Hartmann 1883: Klosterkirche Zu Unseren Lieben Frauen zu Halberstadt

Klosterkirche Zu Unseren Lieben Frauen zu Halberstadt.

Mitgetheilt von

Alfred Hartmann, Baumeister in St. Johann Saarbrücken.

(Mit Abbildungen auf den Blättern 57 bis 61.)

 

Unter den Kirchen der Stadt und Umgegend von Halberstadt nimmt die Kirche Zu Unserer Lieben Frauen nach dem Dome unstreitig den ersten Rang ein und ist hinsichtlich der Ausgeprägtheit ihrer Bauformen als auch wegen der Vollständigkeit des Planes eines der bemerkenswerthesten Baudenkmäler Niedersachsens. Obwohl der Bauplan nicht ein und demselben Kopfe entsprang, ist er doch in demselben Geiste auch in verschiedenen Zeiten seiner Entstehung ausgeführt worden.

Es giebt in Deutschlands Städten wenig Plätze, welche wie der Domplatz zu Halberstadt, durch zwei so vorzügliche Werke alter Baukunst geziert werden und das Interesse des Kunstforschers so im höchsten Grade beanspruchen.

 

Geschichtliches.

Schon in den Zeiten, ehe noch ein christlicher Fürst· in diese Gegend Niedersachsens vorgedrungen war, soll hier der Sitz der Gaugrafen vom Hartingau gewesen sein. Karl der Große bestimmte später das von ihm gegründete Halberstadt als den Sitz des Bisthumes für Ostsachsen.

Bischof Arnulf, 996 - 1023, stiftete gegen Ende des 10. Jahrhunderts der heiligen Maria zu Ehren ein Kloster und weihete die neue Kirche um das Jahr 1005 ein; im Jahre 1020 wurde die Kirche vollendet. Der Bau mag damals noch nicht völlig zu Ende geführt sein, denn Bischof Dithmar übermachte bei seinem Tode im Jahre 1089 sein bedeutendes Vermögen gedachter Kirche zu deren Ausbau und Vollendung.

Bischof Rudolf erneuerte in den Jahren 1136-1149 die „kleine und formlose Kirche aus dem Grunde, wie man solche (um 1200) erblickte“ (Chron. vetustiss. Halberstadens. ed. Dr. Schatz) und wurde dieselbe im Jahre 1146 eingeweihet.

Ob die Kirche in den bösen Kriegen, welche der Bischof von Halberstadt mit dem gewaltigen Herzog Heinrich dem Löwen führte, und die mit einer Erstürmung und fast gänzlichen Zerstörung der Stadt im Jahre 1179 endigten, gelitten hat,

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens.

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haben uns Geschichtsschreiber nicht gemeldet. Wahrscheinlich aber ist die Kirche auch theilweise zerstört.

Eine in der Kirche befindliche Ablaßtafel von Metall meldet von bedeutenden Einrichtungen in den Jahren 1274 bis 1284; nicht gerade Bauanlagen werden genannt, sondern andere kostspielige Einrichtungen - wahrscheinlich Wandmalereien und sonstige innere Ausschmückungen. Ungedruckte Urkunden sprechen auch von Bauten, was sich ohne Zweifel auf die Ueberwölbungen beziehen wird.

Weitere geschichtliche Data, ältere Bauten betreffend, sind uns nicht aufbewahrt.

Im Jahre 1420 wurden mehrere neue Glocken beschafft; 1438 ist die neue St. Barbara-Capelle (der jetzige Cyther *)) gebaut, eine Stiftung des Dechanten Thiederich von Mahrenholtz dessen Bildniß und Wappen als Donator auf dem Altarbilde der Capelle sich befand.

Nach dem Jahre 1500 wurde die Kirche neu ausgeschmückt; die steinernen Heiligenbilder in den Kreuzflügeln tragen Zeichen, welche auf diese Zeiten hindeuten, in A und N D, ebenso wie diese an den Figuren am Bischofsstuhl in der Domkirche mit der Jahreszahl 1511 sich befinden - wahrscheinlich ein Geschenk des Cardinal-Bischofes Albrecht. Auch die Stiftung des sogenannten Bischofstuhles in der großen Chornische mag aus dieserZeit sein, während die Canonikatstühle im südlichen Kreuzflügel älter zu sein scheinen.

Im Jahre 1591 wurde die Kirche dem evangelischen Gottesdienste übergeben. 1661 - 1662 wurde dieselbe mit Kalktünche völlig überweißt, weil man die Bildwerke und Malereien für unverträglich mit dem protestantischen Gottesdienste hielt. 1679/80 erhielt die Kirche eine Orgel. Der im Jahre 1662 an der Nordseite von dem Canonikus und Cellarius Hermann Feuerbaum erbaute Cyther ist 1846 wieder abgebrochen

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*) Cyther, Sytter - eine nicht recht erklärte, in der Niedersächsischen Kirche gebräuchliche Benennung von Bautheilen, welche später zu Sakristeien, Schatz- oder Dreßkammern benutzt wurden. Hier Sakristei.

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Im 30 jährigen Kriege wollte der Schwedische Commandant Meyer die Kirche abbrechen und mit den Steinen die Stadtmauer ausbessern lassen und nur die dringendsten Vorstellungen haben dies Vorhaben verhindert. Als die geistlichen Stiftungen im Jahre 1810 aufgehoben wurden, ist der Gottesdienst am 25. October 1812 eingestellt, und erst am 29. Mai 1848, nachdem die Kirche gründlich restaurirt war, der reformirten Gemeinde übergeben.

Vielfache Unbill während der westphälischen Periode ließen die Kirche außerordentlich verfallen, bis der verstorbene König von Preußen das ehrwürdige Bauwerk zu restauriren befahl, wozu die Summe von 45,000 Thalern verwendet sein soll.

Es wurden die durch spätern Gewölbe-Einbau auseinander gedrängten Mauern der Seitenflügel gerade gerichtet, das Orgelchor im Stile der Kirche eingebaut, die Wandmalereien aufgedeckt und die Kirche im besten baulichen Stand wiederhergestellt, so daß dieselbe noch lange die alte Bischofsstadt zieren wird.

Als Quellen dienen: Dr. F. Lucanus, die L. Fr. Kirche zu H. 1848, 8.

Kallenbach, Chronologie Deutsch. Mittel. Bauk. München, 1844-1847. Fol. Die in diesem Werke enthaltene Aufnahme ist außerordentlich mangelhaft - wie die meisten Aufnahmen dieses Werkes.

v. Quast, über die L. Fr. K. im Kunstblatt 1845. No. 52 bis 56.

Quast und Otte, Zeitschrift f. A. u. K. Zweiter Band. 4. Heft.

 

Bauliches.

Es bedarf nicht lange des Anschauens des Grundrisses der Kirche, um nicht sobald zwei getrennte, verschiedenen Bauzeiten angehörige Haupttheile zu unterscheiden: der Thurmbau ist der ältere und gehört einer kleineren Kirche an; diesem Theile hinzugefügt sind Schiff, Kreuzflüger und Chorbau.

Wie fast sämmtliche Kirchen des Rundbogenstiles in Niedersachsen denselben Grundriß stets anwendeten, so wird auch ohne Zweifel der der ersten Kirche der übliche gewesen sein und wir sehen in dem jüngern Theile des heutigen Bauwerkes nur den alten Plan im vergrößerten Maßstabe vor uns.

Eine gute Anordnung erfordert es, daß die Breite des Thurmbaues bei Anlage von Doppelthürmen vor den Umfassungsmauern der Seitenfliigel vorsprang - hier ist es umgekehrt der Fall.

Im Uebrigen sehen wir die bekannte Anordnung einer sächsischen Basilike mit hohem Schiff, niedrigen Seitenflügeln mit Holzdecken, vortretenden Kreuzflügeln, langem Chorbau mit zweien Nebenchoren oder capellenartigen Anbauten, geschlossen mit Halbkeisnischen; endlich Doppelthürme mit Glockenhaus.

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Der Thurmbau, an welchem sich der Kreuzgang anschließt, ist ein einfach massives Werk in seinem untern Theile, ohne jegliche Verzierung, mit fast quadrater Grundabmessung (Blatt 58 Fig. 1, c, d), inmitten unter dem Glockenbause mit einer Vorhalle (b), welche sich nach dem Kreuzgange mit einer Hauptpforte öffnet (a). Die ursprüngliche Anlage der Pforte mag hier durch einen spätern Umbau verwischt sein, denn dieselbe ist spitzbogig geschlossen und trägt die rohe Verzierungsweise der Kreuzgänge, ein Werk aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.

Die Vorhalle ist mit einem Tonnengewölbe geschlossen und scheint eine Empore darüber gelegen zu haben, deren Anordnung den Niedersächsischen Bauwerken dieser Zeit zu einer ebenso eigenthümlichen als vortrefflichen Zierde gereicht (Abtei-Kirche zu Quedlinburg u. a.). Ob aber die nischenartige Läubung (Bl. 57, Fig.3, h) allein den Raum der Empore mit dem Schiff der Kirche vermittelte, ist schwer zu entscheiden, da die Vermauerung dieser Nische scheinbar schon sehr alt ist und Spuren anderer vermauerter Oeffnungen nicht zu entdecken sind. Vielleicht lag auch die Anordnung der Empore nur im ersten Plane und ist später nicht ausgeführt. Kämpfergesimse sind noch sichtbar.

Das Gewölbe der Vorhalle schließt auch den unteren Raum des südlichen Thurmes in gleicher Höhe mit der gedachten Empore ab und scheint der nördliche Thurm von jeher die Treppenanlage enthalten zu haben und sollte in Hinsicht auf die Lage der Empore sicherlich einen bessern Aufgang erhalten, als welchen die hölzerne Stiege heute darbietet.

Ueber diese Räumlichkeit spannt sich ein zweites Tonnengewölbe, durch welches ein Steigeloch (i) in das höhere Stockwerk führt. Die Thür (k) führt auf den Kirchenboden.

Ganz der Thurmanlagen der romanischen Kirchen der Umgegend zuwider, sind die dem Glockenhause zugekehrten Mauern beider Thürme nicht von unten aufgeführt, sondern ruhen auf je einem Bogen (l, m).- offenbar eine mangelhafte Construction, welche eiserne Anker erforderlich machte.

Dieses Stockwerk schließt im Aeußern mit einem Gurtgesimse ab, bestehend aus Platte- und Schmiege, von roher Arbeit. Die folgenden Stockwerke des Thurmes und des Glockenhauses sind aber trefflich im Entwurf und Anordnung und gereichen dem ganzen Bauwerke zur vorzüglichen Zierde, obwohl die Einzelheiten nicht die besten Verhältnisse haben.

Betrachten wir zunächst die Fenster des Glockenhauses, so ist zwar die Gesammtbreite des Glockenhauses auffällig schmal im Verhältnis zu den ziemlich breiten Thürmen abgemessen, nichtsdestoweniger aber sind die Fensteröffnungen wohl proportionirt und machen einen guten Eindruck. (Bl. 57. Fig. 2 und Bl. 60 Fig. 14.)

Die Theilungssäulchen sind kräftig, die Fußglieder richtig und gut gebildet, das Haupt mit starkem Halse sehr einfach mit einem Schilde auf dem Würfelknauf, welches außergewöhnlich

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sich nicht im Halbkreise rundet. Die Deckplatten des Mittelpfeilers haben ungleiche Bildung rücksichtlich der Ausladung in den Vorder- und Seitenansichten. Im Uebrigen zeigen die sämmtlichen Verzierungsformen sehr derbe und man möchte sagen, mehr flüchtige als rohe Arbeit: ein Urtheil, welches man überhaupt nur vom gesammten Thurmbau abgeben kann. Eine sorglosere, leichtsinnigere Maurer- und Steinhauerarbeit kann man sich nicht leicht denken, als dieses Zusammenpacken von kleinen Sandstein- und Muschelkalkstein-Brocken, welche glücklicher Weise von sehr fester Textur und den Witterungs-Einflüssen fast gar nicht unterlegen sind. Die wenigen Werkstücke sind kaum bossirt, roh bewerkt und flugs verarbeitet; die Bogen sind selten nach dem Zirkel eingewölbt und man kann sich bei Betrachtung des Bauwerkes eines Lächelns nicht erwehren, wenn man ein so schlicht hin bearbeitetes und mit dem Meißel aus der Bossenform vorgeritztes Säulenhaupt in dem einen Mittelpfeiler der Glockenhausfenster als Mauerstein verwendet sieht.

Weniger gut in Wirkung sind in den nebenliegenden Thurmgeschossen die gekuppelten Fenster (Bl. 57 Fig.1 und 2, Bl. 59 Fig. 3, Bl. 60 Fig. 7). Der Mittelpfeiler der doppelt-gekuppelten Fenster ist in der Vorderansicht mit Haupt, Deckplatte und Fußglied verziert, ebenso wie die Theilungssäulchen. Der Fuß wird durch einen bloß abgeeckten Sockelstein gebildet - jedenfalls eine erst angefangene Arbeit.

Das obere Thurmgeschoß (Bl. 57 Fig. 1 und 2, Bl. 60 Fig.15) hat ein dreigetheiltes Fenster mit kurzen derben Säulchen, sehr schmalem winzigen Haupte, wenig ausladendem Bogenträger und selten angewendeten Bogenstützen für die Ueberdeckungsbögen in der Vorderansicht. Die Arbeit an diesen Oeffnungen ist besonders nachlässig.

Dieses obere Thurmgeschoß scheidet sich vom untern durch ein Gurtgesims (Bl. 60 Fig. 10), und stützt sich darauf eine Einrahmung des Mauerfeldes mit Rundbogenfries. Eines der Fenster des nördlichen Thurmes ist nicht wie die übrigen angeordnet, sondern bildet im Kern eine Oeffnung, welche vermauert und wiederum mit einem gekuppelten rundbogigen Fensterpaare (Bl. 60 Fig. 12) durchbrochen ist, dessen Gewände ein Rundstab einfaßt.

Zu welchem Zweck dies geschehen und wann, läßt sich schwer entziffern.

Es folgt das Hauptgesims; über demselben erheben sich den vier Thurmseiten entsprechend vier steile Giebel, an welche sich die Flächen des Helmes in jener eigenthümlichen Weise anschließen, welche wegen ihrer Aehnlichkeit mit einer Bischofsmütze den Thurmdächern im Volksmunde diesen Namen gegeben hat.

Die Giebelfelder sind eingefaßt mit einem schmalen Mauerstreifen, und getheilt durch einen Rundbogenfries (Bl. 61 Fig. 8). Das untere Giebelfenster zeigt drei mit einem Bogen überspannte

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Oeffnungen und ist ebenso wie das obere Blendfenster nicht wohl proportionirt. Beide zeigen die unbestimmten Formen des sogenannten Uebergangsstiles an (Bl. 60 Fig. 2).

Fragen wir nach dem Alter der Thürme, so müssen wir dieselben in die Bauzeit des Jahres 1020 *) setzen, die Giebeldächer aber 80 bis 100 Jahre später, wie auch ein aufmerksamer Blick hier andere Maurerarbeit zeigt, als in darunter liegenden Thurmgeschossen. Ist auch das Sandsteinmaterial häufig mit Muschelkalkstein, aus welchem letzteren die Kirche und der Unterbau der Thürme besteht, gemischt, so zeigen sich doch sorgfältige Lagerfugen und gewerkte Flächen.

Die Größe der Thürme steht nicht im richtigen Verhältnisse zur Kirche.

Wir schauen in das Innere. Bei ziemlich bedeutenden Abmessungen und hinreichender Beleuchtung tritt der Farbenschmuck doch zurück und die Kahlheit läßt sich nicht ganz verbergen, darum der Eindruck ein nicht ganz befriedigender ist. Königliche Huld hat diese bis zur neuesten Zeit verwahrloseten Räume wiederum trefflich geschmückt.

Kräftige Pfeiler, sonderbarer Weise nur paarweise gegenüberstehend, von gleicher Grundabmessung, sondern das Schiff von den Seitenflügeln. Die Scheitel der Bogen liegen auch deshalb nicht in derselben Wagerechten und man kommt unwillkürlich auf den Gedanken, ob früher an Stelle der schwächeren Pfeiler Säulen angeordnet gewesen oder gestanden haben?

Das an den Thurmbau zunächst anschließende Bogenpaar (Bl. 58 Fig. 1 und 2, n) stützt sich ohne Pfeilervorlage gegen die Thurmmauern und zwar fehlt dieser sonst nothwendige constructive Schmuck wegen der (vermauerten) Bogenöffnungen, welche die untern Räume der Thürme mit den Seitenflügeln verbinden (e, f).

Man kann hiernach die Breite der ehemaligen, durch Bischof Rudolf in den Jahren 1136 - 1149 erneuerten „kleinen formlosen Kirche“ ungefähr abmessen.

Die Sockel und Kämpfer der Pfeiler sind meist durch Putz erneuert (Bl. 59 Fig. 4 und 11).

Die prächtig gemalten Holzdecken sind alten Mustern farbig nachgebildet. Nuthen in den Balken, welche auf dem Kirchenboden bemerkbar sind, weisen eine ehemalige Vertäfelung nach (Klosterkirche Hamersleben: in den Kreuzflügeln).

Die Fenster sind ziemlich groß, nicht überall von gleichen Abmessungen und beleuchten das Schiff vollkommen.

Die Seitenflügel enthalten eine Menge, bei Gelegenheit der neuesten Restauration dort aufgestellter Leichensteine, meist von geistlichen Herren aus späterer Zeit, ohne Kunstwerth.

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*) Die Redaction möchte sich erlauben ihre Ansicht über das Alter der oberen Thumtheile dahin auszusprechen, daß die Arcadengeschosse mit den Helmen mindestens um den Anfang des 13. Jahrhunderts zu setzen sein dürften.

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Die beiden Thüren nach Norden und Süden zu tragen das scharfe Gepräge alter und zierrathloser Auffassung (Bl. 61 Fig. 3).

Die am Abschluß der Seitenflügel nach den Kreuzflügeln hin stehenden Thürme scheinen einer spätern Bauzeit anzugehören, wenngleich der starke Pfeiler (q) zu der Annahme berechtigt, daß ein solches Thurmpaar schon im Plane lag. Die Ausführung mag erst später geschehen sein.

Durch die neueste Restauration ist an diesen Stellen der Seitenflügel, auf welchen die Thürme stehen, Manches verdunkelt, und es läßt sich jetzt nicht mehr sehen, ob die Bogen (Bl. 58 Fig.·1r und s) zu dieser Zeit, oder schon früher zur Verstärkung der schwachen Thurmsubstructionen untermauert worden sind. Es gilt dies vom südlichenTheile, da der nordwärts stehende Thurm vom Grunde auf neu aufgeführt ist, leider aber auch schon arge Risse zeigt. Die steinerne Wendestiege in diesem nördlichen Thurme ist aber Zugabe des Restaurations-Entwurfes und kommt bei keiner Kirche Niedersachsens vor, sondern die Thürme sind stets vom Kirchenboden aus zugänglich gewesen (Hamersleben).

Daß die Thürme später gebaut wurden, als Schiff und Kreuzflügel, zu dieser Ansicht berechtigt ferner das vermauerte Fenster in der Westwand des Kreuzflügels, das Kafsims an derselben Wand und der Tragebogen, auf welchem die Ostwand des Thurmes fußet (Bl. 57 Fig.4). Anders ist diese an sich schwache Construction nicht zu rechtfertigen.

Das Fensterchen im untersten Geschoß dieses Thurmes hat ein sehr zierliches Theilungssäulchen mit stark unterschnittenem Haupte und sehr hoher, unschön gebildeter Kehle im Fuß. Es zeigt sich ein unausgebildetes Eckblatt, welches die Rundung des untern Wulstes mit dem viereckigen Sockel vermittelt (Bl. 59 Fig. 16a, 16b).

Nicht besser sind die Säulchen des obern Geschosses gebildet (Bl. 59 Fig.15), gute Verhältnisse zeigt indeß das Fenster des obersten Thurmgeschosses mit Ueberspannungsbogen (Bl. 60 Fig. 1). Am Fuße mehrer Säulchen, welche theils runde, theils eckige Schafte haben, findet sich ein ebenfalls unausgebildetes Eckblatt. Die jüngst erneuerten Bogenträger und andere ergänzte Stücke entbehren der guten Nachbildung nach alten Mustern.

Das Kranzgesims des Thurmes besteht aus schmaler Platte und Viertelstab. Uebrigens tragen diese Thürme, welche durch die häufigen Fensteröffnungen ein leichtes zierliches Ansehen erhalten, nicht wenig zum guten Aussehen der Kirche bei.

Der Flur der Kirche liegt in seinem östlichen Theile um 8 Stufen höher. Eine Krypta ist nicht vorhanden und es wird auch keiner in alten Documenten gedacht. Die ältere Kirche mag eine Krypta enthalten haben, deren Spuren gänzlich verwischt sind.

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Auf den obern Stufen sieht man zu beiden Seiten Kanzeln oder Lesepulte, aus trefflichem harten Muschelkalkstein ausgeführt, dem Stile nach Werke aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Sculpturen, das Ecksäulchen und sämmtliche Profile an den Füllungen und am Fuß sind vorzüglich in Schwung und vortrefflich gearbeitet (Bl 61 Fig. 1 a b c und Fig. 6 und 7). Zweifelsohne sind diese Pulte die besten Bildwerke der Kirche.

Die Kreuzflügel sind nebst dem Chorbau mit Kreuzgewölben eingedeckt. Die Scheidbogen auf der Westseite sitzen auf Kragsteinen auf, die der andern Seite auf vorgelegten Pfeilern.

Die Gewölbe sind nicht ursprünglich angeordnet, sondern mögen in den Jahren 1274 - 1284, als kostspielige Anlagen in der Kirche geschahen (s. oben), eingebaut sein. Die Kappen der Gewölbe sind stark gestochen und schon in älterer, so wie in neuester Zeit reich verziert mit Malerei. Durch das Einsetzen der Kreuzkappen sind die Fenster zunächst den Bogenschenkeln in den Schildmauern in ihrer früheren Höhe beeinträchtigt und niedriger geworden. Hinter den Gewölbewinkeln der Kreuzkappen sieht man noch die früheren alten Fenstergewände. Die Kreuzbogen bilden Halbkreise, deshalb die Schildbogen unterstelzte Rundbogen, wahrscheinlich um möglichst viel von der Fensterhöhe zu erübrigen.

Die schiefe Grundabmessung scheint mehr absichtlich als eine so grobe Nachlässigkeit zu sein.

Behufs des Einwölbens wurden die Ecken der Außenwände durch Eckpfeiler verstärkt (Bl. 58 Fig. 1 u).

Der mittlere Theil der Kreuzflügel wird durch lettnerartige Schranken von dem nördlichen und südlichen Flügel abgeschlossen, liegt um einige Stufen höher wie jene, und steht mittelst kleiner, in den Schranken befindlichen Thüren in Verbindung mit den Flügeln (Bl. 58 Fig. 1 v, w).

Diese Schranken bestehen ihrem Kerne nach aus Mauerwerk, tragen eine hölzerne Arcade als Bekrönung, sind auf den Seiten nach der Mitte hin glatt geputzt und haben auf den andern Seiten in rahmenartigen Abtheilungen Relieffiguren aus Stuckgyps, welche einzig in ihrer Art in der Geschichte der Bau- und Bildnerkunst in Niedersachsen dastehen.

Die heilige Maria, Christus und die Apostel sitzen unter Arcaden in lebensvoller Haltung, in mehr als halber Lebensgröße. Aehnliche Darstellungsweisen finden sich noch am Sängerchor zu Westergröningen und an den Lettnerschranken zu Hamersleben. Jedenfalls datiren diese Bildwerke aus der Mitte des 12. Jahrhunderts Die ausgebildet romanischen Formen der Simse, die Strenge des Stiles, welche bei vielen Härten doch so edle und geistvolle Auffassung zeigt, die eigenthümliche, in der neuesten Zeit aufgedeckte, Färbung, die phantasiereichen mit symbolischen Figuren durchwobenen Ranken in den Sockeln und Friesen tragen unverkennbar die Spuren einer

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Meisterschaft, welche diesen Zeiten in vielen Kirchen unseres Landes aufgedrückt haben (Michaeliskirche zu Hildesheim und Hamersleben - besonders zu erwähnen) und jedenfalls würde sich ein gewisser innerer Zusammenhang, eine Art Schule herauskennen lassen, wenn diese Bauwerke gleichmäßig durchforscht und bezüglich ihrer Einzelheiten zusammengereihet würden. Unzweifelhaft von fremder Kunst beeinflußt sind aber diese Bau- und Bildwerke selbstständig und geben uns ein vollwichtiges Zeugniß über den Werth unserer vorzeitigen Kunstgenossen ab.

Es mögen noch die Wandmalereien, deren Spuren ringsum an den Wänden sichtbar sind, aus dieser Zeit datiren (s. von Quast üb. d. Maler. in d.·L. Fr. K. zu Halb. im Kunstblatt 1845, No. 54.)

Der Chorbau ist groß und enthält einen hölzernen, dem spätern Spitzbogenstile angehörigen, sehr zierlich geschnitzten sogenannten Bischofsitz.

Auf der Nordseite des Chorbaues liegt die Katharinen-Capelle (der nördliche Seitenflügel war der heiligen Katharina, der südliche der heiligen Barbara gewidmet) in der Verlängerung des Seitenflügels, mit Tonnengewölbe gedeckt, spärlich beleuchtet. Bemerkenswerth ist der Altar mit Formen hohen Alters, ebenso die Fensterconstruction (Bl. 60 Fig. 6, Bl. 61 Fig. 2).

Auf der Südseite des Chorbaues ist die Barbara-Capelle schon um die Zeit, als die Kirche mit Wandmalereien verziert wurde, mit einer Decke durchschossen, weshalb die Bogenöffnung vermauert wurde (Bl. 58 Fig. 1 und Bl. 57 Fig. 5x), auf deren Vorderseite sich der Rest einer werthvollen Malerei (Tod der Maria) zeigt. Eine Treppe im Innern der Capelle führt in das obere, später nochmals in zwei Räume getrennte, Geschoß, welches zur Dreßkammer oder zur Pönitenz- Capelle diente, ein Fensterchen (Bl. 58 Fig. 1, a a') erlaubte dem Sünder an dem Gottesdienste Theil zu nehmen. Die diesen Raum bedeckenden Kreuzgewölbe, deren Quergurt auf Kragsteinen aufsitzt, sind aus Stuckgyps auf Schaalbrettern ausgeführt. Unzweifelhast war nur der obere Raum vermauert und gegen die Kirche abgeschlossen, während der untere Raum in voller Breite nach dem Kreuzflügel zu geöffnet blieb; Kämpfergesimse (Bl. 57 Fig. 5y) in der Mauer nach Westen bestätigen diese Ansicht.

Diese Capelle heißt die St. Barbara-Capelle sub claustro.

Das Aeußere der Kirche ist einfach und wenn man nicht den Bildschmuck in kleinen Nischen am Chore und über den an den Kreuzflügeln gelegenen Thüren ausnimmt, gänzlich ohne Zierrath. Das Kranzgesimse an den Capellen ist wie das der

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kleinen Thürme gebildet (Bl. 59 Fig.1); das des Schiffes und der Seitenflügel besteht aus Vorlagesteinen. Unter den Fenstern des Mittelschiffes zieht sich ein Wasserschlag für die Bedeckung der Firstfuge an den Dächern der Seitenflügel hin. Bemerkenswerth ist das Abnehmen der Mauerstärke in halber Höhe der Kreuzflügel. Die Einschrägung der Fenster ist ziemlich stark. Das Mauerwerk ist glatt und sehr gut aus Muschelkalkstein aufgeführt (wahrscheinlich aus den sehr harten und wetterfesten sogenannten Wegeleber Schaalen). Das eintönige Grau nnd die Kahlheit der Mauern mit den strengen uralten Formen geben dem Gebäude fürwahr einen ernsten, ehrwürdigen Charakter.

Die Kreuzgänge aus der Mitte des 15. Jahrhunderts schließen sich, gegen die sonstige Anordnung verstoßend, an die Westseite der Thürme an. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß dieser Bau auf der Südseite der Kirche einstmals stand. Außer dem großen Capitelsaal, der seiner Zeit ein Prachtsaal war, ist nichts Besonderes zu bemerken. Die Formen der Verzierung sind roh. Die Kreuzkappen sind von Gypsstuck hergestellt; die Lage der 6 bis 8 Zoll breiten Schaalbretter ist noch sichtbar.

Ein Theil des ältesten Kreuzganges findet sich noch auf der Südwestecke der Kirche; derselbe ist nebst der Taufcapelle im Jahre 1600 zum katholischen Gottesdienst eingerichtet.

Das Deckengewölbe wird von abwechselnd starken und schwachen Pfeilern mit vorgelegten Halb- und Viertelsäulchen getragen. Die Gewölbejoche begrenzen breite Gurtungen. Die Einzelnheiten zeigen ausgebildet romanische Formen, wie die Häupter der Säulchen, die Fasung an den Pfeilerschaften, Deckplatten u. s. w. Die Säulchen selbst sind schwerfällig.

Die Thür nach der Kirche zu ist neueren Ursprungs. Die neueste Restauration hat durch den unvermeidlichen Putzbewurf Manches verdunkelt und es wird schwer Entzifferungen vorzunehmen.

Die Taufcapelle, im Jahre 1552 - 1553 erbaut, enthält ein großes metallenes Taufbecken.

Weiterhin am südlichen Kreuzflügel steht die im Jahre 1438 errichtete neue Barbara-Capelle, ein schmuckloser Bau, mit Kreuzgewölben gedeckt; dient jetzt als Sakristei.

Von den Kleinbauten in der Kirche ist noch zu bemerken: der sogenannte St. Johannisaltar, ein Werk des 15. Jahrhunderts, ohne Werth; ferner die gutgeschnitzten Stände im Chore, eine Stiftung des Dechanten Horn von 1550 bis 1562. Der große Bronze-Candelaber ist ein Geschenk des Dechanten Theodorich Block vom Jahre 1475.

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Bezeichnung der Figuren.

Blatt 57.

Fig. 1. Südliche Ansicht. (Die Taufcapelle am Thurme ist hinweggedacht.)

Fig. 2. Westliche Ansicht.

Fig. 3. Durchschnitt durch die Thürme und das Glockenhaus.

Fig. 4. Durchschnitt durch Schiff und Seitenflügel.

Fig. 5. Durchschnitt durch die St. Barbara- und die Pönitenz-Capelle.

Blatt 58.

Fig. 1. Grundriß der Kirche.

Fig. 1a.Grundriß der Pönitenz-Capelle.

Fig. 2. Längendurchschnitt.

Fig. 3. Durchschnitt durch die Kreuzflügel.

Fig. 4. Durchschnitt durch den Chorbau.

Blatt 59.

Fig. 1. Kranzgesimse der Neben-Chorbauten.

Fig. 2. Profil der Deckplatte des alten Altares in der St. Barbara-Capelle.

Fig. 3. Fenster der Westthürme.

Fig. 4. Kämpfergesimse der großen Scheidbögen.

Fig. 5. Durch Putz erneuerte Kämpfer der Pfeiler im Schiff.

Fig. 6. Fuß des vorderen Theiles der Kanzeln.

Fig. 7. 10. 12. 14. Aus dem alten Theile des Kreuzganges.

Fig. 8. Kämpfergesimse auf der Innenseite der Vermauerung der St. Barbara-Capelle.

Fig. 9. Haupt im obersten Geschoß des Ostthurmes auf der Südseite der Kirche.

Fig. 11. Fuß der starken Pfeiler am Ende des Schiffes. (q)

Fig. 13. Kämpfergesimse der Bogenöffnung der St. Barbara-Capelle nach dem südlichen Kreuzflügel zu.

Fig. 15. Fenster im zweiten Geschoß des südlichen Ostthurmes.

Fig. 16a. 16b. Fenster im untersten Geschoß des südlichen Ostthurmes.

Blatt 60.

Fig. 1. Fenster im obersten Geschoß des südlichen Ostthurmes.

Fig. 2. Fensterblende im Giebel der Westthürme.

Fig. 3. Durchschnitt durch die Taufcapelle und den alten Theil des Kreuzganges.

Fig. 4. Pfeilerschaft im alten Theile des Kreuzganges nach der Taufcapelle hin.

Fig. 5. Altes Fenster im Kreuzgange. 13. Jahrhundert

Fig. 6. Fenster in der St. Barbara-Capelle.

Fig. 7. Fenster der Westthürme, zweites Geschoß von oben.

Fig. 8. Träger des Quergurtes in der Pönitenz-Capelle über der St. Barbara-Capelle.

Fig. 9. Pfeilerschaft des Kreuzganges, Horizontalabschnitt.

Fig. 10. Gurtgesims an den Westthürmen.

Fig. 11. Profil des mittleren Fensters der großen Chornische.

Fig. 12. Fenster im nördlichen Hauptthurme, oberstes Geschoß.

Fig. 13. Giebelanfänger der Kreuzflügel.

Fig. 14. Glockenhausfenster.

Fig. 15. Westthurmfenster, oberstes Geschoß.

Blatt 61.

Fig. 1a. Vorderansicht der Kanzeln

Fig. 1b. Seitenansicht der Kanzeln.

Fig. 1c. Hintenansicht der Kanzeln

Fig. 2. Alter Altar in der St. Katharina-Capelle.

Fig. 3. Thüren der Seitenflügel.

Fig. 4 und 5. Fenster-Constructionen an der St. Katharinen-Capelle.

Fig. 6 und 7. Profile der Füllungen an den Wänden der Kanzeln im Schiffe.

Fig. 8. Giebel der Westthürme.

Fig. 9. Grundriß des Kreuzganges.

 

 

Quelle: Die mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens, Hrsgg. Vom Architecten- und Ingenieur-Verein für das Königreich Hannover, Bd 3, Sp. 221-232 sowie Abb. Bl. 57-61, Schmorl & Seefeld 1883

 

 

 

Ferdinand v. Quast 1845: Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt

No 52.

Kunstblatt.

Dienstags, den 1. Juli 1845.

Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt und die in ihr enthaltenen Kunstdenkmäler der Bildnerei und Malerei.


Unter den romanischen Kirchen im nördlichen Deutschland ist der Liebfrauenkirche zu Halberstadt schon seit längerer Zeit gewiß mit Recht ein ehrenvoller Platz zuerkannt worden. Die einfache aber edle Architektur derselben zog die Freunde der mittelalterlichen Kunst nicht weniger an als sie der baufällige Zustand derselben, der ein gänzliches Verfallen dieses ehrwürdigen Gebäudes in nahe Aussicht stellte, tief betrübte. Um so mehr durften dieselben sodann einer freudigeren Zukunft entgegensehen, als die Gnade Sr. Maj. des Königs, welche in allen Provinzen Ihres Reiches schon so viele dem Untergange geweihte Monumente demselben huldvoll entriß, auch für die völligste Herstellung der Liebfrauenkirche die reichlichsten Mittel gewährte.

Doch nicht nur die Architektur der Kirche allein war für die Kunstfreunde von Interesse, auch die Sculptur zeigte im Innern derselben eine ihrer schönsten Entfaltungen der früheren Zeit. Die Darstellungen Christi, der Maria und der zwölf Apostel in halberhabener Arbeit innerhalb reichgeschmückter romanischer Arkaden, welche an den Außenseiten der steinernen Chorschranken sich befinden, durch welche das Kreuzesmittel der Kirche von den Kreuzarmen getrennt wird, gehören trotz einiger alterthümlicher Unvollkommenheiten der Details ohne Zweifel zu den großartigsten Schöpfungen dieser Kunst, welche wir in Deutschland besitzen. Die unter der Tünche wieder hervorgetretene, im Ganzen noch wohlerhaltene Bemalung dieser Sculpturen trägt noch dazu bei, den feierlichen Eindruck dieser Gestalten, über welche Prof. Kugler bereits (Museum 1833, S. 103) ausführlicher gesprochen hat, zu erhöhen.

Daß die Malerei auch selbstständig hinzutrat um im Verein mit ihren Schwesterkünsten diese Kirche zu verherrlichen, war zwar im Allgemeinen nicht unbekannt, da einzelne Stellen hin und wieder unter der Alles deckenden Tünche hervorguckten und von Kunstfreunden gelegentlich weitere Abblätterungen vorgenommen wurden. Bei Gelegenheit des jetzigen Restaurationsbaues jedoch konnte die Untersuchung nun um so vollständiger geführt werden, als es von vorn herein bestimmt wurde, daß die zu erwartende Auffindung der farbigen Ausschmückung der Kirche möglichst wieder erneuert werden solle.

Dennoch hat der Erfolg die Erwartung bei weitem übertroffen. Der unermüdlichen Sorgfalt des mit der speciellen Leitung des Restaurationsbaues beauftragten Baucondukteurs Wägener ist es gelungen, durch Abblätterung der Tünche nicht einige wenige Spuren aufzufinden, welche bei der Restauration als Motive zu benutzen wären, sondern die vollständige Bemalung bloszulegen, welche in der ganzen Anordnung nicht minder wie in dem bei weitem größeren Theile aller Einzelnheiten von einer solchen Vollendung und Großartigkeit ist, daß die vollste Herstellung der ursprünglichen Anordnung der Kirche nur zur höchsten Zierde gereichen kann. Alles Figürliche, nicht minder wie alles Ornamentale, ist auf den Originalen durchgezeichnet, und außerdem liegen uns zahlreiche Farbennachbildungen in kleinerem Maßstabe und ein Durchschnitt der Kirche vor, wo die ganze Farbenschmückung im Zusammenhange neben einander gestellt auf den Beschauer von ergreifendster Wirkung ist. Ich habe Gelegenheit gehabt, die Treue der Zeichnungen, bei deren Anfertigung der Maler Schäfer in Halberstadt besonders thätig war, an Ort und Stelle zu prüfen, und erlaube mir denjenigen, welchen weder die Originale noch die Copien selbst zu sehen vergönnt war, im Folgenden einiges Nähere hierüber mitzutheilen. Das Gebäude selbst ist bereits durch die Beschreibung von Augustin, welche Kugler im Museum 1833, S. 86 mittheilt, so wie durch Kuglers Kunstgeschichte S. 459 und durch Lokalbeschreibungen bekannt, doch erlaube ich mir hier die Hauptumrisse desselben

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darzustellen, da die Malerei mit der architektonischen Anordnung im wesentlichsten Zusammenhänge steht. Die Frage, wann diese Gemälde ausgeführt wurden, hängt wieder mit der Geschichte des Gebäudes wesentlich zusammen, und ich glaube mich verpflichtet, beides um so mehr berühren zu müssen, als meine Ansicht von denen der obengenannten Forscher wesentlich abweicht und gerade durch das Auffinden dieser Gemälde neu begründet wird.

Es ist allgemein anerkannt, daß das Gebäude, wie es bis auf uns gekommen ist, zwei verschiedenen Bauperioden angehört, beide jedoch älter als die Einführung des gothischen Bausystems. Der jüngere Bau besteht aber vornehmlich in einem innern Ausbau, wobei der ältere Bau wesentlich so unverändert blieb, daß er noch als vollständig erhalten anzunehmen ist, so daß die Form der frühern Kirche noch genau zu erkennen ist. Dieselbe bildete eine Basilika mit höherem Mittelschiff, welches durch je acht Rundbogen, die sich auf einfache viereckige Pfeiler stützen, von den Seitenschiffen getrennt wurde. Alle drei enden an dem mit dem Mittelschiff gleich hohen Kreuze, dessen drei Abtheilungen jedes, wie gewöhnlich, ein Quadrat zur Grundfläche hat. Dieselbe Grundfläche hat der Langchor, dem sich gegen Osten die einfache halbkreisförmige Altarnische mit ihrer Halbkuppel anschließt. Das Kreuzesmittel öffnet sich nach den vier Armen zu durch hochgespannte Rundbögen, welche sich auf wenig vortretende Wandpfeiler stützen. Zur Seite des Langchors befindet sich, fast von derselben Länge, doch nur halb so breit, auf jeder Seite eine im Tonnengewölbe überspannte Kapelle nebst kleinerer Altarnische. Die Decken des Mittelschiffs, Kreuzes und Langchors waren flach, und noch befinden sich über den späteren Gewölben die alten Balken, deren wohlerhaltene Profilirungen noch die Ruthen zeigen, in welche die Tafeln eingeschoben wurden, welche die eigentliche Eindeckungen bildeten; die Seitenschiffe dagegen scheinen vom Anfänge an, wie die jetzigen Untersuchungen zeigen, Kreuzgewölbe gehabt zu haben, welche vielleicht später, als sie auf die ohne Strebepfeiler erbauten Außenmauern nachtheilig einwirkten, durch eine flache Decke ersetzt wurden, und erst wieder in bedeutend, späterer Zeit jene mit Stichkappen versehenen spitzbogigen Tonnengewölbe erhielten, welche, um die Mauern selbst zu retten, neuerlichst wieder ausgenommen werden mußten.

Sämmtliche Fenster oben im Mittelschiffe, im hohen Chore und Kreuze nicht minder wie in den Abseiten und Chornischen sind rundbogig, mit einfach-schräger Leibung, ohne alles Detail. Auch die Capitelle und Basen der Pfeiler zeigen einfach antikisirende Profile von etwas schwerer Form, ohne einiges Ornament. Die Thüren an den Ostseiten der Kreuzesarme und in den Mauern der Seitenschiffe sind nicht minder einfach gehalten, mit gradem Sturzo innerhalb einer rundbogigen Umschließung. An der Westfronte prangt der spätgothische Kreuzgang, weshalb hier kein größeres Portal vorhanden ist.

(Fortsetzung folgt.)

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No 53.

Kunstblatt

Donnerstag, den 3. Juli 1845.

Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt und die in ihr enthaltenen Kunstdenkmäler der Bildnerei und Malerei.

(Fortsetzung.)

Reicher in den Details sind nur die oberen mit Rundbögen auf Säulchen geschmückten Thürme, deren zwei von viereckiger Grundform auf einem einfacheren Vorbaue ruhen, der sich der Westfront der Kirche vorlegt, die beiden anderen aber, achteckig, in den inneren Winkeln zwischen Schiff und Kreuz emporsteigen. Die Gleichzeitigkeit dieser Thürme mit dem übrigen Gebäude steht aber keinesweges fest. Die spätere Hinzufügung der beiden östlichen Thürme wird auch durch den nachtheiligen Einfluß bestätigt, den die zu schwache Basis, welche hiefür ursprünglich nicht vorbereitet war, auf die Haltbarkeit derselben ausübte, in deren Folge der nordöstliche noch vor Beginn des Restaurationsbaues vorläufig abgetragen werden mußte; doch fand man hier zugleich die deutlichsten Spuren einer schädlichen Zersetzung des Kalksteins durch einen früheren Brand. Bei den westlichen Thürmen zeigt der Augenschein, daß dieselben, so weit sie frei sich erheben und durch Arkaden sich öffnen, von einem ganz anderen Materiale erbaut sind, das der Witterung bei weitem weniger widersteht, als wie die einfacheren unteren Geschosse des westlichen Vorbaues, auf denen sie ruhen.

Dieser ältere Basilikenbau wurde nun in einer späteren Zeit, jedoch noch vor dem Beginn des gothischen Bausystems, in eine Gewölbkirche verwandelt. Lassen wir die Seitenschiffe, über welche schon oben geredet wurde, außer Frage, so theilte man das Schiff in vier quadrate Räume, trennte sie durch Wandpfeiler, welche man in höchst unsolider Weise mit der Mauer verband und auf der einen Seite durch einen, auf der andern aber durch zusammen zwei Strebepfeiler zu verstärken suchte, und überspannte dieselben mit rundbogigen Kreuzgewölben, welche unter sich durch halbkreisförmige Gurtbögen getrennt wurden. Das Kreuz wurde durch dergleichen Pfeiler und Gurte nach seinen drei Hauptabtheilungen gleichfalls getrennt und gleicherweise mit Kreuzgewölben überspannt; desgleichen der schon quadratische Langchor. Bei dieser Einrichtung wurde ein großer Theil der oberen Fenster, welche durch die Gewölbeanlage ganz oder theilweise verdeckt wurden, mehr oder weniger verändert.

Die vorgenannten Kunstforscher haben sich nun dahin ausgesprochen, daß die Kirche in ihrer Hauptanlage der ersten Gründung durch den Bischof Arnolf (996 bis 1023) angehöre, und noch neuerlich hält Kugler (Kunstgeschichte S. 459) an dieser Ansicht fest. Meines Erachtens sind aber die Worte des sonst so wohl unterrichteten Halberstädter Chronisten, welcher mit dem Jahre 1209 abschließt, zu bestimmt, als daß man nicht annehmen müßte, erst Bischof Rudolf (1135 bis 1149) sey als der Erbauer der gegenwärtigen Kirche anzusehen. Er sagt nämlich von ihm (Chr. Halb. ed. Schatz 1839. S. 57): „Basilicam quoque S. Marie Virginis infra urbem, nam prius parvula ac deformis erat, a fundamento devotissime renovavit et Dei genetrice expensas ei necessarias in hoc opus satis miraculose quam sepius procurante, eandem ecclesiam, ut nunc cernitur, venustissime consummavit, multisque ad usum et decorem ejusdem templi liberaliter erogatis, ipsum honore congruo dedicavit anno videlicet Domini 1146.“

Diese so bestimmten Worte eines Schriftstellers, der an demselben Orte nur um ein halbes Jahrhundert später schrieb, und vielleicht grade zu dem Liebfrauenstifte in näherer Verbindung stand, da er dessen Geschichte vorzugsweise ausführlich mit aufnahm, verdient gewiß die vollste Berücksichtigung, um so mehr, da er dieser Sache später bei dem Tode des Bischofs Rudolf noch einmal mit den Worten gedenkt: „Corpus autem ejus in prenominata ecclesia beate Marie, quam ipse ut devotus fabricaverat architectus, honore debito est sepultum.“

Mit solcher Ausführlichkeit werden von ihm die Verdienste

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keines Bischofs um eine oder die andere Kirche, selbst nicht um die Domkirche, gewürdigt, und die bestimmte Angabe, er habe die früher nur kleine Kirche aus dem Fundamente neugebaut in der Gestalt, wie sie zur Zeit des Chronisten vorhanden sey, ist mit solcher absichtlichen Gewißheit von ihm ausgesprochen, daß man deutlich sieht, er habe dieses aus den sichersten Quellen mittheilen können. Aber auch der Umstand, daß Bischof Rudolf sich dieses Baues so persönlich annimmt und darin seine Grabstätte wählt, würde sich schwerlich erklären, wenn sein Verdienst nur in der Hinzufügung der Gewölbe bestünde. Sein Grabmal ist daselbst bis jetzt vorhanden, liegt in der Mitte des hohen Chores an der Ehrenstelle der Kirche und ist mit einer für jene Zeit bemerkenswerthen Bronzefigur des Bischofs in runder Arbeit geschmückt. Die jetzt leider verlorene Umschrift nannte ihn ausdrücklich als Renovator hujus Ecclesiae. Das in derselben Kirche vor dem Hochaltare befindliche Grab des ursprünglichen Stifters der Kirche, des Bischofs Arnolf, ist dagegen nicht vom Anfange an hier gewesen, sondern, laut der jetzt verlornen Grabtafel, erst im Jahre 1372, bei Gelegenheit der Erweiterung des Domes, wo es ursprünglich war, hieher versetzt worden.

Durch das Gebäude selbst wird diese Ansicht in merkwürdiger Weise bestätigt. Wenn man das Mauerwerk genau untersucht, so zeigt es sich, daß der westliche Vorbau in seinen unteren Geschossen einem älteren Gebäude als die übrige Kirche angehört. Bis etwa zur siebenten Steinschicht unter dem Hauptgesimse des Mittelschiffs hinauf zeigt das Mauerwerk dieses westlichen Thurmbaues mit dem der übrigen Kirche gar keinen Zusammenhang; erst von da an gehen die Schichten gleichmäßig durch, folglich ist der darunter befindliche Theil der Rest eines ältern, und wie die Maße zeigen, kleineren Gebäudes, dessen gegen Schiff und Seitenschiff geöffnete Rundbögen zum jetzigen Gebäude gar nicht passen wollen. Nur die Gewölbe im Innern dieses Vorbaues sind später hinzugefügt worden.

Wollte man also die jetzige Kirche, mit Ausnahme der Gewölbe, als die ursprüngliche aus dem Anfange des 11. Jahrhunderts annehmen, so bleibt dieser ältere Thurmbau der Westseite ein Räthsel. Nehmen wir aber an, der ältere Hauptbau gehöre derjenigen Kirche an, welche Bischof Rudolf im Jahre 1146 einweihte, so ist alle Schwierigkeit gehoben, wenn man den westlichen Vorbau als Rest der von Bischof Arnolf gegründeten ursprünglichen Kirche gelten läßt.

Stellen wir dieses nun als Thatsache hin, so fragt es sich, zu welcher Zeit denn die Gewölbe eingezogen wurden? Aus den oben angezogenen Worten des Chronisten ersehen wir, daß zu der Zeit, wo er schrieb, also um's Jahr 1209, mit welchem er abschließt, die Kirche noch wesentlich in dem Zustande war, in welchem sie Bischof Rudolf erbaut hatte. Der von Heinrich dem Löwen 1179 verursachte Brand des benachbarten Bischofhofes mochte daher für die Substanz der Kirche keine wesentlich nachtheiligen Folgen gehabt haben, obschon man zugeben kann, daß die jetzt noch vorhandenen Deckenbalken erst nach der Zeit eingezogen wurden, und daß die Brandspuren des nordöstlichen Thurmes schon aus jener frühen Zeit herstammen. Daß zwischen Erbauung der Kirche und Einziehung der Gewölbe ein nicht unbedeutender Zwischenraum verfloß, bezeugt auch der Umstand, daß an den Resten älterer Wandmalerei, oberhalb der Altarnische und oberhalb der jetzigen Gewölbe, welche sich daselbst unter dem Dache noch wohlerhalten zeigen, nachgewiesen werden kann, daß ein dort auf blauem Grunde gemalter Thronsessel von räthselhafter Bedeutung vier durch Uebermalung entstandene Veränderungen zeigt, ehe derselbe ganz mit der blauen Lokalfarbe überstrichen wurde, welches wieder vor Einziehung der Gewölbe geschehen seyn muß.

(Fortsetzung folgt.)

No 54

Kunstblatt

Dienstag, den 8. Juli 1845.

Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt und die in ihr enthaltenen Kunstdenkmäler der Bildnerei und Malerei.

(Fortsetzung.)

Das königliche Provinzialarchiv zu Magdeburg bewahrt noch einen reichen Schatz unbekannter Urkunden des ehemaligen Liebfrauenstiftes. Indem ich dieselben in der Absicht durchsuchte, daß ich namentlich in denen des 13. Jahrhunderts, aus welchem meiner Ansicht nach die Gewölbe herstammen mußten, einigen Aufschluß über diesen Bau erhalten dürfte, so fand ich mich durch eine große Reihenfolge von Ablaßbriefen belohnt, welche sich nothwendig auf diesen Bau beziehen müssen, obschon ihr spätes Datum den bisher angenommenen Grundzügen der Architekturgeschichte wenig conform ist.

Die älteren der vorhandenen Ablaßbriefe, von Pabst Innocenz IV. und anderen Bischöfen, seit 1245 und aus den folgenden Jahren, erwähnen durchaus keines Baues der Kirche, sondern sind nur für die Besucher derselben im Allgemeinen ausgestellt; dagegen kommt diese nähere Bezeichnung allerdings in einer großen Reihenfolge von Ablaßbriefen aus den Jahren 1274 und 1284 vor. Von 1274 der des Erzbischofs von Trier, in welchem es wörtlich heißt: . . . . et dicte ecclesie manum porrexerint adiutricem . . . . . Fast wörtlich stimmen mit demselben die der Bischöfe von Ariminum, Battavium, Bremen, Brixen, Eichstädt, Merseburg, Chymen, Meißen, Naumburg, Regensburg, Schwerin und Straßburg überein. Deutlicher aber noch sprechen viele andere Bischöfe in ihren Ablaßbriefen vom Jahre 1284: . . . . . Cum igitur ad reparationem structure ecclesie sancte Marie in halberstadt proprie non suppetant facultates, universitatem vestram monemus . . . . . helemosynas . . . . . subsidia ad dicte reparationem ecclesie erogetis . . . . . Dat. ad urbem veterem. Während wieder andere Ablaßbriefe des Erzbischofs Erich von Magdeburg, der Bischöfe Folquin von Minden, Everhard von Münster, Conrad von Osnabrück und Heinrich von Havelberg, sämmtlich aus demselben Jahre, keine nähere Bezeichnung angeben, spricht dagegen der des Bischofs Siegfried von Hildesheim, gleichfalls vom J. 1284, sich sehr bestimmt aus in den Worten: Cupientes igitur ut altare in ecclesia S. M. Virginis in civitate Halberstadt de novo a pie devotionis hominibus constructum et in honore ejusdem gloriose Virginis . . . . . breviter consecrandum . . . . frequentetur . . . . .

Man kann nicht umhin anzunehmen, daß diese mindestens den Zeitraum von zehn Jahren umfassende große Anzahl von Ablaßbriefen sich auf einen nicht unbedeutenden Bau beziehen müsse. Außer der bereits erwähnten Einziehung der Gewölbe zeigt das Gebäude aber keine Spur eines solchen, denn die unbedeutenden spätgothischen Anbauten der Barbarakapelle und der Altarnische der sogenannten katholischen Kapelle aus dem 15. und 16. Jahrhundert können unmöglich dahin gerechnet werden. Die Briefe sprechen ausdrücklich von dem Bau der Kirche selbst, in welcher durchaus kein späterer Bau als der der genannten Gewölbe existirt. Möglicherweise steht jedoch der Bau der Thürme, so weit sie bereits oben als aus späterer Zeit herstammend genannt wurden, mit dem der Gewölbe in näherer Verbindung, und ich halte namentlich die spätromanischen westlichen um nicht vieles älter.

So befremdend nun diese Annahme denen erscheinen mag, welche zu derselben Zeit die vollendete gothische Baukunst in unserm Vaterlande als die allein herrschende annehmen, so sind jene Beweise zu überwiegend, als daß man ihnen nicht unbedingt den Vorzug geben müßte. Dabei leugne ich keinesweges, daß zu derselben Zeit nicht gleichfalls bereits völlig gothisch gebaut wurde, und ich selbst bin der Meinung, daß die ältest-gothischen Theile der Westseite des Schiffes am Dome derselben Stadt den romanischen Einbauten der Liebfrauenkirche völlig gleichzeitig sind; aber eine Architektur, welche in einem fremden Lande wurzelt, wie die

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gothische im nördlichen Frankreich, und welche dort ihre völlige Ausbildung erhielt, ehe man sie anderwärts aufnahm, konnte von Einzelnen sehr wohl angewendet werden, während Andere noch der althergebrachten väterlichen Weise huldigten. Und jener späte Bau in der Liebfrauenkirche steht keinesweges isolirt da. Die Moritzkirche derselben Stadt (welche seit einer kürzlichen Modernisirung leider völlig verändert ist) ist zwar zum Theil mit Spitzbögen versehen, sonst aber entschieden romanisch; sie ist erst nach dem Jahre 1240 erbaut. Die ganz rundbogige S. Wipertikirche bei Quedlinburg, deren Crypta mit Recht ein hohes Alter zugeschrieben wird, ward laut Ablaßbriefen noch im J. 1266 gebaut.

Wenden wir uns nun von dem Kirchengebäude zu den sie schmückenden Kunstwerken. Für die schon genannten ausgezeichneten Reliefs der Chorschranken dürfen wir nun gleichfalls ein anderes Zeitalter in Anspruch nehmen, als die Zeit vor dem Jahre 1146 (Kuglers Kunstgeschichte S. 494, Anm.); vielmehr haben wir nun den weiten Spielraum von jener Zeit an bis gegen die Jahre 1274 - 1284. Es käme also wesentlich auf eine Vergleichung mit anderen ähnlichen Kunstwerken an, welche genauer datirt sind. Da scheint mir die in starkem Relief gearbeitete Figur der 1203 gestorbenen Aebtissin Agnes von Quedlinburg, in der Schloßkirche daselbst, namentlich mit der Madonna in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt in sehr naher Verbindung zu stehen; bei beiden dieselbe großartige Schönheit der Formenbildungen, dieselbe edle Ruhe und die hohe Grazie der Gesichtsbildung; doch könnte man die Ausbildung des Faltenwurfs bei der Porträtfigur in etwas vorgeschrittener halten, wenn hier nicht zugleich die einfachere Stellung den Bildner begünstigt hat. Ich glaube daher, zugleich aus Gründen, welche sich auf die Ornamentirung der dazu gehörigen Architektur begründen, daß die genannten Sculpturen der Liebfrauenkirche zu Halberstadt etwa dem Ende des 12. Jahrhunderts angehören. Die in dem rühmlichst bekannten Puttrich'schen Werke mitgetheilten Sculpturen der Kirche zu Hecklingen weichen in der Wirklichkeit in etwas von dem Charakter ab, den die Lithographien zeigen. Nur die Fragmente einzelner Köpfe u. s. w. haben denselben Styl wie die genannten Sculpturen zu Halberstadt und Quedlinburg. Die sonst so schönen Engelgestalten zeigen eine entschieden spätere, wenn ich so sagen darf, leichtfertigere Technik und gehören wohl erst der Restauration jener Kirche an, als die spitzbogigen Emporen eingebaut wurden, d. h. der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, derselben Zeit, in welcher, nach meiner Ansicht, die berühmten Sculpturen der goldenen Pforte zu Freiberg, die des Altares zu Wechselburg und des westlichen Chores in Naumburg entstanden. Diese Zeitbestimmungen, welche ich, was Freiberg und Wechselburg betrifft, unten noch näher zu begründen hoffe, dürften den übrigen bekannten Ausbildungsperioden der Kunst doch sich besser anschließen, als die bisherigen Annahmen.

Wir kommen nun zuletzt auf die malerische Ausschmückung der Kirche. Die oben genannten genauen Untersuchungen wurden zuerst im Schiffe der Kirche vorgenommen. Hier hatte der Druck der Gewölbe so schädlich auf die Struktur des Gebäudes eingewirkt, daß man sich bereits vor mehreren Jahren, noch vor dem Beginn des Restaurationsbaues, genöthigt sah, dieselben wieder auszunehmen, wenn das Ganze nicht zu Grunde gehen sollte; eine Erneuerung konnte aus demselben Grunde nicht vorgeschlagen werden und war um so eher zu unterlassen, als das Schiff ursprünglich ohne dieselben errichtet war, und man nur, wenn auch nur im Einzelnen, einen Theil der älteren Architektur wieder herstellen konnte, ohne die Kirche zugleich im Kreuze und Chor, denen man stets gern eine reichere Ausschmückung verlieh, des prächtigen Schmuckes der Gewölbe zu berauben.

Hier entdeckte man nun, unter den Fenstern fortlaufend, ein reiches gemaltes Ornamentenband: schön entfaltetes romanisches Blattwerk, mit arabischen Elementen zierlich verbunden, gelblich und grün auf braunrothem Grunde und mit farbigen Lineamenten eingefaßt. Auf beiden Langseiten der Kirche sind je verschiedene Muster gewählt. Auf diesem Bande stehen unmittelbar die Fenster mit ihren gemalten Einfassungen, zierlichen Säulchen, verschieden gefärbt und mit Ornamenten belegt; Basen und Capitelle sind entschieden romanisch. Die halbe Ansicht der Säule befindet sich an der Wand selbst, die andere Hälfte dagegen biegt sich um die Fensterecke herum und ist auf die Leibung des Fensters gemalt. Der obere Rundbogen ist aus verschiedenfarbig gemalten Quadersteinen scheinbar zusammen gesetzt. Bei einigen Fenstern ist diese Quadereinfassung, anstatt der Säulchen, bis zur Fensterbasis fortgesetzt.

Zwischen den also geschmückten Fenstern sind auf den Fensterpfeilern einzelne Gestalten auf lichtem Grunde gemalt, welche im Schiff der Kirche die kleinen Propheten darstellen, durch die beigeschriebenen Namen und durch Schriftrollen in ihren Händen, auf denen sich einzelne ihrer vorzüglichsten messianischen Weissagungen befinden, deutlich genug bezeichnet. Es sind ernste, würdige Gestalten, kräftige bärtige Männer, um das Haupt den Heiligenschein, meist in lang herabhängenden Untergewändern, die jedoch nicht hindern, daß bei einigen lebhafter vorschreitenden Figuren, wie dem Hoseas oder Saphonias, ein Theil des Beines entblößt wird. Ein in freiester Bewegung darüber geworfener Mantel giebt die mannigfaltigsten Motive des Faltenwurfs, der

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hier, trotz einiger der Zeit angehöriger Härten in den Details, von einer Vollendung der Erfindung ist, die unsere Bewunderung gewiß mit Recht in Anspruch nimmt. Bei einigen bedeckt er mehr den Obertheil des Körpers, läßt in ansprechendem Wechsel der Linien und Farben das einfacher hinabfallende Untergewand in der unteren Hälfte frei und fällt zu dessen Seiten hinab; bei andern bleibt einer oder der andere Arm und das die Brust deckende Untergewand offen und die eine Hand hält den Mantel, um das Hinabgleiten zu hindern; wieder bei einem andern deckt der Mantel die ganze Gestalt bis zu den Füßen hinab. Doch überall entwickelt sich diese Mannigfaltigkeit nicht aus dem Haschen nach neuen Motiven, sondern folgt einfach aus der ganzen Stellung der Figur. Diese Stellungen sind nun allerdings meist ganz ruhig, andere jedoch zeigen ein mäßiges Vorschreiten, noch andere ein lebhafteres. Die schönste Gestalt unter allen scheint uns die des Nahum zu seyn, der mit fast schüchternen Schritten auf den Spitzen eines Berges gehend vorgestellt ist. Der rothe Mantel gleitet im schönsten Gefälte, keine Bewegung beengend, bis zu den nackten Füßen hinab; nur ein geringer Theil des hellblauen Untergewandes an der Brust und an wenigen andern Stellen bleibt sichtbar; die freie Linke ergreift den Bausch des Mantels, während die Rechte das gleich einem Stabe aufsteigende Spruchband halt. Die ganze Gestalt nicht minder wie der Kopf, welcher unter allen allein ohne Heiligenschein blieb, zeigt eine anziehende Milde; wir werden unwillkürlich an raphaelische Christusbilder erinnert, und selbst der Ausdruck des ernstmilden Gesichtes, das in Locken herabwallende blonde Haupthaar scheint dem zu entsprechen. Wie aber stimmt dieses zu dem strengen Propheten, der nur den Zorn Gottes über sein Volk und über andere Völker verkündet? Die Erklärung findet sich in den Worten des Propheten 2, 1: „Siehe, auf den Bergen kommen Füße eines guten Boten, der da Frieden predigt!“ Fast sollte man meinen, der Verkündigte selbst sey statt des Verkündigers dargestellt.

(Fortsetzung folgt.)

No 55.

Kunstblatt

Donnerstag, den 10. Juli 1845.

Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt und die in ihr enthaltenen Kunstdenkmäler der Bildnerei und Malerei.

(Fortsetzung.)

Zwei der Fensterpfeiler, an jeder Seite einer, zunächst der Westseite, sind in abweichender Art geschmückt. Statt eines einzelnen Propheten sehen wir hier jedesmal zwei Halbfiguren über einander emporsteigen, jede von ihrem Spruchbande mehr oder weniger umgeben und dasselbe haltend. Das Kostüm derselben ist völlig verschieden, doch unter sich verwandt; ein rother Mantel wird aus der Brust durch eine Agraffe zusammen gehalten und läßt das grüne Untergewand mehr oder weniger frei hervortreten. Goldener Schmuck bezeichnet den Abschluß der Aermel, und ein noch reicherer schmückt dasselbe auf der Brust, unter dem Mantel. Die obern Gestalten, werden jedesmal durch Beischriften als David und Salomon bezeichnet; ersterer bärtig, doch fast ohne alle Beizeichen; letzterer jugendlich, mit einer goldenen Krone über dem blonden Lockenhaar. Eine ähnliche, noch reichere Krone über dem langherabfließenden Haar, das jedoch zunächst durch einen grünen Schleier gedeckt ist, schmückt unter dem Salomon die weibliche Gestalt der Königin von Saba, hier als Regina Austriae bezeichnet. Die mit keinem andern Schmucke als dem ihrer Locken geschmückte Gestalt unter der des David, ist durch die Beischrift „Ecclesia“ und den dem Hohenliede entnommenen Spruch gleichfalls genügend bezeichnet. Wenn hier die Darstellung der Halbfiguren für Entfaltung künstlerischer Tüchtigkeit weniger günstig erschien, so erkennen wir doch in den ernsteren Brustbildern des David und der Regina Austriae nicht minder wie in den lieblicheren des Salomon und der Ecclesia dieselbe Meisterhand, welche in den Gestalten der Propheten sich so tüchtig bewährt hatte.

Am Ost-Ende des Schiffes, wo die anschließenden Seitenthürme die Oeffnung von Fenstern nicht zuließen, bilden sich größere Wandflächen, auf denen mehrere Figuren neben einander stehend oder sitzend dargestellt waren; leider sind sie in einem so zerstörten Zustande vorgefunden worden, daß wir sie nicht näher zu charakterisiren vermögen. Alle Malereien aber sind, wie es aus jener Zeit nicht anders zu erwarten ist, in Wasserfarben mit nur mäßiger Schattengebung der Lokalfarben ausgeführt, während die Contouren in bestimmten, scharf bezeichneten Linien vorgezeichnet waren.

Dieser erste Fund ließ es zweifelhaft, ob die Malerei der ursprünglichen Anlage der Kirche oder ob sie der Erneuerung am Ende des 13. Jahrhunderts angehöre. Da die Gewölbe schon vorher ausgenommen waren und daher die an ihnen etwa befindliche Malerei nicht verglichen werden konnte, so war ein genügendes Urtheil erst im Kreuz und Chore zu erwarten, welche jedoch das unzweifelhafte Resultat ergaben, daß diese malerische Ausschmückung erst der letzten Zeit angehörte, und daß von einer früheren, mit Ausnahme der Altarnische, sich nirgend eine sichere Spur vorfand; ja es blieb auch späterhin der ganze untere Theil der Kirche, von dem Gurtbande unter den Fenstern abwärts, ohne alle Farbengebung; möglicherweise behielt man sich dieselben erst für spätere Zeiten vor.

An den obern Fensterpfeilern des Langchors fand man denn zunächst in unmittelbarer Beziehung zu den oben beschriebenen Figuren des Schiffs, die vier großen Propheten, Jeremias und Ezechiel auf der Südseite, in fast apostolischer Haltung der Altarnische entgegen schreitend, als erblickten sie die verkündete Herrlichkeit bereits vor sich in der Nähe; Jesaias auf der gegenüber liegenden Seite scheint schon in Anbetung versunken zu seyn. In jeder Hinsicht besitzen sie dieselben Vorzüge, welche schon bei den vorhergehenden Gestalten gerühmt wurden.

Völlig abweichend von allen vorhergehenden Propheten, doch durch den beigeschriebenen Namen nicht minder wie durch die Zusammenstellung mit den andern

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großen Propheten hinlänglich bezeichnet, ist dagegen Daniel dargestellt; hellgrüne, enganschließende Beinkleider reichen bis zu den Fußspitzen hinab. Goldene Spangen oder Stickereien schmücken dieselben über den Füßen; unter und über den Knien. Ein kurzer Rock mit engen Aermeln von dunkelgrüner Farbe, mit breiten, goldenen Säumen geschmückt, ist über der Hüfte gegürtet und öffnet sich über dem Schenkel des rechten zurücktretenden Beines. Der hellrothe, goldgesäumte, kurze Mantel wird auf der Brust durch eine Spange gehalten, doch läßt derselbe unter dem Halse noch ein weißes Untergewand hervorsehen. Eine niedere Tiara, den griechischen Schiffermützen nicht unähnlich, von weißer Farbe, mit senkrechter goldener Borte geschmückt, deckt das jugendliche Haupt. Die durch den Mantel fast verdeckte Rechte ergreift das über die Brust hinweggehende Spruchband, während die Linke anbetend erhoben ist.

Offenbar ist dieses die sogenannte phrygische Tracht, durch welche von den Griechen alle Orientalen bezeichnet wurden, und in welcher wir auf altchristlichen Abbildungen namentlich die Freunde Daniels, die drei Männer im feurigen Ofen, dargestellt finden. Besonders glauben wir es aber hervorheben zu müssen, daß diese Figur im Kostüme nicht minder wie in der ganzen Art der Erscheinung völlig denjenigen entspricht, welche an den Bildwerken des Altares zu Wechselburg und der goldenen Pforte zu Freiberg erscheinen, und welche der Dr. Puttrich in seinem Werke als Josua bezeichnet hat, welche man nun aber gleichfalls als Daniel wird anerkennen müssen. (Beiläufig möchte ich bemerken, daß die ihm zur Seite stehenden Figuren an der goldenen Pforte, für welche Dr. Puttrich bisher keine nähere Bezeichnung angab, wohl der Reihe nach, mit Rücksicht auf unsere Darstellungen, als Regina Austriae, Salomon und Johannes Baptista, der letzte Prophet des alten Bundes, bezeichnet werden können, die Königin der andern Seite neben dem David dagegen gleichfalls als die Braut des Hohenliedes, die Ecclesia). Diese so zu sagen wörtliche Uebereinstimmung dieser Gestalten giebt nun aber der Annahme ein neues Gewicht, daß jene Bildwerke mit dem Gemälde ziemlich gleichzeitig seyn mögen. Schon früher war ich, aus Gründen der Architektur, der Ansicht, sowohl der Altar zu Wechselburg mit seinen überreich dekorirten Nischen im gebrochenen Bogen, als namentlich die goldene Pforte, müßten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehören. Letztere zeigt zwar noch den Rundbogen, aber nicht anders als das Portal der Liebfrauenkirche in Trier; im Uebrigen ist die Anordnung bei beiden wesentlich gothisch, und eine so durchgebildete Gothik ist man im nordöstlichen Deutschland schwerlich vor der Mitte des 13. Jahrhunderts anzunehmen berechtigt.

Doch kehren wir zu unseren Gemälden zurück. Außer drei Fenstern und den zwei mit ganzen Figuren geschmückten Pfeilern zwischen ihnen schnitt der Gewölbbogen zu jeder Seite noch ein kleineres Feld ab, das mit aufsteigendem Rankenwerk geschmückt ist, auf dessen Spitze je ein Paradiesvogel (oder Phönix?) in leuchtenden Farben sitzt, und von den Früchten der Pflanze, wahrscheinlich Trauben, zu essen scheint. Das Kreuzgewölbe darüber zeigt auf hellblauem Grunde ein Rankenornament, das in den gewähltesten Formen des Blattwerks von den nur durch Malerei charakterisirten Graten des Gewölbes bis zum Schlußstein emporsteigt. Grün herrscht in den Stielen und Blättern vor, doch erscheint bei letzteren und bei den Früchten auch ein helles Braun und dunkles Blau. Sehr reich wird das Ganze durch die Vergoldungen einzelner Blätter und Knospen geschmückt.

Die Gewölbe des Kreuzes sind dagegen mit figürlichen Darstellungen geschmückt, wie die in Relief gearbeiteten Heiligenscheine schon längst vermuthen ließen. Im Kreuzesmittel befindet sich, leider nur sehr verdorben, auf blauem Grunde die Himmelfahrt der Maria; über die vordern fehlt es noch an genaueren Berichten. Die Gurtbögen zwischen diesen Kreuzgewölben sind in der schönsten Weise durch Bandstreifen gebildet, in denen einzelne kreisförmige, viereckige oder rhombenförmige Felder sich auszeichnen, in denen Heiligen- und Engelsköpfe gemalt sind, während die Zwischenräume mit farbigem Blattornament auf braunrothem Grunde belegt waren. Die Curven dieser Rundbögen sind mit denen der Gewölbe nicht völlig concentrisch, so daß die Zwischenräume zwischen beiden in dem Scheitel höher sind wie an den Enden. Diese Ungleichmäßigkeit ist nun in glücklicher Weise also vermittelt, daß sich hier Kreis an Kreis schließt, deren mittlerer oberer der größte ist, und die folgenden um so mehr abnehmen, je tiefer sie in den Schenkeln hinabsteigen. Jeder enthält ein blaues Feld mit rother Umschließung; bei den eilf mittleren größeren befindet sich in der Mitte eines jeden der Kopf eines Heiligen. Die Zwischenräume sind durch gelbes Ornament auf braunem Grunde glücklich vermittelt.

Als Schluß des ganzen Werkes folgt die Altarnische, zu deren Seiten gemalte Säulen, ähnlich doch reicher als jene neben den Fenstern, bis zum Anfange des Bogens hinaufsteigen. Daß der Triumphbogen über der Nische hier einst, ehe die Gewölbe eingezogen wurden, gleichfalls farbig geschmückt war, ist bereits oben erwähnt worden. Auch die Nische selbst war, wie die genauen Untersuchungen ergeben haben, wahrscheinlich vom Anfange an in derselben Art geschmückt, als wie die Malerei nun nach Wegnahme der Tünche hervorgetreten ist. Dabei findet jedoch der bemerkenswerthe

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Umstand statt, daß diese ursprüngliche Anordnung im Laufe der Zeit mehrfach nicht nur restaurirt, sondern vollkommen übermalt wurde, so daß jede dieser einzelnen Farbenlagen, wenn man sie neben einander stellen konnte, das eigeinhümliche Gepräge ihrer Zeit trägt; da aber grade die oberste und letzte von der höchsten Vollendung ist, so würde ihre Vernichtung durch eine solche Untersuchung nicht zu rechtfertigen seyn.

Die ganze Anordnung ist in drei Abtheilungen über einander. Die untere reicht bis zu den Fenstern; die zweite enthalt den Raum bis zu dem Anfange der Halbkuppel, in welchem die drei Rundbogenfenster bis zur gleichen Höhe hinaufsteigen; die dritte endlich begreift die Malerei der Halbkuppel selbst. Letztere enthalt auf blauem Grunde die Madonna in throno, zu jeder Seite mit drei Heiligen, welche anbetend sich ihr und dem Christuskinde auf ihrem Schooße nahen, alle in einfach würdiger Haltung und in schönen langherabfließenden Doppelgewandern, den Mantel auf der Brust zusammen geheftet. Außer goldenen Büchern, welche einige von ihnen in den Händen halten, haben sie keine Beizeichen, namentlich fehlen, wie auch bei allen übrigen Gemälden, jegliche Marterinstrumente.

(Schluß folgt.)

Die Liebfrauenkirche zu Halberstadt und die in ihr enthaltenen Kunstdenkmäler der Bildnerei und Malerei.

(Schluß.)

Die mittlere Abtheilung ist von vorzüglich schöner Anordnung. Die Zwischenräume der Fenster, mit diesen von gleicher Breite, sind als rundbogige Nischen ausgebildet, und diese sowohl wie die Fenster selbst wurden mit grünen und rothbraunen Einfassungen umgeben, welche sich an einander reihen und so die ganze Nische gewissermaßen mit einer fortlaufenden Bogenreihe umgeben, deren drei geöffnet waren, an den schrägen Leibungen durch grünes Rankenornament auf rothbraunem Grund reich geschmückt; vier aber enthielten auf dunkelblauem Grund einzelne Heiligenfiguren, welche vom Boden durch gemalte Postamente erhöht sind. Zwei derselben liegen uns in einer größeren Nachbildung vor, ein Jüngling im reichen purpurfarbenen Levitenrock, der durch eingewirkte goldene Greifen und Adler geschmückt ist über dem weißen Untergewande, in der Rechten ein Buch, in der Linken einen grünen Palmzweig haltend, wahrscheinlich der heilige Stephanus, der Patron des Domstiftes. Der andere ältliche Heilige erscheint in ähnlich reicher Bischofstracht und hält das Zeichen seiner Würde, den noch ziemlich alterthümlich gebildeten Stab, in der Linken; die Mütze dagegen ist abgerundet, jener obengenannten des Daniel fast ganz entsprechend. Vielleicht ist es S. Servatius, Patron des benachbarten Stiftes zu Quedlinburg. Gemeinsam ist beiden die einfach ruhige Haltung, ohne alle Nebenbeziehung und eine so durchgehende Vollendung aller Theile in Zeichnung nicht minder wie in der Farbe, daß man in ihnen deutlich Werke erkennt, welche der Zeit der höchsten Vollendung der Malerei in Deutschland angehören. Namentlich die Köpfe sind wahrhaft als Meisterwerke anzuerkennen. Uns ist bisher bei deutschen Wandmalereien nirgend eine ähnliche Meisterschaft vorgekommen.

Die unterste der drei Abtheilungen scheint ohne spätere Uebermalung geblieben zu seyn, leider befindet sie sich aber auch zugleich in einem überaus zerstörten Zustande. Jedoch erkennt man, daß auf dem blauen Grunde, welcher hier allgemein herrscht, vier kreisförmige Bilder angeordnet waren, deren lichterer Umkreis wiederum ein blaues Feld umschließt, auf welchem einzelne Historien in gelblich bräunlichen Lokalfarben dargestellt waren. Der Gegenstand ist sehr dunkel. Auf dem besterhaltenen Bilde zur Linken sitzt eine würdige weibliche Heiligenfigur, mit dem Nimbus geschmückt und die Linke gewissermaßen in Begleitung der Rede erhoben, unter einem mit Thürmen und Zinnen geschmückten Thronhimmel. Vor ihr steht ein ältlicher Ritter in kurzem Rock und Mantel darüber, der neben sich zur Linken einen hohen, unten spitzen, oben runden Schild hält, während er mit der Rechten seine Rede zu begleiten scheint. Das zweite Bild ist bei weitem mehr zerstört, doch erkennt man, daß in der unteren Hälfte zur Seite eines aufsteigenden Ornaments, das sich mehr oberhalb nach beiden Seiten hin entwickelt, ein Pferd steht, in ähnlicher Haltung wie auf alten Mosaiken die Lämmer; darüber sieht man auch die Beine einer schwebenden Figur, vielleicht des verklärten Christus, während zur einen Seite noch die Beine einer andern Figur zu erkennen sind, welche auf einem Berge zu stehen scheint. Der Rest ist völlig zerstört und war

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231

es bereits im Jahre 1582, da diese Ziffer nebst vielen Namenzügen schon an der Stelle der zerstörten Gemäldetheile vorgefunden wurde. Auf dem dritten Medaillon sind nur noch die undeutlichen Umrisse zweier neben einander gruppirten Figuren zu erkennen, wie es scheint von Kriegern. Alles Uebrige fehlt. Das vierte Medaillon ist völlig verloren.

Die innere Leibung des Bogens vor der Nische und des dazu gehörigen Pfeilers wird durch eine Reihe von kleinen Medaillons geschmückt mit hellrother Umfassung, deren jedes auf blauem Grunde einen Engelskopf zeigt. Einige derselben sind noch aus der ersten Periode erhalten, gleich den zuletzt beschriebenen Malereien von trockener Zeichnung und Farbengebung, völlig im Style der Miniaturen des 12. Jahrhunderts. Die bei weitem größere Mehrzahl jedoch ist von einer Vollendung der Köpfe, wie wir sie bei den Figuren zur Seite der Fenster in der Chornische geschildert haben. Das himmlische Entzücken, dessen sie genießen, ist allen gemeinsam und in der mannigfaltigsten Art des Ausdrucks wiedergegeben.

Noch giebt es in der Kirche eine Menge einzelner Malereien, die zum Theil schon früher nicht unbekannt waren und deren wir nur in Kürze gedenken. Das bedeutendste dieser Gemälde dürfte das in der Chornische der Capella sub claustro seyn, eines späteren Tonnengewölbes innerhalb des schon früher erwähnten größeren an der Südseite des Chors. Reich ornamentirte Einfassungen mit lebendigen Farben auf dunklem Grunde umschließen dreifach den Rundbogen der Nische; bemerkenswerth ist namentlich der mittlere Streifen mit einem in Perspektive dargestellten Mäander, der lebhaft an die Antike erinnert, noch mehr aber an den jedoch reicher geschlungenen in S. Nazareo e Celso zu Ravenna (abgebildet in meinem Werke über Ravenna, Bl. III.) In der dunkelblauen Halbkuppel steht die Madonna mit dem Kinde, in der Linken ein goldenes Scepter; zu ihren Seiten zunächst Petrus und Paulus, ersterer durch einen Schlüssel ausgezeichnet. Weiterhin neben dem letzteren S. Johannes, durch den Namen bezeichnet, mit jugendlichem Gesichte. Auf der entgegen gesetzten Seite neben Petrus wahrscheinlich Andreas. Die Madonna im blauen Unterkleide und Purpurmantel, die Apostel sämmtlich in langen weißen Untergewändern und verschiedenfarbigen Mänteln, welche in ziemlich typischer Weise sauber geordnet sind. Die Figuren zeigen nur wenig Bewegung, der Faltenwurf ist zierlich gelegt, doch ohne lebendige Entwickelung, meist in parallelem Gefälle herabfallend. In den Köpfen sieht man schon ein Bestreben nach Charakterisirung, doch ist das Ganze noch fern von jener Ausbildung, welche wir bei den oben genannten Compositionen bewundern durften. Wir glauben uns zu der Annahme berechtigt, daß diese Malerei den letztgedachten um ein Bedeutendes voranging, vielleicht um hundert Jahre, daß sie also noch füglich um ein halbes Jahrhundert jünger seyn können, als jene ältesten Reste der großen Chornische, welche wahrscheinlich noch aus der Zeit der Erbauung der Kirche herrühren. Diese Kapelle mochte zu der Zeit eingerichtet worden seyn, als in Folge der Verwüstungen des Jahres 1179 eine Renovation der Kirche nothwendig wurde.

Unter der Halbkuppel befindet sich in der Höhe des einzigen Fensters dieser Nische ein Gemäldestreifen, von dem jedoch nur noch ein Theil aufgefunden wurde. Auf der einen Seite des Fensters stehen, einfach neben einander geordnet, vier Bischöfe, während sich gegenüber wahrscheinlich eine gleiche Anzahl befand. In künstlerischer Hinsicht wären sie weniger zu erwähnen; das Kostüm derselben ist jedoch durch die alterthümliche Form, namentlich der überaus niedrigen Insul, interessant genug. Hinter ihren Häuptern befinden sich Heiligenscheine.

Ueber dem Eingänge zu dieser Kapelle befindet sich die Darstellung des Todes der Maria in vortrefflicher, jedoch schon bedeutend späterer Weise; andere einzelne Gemälde anderwärts. Besonders dürfen wir jedoch noch die Gewölbemalereien in der dem 15. Jahrhundert angehörigen S. Barbarakapelle erwähnen, welche wiederum, gleich jenen der Altarnische, die höchste Vollendung der Kunst zeigen. Noch sind sie nicht ganz aufgedeckt, und die in gleicher Vollendung gewesenen Malereien an den Wänden derselben Kapelle scheinen leider völlig verloren zu seyn.

Wir schließen hiemit unseren Vortrag, der vielleicht das gewöhnliche Maß in etwas überschritten hat; die Bedeutsamkeit der geschilderten Gegenstände an sich und ihr enges Verhältniß zu anderen Kunstwerken des Vaterlandes, welche neuerlich die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde vorzugsweise in Anspruch genommen haben, dürften hierbei zur Entschuldigung gereichen. Zugleich möge diese Anzeige eine neue Aufforderung zum zahlreichen Besuche der deutschen Architektenversammlung seyn, welche im Herbste dieses Jahres zu Halberstadt statt finden wird.

Berlin, im April 1845. F. v. Quast.



Veröffentlicht im Kunstblatt No 52 bis 56 des Jahres 1845.

Dieser Fortsetzungsartikel ist an der Uni Heidelberg digitalisiert unter folgendem LINK einsehbar:

http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunstblatt26_1845/0222

 

 

 

Johannis Winnigstadii über Bischof Reinhard von Halberstadt

„XV.

REINHARDVS war ein gebohrner Sachse, gottselig und tugendsam und eines hohen Edlen Geschlechts,

 

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303 Winnigstadii Chron. Halberst.

 

ward von seinen Eltern der in Jugend nach Paris zum Studio gesant, woselbst er um mehrer Bequemlichkeit willen des studirens sich ins Kloster S. Victor begeben, und begunte alda zu leben nach den Regeln und Orden der gelahrten Chorherrn S. Augustini, und hat alda sehr zugenommen von Tage zu Tage in der Lehre und Zucht des H. Evangelii und aller freyen Künste. Da er nun einmal sein Vaterland und Freundschafft besuchen wolte, ward er von Lothario Hertz. zu Sachsen den Capittels-Brüdern vorgestellt als ein tüchtiger Mann zu dem Bischöfflichen Amte, und von ihnen ordentlich erwählet im Jahr Jahr 1107. indictione 15. Der Ertz-Bischoff von Maintz Adelbertus weihete ihn, regierte gantz wol, ließ die Thumherrn leben nach den Reguln der Canonicken, so Ludovicus Pius von seinem Vater Carolo M. im Concilio zu Acken empfangen, und den Geistlichen darnach zu leben übergeben; auch stifftete dieser fromme Bischoff das Kloster S. Pancratii zu Hamersleben , und S. Johannis zum Kaltenborne, mit Hülffe Grafen Wichmanni zu Orlamünda, beide nach der Regel und Orden S. Augustini. Aus der weltlichen Canonie S. Johannis Baptistae, so Brantogus bevor zu Halberstadt gestifftet hatte, machte er auch ein Kloster desselben Ordens, und weihete Kirche und Kloster in die Ehre S. Johannis des H. Täuffers und des H. Evangelisten. Item aus dem Nonnen-Kloster S. Laurentii vor Schöningen machte er solch ein Kloster. Er regierte 15. Jahre, predigte und lase fleißig , war der erste Meister und Anfänger hie in Sachsen der Regel und Ordens S. Augustini; reformirte auch die Benedictiner-Klöster nach ihren eignen Regeln, als· Gerbstät, Haimersleben,

 

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304 Winnigstadii Chron. Halberst.

 

Drübeck,·Stötterlingburg. Zu seiner Zeit verschrieb Kaiser Henricus V. einen Reichs-Tag nach Erfurt, worauf von selbem die Fürsten der Sachsen, und dieser Bischoff, der Ursache halber, in die Acht erkläret wurden, daß sie es mit ihm nicht hielten, auch daselbst nicht erschienen; darum zerbrach der Kaiser das Schloß Horneburg, und verheerte die Stadt Halberstadt, brante sie mit allen umliegenden Dörffern gantz und gar aus, zog darauf bis zum Wölpes Holtze, mit einer sehr grossen Heeres-Krafft zu Roß und Fuß, sonderlich mit den Wenden jenseits der Elbe, und hielte eine grosse Schlacht mit den Sachsen , daß darüber viel Blut vergossen worden, auch ein Weidenstamm Zetter und Jodutte soll geruffen haben, an der Stätte, wo das Kloster Wederstedt, und die Capelle, darinnen noch itzt der Abgott Jodutte steht. Es hat der Kaiser in seinem Heere viel Wahlen gehabt, die sollen in der Nacht gerufen haben aus ihre Sprache adjuta mi! hilff mir, daher das gemeine Volck sich eingebildet, als solte der Weidenstamm Jodutte gerufen haben. Bischoff Reinhard aber widerstund den Feinden mit der Hülffe Gottes, und Herzog Lutter von Sachsen, und erlegte den Kaiser mit seinem Volcke gantz wunderlich, doch mehr mit beten und vermahnen, denn mit leiblichen Waffen, und die auf des Kaisers Seite todt blieben , denen verbot der Bischoff die Christliche Begräbniß ,die aber von der andern Seite wurden daselbst begraben, auf deren ihre Grufft wurd das Kloster Wederstedt, so itzo Widerstedt heißt, gebaut, davon findet man in selbiger Capelle folgende Verse:

 

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305 Winnigstadii Chron. Halberst.

 

Anno Milleno centeno ter quoque quinto

Sylvam Welphonis perfudit unda cruoris,

Tune sunt necati quadraginta millia quinque,

Ipso nempe die Dionysi Martyris almi.

 

Da man schrieb tausend hundert und funffzehn Jahr,

Zu Wölpesholtz all offenbar

Fünff und vierzig Tausend wurden erlegt,

Am S. Dionys-Tag, wenn man darnach frägt.

 

Bischoff Reinhards Ermahnung an die Sachsen zum Kriege, und wie ihn der Kaiser entsetzt hat, findest in der Historie Cyriaci Spangenbergs vom Kriege zum Wölpesholtze, item in der Historie von Grafen Wiprecht C.10. Durch Ernst Brotuffen beschrieben, auch in Chron. Mersburg. Er weihet darnach in der Wiederreise das neue Kloster S. Aegidii und S. Autoris binnen Braunschweig, aus Bitte Hertzog Lüders von Sachsen, A. 1115 und starb darnach den 6. Monaths Martii im fünfften Jahre, liegt im Thum zu Halberstadt begraben, vor des H. Kreutzes Altar, in dem Grabe, da Ludolphus der vorige Erz-Bischoff von Trier begraben war, den er angenommen und bey sich beherberget hatte, da er vertrieben worden. Bey seiner Zeit wurde auch fundiret das herlige Regulier-Kloster S. Alexandri vor Halle, zum Neuen-Wereke genant, durch Anregung dieses Bischoffs von Adelgoto elfftem Erz-Bischoffe zu Magdeburg, der vor ein Kind gewesen des Colegii S. Pauli zu Halberstadt, mit Hülffe Grafen Otten von Revening und seiner Frau. Es ist zu seiner Zeit der hochberühmte Lehrer Hugo de S. Victore ein Kloster-Kind zu Hamersleben gewesen, und hat

 

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306 Winnigstadii Chron. Halberst.

 

da schon angefangen zu schreiben. Dieser ist ein Herr von Blanckenburg gewesen , und von seinen Eltern daselbst zu Hamersleben im Kloster zur Schule gethan , ist auch daselbst ohne seiner Eltern Danck um der Liebe willen der Lehre geblieben , bis daß er Krieges halber, so fast gantz Sachsen unter Kaiser Henrico IV. verwüstet, von da ziehen müssen; da sandte ihn Bischoff Reinhard gen Paris in das Kloster S. Victoris, da blieb er um der vielen gelahrten Leute willen, so da waren, und erwarb bey ihnen durch sein ehrlich heiliges Leben und Weisheit, daß er der andre Augustinus geheissen wurd. Davon liß weiter Trithemium de Scriptor. Ecclesiast. Und de illustr. viris Germaniae. Er hat offt geschrieben an S. Bernhardum zu Clarvalle und dieser wieder an ihn, besiehe die Episteln S. Bernhardi. Da dieser Hugo sterben wolte, und keine Speise bey sich behalten konte, vor Kranckheit seines Magens, wolten die fratres ihm eine unconsecrirte Hostie geben, da sprach er: misereatur vobis Deus, fratres, quare voluistis me sic deludere? kehrte sich darauf von ihnen und sprach: ascendat filius ad patrem, & spititus ad Dominum; qui fecit illum, und gab seinen Geist auf.

 

Ardua Reinhardus faciens cum Caesare bella,

Caesaris oppresso milite salvus abit.“

 

 

Quelle:

Sammlung Etlicher noch nicht gedruckten Alten Chronicken, als der Nieder-Sächsischen, Halberstädtschen, Quedlinburgischen, Ascherslebischen, und Ermslebischen, Welche nun mit besonderm Fleiß aus dem Manuscript herausgegeben, und hin und wieder durch nöthige Anmerckungen erläutert, samt einer Zugabe zu den Deutschen und Sächsischen Alterthümern . . .

von Caspar Abeln. Braunschweig, im Verlag Ludolph Schröders 1732

Teil II. CHRONICON HALBERSTADIENSE, Des alten evangelischen Lehrers Johannis Winnigstadii

S. 303 – 306

 

Hinweis: Das von Johannis Winnigstadii erwähnte Kloster Wederstedt mit der beschriebenen Kapelle befand sich in Wiederstedt, heute ein Ortsteil der Stadt Arnstein im Landkreis Mansfeld-Südharz, etwa 3 Kilometer nordöstlich von Hettstedt. Zu dem „Weidenstamm“ siehe den Artikel von Kurt Bratmann in der Braunschweiger Zeitung vom 25.05.1984, wo er die Herkunft des Begriffes der „Weidenzaunleute“ erklärt. (Unter Rubrik Königslutter >Rundlingsinsel am Rieseberg)

 

 

 

 

Von den Städten Hettstedt, Gerbstedt und dem ehemaligen Closter Widerstedt

 

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662 Von dem Städtgen Hettstadt.

 

….

„§. 10.

Ohnweit von hier, etwan eine gute halbe Stunde nach Gerbstedt zu, ist das Welphes-Holtzgen

 

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663

 

gelegen, in welchem die berühmte Schlacht zwischen Kayser Henrico V. und den Sachsen, oder zwischen dem tapffern Graf Hoyer von Mansfeld, und dem gleichfalls heldenmüthigen Graf Wipprechten von Grotzsch gehalten worden. Graf Hoyern ward von Graf Wipprechten das Schwerdt in den Leib gestossen, und Graf Hoyer erlangte durch diesen blutigen Tod, die Vollkommenheit eines Helden.

 

§. 11.

Als die Sachsen in dieser 1115. gehaltenen Schlacht, welche ohnstreitig eine derer merckwürdigsten ist, gesieget, liessen sie zum Gedächtniß als ein Sieges-Zeichen, eine Seule aufrichten, auf welcher ein geharnischter Mann gestanden, der in der rechten Hand eine grosse eiserne Streit-Kolbe mit eisernen Zacken, in der lincken aber das sächsische Wappen hielt, darinnen zu beyden Seiten ein weiser springender Hengst, im rothen Felde gemahlet, gestanden. Dieses sollte nun eine Gedutte, oder Bedeutung des erhaltenen Sieges seyn, nach einigen Jahren aber muste es denen Römisch-Catholischen Priestern an statt eines Heiligen dienen, der doch niemals in der Welt gewesen, und diese Seule dem H. Gedutta anzeigen. Als aber ao. 1289. Kayser Rudolphus I. zu Erffurt einen Reichs-Tag hielt, auf welchen manche abgöttische Greuel abgethan wurden, so wurde dieser Abgott, S. Judutta, weggerissen, und dagegen

Tt4

 

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664 Von dem Städtgen

 

GOTT zu Ehren eine Capelle an diesem Holtz erbauet, in welcher Kayser RUDOLPH diese Schlacht an der Wand abmahlen lassen. Über deren Eingang sollen vor Zeiten folgende Verse gestanden haben:

 

Anno Milleno Centeno Terquoque quinque

Sylvam Welphonis perfuderat unda cruoris.

Als ward gezehlt fünffhundert Jahr,

Und dreymahl fünffe nehmt eben wahr,

Eine grosse Schlacht und blutig Bad,

Am Welphes-Holtz sich zeigen that.

 

Jedoch die Erbauung dieser Capelle konnte den Aberglauben und Götzen-Dienst nicht hindern, und haben die Papistischen Pfaffen in dieser Capelle ihren Götzen-Dienst so wohl ausgeübt, als bey der ehemaligen Seule. Einige Autoren wollen anzeigen, daß man vor mehrern Jahren einen weidenen Stock in derselben gesehen, von welchem die Römisch-Catholischen Geistlichen vorgegeben, daß dieser Stock gleichfalls in der Schlacht S. Judutte geruffen. Endlich soll er von denen Acker-Leuten, die ohnweit dieser Capelle gepflüget, und des Mittags daselbst gefüttert, verbrannt worden seyn, welches eben nicht gar sehr zu beklagen.

 

§.12.

Von dieser ehemals berühmten Capelle, stehen noch die Rudera auf dem freyen Felde,

 

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665 Hettstadt

 

und siehet man davon nichts mehr als die blossen Mauren, und die Öffnung einer Thür und Fenster, aus welchen man erkennen kan, daß vor dem eine Kirche müsse da gestanden haben. Einige Autores führen an, daß auch in der Gegend, wo die Schlacht gehalten worden, viele und grosse Hügel von Beerdigung der Todten noch zu sehen wären, es muß aber mit denselben bey jetzigen Zeiten auch eine Veränderung Veränderung vorgegangen seyn, inmasse um diese alte Capelle mehr eben Land als aufgeworfene Hügel anzutreffen. Es war schändlich, daß der damalige Bischoff in Halberstadt, REINHARDUS, auf die Kayserlichen so erbittert war, daß er verboth, daß kein Leichnam der Kayserlichen durffte begraben, sondern sie sollten entweder verbrandt werden, oder als Verfluchte liegen bleiben, welches gewiß etwas unmenschliches; Da hingegen die in dieser Schlacht todt gebliebene Sachsen mit grossen Ceremonien begraben, und über ihre entleibten Cörper Seelen-Messen gehalten wurden. *

 

§.13.

Soll man aber der alten Relation und jetzo noch gemeinen Rede glauben, so zeiget man ohnweit dem Welphes-Holtze einen Stein, in welchen Graf Hoyer vor der Schlacht mit der Hand soll gegriffen, und dabey gesprochen haben: So wahr

 

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* Siehe LEUCKFELDS Antiquitat. Halberst. Pag. 596. und LEIBNITII Scriptor. Brunsuic. Pag. 132. Chronicon. Halberstadt.

 

 

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666 Von dem Städtgen Hettstadt.

 

er in diesem Stein, als in einen Weitzen-Teich griffe, so gewiß wollte er die Schlacht gewinnen. Der Stein soll in der Feld-Marck, zwischen Helmsdorff und Gerbstedt, ohngefehr acht Schritte von dem Feld oder Schleiff-Wege, welcher von Zabenstedt nach dem Welphes-Holtze führet, in einem Acker-Stücke stehen, soll fast einer Elle dicke und breit seyn, und eine und eine halbe Elle über die Erde hervor ragen, mittendurch aber ein Loch gehen, darein man eine Hand mit ausgestreckten Daumen, und in die Länge zusammen geschlossene Finger stecken könne und man also den Augenschein nach, einen accuraten Strich der Finger, und vollkommenen Hand-Griff erkennen könnte. Man giebt hierbey vor, daß vorhergedachter Graf HOYER, diesen Hand-Griff zu Pferde verrichtet. Daferne dieses der Wahrheit gemäß wäre, müste der Stein sehr hoch über der Erde gestanden und nach so vielen Jahren bey Bestellung der Aecker, und daher entstandenen luckern Erde, tiefer gesuncken seyn. Im übrigen soll er einem weißen Kiesel-Steine gleichen, und sollen sehr viel Nägel und Stifften darein geschlagen seyn, weil dieser Stein die Eigenschafft an sich hat, daß er bey einem starcken Land-Regen weich wird, und hingegen nach einiger Zeit seine vorige Härte wieder erlanget. Wo man mit einem Stock auf denselben schlüge, sollte er klingen, als als ob er hohl wäre. * Ich habe diesen Stein

 

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* S. FRANCKENS Histor. Der Grafsch. Mansf. p. 110.

 

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667 Von der Stadt Gerbstedt u. s. w.

 

zwar nicht selbst in Augenschein genommen, halte aber den vermeintlichen Eindruck von dem Hand-Griffe fast mehr vor eine Phantasie und Spiel der Natur, als die Wahrheit, es müste denn dieser Graf HOYER Blech-Handschuh angesteckt haben, und zugleich Regen-Wetter gewesen seyn, da es dann nach der Beschaffenheit dieses Steins möglich gewesen wäre.

 

 

Das XXV. Capitel.

Von der Stadt Gerbstädt, und dem ehemaligen Closter Widerstedt.

 

§.1.

Die Stadt Gerbstädt, so ao. 1364. noch ein Dorff gewesen, soll ihre Benennung entweder von denen vielen Gerbern, so an dem kleinen da vorbey fliessenden Wasser ihre Werckstadt aufgeschlagen, oder von dem Geschlechte derer von GERMAR, so noch in dasiger Gegend Güter besitzen, ihre Benennung erhalten haben. Diese Stadt hat ihren Magistrat, die Ober- und Nieder-Gerichte aber das Amt Friedburg, von dar die Appelationen an die Königli. Regierung nach Magdeburg gehen, und stehet also unter der Königlichen Landes-Hoheit des Herzogthums Magdeburg.

 

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668 Von der Stadt Gerbstädt,

 

Ihre Nahrung bestehet in Acker-Bau, Brau-Nahrung, etwas Wiesewachs und andern Gewerbe; Die edlen Herren von PLOTO haben Güter daselbsten. *

 

§.2.

Dieser Ort ist insbesonderheit berühmt wegen seiner ehemaligen Abtey, in welcher sich die Nonnen des Benedictiner-Ordens aufgehalten. Dieses Closter soll der reiche Marggraf zu Meissen und Merseburg, RITTACH, nebst seiner Frau, LUCARDIS, und seiner eintzigen Tochter, HEYLA, ao. 985, vor Gräflich- und Adelich Frauenzimmer, die hier in der Stille leben, und sich den Tugenden ergeben wollen, gestifftet haben. Diese Persohnen sollen alle ihre Güter darzu hergeben, und sonderlich die Printzeßin HEYLA, zu Erbauung dieses Closters, hundert Hufen Landes mit allen Recht und Gerechtigkeiten, selbigem eigenthümlich gewidmet, und sich zur ersten Aebtißin darinnen erkläret haben.

 

§.3.

Nach dem Tode des Marggrafen RITTACHS, satzte sein Bruder Marggraf CONRAD diese Anstalten fort, und ließ durch den Bischoff zu Halberstadt, BUCCONEM, Kirche und Closter einweyen, erzeigte auch den Nonnen zu ihrer bessern Unterhaltung, und zu Führung eines

 

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* Siehe des Herrn von GUNDLINGS Beschreibung des Herzogthums Magdeburg p. 199.

 

 

 

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669 und ehemahl. Closter Widerstedt

 

heiligen Lebens, mancherley Beneficia. Bey der allerersten Einrichtung sollen sie als Canonissinnen gelebt haben, und an keine Closter-Reguln gebunden gewesen seyn, da sie sich aber dieser Freyheit gemißbrauchet, soll sie der Bischoff von Halberstadt ziemlich starck reformiret, und sie hernach dem Benedictiner-Orden unterworfen haben.

 

§.4.

Die Regierung dieses Closters ist allezeit ansehnlichen, Fürstlichen, Gräflichen, Freyherrlichen und alten Adelichen Geschlechtern anvertrauet gewesen, und hat insbesonderheit die Aebtißin BERDA, Marggraf CONRADS Tochter, das Lob einer Gottseligen und tugendhafften Fürstin davon getragen. Sie hat sich die Mühe gegeben, mit eigener Hand Tapeten zu weben, und mancherley Gottselige Reime in dieselbe hinein gebracht, die eine lange Zeit zu ihren Andencken in diesem Closter aufbehalten worden. Nichtweniger haben gewisse Marggrafen zu Wettin ihre Töchter in dieses Closter gebracht, und hat eine davon mit Namen ODA, die Abteyliche Würde dieses Closters erlangt, eine andere aber, AGNES, ist Aebtißin zu Quedlinburg worden. *

 

§.5.

Aus dem XIII. Diplomate, welches der geheime

 

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* Siehe LUDWIGS Reliquias manuscript, omnis aevi Diplom, p. 198.

 

 

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670 Von der Stadt Gerbstädt,

 

Rat LUDEWIG in dem II. Tome seiner Reliquiorum manuscriptorum anführet, ersiehet man pag. 390. daß eine gewisse Aebtißin in Gerbstedt, deren Namen aber nicht angezeigt wird, auch nicht das Jahr in welchem es geschehen, an einem, mit Namen EBERHARDUS von Alsleben, zwey Hufen Landes verkaufft, jedoch nur auf Lebenslang, und mit dem Bedinge, daß nach seinem Tode solche wieder an die Kirche zurück fallen sollen.

 

§.6.

Dieses Closter hat die Ehre, daß es unter den Mansfeldischen vor das älteste geachtet wird, und liegen unterschiedliche hohe Standes-Personen, nicht allein von denen, die sich in hiesigem Closter aufgehalten, sondern auch von denen auswärtigen in selbigen begraben, es haben aber auch einige Aebtissinnen dieses Closters die Ehre, daß sie in dem Todten-Buche, welches auf Befehl Churfürst FRIEDRICHS des Weisen, ao. 1512. vor die verstorbenen Personen aus den Fürstlichen Häusern Sachsen, Thüringen und Meissen, von GEORIO SPALATINO verfertigt, und bey der Stiffts-Kirche aller Gottes Heiligen aufbehalten worden, in welchen man nach Römisch-Catholischen Gebrauch, Vorbitten vor sie eingetragen, eingezeichnet gewesen.

 

§.7.

Denen berühmten Aebtißinnen dieses Benediktiner-Closters werden ausser denen, so ich allbereits Erwehnung gethan, folgende mit beygezehlet,

 

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671 und ehemahl. Closter Widerstedt.

 

Als des Grafen GERONIS zu Brehna, Töchter, ingleichen MARGARETHA von WORMIZ, JUTTA von COSIZ, MARGARETHA von BÜNAU, MARGARETHA von KÜNIGSFELD, u. EMERENTIA von OBERNIZ. Es stand auch ANNA, eine Gräfin von Mansfeld, welche, ob sie zwar in Eisleben eine Closter-Jungfrau gewesen, in hiesigem Closter aber beerdigt worden, allhier in besonderer Reputation, sie pflegte zu sagen: Eine Nonne ohne Zucht, ein General auf der Flucht, ein Baum ohne Frucht, sind nicht wehrt, daß sie der Hencker sucht.

 

§.8.

Der ehemalige Ertz-Bischoff zu Magdeburg, Graf Friedrich, hat dieser Kirche anno 1074. viel geschenckt. Papst INNOCENTIUS III. nahm dieses Closter ao. 1137. in seinen besondern Schutz, er überließ selbigem die Wahl einer neuen Aebtißin, und befreyte es von allerhand Auflagen. Ao. 1153. ertheilte Marggraf CONRAD, dem Closter ein schönes Privileg, und gedachte darinnen, daß seine Vorfahren, bey Erbauung desselben, sich die Closter-Voigtey vorbehalten, welche allzeit dem ältesten in Erbe zufallen, ausser dem aber niemand conferiret werden sollte.

 

§.9.

Ao. 1223. nahm Papst HONORIUS III. Dieses Closter, mit allen Personen und Gütern, in seine besondere Protection. Ao. 1259. bestätigte

 

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672 Von der Stadt Gerbstädt,

 

Papst ALEXANDER IV. dem Closter alle Privilegia, und befreyete es von allen weltlichen Diensten und Beschwehrungen. Gleichwie es, wie in den vorhergehenden erwehnt worden, das älteste gewesen, also hat es auch am längsten Closter-Leute gehabt, welche sich bey der Reformation LUTHERI gar lange, wiewohl kümmerlich erhalten, biß sich endlich dieselben zur Evangelischen Religion gewendet. Bey seiner Secularisirung fiel es Graf CARLn dem Jüngern zu Mansfeld in der Erbteilung zu, und dieser stellte ao. 1576. am Sontag Jubilate, einen Revers von sich, in welchem er sich anheischig machte, wie er Sorge tragen wollte, daß dieses ehemalige Nonnen-Closter in eine Schule verwandelt würde, in welcher junge Leute, beyderley Geschlechts, aus denen Chur-Sächsischen und andern benachbarten Landen, unter Anführung tüchtiger Lehr-Meister und Lehr-Meisterinnen, in allerhand Wissenschaften, freyen Künsten und Tugenden, zur Ehre GOTTES, und zu Nutz des gemeinen Wesens auferzogen würden.

 

§.10.

Ao. 1600. verkauffte CARL zu Mansfeld, die Stadt Gerbstädt an den Herrn von PLOTO, der solches hernach nebst einigen von seinen übrigen Gütern, zum fidei commisso familae perpetuo destinirte, wobey jedesmahl die nechsten Lehns-Folger succedieren sollten, und verordnete auch gewisse Legata, bey welchen

 

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673 und dem ehemahl. Cl. Widerstedt.

 

Geschlechte dieses Gerbstedt auch geblieben. Es wäre wohl zu wünschen, daß Herr ALBRECHT FRIEDRICH BECKER die historische Nachricht, die er von diesem ehemahls berühmten Nonnen-Closter Gerbstädt, ao. 1723. versprochen, ediren möchte. * Der sel. LEUCKFELDT gedencket in seinen Antiquitat. Halberst. p. p. 284. er hätte ohnlängst bey einer vornehmen Person ein Copiale gesehen, darinnen noch viel schöne alte Documenta von diesem Closter, vorhanden gewesen.

 

§. 11.

Zu Zeiten des WINNIGSTADII sind um diese Stadt zwey Oerter bekandt gewesen, als der Haynen-Berg, und das Haynen-Loch, die von den Hunnen den Namen geführet, und in welche sich die Land-Leute zu Zeiten der Hunnen retirirt, weil sie gantz unmenschlich gehauset, die kleinen Kinder gefressen, die Alten niedergemetzelt, die Weiber aber bey den Haaren zusammen gekoppelt, und wie Heerden Vieh vor sich hingetrieben: ** Jedoch in den jetzigen Zeiten sind diese Oerter unbekandt geworden, und weiß man hiervon so wenig, als von den andern zwey

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* Hiervon kan auch ein mehrers nachgesehen werden in des Herrn KRETSIGS Nachlese der Historie von Ober-Sachsen, im VII. Tom. Pag. 419

** Siehe sein Chronicon von Quedlinburg in CASPAR ABELS Sammlung etlicher bißher zusammen gedruckten noch ungedruckt gewesenen Chron. p. 481.

Rohr vom Hartze.

 

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674 Von der Stadt Gerbstädt,

 

Löchern an andern Orten, von denen viele alte Scribenten Erwehnung thun.

 

§. 12.

In hiesiger Gegend ist das ehemalige Closter Widerstedt gewesen, an den Anhaltischen Grentzen über der Stadt Hettstadt. Die ehemaligen Closter-Nonnen, waren zwar des Ordens des H. AUGUSTINI, standen aber unter der Besorgung der Prediger-Mönche; Ihre Einkünffte sollen erstlich ziemlich schlecht gewesen seyn, haben doch nachgehends durch die Mildigkeit der Fürsten und Grafen sehr zugenommen. CRANZIUS meldet in seiner Saxonia, daß dieses Closter ao. 1210. von löblichen, andächtigen und frommen Leuten gestifftet worden, andere aber geben das 1215. Jahr an, und zwar soll selbiges zu dem Ende seyn errichtet worden, damit die Abgötterey der damaligen Einwohner, die sie mit den Abgott S. Jedutta bey dem Welphes-Holtz getrieben, Einhalt geschehen möchte.

 

§. 13.

Den Namen Widerstedt soll dieses Closter daher erhalten haben, weil es erst an dem Welphes-Holtze, nicht weit von der in vorhergehenden angeführten Capelle, angebauet gewesen, hernach aber ao. 1255. verändert, und an einen andern Ort verlegt worden. Es haben ebenfals in diesem Closter viel hohe Standes-Personen ihre Ruhe-Städte gefunden. Es wurde

 

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675 und dem ehemahl. Cl. Widerstedt.

 

in selbigem Graf BERNHARD von Anhalt begraben, mit folgender Grabinschrifft:

 

In nonis Februi quartus fuit, iste recessit,

Tunc Comes ingenuus Bernhardus hic requiescit.

 

Ingleichen seine Tochter MECHTILDIS, mit nachstehenden Epitaphio:

 

Bernd Comitis nata jacet hic Mechthildis humata,

Quae sibu fuit grata genuit quem Virgo Beata.

 

Der Fürstin von Rügen, HELENen, Grabmahl, ist sonst auch hier zu sehen gewesen.

 

§. 14.

Anno 1420. bekam Graf GÜNTHER von Mansfeld dieses Closter in der Erbtheilung, und hatte solches auch Graf BRUNO innen. * Endlich fand dieses Closter, wie die übrigen in der ganzen Grafschafft Mansfeld, in dem Bauren-Kriege seinen letzten Periodum, die Closter-Nonnen, welche sich bey damahliger Zerstörung in selbigem aufhielten, wandten sich theils nach Mansfeld, theils nach Allstedt zu den Amtmann. Es soll sonst eine schöne Bibliothec bey diesem Closter gewesen seyn, sie wurde aber sowohl als die Epitaphia und die Gebäude ruiniret.

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* Siehe FRANCKENS Historie von Mansfeld p. 78.“

 

 

 

 

Zitiert aus:

Julii Bernhards von Rohr,

Hoch-Fürstl. Sächßl. Merseburgischen Land-Cammer-

Rats u. Dom Herrns der Bischöfflich-Merseb. Stiffts-Kirche,

Geographische und Historische Merckwürdigkeiten

des Vor- oder Unter-Hartzes: . . .

Verlagsort: Franckfurt und Leipzig,

Verlag: Michael Blochberger, 1736

S. 662 – S. 675

 

Das Werk wurde vom Münchener Digitalisierungszentrum digitalisiert und liegt in der Bayerischen Staatsbibliothek digital unter folgendem Link vor:

http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10021024_00698.html

 

Signatur: 1096105 Germ.sp. 386 e 1096105 Germ.sp. 386 e
Permalink: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10021024-6