißelt werden, was aber nur zum Teil ausgeführt ist. Wir besitzen daher noch etwas mehr als die Hälfte davon.

Senkrecht unter dem Adler sitzt auf dem unteren Streifen ein Kopf mit Hals und Flügeln an den Schultern, der von einer Aspis angegriffen wird.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-oestliche-Nordwand-Aspis-und-Evangelistensymbol-IMG-5886.jpg

Auf dem Fries links bemerken wir in mittlerer Höhe einen geflügelten Löwen.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-oestliche-Nordwand-gefluegelter-Loewe-IMG-5874.jpg

Wir können wohl ohne weiteres ihm gegenüber in dem nicht mehr vorhandenen Streifen rechts den geflügelten Stier annehmen als viertes Evangelistensymbol. In den Ecken links oben und unten haben wir je zwei menschliche Gesichter in Dreiviertelstellung am gemeinsamen Hals, in deren Mund die Ranken verschwinden, die von den vier Evangelistensymbolen ausgehen.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-oestliche-Nordwand-menschliche-Gesichter-mit-Ranken-IMG-5869.jpg

Rechts oben kann man die abgemeißelten Köpfe auf dem Grunde noch erkennen und rechts unten werden symmetrisch dieselben Köpfe gesessen haben. Über dem Marcussymbol sitzt in der Ranke und diese anbeißend ein Tier, anscheinend ein junger Löwe, der die linke Vordertatze und linke Hindertatze erhoben hat.

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Die Deutung wird folgende sein: Die Ranken stellen das Evangelium dar. Von den vier Evangelisten wird das Wort Gottes den Menschen mitgeteilt. Der junge Löwe beißt in die Ranke hinein,

 

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aber anscheinend nicht, um sich vom Evangelium zu ernähren, sondern um es anzugreifen. Diese Absicht ist ganz deutlich bei der Aspis im unteren Streifen ausgedrückt. Dort gilt der Angriff speziell dem Evangelisten. Die Ranken ziehen sich nicht wie an der Westseite als durchgehendes Band auf einer Seite entlang, sondern bilden Einzelranken, die an ihren Berührungspunkten, wenigstens auf dem oberen und unteren Friese, von je zwei vertikal übereinander sitzenden Klammern oder Schließen zusammengehalten wurden. Diese sind von dreieckiger Form mit einer Art Siegel an einer Ecke.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-oestliche-Nordwand-Klammer-in-den-Ranken-IMG-5882.jpg

Diese eigenartigen Klammern finden sich auch an der Westseite im breiteren Friese in derselben Funktion bei den in sich geschlossenen Kreisen im oberen Streifen, während sie sonst nur verwendet sind an den Stellen, wo die Ranke abzweigt, und dort ohne Funktion wie angehängt erscheinen. Wir fanden sie auf einem Relief im Museum zu Como, Abb. bei Venturi III. Fig. 125, aus dem Anfang des XII. S., und auf Werken der Kleinplastik wieder, z. B. auf einer italienischen, byzantinisierenden Elfenbeinplatte zu Ravenna. Es ist also schon ein byzantinisches Motiv. Ferner findet sich die Klammer auf einem silbernen Evangeliendeckel aus Bamberg (München Universitätsbibliothek, Cim. 59.) Der Deckel gehört nach Vöge in die erste Hälfte des XI. Jahrhunderts, nach Ad. Goldschmidt in die zweite Hälfte. Für die Beziehungen der Kleinplastik zu den Gernroder Steinskulpturen ist der Evangeliendeckel auch deswegen wichtig, weil sich auf ihm auch äußerst ähnlich die dreizackartige Blütenbildung findet, die den Köpfen auf den Mitten der äußeren Umrahmung der Westseite nach beiden Seiten hin aus dem Munde wächst.

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Die Blüte findet sich im Innern des hl. Grabes an einem Kapitell noch zweimal. Ferner findet sich die Schließe als Dreieck ohne das „Siegel“ daran auf einer Dreiecksplatte, die die Zwickel zwischen zwei Rundbögen an der Eingangsseite der Krypta von S. Zeno zu Verona füllt. An die Ecken eines mittleren Dreiecks hängen sich je zwei solcher Dreiecke, nach den Ecken der Dreiecksplatte zu, an. Es ist dieses Klammermotiv daher wahrscheinlich aus Italien nach Deutschland gekommen. Eine weitere stilistische Übertragung aus Italien stellen die beiden glatten Pfosten von der Westseite des hl. Grabes dar. Sie tragen die obere horizontale Rahmung des Mittelfeldes und teilen es in drei stehende Rechtecksflächen. Sie finden sich

 

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in ähnlicher Verwendung z. B. an der Kathedrale zu Ferrara 1). Das Blattwerk der Ranken an der Nordseite des Grabes erweist sich mit seinen kleinen Abzweigungen und den knotigen und knospenartigen Spitzen daran, sowie in seinen Blütenformen als byzantinisierend, wie es sich schon in der ottonischen Zeit findet. Die fünfteilige Blüte im oberen Streifen links hat auffallende Ähnlichkeit z. B. mit einer Blüte auf einer deutschen Miniatur, die bei Vöge 2) abgebildet ist. (Seite 351, Abbildung 42: in der Ecke links unten der Miniatur). — Die Form der Ranken an der Nordseite des hl. Grabes in Gernrode ist unregelmässig nach Anzahl der sich von den gegebenen Punkten, den Mitten und Ecken, entwickelnden Spiralen, nach der Wendung, die sie nehmen und nach der Form der drei- und fünfteiligen Blüten. Nur bei dem Adler, durch dessen Kopf der Rankenstengel geht, rollt sich die Ranke seitlich symmetrisch auf.

An der Westseite des heiligen Grabes besteht der äußere Fries aus Weinlaub in Form von vier sich auf den vier Seiten wiederholenden Wellenranken, an deren Wendepunkten jedesmal nach einer Seite sich ein Stengel abzweigt mit einer Schließe an der Stelle. Das Blattwerk der Ranke ist dreiteilig; außen ein zusammengeklapptes, stark geripptes Blatt und ein schmales aufgerolltes Blatt, in der Mitte dazwischen entweder ein kleineres geripptes Blatt, ein mittelbreites Blatt mit Spitze oder eine Weintraube. In den Ecken der Wand befinden sich symmetrisch je zwei fischartige Köpfe, denen die Wellenranken aus dem Maule wachsen.

tl_files/Fotos/Gernrode/Gernrode-Stiftskirche-St-Cyriakus-Hl-Grab-Westwand-Fries-fischartige-Koepfe-mit-Wellenranken-IMG-5765.jpg

Die Mitten dieses äußeren Frieses nehmen Menschenköpfe ein. Auf den beiden seitlichen Friesen und auf dem unteren gleiten die Ranken diesen Menschenköpfen in die Ohren, während aus deren Mund jedesmal nach beiden Seiten Weinlaub sprießt. Dem Kopf im oberen Fries glitt die Ranke durch den Mund und bildet eine große Kreisschleife, die die Mitte des darunter befindlichen inneren Frieses einnimmt und das Lamm mit dem Kreuzstab einschließt. Bei der Erneuerung des Kopfes in diesem oberen Streifen ist das nicht richtig wiedergegeben. Die Menschenköpfe

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1) Venturi a. a. O. III. Fig. 310 und 311.

2) Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Ergänzungsheft VII 1891. Wilhelm Vöge, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends Kritische Studien zur Geschichte der Malerei in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert

 

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auf Nordwand und Westwand sind verschieden gebildet. An der Nordwand haben die Köpfe langes gescheiteltes Haar. Es sieht aus, als wenn Laien dargestellt sein sollen. An der Westseite haben die Köpfe statt gescheiteltem langen Haar anscheinend geschorenes Haar. Die Ranken, die den in den Ecken sitzenden Fischköpfen entspringen und in den Mund der auf den Mitten sitzenden Menschenköpfe gleiten, deuten darauf hin, daß Christus das Evangelium Geistlichen mitteilt, und die Weinranken, die aus ihrem Munde kommen, deuten an, daß die Geistlichen das Wort weiter verbreiten.

Die Ranke der inneren Umrahmung entspringt an einem Punkte, in der Mitte des unteren Frieses. Sie entwickelt sich zunächst nach beiden Seiten symmetrisch mit wechselseitig sich abspreizenden Kreisranken, wieder mit den Schließen an den Abzweigungspunkten, schlängelt sich an den Seiten hinauf und bildet von rechts nach links zu verfolgen im oberen Streifen eine Wellenlinie, die sich beim Löwen links umwendet und als Wellenlinie zurückkehrend fünf Kreisschleifen bildet. In den äußeren Kreisschleifen stehen zwei auf die Mitte zuschreitende Löwen.

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Der Löwe links hat eine Blüte oder Blätter 1), der rechts eine Weintraube im Maule.

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Die beiden freien Endigungen der Ranke sind symmetrisch angeordnet und befinden sich in den Zwischenräumen zwischen den Löwen und den beiden Heiligen. Zwischen dem Lamm mit dem Kreuzstab und den auf die Mitte zuschreitenden Löwen befinden sich in den durch die Wellenranke gebildeten und unter einander verklammerten Kreisen links vom Lamm die Taube mit Kreuznimbus und rechts ein Adler als Gegenstück, ohne Nimbus.

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Das Lamm in Begleitung von Taube und Adler findet sich in Italien auf dem Türsturz des Seitenportals des Doms zu Asissi in Kreisranken, die auch an den Berührungsstellen verklammert sind. Taube und Adler allein finden sich an einem Kirchenportal in Siena (Photogr. Lombardi) am Türsturz angebracht, links Taube, rechts Adler. Auf beiden Seiten davon stehen sich Aspis und Sphinx symmetrisch gegenüber. Auf unserem Relief folgen dann die Löwen und links Johannes der Täufer, kenntlich an seinem Tierfell, mit Kreuzstab in der Linken und mit der Rechten auf das Lamm weisend: „ecce agnus dei“.

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Auf der anderen Seite steht ebenfalls ein Heiliger, der mit der Rechten

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1) Jedenfalls keine Ähre, wie v. Heinemann meint.

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auf das Lamm weist und in der Linken ein Buch trägt. Zwei Heilige auf das Lamm weisend finden sich am Vorbau des Domes zu Ferrara 1)

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des Domes von Verona 2), der Kirche S. Zeno zu Verona 3), am linken Nebenportal in der Fassade des Domes zu Piacenza 4). Johannes der Täufer steht immer rechts hier. Links ist Johannes der Evangelist dargestellt, wie sich aus seinem Schriftband bei S. Zeno ergibt: „In principio erat verbum.“

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UeberalI haben die Figuren Nimbus, in Modena an der Unterseite des Architravs der kleineren Tür von der Südwestfassade des Domes aber anscheinend nicht. Die beiden Figuren neben dem Lamm nennt Zimmermann hier Johannes den Täufer und „einen Propheten“, vielleicht weil schon die 12 Apostel in der Pfostenleibung dargestellt sind. Es läge nahe, daß auch hier Johannes der Evangelist dargestellt wäre. In Gernrode trägt der fragliche Heilige einen großen Backenbart, weshalb er vielleicht immer Moses genannt wird.

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Es sind aber auch hier ohne Zweifel die beiden Johannes dargestellt. Diese beiden Heiligen stehen auf einer kräftig geriffelten Querleiste, die die ganze obere Darstellung von der unteren trennen soll, aber den Verlauf der inneren und äußeren Ranke nicht unterbricht. Es ist nicht zu sagen, ob die dann folgende, symmetrisch angeordnete, sehr zerstörte Querleiste auch geriffelt war, und ob sie mehr als eine formale Bedeutung hat. Von den Wellen- und Kreisranken sind in der unteren Darstellung elf Tiere umschlungen, von denen nicht überall zu sagen ist, was sie für Tiere sind und was sie vorstellen sollen. Unter Johannes dem Täufer steht ein Löwe mit erhobener linker Vordertatze, menschenähnlichem drohenden Gesichtsausdruck und mit geöffnetem Maul, darunter ein Hirsch.

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Im unteren Streifen folgt ein Tier mit gesenktem Kopfe, anscheinend ein Bär, dann Aspis die rechte Tatze erhoben, vielleicht im Kampfe mit dem Bären gedacht, dann ein Laufvogel, der, mit bildlichen Darstellungen verglichen, einer Feldralle (crex) ähnlich ist. Das nächste Tier ist unverkennbar ein Rabe,

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dann folgt ein Vierfüßler, anscheinend liegend und auflauernd, dann wieder zwei Laufvögel. Der erste sieht aus wie ein Waldhuhn (tetrao). Der andere Laufvogel ist ohne Zweifel eine

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1) M. G. Zimmermann, Oberitalienische Plastik 1897, Abb. 25.

2) desgl. Abb. 28.

3) desgl. Abb. 29.

4) desgl. Abb. 30.

 

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Trappe (otis). Die Trappe ist an ihrem straußähnlichen Aussehen zu erkennen und gilt als besonders scheuer Laufvogel.

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Darüber ist im Streifen rechts eine Sphinx angebracht und zuletzt ein im Auffliegen begriffener Vogel mit langem Hals, vielleicht eine Wildgans.

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Diese elf Tiere sind teils aus der Phantasie geschöpft, teils Wild. Löwe mit menschlichen Gesicht, aussehend wie „quaerens quem devoret“, Bär, Aspis, Rabe, Sphinx sind als Vertreter des Bösen bekannt. Die drei Laufvögel und auch die Wildgans haben gemeinsam die Eigenschaft, mehr Nacht- als Tagvögel zu sein, sich im dichten Gras, Erdspalten und Klüften zu verkriechen, tagsüber, und des Nachts auf Raub auszugehen. Es sind also Tiere, die die Finsternis suchen und das Licht scheuen. Der Hirsch ist in diesem Zusammenhang schwer unterzubringen. Wenn es ein Hirsch sein soll, ist vielleicht an die Eigenschaft gedacht, daß der Hirsch sich von seiner Heerde absondert. Für eine Antilope würde das Geweih nicht passen, sonst könnte man die Darstellung auch dafür halten. Da aber der Künstler eine Antilope aus eigener Anschauung nicht kannte, so mag er nach einer Beschreibung, vielleicht dann dem Physiologus gegangen sein. Es sei dazu nach Otte 1) angeführt, daß die Antilope, die sich mit ihren beiden sägeartigen Hörnern im Weinrankengeflecht verwickelt, die Sinnenlust darstellt, die Seele, die trotz ihrer Kenntnis der beiden Testamente unterliegt. Dieses hirschähnliche Tier und der noch übrig bleibende auflauernde, vielleicht auch springend gedachte Vierfüßler werden aber jedenfalls ihrer Deutung nach in den Zusammenhang hineinpassen, sodaß wir unten die Sünde, oben die Erlösung durch das Kreuzeslamm dargestellt sehen. Will man nicht allen elf Tieren schlechte Eigenschaften beilegen, so muß man sich darauf beschränken, zu sagen, daß die Tiere Repräsentanten menschlicher Eigenschaften darstellen sollen 2). Von den beiden symmetrisch neben dem Lamm als Wächter ausgestellten Löwen 3) hält einer eine Traube im Maul. Auf dieser Wand sind im ganzen zwölf Trauben zu zählen. Man

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1) a. a. O. I, 483.

2) Ueber solche Fragen siehe z. B. Adolph Goldschmidt, der Albanipsalter in Hildesheim und seine Beziehung zur symbolischen Kirchenskulptur des XII. Jahrhunderts, 1895, den III. Abschnitt: Ikonographische Bedeutung der Initialen.

3) Beispiel bei Ad. Goldschmidt, Albanipsalter S. 58, Anm. 1.

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denkt dabei an das Wort Christi: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben.“ Ob die Zwölfzahl der Trauben und die Elfzahl 1) der Tiere Zufall ist, mag dahingestellt bleiben. Taube und Adler neben dem Lamm sind als Attribute der beiden Johannes zu betrachten, also die Taube als Attribut des Täufers und der Adler als Attribut des Evangelisten. Auf den italienischen Beispielen sind also Taube und Adler symbolisch für die beiden Johannes gesetzt. Die Figuren und die Symbole zusammen in demselben Programm scheinen in Italien nicht vorzukommen. Es sind also in Gernrode zwei Arten derselben Darstellung miteinander vereinigt. Da hinzukommt, daß solche Rankenfriese mit Tieren ein zu Anfang des XII. Jahrhunderts in Oberitalien allgemein verbreitetes Motiv sind, so ergibt sich, daß die Steinskulpturen am hl. Grabe in Gernrode inhaltlich von Oberitalien abhängig sind. Daß auch stilistisch eine solche Abhängigkeit vorhanden ist, wollen wir sogleich nachweisen.

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III. Teil.

Stilistischer Einfluss Italiens auf Sachsen zu Anfang des XII. Jahrhunderts.

Bei den gefundenen Beziehungen zu Oberitalien ist nun das wichtigste, daß die oberitalienischen Portalprogramme, die doch ganz offenbar als Vorbild gedient haben, sicher datiert sind. Als frühster von diesen italienischen Bauten ist Ferrara anzuführen. Der Vorbau ist vom Meister Nikolaus mit 1135 inschriftlich datiert und signiert 2). Es kann daher das hl. Grab in Gernrode erst nach dieser Zeit entstanden sein. Eine ähnliche Datierungsgrenze bietet uns die Schloßkirche

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1) Die Elfzahl gilt als Zahl der Sünde. v. Heinemann meint a. a. O. S. 52, es seien alles apokalyptische Tiere.

2) Zimmermann a. a. O. S. 78 ff.

 

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des nahe bei Gernrode gelegenen Quedlinburg. Dieser Bau weist unter seiner reichen Pflanzen- und Tierornamentik zwei Motive auf, die am hl. Grabe wiederkehren: die gerillte Leiste an der Westwand und ein Adler auf der Ecke eines Kapitells im Innern des Grabes. Es sind das in Quedlinburg äußerst häufige Motive. Die Schloßkirche gilt jedoch nicht als Bau des XII. S., sondern teils ganz, teils nur in Bezug auf die Oberkirche als Bau vom Jahre 1021, wie weiter unten die vergleichende Aufstellung zeigt. Es fragt sich, ob wirklich von dort aus nach Gernrode Übertragungen stattgefunden haben, ob auch Quedlinburg italienische Beziehungen aufzuweisen hat, und wann Ober- und Unterkirche entstanden sind. Das Detail der Schloßkirche ist reich und durchweg elegant zu nennen. Nur erfahrene, geübte Künstler können hier gearbeitet haben. Für die Frage der Entstehung von Ober- und Unterkirche fordern die Adler zum Vergleich heraus, die auf den Kapitellen so oft dargestellt sind, jedoch von drei verschiedenen Händen; ganz stilisiert in mächtiger Größe auf den Ecken der großen Schiffskapitelle 1), die Würfelform haben, und deren Ornamentik ganz in der Fläche gehalten ist; dann auf zwei Halbsäulenkapitellen, einmal in dem Raume unter der Westempore 2) und einmal in der Unterkirche 3). Diese beiden letzten KapitelIe haben das Gemeinsame, daß die Tiere in natürlicher Weise die Ecke bilden, ohne wie beim Würfelkapitell, der doppelten Ansicht wegen, wie gespalten zu erscheinen. Ferner ist der untere Teil der Flügel immer beim linken Flügel schuppenartig aus einzelnen kleinen Federn bestehend dargestellt, während der rechte Flügel lange senkrechte Parallelfedern ohne Querteilung zeigt. Die Arbeit in der Unterkirche ist die feinere; die Federn des Vogelleibes fließen weich von oben nach unten und fügen sich, muldenförmig gebildet, eine an die andere. Die Adler haben ein Blatt im Schnabel. Die Tiere am Kapitell unter der Westempore sind gröber und flüchtiger gearbeitet. Kopf, Schnabel, Füße sind wie bei den Adlern der Unterkirche, das Gefieder aber ist ganz kraus in unregelmäßigen Muldenformen nebeneinandergesetzt, ist ohne Fluß, und die Flügel sind mit einem Rundleistenkontur umzogen.

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1) Kutschmann a. a. O. Tafel 6a.

2) desgl. Tafel 6d.

3) desgl. Tafel 4c

 

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Die Kapitellform ist aus dem korinthischen Kelch genommen, aber vereinfacht. Bei dem in der Unterkirche klingt die Schwingung des Horizontalschnitts des korinthisierenden Kapitells deutlich durch. Brinkmann will das Kapitell im Turm als Vorstufe hierfür ansehen; es ist aber die schlechte Kopie eines besseren Vorbildes. Ferner ist das Kapitell im Turm des gerillten Halsringes der Säule und des Taues über den Vögeln, sowie des Abakus und des mehr körnigen Eindrucks des Gefieders wegen von den Formen der Oberkirche beeinflußt, sodaß hier zwei Entlehnungen stattgefunden haben. Die Unterkirche kann daher nicht später entstanden sein als die Oberkirche. Nach den bisherigen Annahmen war die Oberkirche der Bau von 1021 und die Unterkirche der von 1129. Ein solcher Zeitunterschied bei so ähnlichen Kapitellen ist unmöglich. Es müssen Ober- und Unterkirche aus derselben Bauzeit sein und diese zu bestimmen ist bei den wenigen sonstigen Vergleichsmöglichkeiten in Sachsen für die Steinskulpturen in Gernrode wichtig. Es fragt sich, wie weit der italienische Einfluß in Quedlinburg geht. Die Federzeichnung bei Kutschmann vom Chorfenster in S. Abbondio in Como hat so große Ähnlichkeit mit der Umrahmung des Fensters in der Conche des südlichen Querschiffs zu Quedlinburg 1), daß eins die Copie vom andern sein muß. Kutschmann ist nur die Uebereinstimmung des Motivs dieser Umrahmung, nämlich das der pickenden Vögel aufgefallen. Lombardische Einflüsse seien an diesen Architekturgliedern deutlich erkennbar. Aber eine weitere genaue Detailvergleichung führt uns zu der Ueberzeugung von der Abhängigkeit Quedlinburgs in der Ornamentik von S. Abbondio in Como und ferner von S. Ambrogio in Mailand. Venturi 2) setzt diesen Bau ins Jahr 1098 und den Campanile 1128. Nach Dehio 3) ist er in den Anfang des XII. Jahrhunderts, nach Stiehl 4) in die Zeit um 1128 zu setzen. Venturi 5) spricht von der Ähnlichkeit zwischen

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1) a. a. O. I, S. 10 und Tafel 7.

2) a. a. O. III, 110 ff.

3) a. a. O. I, 188.

4) O. Stiehl, der Backsteinbau romanischer Zeit, besonders in Oberitalien und Norddeutschland 1898.

5) a. a. O. III, 12.

 

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S. Abbondio und S. Ambrogio. Nach Merzario 1) ist S. Abbondio 1093 oder 1095 geweiht, nach andern ist 1098 ein Weihdatum, nach Dehio 2) ist es 1095 geweiht, jedoch nennt er Tafel 323 und I 716 für das Fenster der Apsis (an späterer Stelle) das XII. Jahrhundert. Wir finden nun in Quedlinburg beide Vorbilder vermischt vor und zwar ist die Unterkirche hauptsächlich nach S. Ambrogio und die Oberkirche mehr nach S. Abbondio im Detail gebildet. Die Wülste in den Fensterleibungen finden sich bei S. Abbondio 3), ebenso der Tauwulst 4) zwischen zwei Stromschichten aus Haustein. In der Umrahmung des Chorfensters außen 5) findet sich bei diesem Bau ferner das aus einer Verwachsung von Kreis und Viereck mit Schleifen auf den Ecken entstandene Friesornament. Es kehrt in Quedlinburg wieder am Dachgesims des nördlichen Seitenschiffs. Aussen und innen kehrt das Flechtbandmuster aus S. Ambrogio 6) immer wieder; die bandartige Umrahmung der Adlerflügel des Kapitells unter der Westempore findet sich am Ambo dort 7). In der Unterkirche liegen etwa 8 m Bruchstücke von Umrahmungen, die sehr wahrscheinlich von der alten Vierungsbrüstung der Oberkirche stammen; sie sind mit verschiedenen Palmettenfriesen besetzt, die an einem Kapitell 8) und an einem Pfeiler 9) in S. Ambrogio sich wieder finden. In der Unterkirche ist das Kapitell mit den Adlern auf den Ecken und der Abakus ähnlich einem bei Dehio 10) abgebildeten aus S. Ambrogio. Die Form der Abaken von zwei Kapitellen 11) gleicht der vom Portalkapitell in S. Ambrogio 6). Das Flechtbandmuster dieses Mailänder Kapitells ist in Quedlinburg sehr häufig, wie ebenso die Riffelung runder Leisten,

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1) Merzario, J maestri Comacini. Storia artistica di mille ducento anni 1893. I, 86.

2) a. a. O., Tafel 66 und I, 241.

3) Photog. Alinari 14302.

4) Dehio, Tafel 317,11.

5) Photog. Kliche 1891.

6) " Brogi 9106.

7) " " 9112 und Unturi III, Fig. 178.

8) " " 9105.

9) " " 9107.

10) Dehio, Tafel 322,6.

11) Photog. Kliche 1903, 1891; bei Kutschmann a. a. O., Tafel 4c und 5e.

 

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z. B. des Halsringes dieses Kapitells. Das Sternchenmuster 1) aus S. Ambrogio ist gleich dem an einem Kapitell der Unterkirche 2); und am Ambo von S. Ambrogio finden sich Achtecksäulen mit achteckigen Basen 3), die in Quedlinburg wiederkehren, jedoch ohne Eckblätter. Der große Unterschied im ganzen Charakter zwischen Ober- und Unterkirche ist vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, daß zwei Werkmeister zugleich tätig waren. Die 59 Jahre Bauzeit nach dem Brande von 1070 verringern sich vermutlich auf eine einheitliche Bauzeit ohne Unterbrechung in den zwanziger Jahren des XII. Jahrhunderts. 1856 hat das schon von v. Quast 4) ausgesprochen: „Die sonst so begründete Annahme, daß die Schloßkirche zu Quedlinburg erst zwischen 1070 und 1129 gebaut sei (folglich auch die zu Wester Gröningen) wird also durch die Baugeschichte der Marienkirche zu Magdeburg bestätigt.“ In diesen Bauten kehrt nämlich dieselbe Ornamentik wieder, was schon von Kugler bemerkt ist. In Gröningen 5) ist sie sehr gering an Qualität und verrät sich doch ohne weiteres als schlechte Copie von Quedlinburg. Die Säulenkapitelle am Turm, das Friesornament im Innern, und vor allem die Schiffskapitelle mit den Adlern, Krokodillen, Fischköpfen, Sternblumenmustern zeigen das. In Magdeburg 6) wiederholen sich z. B. das Flechtbandornament und der griechische Palmettenfries. Die Quadratschraffur der pickenden Hühner 7) hat ihr Vorbild in Quedlinburg, ebenso das Fenster mit den Rundstäben in der Westmauer des Querschiffs 8). Wie die Adler an den großen Schiffskapitellen sind die Hühner streng stilisiert; die Körperoberfläche bildet durch die Schraffur Quadrate mit einem dicken Korn darin. Die Schwänze und Flügel haben dagegen eine Parallelschraffur, durch die in der Höhe die Flächen der Tiere sich deutlich trennen. Die Marienkirche ist sicher durch Norberts Bau 1134 datiert. Zu den angeführten

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1) Photogr. Brogi 9105.

2) " Kliche 1891.

3) " Brogi 9107.

4) Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst, I S. 180.

5) Kutschmann, a. a. O. I Tafel 15.

6) Kohte, das Kloster und die Kirche U. L. F. in Magdeburg. Zeitschrift für Bauwesen 1895, S. 26 ff.

7) Kohte, a. a. O., Abb. 5.

8) Kohte, a. a. O., Abb. 4.

 

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Gründen für eine spätere als bisher übliche Datierung Quedlinburgs kommt hinzu, daß der 4. Juni als Weihdatum gefeiert wurde, und der gehört zum Jahre 1129. Es können die Grabsteine der Abtissinnen 1) daher sicher erst nach dieser Zeit entstanden sein. Die Muster der Umrahmung der Platten 2) kehren auf den Bruchstücken wieder, die wir als von Vierungsschranken stammend angenommen hatten. Die handwerksmäßige Arbeit der Grabsteine scheint in ihnen ihr Vorbild zu haben. Bei Puttrich und in den Bau- und Kunstdenkmälern der Provinz Sachsen, Kreis Sangerhausen, finden sich Hinweise auf die Ähnlichkeit in der Ornamentik zwischen der Schloßkirche bezw. dem hl. Grabe in Gernrode und der Ulrichskirche zu Sangerhausen. Es kehren hier wieder: Die an Weintrauben pickenden Vögel, zwei reißende Tiere, ein Kopf, dem Weinranken in den Mund gleiten, Löwen, das S-Muster, ein wirres Band, das Sternblumenmuster. Mit einer wahrscheinlichen Bauzeit zwischen 1116 und 1123 ff. würde das zu unserer Annahme über Quedlinburg sehr gut passen.

Die Liebfrauenkirche in Halberstadt ist zwischen 1135 und 1146 entstanden. Abgesehen von den spätromanischen Zutaten ist sie fast ohne Schmuck. Nur am Kämpfergesims des Eingangs zur rechten Apsis findet sich stehendes Blattwerk, das, ein wenig variiert, sonst aber völlig den bei Kutschmann Tafel 5f und Tafel 6b und c abgebildeten Deckplatten der Kapitelle der Oberkirche gleicht. Während in Sangerhausen dieselbe Kunst, ist in diesem Ornament in Halberstadt derselbe Künstler vertreten wie in Quedlinburg. Das Oberund Unterkirche zugleich entstanden sind, sagt vor v. Quast schon Kugler 3), aber mit der Bauzeit 997—1021. Dehio 4) setzt zum Grundriß der Oberkirche die Zahl 997, Haase 5) 1070, Brinkmann 6) nimmt die „1070 nicht nennenswert beschädigte Oberkirche“ für 1021 und die Unterkirche für 1129 in Anspruch.

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1) Ad. Goldschmidt, a. a. O., S. 6. (Sächsische Skulptur.)

2) Vergl. das S-Muster auf dem langobardischen Fragment bei Venturi, a. a. O. II Fig. 110, S. 137.

3) a. a. O. S. 66 ff.

4) a. a. O. Tafel 47,2 und Text I, 218.

5) die Gräber in der Schloßkirche zu Quedlinburg. Grundriß III der Tafel.

6) Zeitsch. d. Harzv. 1891, S. 257—71. Die Quedlinburger Gruftkirchen.

 

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Die Möglichkeit, daß die Quedlinburger Schloßkirche ein Bau des XI. Jahrhunderts sein kann, halten wir daher für ausgeschlossen. Wie einfach wir uns die Bauten des XI. Jahrhunderts vorstellen müssen, zeigen z. B. die Ruinen des Domes zu Walbeck 1), die Reste im Dom zu Bremen und die heilige Kreuzkirche in Hildesheim, die als älteste Kirche Hildesheims Otto Gerland 2) nachgewiesen hat.

Für Quedlinburg bietet uns das nahegelegene Huyseburg 3), eine weitere Vergleichsmöglichkeit als zeitgenössischer Bau, da die Kirche des Klosters sicher datiert ist mit der Weihe vom 1. Oktober 1121 4). Von diesem Bau des Abtes Alfrid mit der Bauzeit 1110-1121 sind jetzt die Säulen von ihrer Barockumhüllung freigemacht. Sie fallen durch äußerst elegante und reiche Profile an den Basen auf, von denen zwei schon weit ausgebildete Ecklappen haben als Einzelheit. Die Kapitelle sind korinthisierend und stehen merklich zurück hinter denen zu Quedlinburg. Die groben verkümmerten Hörner und der Blätterkranz darunter haben auffallende Ähnlichkeit mit den Schiffskapitellen zu Gernrode, die als Vorbild gedient haben müssen. Sonst scheint das Innere der Kirche so schmucklos wie das äußere gewesen zu sein.

Die von Kugler bereits bemerkte Übereinstimmung der Säule in Quedlinburg (Photogr. Kliche 1897) mit den kleinen Säulen am hl. Grabe in Gernrode ist so groß, daß sie gleichzeitig gemacht sein müssen. Nach unseren Ausführungen müssen diese 4 kleinen Säulen daher ebenfalls aus den zwanziger Jahren des XII. Jahrhunderts stammen. Diese Kapitelle haben zwei Reihen ganz einfacher dachziegelartiger Blätter und einfache, scheinbar unfertig aussehende, Bossen an Stelle von Eckvolute und Mittelrosette.

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Bei einzelnen Kapitellen in Quedlinburg, z. B. Kl. 1895, sind in diese Bossen kleine verkümmerte Hörner eingemeißelt. Er meinte daher, daß diese Kapitelle zum Teil nicht fertig geworden seien und ebenso die vier in Gernrode. Diese Kapitelle sind aber häufig. Sie finden sich schon im XI. Jahrhundert z. B. mit einer Reihe Blätter in der Krypta

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1) Jahrbuch der Denkmalpflege in der Provinz Sachsen 1900. Photographie der Ruine.

2) Kunst- und Kulturgeschichtliche Aufsätze über Hildesheim. 1905.

3) v. Quast. Archäologische Wanderung durch einige romanische Kirchen am Harz. Zeitschrift für Bauwesen 1852. S. 114 ff.

4) Meibom S. S. r. G. II. S. 533 f.

 

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der Moritzkirche bei Hildesheim 1) vom Jahr 1064, ebenso versteckt unter den barocken Kapitellen dieser Kirche und des Domes zu Hildesheim 2), ebenso unter der Resten vom älteren Bau der Kaiserpfalz zu Goslar 3), ferner in Helmstedt. Es scheint dieses einfache Kapitell typisch für das XI. Jahrhundert zu sein.

Wir haben jetzt für das heilige Grab in Gernrode durch die Datierung der Schloßkirche zu Quedlinburg als Bau aus den zwanziger Jahren des XII. Jahrhunderts eine zweite sichere untere Grenze neben den oberitalischen Bauten in Ferrara und Verona z. B. Wie in Quedlinburg können wir das XI. Jahrhundert ganz ausschalten. Der erste Zustand des heiligen Grabes in Gernrode wird Ende der dreißiger oder Anfang der vierziger Jahre des XII. Jahrhunderts entstanden sein. Die Formen am heiligen Grabe sind nicht ohne Einfluß von Quedlinburg entstanden. Doch finden sich in Quedlinburg noch nicht an den Basen Eckklötzchen, wie sie in Gernrode an fünf von den sechs Ecksäulen der Nischen angebracht sind. Diese Eckklötzchen haben die Form des Abschnitts eines Tetraeders, dessen angenommene eine Grundfläche eben und dessen übrige Flächen sphärisch gekrümmt sind. Genau solche Eckklötzchen finden sich am Portal von S. Ambrogio 4) und am Ambo innen. Quedlinburg hat diese Eckzier nicht mit übernommen, trotzdem die achteckigen Schäfte und Basen vom Ambo in S. Ambrogio sich in der Unterkirche wiederfinden. Nach Gernrode sind die Eckklötzchen entweder mit den übrigen stilistischen und inhaltlichen Sachen aus Italien gekommen als direkter Import, oder nach Art der Verwendung der Ecksäulen an den Nischen zu schließen, schon aus dem deutschen Westen. Die Würfelkapitelle im Schiff der Oberkirche zu Quedlinburg sind in reicher und raumfüllender, vollendeter Weise ornamentiert. Die Würfelkapitelle der Ecksäulen im heiligen Grabe stehen insofern hinter den Quedlinburgern zurück, als die Ornamentierung der Flächen dem Gernroder Künstler offenbar noch nicht geglückt ist. Die Kapitelle sind nach Art des Schmuckes von verschiedenem

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1) Photographie H. Küsthardt, Hildesheim. Tafel IV Abb. III.

2) Dehio a. a. O. Tafel 348,8, vom Jahr 1055—61.

3) Wolff, Kunstdenkmäler der Provinz Hannover II 1, 2. S. 34 von Bischof Bennos Bau wahrscheinlich, Mitte XI. Jahrhundert.

4) Abb. bei Venturi a. a. O. II S. 149, Fig. 122; Brogi 9106.

 

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Charakter und ungleicher Qualität. Auf dem einen Kapitell sind dem Adler auf der Ecke, der fast wie eine Eule aussieht, zwei einzelne byzantinische Blüten zur Seite gesetzt in der Gabelform, wie sie an der Westseite vorkommt. Die Stengel haben den trapezförmigen Querschnitt wie die Rankenstengel außen. Auf zwei weiteren Kapitellen sind in gleicher Weise bei beiden drei horizontal übereinanderliegende Blätter angebracht, die ebenfalls aus der Ornamentik der Westseite wie herausgenommen aussehen. Ohne die Wange befriedigend zu füllen, stehen sie horizontal aus der Wand heraus. Bei zwei anderen kommen die Stengel des vom Halsring aufsteigenden Pflanzenwerks aus einem wellenartigen Grunde und geben kein klares Bild. Das Profil dieses Ornaments ist das flacher, weicher Rillen. Es sind dieselben Blätter wie außen, die jedoch ganz klein und versteckt in langen Formen auf der Ecke des Kapitells als zwei Palmetten zusammentreffen. Ein Kapitell ist ganz glatt gelassen und die Basis hat auch keine Eckklötzchen.

In der Vorhalle des sonst abgebrochenen Domes zu Goslar finden sich 6 Säulen museumsmäßig aufbewahrt, die aus der ehemaligen Domkrypta stammen. Ein Kapitäl davon ist ganz im Charakter der Kapitelle der Unterkirche von Quedlinburg gehalten und fällt durch seine eleganteren Formen auf vor den übrigen, von denen 2 ganz glatte Würfelkapitelle sind. Zwei auf allen 4 Seiten gleich ornamentierte Kapitelle haben genau solche rillenartigen Blattbildungen, und ebenso ein Kapitellbruchstück, das im Kaiserhause aufbewahrt wird, wie die eben beschriebenen in Gernrode. Da ferner unter den sechs Kapitellen, zu denen das Bruchstück im Kaiserhause als 7. hinzukommt, sich eins befindet, das außer den Blätterformen auch die beschriebenen Schließen zeigt, und da nicht bloß dieselbe Stilstufe vertreten ist, sondern die Ähnlichkeit so groß ist, daß derselbe Künstler die Kapitelle angefertigt haben muß, so können wir mit dem heiligen Grabe in Gernrode die Krypta des Domes in Goslar als gleichzeitig annehmen.

Der italienische Einfluß auf Sachsen ist offenbar zu Anfang des XII. Jahrhunderts erheblich. Wir müssen annehmen, daß in Quedlinburg, Gröningen, Halberstadt, Magdeburg, Sangerhausen, Gernrode, Goslar in dieser Zeit italienische Arbeitertrupps künstlerisch tätig

 

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waren und italienische Formen nach Deutschland brachten. Ein im Gegensatz zu den schlichten Bauten des XI. Jahrhunderts reicher Bau wie die Schloßkirche in Quedlinburg wurde für die weitere Entwicklung der Ornamentik dann ein Ausgangspunkt. 1)

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IV. Teil.

Datierung der drei Bauperioden.

Wir haben für die Erbauungszeit des hl. Grabes in Gernrode, also für die Zeit des ersten quadratrischen Zustandes, schon ungefähre Angaben gemacht und wollen zunächst noch andere Meinungen über Zeit und Deutung des Baues hören, bevor wir eine genauere Datierung aller drei gefundenen Bauperioden des hl. Grabes in Gernrode versuchen.

Puttrich glaubte 1841 die Nordseite als frühsten Teil ansehen zu müssen; mit der Crypta in Merseburg setzte er die Nordseite ins XI. Jahrhundert. Die Westseite hält er für später, a. a O. S. 43. ff.

Kugler meinte in der allgemeinen Preußischen Staatszeitung 1841 Nr. 28 an der Hand von Puttrichs stilistisch unbrauchbaren Abbildungen: Frühzeit des XI. Jahrhunderts für die Steinskulpturen und Schluß des XII. Jahrhunderts für die Stuckarbeiten.

Lotz nennt in der Statistik 1862 den Bau Gerokapelle oder Bußkapelle, Ende des XI.?, im XII. Jahrhundert verändert.

Otte im Handbuch 1883/85: „um 1100“.

v. Heinemann nimmt unter Verweisung auf Puttrichs Ansichten

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1) Vergleiche: P. J. Meyer, der Meister von Königslutter in Italien. Kunstchronik 1900/01, XII, Nr. 7 und 1904/05, Nr. 2, ferner Ferd. Eichwede, Beiträge zur Baugeschichte der Kirche des Kaiserlichen Stiftes zu Königslutter. Dissertation Hannover 1905. Ferner Dehio u. v. Bezeld a. a. O. II, S. 205 Anm. „wandernde Bauführer“. Ferner Qs. N. F. VII. S. 149, ca. 1010 in Hildesheim ein Maler Johannes aus Italien.

 

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(a. a. O. S. 53.) für die westliche Seite namentlich (a. a. S. 53.) und für den Westchor der Stifskirche die erste Hälfte des XII. Jahrhunderts an (a. a. O. S. 31), doch stehe nichts sicheres darüber fest (a. a. O. S. 53). Die Gliederungen im Innern und die äußere Nordwand seien erst vom Ende des XII. Jahrhunderts (a. a. O. S. 53).

Über den Anteil v. Ouast's an v. Heinemanns Angaben siehe dessen „Vorbemerkung“ a. a. O.

Bode, Geschichte der deutschen Plastik, 1887, nimmt S. 30-31 das hl. Grab teilweise Mitte des XI. Jahrhunderts, die Stuckarbeiten Ausgang des XII. Jahrhunderts an.

Maurer, Zeitschrift für Bauwesen 1888 IV 179—194 und Büttner a. a. O. S. 30/31 schließen sich im wesentlichen von Heinemann an.

Kutschmann sagt Bußkapelle und XI. Jahrhundert. (1902.)

Schäfer, Bauornamente, sagt im „Inhaltsverzeichnis:“ Bußkapelle. (1903.)

Es würde zu weit geführt haben, auf alle die Einzelheiten, die sich aus den verschiedenen Auffassungen ergeben, einzugehen. Überdies sind unsere Hilfsmittel erst in neuester Zeit bessere geworden. Die Urkunden die v. Heinemann 1) mehrfach für die Datierung verwendet, haben wir für diesen Zweck nicht heranziehen können. Die späte Urkunde von 1489, die einzige, die das heilige Grab erwähnt, ist ohne Belang für die Datierung. Da die Urkunde über die testamentarische Stiftung der Äbtissin Hedwig um 1149 und die Urkunde von 1152 über eine weitere Stiftung auch keinen Anhalt geben, so sind wir für das heilige Grab in Gernrode auf den stilistischen Vergleiche allein angewiesen gewesen. Aus der Untersuchung über die gleichzeitige Ornamentik in Sachsen mit den festen Daten von 1129 für Quedlinburg, von 1134 für die Marienkirche in Magdeburg, aus der Beziehung der Gernroder Skulptur zur Kunst des XII. Jahrhunderts und schließlich aus der ikonographischen Verwandschaft mit der symbolischen Kirchenskulptur Oberitaliens, mit dem festen Datum von 1135 für das Portal von Ferrara. ergiebt sich, daß wir sagen können, das quadratische heilige Grab, die Form, die wir mit dem 1. Zustand bezeichnet haben, ist um 1140 entstanden. Nach unseren Ausführungen

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1) Cod. dipl. Anh. I Nr. 354 und Nr. 371.

 

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über die Kapitelle der Krypta des Domes zu Goslar kann der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts niedergelegte Bau nicht der Bau von 1040—1050 sein, wie z. B. bei Dehio I S. 218 angenommen ist, sondern der Dom muß erst um 1140 begonnen sein.

Wenn wir den zweiten und dritten Zustand datieren wollen, beginnen wir am besten mit dem dritten, da Ad. Goldschmidt die Stuckarbeiten schon in die Zeit von 1170 — 1190 gesetzt hat. Wir nahmen an, daß mit den Stucksachen zugleich das Ostportal des Grabraumes entstand. Da die Kapitelle und Basen des Portals im Kreuzgang wiederkehren, wollen wir untersuchen, ob die Formen des Kreuzganges das Datum der Stuckarbeiten bestätigen. Die Halbsäulen im Kreuzgang haben Basen mit überquellendem Polster und Ecklappen,

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einen pyramidalen Sockel und Kapitelle unbestimmter Grundform mit ornamentiertem, nicht profiliertem Kämpfer. Der charakteristische Schmuck der Kapitelle sind Buckelbänder. Die Blätterornamentik ist ziemlich flach, nur ein Kapitell zeigt stark vortretendes Astwerk 1), wie es sich in dem nahen Konradsburg 2) findet. Einmal kommt die nach Dehio speziell sächsische Basenform 3) der umgestürzten Würfelkapitelle an den Pfeilerecksäulen vor. Solche Basen haben auch die Ecksäulchen an der Verbindungstür der beiden Räume des heiligen Grabes. Das Buckelband ist typisch für das Ende des Jahrhunderts. Es findet sich in der Nähe in Konradsburg, Michaelstein 4), Ballenstedt, Naumburg. Die Krypta von Konradsburg hat in der Ornamentik manche Beziehung zu Gernrode. Außer dem schon erwähnten Astwerk z. B. noch das Würfelkapitell mit den wulstartigen Halbkreisen, von deren tiefsten Punkten vertikale Streifen nach der Unterkante des Kapitells gehen,

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dann Säulenschäfte mit schräg gestellten Riffelungen, ähnlich der einen Säule in Gernrode, deren Kapitell das Astwerk aufweist. Ferner tritt in gleicher Weise das Blattwerk einzelner Eckpfeilerkapitelle auf den Umrahmungsstreifen über. In der Krypta der Schloßkirche des benachbarten Ballenstedt ist das Kapitell der Säule D 5) genau

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1) Kutschmann, a. a. O., Tafel 12d.

2) Desgl. Tafel 18 e, f.

3) Dehio, a. a. O., Tafel 301, 12.

4) Kutschmann, a. a. O., Tafel 13 e.

5) Büttner, a. a. O., S. 7 abgebildet.

 

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so gebildet wie das zweite rechts von der Tür des Kreuzgangs in Gernrode. Hier geht nur das horizontale Buckelband nicht durch und wird noch durch eine Palmette unterbrochen sein. Ein Teil des Bandes zeigt drei Parallelsträhne statt der Buckelzier. Das fleischige Blatt dieses Kapitells in Gernrode kehrt an einem Gesimsstück in der Kapelle unter den Türmen in Ballenstedt wieder. Konradsburg ist ist bei Reimann 1) unter „Monasteriorum epochae certae“ als 1176 gegründet aufgezählt. Puttrich 2) zweifelt mit Recht nicht an der Richtigkeit des Datums, das durchaus den Formen entspricht, wenn man einige Jahre Spielraum für den Baubeginn läßt. Kugler 3) will im Jahre 1151 das Kloster Konradsburg schon als bestehend annehmen. Bei Kreysig 4) wird nämlich bei Aufzählung der Mitglieder eines Concils in Gatersleben, das 1179 stattfand, ein Abt Albertus von Konradsburg aufgeführt. Da nun weiter unten im Text, in einer Urkunde vom Jahre 1151 gesagt wird „coram testibus suprasctiptis“, nimmt Kugler an, daß dieselben Personen wie im Jahre 1179 versammelt waren und daß also schon 1151 ein Abt von Konradsburg erwähnt wird. Es sei daher das Jahr 1176 als Gründungsjahr nicht anzunehmen und sei den Formen nach auch noch zu früh. Von Kutschmann wird Konradsburg in den Anfang des XIII. Jahrhunderts gesetzt, was den Formen nach sicher zu spät ist. Das stark unterarbeitete Astwerk an einzelnen Kapitellen spricht für die Spätzeit des XII. Jahrhundert, doch möchten wir über den Anfang der achziger Jahre nicht hinausgehen. Hamersleben mit seiner reichen Ornamentik ist 1178 beendigt worden. Landsberg ist zwischen 1156 und 1180 anzusetzen, die Ostpartie der Petersbergkirche hat das Datum 1175, und S. Michael in Hildesheim ist 1184 eingeweiht. In ähnlicher Weise wie Konradsburg ist auch Ballenstedt, wie wir sahen, mit dem Kreuzgang in Gernrode verwandt. Für die Krypta in Ballenstedt nimmt Maurer 5) die Zeit vor 1123 an, ein Datum, das nach unsern

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1) Idea Historiae Ascaniensis 1708. Index Chronologicus S. 4.

2) a. a. O. II, 2. S. 23/24.

3) Kleine Schriften I 618, Anm. 3.

4) M. G. C. Kreysig, Diplomataria et Seriptores Historiae Germaniae Medii aevi II, 701.

5) Zeitschrift für Bauwesen 1889, S. 491. Die Schloßkirche S. Pankratii in Ballenstedt.

 

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Darlegungen zu früh ist. Den angeführten datierten Sachen entsprechend wollen wir die siebziger Jahre für die Krypta der Schloßkirche in Ballenstedt in Anspruch nehmen. Auch die Kapitelle des mittleren Teils der Krypta des Doms zu Naumburg können nicht, wie in den Bau- und .Kunstdenkmälern der Provinz Sachsen 1904 noch angenommen ist 1), dem ersten Viertel des XII. Jahrhunderts angehören. Die Basen der sechs Säulen dieses Teiles der Krypta 2) zeigen überquellende Polster, die Schäfte reiche Kanelluren, und die Kapitelle haben wie die in Gernrode, Ballenstedt und Konradsburg Buckelbänder, fächerartige Blattbildungen und Bandverschlingungen. Dieser Teil der Krypta gehört wie die angeführten Beispiele der zweiten Hälfte des Jahrhunderts an. Wir wollen ihn 1150 bis höchstens 1180 annehmen. Später als 1180 kann auch der Kreuzgang in Gernrode nicht entstanden sein. Da jetzt die Daten des Kreuzgangs und der Stuckskulpturen zusammenfallen, sehen wir unsere Annahme bestätigt, die dahin ging, daß die Tür zum Grabraum, die uns auf den Zusammenhang von Kreuzgang und Stuckplastik hinwies, mit den Stucksachen zugleich entstanden ist. Wir können daher den Spielraum von 1170—1190 für die Stuckplastik begrenzen und 1170—1180 statt dessen sehen. Der dritte Zustand des hl. Grabes muß dann in den siebziger Jahren des XII. Jahrhunderts geschaffen sein.

Damit haben wir eine obere Grenze für die Veränderungen, die den zweiten Zustand herbeiführten. Zwischen die Zeit um 1140 und die siebziger Jahre müssen wir den zweiten Zustand einordnen. Die übrigen großen Veränderungen, die im XII. Jahrhundert in der Stiftskirche zu Gernrode vorgenommen wurden: Bau einer Westapsis, Verlegung des westlichen Nonnenchors in die Querarme, Erhöhung des Glockenhauses, können zwar dem Stil der Säulenbasen nach nicht viel früher stattgefunden haben als der Bau des Kreuzganges. Die Säulenbasen sind so gut wie gleich, aber die unter sich ähnlichen Kapitelle der Westapsis, der Kapellen unter den Emporen im Querschifs, die Kapitelle des Glockenhauses sind wesentlich von denen des Kreuzganges verschieden.

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1) S. das Referat P. J. Meyer in Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg. 1904 Heft 2. Litteratur S. 4. Schon Lotz und Dohme setzen die Kapitelle ins äußerste Ende des XII. Jahrhunderts.

2) Photographie Carl Becker, Naumburg.

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Im Glockenhaus sind die Säulen neu, die Polster der Basen quellen nicht mehr über, aber die Kapitelle werden nach den alten angefertigt sein und gleichen denen in den Kapellen unter den Emporen der Querschiffe. Alle diese Kapitelle sind einfach gehalten. Es sind Würfelkapitelle mit einfachem Halbkreis und solche mit dem Schildmuster 1). Zwei im nördlichen Querschiff sind ganz niedrig gehalten und bestehen aus Kristallschnittflächen. Nur ein Würfelkapitell im südlichen Querschiff ist reicher 2). Es zeigt auf der Ecke sitzende Palmetten, deren Flügel auf der Mitte der Stirnflächen zusammenwachsend wieder eine nach beiden Seiten sich entwickelnde Palmette zeigen. Der Schaft der Palmette wird durch ein einfaches Band zusammengehalten. Die rippen- und gurtenlosen Kreuzgewölbe sind noch flach korbbogenartig, was an der einzuhaltenden Höhe liegen kann. Wir werden diese Veränderungen in der Stiftskirche den Formen nach mit Dehio um die Mitte des Jahrhunderts ansetzen können. Die Umbauperiode des hl. Grabes, der zweite Zustand, bot uns stilistisch wenig neues. Wir gehen aber wohl nicht fehl, wenn wir die Veränderung des hl. Grabes in eine zweiräumige Anlage mit diesen umfangreichen Änderungen in der Kirche zugleich annehmen, also die Zeit um 1150. Dann sehen wir zugleich unsere Annahme bestätigt, daß mit dem zweiten Zustand keine besondere Eingangswand an der Ostseite des Vorraumes geschaffen wurde, da die Gewölbe im Querschiff gerade auf die Wandsfläche treffen und nur Raum für eine Tür in der Schiffswand übrig bleibt. Wenn wir von der Veränderung, die das hl. Grab im XVIII. Jahrhundert dadurch erlitt, daß der Vorraum zu einer Grabkammer gemacht wurde, absehen, haben wir als Resultat, daß der Bau des hl. Grabes aus der Zeit um 1140 schon nach ca. 10 Jahren und dann wieder nach ca. 25 Jahren verändert wurde, also innerhalb von höchstens 40 Jahren dreimal ein verschiedenes Aussehen hatte.

Wir hatten einige Anhaltspunkte, auch vor dem ersten Zustand ein hl. Grab in Gernrode anzunehmen. Die Arkosolgrabform des

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1) Kutschmann, a. a. O., Tafel 10a

2) Photographie Kliche 1985.

 

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Stuckbogens und die sorgsame Verwendung der vier kleinen Säulen führten dazu, die Säulen als Rest eines Arkosolgrabes anzusehen, das wegen der Uebereinstimmnng mit den Quedlinburger Säulen dann mit dem Bau der Schloßkirche zugleich entstanden wäre.

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V. Teil

Fußboden und Malerei.

Wir würden kein vollständiges Bild vom heiligen Grabe in Gernrode haben, wenn wir nicht auch noch den im Grabraum in Resten vorhandene Marmorfußboden und die schon erwähnten Malereien betrachteten.

Der Marmorbelag legt sich wie ein Teppich vor die Tumba und reicht gerade bis an die Sandsteinplatte unter dem Stuckbogen. Der Belag besteht aus einzelnen Marmorstücken verschiedener Farbe; aus weißen, rosafarbigen, dunkelgrünen, blaugrau gestreiften Stücken von regelmäßiger Form. Die Stücke sind äußerst sauber gearbeitet als Dreiecke, Quadrate, Rhomben. Dazu kommen lange, weiße Marmorstreifen und schwarze rhombenförmige Schieferstücke. Der Belag ist auf einer dicken Stuckschicht verlegt und bildete ein mittleres rechteckiges Feld, von dem aber kein Muster mehr zu erkennen ist. Von den Ecken des mittleren Feldes gehen Streifen nach den Ecken einer Umrahmung aus, sodaß vier trapezförmige, gleiche Felder auf der Umrahmung entstehen, die aber nochmals geteilt gewesen zu sein scheinen. Um diese Felder ziehen sich noch drei schmale Streifen von zunehmender Breite und verschiedener Farbe. Aus zwei von den Umrahmungsfeldern sind noch im Stuckgrund die Formen von zwei Kreuzen sichtbar. Das Muster des Fußbodens ist im ganzen 2,22 m X 1,96 m groß. Da der Belag auf die Tumba Rücksicht nimmt, und die beiden kleinen Säulen mit der Basisplatte im Stuck sitzen, ist der Fußboden erst beim zweiten oder dritten Zustand mit der

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Tumba oder mit den Stuckfiguren entstanden. Im Muster ganz ähnliche Marmorfußböden, ebenfalls im Charakter des opus alexandrinum nach italienischem Vorbild, finden sich in Deutschland z. B. zu Cöln in St. Severin 1) und in Werden 2). Wie bei den Stuckfiguren dürfen wir auch hier auf rheinischen Einfluß schließen, da Effmann den Werdener Fußboden schon für das zweite Drittel des XI. Jahrhunderts nachweist.

Der Grabraum des heiligen Grabes in Gernrode ist mehrfach ausgemalt. Was man jetzt zunächst sieht, ist alles spätgotische Malerei, die an Qualität gering ist, aber von kräftiger bunter Wirkung gewesen sein muß. Über die sonstige Ausmalung geben die Putzschichten in der Westwandnische, wo der Bischof Jakobus steht, Auskunft. Als die Stuckfiguren entstanden, wurde um sie herum eine Putzschicht aufgetragen. Die Figuren waren bemalt wie die Gröninger Apostel z. B. und an der Figur des Bischofs scheinen noch die alten Farben: mattes rot, grün, gelb erhalten zu sein. Der Grund hinter dem Bischof ist jetzt rot, muß aber schon gleich beim Aufstellen der Figuren ein neutraler Grund gewesen sein, da für Gemälde an dieser Stelle kein Platz ist. Unter dieser, dem dritten Zustand zugehörigen Putzschicht sind in der Nische des Jakobus an zwei kleinen Stellen noch zwei weitere Schichten mit Malerei sichtbar. Es zeigen sich rote Konturen auf jetzt graublauem Grund. Das Grab wurde also zu gleicher Zeit mit dem ersten und zweiten Zustand ausgemalt. Weiter bemerkt man über den Kapitellen in der Leibung dieser Nische je zwei concentrische Kreise in den Putz geritzt, die von Weihkreuzen herrühren werden. Außer in der Leibung des Stuckbogens über den Kapitellen, von spätgotischen Ranken übermalt, finden sich diese, mit dem Zirkel geschlagenen Kreise auch noch außen neben dem Petrus in die Stuckplatte geritzt. Es gehören also auch die Weihkreuze im Innern frühestens der dritten Bauperiode an. In der Nordwandnische bemerkt man gerade an der Stelle, wo beim ersten Zustand das Fenster gesessen haben muß, eine unmittelbar auf dem Mauerwerk aufsitzende Schicht mit roten Konturen von fahriger Führung, die von Gewändern herrühren können. Ferner sieht man auf und neben den Konturen die grün oxydierten

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1) A. aus 'm Weerth, der Mosaikfußboden in St. Green zu Cöln 1873. S. 9.

2) Wilh. Effmann, die karolingisch-ottonischen Bauten zu Werden. 1899. S. 127.

 

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Köpfe kleiner Bronzenägel, die in den Stuck geschlagen sind. In 1,85 m Höhe vom Erdboden, erkennt man ganz an die linke Kante der Nische gerückt, den oberen Teil eines im Durchmesser etwa 25 cm großen Kreuznimbus, der auch mit solchen Bronzenägeln besetzt ist. Beide Reste von Malerei werden derselben Ausmalung angehören. Während oben noch die ganze Dicke der Farbschicht erhalten ist, sieht man unten nur noch den letzten matten Farbenrest der roten Kontur auf dem grauen Putz. Da beim ersten Zustand das Fenster und beim dritten Zustand die Gruppe der Frauen die Stelle der Malerei einnahm, kann diese Malerei nur dem zweiten Zustand angehören. Der Kreuznimbus kann nur einem Christus zugehören, der ganz links stand und rechts neben sich vielleicht eine Maria Magdalena hatte, sodaß hier die Szene des „noli me tangere“ gegeben war, wie sie dann außen in Stuck nachher wiederholt ist. Aus den vorhandenen Resten läßt sich das jedoch nicht erkennen. Ganz oben und ganz unten in dieser Nische befinden sich Reste von zwei weiteren Putzschichten ohne Malerei. Eine kann der Ausmalung des ersten Zustandes angehören, die andere kann eine ausgleichende Schicht gewesen sein. Im späteren Mittelalter wurde, wie schon erwähnt, die Kapelle noch einmal ganz ausgemalt. In der Nordwandnische ist wenig erhalten. Man sieht von einem Gemälde, das über der Gruppe der Frauen saß, nur noch einige Blätter und Rasenangabe. Sonst ist aber von der späten Malerei noch ziemlich viel erhalten. Die Malereien befinden sich auf den noch freien Wandstreifen neben den Nischen, in der durch den Stuckbogen gebildeten Nische und im Tympanon über der Tür. In diesem Tympanon befindet sich die Darstellung einer Auferstehung, im übrigen sind wahrscheinlich sieben einzelne Heilige dargestellt gewesen, von denen vier noch erkennbar sind. Auf dem Wandstreifen rechts von der Tumba erkennt man die nackten Unterschenkel und den unteren Teil eines Mantels von einem Manne, der nach rechts schreitet. Links von der Tumba ist nichts mehr sichtbar. Links vom Jakobus sieht man den Oberkörper eines Heiligen, der sein abgeschlagenes Haupt in der Hand trägt, ein Martirium, das den Hauptheiligen der Kirche, den Diakon Cyriacus, traf. Ihm gegenüber an der andern Wand sieht man die rechte Gesichtshälfte eines alten Mannes und seine weißbekleidete Schulter. In der

 

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Stuckbogennische links vom Fenster ist eine reichgekleidete Frau mit langem Gewand sitzend dargestellt und ist gut erhalten. Die Rasenangabe ist hier in größeren Teilen erhalten als an der Nordwand. Von links nach rechts überschneidet die Figur eine lange Stange mit einer dreizackigen Gabel daran und links vom Haupte der Figur ist ein Gegenstand sichtbar, der wie ein Räuchergefäß aussieht. Das Feld rechts vom Fenster hat nur ganz geringe Reste. Die ganze Breite der Leibung des Stuckbogens nehmen große Kreisranken 1) ein, von denen der Sockel unter dem Fenster auch noch Spuren zeigt. Die Kreisranken sitzen an einem wellenförmig geschwungenen, durchgehenden Stengel, von dem sich immer rechts und links ein Bündel geschwungener und gekrümmter Rankenstengel abspreizt. Ähnliche Rankenformen finden sich in Rostock 2) und Doberan 2). Alle Flächen der Wände, auf denen keine Gemälde angebracht waren, haben noch einen grünen und roten Farbton.

Wer die dargestellten Heiligen sein sollen, läßt sich nicht sagen. Es sind weder die in der Kirche verehrten Heiligen, ausgenommen vielleicht der heilige Cyriacus, noch auch die Genossen seines Martiriums.

Die Auferstehungsdarstellung im Tympanon über der Tür ist am besten erhalten, nur der Kopf Christi ist abgefallen. Die Darstellung bietet auch das meiste Interesse. Der Auferstandene steigt aus dem offenen, mit der Langseite in der Bildebene stehenden Sarkophag, ein Bein stellt er vor die Wand. Christus ist bekleidet mit einem roten Mantel, mit der Rechten segnet er, und in der Linken hat er die Siegesfahne. Vor dem Sarkophag liegt ein Krieger am Boden, einer lehnt links sich mit seinem Schild schlafend auf den Sarkophag. Ein dritter erhebt staunend die Rechte und ist mit weit geöffnetem Munde dargestellt. Der rote Grund hinter den Figuren ist mit weißen Sternen besetzt. Die Türpfosten unter dem Bild sind mit derselben roten Farbe umrahmt. Da auf jeder Seite zwei Türangeln angebracht sind, wird eine hölzerne Flügeltür dort gesessen haben, die dann auch bemalt war.

Es handelt sich ohne Zweifel um ganz späte Malerei, wie schon

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1) Meßbildblatt 739,81.

2) Abbildung bei R. Borrmann, Aufnahmen mittelalterlicher Wand- und Deckenmalereien in Deutschland. Dort nicht näher bezeichnet.

 

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aus der Tracht der Figuren hervorgeht. Das reiche, weite Schleppkleid und der Kopfputz der sitzenden Heiligen, ein Sturz, wurden zu Ende des XV. Jahrhundert getragen. Die Krieger sind ebenfalls in Zeittracht dargestellt. Die Hellebarde des Kriegers links ist ganz ähnlich einigen bei Hefner-Alteneck 1) abgebildeten, die mit den Daten 1483, 1484, 1490 versehen sind. Der Christustypus: Christus steigt aus dem offenen Sarkophag, ist der von Anfang an gebräuchliche. Daß der Typus, der Christus durch den geschlossenen Sarkophag hindurchschreitend oder hindurchsteigend darstellt, nicht erst nach 1436, wie W. Meyer aus Speyer 2) annimmt, sondern schon Anfang des XIV. Jahrhunderts aufkommt, beweist z. B. eine in halber Lebensgröße ausgeführte Holzskulptur eines Auferstehenden im Provinzialmuseum zu Hannover und zwei gotischen Klappaltärchen von Elfenbein. Eins befindet sich im Museo Christiano im Vatikan und eins im Kestnermuseum zu Hannover 3).

Dem Stil der Figuren nach können wir bei der durch die Tracht bestimmten Zeit bleiben. Der Mantel Christi zeigt lange gerade Falten mit scharfen Knicken, die Unruhe erzeugen und der Kopfputz der Heiligen ist mit eckigen graden Strichen umrissen.

Man könnte versucht sein, zum Schluß jetzt zu fragen, ob man das heilige Grab in Gernrode zu einem Rückschluß auf das Original in Jerusalem verwenden darf. Der russische Abt Daniel, der 1113—1115 die heiligen Stätten besuchte, fand, wie Saewulf 1103, das Grab noch quadratisch 4): „vier Ellen in der Länge und Breite und die Höhe betrug die eines kleinen Mannes. Kroch man durch den engen Eingang in die Höhle, so sah man zur Rechten eine Art Bank in derselben ausgehauen“ . . . . „der Felsentrog . . . . war vier Ellen lang, zwei breit und anderthalb hoch.“ Die Flächenmaße im Innern stimmen mit unseren Maßen überein, wenn man für die Elle ein Mittelmaß von etwa 70 cm nimmt. Nur die Höhe stimmt nicht. Es scheint, daß die Vorhöhle des Baues von 1048 noch nicht

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1) Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des XVIII. Jahrhunderts; nach gleichzeitigen Originalen. 1879—90 Band VI, Taf. 408.

2) Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philosophisch-historische Klasse, 1903. Heft 2.

3) Abbildung im Katalog 1904, zweite Abteilung S. 9, Figur 24.

4) Mommert a. a. O. S. 236.

 

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als eigentlich zugehörig angesehen werden konnte. Mommert 1) meint, daß die Kreuzfahrer das heilige Grab in dem Zustande von 1048 beließen, die Rotunde teilweise umbauten und bei dieser Gelegenheit nur Reparaturen an dem Grabe ausführten, die 1125 beendet waren, während die Kirche der Kreuzfahrer 1140—1150 fertiggestellt wurde. Johannes von Würzburg bestätigt das mit dem Datum 1149. Dieser fügt aber schon hinzu, daß vor dem „Eingänglein“ in das heilige Grab sich ein „Vordach oder eine viereckige Halle befand, wo die Grabhüter gesessen“ 2).

Es scheint daher die Bautätigkeit der Franken doch größer gewesen zu sein als Mommert annimmt, indem sie die Vorhöhle wieder mit der Grabeshöhle organisch verbanden und ihr schon die Maße gaben, die Breytenbach dann vorfand. Auch die Höhe haben sie vielleicht verändert. Bis zum Beginn des Klostergewölbes sind in Gernrode schon 2,50 m, also erheblich mehr als die „Höhe eines kleinen Mannes“. Mit der Erhöhung der Decke würde dann auch das Kuppeltürmchen durch die Franken erneuert und nicht blos die überlebensgroße silberne Christusstatue aufgebracht sein.

Ein solcher Rückschluß auf das heilige Grab in Jerusalem war jedoch nicht unser Ziel. Wir möchten gezeigt haben, daß in Anbetracht der wenigen gleichzeitigen Skulpturen das heilige Grab in Gernrode ein für Sachsen nicht unwichtiges kunstgeschichtliches Denkmal ist und im besonderen, daß es die einzig erhaltenen und eine in enger Anlehnung an das Original ausgeführte Copie aus dem frühen Mittelalter ist.

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1) Mommert a. a. O. S. 234 f.

2) Mommert a. a. O. S. 237.

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Lebenslauf.

Ich, Ernst Wackenroder, evangelischer Konfession, bin geboren am 3. Januar 1876 zu Uelzen in der Provinz Hannover als Sohn des praktischen Arztes Dr. med. Otto Wackenroder und seiner Gemahlin Elisabeth, geb. Bergert. In Hannover besuchte ich das Kaiser Wilhelms - Gymnasium und in Linden bei Hannover das Kaiserin Auguste Viktoria-Gymnasium, das ich Ostern 1897 mit dem Zeugnis der Reife verließ. In München studierte ich darauf ein Semester Kunstgeschichte und nahm an Zeichenübungen der Technischen Hochschule teil, gehörte dann der Abteilung für Architektur an den Technischen Hochschulen in Hannover von Oktober 1897 bis Oktober 1899 und in Berlin von da bis Ostern 1902 an. Ostern 1904 nahm ich das kunstgeschichtliche und philosophische Studium wieder auf und studierte in Berlin ein Semester und dann bis Ostern 1906 in Halle und promovierte dort am 10. Juli 1906.

Vorlesungen hörte ich, bzw. nahm an den Vorlesungs- und Zeichenübungen teil bei folgenden Herren Professoren und Privatdozenten: W. H. v. Riehl(), Berth. Riehl, Lipps, Brunn, v. Reber(), Aug. Thiersch, Sporrer(), Pfann, Kiepert, Runge, Rodenberg, Keck(), Schleyer, Rinne, Dieterici, Kaulbach (), Seubert, Jordan, Köhler (), Schröder, Launhardt, Jordan(), Müller, Holtzinger, Roß, Stier, Hehl, Koch, Wolff, Laske, Brandt, Rietschel, Adler,

 

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Otzen, Jacobsthal (†), Vollmer, Sesselberg, Weyl, Warschauer, Kekule von Stradonitz, Kalkmann (†), Wölfflin, Haseloff, Lehmann, Alois Riehl, Robert, Goldschmidt.

Allen meinen verehrten Lesern danke ich verbindlichst, namentlich denen, die Kritik und wissenschaftliche Methode übermittelten. Unter meinen Lehrern auf kunstgeschichtlichem Gebiete sei voller Dankbarkeit Herr Professor Ad. Goldschmidt in Halle genannt, der mich auf vorliegendes Thema aufmerksam machte, mich in liebenswürdigster Weise unterstützte und seine Photografieensammlung bereitwilligst mich benutzen ließ.

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