Die Benedictiner-Klosterkirche St. Peter und Paul zu Ilsenburg

 

Die Benedictiner-Klosterkirche zu Ilsenburg

Mitgetheilt von C. W. Hase in Hannover.

(Mit Zeichnungen auf den Blättern 35, 36 und 37)

 

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Geschichtliches.

Die für unseren Zweck wichtigen Daten aus der Geschichte des Klosters finden wir zusammengestellt in Puttrichs Denkmalen, und wir entnehmen denselben das Folgende auf den Bau Bezügliche:

Schon Kaiser Heinrich I. soll an der Stelle des späteren Klosters ein Schloß erbaut haben, dessen in einer von Kaiser Otto III. im Jahre 995 zu Gunsten des Klosters Drübeck ausgestellten Urkunde zuerst erwähnt wird. Derselbe Kaiser schuf im Jahre 998 die Burg in eine Benedictiner-Abtei um. Nachdem diese in der ersten Zeit ihres Bestehens mit vielem Mißgeschick zu kämpfen hatte und dadurch sehr heruntergekommen war, erholte sich das Kloster wieder unter dem Abt Herrand (wurde 1074 Abt).

Burchardt II., Bischof von Halberstadt, der in unsern Kinderliedern als Kinderfreund unter dem Namen Buko von Halberstadt noch lebt, ein naher Verwandter Herrands, unterstützte das Kloster, ließ die alte Klosterkirche niederreißen und eine größere zu Ehren der Apostel Paulus und Petrus (im Jahre 1077 eingeweihet) wieder erbauen. Im Jahre 1088 ward Buko in einer gegen Kaiser Heinrich IV. gerichteten Zusammenkunft sächsischer Fürsten in Goslar tödtlich verwundet. Er starb im Kloster Ilsenburg und ward daselbst im Chor der Kirche begraben, wo sein Grabmal bis 1578 bestanden, bei Veränderungen an und in der Kirche beseitigt worden ist.

Unter dem Abte Heinrich wurde im Jahre 1131 die Hospitalkirche St. Mariä (jetzige Gemeindekirche) nahe bei dem Kloster gegründet. Abt Siegebodo (etwa von 1140 – 1161 Abt) ließ das der Kirche gegenüber an der Südseite parallel mit der Kirche liegende Refectorium und Abt Tyothorus (1176) den Capitelsaal mit dem darüber befindlichen Schlafhause erbauen. In den folgenden Jahrhunderten wechselte im Kloster vielfach Glück und Unglück im Kriege, und im Bauernkriege 1524 entging es kaum der völligen Zerstörung. Der letzte Abt Hennig Dithmar starb· im Kloster 1572 zur Zeit der Einführung der Reformation, und die Klosterbesitzungen fielen dann den Grafer Stolberg-Wernigerode zu, von denen es 1631 - 1680 als Wohnsitz benutzt wurde. Als letzterer um diese Zeit nach Wernigerode verlegt, wurde es theils zu ökonomischen

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Zwecken benutzt, theils zur Beamten- und deren Witwenwohnung eingerichtet, in welchem Zustande es sich noch jetzt befindet.

 

Beschreibung der Baulichkeiten.

Wir finden das Kloster-mit seinen verschiedenen Baulichkeiten bereits beschrieben in Puttrichs Denkmalen und in der Praktischen Bauzeitung 1857 von A.Hartmann. Die letzte, eine sehr fleißige und gründliche Arbeit hat uns wesentliche Dienste geleistet, die nach unserem nur kurzen Aufenthalte daselbst gebliebenen mancherlei Zweifel aufzuhellen.

Wir haben auf den Blättern 35, 36, 37 die Baulichkeiten in Grundrissen, Durchschnitten, erläuternden perspectivischen Ansichten mit den wesentlichsten Details abgebildet, und wir ersehen schon aus dem in Fig. 2, Taf. 35 dargestellten Grundrisse, daß die werthvollen Ueberbleibsel uns noch einen höchst interessanten Einblick in die Einrichtung des alten Klosters gewähren.

 

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Die Kirche ist unter diesen, wie auch aus den hist. Nachrichten hervorgeht, der älteste Theil, und obwohl die mancherlei traurigen Schicksale nur Bruchstücke des Ganzen übergelassen haben, möchten dieselben doch hinreichen uns ein Gesammtbild der ersten Anlage zu verschaffen.

Die aus Bruchsteinen construirte Kirche war eine dreischiffige Basilike mit flacher Holzdecke. In den Arcaden wechselt je ein Pfeiler mit einer Säule, und es bilden sich durch die Pfeilerabtheilungen in dem Mittelschiffe vom Thurme bis zum Querschiffe ziemlich genau im Grundrisse vier Quadrate. Die mittlere Kreuzesvierung des aus 3 Quadraten gebildeten Querschiffes trennte sich durch Gurten, welche auf noch vorhandenen Pfeilervorlagen ruhten, nach den vier Seiten ab. Ueber das Querschiff hinaus verlängert sich das Mittelschiff um ein Quadrat, und schloß hier unzweifelhaft in einer großen Nische, während jetzt eine unregelmäßig angelegte polygonale Bildung den Chorschluß vermittelt. Hartmann nimmt in seiner ebenerwähnten Beschreibung an, daß auch die Seitenschiffe sich über den Querflügel hinaus verlängerten, und Seitencapellen am Chore bildeten. Er leitet diese Annahme aus den in den Ostwänden der Kreuzesflügel sowohl, als in den Nord- und Südwänden des Chores sich zeigenden jetzt vermauerten Oeffnungen ab. Diese Annahme hat sehr viel Wahrscheinlichkeit, da genannte

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Oeffnungen in dem Südostwinkel vom Chor und Kreuzflügel auch in der Außenwand sich noch zeigen. Wir glauben daher dieser Ansicht uns anschließen zu dürfen. Die Westseite der Basilike schloß durch einen mächtigen Thurmbau, in welchem zwei den Seitenschiffen entsprechende Schnecken zu einem höher gelegenen Oratorium und zum Glockenhause führten. Ob und wie die beiden Thürme aus der gemeinsamen vor der ganzen Kirche sich erhebenden Masse hervorgetreten sind, läßt sich aus dem südlich stehen gebliebenen Stumpfe nicht errathen. Zwischen den beiden Schnecken liegt eine Halle, an welche westwärts eine vielleicht schon im 12. Jahrhundert verschwundene Nische schloß, die mit der Halle einen Westchor bildete. Das Vorhandensein dieser Nische ist von Hartmann durch Bloßlegung der alten Fundamente erwiesen. Die große im Bogen geschlossene Oeffnung, an welche die Nische anschloß, und welche sich noch (siehe Fig. 1, Blatt 35) in der äußeren Ansicht deutlich zeigt, würde auch sonst unerklärt bleiben, da sie für eine Portalöffnung viel zu groß wäre.

Von alten Fenstern gewöhnlicher Form, welche das Innere erhellten, ist nur noch eins im nördlichen Kreuzflügel übrig geblieben, indem das nördliche Seitenschiff schon in früher Zeit ganz beseitigt und die Wand des Mittelschiffes gänzlich erneuert wurde, das südliche Seitenschiff wegen des angrenzenden Kreuzganges aber nur eine Reihe kreisrunder Löcher (siehe Fig. 1, Blatt35 und Fig. 2, Blatt 36) über dem anstoßenden Kreuzgangsdache erhielt, die Fenster der Südseite des Mittelschiffes endlich bei der Anlage der Kreuzgewölbe verschwinden mußten.

 

Einfügung:

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Der innere Fußboden der Kirche ist später erhöhet, so daß die Säulenbasen bis auf die eine am Eingange Südseite der Thür zunächst stehende um ihre ganze Höhe = 2 Fuß unter dem jetzigen Boden liegen. Die aus einzelnen Trommelschichten aufgemauerten Säulenschäfte verjüngen sich stark und tragen ein sehr einfaches Würfelcapitäl, Blatt 37, Fig. 12 dargestellt. Bei unserer Abbildung ist zu bemerken, daß durch ein Versehen des Lithographen die Schmiege des Abakus in eine zweite Platte verwandelt ist. Die Form des Capitäls entspricht noch der ältesten einfachsten Art des Würfelcapitäls. —- Die Basis (attische) so wie die abgeschrägte Platte über dem Capitäl wiederholt sich in gleicher Form auch bei den Pfeilern.

Die bedeutende Erhöhung im Chore möchte eine Crypta vermuthen lassen, doch ist vielseitig angestellten Nachforschungen nicht gelungen eine solche zu entdecken, und möchte sich die Erhöhung aus localen Rücksichten als zweckmäßig scheinend, eingeführt haben. Die Breite des Mittelschiffes beträgt 25½ Fuß. Das Seitenschiff ist 14 Fuß breit und die Höhe des Mittelschiffes betrug wahrscheinlich 42 Fuß.

So viel über den 1077 geweihten alten Bau.

Schon im 12. Jahrhunder erfolgten erhebliche Veränderungen, zu denen namentlich die Entfernung des nördlichen Seitenschiffes, die Vermauerung des nördlichen Kreuzflügels

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und die Beseitigung der Holzdecke gehören, welche letztere gleichzeitig durch die in einfachster Weise hergestellten Kreuzgewölbe ersetzt wurde.

Etwas später wohl mußte auch die westliche Chornische fallen und ein zierlich geschmücktes Portal (auf Blatt 35 im Grundrisse und Durchschnitte der Kirche und auf Blatt 37 in äußerer perspectivischer Ansicht nebst Details in Fig. 1 dargestellt) ward in der Facade angelegt. Die zum Westchore gehörende Halle, zu welcher genanntes Portal jetzt nur noch führt, ist durch eine Mauer in späterer Zeit von der Kirche getrennt, und die Halle durch ein Kreuzgewölbe mit gothischen Rippen überspannt.

Auch das Portal ist später aus nicht einleuchtenden Gründen nochmals durch eine davor gesetzte Mauer mit einer kleinen Spitzbogenthür der äußeren Facade entzogen. Bei Oeffnung der Spitzbogenthür sieht man im Halbdunkel das auf Blatt 37 Fig.2 gezeichnete Portal, an dessen zwar sehr verwitterten zierlichen Details Fig. 1 sich die späteste Zeit des 12. Jahrhundets zeigen möchte.

Noch spätere Zeiten haben auch die Gestalt des Thurmes bis zu seiner jetzigen ruinenartigen verstümmelt.

So einfach und schmucklos wie das Innere war auch das Aeußere, wie es gewöhnlich bei den Bruchsteinbauten der Fall ist. Am Thurme (siehe Blatt 36, Fig. 2) zeigen sich in der Höhe, zu welcher sich das Mittelschiff erhob, die letzten Spuren eines groß geformten Bogenfrieses, der wahrscheinlich auch an der Kirche entlang lief.

Das Innere der Kirche macht durch seine noch erhaltenen ernsten einfachen Formen in seinem jetzigen vernachlässigten Zustande einen höchst wehmüthigen Eindruck. Das Aeußere dagegen sieht von allen Seiten völlig trivial aus, und keiner Kirche ähnlich.

Ueberraschend ist der Einblick in die angrenzenden Räume des Capitelsaales und des Refectoriums, mit ihren weiten durch einfache von einem Wald zierlich gearbeiteter Säulen getragener Kreuzgewölbe (ohne Gurte) überspannten Hallen. Wir haben diese im Grundrisse Blatt 35 schon angegebenen Räume in Querschnitten mit ihren Details auf Blatt 36 und 37 näher abgebildet.

(Wir müssen dabei bemerken, daß durch ein Versehen auf Blatt 36 in den Ueberschriften der Fig. 6 und 7 die Wörter „Refectorium und Capitelsaal“ verwechselt sind.)

Von dem angrenzenden Kreuzgange, der das Anlehnen seiner Gewölbefelder an die Südseite der Kirche sowohl als auch an den östlichen Klosterflügel in halbkreisförmigen Bogenlinien noch deutlich zeigt, ist Nichts mehr erhalten als die parallel mit den Klostergebäuden laufenden Grundmauern, deren südliche auch noch die Plinthen der Arcadenpfeiler zeigen. - Hartmann hat noch die darauf stehenden Pfeiler selbst gesehen und abgebildet, während bei unserer Anwesenheit

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Nichts mehr davon vorgefunden wurde. Wir haben aus seiner Zeichnung die auf Blatt 36 Fig. 4 angedeuteten Pfeiler entnommen. An dem Refectorium finden sich genannten Pfeilern entsprechend noch die Consolen, welche die den Kreuzgang deckenden Kreuzgewölbe trugen.

Vom Kreuzgange aus konnte man unmittelbar durch große Oeffnungen, deren eine mit einem Säulchen an jeder Seite in die Mitte der Leibung eingeschnitten, die im Bogen einen entsprechenden Rundstab trugen, wir Blatt 36 Fig. 3 dargestellt haben. Durch stärkere Pfeiler theilt sich der Saal in zwei Hälften, deren nördliche durch Fenster nach der Ostseite Licht erhielt. Die südliche Hälfte hatte durch drei große Thüren Ausgänge nach Osten entweder unmittelbar ins Freie führend, oder wie wir eher glauben möchten, in einen Vorbau, der auch oben vom Dormitorium durch eine Thür zugänglich war. (Siehe Blatt 36 Fig. 6.)

Der Raum d (Grundriß Blatt 35) hat einfacher gebildete Säulen und eine kleine nach Außen vorgelegte Nische, welche sich thurmähnlich bis zum Dache erhebt. Wir halten letztere für einen Kamin, den ganzen Raum aber für die Klosterküche. Durch eine Treppe, welche zum Dormitorium führte, und durch einen kleineren Saal ist dieser Raum von dem Refectorium geschieden, welches ähnlich wie das Capitelhaus durch zierliche Säulen dreischiffig getheilt ist.

Wir haben die Säulen auf Blatt 37 dargestellt und bemerken, daß Fig. 4 und 5 aus dem Raume d, die übrigen aber Säulen und Consolen aus dem Remter und dem Capitelsaale abbilden.

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Die Beamtenwohnungen sind Gebäude aus alter Zeit, haben indeß ihren ursprünglichen Charakter durch Umbauten aller Jahrhunderte gänzlich verloren.

Der Zustand der ganzen Anlage ist augenblicklich ein höchst trostloser und wäre innigst zu wünschem, daß eine angemessenere als die jetzige Benutzung diesen edelsten Resten altdeutscher Kunst eine längere Lebensdauer verhieße.

 

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Schließlich geben wir hier noch eine Abbildung einer Thür, der neben dem Kloster liegenden in den historischen Nachrichten erwähnten Gemeindekirche, als einzigen interessanten Rest der an der Kirche erhaltenen Ueberbleibsel romanischer Epoche.

 

 

Veröffentlicht in:

Die mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Hrsgg. Von dem Architecten- und Ingenieur-Verein für das Königreich Hannover. Band 1 (1861) Sp. 151-156, Bl. 35-37 Hannover: Rümpler

 

Dieser Artikel ist digitalisiert in der Bayerischen Staatsbibliothek unter folgendem Link zugänglich:

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Über die Kirchen zu Ilsenburg und Walbeck

 

 

VII. Ueber die Kirchen zu Ilsenburg und Walbeck von Ch. Niemeyer, Prediger zu Dedeleben.

 

 

Da der ungemein lehrreiche, architektonische Bericht des Hrn. Prof. Kugler in der „Beschreibung und Geschichte der Schloßkirche zu Quedlinburg u. s. w. nebst Nachrichten über die St. Wipertikirche bei Quedlinburg, die Kirche zu Kl. Gröningen, die Schloßkirche zu Gernrode, die Kirchen zu Frose, Drübeck, Huyseburg, Conradsburg etc. bearbeitet von Dr. E. F. Ranke und Dr. F. Kugler, herausg. von W. C. Fricke. Nebst Grundrissen und Detailzeichnnngen auf 8 Tafeln“ (Berlin 1838. b. Gropius 8.) *) bei der alten Stiftskirche von

 

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*) Durch dieses Werk ist den Freunden der Alterthümer, ganz besonders aber der Erforschung der alten und ältesten Baukunst in Norddeutschland ein sehr werthvolles Geschenk geworden. Es wird darin auf sehr gründliche Weise die alte und älteste Kirchen-Bauart, bevor die sogenannte gothische oder deutsche ins Leben trat, nämlich die byzantinische und die vorbyzantinische — der Basilikenstyl — ins Auge gefaßt und eben so gründlich die Geschichte der Schloßkirche zu Quedlinburg behandelt. Ganz besonders dankenswerth ist aber die kritische architektonische Beschreibung des Gebäudes, die in demselben einen sehr bedeutenden architektonischen Schatz unserer Gegend erkennen läßt und für Layen und Kenner höchst unterrichtend ist. Durch ihre Beschreibung und durch die in einem Anhange ebenfalls mit scharfem Kennerauge betrachteten und beschriebenen Kirchen in der Umgegend Quedlinburgs zu Wester-Gröningen, Gernrode, Frose, Huyseburg, Drübeck und Conradsburg lernt man die hohe Wichtigkeit des nördlichen Harzabhanges für die alte Kunst und besonders die alte Baukunst schätzen und findet mit großer Anerkennung des Verdienstes des Hrn. Verfassers, daß hierin vieles gänzlich Neue nicht bloß für diese Gebäude, sondern auch für die Kunst im ganzen Norddeutschland aufgefunden und bekannt gemacht ist. Vor Allen aber interessant und wichtig für die ersten Anfänge der Kunst in Deutschland ist die ebenfalls beschriebene St. Wiperti Unterkirche bei Quedlinburg, die, erweislich aus dem 9ten Jahrhundert, die allerälteste Bauform im nördlichen Deutschland, noch gänzlich die Erinnerung an die Antike und noch gar keine eigenthümliche lokale Ausbildung zeigt. Sehr anziehend und unterrichtend für die alte bildende Kunst ist auch die Beschreibung des im Zitter der Quedlinburger Schloßkirche aufbewahrten, in jeder Hinsicht bedeutenden Schatzes, der in unseren Gegenden wohl nicht seines Gleichen hat und dem nicht genug die allersorgfältigste Aufbewahrung und die Erhaltung bis in die spätesten Zeiten gewünscht werden kann. Auf 7 Tafeln sind die merkwürdigsten Architekturtheile und Ornamente aus den gedachten Kirchen in sehr meisterhafter, bestimmter und doch leichter und den Gegenständen angemessenster Art dargestellt. Die 8te Tafel ist zweien Gegenständen des Kirchenschatzes gewidmet. St.

 

 

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133 Niemeyer, über die Kirchen zu Ilsenburg u. Walbeck.

 

Drübeck schließt und die ganz nahe ehemalige Abtei (jetzt „Schloß“) Ilsenburg nicht von ihm besucht worden ist — was wie sehr bedauern müssen, so will Einsender dieses kleinen Beitrags es wenigstens versuchen, die Ilsenburger höchst interessanten Ueberreste alter, vaterländischer Baukunst aus der Periode der Basilica und des darauf folgenden byzantinischen Baustyls den Freunden der alten Kunst näher vorzuführen.

 

Die Kirche, deren Wesentliches sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, ist (nach Engelbrecht‘s Chronik von Ilsenburg, in Leibnitz Ser. Rer. Brunsv. III. p. 684 sqq. und Leuckfelds antiq. Pöld.) im Jahre 1087 vom Bischof Buko von Halberstadt eingeweiht worden. Sie hat in der Folge zwar mancherlei nachtheilige Veränderungen erlitten, ist aber nicht, wie Engelbrecht irrthümlich berichtet, im Jahre 1579 „funditus“·abgebrochen und dann ganz neu wieder aufgebaut worden. Sie zeigt uns, wie die Kirchen von Drübeck, Huyseburg und Conradsburg, den Baustyl der Basilica; wo dann aber nachmals manches

 

 

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der folgenden Periode des byzantinischen Styls Eigenthümliche hinzugekommen ist. Die Kirche hat ursprünglich zwei Thürme gehabt. In der Mitte des Unterbaues der zwei jetzt verschwundenen Thürme hat sich das stattliche Eingangsthor befunden, wie die noch vorhandenen Spuren anzeigen. Nur von dem südlichen Thurme ist ein winziger Repräsentant übrig geblieben. Der nördliche Thurm ist sammt dem ganzen nördlichen Seitenschiffe wahrscheinlich bei der Reparatur 1579 verschwunden, da diese nördliche Seite der Kirche baufällig geworden seyn mag. Das Mittelschiff und das südliche Seitenschiff, aus Bischof Buko‘s und Herrand‘s (der früherhin Abt zu Ilsenburg gewesen war) Zeit, sind im Wesentlichen noch vorhanden. Pfeiler wechseln ab mit Säulen, beide von starkem Durchmesser, und, so viel man bei der jetzigen Verbauung mit Gestühlen und Priechen noch entdecken kann, mit einfachen, an die Antike erinnernden Kapitälen und Basen versehen. Ein Querschiff oder Kreuz durchschneidet die Kirche vor dem hohen Chor, welches gleichfalls bedeutende Veränderungen erlitten zu haben scheint. Das Mittelschiff übertrifft das noch vorhandene südliche Seitenschiff um die Hälfte an Höhe und Breite, und beide Schiffe, jedes besonders, werden von einem rundbogigen Kreuzgewölbe überspannt, das von den starken Pfeilern und Säulen, auch von Pilastern dazwischen getragen wird. Gurten hat dieses Gewölbe nicht. Zum Chor hinauf, das jetzt mit einem Brettergewölbe bedeckt ist, führen mehrere Stufen, so daß·man vermuthen darf, es befinde sich darunter eine noch nicht entdeckte Krypta, — wie im nahen Drübeck, — oder es sey dieselbe bei dem Umbau im Jahre 1579 verschüttet worden (wie späterhin die schöne Krypta zu Kl. Richenberg bei Goslar).

 

Unter dem Abte Sigebod († 1161) geschah ein Neubau des mittäglichen Theiles des Klosters. Von demselben sind bedeutende Ueberbleibsel noch heute vorhanden.

 

 

 

 

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135 Niemeyer, über die Kirchen zu Ilsenburg u. Walbeck.

 

Der ökonomische Geist ist doch hin und wieder dem Vandalismus siegreich entgegengetreten und hat wenigstens die Theile alter Bauwerke gerettet, welche zu Magazinen, u. dgl. benutzt werden konnten. Wir nennen nur beispielsweise, den Walkenrieder Kreuzgang (neuerdings durch Hasenpflug‘s Pinsel verherrlicht), das Stück alter Kaiserburg zu Goslar, die Aegydienkirche zu Braunschweig, die Kirche zu Conradsburg u. a. m. — Doch zu Ilsenburg zurück! — Sigebod‘s Bauwerk zeigt den byzantinischen Styl in seiner Ausbildung. Sein Gebäude läuft mit der Kirche parallel. Der ehemalige Friedhof liegt dazwischen. Neben dem Gebäude lief der jetzt bis auf einige sorgfältig gebildete Pfeiler verschwundene Kreuzgang hin. Im untern Stock befand sich hier wahrscheinlich das „Refectorium“. Die Thür, welche hineinführt, zeichnet sich durch reich gegliederte Pfeiler aus. — Innen erblickt man einen geräumigen Saal, in welchen in neuester Zeit eine leichte Zwischenwand eingebauet ist. Dieser Saal wird von zwei Reihen byzantinischer Säulen — acht in jeder — durchschnitten. Sie tragen das rundbogige, dreigetheilte Kreuzgewölbe. An den beiden Wänden hin zählt man an jeder Wand gleichfalls 8 Säulen. Die 4 einander gegenüberstehenden sind — im byzantinischen Geschmack phantastisch gebildet — jedesmal gleichförmig. Die folgenden 4 sind nach einem andern Muster, immer aber sehr fleißig und sauber ausgearbeitet. Und so geht es fort bei jeder folgenden Reihe. Eine große Aehnlichkeit mit den Säulen in der Krypta der Conradsburg springt in die Augen. — Möchte dieser großartige Saal, wie der nun bald auch zu erwähnende „Kapitel-Saal“, dieselbe herstellende Fürsorge finden, welche die Conradsburger Krypta bereits gefunden hat und die dortige Kirche auch wohl hoffen dürfte. Ueber dem Refectorium, im zweiten Stock, befindet sich·das Schlafhaus (dormitorium) der Mönche, noch jetzt der „Münchenboden“ genannt. Es ist nach außen hin mit kleinen Fenstern,

 

 

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wie Schießscharten, versehen. Von dieser Seite wurde der Klosterberg (früher Burgberg) von einem tiefen Teiche umschirmt; auch befand sich hier ein Weingarten, dessen Mauer sich bis heute erhalten hat. Man genießt von diesem Punkte aus einer entzückenden Aussicht durch das Ilsethal nach dem Brocken. Auf Sigebold folgte Theter († 1176). Auch dieser hat sich durch den schönen Neubau der östlichen Klosterseite gleichfalls ein noch heute fortdauerndes Denkmal errichtet. Denn der großartige „Kapitelsaal“ ist noch vorhanden, nach Plan undStyl dem eben beschriebenen Refectorium ähnlich, aber höher, breiter und länger, und reicher decorirt innen und außen. Der Kreuzgang mag an dessen östlicher Außenwand fortgelaufen seyn, indem man die Consolen der Träger des abgebrochenen Gewölbes des Kreuzganges noch in der Mauer erblickt. — Als Magazin wird nun auch wohl dieses Gebäude sich immer noch eine Zeit lang erhalten.

 

Wo aber der ökonomische Geist nicht sein nutzbares Feld findet, da ist es um alte Denkmäler der Baukunst geschehen. Das erfährt eben jetzt auch der uralte Dom zu Walbeck, unweit Helmstedt und Weferlingen. Die älteste Stiftskirche daselbst war am 10. August 1011, wie Ditmar, der Geschichtschreiber, selbst ein Graf von Walbeck, meldet, abgebrannt. Hierauf wurde die zweite, die wir zwar noch jetzt, aber bereits ohne Dach und Decke, erblicken, im Styl der Basilica erbaut. In diesen traurigen Zustand ist sie aber erst in neuester Zeit, wo das dortige Stift aufgehoben wurde, versunken. Es ist eine s. g. Kreuzkirche, mit drei Schiffen, einem Querschiff und Chor. Das Hauptschiff ist 33 Fuß hoch, 30 Fuß breit und 70 lang. Zwei Reihen mächtiger Pfeiler, sechs in jeder Reihe, trennen die Schiffe. Diese Pfeiler werden durch Rundbogen verbunden. Kapitäle und Basen sind höchst einfach. Die Kapitäle bestehen nur aus einer Hohlkehle und Platte; die Basen aus einem oben abgeschrägten Würfel. Die Seitenschiffe

 

 

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hatten eine Breite von 9 Fuß Die äußere Mauer der Seitenschiffe misst ungefähr 12 Fuß. Die Bedeckung ist eingestürzt Das Chor endet in einer runden Nische, neben welcher man 2 kleinere Nischen erblickt. Die Länge des Chors mag 60 Fuß betragen. Früherhin hat das Gebäude 2 steinerne Thürme gehabt, deren Stelle jetzt ein kleines, hölzernes Thürmchen vertritt, aber nächstens den 2 Vorgängern wohl auch nachfolgen wird. (M. vergl. die Walbekische Chronik Heinrich Meibom‘s, vermehrt und verbessert von Dingelstädt und Abel. Helmstedt 1749).

 

 

Quelle:

Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen . . .

Vierter Band. Zweites Heft S. 132 – 137.

Ch. Niemeyer: „Über die Kirchen zu Ilsenburg und Walbeck“

Hrsg.: Dr. K. Ed. Förstemann

Halle, im Bureau des Thüringisch-Sächsischen Vereins

und Nordhausen, in Commission bei Hermann Förstemann. 1839.