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Kaiser Lothar III. mit Exemtionsurkunde für Kloster Formbach (1136)

München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, KL Vornbach 1

 

 

Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Stifts Königslutter und der Stifter desselben

Braunschweigisches Magazin. 13tes Stück.

Sonnabends, den 30sten März 1822.

 

Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Stifts Königslutter und der Stifter desselben.

 

Die fromme Einfalt jener Zeiten, in denen der Ursprung mehrerer Klöster unseres Landes zu suchen, fühlte sich gedrungen, durch gottselige Schenkungen und Stiftungen die Greuel langwieriger Kriege und Fehden wieder gut zu machen. Im Fortgange derselben fing auch das Kloster Lutter an, als eine geistliche Stiftung aufzublühen.

Die Grafen Bernhard von Haldensleben im Nordthüringauischen Reichslehne, Vater und Sohn, nennen mehrere Chroniken als die ersten Gründer des Klosters und halten das Jahr 1109 oder 1110 für dessen Anfang.

Es muß jedoch diese Stiftung früher statt gefunden haben. Denn Kaiser Lothar 2, der von 1075 bis 1137 lebte, nennt gedachte Gründer in seiner Stiftungsurkunde, seine Aelterväter, und giebt ihnen dadurch etwa eine hundertjährige Entfernung von sich. Auch behauptet Gebhardi in seinen historisch-genealogischen Abhandlungen, Th. 2. S. 15, daß Bernhard der Jüngere schon gegen die Mitte des ersten Jahrhunderts gestorben sey.

Daß nun aber diese Grafen die ersten Stifter des .Klosters Lutter gewesen seyen, ergiebt sich aus Folgendem. Markgraf Theoderich oder Dietrich, Vater Bernhards des Aeltern, besaß, einem zu Ouedlinburg datirten Briefe des Kaisers Otto I. zufolge, außer andern Landstrichen, mehrere Erbgüter im Darlingau. In jenem kaiserl. Briefe

 

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wird unter andern, Veltheim an der Ohe als ein im Darlingau gelegener Ort genannt. Anch schenkte Kaiser Otto 2. Dietrichen, wie Ludwig Th. 7. S. 425 und 469 erzählt, vermittelst eines zu Bodfeld 980 ausgefertigten kaiserl. Briefes, Boenrode, jetzt Beienrode, als ein im Darlingau gelegenes Gut; ein Umstand, der es außer Zweifel setzt, daß die zum Darlingau gehört habenden Ortschaften der Grafen ohnweit Lutter gelegen haben.

In zwei Linien sollen sich die Grafen getheilt haben, wie Meibom in seinem gründlichen Berichte vom Anfange und von der Stiftung der Comthurei Süpplingenburg erzählt, wovon die eine zu Lutter, die andere zu Haldensleben, dem wichtigsten Orte der Grafen, ihren Sitz gehabt hat, und noch zur Zeit Heinrichs des Löwen vorhanden gewesen ist.

Theoderichs Sohn, Bernhard I. erbte nun sowohl die Lehne im Nordthüringau, als auch die Erbgüter im Darlingau, und nannte sich, nach Wiedererlangung der, zur Zeit seines Vaters verloren gegangenen, nördlichen Markgrafschaft, einen nördlichen Markgrafen.

Die öftern Streitigkeiten, welche Bernhard mit dem Erzbischofe von Magdeburg hatte, und der Versuch, diesen Ort nächtlich zu überfallen, wie Ditmar S. 411 erzählt, beweisen hinlänglich, daß er ohnweit Magdeburg gelebt habe.

Von Bernhard 1. ging die ganze Verlassenschaft auf dessen Sohn, Bernhard 2., über.

Die Grafen von Haldensleben konnten nun, als Besitzer vieler Güter im Darlingau, der dieGegend um Lutter mit umfaßte, an letzterm Orte ein Kloster stiften, und geschah dies aus obgedachten Gründen früher, als hier und da angegeben wird.

Sie versahen dasselbe mit geistlichen Jungfrauen, die, wie Meibom der Aeltere - 1625 - in obgedachtem Berichte erzählt, nach der Regel des heil. Benedicts von Nursia , des berühmten Gründers des ersten occidentalischen Mönchsordens im Anfange des sechsten Jahrhunderts, lebten, und beschenkten das .Kloster mit nothdürftigen Gütern.

In Saurii Städtebuche Seite 943 lesen wir aber, das diese Nonnen zu des berühmten Lehrers Augustin - 430 - Orden gehört hätten.

Während derDauer dieses Nonnenklosters führte dasselbe den Namen Lutern, Lutter, wie Trithemius S. 163 behauptet, und darf bis zur Lorischen Stiftung des Namens, Königslutter, noch nicht gedacht werden. Engelhusius, ein Scribent des funfzehnten Jahrhunderts, nennt in seinem Chronicon, vom Anfange der Welt bis 1420, welches Leibnitz in seinem

 

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Werke de Scriptor. Rerum Brunsvic. verbessert herausgegeben hat, das Kloster: Luthuram. Fabricius leitet, was am natürlichsten zu seyn scheint, den Namen von dem niedersächsischen Worte, luter , und dem hochdeutschen Worte, lauter, ab, und zwar wegen des außerordentlich lautern, reinen und klaren Wassers, dessen sich dieser Ort erfreuet, und dem ein Prior dieses Stifts,-Bremer - 1713 ·- eine eigene lateinische Lobrede, die in Fabricii Bericht über das Stift Königslutter zu lesen ist, gewidmet hat.

Vor hundert und mehreren Jahren waren die 6 Quellen dieses reinen Wassers noch nicht überbauet. Abt Fabricius erwarb sich das Verdienst, dieselben im Jahre 1708 mit einem 22 Fuß langen, 11 Fuß breiten und 15 Fuß hohen Gewölbe von Quadersteinen zu versehen. An dessen Vorderseite liest man die Inschrift:

Sub fel. Regim. Sereniss. Principis Antonii Ulrici Ducis Br. Ac Luneb. M. H. F. C. Jo. Fabricius Abbas R. L. A. C. MDCCIIX. Ex fonte bibens fontem corona.

Dieses jungfräuliche Kloster bestand nun bis gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Nach Meiboms Meinung in mehrgedachtem Berichte, ist die vormalige Oberluttersche Clemenskirche und deren Thurm für dies Kloster zu halten; denn er sagt unter andern: „Wann aber, und in welchem Jahre die Erbauung dieses Klosters geschehen, ist nicht aufgezeichnet, sonst ist die alte Kirche nebst dem Thurme daselbst noch vorhanden.“ Daß sie einem fernen Zeitalter angehöre, läßt sich aus der, im Hauptbuche dieser Kirche, - die im Jahre 1752, deren Thurm aber erst 1820 abgebrochen ist – zu lesenden Bemerkung schließen: daß selbige, ihres festen Mauerwerks, woraus sie bestanden, ungeachtet, zur Zeit der Reformation zum Verfall sich geneigt habe.

Fabricius sagt zwar in seinen Anmerkungen zu Letzners kurzer Beschreibung des Stifts Königslutter: „das alte Mauerwerk von der Nonnenkirche ist noch vorhanden und vor einiger Zeit zu einer Scheure eingerichtet worden,“ beweiset es aber nicht weiter, daß selbige das Nonnenkloster wirklich gewesen sey, und ist erstere Meinung letzterer, des natürlichen Zusammenhangs wegen, vorzuziehen. Es mag diese jetzige Scheure vielmehr der Nonnen Wohnung gewesen seyn.

Ehe ich zu der großen Veränderung, welche mit der Bernhardschen Stiftung durch Lothar vorging, übergehe , ist es erforderlich, den Zusammenhang unserer Haldenslebenschen Grafen mit Lothar kürzlich ins Licht zu sehen, so wie zu zeigen, wie er zu seiner Größe gelangte, und wie Lutter mit der umliegenden Gegend dem Welfischen Hause unterworfen ward.

 

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Die Dynasten von Süpplingenburg, Walbeck und Sommerschenburg, deren mächtiges Geschlecht seinen Stammbaum bis zu dem berühmten Alkoin, dem Ostphälischen Anführer gegen Karl den Großen, hinaufführte, gehörten zu einer Familie und kam nach Erlöschung des ältern Süpplinburger Stammes, diese Burg an die Grafen von Haldensleben.

Nach dem in der Mitte des elften Jahrhunderts erfolgten Absterben des jüngern Bernhard, fielen die Herrschaften im Braunschweigischen und Magdeburgischen dessen zweitem Sohne, Konrad, Grafen von Haldensleben, Markgrafen von Brandenburg, Salzwedel und Plotzke, anheim.

Konrad hatte eine einzige Tochter, Gertrud, die er an Friedrich, Grafen von Bohren- oder Barnbach, wie auch Burggrafen zu Nürnberg, verheiratete, und der er Süpplingenburg zum Brautschatze gab.

Deren einzige Tochter und Erbinn, Hedwig, ward mit Gebhard 2, Grafen zu Querfurt, vermählt, der dadurch auch ein Graf von Süpplingenburg wurde, wozu der Schöningensche District, ein großer Theil des Amts Kampen, die westliche Seite des Herzogthums Magdeburg und des Fürstenthums Halberstadt gehörten.

Als Gebhard mit vielen Sächsischen Fürsten und Edlen im Empörungskampfe gegen Kaiser Heinrich 4 bei Kloster Hohenberg an der Unstrut im Thüringischen gefallen war, kam das väterliche und mütterliche Erbe an dessen Sohn, unsern so berühmt gewordenen Lothar, der wenige Tage vor jener Schlacht auf dem Gute Lutterloch bei Celle in's Leben trat.

Lothar war also von väterlicher Seite ein geborner Graf von Querfurt, von mütterlicher Seite aber ein geborner Graf von Süpplingenburg.

Seine Besitzungen und Macht vermehrten sich mit der Zeit immer mehr.

Heinrich der Fette, Graf von Nordheim und Herzog der Sachsen, Sohn des berühmten Nordheimers Otto, vermählte sich im Jahre 1092 mit des unruhigen Braunschweigers Eckberts 2, Markgrafen in Meißen und Herzogs der Sachsen , einzigen Schwester, Gertrud, die, als ihr Bruder, auf Anstiften der Aebtissinn zu Quedlinburg, Adelheid, Schwester des zeitigen Kaisers, in einer Mühle bei Eisenbüttel 1091 ermordet worden, dadurch in den Besitz von Braunschweig und andern Gütern, welche derselbe hinterließ, gesetzt ward, und die Brunoschen und Nordheimschen Stammgüter vereinte.

Dieser Heinrich der Fette endete 1103 im Kriege gegen die Normannen sein Leben.

Richse oder Richenze – deren Namen Leibnitz von regina, Andere von ryck oder reich ableiten, so daß er eine Segenreiche bedeuten soll, - die ältere

 

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Tochter Heinrichs und Gertrud's und Haupterbinn der väterlichen und mütterlichen Stammgüter, brachte unserm Lothar, der schon den größten Theil des Schöningenschen und Wolfenbüttelschen Districts, d. h. den Darlingau nebst Haldensleben, Königslutter und einem beträchtlichen Theile des Magdeburger Holzkreises besaß, bei ihrer Vermählung mit demselben, den Göttingenschen District, einen großen Theil des Braunschweigischen-, Harz- und Weserbezirks nebst Blankenburg, wie auch die Gegend um die Oker, wo jetzt Braunschweig und Wolfenbüttel liegen, zum Brautschatze mit.

 

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Im Besitze dieser Länder ward Lothar ohne Zweifel der mächtigste Dynast im Lande der Sassen, und wurde es immer mehr.

Schon im frühern Jünglingsalter hatte er, unter des obgedachten Eckberts Fahne, Beweise der Tapferkeit, und bei reiferem Alter, mehrere Proben vorzüglicher Klugheit gegeben; auch dem Kaiser Heinrich 5, bei der Empörung gegen dessen Vater, treue Dienste geleistet.

Um deswillen ward er denn, nachdem der letzte Billungsche Herzog von Sachsen, Magnus, ohne männliche Erben gestorben war, vom Kaiser Heinrich 5. im Jahre 1106 zum Herzoge von Sachsen ernannt.

Das gute Verhältniß, in dem er mit Heinrichen stand, änderte sich aber bald. Papst Paschal hatte nämlich, zur endlichen Schlichtung des Investiturstreites, - Belehnung, feierliche Einweihung und Einsetzung der Bischöfe und Aebte, die sich sowohl Kaiser und Fürsten, als auch Päpste anmaßten, - dem Kaiser angeboten, er solle, das es ihm doch wol nur um seine Regalien – königlichen, landesherrlichen Vorrechte – zu thun sey, alles, was die Kirchen von den Kaisern bekommen hätten, zurücknehmen, und die Geistlichen möchten sich in der Folge mit Zehnten, Opfern und denjenigen Gütern, welche sie von Privatpersonen erhalten oder erkauft hätten, begnügen. Dieses Anerbieten ward mit Dank angenommen.

Allein dagegen widersetzten sich alle Geistlichen und selbst die weltlichen Fürsten, welche sonst mit ersteren im ewigen Streite verwickelt waren; weil sie von nun an von der Macht des Kaisers zu viel zu fürchten hatten.

Besonders war es Pfalzgraf Siegfried, Lothars Schwager, der die jüngere Tochter Heinrichs des Fetten, Gertrud, zur Gemahlin hatte, welcher unsern Lothar und die sächsischen Großen, unter denen Bischof Reinhard immer am geschäftigsten war, überzeugte, was sie vom Kaiser zu erwarten hätten, und daß zur Empörung geschritten werden müsse.

Als Lothar seinem Schwager Gehör gab, zeigten sich auch die übrigen Fürsten thätig und schmiegten sich die sämmtlichen

 

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Bischöfe an ihren Sächsischen Herzog Lothar.

Allein die Sache lief für dasmal übel ab, und Lothar sah sich genöthigt, in Mainz bei dem Kaiser Gnade zu suchen, die er auch fand.

Als der Kaiser sich aber merken ließ, den Fürsten schärfere Zügel anlegen zu wollen, da loderte das glimmende Feuer wieder zu hellen Flammen auf, und brachen die Sassen in eine furchtbarere Empörung aus, als vorher.

Der Kaiser that, außer mehreren Fürsten, worunter Reinhard von Halberstadt oben stand, unsern Lothar in die Reichsacht, erklärte ihn seiner Reichslehne verlustig und bestellte sogar den Grafen Hoyer von Mansfeld zum Herzoge von Sachsen.

Die Erbitterung Lothars und der Verbündeten überhaupt ward nun durch solche widerrechtliche Schritte des Kaisers immer mehr und mehr gesteigert. Man verwüstete die Güter des Grafen von Mansfeld auf das fürchterlichste. Von beiden Seiten rückten im Febr. 1115 Heere gegen einander. Im grauenvollen Kampfe begriffen, stürmten die Sassen mit geschlossenen Schaaren, unter fürchterlichem Schlachtgeschrei, auf die Kaiserlichen ein, und soll, nach Angabe einer alten Versification, die im Rehtmeier S. 283 zu lesen ist, das Schlachtfeld beim Welfesholze mit dem Blute von 45000 Kriegern gefärbt seyn.

 

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Heinrich mußte, obgleich der feindlichen Macht weit überlegen, sich durch eine schimpfliche Flucht der Wuth der Sieger entziehen.

Das entsetzliche Kriegsfeuer brannte unaufhaltsam fort und Lothar nahm, der Eroberungen, die andere Fürsten machten, nicht zu gedenken, Dortmund weg und zwang den Münsterschen Bischof zur Partei der Verbündeten überzutreten; so daß Heinrich in ein immer größeres Gedränge gerieth.

Ja, es war nun, im Beiseyn Lothars, vieler Sächsischen Großen und von 14 Bischöfen, der Bannfluch über den Kaiser förmlich ausgesprochen, dem er, weil ihn der Tod der reichen und berüchtigten Mathilde, die aus der Geschichte Gregors bekannt genug ist, nach Italien rief, nicht entgegnen konnte.

Raub, Mord, Brand und Plünderung waren an der Tagesordnung. Ganze Landstriche wurden in Einöden verwandelt und überall dampften zerstörte Schlösser, Dörfer und Weiler. Die Gefahr, Thron und Reich zu verlieren, trieb Heinrichen aus Italien wieder nach Deutschland zurück, bewog ihn, um sich zu retten, einem jeden die entrissenen Güter wieder zu restituiren und sich wenigstens mit unserm Lothar und einigen andern Großen wieder zu versöhnen. Es kam nun, nachdem das darnach nochmals auflodernde Feuer bald wieder gedämpft ward, zu einem Landfrieden und die streitige Investitur sollte dem Ausspruche des heiligen

 

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Vaters zu Rom überlassen werden. Soweit Lothar als Herzog von Sachsen.

Am 23. Mai 1125 übereilte Heinrich 5. der Tod im 44sten Jahre seines unruhigen Lebens. Lothar, ein biederer, bescheidener und allgemein geschätzter Mann, der in einem so rohen Zeitalter, in welchem es Grundsatz war: so viel zu nehmen, als man erhalten konnte, und in dem das Recht auf Seiten des Stärkern war, an Tugend hoch über Andere emporragte; den die Geschichtsschreiber einen Vater des Vaterlandes nennen und dessen Treue im Christenthume, Standhaftigkeit, Friedfertigkeit und unerschrockene Tapferkeit sich rühmen; der sich besonders im furchtbaren Kampfe gegen Heinrich 5. als wohlmeinenden Vertheidiger vaterländischer Freiheit, sowohl die geistlichen Fürsten, als auch die weltlichen Großen, gewogen gemacht hatte, ward, eben wegen seiner trefflichen Eigenschaften, unter mehreren Throncandidaten zu Mainz zum Könige und Kaiser gewählt, und am 13ten Sept. 1125 zu Aachen von Friedrich, Erzbischof zu Cöln, am 3ten Juli 1133 aber erst zu Rom vom Papst Innocenz 2., wie weiter unten erzählt werden wird, gekrönt. Zehn Fürsten unter den Hauptgenossenschaften, den Sassen, Bayern, Schwaben und Franken, wählten, weil der Großen gar zu viele waren, und wurden diese zehn Wähler der Stamm der nachmaligen Kurfürsten.

Lothar, nun König und Kaiser, hatte von seinen vorzüglichsten Gegnern, die bei der Kaiserwahl übergangen waren, dem stolzen Friedrich von Schwaben und dem Fränkischen Konrad, der sich keck zum Gegenkönige aufwarf, viel zu fürchten.

So vielumfassend auch sein Gebiet war, so reichte seine Macht doch nicht hin, um sich gegen die gedachten Hohenstaufen – die dadurch, daß sich ihr Vater, Herr zu Hohenstaufen in Schwaben, in der Schlacht bei Merseburg 1080, unter des Heinrichs 4. Augen rühmlichst ausgezeichnet und dafür das Herzogthum Schwaben und dessen Tochter, Agnes, zur Gemahlinn erhalten hatte, so sehr gehoben worden waren, - durch eigene Kraft sicher zu stellen und sie zu demüthigen, indem selbige, in Verbindung mit Heinrich dem Stolzen, dem Sohne Heinrichs des Schwarzen, der durch Vermählung mit der Billungschen Wulfhild, der vorzüglichsten Erbinn des obgedachten Herzogs Magnus von Sachsen, den welfischen Stamm auf Sächsischen Boden verpflanzte, eine zu bedeutende Macht formirten.

 

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Heinrich der Schwarze und Familie in Steingaden

 

Lothar mußte also Mittel suchen, seine Kraft zu verstärken.

Dieses geschah, indem er seine einzige Tochter, Gertrud, in ihrem aufblühenden Alter mit Heinrich dem Stolzen – dessen ich, weil seine Gebeine das Stift mit aufbewahrt, weiter unten ausführlicher gedenken werde, - zu

 

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207 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 208

 

Merseburg im Jahre 1127 feierlichst vermählte; dadurch sämmtliche Länder, welche Wulfhild von ihrem Vater Magnus geerbt hatte, z. B. Lüneburg und Kalenberg, mit den Süpplingenburgschen Besitzungen, die er abtrat, vereinte, und durch fernere Abtretung des Herzogthums Sachsen mit allen Lehnen, vergrößerte.

Nicht weniger fand Lothar an Ludwig 3., einem begüterten Grafen in Thürignen, dadurch eine mächtige Stütze, daß er demselben die Landgrafschaft des Grafen Hermanns 2., der wegen eines, an einem Kaiserl. Vasallen verübten, Meuchelmordes seiner Würden und Lehen entsetzt wurde, übergab.

Ueberdies mußte ihm König Niels von Dänemark Sohn, Magnus, für geleistete Hülfe, die Summe von 4000 Mark Silber zahlen.

Nun besaß Lothar eine Macht, womit er den Hohenstaufern überlegen war. Denn er hatte sich nun zwei mächtige Fürsten dankbar gemacht; und insonderheit verließ Heinrich der Stolze oder 4te sogleich die Partei seines Schwagers, Friedrich von Schwaben, des Gemahls der Judith, Tochter Heinrichs des Schwarzen, Stammvaters der nachmaligen Hohenstaufischen Kaiser. Er genoß nun das Vergnügen die Hohenstaufischen Brüder durch seinen Schwiegersohn, der Ulm eroberte und Schwaben gewaltig verwüstete, gedemüthigt zu sehen. Ja Friedrich flehte den Kaiser in Fulda um Gnade und erhielt sie 1135 auf dem Reichstage zu Bamberg, nachdem er sich ihm öffentlich zu Füßen geworfen hatte. Nicht weniger bat ihn Konrad von Franken zu Mühlhausen um Verzeihung.

Der Papst selbst hatte ihm durch eine eigenhändige Bulle den Genuß der Mathildischen Güter zugesichert, der auch seinem Schwiegersohne, wenn er, wie der Schwiegervater, den Lehnseid leisten und der Römischen Kirche jährlich 100 Mark Silber auszahlen würde, nach Ableben des letztern werden sollte.

Lothar war jetzt auf dem Gipfel des Glanzes.

 

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Oft sah man ihn nun auf der Burg Tanquarderode, wo im Jahre 1130 ein glänzender Hoftag, wobei viele Fürsten, Bischöfe, Grafen und Herren zugegen waren, gehalten ward.

 

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Noch häufiger besuchte er Goslar, wo er im Jahre 1131 das Kloster Reichenberg freigiebig beschenkte.

(Die Fortsetzung folgt.)

 

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209 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 210

Braunschweigisches Magazin. 14tes Stück.

Sonnabends, den 6ten April 1822.

 

Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Stifts Königslutter und der Stifter desselben.

(Fortsetzung.)

 

In den letztern Lebens-Jahren Lothars schien sich Sachsen überhaupt durch größere Ruhe von den Greueln eines langen Krieges erholen zu sollen; außer daß Halle, wo man seine Gesandten nebst den Ihrigen, wie Rehtmeier erzählt, erschlagen hatte, hart belagert ward, und den Thätern theils die Köpfe, theils die Hände, theils die Füße abgehauen, und einigen die Augen ausgestochen wurden.

Nun war ihm Zeit übrig, sich mit manchen wohlthätigen Stiftungen zu beschäftigen. Mehrere Städte sollen ihm die Entstehung oder Erweiterung zu verdanken haben, z. B. Kaiserslautern am Rheine, Verden im Stifte Bremen, Sassenburg in Westphalen, Chemnitz in Meißen, wie Rehtmeier S. 299 sie nennt.

 

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Unter den berühmtesten seiner Stiftungen haben wir aber die Uebergabe seines Stammhauses Süpplingenburg, sammt Wiesen, Aeckern, Holzungen und sonstigen Grundstücken, an den Tempelherrenorden, der im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts durch Habsucht und Neid über seine weitläufigen Besitzungen seinen Untergang fand, zu zählen.

 

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211 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 212

 

Doch für uns bleibt die merkwürdigste der Lotharschen Stiftungen die Umwandlung des, von den Bernharden von Haldensleben gestifteten Lutterschen Nonnenklosters in ein großes prachtvolles Benedictinerkloster, worüber man im Chron. Rhytm. Principum Brunsv. beim Leibnitz Th. 3, Folgendes liest:

 

Hundert unde 30 gar

Ward gewandelt dat gestichte

To Lutter, dat erste uprichtige

Van Haldesleve Greve Bernhart

De ock er genomet wart.

De er hadde begunnen

Also dat et weren nunnen

Dat de Kaiser unde sine Frowe

Rixe de doeget schowe

Wandeelen, dat et worden

Schwarte möniche, de dat horden

To sancte Benedictus orden.

 

Hier wird auch seiner Gemahlinn, Richenze, gedacht, und Letzner schreibt diese Stiftung derselben sogar allein zu. Aber die meisten Chronikenschreiber widersprechen dieser Behauptung, und eignen sie dem Kaiser selbst zu, z. B. Engelhusius beim Leibnitz, Trithemius u. a., was auch mit der, beim Rehtmeier zu lesenden, Stiftungsurkunde vom 1sten Aug. 1135 übereinstimmt, indem Lothar in derselben seiner Gemahlinn mit keinem Worte gedenkt, welches, wie Leukfeld sagt, er doch sonst gewohnt gewesen sey, wenn er auf der Kaiserinn Bitten etwas gestiftet habe. Wohl mag dieselbe an dieser Stiftung Wohlgefallen gefunden und ihrem Gemahle dazu behülflich gewesen seyn; wie sie denn auch mit demselben den ersten Stein zur Kirche gelegt hat, wie wir in der Bergischen Chronik von Meibom S. 299 lesen.

Lothar selbst giebt in der oberwähnten Urkunde die Ursache dieser Veränderung an, die keine andere gewesen, als der leichtfeetige, regel- und zügellose Wandel der Nonnen, welche keine Besserung hoffen ließen, wie wir auch in Bodo's Chronik beim Leibnitz Th. 3. S. 340; beim Krantz 6, S. 241. und in Siegfrieds Beschreibung berühmter Städte, Th. 1, S. 229, lesen.

In einigen Klöstern am Harze, besonders im Kloster Drübeck, fanden die Nonnen ihr Asyl.

Das neue Kloster ward vom Halberstädter Bischofe, Rudolf 17, in dessen Sprengel es lag, zur Ehre der heiligen Apostel Petrus und Paulus eingeweihet. Deshalb enthält das Siegel des Abts einen Schlüssel und ein Schwerdt, das des Predigers am Stifte aber, jene beiden Apostel.

Seit der neuen Gründung hörte das Kloster auf, Lutter zu heißen, und ward von seinem Stifter, dem Könige und Kaiser *), Königslutter genannt

 

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*) Die deutschen Könige führten, als Schutzherren Roms, seit Karl dem Großen den Titel, Kaiser – den gewöhnlichen Titel der römischen Imperatoren – und König.

 

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213 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 214

 

und hieß die Kirche des Klosters in der Folge, Stiftskirche *)

Daß das Kloster von jetzt an; Königslutter genant worden, bestätigt Krantzius, dem zufolge es von Lothar Regale Lotharium genannt worden; womit Meiboms Worte: „Caesar nomen Regalis Lutterae coenobio reformato imposuit,“ übereinstimmen.

Sechs Benedictinermönche aus dem Johanniskloster vor Magdeburg waren, unter Aufsicht des Abts Eberhard, die ersten Geistlichen, welche sich der Wohlthat der neuen Stiftung zu erfreuen hatten, wie Trithemius in seiner Hirsauischen, und Meibom in seiner Bergischen Chronik u. A., erzählen.

Doch ward das Kloster durch die reichen Dotationen seines erhabenen Stifters bald so sehr erweitert, daß es 80 eingekleidete Chorherren, ohne die Laienbrüder unterhalten konnte, wie Zeilerus erzählt.

Nachher muß die Zahl noch höher gestiegen seyn, weil Abt Bartholdus dem Papste Martinus im Jahre 1428 vorgetragen: „daß, weil das Kloster, welches sonst an 100 Brüder habe erhalten können, jetzt wegen der Kriegsunruhen, derselben kaum 12 bis 16 unterhalten könne, dazu an Gebäuden sehr baufällig sey, und die übrig gebliebenen Mittel zu solcher Reparation nicht zulangen wollten, der Papst vergönnen mögte, daß die beiden Pfarrkirchen, St. Clementis in Oberlutter und St. Sebastiani in villa Lutter, mögten eingezogen und deren Einkünfte zur Verbesserung der Klostergebäude angewand werden,“ wie Fabricius erzählt.

 

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St. Sebastiani in villa Lutter am 03.01.2014

 

Wirklich waren auch die Schenkungen und Privilegien, die diesem Stifte durch Lothar und andere wurden, bedeutend. Der Stiftungsurkunde zufolge, die wir beim Rehtmeier lesen, erfreute sich das Kloster durch des Kaisers Gnade eines Antheils an dem Lüneburger Salzwerke; seines Erbes zu

 

*) Den Namen, Stifts- oder Kathedralkirche, auch Dom-, Hochstifts- oder bischöfliche Kirche, führten zwar nur alle diejenigen Kirchen, mit denen ein Bisthum oder Hochstifte verbunden sind oder waren. Allein auch die, im Sprengel eines Hochstifts oder Bisthums gelegenen, und demselben untergeordneten, Stifte, - daher Neben- oder Niederstifte genannt – hafteten von jeher auf gewissen Kirchen, die man deshalb im gemeinen Leben, Stiftskirchen nennt. Und wenn die Kirchen, womit vor Zeiten ein Bisthum oder Hochstift verbunden war, Kathedral- oder Domkirchen heißen, so werden jene Stiftskirchen, da sie ihren Convent unter dem Vorsitze des Abts oder Propstes bilden, Collegiatkirchen genannt.

 

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215 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 216

 

Lutter, mit allem, was dazu gehörte; der benachbarten Waldungen, Elm und Brock - jetzt Bruch – genannt, mit allem Zubehör, d. h. dem großen Hayn- und Badeholze, dem Sunder und dem kleinen Holze vor kleinen Steimke. Ferner bekam es Schickelsheim mit 24 Hufen – mansis – Acker; Hagen mit 12 Hufen und dem Zehnten vor dem Elme, welcher vormals nach dem Hagen gefahren worden, - nebst den Weiden und sonstigem Zubehör; 21 Hufen in Santersleben; 17 Hufen in Flöte; 12 Hufen in Meerdorf; 12 Hufen in Bernstorf; 16 Hufen in Nienstedt; 17 Hufen in Ingeleben; 7 Hufen in Borsne oder Boerste; 8 Hufen in Kneitlingen; die Vorwerke Wulfesburg, Kestorf, Bergfeld und Bornum; 5 Hufen in Watenstedt, 2 Hufen in Achim; und zwar frei von allen Beschwerden und Diensten, auf ewige Zeiten.

Durch der Kaiserinn Gnade fielen dem Stifte ein Vorwerk von 15 Hufen Acker, - das, wie Fabricius sagt, etwa der Sunder seyn mag, - und eine, von einem Canonicus zu Goslar für 150 Silber gekaufte, Mühle anheim; eine Dotation, welche Heinrich der Löwe, als des Stifts edler Voigt *) bestätigte, sowie noch durch einige Besitzungen in Ingeleben; durch 9 Hufen Land in Kneitlingen; und durch den von ihm, als hohem Guttäter des Stifts, noch jetzt sogenannten, Herzogberg, vermehrte; der, im Jahre 1423 erfolgten, und in 3 Hufen und 3 Höfen zu Winnigstedt bestehenden, Schenkungen des Grafen Heinrichs zu Wernigerode und anderer Vermächtnisse, nicht zu gedenken, die dem Stifte im J. 1311 durch Herzog Albrecht wurden. - Andacht, gemeinschaftlicher Verkehr und Handel, das Bedürfniß des Schutzes bei so unsichern Zeiten und die mildere Behandlung der, den Klöstern angehörigen, Leibeigenen, beförderte den Anbau in der Gegend derselben.

So entstanden dabei Dörfer, und aus diesen hiernächst Flecken und Städte. Schon früher mogte Oberlutter, im Gegensatze des darunter gelegenen Fleckens, das Oberndorf zu Königslutter genannt, entstanden und diesem Orte in der Folge die Kirche des Nonnenklosters mit einiger Länderei eingeräumt seyn. Denn aus einigen alten, im Pfarrarchive des Orts befindlichen Scripturen von 1586, den Oberdorffschen Kirchenacker betreffend, ist zu ersehen, daß die Clemenskirche vormals vom Stifte mit dem vorhandenen Kirchenacker dotirt worden sey.

Bald entstand auch der Flecken, der, nachdem das nahe gelegene Dorf, Schoderstedt, höchst wahrscheinlich im Kampfe

 

*) Ein Amt, das nach Lothars Schenkungsurkunde der jedesmalige älteste männliche Erbe seiner Familie verwalten sollte.

 

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217 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 218

 

der geistlichen Großen und weltlichen Fürsten der Gegend, im 13ten Jahrhundert, in welcher Zeit und früher bedeutende Fehden in ganz Deutschland beständig im Gange waren, zerstört worden, durch dessen vertriebene Bewohner sehr vermehrt, in der Folge zu einer Stadt erhoben und vom Kloster, Königslutter benannt ward, wie Saurius in seinem Städtebuche S. 944 erzählt. Und in Fabricius obgedachten Anmerkungen lesen wir: „Was den Anfang, die Vermehrung und das Geschick dieser Stadt betrifft, so hat sie ihren Anfang vom Kloster und ihre Vergrößerung von dem, in Kriegesläufen zerstörten, Dorfe Schoderstedt, dessen Schutt und altes Mauerwerk im Lutterfelde zu sehen, und ist das Mastmeierische – hernach Voigtsche, - Haus am Markte von den Steinen der Schoderstedter Kirche erbauet; denn die vertriebenen Einwohner haben sich daselbst als coloni niedergelassen und den Flecken, wie der Ort weiland genannt wurde, sehr vermehrt.“

In jenen Zeiten, in denen man, um den Himmel zu versöhnen, häufig Wallfahrten anstellte, zumal nach Orten wo sich bedeutende Reliquien, besonders ein ausgezeichnetes Marien- und Heiligenbild, befanden, wallfahrte man auch nach diesem Kloster, indem dasselbe, wie in der Merianischen Topographie des Herzogthums Braunschweig S. 133 zu lesen ist, viele Heiligthümer aufbewahrt haben soll, z. B. ein Stück des heiligen Kreuzes, der Dornenkrone, eines Nagels, womit Jesu rechte Hand ans Kreuz geheftet worden; etwas vom Manna, von der heiligen Maria Haaren und Kleide, vom Blute Johannis des Täufers und der heiligen Apostel Petri und Pauli; so wie ein Stück von des Patriarchen Isaaks Rock, und was dergleichen Fabelhaftes mehr ist.

Papst Innocenz 2. und seine Nachfolger bestätigten diese Wallfahrten mit Verschreibung großen Ablasses; und soll vor der Reformation, als Papst Leo 10. zur Bekämpfung der Türken und zur Beendigung des Baues der Peterskirche zu Rom, des herrlichsten der neuern Denkmähler, in der ganzen Christenheit Ablaßbriefe ausschrieb, der berüchtigte und unverschämte Dominikaner Tezel aus Leipzig, der 15 Jahre hindurch das Volk durch Ablaßhandel betrog, auch zu Kloster Königslutter sein Unwesen und seinen Unfug getrieben und von der sogenannten Capelle vor der Stiftskirche herab gepredigt haben.

Das Ansehen des Stifts ward aber dadurch ungemein erhöhet, daß dem Abte Eberhard, auf Betrieb Heinrichs des Löwen, als selbiger mit Kaiser Friedrich 1. in Italien sich befand, vom Papste Adrian 4., der Heinrichen sehr schätzte, die Erlaubnis ertheilt wurde, gleich andern hohen Prälaten, bei Meßhaltung,

 

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219 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 220

 

Processionen und andern Solennitäten, sich der Insul, des Stabes, goldenen Ringes und der Pantoffeln zu bedienen. Es besaß deshalb wol den ersten Rang unter den Klöstern des Landes, den Herzog Anton Ulrich im Jahre 1704 bestätigte; wiewohl schon die kaiserliche Stiftung ihm diesen Rang zusprach.

Auch ist es im Besitze des Rechts, zehn Lehne zu verleihen.

Das Patronatrecht über die Pfarre St. Clementis und St. Sebastiani ward ihm im Jahre 1408 von den Herzögen Heinrich Albrecht und Wilhelm Heinrich verliehen, wie Fabricius erzählt, und übte es dasselbe auch über die, zu kleinen Dedeleben und Barnstorf aus.

Doch am berühmtesten ward dieses Stift dadurch, daß der hohe Stifter desselben, seinem frühern Befehle gemäß, in demselben seine Grabstätte erhielt; wenn gleich der große Fürst sein ruhmvolles Leben in Italien endete.

Schon früher, vor der Stiftung des Klosters, 1132, hatte er einen merkwürdigen Römerzug angestellt. Es war nämlich, wie wir in Mosheims Kirchengeschichte lesen, Lambertus, der als Papst unter dem Namen Honorius 2. bekannt ist, gestorben, und die neue Papstwahl streitig geworden. Einige Cardinäle stimmten für Innocenz 2., einige für Anaclet 2. Letzterer, der auch den König von Sicilien zum Freunde hatte, zählte in Rom und in Italien überhaupt, weit mehr Anhänger, als ersterer. Dagegen erfreute sich Innocenz, außer der Gunst mehrerer Könige, die ihm der einflußreichste Abt, den je die christliche Welt sah, der heilige Bernhard von Clairvaux geneigt gemacht hatte, der Protection unseres mächtigen Lothars. Dieser Umstand führte ihn denn im gedachten Jahre nach Italien.

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Cremona Dom

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Bologna Universität

Von 1500 rüstigen Kriegern begleitet, nahm er seinen Weg über Franken, Schwaben, Bayern und das Trienter Gebirge; machte viele Eroberungen in der Lombardei; zog gefürchtet in Rom ein, wo er willige Aufnahme fand; vertrieb den Papst Anaclet, setzte Innocenz als Papst ein, und ließsich, 58 Jahre alt, am 3ten Juni 1133 mit seiner Gemahlinn, die ihn dahin begleitet hatte, von dem, durch ihn auf den päpstlichen Stuhl erhobenen Innocenz krönen. Aus diesem Grunde ist es gewiß unwahr, daß, wie mehrere Kirchenhistoriker erzählen, z. B. Seiler in seinen Tabellen, er unanständiger Weise, knieend und als ein Vasall, die Krone empfangen habe. Wohl aber überließ er bei dieser Gelegenheit dem Papste die Investitur der Bischöfe.

Siegreich und wohlbehalten kehrte für das Mal der große Kaiser mit seiner Gemahlinn am Ende des Jahrs 1133 nach Deutschland zurück, wo sich inzwischen die obgedachten, bei der Kaiserwahl

 

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221 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 222

 

übergangenen, Herzöge Friedrich zu Schwaben und Konrad zu Franken, wieder ungebührlich betragen hatten; aber sich nun, durch den allvermögenden Einfluß des gedachten Bernhards von Clairvaux, mit Lothar völlig versöhnten.

Jetzt züchtigte er die grausamen Wenden, die, als Feinde christlichen Glaubens, ihren Abgöttern jährlich einen Christen opferten, sie kreuzigten, an Pfähle banden und an denselben solche Greuelthaten verübten, deren nur die tieffste Barbarei fähig ist.

Inzwischen hatte man sich in Italien, in Verbindung mit König Rogerus von Sicilien, wiederum gegen den Papst Innocenz aufgelehnt, und sah sich Lothar genöthigt, abermals einen Zug dahin zu unternehmen; einen der glänzendsten, den jemals ein deutscher Kaiser dort vorgenommen hat, der aber auch das Ziel seiner großen Thaten war. Abermals nahm er seinen Weg dahin über Trient, in Begleitung vieles Volks und seines mächtigen Schwiegersohns, Heinrichs des Stolzen, der allein 500 Reiter und 1500 Mann zu Fuß in seinem Gefolge zählte. Noch einmal sah ihn die Hauptstadt der Welt, wohin er Innocenz wieder führte. Alles ward nun zum Gehorsam gebracht.

 

 

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Salerno - Hafen

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Benevento - Trajansbogen

 

Ganz Italien, besonders Alba, Benevent, Capua und Salerno, mußten sich vor ihm beugen, und König Rogerus von Sicilien ward aus ganz Italien vertrieben.

Jetzt kam die Zeit, wo auch er, der große Kaiser, den Tribut der menschlichen Natur darbringen sollte. Eine verheerende Krankheit, die einige Schriftsteller die Pest nennen, - die es aber aus natürlichen Gründen nicht gewesen seyn wird, - vernichtete auf seiner Rückkehr nach Deutschland einen großen Theil seines Kriegsvolks, und machte auch seinem ruhmvollen Leben ein Ende. In einer elenden Bauernhütte eines kleinen Dorfes zwischen Verona und Trient, im Chron. Montis sereni, Bredin, von Andern Breduwan, genannt, endete er dasselbe im 63sten Jahre und 13ten seiner glorreichen Regierung, am 5ten Decbr. 1137, - wie eine, in seinem Grabmahle befindlich gewesene, Inschrift außer allen Zweifel setzt – und zwar in den Armen seines nahen Verwandten und Freundes, Konrads, Erzbischofs zu Magdeburg, gebornen Herrn von Querfurth.

 

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Die kaiserliche Leiche ward nun, wie das Chron. Mont. Sereni Seite 16, Trithemius u. A, bestätigen, und Rehtmeier S. 300 erzählt, über Augsburg, Nürnberg nach Sachsen und von da weiter gen Königslutter geführt, und am 31sten December in der Kirche des Stifts, in Gegenwart vieler sächsischer Fürsten, Grafen, Herren und der Ritterschaft, an der Stätte beigesetzt, welche noch jetzt den alterthümlichen

 

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223 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 224

 

Sinn so manches wißbegierigen Reisenden ergötzt.

Lothars Schwiegersohn, Heinrich der Stolze, Vater des berühmten Heinrichs des Löwen, - der eher der Großmüthige genannt zu werden verdient, - dessen denkwürdige Geschichte unser Interesse ebenfalls in Anspruch nimmt, der mächtigste Fürst seiner Zeit; der sich in den Kriegen seines Schwiegervaters hochverdient gemacht hatte; der schon als Herzog von Bayern fast mit königlicher Gewalt begabt war; als Sachsens Herzog, zugleich fast ganz Ostphalen sein Eigenthum nennen durfte; der mehrere Besitzungen in Italien zu den seinigen zählte, konnte zumal, da man bei der Königswahl die Nachkommen des regierenden Hauses nicht leicht zu übergehen pflegte; da er auch, in der festen Ueberzeugung Kaiser zu werden, die Reichsinsignien von seinem kaiserlichen Schweigervater bereits bekommen hatte; und da schon ein Erbe, in der Person des jungen Heinrichs des Löwen, vorhanden war, mit Recht auf die Krone Anspruch machen.

Allein der Papst, der ohnehin schon gegen das Ende Lothars Feindschaft gegen denselben hegte, und selbige auf dessen Schwiegersohn übertrug; auch als ein schlauer Pfaffe besorgte, daß, wenn Heinrich bei der Kaiserwahl obsiegte, die reichen Güter der früher gedachten Mathilde, die an den Bruder Heinrichs des Schwarzen, Welf den 5ten, mit dem sie aber unglücklich gelebt, verheirathet gewesen war, mit dem bayerisch-sächsischen Hause verbunden werden würden, suchte seine Wahl zu verhindern.

 

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Welf V. und Mathilde von Thuscien in Steingaden

 

Ueberdies nährten die Hohenstaufen noch immer einen geheimen Groll darüber in ihrem Herzen, daß sie bei der vorigen Kaiserwahl übergangen waren, und suchten, im Unglücke gewitzigt nun alles aufzubieten, daß Heinrichs Wünsche und Ansprüche vereitelt würden; wozu man überall in der Meinung stand, daß Heinrich, wegen seiner frühern Aeußerungen darüber, seine noch vergrößerte Macht als Kaiser, zum Verdruß der Fürsten mißbrauchen würde.

(Die Fortsetzung folgt.)

 

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241 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 242

 

Braunschweigisches Magazin. 16tes Stück.

Sonnabends, den 20ten April 1822.

 

Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Stifts Königslutter und der Stifter desselben.

(Fortsetzung.)

 

Man beeilte sich also, den, auf Pfingsten 1139 zur Wahl festgesetzten, allgemeinen Reichstag zu Mainz nicht abwartend, den Hohenstaufen Konrad, Herzog von Franken, 1138 zu Koblenz zum Kaiser zu wählen, und ihn am 6ten März 1138 zu Aachen krönen zu lassen.

Ein solches hinterlistiges Verfahren verdroß Heinrichen mit Recht, und versagte er deshalb dem Kaiser die Huldigung. Er lagerte sich mit einer ansehnlichen Kriegsmacht vor Augsburg, wohin ihn der Kaiser anderweit beschieden hatte, und setzte denselben dermaßen in Schrecken, daß er heimlich nach Würzburg fliehen mußte.

Allein, da die sächsischen Großen, und selbst Richenze, der Wahl ihre Beistimmung nicht versagten, so legte er sich zum Ziele, und lieferte unter der Bedingung, ihn in seinen Rechten nicht weiter kränken zu wollen, die Reichsinsignien am 29sten Juni 1138 zu Regensburg aus.

Wortbrüchig verlangte aber der Kaiser bald, unter dem nichtigen Vorwande: daß der Besitz von zwei großen Herzogthümern wider alles Recht laufe, daß der Herzog auf seine Reichslehen

 

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243 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 244

 

verzichten sollte, und ward Heinrich wirklich im December 1138 zu Goslar seiner Herzogthümer, - wovon das eine Albrecht dem Bären, Herzoge von Anhalt, des früher gedachten Billungers Magnus von Sachsen Großsohne und Vetter unsers Heinrichs; Baiern aber dem Herzoge zu Schwaben und Markgrafen in Oestreich, Leopold, dem Stiefbruder des Kaisers, zugesprochen ward, - entsetzt und in die Reichsacht erklärt.

Jetzt auf's tiefste gekränkt, übergab er seinem Bruder, Welf dem 6ten, dem Gütigen, nachmaligem Vormunde und kräftigem Vertheidiger Heinrichs des Löwen, die Vertheidigung seines Erblandes, Baiern, wo Leopold Regensburg erobert hatte, aber von Welf zurückgeschlagen ward, und eilte nach Sachsen, wo Albrecht das Schloß Lüneburg und die Städte, Bremen und Bardewik erobert hatte, und an Adolph von Holstein, dem Freunde Heinrichs, einen muthigen Gegner fand.

Nun wurden Albrechts Schaaren überall geschlagen; seine Schlösser verwüstet; seine Erbgüter weggenommen und er selbst genöthigt, zum Kaiser zu fliehen, und rückte Heinrich, der wohlgerüstet mit seinen Sassen bei Kreuzburg an der Werre, auf der Landstraße von Thürigen nach Kassel festen Fuß faßte, dem Kaiser, der sich bei Hersfeld lagerte, entgegen. Allein der Kaiser wagte den gefürchteten Heinrich nicht anzugreifen, sondern schloss, durch Vermittlung einiger geistlichen Fürsten, Waffenstillstand, und zwar unter dem Versprechen: die Sache auf einem Fürstenrathe zu Quedlinburg völlig schlichten zu lassen.

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Denkwuerdigkeiten-1822-Stiftung-Koenigslutter/Quedlinburg-Stiftskirche-St-Servatii-IMG-7269.jpg

 

Hämisch angefeindet, erschien auch hier der großmühige Heinrich, der nie um das bitten wollte, was ihm ein wohlgegründetes Recht zusprach.

Allein was geschah hier? Er mußte der Macht des Gifts, das ihm hier heimtückisch beigebracht ward, unterliegen, und am 20sten October 1139 seinen großen Geist aufgeben; wiewohl andere Schriftsteller, wie bei Rehtmeier S. 26 zu lesen ist, dafür halten, daß er, von Kummer und Schwermuth über tiefe Kränkungen ergriffen, in eine schwere Krankheit verfallen sey, die seinem denkwürdigen Leben ein Ende gemacht habe.

Von Quedlinburg ward die hohe Leiche nach dem Stifte Königslutter gefahren und in dessen Kirche, neben dem Grabmale Lothars, dem Schooße der Erde übergeben. Ueber ihn lieset man im Rehtmeier S. 26 folgende merkwürdige Reime:

 

Herzog zu Bayrn ward ich geboren

Da Kaiser Lotther ward gekorn,

Gar ritterlich stund ich ihm bei

In Krieg und Fried ohn allen Scheu

Da sich Cunrad der Schwab eindrang

Zum Kaiserthum, macht ich ihm bang

 

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245 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 246

 

Drum mir des Kaisers Tochter drat

Von ihm zur Ehe gegeben ward

Gab mir dazu das Sachsenland,

Kaiser Conrad solches thät andt,

Schicket Graff Albrechten an mich,

Doch blieb ich Herr gewaltiglich,

In beiden Landen bei meinem Leben,

Zu Quedlinburg ward ich vergeben.

Dann nach dem Tode Kaisers Lothar

Das Reich an mich wollt bringen gar.

Conradus mich that in die Acht

Doch widerstrebt ich ihm mit Macht.

 

Eben daselbst erhielt auch Lothars Gemalinn, Richenze, im Jahre 1141 ihre Ruhestätte, wie wir in der Steterburgschen Chronik S. 443 und im Chr. Mont. Sereni, S. 17 lesen, wie auch mehrere ältere Inschriften bestätigen. Gertrud, Lothars und der Richenze Tochter, fand hier ihre Grabstätte nicht, indem sie sich nach ihres Gemahls, Heinrichs des Stolzen, Tode, an Herzog Heinrich von Oestreich verheiratete.

Im Jahre 1620 den 14ten Januar ist allein das Grabmahl Lothars geöffnet, und hat man darin eine, sein Leben kürzlich beschreibende, bleierne Tafel, die seit einigen Jahren in Braunschweig aufbewahrt wird, sowie einen Reichsapfel und ein Schwerdt, nebst einem kleinen silbernen Kelche und einer Oblatenschüssel, etwas vom Sporen und ein Stück doppelten Taffet vom Rocke, der bei Eröffnung schön carmoisinroth gewesen, aber darnach gleich verblichen ist, gefunden, wie Friedrich Ulrich Calixt erzählt. Jene merkwürdige Inschrift enthält folgende Worte:

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Denkwuerdigkeiten-1822-Stiftung-Koenigslutter/Schrifttafel-aus-Grabbeigaben-Kaiser-Lothars-III-mit-Kontrastverstaerkung.jpg

 

Lotharius Digra

Romanorum imperatoren Augustus regnavit

Annos XII. menses III.

Dies XII. obiit autem III.

Nonas Decembris vir in

X po fidelissimus verax

Constans pacificus

Miles imperterritus

Rediens ab Apulia sar

Racenis occisis et

Ejectis.

 

Im dreißigjährigen Kriege soll, der Sage nach, das Vieh auf dem Kirchenboden verwahrt, und dadurch die Kirchendecke schadhaft geworden seyn. Dem sey nun wie ihm wolle, so ist dieses wahr: daß das ältere, steinerne Monument, woran mehrere, die Lebensumstände der drei hohen Personen enthaltende, und in Fabricius mehrgedachten Anmerkungen zu lesende Inschriften, nebst den Bildnissen dieser denkwürdigen Großen, zu sehen gewesen, durch Einsturz des Gewölbes gänzlich beschädigt worden ist; daß danach Abt Johannes Fabricius 1708, mit Genehmigung der Fürstl. Klosterrathsstube, durch den Bildhauer Michael Helwig in Helmstedt, ein neues,

 

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247 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 248

 

kunstvolles Denkmahl, und zwar von Nordheimer Alabaster, dessen Fundament schwarz gebeizt ist, hat fertigen lassen, wie auch aus der, an einem Pfeiler zu lesenden Inschrift zu ersehen ist.

 

tl_files/Fotos/Allgemein/Kaiser_Lothar_und_Kaiserin_Richenza/Kaiserdom-Koenigslutter-Grabmal-Lothars-III-Richenzas-und-Heinrichs-des-Stolzen-IMG-9215.jpg

 

Außer diesen hohen Personen umfaßt aber dieses sehenswerthe Gebäude auch die sterblichen Ueberreste von vielen andern angesehenen Vorfahren, Rittern, Adelichen und Aebten, die es für eine ausgezeichnete Ehre hielten, dahin begraben zu werden; und sollen insonderheit mehrere Grafen von Wernigerode, die dem Stifte viel Gutes erwiesen, daselbst ihre Grabstätte haben. Indessen hat der Zahn der Zeit die mehrsten Namen der Personen, deren Bildnisse mit ihren Wappen, - unter denen sich das von Veltheimsche auszeichnet, - in Lebensgröße zu sehen sind, verzehrt, und hat der Verfasser dieses Aufsatzes nur auf einem Bildnisse den Namen und die Jahreszahl, Hans von Hoyren 1597, lesen können.

Unter den sonstigen Merkwürdigkeiten dieser colossalischen Kirche, die 260 Fuß lang, in der weitesten Ausdehnung 88 Fuß breit, bis zum Gewölbe 64 Fuß hoch ist, und für die größte des ganzen Landes gehalten wird, dürfen das kunstvolle Denkmahl des würdigen Abts Fabricius; der merkwürdige Schneckengang des Hauptturms, wohinauf man reiten und fahren kann; die kunstvollen Säulen der ersten Halle in den Kreuzgängen, und das große Orgelwerk, nicht übergangen werden.

Eine der merkwürdigsten Veränderungen, die das Stift in der Folgezeit erlebte, führte die Reformation mit sich.

Herzog Heinrich der Jüngere, der, weil ihm vom Kaiser Karl V. ein großer Theil der Hildesheimischen Stiftslande zugesprochen worden, demselben sehr ergeben, und deshalb mit ein entschiedener Gegner der Reformation war, ja, selbst oberster Feldherr der Ligue, an deren Spitze gedachter Kaiser stand, wurde, suchte auf alle Weise den unaufhaltsamen Fortgang der vermeinten Ketzerei Luthers zu hemmen, und vertrieb, da man sich in Braunschweig weniger an seine Befehle: die angenommenen evangelischen Prediger zu verjagen, kehrte, die neuen Lehrer auf dem Lande mit aller Härte, die ihm den Haß des Landes zuzog und Braunschweig bewog, die Schmalkaldischen Bundesgenossen zu Hülfe zu rufen.

Diese erschienen nun auch im Jahre 1542, unter der Anführung des Kurfürsten von Sachsen, Johann Friedrich, und Landgrafen Philipp von Hessen, mit 15000 Mann Fußvolk und 4000 Reitern. Heinrich flüchtete, sein Land, selbst das feste Wolfenbüttel, ward erobert, und er selbst in dem hitzigen Treffen bei Kloster Höckelem gefangen genommen.

 

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249 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 250

 

Nun ward sofort eine allgemeine Kirchenvisitation angestellt, wobei man sich überall von dem traurigen Zustande der Kirche überzeugte. An der Spitze Johann Bugenhagens, Anton Corvins und des Braunschweigischen Superintendenten Martin Gorolitius, begann man zuerst die Reformation mit dem Stifte Königslutter, wo die Mönche mit ihren Schätzen bereits das Weite gesucht hatten, und ging von da nach Marienthal, Helmstedt u. s. w.

Eine Schule dieses Stifts für erwachsene Jünglinge, wie sie in mehreren Klöstern entstand, nahm ihren Anfang, fand aber auch bald wieder ihr Ende.

Das evangelische Pastorat im Oberndorfe und auf dem Stifte, ward, wie aus einem alten Verzeichnisse der Prediger des Orts zu ersehen ist, einstweilen M. Johann Greifenhagen, Superintendenten in der Stadt, mit übertragen, wo, nachdem der, vom Kloster dahin gewöhnlich gesandte, curatus, - wie eine alte, im Pfarrarchive befindliche, Nachricht besagt, - hatte weichen müssen, schon früher durch obgedachte reformirende Deputation, Herrmann Zeymann, als erster evangelischer Prediger angestellt war. Nach Greifenhagens, im Jahre 1570 erfolgten, Tode wurde aber ein eigener Pfarrer, Johann Kotte, für das Oberndorf und Kloster introducirt, und muß, wie weiter unten bestätigt werden wird, die Gemeinde des Oberndorfs, wegen der Baufälligkeit der Clemenskirche, oder des vormaligen alten Nonnenklosters, gleich, oder bald nach der Reformation, in die Kirche des Stifts verwiesen worden seyn.

Der grauenvolle dreißigjährige Krieg, der auch unser Land furchtbar verwüstete, gestaltete jedoch alles wieder anders.

Denn als nach dem, von dem barbarischen bayerschen General Tilly 1626 über Dänemarks König, Christian IV., bei Lutter am Barenberge erfochtenen Siege, und nach dem, mit diesem Könige 1629 zu Lübeck geschlossenen Frieden, Kaiser Ferdinand II., von Jesuiten bestürmt, den 16. März 1629 das berüchtigte, und für alle evangelischen Glaubensgenossen schreckenvolle, Restitutionsedict erließ, vermöge dessen die Evangelischen alle früher eingezogenen geistlichen Güter herausgeben, und die von ihnen besetzten unmittelbaren Stifter an die Katholiken wieder abtreten sollten, bemächtigte sich auch eine Anzahl von Mönchen des Stifts Königslutter wieder. Denn im obgedachten, im Pfarrarchive dieses Orts befindlichen, Verzeichnisse liest man unter andern: „1624 wurde Siegbertus Sidelius Pastor im Oberndorfe, so zuvor Pastor in Dobbeln gewesen, hat aber 1629 den 7. August, da die Mönche das Kloster wieder eingenommen, aus der Stiftskirchen

 

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251 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 252

 

mit seiner Gemeinde in die Clemens- oder ordinäre Pfarrkirche, weichen müssen, da eine neue Canzel in solche Kirche wieder gemacht worden.“

Allein Schwedens großer König, Gustav Adolph, der preiswürdige Retter Deutschlands und aller evangelischen Glaubensgenossen, die dem Rande des Verderbens so nahe waren, setzte durch seinen heldenmüthigen Geist bald alles wieder in seinen vorigen Zustand, und machte jenes gefährliche Edict unwirksam.

Nach den langwierigen Drangsalen, die der schreckliche dreißigjährige Krieg über unser Land gebracht hatte, suchte der fromme Herzog August die Wunden und Gebrechen des Landes durch viele wohlthätige Anordnungen und Einrichtungen zu heilen. Unter andern erschien 1655 eine Klosterordnung, welche die neue Verfassung der Klöster, die ihrem frühern Zwecke einigermaßen entsprechen sollten, näher bestimmt. Derselben zufolge sollte überall ein Convent, der von Zeit zu Zeit seine Zusammenkünfte hielte, bestehen, und sollte, was das Stift Königslutter betrifft, ein Helmstedscher theologischer Professor, oder ein anderer würdiger und verdienter Geistlicher im Lande, Abt, der Pastor im Oberndorfe und auf dem Stifte, Prior, der Rector zu Königslutter, Subprior, der Rector zu Schöppenstedt, vierter Conventual, und der Klosterpräceptor, 5ter Conventual seyn. Dieser Verordnung zufolge ist denn 1655 zuerst Valentin Hake von Veltheim an der Ohe, nicht allein als Pastor, sondern auch als evangelischer Prior des Stifts eingeführt. In die Schule desselben ward nun auch, jener Verordnung gemäß, den Kindern aus dem Oberndorfe und aus Sunstedt, zu gehen verstattet: und sollten, was mit Abänderung noch geschieht, vier arme Knaben des Orts im Stifte mit Essen und Trinken unterhalten werden.

Unter den traurigen Ereignissen, die sich während der Dauer des Stifts, an diesem Orte zugetragen und ersteres mit betroffen haben, sind einige zu sehr einer wehmüthigen Erinnerung werth, als daß wir ihrer nicht gedenken sollten, und hebe ich deshalb folgende unter ihnen aus:

Herzog Wilhelm I., der Siegreiche genannt, besuchte seinen Schwager, Friedrich in Oestreich, und empfahl sein Land, seine Gemahlinn und Kinder unterdessen seinem Bruder, Heinrich dem Friedliebenden, - auch Lappenkrieg genannt, weil er die damaligen Fehden im Kriege für Lappereien erklärte, - 1473. Allein dieser war treulos genug, Wilhelms Familie aus Wolfenbüttel zu verjagen, und wollte bei dessen Rückkehr das Land nicht wieder herausgeben.

Wilhelm verband sich mit den Bischöfen von Hildesheim, Halberstadt, Magdeburg, einigen Grafen und den

 

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253 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 254

 

Herren von Veltheim. Auf Heinrichs Seite waren Herzog Heinrich der Einäugige zu Göttingen, sowie die Städte Braunschweig und Magdeburg.

Jetzt ward das Land verwüstet. Unter andern, Destedt, Melverode, Stöckheim und Dahlum.

In diesem Kriege ist nun auch, wie Rehtmeier S. 721 erzählt, das Schloß und Städtlein Königslutter verwüstet und zerstört. -

Als dem Herzoge Friedrich Ulrich - 1634, - der im dreißigjährigen Kriege so viele Drangsale erlitt, in der Stadt Braunschweig gehuldigt worden, begab er sich 1613 aus der Stadt, um auch auf dem Lande die Huldigung zu empfangen. Allein hier ward, wie Rehtmeier S. 1194 erzählt, die Freude darüber dadurch sehr verringert, daß Königslutter, welches schon 1571 ganz in Asche gelegt worden war, auf's Neue durch eine furchtbare Feuersbrunst ein Raub der Flammen ward, und dadurch der ganze Ort vernichtet ward.

Mit wehmüthigen Empfindungen würde man alle die Schreckensscenen lesen, welche Tillys Barbarei in der ganzen Gegend und so auch zu Stift und Stadt Königslutter, während des verwüstenden dreißigjährigen Krieges veranlaßte, wenn man sich alle der Reihe nach vergegenwärtigen könnte.

Denn das Elend muß grauenvoll gewesen seyn, indem wir in den mehrgedachten Fabriciusschen Anmerkungen unter andern lesen:

Und hat die gute Stadt durch Feuersbrunst und den wüthenden Krieg viel Elend leiden müssen, maßen sie 1571 und 1613 ganz im Rauche aufgegangen, und 1627, ingleichen 1636 ausgeplündert, und 1640 in solchen Ruin gesetzt worden, daß im halben Jahre kein Mensch oder Thier darin zu finden gewesen, welche Kriegslast auch das arme Kloster mit betroffen und verderbet, daß im besagten 1640sten Jahre, da Herr Friedrich Ulrich Calixt als ein Knab' aus Curiosität nach dem Kloster von Helmstedt ausgeloffen, er die Thüren in der Kirche und allen übrigen Gebäuden offen, etliche Pölke oder junge Schweine auf Zaunstecken gespießet, und keine lebendige Creatur, als einen alten, fast verhungerten, Hund daselbst gefunden.“

In einem dieser Kriege sind auch die Zellen der Mönche vernichtet worden.

Unter den Aebten dieses Stifts, von denen mehrere, in Stein gehauen, in der Kirche zu sehen, sind einige zu wichtig und denkwürdig, als daß man sie mit Stillschweigen übergehen könnte.

(Der Schluß folgt.)

 

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257 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 258

 

Braunschweigisches Magazin. 17tes Stück.

Sonnabends, den 27ten April 1822.

 

Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Stifts Königslutter und der Stifter desselben.

(Schluß.)

 

Bartholdus Kegel – 1431 – der 40 Jahre hindurch Abt gewesen, ist darum bemerkenswerth, daß er das Vorwerk Schickelsheim, das noch jetzt mit dem Stifte eingepfarrt ist, veräußert hat, und darüber die Mönche täglich geklagt und geseufzt haben; so wie, daß ein Theil des Klosterholzes von ihm verschenkt worden, weshalb er eine hölzerne Krone, deren Ueberreste noch vor einigen Jahren zu sehen waren, über seinem steinernen Bildnisse geführt hat, wie Fabricius erzählt.

Doch, der neuesten Zeiten nicht zu gedenken, so war Georg Calixt der berühmteste Abt des Stifts. Er war zu Medelbui, einem Dorfe in Schleswig, den 14ten December 1586 geboren, studirte zu Helmstedt, Jena, Gießen, Tübingen, Heidelberg; unternahm mit Overbeck, einem reichen Holländer, eine Reise nach Holland, England und Frankreich; ward darnach Professsor der Theologie zu Helmstedt und darauf Abt zu Königslutter; schrieb eine Menge Schriften, die Jöcher in seinem Gelehrten-Lexicon aufzählt, und starb den 19. März 1656.

Als geistvoller und gelehrter Mann,

 

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259 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 260

 

dem, wie Mosheim sagt, wenige Theologen seiner Zeit, weder an Gelehrsamkeit noch an Geiste, noch an Rechtschaffenheit gleich kamen, der viel freiere Meinungen hegte, als man damals ertragen mogte; der manche Unterscheidungslehre, welche bis dahin Zwietracht und Kampf unter den Kirchenpartheien erregt hatten, für unwichtig und deshalb eine friedliche Vereinigung für möglich hielt, ohne eine unbedingte Unterwerfung der evangelischen unter die römische Kirche zu beabsichtigen; der zum rechten Verständnisse der heiligen Schrift, die Tradition aus den ersten christlichen Jahrhunderten für einen untergeordneten Erkenntnißgrund der Lehre Christi hielt, dabei aber streng auf evangelische Glaubensfreiheit bestand; der das apostolische Symbolum, in welchem alle Partheien übereinstimmten, für zureichend achtete, um die Grundlehren der christlichen Kirche zu bestimmen, und um den Frieden unter den Partheien herzustellen; als ein solcher Mann ward er bald des Cryptopapismus, bald des Cryptocalvinismus oder der Religionsmengerei beschuldigt, zumal, nach dem Religionsgespräche zu Thoren im Jahre 1645, und wurden seine Schüler und Professoren der Theologie in Helmstedt überhaupt, Syncretisten genannt.

In diesen Streitigkeiten, die seine Schüler fortsetzten, fanden besonders die Wittenberger Theologen kein Schimpfwort zu pöbelhaft, was man daraus schon ersehen kann, daß man zu Ehren Johann Deutschmanns zu Wittenberg ein ungesittetes Possenspiel aufführte, in dem man den würdigen Calixt als ein höllisches Ungeheuer mit Hörnern und Krallen vorstellt, wie Henke in seiner Kirchengeschichte Thl. 4. S. 262 erzählt.

Auch war er es, der den Anfang machte, die Glaubenslehre von der Sittenlehre zu trennen, und jedes besonders abhandelte. Obwohl der von ihm gewagte Versuch dieser Art unvollendet blieb, so ward doch durch ihn die Bahn gebrochen, und wurden Andere durch sein Beispiel ermuntert, die praktischen Wahrheiten des Christenthums ausführlicher und im Zusammenhange vorzutragen.

Sein Sohn, Friedrich Ulrich Calixt, - der nicht die Wissenschaft noch das große Ansehen des Vaters hatte, wohl aber die stärkste Eifersucht, dessen Ehre und Ruhm zu erhöhen, besaß, - ward den 8ten März 1622 zu Helmstedt geboren. Das medicinische Studium, wozu er große Neigung hatte, vertauschte er bald mit der Theologie; ward, nach Vollendung seiner Reisen durch Obersachsen, Böhmen, Oestreich und Ungarn, nach Italien und Frankreich, zum Doctor und Professor der Theologie creirt, womit er nachher das Abt eines Wolfenbüttelschen Consistorialraths und Abts zu

 

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261 Denkwürdigkeiten des Stifts Königslutter 262

 

Königslutter verband; starb den 13ten Januar 1701, und werden seine Gebeine, den Diptychen des Stifts zufolge, seit dem 13ten Februar 1701 in dem, zur Ruhestätte der Aebte bestimmten Gewölbe, in einem großen steinernen Sarge aufbewahrt.

Noch einige Augenblicke wollen wir endlich bei Johann Fabricius verweilen, der viele Gelehrte seines Namens zählt, und nicht mit dem, durch tiefe Gelehrsamkeit und mehrere Bibliotheken berühmten, zu Hamburg 1763 gestorbenen, Johann Albrecht Fabricius zu verwechseln ist.


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Er wurde zu Altorf den 11. Febr. 1644 geboren, wo sein Vater, - der als Prediger zu Nürnberg, als er eben die Worte Sirachs 37, 28: „ein Jeglicher hat seine bestimmte Zeit zu leben,“ erklären wollte, auf der Canzel, vom Schlage betroffen, starb, - damals Professor war. Unser Fabricius studirte zu Helmstedt und Altorf, bereiste 1670 Ungarn, Italien, Frankreich, wurde 1678 Professor der Theologie zu Altorf; 1690 zu Jena; 1697 zu Helmstedt; 1701 Abt zu Königslutter; 1703 Braunschweig-Lüneburgscher Consistorialrath; 1709 Generalinspector der Schulen des Herzogthums Braunschweig; war sehr tolerant gegen die katholische und reformirte Parthei; und wurde deshalb in mehrere Streitigkeiten verwickelt; machte sich um das Stift in mancher Rücksicht verdient; hinterließ viele Schriften, von denen hier die Anmerkungen zu Letzners kurzer Beschreibung des Stifts Königslutter namhaft zu machen sind; starb, nach Angabe der Diptychen des Stifts, den 29ten Januar 1729, und werden seine Gebeine seit dem 4ten Februar 1729 in einem ausgemauerten Gewölbe neben der Stiftskirche aufbewahrt.

K.         B.

 

 

 

Veröffentlicht im Braunschweigischen Magazin des Jahres 1822. 13., 14., 16. und 17. Stück

Die Abhandlung im Braunschweigischen Magazin enthält keine Bilder. Alle Aufnahmen sind nachträgliche Einfügungen.

 

 

 

 

 

 

Anastasius Neander: Chronologisches Verzeichniß der Aebte des Kayserl. Stifts Königslutter im Herzogthume Braunschweig.

Chronologisches Verzeichniß der Aebte des Kayserl. Stifts Königslutter im Herzogthume Braunschweig.

 

Die grossen Landeshistorici, die Herren Meibomii und der fleißige gelehrte Past. Primar zu Grüningen, der seel. Herr Leuckfeld, haben uns verschiedene Historien und Nachrichten von einigen Klöstern des Wolfenb. Landes geliefert, als von Riddagshausen, Marienthal, Marienberg, Schöningen, Michaelstein, Gandersheim, Walkenried, Amelunxborn ec. Von dem ansehnlichen Stifte Königslutter aber haben wir ausser der magern Letznerischen Beschreibung, welche der seel. Herr Abt Fabricius zu Helmstedt, Ao. 1715 in 8vo mit schönen Anmerkungen ediret, wenig. Was die Ursache solchen Mangels sey, mögen andere untersuchen. Zu bewundern ist, daß Herr Abt Fabrice p. 39 sq. Kaum die Helfte der Aebte angeben können. Ich will aus den im Magdeburgischen, Halberstädtischen, und der Mark Brandenburg gesamleten Nachrichten dem geneigten Leser einigen völligern Catalogum der Prälaten dieses Stifts mitteilen. Denn eine weitläufige Klosterhistorie mit Urkunden zu schreiben, leidet der Endzweck dieser Blätter nicht.

 

1. Everhardus. Da das ums Jahr Christi 1110. vom Graf Bernhard von Haldensleben zu Lutter gestiftete Nonnenkloster aufgehoben, und die Nonnen nach dem Kloster Drübeck am Harze versetzt wurden; so gefiel es der gottseligen Kayserin Richense, Lothar Saxonis Gemahlin, im Jahre 1135. alhier ein Benedictinermönchekloster zu stiften: Zu dem Ende obgenanter Abt Everhard nebst 6. Mönchen aus dem Kloster Bergen vor Magdeburg hierher berufen wurde, den Gottesdienst täglich abzuwarten, vor die Kayserliche Herrschaft und des Landes Wohl zu beten, und junge Leute in den Wissenschaften zu unterrichten. Die

 

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Kirche wurde in der Ehre der Heil. Petri und Pauli eingeweihet, und hat nicht nur Pabst Innocentius II. Und der Bischof Rudolph zu Halberstadt, von wegen des Kirchensprengels diese Stiftung confirmiret; sondern Pabst Acriaous IV. Hat auf intercession Herzog Heinrich des Löwen, so Ao. 1155. mit dem Kayser Friderich in Italien war, unserm Abte die Freyheit gegeben, bei Meßhaltung und andern Solennitäten, der bischöflichen Insul und Stabes, auch güldenen Ringes, Pantoffeln und was dazu gehöret, gleich andern hohen Prälaten sich zu bedienen. Der Kayser Lotharius begabete dieses neue Stift unter andern mit einigen Scheffeln Salz zu Lüneburg, dem Orte Lutter mit allem Zubehör, den Waldungen Elm und Brock , dem Dorfe Schickelsen mit 24. Hufen, dem Hagenhofe mit 12. Hufen und dem Zehnten am Elm, dem Dorfe Santersleben mit 21 Hufen, Flöthe mit 17 Hufen, Mehrdorf mit 12. Hufen, Bernstorf mit 12. Hufen, Nienstedt 16½ Hufen, Ingeleben mit 17 Hufen, Börste mit 7 Hufen, Kneitlingen mit 8 Hufen, mit der Wolfesburg, dem Dorfe Kestorp, Bergfeld, Bornum, zu Watensted 5. und zu Alchem 2. Hufen ec. Herzog Heinrich von Sachsen und Bayern schenkte 9. Hufen zu Kneitlingen und den Herzogenberg. Unser kluge und haushalterische Abt Everhard ertauschte mit dem Grafen zu Wernigerode, gegen einige zu weit abgelegene Hufen Landes, den Zehnten vor Lutter, und mit den Nonnen im Kloster Hathmersleben, gegen einige in der alten Mark belegene Güter, den Zehnten auf der Bornumschen Feldmark.

 

2. Henricus 1174. Dieser hat die Dörfer Almecke, Nyendorp und andere Güter zum Stifte gebracht.

 

3. Ao. 1186. hat sich Hauldus Abbas in Luttere unter Bischofs Theodorici von Halberstadt Diplomate mit unterschrieben. S. Leuckfelds antiq. Numar, Halberst. p. 95.

 

4. Aalhardus oder Adelhart. 1190

 

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5. Haoldus 1193. ist auch aus dem Kloster Berge vor Magdeburg hieher beruffen.

 

6. Hinricus.

 

7. Waltherus 1196. Unter ihm hat das Kloster mit den Walkenriedern eine geistliche Brüderschaft errichtet 1215. Leuckfeld Walkenr. p. 235.

 

8. Ao. 1220. kömt Abt Friedrich unter Bischofs Friedrich von Halberstadt Urkunde, als Zeuge vor. Leuckfelds. Antiq. Blankenb. p. 48. und zuvor 1218 stehet er in Bischofs Siegfried von Hildesheim Urkunde als Abbas in Luttere. S. Rethmeiers Braunschw. Chron. p. 1826. und des hochberühmten Sächsisch-Anhaltinischen Hrn. Hof- und Regierungsrahts Leneii Anhang zu des Hrn. Pastor Bothen Petersburgischen Chronic p. 126. Ao. 1219. findet er sich in einem Walkenriedschen Document als Zeuge. S. Leuckfelds antiq. Walkenried. p. 422.

 

9. Ao. 1222, komt Abt Albertus vor in Meibom. Script. R. G. T. III. p. 260.

 

10. Fredericus 1222. hat einige zehntfreye Länderey zu Sunstedt acquiriret.

 

11. Albertus 1225. ertauschet von den Nonnen zu Hathmersleve, gegen einige Güter in der Mark Brandenburg, den Zehnten vor Lelm und 2. Hufen Landes daselbst.

 

12. Hermannus 1237. zu seiner Zeit ist im Frühjahre der Stiftsthurm und die sämtlichen Klostergebäude samt dem Dormitorio, abgebrant.

 

13. Ludolfus 1243. erhält von dem Bischof zu Halberstadt den Zehnten zu Schoderstedt, welches Dorf nachher zerstöret worden, und wovon man noch bey Lutter die Ruderä siehet.

 

14. Ao. 1247. komt Abt Ludolfus vor unter Herzog Ottens von Braunschweig Diplomate, in Leuckfelds antiq. Gandersh. P. I. p. 104. Ao. 1248. hat Bischof Reinhard zu Halberstadt diesem Abte den Schoderstedtschen Zehnten überlassen. S. Reimans Grundriß der Halberst. Histor.

 

15. Lodewicus 1253.

 

16. Johannes 1273. kauft von Herzog Albrecht zu Braunschweig das Heynholz

 

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mit dem Heynberge, samt des Zehnten und aller Gerechtigkeit vor 120. Mark reines Silbers. Erlanget von den dreyen Herzogen Gebrüdern Heinrich, Albrecht und Wilhelm das jus patronatus der Kirchen SS. Fabiani & Sebastiani und Sc. Clementis zu Nieder- und Oberlutter. Item die Capellen zu Rottorp und Sunstedt. Gedachte Durchl. Fürsten schenken auch dem Stifte die Kirche zu Dedeleben, und die Vogtey über 4. Hufen Landes.

 

17. Hermannus 1291. beleget ein Capital gegen jährliche Zinsen bey der Ulrichskirche zu Braunschweig, und kauft von Erenberto de Sunstede die Osterwische. Wasmassen unter diesem Abte, bey der ersten Feyer des Peter Paulsfestes zu Königslutter, und dabey angestelten grossen Jahrmarkte, einige Kaufleute vom Rhein her ein künstlich geschnitztes Wunderbild der Jungfrau Maria dahin gebracht, welches von einem Einwohner zu Kübbeling, dem solches vorher in einem Gesichte geoffenbaret, gekauft, und dem Plebano zu Scheppenstedt in Kübbelingen mit allen Solennitäten niedergesetzt worden; der Herzog Albrecht auch, wie er dem Orte Kübbelingen die völlige Freyheit versprochen, von einer schweren Krankheit wieder genesen, und was nachher vor viele Miracula und Walfahrten zu Kübbelingen fürgegangen, solches kan in der diss. de origine monasterii montis S. Mariae Helmst. beym Leibnitz T. II. S. R. Br. p. 429. sq. nachgelesen werden.

 

18. Renerus de Brunsrode 1295. hat die Kirche zu Rottorp von der Kirche St. Clementis exemt gemacht, doch vorbehältlich des Rechts der Begräbnisse.

 

19. Ao. 1303. kömt Abt Friderich in Meiboms Marienberg. Chron. p. 50. und Ao. 1309. in Budai Leben Alberti II. Ep. Halberst. p. 20. vor.

 

20. Fredericus de Brunsrode, des vorigen Abts Bruder, 1306. kauft zum Stifte eine Hufe Landes zu Thwivelningh, welche jährlich einen Fl. Zinset. Anno 1311. überläst Herzog Albrecht zu Braunschweig gegen

 

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die Güter zu Immenhusen, unserm Stifte die Vogtey zu Schickelsen und Sunstedt, 5½. Hufen Landes vor Lutter und Lauingen, auch eine Mühle beym Herzogenhof in Lutter, alles frey.

 

21. Adolfus 1323. bekömt von dem Herzoge Albrecht gegen Abtretung eines starken Hofes zu Ymmenhusen circa Hartonem (am Harze) die übrigen Güter zu Schickelsen, Sunstedt und Lauingen. Kauft auch von dem Strenuo Bertoldo de Bodbenrode einen freyen Sattelhof in Lutter.

 

22. Thetlevus oder Theodolphus 1327. eximiniret die Capelle zu Sunstedt von der Parre St. Clementis, und des Ritters von Sunstidde daran habenden Rechte. Ermbertus von Sunstedt schenket dem Stifte eine Hufe Landes vor Lutter. Unser Abt ertauschet mit Herzog Otten von Braunschweig, gegen das halbe Schloß Wolfesburg und einen Aussenhof Berghe bey Gardeleben, die Fürstl. Güter zu Borgemestorp, doch mit dem Bedinge, daß der Herzog solche vor 20. Mark feines Silbers wieder einlösen könne.

 

23. Fredericus 1358. erhält einen Hof zu Schlistedt mit 7. Hufen Landes von einem Patricio zu Braunschweig, welcher vorher des Stifts Lehngät gewesen. Der Herzog Magnus von Braunschweig schenket einen Hof zu Wingestede propter salutem animarum suae & conchoralis inclitae Sophiae.

 

24. Anno de Dalem, 1359. verkauft die Güter zu Sandersleben an das Kloster Berge vor Magdeburg vor 160. Mark Stendelschen Silbers.

 

25. Johannes. Unter diesem Abte schenket Hans von Dalem dem Stifte einen grossen Hof und Haus zu Scheninghe am Thore gelegen, um der Seelen Seligkeit willen Borchards von Sunstedte, welchen er vermuthlich entleibet. Allein Herzog Heinrich hat nachher solchen Hof zum Castele oder Schlosse gebrauchet, und jährlich 10. Schilling Erbenzins an das Stift Königslutter gegeben. Unser Abt erhielt auch von Herzog Magno die Befreyung von den Jagd-

 

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gehrungen und Haltung der Jagdhunde, ob salutem animae suae & aliorum Ducum Br.

 

26. Hinricus 1379. hat die Salzgefälle zu Lüneburg auf zwey Leiner vor 120. Mark verkauft. Hans von Dalem schenket um seiner und der Seinigen Seligkeit willen, dem Stifte einen grossen Hof vor dem Wester-Thore zu Lutter, welcher jährlich 10. Braunschweigische Schillinge gezinset. Nachher haben die Herzoge denselben zu den Vestungswerken gezogen.

 

27. Ludolfus Rodestock, eines lutherischen Bürgers Sohn, 1385. Er hat von Jan von Ampeleve eine Hufe Landes zu Kneitlingen gekauft vor 5½. Mark feines Silbers; und ein Klosterbruder Gödecke Ungekisten schenket dem Stifte einen Hof in Esbeck. Er hat nach sechs Jahren resigniret.

 

28. Ao. 1391. ist Abt Heinrich, welcher vor den Halberstädschen Weihbischof, statt Bischofs Ernesti, die Benediction ertheilet, von dem sel. Hrn. Reimann in dem Grundrisse der Halberst. Histor. entdecket.

 

29. Hinricus Coci, al. De Hagen, 1391. hat die Benediction von dem Halberstädschen Suffraganco zu Salzdalen empfangen.

 

30. Bertoldus Kegel, 1393. ist aus dem Stifte St. Blasii von Northeim hieher berufen. Hat sich um die Reparation der verfallenen Klostergebäude sehr verdient gemacht. Ao. 1408 schenken die Herzoge zu Braunschweig Heinrich, Albrecht und Wilhelm unserm Stifte das Jus Patronarus über die Pfarren in Unter- und Oberlutter. Ao. 1415. schoß Pabst Johannes XXIII. Den Bannstrahl wieder diejenigen aus, so sich an des Klosters Güter vergriffen, und gab den benachbarten Bischöfen Vollmacht, mit der Kirchencensur den Harpygen Einhalt zu thun. Ao. 1416. legirete ein Herr von Werberg, Burgmann zu Sommerseburg, einem Altare unsers Klosters den Zins von 2. olden Pundt Penningen. Ao. 1423. verehrete Graf Heinrich zu Wernigerode 3. Hufen Landes vor Winnigsted und 3. Höfe daselbst. Ao. 1427. consentiren diese Grafen,

 

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deren einige alhier begraben worden, in den Verkauf eines Hofes und Wiesen zu Rottorf. Da das Stift um diese Zeit, anstatt 80. Ordensbrüder, kaum 12. bis 16. erhalten können, so hielt Abt Bertold Ao. 1428. bey Pabst Martino um die Concession an, daß die beyden Pfarrkirchen St. Clementis in Oberlutter und St. Sebastiani in villa Lutter eingezogen, und deren Revenüen zu Verbesserung der Klostergebäude mögten angewendet werden. Er vertauschte auch mit denen von Mahrenholz, das Holz den Gerling genannt gegen einen Hof in Nordsteimke. Starb 1431. am Tage Laurentii und ist sein Epitaphium in den Letzner-Fabricischen Nachrichten zu lesen. Weil er ein ziemlich Stück von der Klosterholzung verschenket, auch 24. Hufen Land an die Herren von Wefferling um ein Bagatell alieniret, hat man ihm über das steinerne Epitaphium eine hölzerne Crone gesetzet, und ist lange Zeit in den Messen eine Exarationsformul wieder diese Alienation abgelesen worden. Vid. Polyc. Leyseri observ. Histor. diplomaticae.

 

31. Hinricus Wytingh, 1431. hat 3. Thüren wieder gebauet, ein Castel in dem Elm angeleget, und die verfallenen Kloster-Höfe zu Kneitlingen, Ingeleben und Schlisted repariret. Wasmassen unter ihm der Ort Königslutter Ao. 1432. zerbrochen und geplündert, solches kan in Spangenbergs Saxon. p. 533. nachgelesen werden. Er hat 29 Jahre regieret, und von Hartwig von Uetze die Ländereyen vor Cletlingen im Stifte Halberstadt cum cons. Episcopi acquiriret.

 

32. Boldewinus de Monte s. Von dem Barghe, 1460. war vorher Prior in dem Michaeliskloster zu Lüneburg, welche Stelle er auch zu Lutter anfangs bekleidet. Er bekam als Abt die Benediction in der Ulrichskirche zu Braunschweig, und hielt mit Rossen und Wagen einen fast Fürstlichen Einzug in das Stift Lutter. Da er sehr prächtig und locker lebte, so versetzte er viele Klosterzebenten und liegende Gründe, borgte auch ein Capital nach dem andern auf, als von

 

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dem Kloster Marienberg vor Helmstedt, von Wasmod von Steimcke, Domherrn zu Magdeburg, dem Dechant St. Cyriaci, einem von Daghevorde, von Günzel, von Veltheim, von dem Raht zu Lutter, von dem Aegidienkloster zu Braunschweig und vielen andern Privatis. Ein Goldschmidt machte aus einem massiv guldenen Klosterkelche einen Kupfernen, den er verguldete. Der Abt ertauschte mit denen von Wenden gegen einige Güter zu Niensted und Ingeleben, das Dorf Stemke in dem Hasenwinkel, wo er Fortificationswerke anlegen lies. Seinem Bruder Dirik de Monte lies er eine Burg zu Lynthorst im Lüneburgischen, auf Kosten des Klosters bauen. Mit dem Ritter Gotschalck von Veltheim zu Harbke fing er eine Fehde an, und beyde Partheyen thaten einander viel Schaden, bis Herzog Wilhelm von Braunschweig sich ins Mittel schlug, und Friede machte. Doch spielte er nachher allerhand Machinariones, um dem von Veltheim die Burg Harbke aus den Händen, und seinem Anverwandten Dirick von Mahrenholz zuzuspielen. Allein die von Veltheim waren zu klug und zu tapfer. Von seinem Ende schreibt Joh. Jac. Franco, nachmaliger Abt zu Lutter: Tandem senio confectusde rendens ad puerilitatem, decimo septimo anno sui reguninis, resignans abbaciam suam spont ad manus Capiruli, relinquens tam spiritulia quam temporalia confusa, & pauper monasterium suo successori.

 

33. Johannes Herforth, 1477. war vorher Mönch in dem Aegidienkloster zu Braunschweig, hat auch die Gabe gehabt, das Kloster mit ansehnlichen Schulden zu belästigen. Zu seiner Zeit ist ein Bürger zu Lutter in Entzückung gerahten, und haat bey dem Herzogenhof viele längst verstorbene Edelleute gesehen, in welchem Schrecken er ein Creutz vor sich geschlagen, ist aber an einen Zaun gefallen, und beschädigt worden. S. Chronic. St. Aegid. Beym Leibnitz T. III. p. 599. Ao. 1476, ist die Clus vor Lutter den Kirchen zum Besten eingeweihet worden, doch

 

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nicht den Pfarrkirchen in Blecke (oder Flecken Lutter) zum Nachtheile, und soll was an Flachs, Wolle, Wachs, Geld und sonst geopfert wird, der Pfarrkirche bleiben, und die Clus nur so viel davon nehmen, als zu ihrer Erhaltung nöhtig seyn mögte.

 

34. Hinricus Gercken 1491. von Hannover gebürtig, ist aus dem Kloster Huyseburg hieher berufen, ein Mann von gottseligen und anständigen Wesen. Ao. 1493. trat unser Kloster in die Bursfeldische Congregation. S. Leuckfeld p. 105. Er starb in dem Aegidienkloster zu Braunschweig Ao. 1503. und sein Epitaphium stehet in den Letzner-Fabricischen Nachr.

 

35. Joh. Jacob Franco, 1503. ist aus dem Kloster Ammersleben nach Königslutter gekommen, ein frommer, weiser und gelahrter Mann, der ein kleines Chronicon von dem Stifte Königslutter zusammen getragen. Herzog Heinrich von Braunschweig that in das Stift Lutter einen feindlichen Einfall, und lies unter andern den Koch, Nahmens Lüdecke Koch, nebst dessen Frau nach dem Schlosse Schöningeen gefangen führen, und die Ordenspersonen musten stark an Gelde bluten. Nachdem dieser Abt 38 Jahre dem Stifte löblich fürgestanden, so entschlief er in dem Herrn Ao. 1540. am Tage Georgii. Sein Epitaphium stehet in L. F. Nachr. p. 39. Ao. 1523. am Tage Margareten verkaufen Johannes von Gottes Gnaden Abbet, Siffridus Prior, Joh. Appel Senior und de ganze Convent des Klosters der hilligen Aposteln Petri und Pauli tho Könnigslutter Ordens Sancti Benedicti, Halberstadisches Stifts, wiederverkäuflich, Lippolte von Steimbeck den Fleischzehnten uf seinem freyen Hofe, gelegen hinter der Burg, und beneben die Kothhöfe uf seinem Hofe, mit der Walke und Zingelmühlen, vor 30. Rheinsche gute Gulden. Weswegen nachher Abt Ludewig Ao. 1569. mit denen von Mahrenholz, als Acquirenten der Steinbeckschen Güter einen Proceß gehabt.

 

36. Antonius à Lockum, ist gestorben 1554.

 

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Sein von dem Abt Ludewig und dem Convent ihm nachher gesetztes Epitaphium stehet in den L. Fabr. Nachr.

 

37. Gerhard Ratinck, von Werden an der Ruhr, war anfangs Probst des Klosters St. Lüdgeri vor Helmstedt, nachher Abt bey unserm Stifte. Er starb Ao. 1564. am Tage Severini Episc. Und ist sein Epitaphium in L. Fabr. Nachr. p. 39. nachzulesen.

 

38. Ludovicus, hat der Abtey 17. Jahre rühmlich fürgestanden, da er vorher in seiner Vaterstadt zu Werden Mönch gewesen. Er hat den hohen Chor gegen Norden Ao. 1566. bauen lassen, und von Hilmar von Sambleben Erben, einige Länderey auf der Schoderstedtschen Feldmark, (welches Dorf in Kriegeszeiten gänzlich verheeret und die verringerten Einwohner in Königslutter sich nachher niedergelassen.) und bey Lutter ans Stift gebracht, auch mit dem von Marenholz wegen des Fleischzehntens proceßiret. Kurz vor seinem Ende gieng die Stadt Lutter durch einen unglücklichen Brand im Feuer auf. Er starb Ao. 1571.

 

Nach der Reformation Lutheri

 

39. Gerhardus Gladenbach. Da sein Antecessor Ludewig Ao. 1565. dem Wolfenbüttelschen Vicecanzler D. Ludolf Halvern, den Mönchehof mit 21. Hufen zu Santersleben ohnweit Alvensleben im Stifte Magdeburg, vor 300. Rthl. Auf 3. Leibe verschrieben hatte, indem die Coloni nur von jeder Hufe ein Magdeburgisch Schock oder einen Ortsthaler davon jährlich gezinset, und oft gar nichts eingekommen, der D. Halver aber das Geld nicht erleget hatte; so setzte dieser Abt Gerhard heftig wieder solchen Scheincontract, und that Ao. 1586. so wohl bey dem Administrator zu Magdeburg, als dem Herzoge zu Braunschweig desfals nachdrückliche Vorstellung. Er hat sich auch sonst um das Stift sehr verdient gemacht. Da die Zehntpflichtigen Leute zu Königslutter, Bornum

 

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und Lelm die List gebrauchten, daß sie die Stiege, welche sie von Osten nach dem Westen zu Zehenden gaben, mit dem bösesten, durchwachsensten und untauglichsten Garben belegten, und dem Kloster solch Gras und Drespen obtrudirten, auch, ohne auf den Zehentmahler zu warten, ihr Korn bey Nacht und Nebel spät oder frühe wegfuhren, so würkte unser Abt Ao. 1576. und 1581. bey Herzog Julio zu Braunschweig ein geschärftes Poenalmandat wieder solchen Unfug aus. Sein Epitaphium stehet in L. Fabr. Nachr.


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Einfügung zu Abt Gerhard Gladenbach: P. J. Meyer beschreibt das Epitaphium in den Bau- und Kunstdenkmälern des Herzogthums Braunschweig 1. Band 1896 auf S. 221: „Gute Arbeit in Kalkstein; einzelne Theile sind in neuerer Zeit gewaltsam ausgebrochen worden. Die jetzt fehlende Grabinschrift ist bei v. Uffenbach, Reisen S. 270 angegeben:

Morte refert vitam Christus: qui credit in ipsum,

Vivet in aeternos post sua fata dies. (Der Pentameter noch erhalten)

Mortem non metuo, quia Christi funera vivo.

Mors nihil in Christi funere iuris habet.

Fürm Tod ich mich nicht fürchten thu,

Denn Christi Sterben ist mein Ruh.

Wer seine Hoffnung auf Christum stellt,

An dem der Tod kein Recht behält.“

 

 

40. Gerhardus Coci, ist Ao. 1599. verstorben.

 

41. Wilhelmus ab Heithusen, von Werden gebürtig. Er hat den hohen Chor gegen Mittag Ao. 1610. bauen lassen, und ist den 19. Nov. 1612. in die Ewigkeit gegangen.

 

42. Jodocus Rolef, läst Ao. 1614. den Creutzgang und Kirche renoviren, wozu die Herren von Mahrenholz und andere gutherzige Leute etwas hergeschossen. Er erlebte das Unglück, daß nicht nur Ao. 1613. die ganze Szadz abermal im Feuer aufgieng, sondern auch der Landverderbliche dreißigjährige Krieg in diese Gegend kam, da denn 1627. und 1636. dieser Ort von den streiffenden Partheyen ausgeplündert und in solchen desolaten Stand gesetzet worden, daß, da der sel. Abt Friedr. Ulr. Calixt, als ein Knabe Ao. 1640. aus Curiosität von Helmstedt hieher gekommen, er die Thüren in der Kirche und allen übrigen Gebäuden offen, etliche junge Rinder auf Zaunstacken gespiesset, und keine lebendige Creatur als einen verhungerten alten Hund daselbst gefunden. Daher sich auch unser Abt nach Braunschweig in Sicherheit begeben, und daselbst Ao. 1635. den 16. Dec. in vieler Kümmerniß verstorben, im 85. Jahre seines Alters, und 23ten der Abtey. Nach ihm wurde zum erstenmale ein Professor Theol. Zu Helmstedt der Köni gslutterschen Abtey fürgesetzt, nemlich

 

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43. D. Georgius Calixtus, einer der größten Theologorum voriges Jahrhunderts, dessen Schriften ich unter meine cimelia litteraria rechne, und die bey allen, so von der neumodigen Heuchel- und Phantastentheologie nicht bezaubert sind, ihren hohen Wehrt behalten werden. Sein Leben ist sowohl in besondern Programmatikbus, Orationibus und Predigten, als in den Gelehrten-Lexicis und Biographiis ausführlich beschrieben. Er starb Ao. 1656. den 19. Mart.

 

44. D. Frid. Ulricus Calixtus, ein würdiger Sohn und Successor in den Bedienungen des vorigen. Starb Ao. 1701. Sein Leben ist gleichfals besonders und in den gelehrten Lexicis zu lesen.

 

45. D. Joannes Fabricius, gleichfals ein berühmter Theologus und Polyhistor in Helmstedt, der sich nichtnur durch seine gelehrte Schriften, besonders der Bibliotheca Fabriciana, sondern auch durch das dem Kayser Lothario gelegte prächtige alabasterne Monument in der Stiftskirche zu Lutter, ein unvergeßliches Andenken erworben. Ich will die Insciption davon hieher setzen: Fortissimus Imperator LOTHARIVS II. Conditor hujus templi & coenobii cum RICHENSA Coniuge & HENRICO Superbo seu Magnanimo, suo genero, Heic quiescit, resurrectionem exspectans Monumentum Caesareum sub felici regimine Seren. Antonii Ulrici Ducis Br. & Luneb. Ex integro restaurabatur A. C. MDCCIIX. à Joanne Fabricio, Abbate. Die auf einer bleyernen, in dem Ao. 1620. geöfneten und spoliirten Kayserlichen Sarge gefundenen Tafel befindliche Aufschrift lautet also: Lotharius DIGRA Romanorum Imperator Augustus regnavit annos annos XII. menses III. Dies XII. obiit autem III. Nonas Decembris; Vir in Xsto fidelissimus, verax, constans, pacificus, miles imperterritus, rediens ab Apulia Saracenis occisis & eictis. Herr Abt Fabricius starb 1729. den 29. Jan.

 

46. Christoph Timotheus Seidel, Doct. Und Prof. Theol. zu Helmstedt, jetziger

 

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Hochwürdiger Abt zu Königslutter, dessen tieffe Einsicht theologische Beredsamkeit und exemplarischer Lebenswandel, dem Hochlöblichen Clostercollegio, der Akademie, und jedermann bekannt sind.

 

Anastasius Neander.

 

 

 

Veröffentlicht in: Zugabe zu den Hannoverschen Gelehrten Anzeigen vom Jahre 1752. XIV. S. 157 – S. 170

 

 

 

 

 

 

 

Die Stiftskirche zu Königslutter.

(Nebst art. Beilage.)

 

Bereits in Nr. 8 des ersten Jahrg. dieser Blätter wird auf den hohen Werth und den Reichthum der Alterthümer Braunschweigs aufmerksam gemacht und auf deren Besprechung im Cölner Domblatte, Jahrg. 1844, Nr. 113 u. 114, verwiesen. Leider steht mir eine Einsicht des Domblattes nicht zu Gebote; ich vermuthe aber, dass daselbst nur von den Alterthümern der Stadt, nicht des Landes Braunschweig die Rede sein wird. Desgleichen ist auch in einem in der Ramdohr‘schen Hofkunsthandlung zu Braunschweig erschienenen und der siebenten General-Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure gewidmeten Werke: „Die mittelalterliche Architektur Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung, mit acht lithogr. Grundrissen, erläutert von Dr. Schiller“ – eigentlich nur die Architektur der Stadt besprochen, von der Umgebung aber nur die zwei Kirchen zu Riddagshausen *) und zu Melwerode; und dennoch enthält auch das übrige Land noch manche äusserst wichtige Denkmäler der Vorzeit. Eins der grössten, ältesten und hinsichtlich seiner Architektur vortrefflichen Gebäudes des Mittelalters ist schon ein in meiner Nähe befindlicher Prachtbau des 12. Jahrhunderts, im reinen Rundbogenstyle aufgeführt und besterhalten, die ehemalige Stiftskirche St. Peter und Paul zu Königslutter, an der Strasse zwischen Braunschweig und Helmstedt, drei

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*) S. Nr. 5 Jahrg. III d. Org. Die Red.

 

 

Meilen von ersterer, 1 4/5 Meile von letzterer Stadt gelegen.

 

Durch die Güte eines Freundes, dem ich auch alle angegebenen Maasse verdanke, bin ich in den Besitz eines genauen Grundrisses und Durchschnittes etc. gekommen; es möge mir daher verstattet sein, so weit dies mir als einem Laien in der Architektur möglich ist, die Aufmerksamkeit von Freunden der Kunst und des Alterthums auf dieses herrliche Bauwerk hinzulenken.

 

Die Gegend um Lutter ist eine der fruchtbarsten und freundlichsten des Braunschweig‘schen Landes. Das Städtchen mit etwas über 3000 Einw. dehnt sich in der Ebene am Fusse eines Vorsprunges des Elmgebirges, eines etwa 3 Meilen langen Buchenwaldes aus, und lehnt sich in seinem obern, südöstlichen Theile, der sog. Stiftsfreiheit und Oberlutter an eben diesen Hügel an, auf dessen Höhe die stattliche Stiftskirche mit drei Thürmen thront und weithin die Gegend beherrscht. Der Name Lutter wird von einem etwa tausend Schritt oberhalb des Klosters entspringenden Bache hergeleitet, der von seinem reinen, lautern Wasser, in niedersächsischer Mundart luter = lauter, die Lutter heisst, welcher Name auf Stadt und Kloster überging, später aber zu Ehren König und Kaiser Lothar‘s II., der in der Stiftskirche auch seine Ruhestätte fand, in Königslutter geändert wurde.

 

An der Stelle der jetzigen Kirche und Klostergebäude befand sich ursprünglich ein Augustiner-Nonnenkloster, was nach kaum hundertjährigem Bestande,

 

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und nachdem die Nonnen anderswohin versetzt waren, von Kaiser Lothar II. in ein Benedictiner-Mannskloster umgewandelt, neu fundirt und statt der bisherigen Gebäude ein neuer prachtvoller Bau sammt Kirche aufgeführt wurde. Die kaiserliche Fundationsurkunde datirt vom 1. August 1135. Die kirchliche Bestätigung der mit dem frühern Kloster Lutter vorgenommenen Veränderung, sowie der neuen Stiftung erfolgte vom Diözesan-Bischof Rudolf von Halberstadt (1135–1151) und von Papst Innocenz II. (1130–1143). Die Einweihung der Kirche geschah von demselben Rudolf von Halberstadt zu Ehren der beiden Apostel Petrus und Paulus. Schon der erste Abt des Klosters, Everhardus, erhielt von Papst Adrian IV. i. J. 1155 auf Verwenden Herzog Heinrichs des Löwen, der mit Friedrich Barbarossa in Italien war, das Recht, bei gewissen Feierlichkeiten sich der bischöflichen Insignien bedienen zu dürfen.

 

Kaiser Lothar starb i. J. 1137 auf der Rückkehr von Italien am 3. December (III. Nonas Decembr., wie eine im Grabe Lothar‘s i. J. 1620 gefundene bleierne Tafel besagt) in der Nähe von Trient und wurde den 31. desselben Monats im Schiffe der Stiftskirche zu Königslutter beerdigt. Zu seiner Rechten ruhet seine i. J. 1141 gestorbene Gemahlin Richenza, Tochter Heinrichs des Fetten, Herzogs zu Sachsen und Grafen zu Nordheim; zu seiner Linken der Schwiegersohn beider, der i. J. 1139 oder 1140 auf einem Fürstenrathe zu Quedlinburg gestorbene Herzog zu Baiern und Sachsen, Heinrich der Stolze, Vater Herzog Heinrichs des Löwen. Alle drei deckt ein etwa 2½ Fuss über den Fussboden erhöhetes Grabmal aus weissem Alabaster, die Bildnisse derselben liegend, in ganzer Figur und in erhabener Arbeit vorstellend. Eine schmucklose Holzeinfassung umgibt und schützt diess Kaisergrab.

 

Die wenigen geschichtlichen Notizen, die ich in Betreff des Kirchenbaues habe auffinden können, beschränken sich auf folgende:

 

1) Das Jahr der kaiserlichen Stiftungsurkunde 1135 scheint das Jahr der Vollendung und Einweihung der Kirche zu sein, da der consecrirende Bischof Rudolf erst nach der zweiten Entsetzung Bischof Otto‘s des I. i. J. 1135 auf den Stuhl von Halberstadt gelangte, Kaiser Lothar aber bereits i. J. 1137 im Schiffe der Stiftskirche seinem Willen gemäss seine Ruhestätte finden konnte.

 

2) Zur Zeit des 10. Abtes, Hermann (1230, 1237), brannte der frühere Stiftsthurm und die sämmtlichen Klostergebäude ab.

 

3) Abt Heinrich Wytingh (1431 – 63) hat drei Thürme wieder erbauen lassen.

 

4) Abt Johann Jacobi (1503–1540) schaffte für die Kirche eine schöne Orgel an.

 

5) Abt Ludwig erbauete i. J. 1566 den hohen Chor gegen Norden, und Abt Wilhelm von Heithusen i. J. 1610 den hohen Chor gegen Mittag.

 

6) Im Jahre 1620, den 14. Januar, wurde allein das Grab Lothar‘s geöffnet. Man fand darin eine sein Leben kurz beschreibende bleierne Tafel, einen Reichsapfel von Blei und ein Schwert, etwas vom Sporn, so wie einen kleinen silbernen Kelch nebst Paten. Letztere beiden Gegenstände wurden bei Gelegenheit einer Reparatur der Klosterkirche zur Zeit Abt Georg Calixts (starb 1656) verkauft.

 

7) Im dreissigjährigen Kriege soll das Vieh auf dem Kirchenboden verwahrt und dadurch die Kirchendecke schadhaft geworden sein. Um das Jahr 1692 stürzte denn auch wirklich das Gewölbe des Mittelschiffes ein und zerschlug, ausser mehren an den Sockeln der Pfeiler noch sichtbaren Beschädigungen, das ältere kaiserliche Grabmonument mit den Bildnissen der drei hohen Personen von geneinem Stein. Das Kirchengewölbe wurde von 1693–1695 hergestellt, das Kaisermonument auf Betrieb des Abts Fabricius durch den Bildhauer Michael Helwig aus Helmstadt von Nordheimer Alabaster auf schwarzem Fundamente i. J. 1708.

 

8) Die letzte Restauration i. J. 1835 hat das nördliche Hauptportal erneuert, im Innern aber mit allen spätern nicht gehörigen Zuthalen gründlich aufgeräumt.

 

Gehen wir nun zur Besichtigung und Beschreibung des hehren Gebäudes selbst über. Die Kirche die zweitgrösste des Braunschweig‘schen Landes, hat im Aeussern incl. Thurmbau und Absis eine Länge von 263 Fuss braunschw. Werkmaass (l = 126,5 paris. Lin.) und eine Breite von 90 2/3 Fuss in den Schiffen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt ist sie mit drei Thürmen von fast gleicher Höhe geziert, von denen zwei am Westende, einer über der Vierung zwischen Chor und Schiff der Kirche sich erheben. In einem der Westthürme führt statt der Treppe ein 5 1/3 Fuss breiter Wendelgang bis zur Höhe des Kirchengewölbes über dem Hauptschiffe. Von vollendeter Schönheit und überraschender Wirkung ist die Ostseite des Gebäudes mit seinen fünf Absiden, einer Hauptabsis und je zwei Nebenabsiden zu beiden Seiten.

 

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Die Hauptabsis hat im untern Bogenfries Jagdmotive. Anfang und Schluss bildet ein auf dem Horne blasender Jäger; sodann folgen, wenn man an der Ründung von Nord nach Süd fortschreitet, nachstehende Darstellungen: ein Wolfshund; der Hund fasst einen Hasen; der Jäger trägt den gefangenen Hasen am Stocke; der Jäger liegt rücklings am Boden, von zwei Hasen gebunden, welche eben die Schlinge um den Händen zuschürzen; dann ein Hirsch; ein Wolf oder Wolfshund; der Hund hat ein Schwein angefallen; blasender Jäger wie zu Anfange. Zwischen je zwei Darstellungen ist allemal eine Rosette eingelegt. Die Nebenabsiden haben Würfelfries mit darunter befindlichen romanischen Bogen.

 

Die Hauptlangseite des Gebäudes ist die der Stadt zugekehrte Nordseite desselben mit zwei Portalen. Das jetzige Hauptportal war früher durch eine ein- und vorgebauete gothische Capelle verdeckt. Bei der letzten Restauration ist die Capelle abgebrochen und das sehr beschädigt gefundene Portal in früherer Weise erneuert. Es wird gebildet durch eine Rundbogenvertiefung; in den Vertiefungswinkeln der Portalwandung sind sechs freistehende Säulen angebracht, von denen zwei gegenüberstehende sich allemal gleich, aber von den nebenstehenden verschieden sind. Das zweite, untere Portal, fast am Ende des Schiffes derselben Nordseite, ist von einfacherer Construction und wird durch einen Hauptrundbogen gebildet, der sich auf 2 Rundbogensegmente stützt, die von 2 freistehenden byzantinischen gewundenen Säulen von 7 Fuss Höhe getragen werden, und mit ihren Sockeln auf 2 ruhenden Löwen stehen.

 

Der Unterbau der beiden Westthürme bildet ein einfaches Oblongum ohne alle Vorlage, dessen Höhe 90 Fuss 2 Zoll incl. Sockel und Gesims ist. Die beiden darauf ruhenden Achtecke sind, nachdem sie bis zu einer Höhe von nur 15 Fuss 10 Zoll fortgeführt, mit einem Helmdache gedeckt, das bis zur Oberkante des über der Fahne befindlichen Kreuzes 70 Fuss hoch ist. Der über der Vierung der Kreuzflügel erbauete Thurm ruhet auf einem Viereck, das sich über die Oberkante des Kirchengewölbes um 19 Fuss 9 Zoll erhebt und ein Achteck trägt, dessen jede Seite bei einer Breite von 16 Fuss 9 Zoll um 29 Fuss über die Dachfirst des Mittelschiffes steigt und mit einem Fries versehen ist, welches die Bilder der Patrone Petrus und Paulus mit Schlüssel und Schwert enthält. Das Helmdach bis Oberkante der Fahne misst 84 Fuss.

 

Die ehemaligen Klostergebäude, soweit dieselben noch erhalten sind, liegen auf der Südseite der Kirche. Besonders bemerkenswerth als eine Hauptschönheit des ganzen Baues und von ungemeiner Lieblichkeit ist hier der unmittelbar an die Südseite der Kirche sich anlehnende und im Grundrisse mitgegehene Säulengang. Zehn ungemein zierliche und äusserst sauber auch in den Schäften ausgearbeitete Säulen halbiren der Länge nach die 100 Fuss lange und 16 Fuss 6 Zoll breite Halle, zu deren Anfang und Ende zwei Pilaster in Gestalt von zwei gebückten männlichen Figuren als äusserste Stützen stehen. Die Sage erzählt, dass bei Anfertigung der Säulen dieser Halle Meister und Geselle einen Wettstreit in der Art unternommen, dass der Geselle den Meister allemal bei Anfertigung der folgenden Säule habe übertreffen wollen, und, da dies gelungen, habe der erstere den letzteren bei der Bearbeitung der letzten Säule aus Neid erschlagen, wesshalb auch eine der Säulen in ihrem Schafte unverziert geblieben sei. Die beiden Pilaster an den Enden des Säulenganges sollen nun eben den Meister und seinen Gesellen vorstellen. Jede der Säulen zeigt sich auch von den übrigen verschieden ornamentirt. Die Seitenwand der Halle ist zwischen je zwei Säulen durchbrochen und enthält neun romanische Rundbogenfenster mit allemal verschiedenen Ornamenten und je zwei Theilungssäulen. Leider befindet sich dieser Säulengang gegenwärtig in sehr bedrohlichem Zustande und bedarf schleunigster Reparatur, wenn die Gewölbe nicht einstürzen und die Säulen zertrümmern sollen.

 

Tritt man nun, nach Besichtigung des Aeussern, in das Innere dieses hehren Tempels ein und nimmt seinen Standpunkt unter der am Westende befindlichen Orgel, so überschauet man mit einem Blicke den grossartigen Bau in seiner ganzen Längenausdehnung von 228 Fuss im Innern, bei einer Breite von 79 Fuss in den Schiffen und einer Gewölbehöhe, in dem Hauptschiffe von 62 Fuss 2 Zoll, in den Kreuzflügeln von 65 Fuss 6 Zoll vom Fussboden der Kirche ab.

 

Die einzige in der Kirche noch befindliche Unzierde ist die auf vier mit byzantinischem Sockel und corinthischen Capitälen versehenen Holzsäulen erbauete Orgeltribüne. Das ganze Gebäude steht sonst in voller Reinheit seines Styles da. Die Pfeiler des Schiffes zeigen im Grundprofile ein einfaches Quadrat ohne Vorlagen, wodurch eine horizontale Balkenbedeckung angedeutet ist. Doch wurde auch das Schiff überwölbt, wobei man die Quergurte auf ausgekragte Pilaster stützte, welche nur bis auf den Würfelfries über den Arkaden herabgehen.

 

 

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Nur die zwei untern Pfeiler der Nordseite haben auf der dem Portale zugewandten Seite, wie die Portalwand selbst Vorlagen, um Guergurte zum Schutze für die hier durch das Portal geschwächten Mauern zu tragen. Die Grundprofile der Kreuzflügelpfeiler haben dagegen Kreuzform, deren Vorlagen die Gurte der Wölbung aufnehmen. Den Schluss des Hauptschiffes unter der Orgel im Westen bildet eine später eingesetzte schlichte Querwand. Die beiden durch diese Scheidewand halb verdeckten Pfeiler zeigen wieder Vorlagen wegen des darauf ruhenden Thurmbaues, und der hinter der erwähnten Scheidewand befindliche, in gleicher Breite und Höhe mit dem Hauptschiffe überwölbte Raum stand ursprünglich unzweifelhaft in unmittelbarer Verbindung mit dem Schiffe und verlängerte dasselbe noch um etwa 20 Fuss. Gegenwärtig ist dieser Raum der Höhe nach in zwei Hälften getheilt, wovon die untere als Todtenkammer dient, die obere die Bälge der Orgel enthält.

 

Die Breite des Mittelschiffes zwischen den Pfeilern beträgt 35 Fuss 5 Zoll; die beiden Seitenschiffe haben halbe Breite und halbe Höhe des Mittelschiffes. Im Hauptschiffe sind einfache Gradbogengewölbe, welche in ihrem Schlusse eine horizontale Linie bilden, im Chore und in den Kreuzflügeln aber eine leichte Neigung haben; in den Seitenschiffen zeigen die Quergurtbogen schon den Spitzbogen mit Ribben. Dass über den Arkaden der bekannte Würfelfries herläuft, wurde schon erwähnt.

 

Von ungemein günstiger Wirkung ist die Choranlage, zu der man von den Kreuzflügeln nur um zwei Stufen oder 1 Fuss 3 Zoll ansteigt. Die Mittelpfeiler des Chores haben zwei freistehende, ohne den Sockel 16 Fuss hohe Säulen mit reich und kunstvoll verzierten Kapitälen zu Vorlagen. Zum Altare selbst steigt man nochmal um 3 + 1 Stufe an. Der Altartisch ohne Ueberbau ist neu von Stein aufgeführt und an den Seiten mit romanischen Bogen geziert. Auf der schlichten Platte desselben steht ein schwarz angestrichenes hölzernes Kreuz mit dem Christusbilde davor von Gyps, umgeben von vier hölzernen Leuchtern. Die Hauptabsis hat drei (im Grundrisse nicht angedeutete) Fenster mit zum Theil farbigem Glase. Die vier Seitenabsiden haben je ein Fenster.

 

Die neueste Restauration vom Jahre 1835 hat alle spätere Zuthat und Verunstaltung der Kirche daraus entfernt. Vorn beim Aufgange zum Chore befindet sich nur noch ein i. J. 1614 aus Stein gehauener und mit Inschriften versehener Taufstein in (achteckiger) Kelchform ohne Deckel; etwa fünf Fuss dahinter ein wie der Hauptaltar verziertes Oblongum von Stein, was als sog. kleiner Altar oder Lesepult dient; an einen der Chor- und Kreuzflügelpfeiler lehnt sich die kleine hölzerne Kanzel auf einer Säule stehend. Zwei Epitaphien sind noch an der innern Portalwand des Kreuzflügels und eins, das des berühmten Fabricius, an der gegenüberliegenden Wand der Sacristei übrig geblieben. Die für die etwa 1000 Seelen starke Gemeinde von Oberlutter (Unterlutter hat seine eigene Pfarrkirche) bestimmten Kirchenstühle nehmen nur die Kreuzflügel und den Raum zwischen diesen und dem schon erwähnten Kaiserdenkmale im Hauptschiffe ein. Das einzige, aber schlechte Oelbild, welches die Kirche bewahrt, stellt das Brustbild Kaiser Lothar‘s vor und hängt an einem der dem Kaisergrabe zunächst stehenden Pfeiler. Die Farbe des Innengebäudes ist Rosa. (In einem über der Sacristei befindlichen Raume wird noch ein kunstvoller antiker steinerner Leuchter aufbewahrt, der es verdient, von der ihm anklebenden Tünche befreit und an‘s Licht gezogen zu werden.) Aller übrige Raum ist leer und schmucklos. Aber um so ungestörter vermag nun der Beschauer zwischen diesen nackten Wänden sich ganz den Eindrücken hinzugeben, die dieser grossartig angelegte und kühn ausgeführte Prachtbau in ihm hervorrufen. Süssen Frieden, majestätische Ruhe und heilige Sammlung athmen diese Hallen.

Helmstedt. Stamm, Pastor.

 

 

 

Quelle: Organ für christliche Kunst. Herausgegeben und redigirt von Fr. Baudri. III. Jg. Cöln. 01.Juli 1853 S. 101-104.

Die Jahrgänge dieser Zeitschrift liegen in der Bayerischen Staatsbibliothek digital vor.

Verlagsort: Köln | Erscheinungsjahr: 1853 | Verlag: DuMont-Schauberg

Signatur: 4 Art. 71 d-1/4

Reihe: Organ für christliche Kunst : Organ des Christlichen Kunstvereins für Deutschland

Permalink: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10222416-6

LINK zu dem Artikel: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10222416_00115.html

 

 

 

 

 

 

 

F. L. Stamm: Die Stiftkirche zu Königslutter.

Die Stiftskirche zu Königslutter.

Zweiter Artikel nebst art. Beilage.

Auf der siebenten Architekten-Versammlung in Braunschweig äusserte, wie mir versichert wird, der inzwischen verstorbene gelehrte und verdienstvolle Verfasser der „Denkmale der Baukunst des Mittelalters in Sachsen“, Herr Puttrich, sein Bedauern darüber, dass noch immer drei der wichtigsten und bedeutendsten romanischen Bauwerke Niedersachsens, worunter die Stiftskirche zu Königslutter, genaue Aufnahme und Beschreibung vermissen liessen. Ich war so glücklich, schon bald darauf in Betreff der genannten Kirche einen mit Sachkenntnis und grösster Genauigkeit aufgenommenen Grundriss nebst Querdurchschnitt und Detailzeichnung vorlegen und mit kurzer Beschreibung begleiten zu können. (Vergl. Organ f. christl. Kunst, 1853, Nr. 13.)

Indessen unser erhabenes Bauwerk verdient es, dass wir nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern uns eine möglichst genaue, immer auf Anschauung beruhende kenntnis desselben zu verschaffen suchen. Zu diesem Zwecke gibt das anliegende Blatt als Ergänzung des früher gelieferten die perspectivische Ansicht des Aeusseren, den Längen-Durchschnitt des Innern und als Detail eine Säule desselben Kreuzganges an der Südseite der Kirche, woraus das vorige Blatt ein Fenster gebracht hatte. Beide Blätter verdanke ich der Güte desselben freundlichen Architekten, Herrn Wilhelm Ribbentrop, der die Kirche vor einigen Jahren genau vermessen und auf meine Bitte diese Blätter eigens für unser Organ gezeichnet hat.

Die Stiftskirche zu Königslutter ist ein ausgezeichnetes Bauwerk durch ihr Alter, durch ihre Grösse, durch ihre einfache Erhabenheit, so wie durch ihre mustergültigen Formen und Verhältnisse. Vollendet und eingeweiht im Jahre 1135, hält diese Zeit für unsere Gegend wenigstens die glückliche Mitte zwischen dem zu früh und zu spät, um schon hieraus etwas Vorzügliches, zumal von den baufreudigen und baukundigen Benedictinern erwarten zu dürfen. Wenige Kirchen Deutschlands, mit Ausnahme nur einiger Dome und seltener Kirchen, übertreffen sie an Grösse. Ihre äussere Länge, incl. Thurm und Absis, misst 263 braunschweiger = 239 rhein. = 231 pariser Fuss, die innere Länge ohne Thürme 228 braunschw. = 207 rhein. = 200 par. Fuss bei einer Innenbreite in den Schiffen von 79, in den Kreuzflügeln von 112, und einer inneren Gewölbe-Höhe von 62¼ resp. 65½ braunschweiger Fuss.

Die Lage der Kirche ist eine äusserst glückliche und romantische. Der buchenreiche Elmwald, kaum zehn Minuten davon entfernt, deckt, nach Süden ansteigend, ihren Hintergrund; der davon abfallende vorspringende Hügel trägt sie; zu ihren Füssen, nördlich in der Ebene und an den Berg sich anlehnend, breitet sich das Städtchen Königslutter mit Oberlutter und der sogenannten Stiftsfreiheit; den weiten Halbkreis decken lachende Fluren, Dörfer und Städte, westlich von den Thürmen Braunschweigs und östlich von Helmstedt und den darüber sich erhebenden Höhen begränzt.

Das Aeussere unseres Bauwerkes spricht Grösse in einfacher Erhabenheit aus, noch gehoben durch die günstige Lage und Umgebung, die es beherrscht. Am imposantesten tritt die Ostseite hervor, am nüchternsten die auch von Gebäuden und unzugänliche Westseite, die ausser einem kreisrunden Fenster ohne Füllung durchaus keinen Schmuck trägt. Der Nordseite dienen zwei Portale zur Zierde, während sich an das südliche Seitenschiff, das daher auch keine Fenster hat, der bekannte Kreuzgang lehnt. Die beiden Westthürme sind offenbar nicht bis zu ihrer ganzen Höhe hinaufgeführt; sie sind in ihrer jetzigen Gestalt um etwa 20 und einige Fuss niedriger als der Mittelthurm. Letzterer hat im Fries, unter dem Helmdache umlaufend, die Bildnisse der Patrone Petrus und Paulus, die in der Zeichnung weder hier noch auf dem ersten Blatte sich andeuten liessen.

Der gegebene Längen-Durchschnitt zeigt die erhabene Grösse, die harmonischen Verhältnisse, die edle Einfachheit und Stylreinheit des Innern. Der Fries über den Arcaden

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läuft in Würfelform durch die ganze Länge der Kirche. Die Pilaster-Vorlagen als Stützender Quergurte des Gewölbes theilen die hohe Scheidemauer in unregelmässige Theile glücklich ab. Die Arcaden-Träger sind einfache Quadratpfeiler, nur die Pfeiler der Vierung sind im Grundprofile kreuzförmig; auf dem Chore stehen zu jeder Seite je eine Säule mit attischem Fuss und Eckblatt, das Capitäl korinthisirend mit Akanthusblättern. Eine Gruftkirche ist nicht vorhanden.

Von den zehn Säulen des Kreuzganges gibt unsere Zeichnung gleichfalls eine als Probe; nur eine oder zwei haben schlichten Schaft, die übrigen sind alle reich mit verschiedenem Ornament in Geflecht und Blattwerk sowohl am Schfte, als an den Capitälen bedeckt. Es gereicht mir zur Freude, dieser Mittheilung die Nachricht beifügen zu können, dass im Auftrage herzoglicher Baudirection Einleitung getroffen ist, um den so sehr bedrohten Kreuzgang gründlich zu restauriren.

Den geschichtlichen Notizen über den Kirchenbau in meinem ersten Berichte mögen hier einige Andeutungen über die Schicksale des Klosters in der neueren Zeit angereiht werden.

1. Unter dem 30. Abte, Henricus Gercken, 1491 bis 1502, trat auch Königslutter der bursfelder Union bei, wodurch noch zu guter Letzt ein neuer Aufschwung des Klosterlebens sich anzeigte.

2. Unter Abt Anton von Lockum, 1540 – 1554, wurde auf Anordnung der schmalkaldischen Bundesgenossen, welche im Jahre 1542 Herzog Heinrich den Jüngeren vertrieben hatten, eine Kirchen- und Kloster-Visitation angeordnet, der sich jedoch Abt und Convent, als die Commission am 12. October 1542 in Königslutter erschien, durch die Flucht entzogen. Nach kurzer Unterbrechung wurde im Jahre 1547 mit der Rückkehr Herzog Heinrich's auch der Katholicismus wieder hergestellt.

3. Im Jahr 1568 begann Herzog Julius seine durchgreifenden Maassnahmen für Einführung der Reformation. In Königslutter wurde für Oberlutter und das Kloster im Jahre 1570 der erste lutherische Prediger eingeführt, doch beharrten Abt und Convent auch jetzt noch bei ihrer alten Religion. Erst unter dem folgenden 34. Abte, Gerhard Koch (1571 – 1600), siegte die Reformation vollständig, und das Kloster starb an der Verheirathung des Abtes.

4. In Folge des Restitutions-Edictes zogen einmal 1629 katholische Mönche ein, die aber schon 1632 in Folge der siegreichen schwedischen Waffen wieder vertrieben wurden.

5. Von 1635 ab scheint wegen der Verwüstungen des dreissigjährigen Krieges das Kloster verlassen zu sein.

6. Durch eine Verordnung Herzog August's wurde im Jahre 1655 die Administration der Klostergüter von einer Klosterraths-Stube in Braunschweig besorgt und das (tituläre) Kloster-Personal der Art bestimmt: Abt sollte künftig ein Professor der Theologie zu Helmstedt oder ein anderer verdienter Geistlicher des Landes sein, Prior der jedesmalige Stiftsprediger, Subprior der Rector der Schule zu Königslutter, erster Conventual der Rector zu Schöppenstedt, zweiter Conventual der Kloster-Präceptor. Jedem wurde dafür ein mässiges Gehalt angewiesen. Gegenwärtig scheint nur der Amtstitel mit einer Zulage aus den Kloster-Revenuen übrig geblieben zu sein, wenigstens wird nur ein solcher im Staatskalender noch aufgeführt.

Mit wehmüthigem Gefühle muss man schliessen: das ist der Rest jener alten gottgeweihten, der Religion, Cultur, Kunst und Wissenschaft dienenden Benedictiner-Stiftung.

Helmstedt Stamm, Pastor

 

Quelle: Organ für christliche Kunst. VI. Jg. 1856 No. 18 v. 15. September 1856 S. 211 bis 212

Friedrich Ludwig Stamm war Pastor zu St. Ludgeri in Helmstedt.

Der Artikel und die zugehörige Zeichnung sind an der UB der Uni Köln unter folgendem Permalink einsehbar:

http://www.ub.uni-koeln.de/cdm/ref/collection/_ZTG1/id/39199

 

 

 

J. Diestelmann: Zur Klosterreform des 12. Jahrhunderts

Zur Klosterreform des 12. Jahrhunderts in Niedersachsen

Von Pastor Jürgen Diestelmann in Salzgitter-Thiede.

 

1.

Der Ruf nach Reform des klösterlichen Lebens ist das ganze Mittelalter hindurch nicht verstummt. Das Wirken eines Benedikt von Aniane und vieler anderer nach ihm bis hin zu den Gründern der spätmittelalterlichen Kongregationen gibt hiervon Zeugnis. Im frühen Mittelalter lagen die Zentren solcher Reform jedoch meist in Frankreich, von wo sie ihre Wirkungen auch bis nach Deutschland hin ausstrahlten. Auf diese Weise sind von dort, insbesondere mit dem Aufkommen neuer Orden (Augustiner, Zisterzienser etc.) starke Impulse auch nach Niedersachsen gedrungen.

 

Dem Kirchenhistoriker stellt sich nun die Frage: Wie haben sich die Anhänger solcher Reform gegenüber bestehenden Verhältnissen durchgesetzt und inwieweit haben sie diese verändert? Die vorliegende Arbeit soll versuchen, dieser Frage nachzugehen, soweit sie die Auseinandersetzung der Reformfreunde mit dem Kanonissenwesen im 12. Jahrhundert berührt. Sie beschränkt sich dabei jedoch auf das Gebiet der heutigen Braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche, berücksichtigt darüber hinaus aber auch einige benachbarte Stifter, soweit diese in dem bearbeiteten Quellenmaterial zusammen mit den Stiftern des genannten Gebietes aufgeführt sind.

 

Ueber das Kanonissenwesen als solches orientieren einige Arbeiten, deren Resultate hier nicht vollständig aufgezählt werden können. Es wird daher vor allem auf die Untersuchungen von Schäfer 1) verwiesen, der durch seine grundlegenden Studien auf das bis dahin kaum beachtete Kanonissenwesen hingewiesen hat. Insbesondere stellte er ihren Unterschied zu regulären Nonnenklöstern heraus: Die Kanonissen kannten keine öffentlichen Gelübte 2), hatten oft persönliches Vermögen und Privatwohnungen 3) und auch das Recht des freien Rücktritts in die Welt 4).

 

Neuerdings hat H. W. Krumwiede in seinen Untersuchungen zur Frühgeschichte des Stiftes Fischbeck 5) einen zusammenfassenden Ueberblick über das Kanonissenwesen gegeben 6) und dabei den Zusammenhang der Kanonissenstifter mit dem germanischen Eigenkirchenwesen hervorgehoben.

 

Im Anschluß an die Auseinandersetzungen von Albert Hauck 7) mit den Resultaten Schäfers scheint es richtig zu sein, die „Kanonissenstifter“ im

 

1) K. Heinrich Schäfer, Die Kanonissenstifte im Mittelalter, Kirchenrechtliche Abhandlungen, hgg. v. Ulrich Stutz, Heft 43/44, 1907.

– – , Kanonissen und Diakonissen, Römische Quartalschrift, 1910,

2) Schäfer, Die Kanonissenstifter . . . , S. 140

3) Schäfer, a.a.O., S. 15 und 205 ff.

4) Schäfer, a.a.O., S. 215 ff.

5) Hans-Walter Krumwiede, Das Stift Fischbeck an der Weser, Göttingen 1955.

6) Krumwiede, a.a.O., S. 64 ff.

7) Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, 8.Aufl. 1954, Bd.II, S. 601 ff. und Bd. IV, S. 415 ff.

 

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frühen Mittelalter noch nicht als einheitliche Institute anzusprechen. Vielmehr gab es damals zahlreiche Konvente, die keine verpflichtende Klosterregel kannten oder in denen die Beobachtung älterer Regeln abgekommen war. Die vorherrschende Bezeichnung für alle Klosterfrauen war „sanctimoniales“, „sorores“ o. ä. Erst als sich bis dahin unregulierte sanctimoniales dem Bestreben der kirchlichen Reform, sie einer Regel zu unterwerfen, widersetzten, bildete sich die Bezeichnung „canonica“ heraus, wahrscheinlich in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen Kanonikern und Mönchen.

 

2.

Das Bestreben der Reformfreunde, die Ordensregeln auch in den Frauenkonventen einzuführen, und der Widerspruch von Seiten der Kanonissen, die an ihren althergebrachten Rechten festhalten wollten, offenbart die Spannung, die zu einem Teil die Lage im klösterlichen Leben der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts charakterisiert. Wenn z. B. die Reimser Synode von 1148 in geringschätzigem Tone von den Kanonissen spricht und fordert, sie sollten „auf die Prärogativen ihres Standes verzichten und wirkliche Nonnen werden nach der Regel des hl. Augustin oder des hl. Benedikt“ 8), so zeigt diese Forderung zugleich die Geringschätzung des Kanonissenwesens und die Wertschätzung des durch eine Ordensregel festgelegten Klosterlebens, die bei allen der Reform nahestehenden Kreisen den Widerspruch gegen die Kanonissen hervorriefen.

 

Insbesondere wurde in dieser Zeit von den Reformfreunden die Verbreitung der Augustinerregel stark gefördert. Seit den Beschlüssen der Lateransynode von 1059 unter Nikolaus II. wuchs die Zahl der Augustinerchorherrenkonvente zunächst in Frankreich erstaunlich 9). Seit Beginn des 12. Jahrhunderts finden wir aber auch im niedersächsischen Gebiet namhafte Freunde und Förderer dieses Ordens.

 

Für die ehemalige Diözese Hildesheim gilt das zuerst von Bischof Berthold I. (1119-1130). Er gründete 1125 das Augustinerchorherrenstift Marienrode, das bis 1259 als solches bestand, dann aber in ein Zisterzienserkloster umgewandelt wurde 10). -Das Augustinerchorherrenstift Riechenberg (vor Goslar) war zwar schon vor seiner Amtstätigkeit begründet (1117), aber 1122 nahm er selbst die Weihe der Kirche vor und ließ dem Stift in der Folgezeit wertvolle Förderung angedeihen 11). Ebenso nahm er auch die Weihe des Sülteklosters vor 12), und bestätigte somit die Umwandlung dieses Stifts in ein Augustinerchorherrenstift durch Bruning, seinem unglücklichen Vorgänger, der zwar zum Bischof erwählt, aber infolge des Investiturstreites nicht geweiht worden war.

 

Der Nachfolger Bertholds, Bischof Bernhard I. (1130-1153) fügte 1143 diesen Augustinerchorherrenstiften ein weiteres hinzu durch die Gründung des Klosters Derneburg 13). Ein Angustinerinnenkonvent entstand gleichzeitig in Holle, der 1209 ebenfalls nach Derneburg verlegt wurde 13).

 

8) Schäfer, a.a.O., S. 5; Hauck, a.a.O., Bd. IV, S. 423.

9) vgl. RGG., 2. Aufl. Bd. I, Sp. 667 f.

10) Adolf Bertram, Geschichte des Bistums Hildesheim, 1899, Bd. I, S. 141.

11) Bertram, a.a.O., S. 141 f.

12) Bertram, a.a.O., S. 143.

13) Bertram, a.a.O., S. 153.

 

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Diese Verbreitung der Augustinerregel durch die beiden genannten Bischöfe fand nach innen die tatkräftige Unterstüzung des Propstes Gerhard von Riechenberg, dem ein treuer Verehrer in den Annales Stederburgenses ein Denkmal gesetzt hat 14). Gerhard wird dort als ein Mann geschildert, der wegen seiner Tüchtigkeit und seines wohlabgewogenen Urteils bei kirchlichen wie bei weltlichen Oberen gleichermaßen geschätzt war 15) und sich dabei stets seine echte Frömmigkeit bewahrte. Sein Reformeifer galt nicht nur seinem eigenen Stift Riechenberg, sondern darüber hinaus wird seine Tätigkeit in den Augustinerchorherrenstiften St. Georgenberg (vor Goslar) und Katlenburg (Erzdiözese Mainz) in gleichem Sinne lobend erwähnt 16). Nach der Gründung des schon genannten Stiftes Derneburg wurde ihm auch das Amt des dortigen Propstes übertragen 17).

 

In gleicher Weise und zu gleicher Zeit erfreuten sich die Augustinerchorherren auch der Förderung durch die Bischöfe von Halberstadt. Besonders erwähnenswert ist Bischof Reinhard (1107-1123), ein Vertrauter des nachmaligen Kaisers Lothar III. 18). In den Gesta episcoporum Halberstadensium wird er „in justitia stennuus, religionis amore precipuus“ genannt. Leuckfeld weiß von ihm folgendes zu berichten:

 

„Bischof Reinhard hatte zur Zeit seiner Anwesenheit in Paris und in dem Kloster zu S. Victor alda / eine ungemeine Neigung auf den in solches eingeführten regulier Augustiner-Chor-Orden geworffen / daß er gleich darauff bedacht war / selbigen in sein Bischofftum zu bringen / und mit Clöstern zu versehen / und kan man wohl sagen / daß er der einzige Urheber ist der solchen weißen Orden in dis Land eingeführet und dabey verursacht hat / daß mehrere Persohnen einige Stiftungen und Clöster vor selbigen verordnet und gebauet haben /“ 19).

 

Diese Nachricht Leuckfelds wird gestützt durch eine Bemerkung der Gesta episcoporum Halberstadensium, wonach Bischof Reinhard „in Saxonia primus auctor communis vite secundum regulam beati Augustini constitute“ gewesen sei 20).

 

3.

Richten wir nun unseren Blick auf die Frauenklöster, in denen die Augustinerregel in Geltung stand, so sind in der Diözese Hildesheim neben dem bereits erwähnten Kloster Holle/Derneburg noch Heiningen 21) und Steterburg 22) zu nennen. Die Gründung dieser beiden Klöster fällt jedoch in eine sehr viel frühere als die bisher von uns behandelte Zeit. Da uns

 

14) MG. SS. XVI., S. 197 ff. (vergl. Bertram, a.a.O., S. 143 f.).

15) MG. SS. XVI., S. 205, Zeile 3 ff.

16) vgl. dazu Bertram, a.a.O., S. 144.

17) Bertram, a.a.O., S. 153.

18) J. G. Leuckfeld, Antiquitates Halberstadenses, Wolfenbüttel, 1714, S. 577.

19) Leuckfeld, a.a.O., S. 575.

20) MG. SS. XXIII., S. 102, Z. 50.

21) Hoogeweg, Verzeichnis der Stifter und Klöster Niedersachsens, 1908, S. 56. Hauck, a.a.O., III., S. 1019.

22) Hauck, a.a.O., III., S. 1019.

 

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von beiden aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Klosterreformen berichtet werden, liegt der Schluß nahe, daß in ihnen erst mit diesen Reformen die Augustinerregel eingeführt wurde. Dies läßt sich in der Tat nachweisen.

 

Für Heiningen (Patrozinium: Peter und Paul (Maria) 23), gegr. vor 1013) erweist dies schon allein die kurze, aber aufschlußreiche Notiz der Annales Stederburgenses: Ecclesiam in Hennighe sollicite procurando sublimavit (sc. Gerhardus) ac de seculari conversatione inclusas faciens in melius conmutavit 24). Läßt bereits der Ausdruck secularis conversatio für das Leben der Klosterfrauen vor der Reform keinen Zweifel darüber, daß es sich um Kanonissen gehandelt haben muß, so ist ferner auch bemerkenswert, daß dem Schreiber dieser Zeilen als das wichtigste dieser Reform, die im Jahre 1126 geschah, die Schaffung der Klausur erschien (inclusas faciens). Erhärtet wird diese Aussage der Annales durch die Urkunde, die von diesem Ereignis berichtet, und die uns aus dem Heininger Copialbuch erhalten ist 25). Aus ihr ergibt sich im wesentlichen folgendes Bild:

 

1. Heiningen war bis 1126 ein Kanonissenstift (. . . . sic erat antiquitus instituta, ut in ea sanctimoniales sub canonica professione . . . . ministrarent.).

2. Das Stift befand sich - nach Meinung der Reformfreunde – im Zustand des Verfalls (. . . sorores tam miserabiliter dissolute sunt, ut locus ille non diceretur claustrum ancillarum Christi).

3. Der zur Reform herzugesandte Propst Gerhard verpflichtete die Kanonissen, soweit sie sich fügten, zur Annahme der Augustinerregel ( . . . Unde sanctus animus beati episcopi Bartoldi . . . dilectissimum sibi et fidelissimum patrem Gherardum sollicitavit, ut . . . illic sanctus ac Deum timentes sorores colligeret, que secundum regulam beati Augustini infra menia claustri sub religione communis vite et spiritalis disciplinae canonicam observanciam professe digna castitate ministerium suum Deo et sanctis apostolis exhiberent).

 

Die Reform bestand hier also darin, daß man einen Teil der Kanonissen, nämlich den, der sich freiwillig dazu bereitfand, zur Annahme der Augustinerregel, strenger Klausur und vita communis verpflichtete. - Was mit den übrigen Kanonissen geschah, wird nicht berichtet.

 

Ganz ähnlich war es auch in Steterburg (Patrozinium: Jakobus, Christofer, (Maria); gegr. um 1000). Auch in diesem Stift waren bis zur Reform (um 1140) Kanonissen. Dieses bezeugen die Annales Stederburgenses in der Erzählung von der Gründung des Stiftes: . . . hoc, inquam, castrum Deo servientibus deputavit et collegium sanctimonialium canonicarum, ut vulgo dicitur secularium, . . . coadunavit 26). - Als Propst Gerhard von Riechenberg hier zur Reform schritt 27), fand er, wie die Annales weiter

 

23) Das häufig vorkommende Marienpatrozinium (vgl. Schäfer, a.a.O., S. 243 ff.) ist in Klammern gesetzt, da es sich nicht immer als solches belegen läßt.

24) MG. SS. XVI., S. 205, Zeile 17 ff.

25) abgedruckt in: Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim, hgg. von K. Janicke, Bd. I, 1890, Nr. 184.

26) MG. SS. XVI., S. 200, Z. 5 ff.

27) MG. SS. XVI., S. 205, Z. 30 ff.

 

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berichten, das Stift angeblich in „grausigem“ Zustand ( . . . locum ipsum ex dilapsione horridum . . .). Nur wenige alle Kanonissen fand er bereit, sich zur Annahme der Augustinerregel zu verpflichten, was dann auch geschah ( . . . quas colligere potuerat, auctoritate domni episcopi inclusit et spiritalis consuetudinis in locum quondam in culto efficaciter confirmavit). Die übrigen Kanonissen zwang er auch hier nicht zum regulären Klosterleben, sondern ließ sie auf dem „breiten Wege der Welt“ (in spatiosa seculi via dereliquit).

 

In diesen Zusammenhang gehört auch die Reform von Lamspringe (Patrozinium: Adrian (Maria); gegr. 872), wo die Regel des hl. Benedikt eingeführt wurde. Hier wurde jedoch die Reform nicht durch Propst Gerhard, sondern durch Bischof Berthold (1119-1130) selbst durchgeführt 28). -

Daß auch dies Stift ursprünglich als Kanonissenstift gegründet war, weiß schon Schäfer 29), dem diese Tatsache dadurch aufgefallen ist, daß in Lamspringe - wie an vielen anderen Kanonissenstiften und im Gegensatz zu regulären Klöstern - die Stiftskirche Pfarreigenschaft besaß.

 

4.

In der gleichen Weise wie im Bistum Hildesheim wurden auch im Bistum Halberstadt einige Kanonissenstifte einer Reform unterzogen, indem sie zur Annahme einer Ordensregel verpflichtet wurden. Von der Reformtätigkeit des Bischofs Reinhard berichten uns die Gesta episcoporum Halberstadensium:

 

In quatuor etiam collegiis Gerberstet, Hadmersleve, Drubeke, Stuterlingheburg sanctimonalium inordinate viventium et ordinem et habitum comutavit, eisque sub arta custodia reclusis, ut sub regula Benedicti viverent sagaciter ordinavit 30).

 

Das Stift Drübeck (Patrozinium: Vitus, Crispin und Crispinian, (Maria) Johannes bapt.) wurde bereits 877 gegründet, und zwar „canonico habitu“ 31). Nach der 1108/10 erfolgten Reform ist es als Benediktinerinnenkloster bekannt 32).

 

Auch in Hadmersleben (Patrozinium: Petrus, Paulus, Stephanus; gegr. 961) lebten sorores canonice 33). Ueber die Reform dieses Stiftes berichtet uns eine interessante Urkunde des schon genannten Bischofs Rudolf 34), in der er diesem Kloster bischöflichen Schutz verleiht und dabei einiges über Gründung und Geschichte des Klosters mitteilt. Von Bischof Reinhard heißt es dabei, daß er „wie ein neuer Josua, der das Gottesvolk in das von Milch

 

28) Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim, I., S. 195, Nr.215 u. S. 371, Nr. 387.

29) Schäfer, a.a.O., S. 77, Anm. 6.

30) MG. SS. XXIII., S. 103, Z. 4 ff.

31) vgl. Schäfer, a.a.O., S. 17, 74 und 242; ferner: Urkundenbuch des Klosters Drübeck (hgg. E. Jakobs), Nr. 1 und S. XIII.

32) vgl. Schäfer, a.a.O., S. 17, Anm.1 und spätere Urkunden im Urkundenbuch.

33) Schäfer, a.a.O., S. 77.

34) abgedruckt in: Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt, Bd. 1, S. 172, Nr. 204, vergl. auch die Notizen bei Philipp Hofmeister OSB, Liste der Nonnenklöster der Bursfelder Kongregation, St. u. Mitt. OSB 53 (1935), Hadmersleben, ferner Schäfer, a.a.O., S. 74.

 

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und Honig fließende Land führte,“ gewesen sei, und, wie er das Stift Hadmersleben sub monastica professione restauravit, so habe er sich überhaupt mit päpstlichen Privilegien um die Sanktimonialenklöster bemüht.

 

Von den Verhältnissen des Stiftes Gerbstedt (Patrozinium: Johannes bapt.; gegr. 985) vor und im 12. Jahrhundert erzählen uns einige Urkunden, die jedoch z. T. verunechtet sind und daher Richtiges mit Falschem vermischen 35). Angeblich hat hier bereits Bischof Burchard („Bucco“) um 1072 eine monastische Reform durchgeführt. Fest steht jedoch, daß Bischof Reinhard hier 1118 die Regel des heiligen Benedikt einführte.

 

Für das letzte der in den Gesta episcoporum Halberstadensium genannten Kanonissenstiften, die von Bischof Reinhard reformiert wurden 36), Stötterlingenburg (Patrozinium: Laurentius; gegr. 995), fehlen die Einzelbelege. Da aber seine Reform, die 1109 stattgefunden haben soll 37), in den Gesta gleichsam in einem Atemzuge mit der Reform Gerbstedts, Drübecks und Hadmerslebens genannt wird, liegt die Vermutung nahe, daß es sich auch hier bis dahin um ein Kanonissenstift gehandelt hat, das nunmehr nach der Regel des heiligen Benedikt reformiert wurde.

 

5.

Bestand die Reform in den bisher genannten Kanonissenstiften in der Einführung einer monastischen Regel, so gab es doch auch Fälle, in denen ein anderer Weg eingeschlagen wurde. So in dem als letztem (1121) von Bischof Reinhard reformierten Stift Schöningen (Patrozinium: Laurentius; 983 von Calbe/Saale nach hier übertragen; Diözese Halberstadt). Daß es ein Kanonissenstift war und nicht, wie Hoogeweg meint, ein Augustinerkloster 38), geht zunächst daraus hervor, daß uns aus den Gesta episcoporum Halberstadensium bezeugt ist, erst Bischof Reinhard sei in Saxonia primus auctor communis vite secundum regulam beati Augustini constitute gewesen 39). Da zudem sowohl die Gesta wie auch die Urkunde Bischof Reinhards von 1121 40) von sanctimoniales sine fructu sancte religionis bzw. non sancte viventes sprechen, scheint es geboten, auch dies Ereignis in den Rahmen der behandelten Stiftsreformen zu stellen, nur eben mit dem Unterschied, daß in Schöningen nicht eine Regulierung, sondern eine gänzliche Aufhebung des Stifts und gleichzeitige Neugründung eines Augustinerchorherrenklosters stattfand. Bischof Reinhard nahm nämlich die Kanonissen von dort fort - nach Leuckfeld verteilte er sie „ver-

muthlich“ auf die genannten, bereits regulierten Stifte 41) - und führte in Schöningen einen Konvent aus Hamersleben kommender Augustinerchorherren ein.

 

35) Urkundenbuch der Klöster der Grafschaft Mansfeld (hgg. M. Krühne), S. 4 ff., Nr. 6-8; vgl. Schäfer, Kanonissenstifter, S. 17, 99, 130, 242.

36) s. o., S. 17.

37) vgl. Philipp Hofmeister, a.a.O., unter Stötterlingenburg, und Hauck, a.a.O., Bd. III, S. 1017.

38) Hoogeweg, a.a.O., S. 116 f.

39) MG. SS. XXIII., S. 102, Zeile 54 f.

40) abgedruckt in: Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt, I., S.118, Nr. 149.

41) Leuckfeld, a.a.O., S. 604 und 710.

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Aehnlich in Ringelheim (Patrozinium: Abdon u. Sennes, (Maria); gegr. um 900, Diöz. Hildesheim). Daß auch dieses ehemals kaiserliche Stift ursprünglich Kanonissenstift gewesen sei, läßt sich jedoch nur vermutungsweise aussprechen, da sichere Anhaltspunkte fehlen. Immerhin fällt auch hier das Gründungsjahr mitten in die Gründungsperiode vieler sächsischer Kanonissenstifter 42) und außerdem gibt die Kaiserurkunde Konrads III. von 1150 43) das gleiche Bild vom Stifte Ringelheim, wie es anderswo von reformbedürftigen Kanonissenstiftern entworfen wird: . . . . abbatiam nostram Ringelheim, quae tam in temporalibus quam in spiritualibus longo jam tempore distracta et turbata fuit, ad reformandum in ea cultum divae religionis praedicto Bernardo Hildesheimensi episcopo . . . contradidimus“.

Stimmt unsere Annahme, so liegt der Fall dieses Kanonissenstiftes ähnlich dem Schöningens: Das Stift Ringelheim wurde aufgehoben und dem Konvente eines regulären Mönchsordens, in diesem Falle Benediktinern, übergeben. Da es jedoch ein freies kaiserliches Stift war, wurde es zum Zwecke der Reform auf Bitten mehrerer genannter principum 44) in die Verfügungsgewalt des Hildesheimer Episkopats übergeben. Bemerkenswert ist, daß Propst Gerhard von Riechenberg hieran offenbar mitbeteiligt war, denn in der Reihe der testes der Urkunde erscheint sein Name, jedoch wird dies das letzte Mal gewesen sein, daß er sich für die monastische Reform einsetzte, denn noch aus demselben Jahre wird sein Tod berichtet 45).

 

Schließlich bleibt noch das Kanonissenstift zu behandeln, das sich vor der Gründung der großen Benediktinerabtei in Königslutter (Diözese Halberstadt) befand. Nach Hoogeweg ist es ein Augustinerinnenkloster gewesen 46). Mit dieser Annahme gründet er sich offensichtlich auf die Meybaumsche Chronik, die dies - allerdings als einzige - zu berichten weiß 47), und die sich dabei noch im Widerspruch zu sich selbst befindet, wenn sie wenig später berichtet 48), daß man beschloß, „die ruchlosen und leichtfertigen Nonnen . . . an einen anderen Ort in ein Kloster ihrer Regul und Orden“, nämlich nach Drübeck zu versetzen. Drübeck aber war niemals Augustinerinnen-, sondern, wie wir sahen 49), nach seiner Reform (1108/10) Benediktinerinnenkloster. Es findet sich daher kein Anhaltspunkt für die von Hoogeweg aufgenommene Behauptung Meybaums.

 

Auch jene Nachricht der Gesta episcoporum Halberstadensium, Bischof Reinhard sei der Primus auctor des Augustinerordens in Sachsen gewesen,

 

42) vgl. Schäfer, a.a.O., S. 74 f.; Gründungsurkunde: Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim, Bd. I, S. 19, Nr. 23.

43) abgedruckt in: Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim, I, 264.

44) Die Bischöfe Ulrich von Halberstadt, Bernhard von Paderborn, Heinrich von Minden, Abt Wibald von Corvey, Heinrich der Löwe u.a., besonders hervorgehoben: Bischof Bernhard von Hildesheim.

45) MG. SS. XVI., S. 207, Z. 16 f.

46) Hoogeweg, a.a.O., S. 75 f. - Dagegen hält bereits Hauck, KG. Deutschlands, IV, S. 985, das Stift in Königslutter für ein Kan.-Stift, jedoch ohne dies näher zu begründen.

47) Chronica des Stiffts Königs-Lutter durch M. Henricum Meybaum. (Abschrift des 18.Jhdts. im Staatsarchiv Wolfenbüttel), S. 1.

48) Meybaum, a.a.O., S. 6.

49) s. o., S. 17.

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spricht dagegen 50), denn die Gründung muß bereits zwischen 1015 und 1036 geschehen sein. Lothar bezeichnet nämlich in der Urkunde zur Umwandlung des Stifts (1135) dieses als „a proavis nostris fundatae“ 51) und das Chronicon Ducum de Brunswick 52) berichtet: . . . ad quem (= Lotharius) devoluta est hereditas de Haldesleve morientibus Bernhardo et filio ejus Bernardo, qui primo conventum canonicorum in Luttere fundaverunt . . . wobei canonicorum ein offensichtlicher Schreibfehler ist (lies canonicarum). Es besteht kein Grund zu bezweifeln, daß die Grafen von Haldensleben Bernhard, Vater und Sohn, wirklich die Begründer des Stiftes waren. Sie waren Urgroßvater und Großvater der Großmutter Lothars (mütterlicherseits), Gertrud von Haldensleben 53). Nach Meybaum wurde das Stift von Bernhard I. angefangen und nach dessen Absterben von seinem Sohne Bernhard II. vollendet. Dies muß zwischen 1015 und 1036 geschehen sein 54).

 

Von diesem Kanonissenstift sagt Lothar anläßlich der Umwandlung in eine Benediktinerabtei (1135) 55), es sei antiquitus, sed neglecta, so daß man sich ex consilio . . . prudentium et bonorum entschlossen habe, die sanctimoniales von dort wegzunehmen und anderswohin zu versetzen (Meybaum 56): nach Drübeck), weil nämlich durch ihre Freizügigkeit (levitate bzw. lenitate) die Religion und die Sache der Kirche geschädigt werde. Nachdem dies geschehen sei, habe man dort monasticam vitam pro consilio religiosorum nostrorum eingerichtet, und ausdrücklich betont Lothar, daß an diesem Orte, an dem die Mönche immer, sub regulari tramite Gott dienen sollen, monastische Observanz herrschen solle. Hierin wird man deutliche Spitzen gegen das Kanonissenleben sehen müssen, und es kann daher gar kein Zweifel bestehen, daß es sich hier um die Aufhebung eines Kanonissenstiftes handelt.

 

Wie der Annalista Saxo mitteilt 57), wurde von Lothar und Richenza noch im gleichen Jahre der Grundstein für die neue Klosterkirche gelegt (Patr.: Peter und Paul), die noch heute eine der schönsten Kirchenbauten des Landes ist. Die durchaus einheitliche, streng durchgegliederte Anlage, - die freilich in zwei Bauperioden ausgeführt wurde, - zeigt weder im Grundriß noch im Bau irgendwelche Spuren davon, daß an derselben Stelle früher eine ältere Kirche gestanden habe. Man wird daher der Angabe Meybaums 58) vertrauen dürfen, daß die Kanonissen nicht an dieser Kirche, sondern an der benachbarten St. Clemenskirche gelebt haben, welche die eigentliche Pfarrkirche war, bevor die Klosterkirche St. Peter und Paul von

 

50) MG. SS. XXIII., S. 103.

51) MG. Dipl. Reg. et Imp. Germ., Bd. VIII, Urkundenbuch Lothars III., S. 113.

52) MG. Deutsche Chroniken, Bd. II, S. 574-587.

53) Eberhard Winkhaus, Ahnen zu Karl d. Gr. und Widukind, Ennepetal i.W., 1950.

54) Bernhard I. war 1000-1018 Markgraf des sächsischen Nordgaus; von 1036 an nahm diese Stellung Bernhard II. ein, so daß Bernhard I. zu dieser Zeit sicher nicht mehr am Leben gewesen ist. - Vgl. Winkhaus, a. a. O.

55) S. Anm. 51.

56) Meybaum, a. a. O. S. 6.

57) MG. SS. VI., S. 769

58) Meybaum, a. a. O., S. 2.

 

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der Gemeinde übernommen wurde. Diese St. Clemenskirche wurde im 18. Jahrhundert abgerissen 60), jedoch hat Meybaum sie noch gesehen und sagt, sie sei „wohl zu besehen wegen ihrer altfränkischen Art und Manier“ 60). Ist diese Kirche vor 1135 also Pfarr- und Kanonissenkirche gewesen, so wäre dies ein neuer Beleg für Schäfers Beobachtung 61), daß Kanonissen in der Regel an Pfarrkirchen lebten, also keine eigenen Stiftskirchen besaßen.

 

Man wird sich demnach die Geschichte der kirchlichen Verhältnisse im Oberndorfe von Königslutter (= Oberlutter) so vorzustellen haben, daß die Kanonissen seit der Begründung ihres Stifts (zwischen 1015 und 1036) an der offenbar noch älteren Pfarrkirche St. Clemens lebten, daß dann aber bei der Umwandlung des Stiftes in eine Benediktinerabtei der Bau einer eigenen Klosterkirche erforderlich wurde, da ja die Benediktiner sich nicht mit einer Pfarrkirche begnügen konnten, zumal es sich 1135 um eine große kaiserliche Stiftung handelte. Die St. Clemenskirche aber blieb weiterhin Pfarrkirche bis zur Uebergabe der Stiftskirche St. Peter und Paul an die Gemeinde.

 

6.

Ueberschauen wir unsere bisherigen Ergebnisse, so stellen wir fest, daß es sich bei der Reform bzw. Aufhebung von zehn Kanonissenstiftern um eine Reformbewegung gehandelt hat, die geschlossen gegen die Kanonissenstifter verging und vor allem vom Episkopat getragen wurde, denn auch Propst Gerhard von Riechenberg handelte stets in bischöflichem Auftrag. Ebenso stand Lothar diesen Reformkreisen nahe.

 

Wir sehen in Propst Gerhard von Riechenberg einen eifrigen Vertreter des Augustinerordens. Auch von Bischof Reinhard von Halberstadt hörten wir, daß er in seiner Diözese diesen Orden nach Kräften förderte, und die Nachricht, daß Reinhard in der Schule von St. Victor in Paris studiert habe 62), mag den Schluß nahelegen, daß in ihm der Geist der damaligen Victoriner lebendig war. - Die Mehrzahl der regulierten Stifte wurde freilich nicht dem Augustiner-, sondern dem Benediktinerorden angeschlossen.

 

Der Orden des heiligen Benedikt war damals keineswegs in sich einheitlich. Im Falle Königslutters ist es aber erkennbar, von woher der monastische Geist geprägt war, der anstelle des aufgehobenen Kanonissenstiftes dort Platz griff. Der erste Abt dieses Klosters kam zusammen mit den ersten Mönchen aus dem St. Johanneskloster Bergen bei Magdeburg 63), das - einst zur Trierer Gruppe der Gorzer Filiation gehörend - seit 1098 in enger Berührung mit Hirsau stand 64). War darum in der

 

59) Vgl. Akten zum Abriß (vor allem des Turmes) im Pfarrarchiv der Stiftskirchengemeinde Königslutter.

60) Meybaum, a. a. O., S. 2.

61) Schäfer, a. a. O., S. 76 ff.

62) vgl. oben, S. 15.

63) vgl. z. B. Annalista Saxo (MG. SS. VI., S. 769): Eberhardus de monasterio sancti Johannis in Magdeburg illuc cum monachis missus, primus ibi ordinatur abbas.

64) vgl. Kassius Hallinger OSB, Gorze-Kluny, Studia Anselmiana, fasc. XXIV - XXV, S. 96 ff.

 

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Folgezeit der monastische Geist in Bergen von Hirsau geprägt, so entfaltete sich hier unter Abt Arnold I. (1119-1164) eine eigene Reformtätigkeit. Mit den Klöstern Ballenstedt, Ammensleben, Königslutter und Stolp (Diöz. Kammin) bildete sich eine eigene Filiation heraus 65). Nimmt man hinzu, daß die Stiftskirche in Königslutter die von Hirsau geprägten Bauformen sehr reif und entwickelt darbietet und daß ferner die mehrfach genannte Urkunde Lothars von 1135 in Stil und Aufbau anderen hirsauischen Reformurkunden stark ähnelt 66), so erkennen wir daraus, daß die Ratgeber, die Lothar die Reform seines Stiftes anempfahlen 67), den monastischen Gepflogenheiten, wie sie in der Filiation von Bergen lebendig gewesen sein mögen, nahestanden.

 

Es bleibt noch die Frage, ob die Zustände in den Kanonissenstiftern nur in den Augen der Reformfreunde einer Verwilderung gleichkamen oder ob dies tatsächlich der Fall war. Eine Antwort ist nicht einfach, denn der Grundsatz „et altera pars audiatur“ kann hier nicht befolgt werden, da es uns gänzlich an direkten Nachrichten von Kanonissen fehlt, mit denen uns diese selbst Aufschluß über den Zustand ihrer Stifter vor der Reform geben könnten. Dieses Schweigen ist freilich in gewisser Weise verdächtig. Außerdem entwerfen die Reformfreunde von den zu reformierenden Stiften oft ein recht düsteres Bild. Indessen besteht doch die Möglichkeit, daß sie in ihrer Schilderung stark übertrieben haben, wie es in solchen Fällen häufig zu geschehen pflegte 68).

 

Es ist auffallend, daß die Reform überall da ohne weiteres durchgeführt wurde, wo bischöfliche Jurisdiktion vorhanden war, während andererseits die Kanonissenstifter gerade dort ohne Reform blieben, wo dem Bischof auf Grund irgend einer Rechtslage ein Eingreifen versagt war, so z. B. Quedlinburg (Exemtion) und Gandersheim (freies Reichsstift). Ringelheim, einst freies Reichsstift, konnte erst reformiert werden, als es mit allen seinen Rechten dem Hildesheimer Bischof überwiesen war 69). Mögen daher mancherorts tatsächliche Verfallszustände Aergernis erregt haben, so ist doch deutlich, daß man auf Seiten der Reformfreunde das Kanonissenwesen als solches beseitigt wissen wollte.

 

Schließlich ist bemerkenswert, daß die Reformer offensichtlich davon überzeugt waren, zu ihrer Handlungsweise von der Heiligen Schrift her verpflichtet zu sein, denn ihre Sprache verrät immer wieder Anklänge an das Bild- und Gleichnisgut der Heiligen Schrift, vor allem in der häufig wiederkehrenden Wendung, daß das Klosterleben unter einer festen Regel der „schmale Pfad“ (trames) sei, gegenüber dem „breiten Wege der Welt“ (spatiosa via seculi), vgl. Matth. 7, 13 f. 70). Besonders belesen in der

 

65) J. Engelmann, Die Hirsauer Reformbewegung in der Kirchenprovinz Magdeburg, St. u. Mitt. OSB 53 (1935), 1-27.

66) Man vergleiche Lothars Urkunde mit den Ausführungen Hallingers, a. a. O., S. 540 ff.

67) Laut Urkunde nimmt Lothar die Reform vor ex consilio prudentium et bonorum.

68) vgl. Hallinger, a. a. O., zum Prinzip des Reformgegensatzes.

69) Urkunde Konrads III. von 1150, s. o., S. 19.

70) s. o., S. 16 f., ähnliche Wendungen begegnen häufig.

 

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Heiligen Schrift muß wohl Bischof Rudolf von Halberstadt gewesen sein, denn in seiner Schutzurkunde für Hadmersleben von 1143 71) zitiert er sie fünfmal (2. Kor. 13, 10 Act. 20, 28 Jos. 5, 6 Ps. 35, 9 und Eccl. 7, 19). Allerdings haben diese Zitate durchweg mehr ausschmückenden als begründenden Charakter.

 

So sehen wir, wie im 12. Jahrhundert in unserem Gebiet das alte Institut der Kanonissenstifter fast ganz verschwindet, das, einst eine der hervorstechendsten Formen kirchlichen Lebens, nunmehr dem Geist der streng monastischen und asketischen Reform Platz machen mußte.

 

71) s. o. S. 17 f.

 

 

 

Veröffentlicht in:

Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte

51. Band 1953. S. 13 - 23

 

 

 

 

 

Die Wasserversorgung des Klosters Königslutter II

 

Im Jahre 1135 gründete Kaiser Lothar III. das Benediktinerkloster Regis Luttera. Der Architekt dieses ungewöhnlichen Bauwerks muss sehr erfahrens- und erfindungsreich gewesen sein. Wir kennen seinen Namen nicht, aber wir haben ja sein Werk, das wir jederzeit befragen können. Wir wissen, welchen Vorbildern er folgte, was ihm übernehmens- und übertreffenswert galt, was er daraus machte und was er erfand, um anschaulich zu machen, was zum Schaffen des irdischen Paradieses begriffen und befolgt werden sollte.

 

Seine groß- und einzigartigen Schöpfungen dafür sind selbstverständlich am gehörigen Platz, im und am Allerheiligsten dargestellt und somit zum Allerheiligsten erhoben worden!

 

Für die Bewohner und Besucher dieses besonderen Bauwerks, das ja als Residenzkirche eines Friedensreiches geplant war, entwarf er eine Wasserversorgung, deren solide Leitungen zusammen mit den Fundamenten gelegt wurden.

 

Etwa 500 m nach der Quelle wurde die Lutter gestaut, um ausreichend Vorrat und Gefälle für dieses System zu haben. Täglich flossen durchschnittlich 20 Millionen Liter an. Den Überfluss dieses Mühlenwehrs leitete ein Umflussgraben ins weiterführende Bett.

 

Das Stauwasser hatte zunächst die Mühle zu betreiben und die Brauerei zu versorgen. Der Zufluss zum Kloster führte unterirdisch in die Küche, wurde dort verteilt und in steinernen Rinnen weitergeleitet, die hauptsächlich an den Innenseiten der Kreuzgänge verliefen.

 

Die Leitung zur Badestube (balnearum) und zur Latrine (necessarium) musste im südlichen Kreuzgang verlaufen, da beides sich an seinem östlichen Ende befand. Das Abwasser der Badestube floss durch die Latrine in die Konventrinne ab. Ob es noch andere Abwasserzuflüsse zur Latrine gab, ist ungewiss, aber für das Küchenabwasser und weitere Abflüsse aus dem Südflügel (Wäscherei?) anzunehmen.

 

Von der Rinne im westlichen Kreuzgang, die nach Durchquerung des Langhauses zum Rückfluss in die Lutter führte, zweigt zuerst der Brunnenhauszufluss und danach die Leitung zur Piscina im Chor und zum Hospital ab. Die Rückflussrinne zur Lutter wurde im März 1998 beim Aushub des Grabens für den Gasanschluss des Domes ca. 8 m vor der Wand des Nordturmes in 1,20 m Tiefe durchschnitten. Sie ist ebenfalls aus Kalksteinquadern gefertigt und hat das lichte Maß 30 x 30 cm.

 

Ob der 1501 genannte Wyborn im Südwestteil des Langhauses an das ursprüngliche Leitungssystem angeschlossen war, ist kaum anzunehmen, da Taufen für die Gemeinde Oberlutter in der Clemenskirche vollzogen wurden.

 

Der geplante Kantharos im Atrium sollte sein Wasser aus der Lutter beziehen. Die Kirche wurde ja deshalb so nah an sie heran gebaut. Leider unterblieb der Bau des Atriums nach dem Tode des Kaisers und der Kaiserin. Der berühmte Bischof Paulinus von Nola (409 – 431) schildert in der Beschreibung der Leichenfeier für die Frau Rufina des reichen römischen Senators Alethius das Atrium des damaligen Petersdomes, „dessen Brunnen, welcher Hand und Mund dienstbares Wasser spendet, mit einer Kuppel aus gediegenem Erz geziert und beschattet wird, während sie nicht ohne mystische Bedeutung des springenden Quell mit vier Säulen umschließt. Denn dem Eingang in die Kirche ziemt ein solcher Schmucks, damit dasjenige, was drinnen mit heilsamen Mysterium vollzogen wird, schon vor den Pforten durch ein ins Auge fallendes Werk bezeichnet werde“.

Nach byzantinischem Vorbild galt das Atrium besonders für eine Residenzkirche erforderlich. Widukind von Corvey beschreibt in seiner Sachsengeschichte (967) die Königskrönung Ottos I am 07.08.936 im Atrium des Aachener Münsters.

 

Heute ist hier in Königslutter statt des ziemenden Schmucks des Eingangs ein hässlicher Hinterhof, und das durchfließende frische Lutterwasser ist weder dem Ansehen des Kaisers noch dem Anspruch der Besucher dienlich.

 

 

Otto Kruggel, 20.02.2011

 

 

Die Wasserversorgung des Klosters I

 

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Die Wasserleitung des Klosters Königslutter

 

Das Kloster Königslutter hatte die großartigste Wasserleitung der mittelalterlichen Klöster in Deutschland . Sie liegt etwa 1.50 m tief, ist aus Elmkalksteinquadern gefügt, mit Ton verfugt, hat ein lichtes Maß von max. 55 x 48 cm = 2640 cm² und führte quellfrisches Lutterwasser.

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Schnitt 2 aus Grabungsbericht Königslutter Kreuzgang Sondage im Brunnenhaus (4. und 8. November 1993) Quelle: Niedersächsisches LVA - Institut für Denkmalpflege -

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Die heutige Versorgungsleitung der Stadt hat 30 cm f =706,86 cm². Die Lutterquelle ist mit 20 Millionen Litern Tagesausschüttung die wasserreichste echte Quelle Deutschlands. Entnommen wurde das lautere Wasser vor dem Stauwehr der Klostermühle. Die Grabungen vom November 1993 bestätigten die Angaben zweier anerkannter Radiästeten über Verlauf und Tiefe der Leitung im westlichen Kreuzgang und im Brunnenhaus.

 

Die Rückflußrinne zur Lutter nördlich der Westtürme wurde im März 1989 teilweise zerstört. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege erhielt Kenntnis darüber.

 

Mittels Radiästhesie ließe sich ohne weitere Grabungen der Verlauf dieser einzigartigen Wasserversorgung nachweisen, die bezeugt, welche Bedeutung dem kaiserlichen Kloster Königslutter ursprünglich beigemessen wurde.

 

Ein Vergleich mit Veröffentlichungen über damalige Klosterwasserleitungen - vor Jahren wurde ein Fund von Tonrohren mit ca. 10 cm Durchmesser im Kloster Mariental als sensationell bezeichnet - würde die Großartigkeit der hiesigen Anlage deutlich machen, aber dazu müßte endlich über diese veröffentlicht werden.

 

Otto Kruggel

 

 

Die Ergebnisse der Grabung vom 4. und 8. November wurden auch 1997 im Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland 34
-Das Braunschweiger Land- im Artikel auf Seite 237-242 veröffentlicht.

 

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Auszug aus Seite 240 und Seite 241 der benannten Veröffentlichung 1997

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Das Paradies der Klosterkirche Königslutter

 

 

Wenn Kaiser Lothar die Kirche seiner künftigen Residenz 10 m östlich der Lutter bauen ließ, dann wollte er deren lauteres Wasser auch zur Speisung eines Kantharus in einem Atrium nutzen.

Solch ein Kolonadenvorhof war seit Jahrhunderten als Überleitung vom öffentlichen zum heiligen Bezirk üblich und für den Aufenthalt und die rituellen Waschungen der Laien nötig. Durch byzantinische Vorbilder galt er zumal erforderlich für Residenzkirchen.

Da die 1,5 m tief liegenden Wasserleitungen aus Kalksteinquadern zusammen mit den Fundamenten gelegt wurden, wird der Zufluß zum Springbrunnen des Paradieses von der Kirche her und der Abfluß direkt in die Lutter geplant gewesen sein. Die Zuflußhöhe und die enormen Ausmaße der Klosterwasserleitung hätten dem Reinigungsbrunnen eine kräftige Fontäne gegeben, aber durch die Planänderung nach dem Tode Kaiser Lothars und die Aufgabe der Residenzidee wurde das Paradies nicht gebaut.

Deshalb wird es auch nicht in der diesbez. Fachliteratur erwähnt, aber in einem Vortrag am Ort sollte dieses Thema, das mit dem Horentempel in Edfu beginnt, einmal angeschnitten werden.

Otto Kruggel, 20.03.2007

 

 



Gründungsurkunde für das Kloster Königslutter (Übertragung ins Neuhochdeutsche)

Gründungsurkunde für das Kloster Königslutter von 1135 August 1

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit. Lothar III. von Gottes Gnaden römischer Kaiser.

Wie es für die Ausbreitung des religiösen Kultus heilbringend ist, Neues zu schaffen, so ist es bei Gott nicht weniger verdienstvoll, vor alter Zeit Geschaffenes, aber Vernachlässigtes zum Besseren zu ändern und zu ordnen und zu seiner Wiederherstellung wachsame Sorge zu tragen. Und obwohl Wir diese Fürsorgepflicht allen Kirchen schuldig sind, so gebührt es sich dennoch, daß Wir Uns derjenigen Kirchen persönlicher und freundschaftlicher annehmen, welche die opfervolle Vorsorge Unserer Vorfahren zu dem Zweck geschaffen und Gott anheimgestellt hat, daß sie ihrem und dem Heile ihrer Erben dienlich sei. Indem Wir deshalb Unser Augenmerk auf Unsere Kirche in Lutter richteten, die von Unseren Vorfahren gegründet ist, haben Wir dort das monastische Leben entsprechend dem Rat Unserer Mönche begründet, nachdem die Klosterfrauen bereits von dort fort- und anderswo untergebracht worden waren. Mögen auch diese Klosterfrauen dort seit Anbeginn eingesetzt gewesen sein, so erschien es dennoch gemäß dem Rate kluger und guter Leute dienlicher, sie zu entfernen und anderswohin zu bringen, weil sich durch ihre Lässigkeit die religiöse Zucht und die Sache der Kirche ziemlich auflösten und geschmälert wurden. Indem Wir den vorgenannten Ort nun einem monastischen Orden zusprechen, haben Wir beschlossen, daß die Mönche dort immer auf geregelten Wegen Gott dienen, denen Wir als Abt auf Rat Unserer Ordensleute Eberhard vorangestellt haben, einen ehrwürdigen Mann, den und dessen Nachfolger Wir aus kaiserlicher Vollmacht von aller weltlichen Dienstbarkeit befreien und entbinden. Damit nun diese ehrwürdigen Männer immer in Freiheit Gott völlig unbelastet dienen können, überlassen Wir der vorerwähnten Kirche die Güter, die sie seit ihrer ersten Gründung besessen hatte, als noch die Klosterfrauen in ihr waren, und alles, was Wir danach zur Ernährung der Mönche in ihrem Orden jener schon genannten Kirche überlassen haben: in Lüneburg bei der Saline anderthalb "chorus" Salz, Unsere väterliche Erbschaft Lutter mit allem, was dazugehört, nichts ausgenommen, dazu die daran grenzenden Wälder, allgemein Elm und Brock genannt, mit allem Zubehör und was mit diesen Wäldern vergleichbar ist; in Schickelsen 34 Mansen, den Hof, genannt Hagen, mit 12 Mansen, Zehnten und Weiden, seien sie begehbar oder nicht, und allem Zubehör, nichts ausgenommen; in Santersleben 21 Mansen, in Flöte 17 Mansen, in Merdorp 12 Mansen, in Bernestorp 12 Mansen, in Nienstiede 16 1/2 Mansen, in Ingeleve 12 Mansen, in Borsne 7 Mansen, in Kneitlingen 8 Mansen, die sogenannte Wolfsburg, das Dorf Kästorf, das Dorf Bergfelde, das Dorf Bornum, in Watenstedt 5 Mansen, in Achim 2 Mansen, kurz und gut: diese überlassen Wir ihnen so frei, daß sie bei Uns wie auch bei Unseren Erben immer von allem schuldigen Dienst frei sind, und Wir beschenken sie mit dieser Freiheit. Ebenso entscheiden Wir, daß die Hörigen der Kirche nur dem Abt und den Brüdern dieses Ortes dienen sollen. Indem Wir die Vogtei der Kirche Unserem und dem Recht des älteren Unserer Erben vorbehalten, ordnen Wir an, daß die Vogtei durch einen Unserer Dienstmannen, und zwar ohne Erbrecht, auf Ersuchen des Abtes verwaltet wird. Dieser Dienstmann soll, vom Abt berufen, den Beschluß annehmen, keine Dienstleistung fordern und dabei in keiner Weise das Gesínde belasten. Wenn jemand eines Vergehens überführt wird, soll er, weil ihm Recht zuteil geworden ist, dem Abt sechs Solidi, dem Vogt drei Solidi zahlen. Wenn einer aus der familia an irgendeinem Glied verstümmelt oder beschädigt wird, sollen, was jeweils nach Maßgabe der Gerechtigkeit als Schadensersatz gegeben wird, zwei Teile dem Geschädigten, der dritte Teil dem Abt zufallen. Wenn jedoch ein Höriger der Kirche von irgendeinem Fremden erschlagen wird, soll der Vogt von dem Wergelde den vierten Teil empfangen, drei Teile sollen dem Abt bleiben. Wenn aber in einem Streit zwischen Unserer familia und derjenigen der Kirche einer einen anderen ohne vorher erhobene Klage erschlägt, so soll er zunächst kahlgeschoren und mit Ruten geprügelt und dann demjenigen übergeben werden, dessen Hörigen er erschlagen hat. Wenn indessen einer einen anderen aus gerechten Gründen erschlägt, so soll er ohne die vorerwähnte Strafe <Kahlschur, Prügel> demjenigen übergeben werden, dessen Hörigen er erschlagen hat. Wenn eine Frau aus der familia der Kirche einen Unserer Hörigen oder Dienstmannen heiratet, soll sie gemäß Unserem Willen nach dem gegebenen Recht, das Bumeda heißt, für immer mit ihrem Mann Unserer Gerechtsame unterstellt bleiben. Und in umgekehrten Falle soll es ebenso geschehen, wenn eine Frau aus Unserer familia einen Hörigen der Kirche heiratet. Alles, was einer dann an besonderem Erbrecht besitzt, soll nach dem Tode der Ehegatten dem rechtmäßigen Erben zufallen. Nachdem Wir daher dieses zum Frieden der Diener Gottes festgesetzt haben, befehlen wir ausdrücklich, daß sich keine hohe noch niedere Person erlauben soll, sie bei diesen Zugeständnissen zu beunruhigen oder zu beschweren, sondern sie sollen selbst solche auf ewig dauernden Vergünstigungen ruhig und ohne Beeinträchtigung genießen. Wenn aber im Gegensatz dazu, was Wir nicht glauben, jemand dieses versuchen sollte, so soll er 100 Pfund Goldes zahlen, zur Hälfte Unserer Kammer, zur Hälfte den vorgenannten Brüdern. Damit diese Urkunde mehr Vertrauen finde und von allen mit größerer Sorgfalt beachtet werde, haben Wir befohlen, sie mit Unserem Siegel zu versehen. Zwecks Bestätigung und Weitergabe dieser Urkunde ziehen Wir als geeignete Zeugen heran: Bischof Thetmar von Verden, Anselm von Minden, Arnold von Nienburg, Anno von Lüneburg, die Pröpste Hartmann, Snelhard, Eggehard, Berno; auch als Laien: Ludolf, Bernhard, Theoderich; ebenfalls Unsere Dienstmannen Ludolf, Gerhard, Giselbert, Wasmod, Sigfrid.
Siegel des Herrn Lothar III., des ganz unüberwindlichen römischen Kaisers. Konrad anstelle Alberts, des Erzkanzlers: ich habe <diese
Urkunde> anerkannt.  1. August Indiktion XIII während der Herrschaft König Lothar III. 1135 im 3. Jahre der Kaiserherrschaft in Nienburg. Heil im Namen Christi.  Amen.

Übersetzung der Gründungsurkunde ins Neuhochdeutsche veranlasst durch Heinz Röhr am 09.02.1984

 

 

Zum Frieden der Diener Gottes festgesetzt


Otto Kruggel
Am Rischbleek 22
3308 Könígslutter
Tel. 05353 3563

Zum Frieden der Diener Gottes festgesetzt

Das Faltblatt, das den Besuchern des ökumenischen Festgottesdienstes anläßlich des 850. Jahrestages der Grablegung Kaiser Lothers am Silvesterabend ausgehändigt wurde, zeigt eine Kopie der Federzeichnung im Traditionsbuch des Klosters Formbach (heute Vornbach, südl. Passau). Das Original befindet sich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München und ist in Rötel, Umbra und Sepia sowie Goldauftrag bei der Krone ausgeführt. Es bezieht sich auf die vom Kaiser am 14. 5. 1136 in Merseburg ausgestellte Urkunde, durch die das von den Grafen Ekbert und Udalrich von Formbach Ende des 11. Jahrhunderts gestiftete Kloster dem Schutz des Kaisers direkt unterstellt wurde.
Die Grafen von Formbach waren eins der bedeutendsten Hochadelsgeschlechter der bayerischen Ostmark. Sie hatten dort reichen Besitz und werden als Vögte des Hochstifts Regensburg sowie der Klöster St. Nicola bei Passau, Melk und Göttweig erwähnt. Graf Friedrich von Formbach, ein Enkel Brunos von Braunschweig und Giselas von Werl, der späteren Gemahlin Kaiser Konrads II, heiratete Gertrud von Haldensleben. Deren Tochter Hedwig war die Mutter Kaiser Lothars. Auf dem Pergament, das der Kaiser dem Abt aushändigt, ist ein Teil der Schlußformel des Schutzbriefes verzeichnet, der dem der Stíftungsurkunde für das Kloster Königslutter vom 1.8.1135 sehr ähnelt. Der Kaiser nimmt alle, die im Kloster Dienst tun und an dessen Gemeinschaft teilhaben, unter seinen Schutz und befiehlt ausdrücklich, daß kein Erzbischof, Bischof, Herzog, Markgraf, Graf oder Statthalter eines Grafen, keine hohe oder niedere Person, sie in ihrer Ausübung zu beunruhigen, belästigen oder behindern versuche. Sollte doch jemand dagegen verstoßen, was er nicht glaubt, so hat jener 40 Pfund Goldes zur Hälfte an die kaiserliche Kammer und zur Hälfte an die genannte Gemeinschaft zu zahlen.
40 Pfund Gold entsprechen 2880 Solidi. Eıne gewaltige Summe! Heinrich der Stolze wurde 1129 für Niederbrennen des Kloster Zwiefalten vom Papst mit einer Buße von 5 Pfund Gold in Form eines Kelches belegt. Der Herzog von Polen bezahlte einen Jahrestribut von 500 Pfund Silber an den Kaiser und dieser erhielt die Mathildeschen Güter für 100 Pfund Silber vom Papst zu Lehen. Lothars Vetter, der Erzbischof Konrad von Magdeburg, nahm 1135 eine Anleihe von 52 Pfund Gold beim Domschatz von Magdeburg auf, um sein Kontingent für Lothars Italienzug erstellen zu können.
Wenn in der Gründungsurkunde von Nienburg ein Bußgeld von 100 Pfund Gold dem angedroht wird, der den Klosterfrieden stört, dann zeugt das von außergewöhnlicher Fürsorge Lothars zur Erhaltung des Friedens ın seinem Hauskloster, dessen Mönche unser Gotteshaus bauten, nutzten und erhielten.


Veröffentlicht in:

Der Dombote  1. Jahrgang  Nr. 6  Febr./März 1988  S. 15





Memento mori


Memento mori

Nû denchent, wîb unde man, war ir sulint werdan.
ir minnont tisa brôdemi unde wânint iemer hie sîn.
si ne dunchet iu nie sô minnesam, eina churza wîla sund ir si hân:
ir ne lebint nie sô gerno manegiu zît, ir muozent verwandelon disen lîb.

Nun denket alle, Weib und Mann, was aus euch soll werden dann.
Ihr minnet dieser Welt Gebrechlichkeit und wähnet, stets hienieden zu sein.
Dünkt sie euch noch so minnenswert, nur kurze Frist wird euch gewährt.
Lebtet ihr noch so gerne manche Zeit, ihr müßt verwandeln diesen Leib.

Tâ hina ist ein michel menegi; sie wândan iemer hie sîn,
sie minnoton tisa wêncheit, iz ist in hiuto vil leit.
si ne dûhta sie nie sô minnesam, si habent si ie doh verlâzen
ich ne weiz war sie sint gevarn, got muozze so alle bewarn!

Schon ging eine Menge Menschen ein, die wähnten, stets hieniden zu sein.
Sie minnten diese Armut. Wie heut' das ihnen leid tut!
Dünkte es sie noch so minnenswert, jetzt sind sie weg von ihr gekehrt:
Ich weiß nicht, wohin sie sind gefahrn. Gott müsse sie alle bewahrn!

Sie hugeton hie ze lebinne, sie gedâhton hin ze varne
ze der êwigin mendi, dâ sie iemer solton sîn.
wie luzel sie des gedâhton, war sie ze iungest varn solton!
nû habint siu iz bevunden: sie wârin gerno erwunden.

Sie hofften, sich hier zu laben, sie gedachten, dann hinzufahren
Zu der ewigen Wonne, da sie immer sein wollten.
Wie wenig sie des gedachten, wohin sie endlich würden fahren!
Nun haben sie's gefunden, des sie gerne wären entbunden.

Paradysum daz ist verro hinnan: tar chom vil selten dehein man,
taz er her wider wunde unde er uns taz mâre brunge
ald er iu daz gesageti, weles lîbes siu dort lebetin.
sulnd ir iemer dâ genesen, ir muozint iu selbo die boten wesen.

Zum Paradies ist's weit hinan: Gar selten kommt dahin ein Mann,
Der sich wieder her wende und uns die Märe spende
Oder euch das melde, wes Leibes sıe dort leben.
Solltet ihr je dort genesen, müßt ihr selbst euch die Boten werden.

Tisiu werlt ist alsô getân: swer zuo ir beginnet vân,
si machot iz imo alse wunderlieb, von ir chom nemag er niet.
sô begrîffet er ro gnuoge, er habeti ir gerno mêra,
taz tuot er unz an sîn ende, sô ne habit er hie noh tenne.

Mit dieser Welt ist's so getan: Wer nach ihr beginnt zu fahn,
Dem macht sie es so wunderlieb, los von ihr kommen kann er nie.
Ergreifet er sie sehr, so hätt' er gerne mehr.
Das tut er bis an sein Ende, und dann hält er noch fest.

Ir wânint iemer hie Iebin: ir muozt is ze iungest reda ergeben.
ir sulent all ersterben, ir ne mugent is niewit uber werden.
ter man einer stuntwîlo zergât, alsô skiero sô diu brâwa zesamine geslât.
Tes wil ih mih vermezzen: sô wirt sîn skiero vergezzen.

Ihr wähnt, hier immer zu leben: Einst müßt ihr Antwort geben.
Ihr müsset alle sterben, es kann nicht anders werden.
In einem Nu der Mann vergeht, schnell wie die Brau zusammen sich dreht.
Des will ich mich vermessen: so schnell wird sein vergessen.

Got gescuof iuh allo, ir chomint von einimanne.
tô gebôt er iu ze demo lebinne mit minnon hie ze wesinne,
taz ir wârint als ein man: taz hânt ir ubergangen.
habetint ir anders niewit getân, ir muosint is iemer scaden hân.

Gott erschuf euch alle, ihr kommt von einem Manne.
Drum gebot er euch, hier im Leben brüderlich drin zu stehen,
Daß ihr wie ein Mann wäret: Das habt ihr überhört.
Hättet ihr anders nichts getan, davon müßtet ihr Schaden han.

Toh ir chomint alle von einiman. ir bint iedoh geskeiden
mit manicvalten listen, mit michelen unchusten.
ter eino ist wîse unde vruot: tes wirt er verdamnot.
tes rehten bedarf: ter armo man: tes mag er leidor niewit hân,
er ne chouf iz alsô tiuro: tes varn se al ze hello.

Ob ihr kommt von einem Manne, seid ihr doch zerfallen
Mit manchen argen Listen, mit vielen Abgünsten.
Der eine ist weise und klug, deshalb wird er verdammet.
Des Rechtes bedarf der arme Mann: Das kann er leider nirgends han,
Kauft er es sich nicht allzu teuer. Drum in die Hölle sie fahren.

Gedâhtin siu denne, wie iz vert an dem ende!
sô vert er hina dur nôt, sô ist er iemer furder tôt.
wanda er daz reht verchoufta, sô vert er in die hella;
dâ mouz er iemer inne wesen: got selben hât er hin gegeben.

Haben sie denn jemals bedacht, wie es werden soll hernach!
Er fährt hin in seiner Not und ist dann auf ewig tot.
Denn da er das Recht verkaufte, so fährt er hin in die Hölle.
Dort muß er ewig drinnen leben, hat er doch selbst Gott aufgegeben.

Ube ir alle einis rehtin lebitint, so wurdint ir alle geladet în
ze der êwigun mendin, dâ ir iemer soltint sîn.
taz eina hânt ir iu selben: von diu sô ne mugen ir drîn gên;
daz ander gebent ir dien armen: ir muozint iemer dervor stên.

Wolltet ihr nach einem Rechte immer leben, so würde euch allen gegeben
Die Freude, die da ewig wird sein und in die ihr alle solltet gehen hinein.
Aber das eine Recht habt ihr euch selbst genommen, ein zweites ist durch euch an die Armen gekommen.
Daher werdet ihr nicht in die Seligkeit eingehn, sondern ihr müßt ewig vor ihr stehn.

Gesah in got taz er ie wart, ter dâ gedenchet an die langun vart,
der sih tar gewarnot, sô got selbo gebôt,
taz er gar wâre, swâ er sînen boten sâhe!
taz sag ih in triwon: er chumit ie nohwennon.

Gesegnet der, daß er je ward, der da gedenket der langen Fahrt,
Der auf sich achtet gut, so wie Gott selber gebot,
Daß er bereit wäre, wenn er seinen Boten sähe!
Das sag ich euch fürwahr: Er kommt irgend einmal.

Nechein man ter ne ist sô wîse, ter sîna vart wizze.
ter tôt ter bezeichint ten tieb, iuer ne lât er hie niet.
er ist ein ebenâre: necheiman ist sô hêre,
er ne muoze ersterbin: tes ne mag imo der scaz ze guote werden.

Kein Mensch ist so weise, daß er seinen Hingang wisse.
Der Tod kommt wie ein Dieb, euer keinen läßt er nicht.
Er ist ein Ausgleicher: Da ist nirgend ein Reicher,
Der nicht müsse sterben: Sein Schatz kann ihm nicht helfen.

Habit er sînin rîchtuom sô geleit, daz er vert ân arbeit:
ze den scônen herbergon vindit er den suozzin lôn.
des er in dirro werlte niewit gelebita, sô luzil riwit iz in dâ:
in dunchit dâ bezzir ein tac tenne hier tûsint, teist wâr.. .

Wenn er seinen Reichtum so befahl, daß er hinfährt ohne Mühsal:
In den Herbergen schön findet er süßen Lohn.
Daß er in dieser Welt nicht leben wollt', so gering ihn dort das reuen soll:
Ihn dünket besser dort ein Tag als hier tausend, das ist wahr. . .

Ter man ter ist niwit wîse, ter ist an einer verte,
einen boum vindit er scônen, tar undir gât er rûin:
sô truchit in der slâf tâ, sô vergizzit er dar er scolta;
als er denne ûf springit, wie sêr iz in denne riwit! . .

Der Mann ist nimmer weise, der auf einer Reise
Einen schönen Baum sieht und darunter ruhn geht:
Dann drücket ihn der Schlaf, daß er sein Ziel vergaß,
Wenn er dann aufspringt, wie sehr ihn dann Reu durchdringt. . .

Iâ dû vil ubeler mundus, wie betriugist tû uns sus!
dû habist uns gerichin, des sîn wir allo besuichin.
wir ne verlâzen dih ettelîchiu zit, wir verliesen sêle und lîb.
alsô lango sô wir hie lebin, got habit uns selbwala gegibin.

Ja, du sehr böser Mundus, wie betrügest du uns zum Schluß!
Hast dich wider uns gerichtet, nun sind wir alle vernichtet,
Verlassen wir dich nicht bei gewisser Zeit, - dann müssen verlieren wir Seel' und Leib.
Solange wir hier leben, hat Gott uns Selbstwahl gegeben.

Trohtin, chunic hêre, nobis miserere!
tû muozist uns gebin ten sin tie churzun wila sô wir hie sîn,
daz wir die sêla bewarin: Wanda wir dur nôt hinnan sulen varn.
frô sô muozint ir wesin iemer: daz machot all ein Noker.

Gebieter, König hehre, nobis miserere!
Du müssest uns geben den rechten Sinn die kurze Zeit, die wir hier sind,
Daß wir die Seele bewahren, wenn aus Not wir von hinnen fahren.
Froh könntet ihr dann sein immer, dieses dichtete uns allen Noker.


Quellenangabe:
Hans Joachim Gernentz (Hrg) „Religiöse deutsche Dichtung  des Mittelalters“ S. 116-121  Union Verlag (VOB) Berlin 1964