Kloster Memleben

DIE KIRCHEN ZU KLOSTER MEMLEBEN, SCHRAPLAU UND TREBEN.

BEARBEITET UND HERAUSGEGEBEN VON Dr. L. PUTTRICH,

UNTER BESONDERER MITWIRKUNG VON G W. GEYSER DEM JÜNGERN, MALER, Mitgliedern der deutschen Gesellschaft zu Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer zu Leipzig, und mehrerer auswärtigen gelehrten Gesellschaften.

 

Leipzig, gedruckt bei F. A. Brockhaus, auf Kosten des Herausgebers. 1837.

 

 

 

Geschichtliche Vorerinnerung.

 

Wenn der Wanderer von Laucha in Thüringen aus den Weg in westlicher Richtung über Thalwinckel verfolgt, gelangt er über einen hohen Bergrücken zuletzt in einen Wald von Eichen und Buchen, der ihn abwärts dem Unstrutthale wieder zuführt. Noch nicht am Fusse des Abhanges angelangt erblickt er am Saume der Laubwaldung, aus welcher er heraus zu treten beginnt, durch die Blätterrahmen der Bäume vereinzelte Bilder einer anmutigen Landschaft, welche nach einigen weiteren Schritten in ihrer vollen Schönheit sich darstellt. In unmittelbarer Nähe vor ihm liegt in Fruchtbäumen versteckt ein Dörfchen, welchem eine Ruine im Vordergrunde den eigenthümlichen historischen Reiz verleiht. Ueber die Bäume dieses Dörfchens herüber glänzt ein heller Kalkfelsen mit einem gelblichrothen Gemisch alterthümlicher Gebäude und zwischenhin nach Abend breitet sich in stundenlanger Entfernung ein Wiesenthal aus, durch welches die Unstrut sich herabwindet und dessen Grün sich endlich mit dem Blau der Ferne vermischt. An der Südseite dieses Thales erheben sich in fortlaufender Kette hohe waldige Berge, während theils felsige Ufer, theils ländliche Hügel die Nordseite begränzen, und den Hintergrund schliesst eine bläuliche Gebirgswand, auf deren höchstem Punkte das scharfe Auge die Trümmer einer Burg erkennt.

 

Jenes Dörfchen im Vordergrunde ist Memleben, von welchem diese Mittheilung sogleich umständlicher sprechen wird, Es liegt am rechten Ufer der Unstrut nach Mittag hin am Fusse jenes Waldberges, den wir herabgestiegen waren, und nach Abend und Morgen an jenem weiten Wiesenthale, welches unter dem Namen der goldenen Aue bekannt ist. Die Gebäude auf dem Kalkfelsen, welchen wir am jenseitigen Ufer erblickten, sind die des alten Schlosses Wendelstein und weiter aufwärts am linken

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Unstrutufer zeigen sich die weissen Mauern der Klosterschule Rossleben. Im Hintergrunde des Thales südlich von Memleben schimmert das Schloss des Dorfes Bucha und längs der Bergkette am rechten Unstrutufer folgen sich in mässigen Abständen abwärts die Orte Wolmirstädt, Allerstädt, Wiehe und Kloster-Donndorf, bis die ferneren Gegenstände sich in blauen Duft verhüllen und der hohe Kyfhäuser mit seiner Ruine, die sich noch in siebenstündiger Entfernung erkennbar macht, das schöne Thal verschließt.

 

Die aufgefundenen Spuren heidnischer Opferplätze und Grabstätten bekunden, dass diese Gegend bereits in der vorchristlichen Periode bewohnt war und die fruchtbare Aue von Artern herab bis Memleben mag schon in jener Urzeit, wenn auch damals mehr von Waldungen eingeengt, zum fetten Weideboden gedient haben. Die classische Zeit derselben beginnt aber erst in der christlich – deutschen Vorzeit, wo wir in jenem anmuthigen Landstriche frühzeitig Leben und Cultur wahrnehmen, während sich über die angränzenden Länder noch geschichtsloses Dunkel verbreitet.

 

Unser Memleben wird unter dem Namen Mimelebo zuerst in dem Verzeichnisse der Ortschaften erwähnt, welche zur Zeit des heiligen Lullus, Erzbischofs von Mainz ( 786) und Stifters der Abtei Hersfeld an der Fulda, diesem Kloster von Karl dem Grossen geschenkt worden waren. Laut dieses Verzeichnisses besass Hersfeld in Artern und zwei nahe gelegenen Orten 6 Höfe (Hube) und in vierzehn anderen Ortschaften weiter an der Unstrut herab, darunter in Reinsdorf, Gehofen, Donndorf, Wiehe, Allerstädt, Wolmirstädt, Memleben, 28 Höfe mit den sie bewohnenden Bauern. Es scheint, dass die Abtei Hersfeld in jedem der betreffenden Orte 2 Bauerhöfe besass.

 

Beinahe zweihundert Jahre später tritt Memleben geschichtlich bemerkenswerth hervor. König Heinrich I., der Vogelsteller, erkrankte im Frühjahre 936 in Bodfelde bei Elbingerode und, nachdem er sich wieder besser fühlte, begab er sich von da nach Erfurt, um dort den versammelten Fürsten seinen Sohn Otto zum Nachfolger auf dem deutschen Königsthrone zu empfehlen. Nach Beendigung dieses Geschäfts kam Heinrich nach dem Castell Memleben. Seine Krankheit kehrte hier mit verstärkter Kraft zurück und führte am 2ten Juli 936 seinen Tod herbei. Der König nahm sterbend von seiner Gemahlin Mathildis herzlichen Abschied und diese begab sich in die Kirche, um für ihn zu beten. Während sie sich hier an Gott wendete, wurde ihr unter Klagegeschrei der Tod des Königs gemeldet. Die Königin fragte die Anwesenden, ob nicht ein Priester, welcher an diesem Tage noch keine Speise genossen, für ihren Gemahl eine Messe lesen könne. Als Adeldac diese Frage bejahte, schenkte ihm die Königin sofort die goldenen Armspangen, die sie trug, und hörte die Messe an, welche er für die Seele ihres erlauchten Gatten las. Sie kehrte hierauf in das königliche Gemach zurück und warf sich weinend nieder zu den Füssen des Entseelten. Doch fasste sie sich wieder und in Gegenwart der Führer des Heeres wies sie ihre Söhne auf die Vergänglichkeit aller irdischen Grösse und auf die Verehrung des Höchsten hin, bei dem allein das Ewige und Dauernde zu suchen sei. Die fromme Königin vertheilte nun Almosen unter die Armen und liess selbst den Vögeln des Himmels Nahrung reichen. Des Königs Leichnam wurde nach Quedlinburg gebracht und dort in der Kirche des heiligen Servatius begraben.

 

Nach Heinrichs Tode gelangte sein ältester Sohn, Otto I., zur deutschen Königswürde, an welche er später die römische Kaiserkrone brachte. Unterm 5ten December 956 ist eine Urkunde in Memleben ausgestellt, in welcher Otto I, auf Veranlassung seiner Mutter Mathildis das Grab der heiligen Luitburg.

 

 

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und die dem Erzengel Michael geweihete Kirche zu Michaelstein (bei Blankenburg) nebst einigen Ortschaften dem Nonnenkloster zu Quedlinburg übereignete. In jener Zeit, das Jahr wird nicht genannt, überliess Otto I. die Güter, welche den Kirchen zu Merseburg, Memleben, Dornburg, Kirchberg und Lützen gehörten, an Boso, welchem er später, 969, das neugestiftete Bisthum Merseburg verlieh. Nachdem Kaiser Otto I. sich durch thatenreiches Leben ausgezeichnet und den Beinamen des Grossen erworben hatte, wollte es die Fügung, dass am 7ten Mai 973 auch er in Memleben seine letzte Stunde sah. Er verliess, von mehreren Fürsten und Edeln begleitet, am 6ten Mai Merseburg, um über Memleben sich nach Quedlinburg zu begeben und daselbst das Pfingstfest zu feiern, und kam gegen Abend desselben Tages in Memleben an. Als der folgende Morgen dämmerte, verliess der Kaiser sein Lager und nahm an der Frühmette Antheil; dann legte er sich nieder, wartete später den Messdienst ab, reichte hierauf den Armen die Hände und begab sich nach dem Frühstück wieder in sein Schlafgemach. Gestärkt und heiter ging er zum Mittagsmahle und wohnte nach demselben der Vesper bei. Beim Absingen des Evangeliums jedoch fing der Kaiser an zu wanken und die umstehenden Fürsten setzten ihn auf einen Kirchstuhl nieder. Hier empfing er das heilige Sacrament und während dieser Handlung entwich seine Seele. Sein Leichnam wurde aus der Kirche in sein Schlafgemach getragen und nun verbreitete sich unter dem Volke die Nachricht seines Todes. Am nächsten Morgen versicherten die anwesenden Fürsten und Herren dem Sohne des entschlafenen Kaisers, Otto dem Zweiten, welcher schon früher zum Könige gesalbt und vom Papste zum Kaiser gekrönt worden war, ihre Treue und dieser führte hierauf die Leiche seines Vaters, nachdem sie einbalsamirt, die Eingeweide aus derselben genommen und in der Kirche der heiligen Maria zu Memleben begraben worden waren, nach Magdeburg, wo sie in der dortigen Stiftskirche in einem marmornen Sarkophage beigesetzt wurde.

 

Wenn wir dieser Erzählung, die wir treu aus den ältesten Quellen entnommen haben, mit Aufmerksamkeit folgen, so finden wir, so unvollständig auch jene Nachrichten sind, doch einige Ergebnisse für den uns vorliegenden Zweck. Wir bemerken zunächst, dass Memleben zur Zeit Heinrichs I, ein Castell genannt wird und dass sich bei diesem eine der Maria geweihete Kirche befand. Bei Heinrichs Tode finden wir Heerführer, Volk und Arme erwähnt, und Otto I. kam nach Memleben mit einem, wie es scheint, nicht unansehnlichen Gefolge, unter welchem sich Fürsten und Edle befanden. Wir können daraus folgern, dass damals in Memleben ein mit Mauer und Graben befestigter Königshof vorhanden war, in welchem sich Gebäude befanden theils zu schicklicher Aufnahme des Königs und seines Gefolges, theils zur Wohnung für den Schlossvogt und die Dienstmannen, welche zu einem solchen festen Orte gehörten. Eben so konnten daselbst Wirthschaftsgebäude und einige Grundbesitzungen nicht fehlen, damit für den Unterhalt der königlichen Dienstmannschaft dauernd gesorgt sei. Auch die erwähnte Kirche war unstreitig zum bessern Schutz derselben innerhalb dieser Befestigung erbauet und es lässt sich annehmen, dass daselbst Geistliche sich aufhielten, welche für die Bewohner des Königshofes und der Umgegend bei jener Kirche den Gottesdienst regelmäßig besorgten. Dass letzteres wenigstens gegen das Ende von Otto‘s I. Regierung der Fall war, kann nicht bezweifelt werden, da wir wie oben erwähnt, an Otto‘s Todestage Frühmetten, Messe und Vesper in der Kirche zu Memleben finden. Ja wir möchten hier fast noch einen Schritt weiter gehen und vermuthen, das eine klosterartige Kircheneinrichtung daselbst bestand, indem sich sonst an einem Wochentage (den 7ten Mai 973) Mittwochs vor dem Pfingstfeste ein dreimaliger Kirchendienst nicht leicht erklären lässt. Hierauf deutet

 

 

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auch der Umstand hin, dass die Kirche zu Memleben Güther (oder Nutzungen) besass, welche Otto I. dem nachherigen Bischoff Boso verlieh, und wofür dieser wahrscheinlich den Gottesdienst in den betreffenden Kirchen besorgen liess. Es erzeugt sich hierbei der Gedanke, dass vielleicht Mathildis, welche schon den Priester, der die erste Seelenmesse für ihren verstorbenen Gemahl las, so reichlich beschenkte und überhaupt durch Frömmigkeit in dem Geiste der damaligen Zeit sich auszeichnete, eine Stiftung in Memleben errichtet habe, damit dort unausgesetzt für die Seele ihres Gatten gebetet werde. - Doch wir kehren nun zur ferneren Geschichte Memlebens zurück.

 

Nach Otto’s I. Tode übernahm sein damals achtzehnjähriger Sohn, Otto II., welcher bereits im Jahre 972 mit Theophania, Tochter des griechischen Kaisers Romanus, vermählt war, die Regierung des Reiches, die er jedoch noch einige Jahre unter der Vormundschaft seiner Mutter Adelheid, einer geborenen Prinzessin von Burgund, führte. In die ersten Regierungsjahre Otto’s II. fällt die Stiftung der Abtei Memleben, welche der Chronographus Saxo in das Jahr 975 setzt. Dithmar, Bischof von Merseburg ( 1021), sagt in dieser Beziehung: „Otto tauschte auf Anrathen seiner frommen Mutter, unter deren Leitung er stand, Miminleva so wie die Zehnten ein, welche an Hersfeld gehörten, und begründete dort für die daselbst versammelten Mönche eine freie Abtei, die er unter Bestätigung apostolischer Regel mit allem Nothwendigen versah.“ Eine Stiftungsurkunde der Abtei Memleben ist nicht vorhanden, doch besitzen wir mehrere kaiserliche Decrete aus der ersten Zeit jener Stiftung. Nach einer zu Altstedt unterm 13ten Juni 979 ausgestellten Urkunde hatte Otto II. drei Kapellen, in Altstedt, Osterhausen und Riestedt, nebst den Zehnten in achtzehn Ortschaften an der Saale und Unstrut von dem Hersfelder Abte Gotbert eingetauscht und verlieh sie dem Kloster zu Memleben. Er sagt in dieser Urkunde: „Die genannten Kapellen und Zehnten übergeben wir zum Heile unserer und unserer Gemahlin Theophania Seele, so wie zum Heile der Seele unseres Vaters, dem Orte Miminlebo, welchen wir zu Ehren der heiligen und untheilbaren Dreieinigkeit und der ewigen Jungfrau Maria erbaut haben, zum Eigenthum an den Abt und die ihm untergebenen Mönche, die wir daselbst zum Dienste Gottes versammelt haben.“ In einer zweiten Urkunde Otto’s II., Wallhausen den 15ten September 980, heisst es: „Wir erhielten vom ehrwürdigen Abte Liudolf zu Corbei zwei Marken, Meginrichesdorf und Mimilevu genannt (vermuthlich waren dies einige Bauerhöfe in oder bei Memleben) und gaben ihm dagegen von unserem Eigenthume u. s. w.“ In einer Urkunde, Wallhausen den 22sten September 980, schenkt der Kaiser ‚‚der heiligen Gottgebärerin Maria und den Mönchen, welche unter der Regel des heiligen Benedict in Mimilebo unausgesetzt Gott dienen, die Stadt Wildeshausen (bei Oldenburg) mit dem Kloster des heiligen Märtyrer Alexander und drei andere bei Osnabrück gelegene Orte mit besonderen Freiheiten. Mittelst anderer drei Urkunden, welche sämmtlich unterm 21sten Juli 981 zu Wallhausen ausgestellt sind, schenkte Otto II. eilf slavische Ortschaften und Castelle, unter andern Dommitzsch, Pretsch, Döbeln, Wurzen, dem Orte Memleben, welcher „zu Ehren der heiligen Mutter Gottes und immerwährenden Jungfrau Maria nebst den unter mönchischer Einrichtung und Regel lebenden Mönchen von ihm und seiner Gemahlin Theophania auf ihre Kosten begründet und erbaut worden sey.“

 

Am 8ten December 983 starb Otto II. zu Rom und hinterliess einen dreijährigen Sohn, Otto, welcher als König der Deutschen anerkannt wurde. Auch von ihm haben wir einige Diplome, welche sich auf das Kloster Memleben beziehen. In einer Urkunde, Bodfelde den 4ten October 991, bekräftigt

 

 

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Otto III. einen Tausch seiner Grossmutter Adelheid und des Abtes Wunniger zu Memleben, nach welcher das Kloster Memleben ein Dorf eigenthümlich erhielt und dagegen der Adelheid die Zehnten in zwölf anderen Dörfern auf Lebenszeit überlässt. Nach einer zweiten Urkunde, Bodfelde den 12ten October 992, tauscht Otto III. von Reginold, Abt zu Memleben, Oelsnitz und Dommitzsch an der Elbe wieder ein gegen ein und zwanzig jenseits der Elbe in der Gegend von Burg und Brandenburg gelegene Orte, die er dafür dem Kloster Memleben giebt. Durch eine dritte Urkunde, Altstedt den 2ten Januar 994, verspricht Otto III. nach dem Wunsche seiner Grossmutter Adelheid dem Abt Reginold die Markt-, Münz- und Zollgerechtigkeit für den Ort Memleben. Endlich in einer Urkunde aus Rom vom 21sten November 998 schenkt Otto III. zum Heile seiner Seele und seiner Aeltern der Abtei Memleben die Stadt Wiehe nebst den dazu gehörigen Güthern in fünf nahe gelegenen Ortschaften, ferner Hechendorf und die Salinen zu Frankenhausen. Kurz vorher hatte er in Rom den Gegenpabst Johann XVI. an Augen und Nase verstümmeln und dessen Anhänger, den Consul Crescentius und seine Gehilfen, bei den Beinen aufhängen lassen. Vielleicht suchte er für diese Grausamkeit den Himmel durch jene fromme Schenkung zu versöhnen.

 

Im Jahre 1002 starb Otto III. im zwei und zwanzigsten Lebensjahre zu Paterno, man sagte, an einem Paare vergifteter Handschuhe, welche ihm seine Buhle, die schöne Wittwe des Crescentius, geschenkt hatte; ihm folgte der Herzog von Baiern, als Heinrich II., in der Regierung Deutschlands. Dieser bestätigte in einer zu Regensburg unterm 16ten November 1002 ausgestellten Urkunde auf Ansuchen des Abtes Reginold dem Kloster Memleben die erworbenen oder ihm verliehenen Güther und die Rechte einer freien Abtei; allein laut eines späteren Diploms, Frankfurt den 5ten Februar 1015, übergab er dasselbe mit allen Besitzungen „in Betracht der Armuth der Abtei Memleben und der daselbst Gott dienenden Brüder der Abtei Hersfeld, damit durch die Fürsorge des Abtes Arnold zu Hersfeld und seiner Nachfolger, so wie durch den Reichthum dieser Abtei, dem Mangel der Memlebischen Brüder abgeholfen werde.“ Diethmar von Merseburg sagt jedoch bei dem Jahre 1015 in seiner Chronik: „Auch muss ich noch, nicht ohne den bittersten Schmerz, erwähnen, dass das zu Memleben seine längst begründete Freiheit verloren hat und in fremde Dienstbarkeit gerathen nachdem der Abt Reinold abgesetzt und die Klosterbrüder zerstreut worden waren, dem Abte Arnold zu Hersfeld unterworfen“, und diese Stelle lässt vermuthen, dass die Armuth, auf welche die letzterwähnte Urkunde hinweist, wohl nicht die einzige Ursache war, weshalb Heinrich II. das Kloster zu Memleben der Abtei Hersfeld übergab.

 

Wir benutzen diese Begebenheit als einen Ruhepunkt, um noch einige Augenblicke bei diesem Abschnitte der Geschichte Memleben’s zu verweilen. Aus der weiter oben angezogenen Stelle Diethmar's, welche sich über die Gründung der Abtei Memleben ausspricht, ist zu entnehmen, dass Adelheid, die Wittwe Otto‘s I., es eigentlich war, welche diese Abtei stiftete. Sie war auch vermuthlich Urheberin der reichen Ausstattung, welche das Kloster Memleben nach und nach in der nächsten Zeit nach seiner Stiftung erhielt. Nach dem Inhalte der erwähnten Urkunden liegt es klar vor, dass die Klostergebäude zu Memleben nicht vor dem Jahre 972 erbaut und ohne Zweifel wenigstens noch innerhalb des 10ten Jahrhunderts vollendet worden sind. Dagegen schweigt die Geschichte ganz über den Umstand, ob mit dem Klostergebäude auch eine neue Kirche errichtet worden oder ob die zu Heinrich‘s I. Und Otto‘s I. Zeit vorhandene auch die des neu errichteten Klosters geblieben ist. Die Periode von 979

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bis 1002, wo die ersten Stifter mit Vorliebe für Ausstattung und Bereicherung Memleben’s sorgten und wo der grosse Kaiser Otto I. noch im frischen Andenken war, ist jedoch wohl als die Blüthenzeit der neuen Stiftung zu betrachten, in welcher nähere Veranlassung und reichlichere Mittel vorhanden waren, um eine grössere oder schönere Kirche zu erbauen. Der zu Memleben befindliche Königshof ist vermuthlich gleich anfangs dem neuen Kloster mit überlassen und mit den Gebäuden desselben vereinigt worden oder hat wenigstens seit Heinrich’s II. Regierung seine ursprüngliche Bestimmung verloren. Die Unterordnung des Klosters Memleben unter die Abtei Hersfeld hatte unstreitig auf ersteres einen um so ungünstigeren Einfluss, als diese Massregel, wenn man die Worte Diethmar's mit dem Inhalte der Urkunde Heinrichs II. in Uebereinstimmung bringen will, eine Folge des kaiserlichen Zorns oder grosser Unordnung in jenem Kloster selbst, verbunden mit Zerrüttung der Vermögensverhältnisse desselben, gewesen zu seyn scheint.

 

Die Geschichte schweigt nun fast volle zwei Jahrhunderte über Memleben, und es möchte schwer gelingen, diese bedeutende Lücke durch Vermuthungen von einiger Haltbarkeit auszufüllen. — Zuerst erscheint Memleben wieder in einer Urkunde des Bischoffes von Halberstadt vom Jahre 1202, zu Halberstadt ausgestellt, wo der Verkauf eines Guthes in Scherben (Zcerbem), den der Abt Johannes zu Memleben mit den deutschen Rittern zu St. Cunigunden bei Halle abgeschlossen hatte, bestätigt wird. Sodann bezeugt der Abt von Hersfeld, Werner, in einer Urkunde vom Jahre 1244, aus Hersfeld datirt, dass Otto Graf von Buch die Advocatie der zu Memleben gehörigen Güther in Scherben an die Abtei Hersfeld abgetreten, letztere aber sie dem Kloster Memleben zurückgegeben habe; und Graf Otto bekräftigt diese Abtretung in einem in demselben Jahre zu Memleben ausgefertigten Diplom. Eine fernere Urkunde des Probstes und Conventes zu Memleben von 1250, welche auch den Verkauf eines Guthes in Scherben betrifft, verbreitet sich umständlich darüber, dass das Kloster Memleben durch drückende Schuldenlast zu diesem Verkaufe genöthigt gewesen sey. Durch einen anderen Kaufbrief vom Jahre 1252, in Cannewurf ausgestellt, trat das Kloster Memleben einige Besitzungen in Cannewurf ab. In einer Urkunde von 1257 bestätigt der Abt von Hersfeld, Werner, jene Gütherverkäufe und bezeugt dabei den verschuldeten Zustand des Klosters Memleben. Laut eines Kaufbriefes des Probstes Ludovicus und des Convents zu Memleben von 1266 wurde, abermals wegen Schuldenlast, das zu diesem Kloster gehörige Frauenholz bei Haynrode an die Kapelle der heil. Jungfrau Maria zu Mellendorf verkauft. Eben so verkaufte das Kloster im Jahre 1291 an das Domcapitel zu Merseburg 35½ Hufe Land zu Obhausen. Wir machen hierbei auf den Umstand, als Ergebniss der so eben angeführten Urkunden, aufmerksam, dass das Kloster Memleben sich vom Anfange des 13ten Jahrhunderts an und noch zu Ende desselben in sehr zerrütteten Vermögensverhältnissen befand, und es gewinnt das Ansehen, als ob die als Grund seiner Unterwerfung unter die Abtei Hersfeld angeführte Ursache, nämlich die gänzliche Verarmung des Klosters, von 1015 an ununterbrochen fortgedauert.

 

Nach einer Urkunde von 1304 hatte Landgraf Albrecht von Thüringen Memleben (jedenfalls den Ort, nicht auch das Kloster,) in Lehn bekommen. Vom Jahre 1359 haben wir einen Ablassbrief Albrechts von Beuchlingen, Vicars des Erzbisthumes Mainz, zu dessen Diöces Memleben gehörte‚ zu Gunsten des Besuches der Kirche zu Memleben. Ein Diplom vom Jahre 1365, ausgestellt vom Grafen Gebhardt von Querfurt, bezeugt die Schenkung gewisser Zehnten zu Eichstädt an das Kloster MemIeben; und in einem anderen, in Freiburg im Jahre 1452 ausgefertigten, befiehlt Herzog Wilhelm dem

 

 

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Friedrich von Witzleben die Loslassung des verhafteten Fischers Hentzke. Immittelst hatte 1404 Kurfürst Friedrich der Streitbare Memleben vom Bischoff zu Naumburg, Ulrich II. von Rosenfeld, in Lehn erhalten. — Vom Jahre 1468 findet sich eine Verbrüderungsurkunde, wodurch der Probst und Convent zu Memleben „den gestrengen Herrn Friedrich von Nyssmyntz“ nebst dessen Familie in ihre Brüderschaft aufnahm. In einem im Jahre 1471 zu Weimar ausgestellten Diplom nimmt Herzog Wilhelm von Sachsen, Landgraf in Thüringen und Markgraf zu Meissen, das Kloster Memleben in seinen Schutz und empfiehlt es seinem Amtmann zu Eckartsberge zu besonderem Beistande; und in einer ebendaselbst im Jahre 1474 ausgefertigten Urkunde bestätigt er einen Tausch des Klosters mit dem Herrn von Witzleben über einige Besitzungen zu Allerstädt. — Ein zweiter Ablassbrief des erzbischöfflichen Stuhles zu Mainz vom Jahre 1503 hatte zum Zweck, die Kosten eines neuerbauten Thurmes der Kirche zu Memleben zu bestreiten. — Durch einen Kaufbrief vom Jahre 1528 trat das Kloster ein Stück Holz an die Gemeinde zu Memleben ab. —

 

Im Bauernkriege im Jahre 1525 wurde das Kloster Memleben geplündert und theilweise zerstört, gegen das Jahr 1545 aber völlig aufgehoben. Im Jahre 1551 wurden die dazu gehörigen Besitzungen vom Kurfürsten Moritz der von ihm gestifteten Fürstenschule zu Pforte einverleibt, und von dem als Chronisten bekannten damaligen Schulverwalter Brotuff in Besitz genommen.

 

Zur Zeit, wo Schamelius seine historische Beschreibung des Klosters Memleben herausgab, 1729, war die dasige Kirche noch wohl erhalten und unter Dach; nur fehlten ihr, wie die von ihm gegebene Abbildung beweist, die beiden Hauptthürme an der Westseite. Seine Schilderung der Kirche lautet S. 104 folgendermassen: „Die annoch wüste stehende Kirche zeiget dennoch ihre erste Majestät, als welche von ungemeiner Höhe ist, und an beiden Theilen vom hohen Chor herab auf 12 schönen hohen Pfeilern mit ihren Gewölben ruhet. In hohem Chor befindet sich ein aus einem einzigen Stein bereiteter ungemein grosser Altar, über dessen Höhe oben im Gewölbe gewisse Weibes-Personen in Nonnen-Tracht vor dem mit der eröffneten blutigen Seite stehenden Heilande auf ihren Knieen liegen : Unter der Kirche alda ist eine schöne unterirdische Capelle, eben nach der Forme wie oben die Kirche selbst, und zwar alles (wie ich vor weniger Zeit solches in Augenschein selbst genommen) in annoch gutem Stande. Hieselbst mögen die Kaiser auch mit ihre Andacht gepflogen haben. Die Rudera einer Capelle siehet man an der Kloster-Mauer abendwärts, wenn man hineingeht.“

 

Im Jahre 1791, wo der ehrwürdige Stieglitz seine im Weiss'schen Museum für die sächsische Geschichte abgedruckten Bemerkungen über die gedachte Kirche niederschrieb, und die, seiner Geschichte altdeutscher Baukunst später hinzugegebenen Zeichnungen davon fertigte, standen noch der grösste Theil der Chor-Nische und die Mauern des Kreuzbaues, allein im Jahre 1794 trug man einen Theil davon ab und verwendete die Steine zu anderen Zwecken; und so ist nach und nach die Kirche in Ruinen verfallen, so wie sie jetzt sich darstellt. Indem ich nun zu der

 

Beschreibung des Kirchengebäudes

 

in seinem jetzigen Zustande, in welchem es nur noch ein Schattenbild seiner ehemaligen Schönheit und Würde darbietet, übergehe, und mit der Schilderung

 

des Aeusseren

 

 

 

 

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beginne, mache ich auf die Hauptansicht der Aussenseite der Kirche (Vignette Bl. 1) aufmerksam. Ich habe nämlich, um den Baustyl dieser Kirche anschaulicher zu machen, versucht, sie hier auf die Art darzustellen, wie sie früher wirklich bestand. Die unteren Theile des Mauerwerkes sind getreu nach den noch vorhandenen Ruinen der Kirche abgebildet; die oberen Theile desselben, die Bedachung und der Thurm auf dem Kreuzbaue, sind theils nach dem bei Schamelius ersichtlichen, freilich sehr schlechten Kupferstiche, theils nach den obengenannten Stieglitz’schen Abbildungen, theils endlich nach einer in meinem Besitze befindlichen alten Zeichnung ergänzt. Letztere rührt von Wilhelm Dilich her, welcher um das Jahr 1630 eine grosse Menge von Ansichten von Städten und anderen Ortschaften Sachsens im Geschmack Merian’s aufgenommen hat *). — Nur die beiden westlichen Thürme habe ich ergänzen müssen, da sie auf beiden gedachten Abbildungen bereits fehlen. Da jedoch ihr Grundbau noch steht (s. Bl. 2 und 5), so ist ihre Form hier mit angegeben worden. Die auf der Nordseite der Kirche (welche auf der Vignette Bl. 1 dargestellt ist,) stehenden Gebäude habe ich auf derselben weggelassen, theils weil von den ehemals hier befindlichen Klostergebäuden gar nichts mehr vorhanden ist, sondern statt deren ganz neue Wirthschaftsgebäude aufgeführt worden sind, theils aber um die Reste des ehemaligen Kreuzganges zu zeigen, welche noch gegenwärtig zu sehen sind.

 

Das Material, aus welchem die Kirche erbaut ist, und auf welches man aus den unten entwickelten Gründen genau achten muss, ist von dreierlei Gattung. Der ganze Unterbau der westlichen Hauptfaçade, des Kreuzbaues und der Vorlagen desselben, sowie des Chores, und die vorspringenden Ecken dieser Theile, sind aus grossen behauenen Werkstücken eines groben Sandsteines zusammengesetzt. Die Gewände der Fenster, die Portale, (und im Inneren der Kirche die Bogen der Arkaden zwischen dem Hauptschiffe und den Abseiten, sowie alle vorspringenden Pfeiler, Ecken, Säulen und Simse,) sind aus Werkstücken eines feinen und sehr festen Sandsteines von röthlicher Farbe gebaut, welche mit der grössten Schärfe und Genauigkeit zusammengefügt sind, so dass sie noch jetzt unverrückt stehen und nur an wenigen Orten aus ihrer Lage gekommen sind. Das übrige Mauerwerk (sowohl der Umfassungsmauern der Abseiten und des Chores, als die über den Arkaden des Mittelschiffes über die Abseiten heraufgehenden Mauern und die Thürme,) besteht aus unregelmässigen, meist platten Bruchsteinen eines silbergrauen Thonschiefers (vgl. Bl. 2, 3 und 4).

 

Die Form der Kirche ist die eines lateinischen Kreuzes (s. Bl. 1 und 5). Das Schiff war von gleicher Höhe mit dem Chor; die Abseiten dagegen waren niedriger (s. Bl. 1 und 2). Der Chor ist ohne Abseiten; er hat eine aus dem Achteck construirte Vorlage, und von gleicher Form war die Vorlage auf jeder Seite des Chores an den Flügeln des Kreuzbaues (s. Bl. 1, 3 und 5, A. G. X.) Die beiden Arme des Kreuzbaues treten weit über die Abseiten der Kirche hinaus, und fast eben so weit auch die Mauern der westlichen Thürme (s. Bl. 1 und 5, H. W. N. R.). Alle Fenster der Kirche (mit Ausnahme der unten näher beschriebenen Fenster der Crypta,) waren im Rundbogen geschlossen, nicht sehr gross und ohne alle Verzierung (s. Bl. 1 u. 3). Im Giebel des Chores war ein rundes Fenster, und eines dergleichen befand sich auch in jedem Giebel der Flügel des Kreuzbaues

 

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*) Es werden dieselben auf der königlichen Bibliothek zu Dresden aufbewahrt. Durch Zufall kam ich bei einer Versteigerung in den Besitz einer Anzahl solcher Dilich'schen Zeichnungen, die zum Theil noch nicht ganz vollendet sind; ich habe sie zur Ergänzung seines Werkes der gedachten Bibliothek verehrt.

 

 

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(s. Bl. 1). Die Vorlage des Chores ist einfach verziert. Sie besteht aus einem hohen Unterbaue, der am Erdboden die Fenster, welche nach der unterirdischen Kirche führen, zeigt, — und aus einem oberen Baue, welcher ohngefähr um ein Drittheil niedriger ist als der Unterbau, und worin die das Innere der Chorvorlage erhellenden Fenster befindlich sind. An den Ecken dieser Vorlage gehen schlanke, mit der Hauptmauer verbundene Streifen bis zu dem Simse, der unter den Fenstern sich hinzieht, hinauf *), und zwischen diesen Streifen läuft der sogenannte byzantinische Fries, (oder die byzantinische Bogenverzierung) hin (s. Bl. 1, 3, 5, a. b. c. v.). Die Form dieses Frieses ist ganz, abweichend von der gewöhnlichen Form, indem hier ein grösserer Bogen allemal zwei kleinere in sich fasst, und der grössere Bogen in einem mit Blätterwerk verzierten Knopfe endigt (s. Bl. 3 u. 5, aa.). Die Fenster der Chorvorlage sind an der Aussenseite mit hohen und weiten Bogen überwölbt, welche von Wandsäulen getragen werden, die an den Ecken der Chorvorlage stehen (s. Bl. 1 und 3). Die beiden Vorlagen der Flügel des Kreuzes haben den byzantinischen Fries dicht unter dem Dachsimse (s. Bl. 1), und über den Fenstern, unter letztern sieht man eingeblendete weite Bogen. Die Fenster der Crypta, welche sich im untern Theile des Chores und der Vorlage desselben befinden, und die Gewände dieser Fenster sind in Spitzbogen geschlossen (s. Bl. 1 und 3). Eine byzantinische Bogenverzierung von der gewöhnlichen Form, (jedoch mit langen Schenkeln , da im Gegentheil die Bogenverzierung späterer Zeit immer kurze und breite Schenkel zeigt,) läuft unter dem Dachsimse um den ganzen Kreuzbau herum, fehlt aber an den anderen Theilen der Kirche und an dem auf dem Kreuzbaue ruhenden Thurme. Um den ganzen Kreuzbau und um die Thürme und deren Zwischenbau zieht sich ein hoher, mit mehreren grossen Gliedern verzierter Sims nahe am Erdboden herum (s. Bl. 2, 3 und 5, a. bis g. l. bis v. und kk.).

 

Der Haupteingang der Kirche ist auf der Westseite im Mittelbaue zwischen den Thürmen (s. Bl. 2, 4, 5, P. und die zweite Vignette, No. 10). Er hatte auf jeder Seite zwei Säulen, deren eine an der Hauptfronte, die andere aber in der Ecke steht, die von der zurücktretenden und sich verengernden Mauer gebildet wird (s. Bl. 5, wo unter ee. die rechte Seite des Portales im Grundriss in grossem Maasstabe abgebildet ist). Auf diesen Säulen, welche mit ganz einfachen Kapitälen der Art, die man gewöhnlich mit dem Nahmen „glockenförmige“ zu bezeichnen pflegt, (von derselben Form, wie auf Bl. 4. das am weitesten gegen die linke Hand hin stehende Kapitäl,) geschmückt sind, ruhen die oberen Bogen des Portales (s. auf Bl. 4. die rechts unten ersichtliche vordere Ansicht der Grundmauern der Westseite, und die Vignette No. 10). Diese bestehen aus zwei starken, runden Säulen, die sich gerade über den Säulen erheben und gleichsam den Fortgang dieser Säulen bilden, und welche von anderen Gliederungen, nämlich geraden Flächen, Aushöhlungen etc. umgeben sind; alle ziehen sich nach der Linie des Bogens bis in dessen oberen Mittelpunkt, und bilden hier einen Spitzbogen von gedrückter und schwerer Form. — Ein zweiter Eingang führt aus dem ehemaligen Kreuzgange in die nördliche Abseite der Kirche (s. Bl. 5, h.). Er ist weit kleiner als der erstere, und so sehr verwittert, dass man von seinen ehemaligen Verzierungen nichts mehr erkennen kann. Zwei Säulen des Kreuzganges

 

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*) Auf der Abbildung Bl. 3 hat der untere sehr verwitterte Theil des Streifens zur Linken die Gestalt eines Säulchens; allein ein solchen Säulchen war nie vorhanden, sondern der Streifen ging ursprünglich bis zum Erdboden herab.

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bildeten auf seinen beiden Seiten den Hauptschmuck. Die Ueberwölbung dieses Einganges ist jedoch nicht im Spitzbogen, sondern zirkelrund. — Ein dritter Eingang führte ehedem, wie die Abbildung der Bari der Kirche bei Schamelius zeigt, in die südliche Abseite, allein gegenwärtig ist hier die ganze ehemalige Umfassungsmauer dieser südlichen Abseite ausgebrochen (s. Bl. 5 bei U.), um mittelst des ebenfalls in der Umfassungsmauer der nördlichen Abseite (s. Bl. 5 bei i.) gemachten Durchbruches eine bequeme Durchfahrt für die Erndtewagen durch die Kirche nach dem Wirthschaftshofe zu bilden.

 

Von dem auf der Nordseite der Kirche befindlich gewesenen Kreuzgange stehen nur noch die, mit schwarz-ausgefüllten Ringen (s. Bl. 5, h. i. k. l.) bezeichneten Säulen, wogegen von den mit unausgefüllten Ringen angegebenen Säulen nur noch wenige Ueberreste zu sehen sind. Die vorhandenen Säulen sind mit einfachen glockenförmigen Kapitälen geschmückt.

 

 

Das Innere.

 

Aus dem Grundrisse (Bl. 5) und dem Längen- und Querdurchschnitte (auf Bl. 4) ergiebt sich, dass man ehedem, als noch die Kirche in ihrer ursprünglichen Gestalt dastand, beim Eintritt in dieselbe durch das westliche Hauptportal zuerst in eine Vorhalle (s. Bl. 5, O. P. Q.) gelangte, welche sich zwischen den beiden westlichen Thürmen (Bl. 5, N. R.) befand. Jetzt liegt diese Vorhalle in Ruinen, und man sieht nur noch ihre Grundmauern, in welchen sich auf jeder Seite eine nach dem Unterbaue der Thürme führende Thür befindet. Der grosse Deckstein, welcher die horizontale Bedeckung einer jeden dieser Thüren bildet, ist nach oben zu rundbogig (s. Bl. 4 den Längendurchschnitt). Aus der Vorhalle trat man in das Schiff selbst vermuthlich durch einen weiten Bogen, welcher auf Pfeilern ruhte, die noch jetzt vorhanden sind. — Das Schiff der Kirche wird von jeder der beiden Abseiten durch fünf freistehende Pfeiler und zwei an den beiden Enden stehende Wandpfeiler geschieden. Diese Pfeiler sind auf zwei Seiten, nähmlich nach dem Schiffe und den Abseiten zu, ganz glatt, und nur oben und unten mit Simsen verziert; auf jeder der beiden anderen Seiten aber steht eine mit dem Pfeiler zusammenhängende, und etwa zu drei Viertheilen vor der Fläche desselben vortretende Säule. (Auf Bl. 5, cc. dd. ist ein solcher Pfeiler in grösserem Maasstabe dargestellt.) Auf dem Hauptkörper der Pfeiler ruhen die sechs Bogen von gedrückter und schwerer Spitzbogenform, auf welcher die obere Umfassungsmauer des Schiffes, in der ehedem die das Schiff erhellenden Fenster angebracht waren, ruhen; die an den Pfeilern stehenden Säulen aber tragen kleinere Bogen oder Gurte, welche unterhalb der grossen Bogen liegen, und auf beiden Seiten ein wenig in die Hauptmauer zurücktreten, mithin schmäler sind als die darüberliegenden grossen Bogen (s. Bl. 4 u. 5). Die Säulen sind ohne Verjüngung, haben den attischen Fuss, (dessen Profil Bl. 5 unter bb. in grösserem Maasstabe dargestellt ist,) und am unteren Wulste Abblattungen; ihre Kapitäle gehören in die Gattung, die man mit dem Nahmen „glockenförmige“ zu bezeichnen pflegt, und deren wir auch in der Crypta (s. Bl. 6) finden. — Die acht ersten Pfeiler vom westlichen Haupteingange her waren auf der nach dem Schiffe der Kirche zugekehrten Fläche mit Malereien (s. Bl. 7) geschmückt, von denen noch deutliche Spuren vorhanden sind; sie werden unten näher beschrieben werden, — Die Pfeiler des Kreuzbaues sind denen des Schiffes fast gleich; nur finden sich an jenen auch nach dem mittleren Theile des Kreuzbaues zu Wandsäulen der oben beschriebenen Art (s. Bl. 4 und 5, E. F. etc.). Von diesen Wandsäulen wurden die beiden grossen Scheidbogen und die Bogen, wodurch man aus dem mittleren Theile des Kreuzbaues

 

 

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nach den beiden Kreuzesarmen gelangte, getragen. Stieglitz erwähnt derselben in seiner „altdeutschen Baukunst“ bei der Beschreibung der Kirche zu Memleben noch, und in seiner Abbildung ist der Anfang der Scheidbogen noch angedeutet; jetzt steht nur noch der untere Theil der Säulen, und von den Bogen ist nichts mehr zu sehen. — Aus den beiden Abseiten des Schiffes gingen Verbindungsöffnungen nach den beiden, jetzt auf der einen Seite gänzlich weggerissenen auf der anderen aber in Ruinen stehenden Armen des Kreuzbaues (s. Bl. 5, I. V.). Diese Oeffnungen (welche jetzt zugemauert sind,) sind im Rundbogen überwölbt, und der Sims ‚ auf welchem die Bogen ruhen, hat eine eigenthümliche Form, daher er im Profil besonders abgebildet worden ist (s. Bl. 5 mm.).

 

An den Mauern des Schiffes findet man die deutlichsten Merkmale davon, dass dieses und die Abseiten des Kreuzbaues, eine platte Holzdecke hatten (s. Bl. 2); vermuthlich hatten auch die beiden Arme des Kreuzbaues platte Decken. Nur der mittlere Theil des Kreuzbaues und der Chor, sowie die Vorlagen der Arme des Kreuzes, und vielleicht die Vorhalle zwischen den westlichen Thürmen waren überwölbt. — Aus der hohen Lage des Chores, welcher auf der darunterliegenden Crypta steht (s. Bl. 4), muss man schliessen, dass ehedem eine hohe und eine breite Treppe aus dem Schiffe nach dem Chore geführt habe. Jetzt steigt man auf neuerlich angelegten schmalen Stufen hinan ; welche (Bl. 5 bei Y.) angedeutet sind. Endlich ist noch zu bemerken, dass die Mauerblende (sie scheint ursprünglich eine Thür gewesen zu seyn,) in der nördlichen Abseite der Kirche befindlich, (s. Bl. 5 bei M.) mit einem ganz flachen Bogen von der Form, wie man sie in der modernen Baukunst manchmal anwendet, überwölbt ist, und dass die beiden jetzt noch sichtbaren Eingänge der Kirche, nähmlich zwischen den westlichen Thürmen und in der nördlichen Abseite, nach innen zu ohne allen Schmuck sind.

 

Eine besondere Merkwürdigkeit der Kirche sind die auf die innere Fläche der Pfeiler des Schiffes gemalten lebensgrossen Bildnisse *). Sie sind auf den blossen Stein, ohne Grundirung, mit bunten Farben gemalt, und stellen vier männliche und eben so viel weibliche Figuren vor (s. Bl. 7). Jene sind auf den vier ersten Pfeilern zur Linken vom Haupteingange auf der Westseite der Kirche an gerechnet, diese auf den vier gegenüberstehenden Pfeilern abgebildet, jedoch in einer anderen Reihenfolge als sie auf Bl. 7 beobachtet worden ist; es folgen nähmlich auf einander an den Pfeilern der linken Seite No. 7, 5, 6, 8, an denjenigen der rechten Seite No. 1, 2, 3, 4. Auch muss ich darauf aufmerksam machen, dass die Figuren No. 5 und 6 in der Abbildung eine mehr weibliche als männliche Gestalt dadurch bekommen haben, dass einige auf dem Steine jetzt nur wie hingehaucht erscheinende Linien hier zu stark herausgehoben sind. Wer die grossen Schwierigkeiten kennt, welche die Nachbildung so unerkennbar gewordener Kunstwerke sowohl für den Zeichner als für den Lithographen mit sich führt, der wird dergleichen kleine Abweichungen ganz unvermeidlich finden. — Ueber diese

 

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*) Gegenwärtig ist nur sehr wenig davon zu sehen, und dies nur dann, wenn die Pfeiler mit Wasser angefeuchtet werden, wo alsdann die Gestalten wie Geister aus der Mauer hervortreten. Da ich eine vor einer Reihe von Jahren von diesen Figuren gefertigte Zeichnung an mich brachte, so habe ich diese sowohl, als auch spätere unter meinen Augen vorgenommene Nachbildungen einzelner Figuren, bei der Darstellung auf Bl. 7 benutzt. Um die Art und Weise, wie die Figuren auf den Pfeilern angebracht sind, zu zeigen, habe ich einen Pfeiler auf Bl. 7 mit abbilden lassen, muss jedoch bemerken, dass die Form des Pfeilers und seiner Säulen nicht ganz streng wiedergegeben ist, und dass man diese Form nur auf Bl. 4 und 5 ganz genau dargestellt findet.

 

 

 

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Bildnisse spricht Schamelius S. 121 sich folgendermassen aus: „In einer alten a. 1642 geschriebenen Nachricht Jac. Tham’s, den Catalogum der Naumburgischen Bischöffe in sich haltend, lese ich annoch bey dem fundatore des Stiffts Zeitz, nemlich Ottone, diese Umstände: Kayser Otto stirbt zu Memleben in Kloster und sein Eingeweide wird des Orts NB. in der Capelle in Creuz-Gange, der Cörper aber zu Magdeburg begraben. Dessen und seiner Gemahlin Edita Bildnisse stehen vielmals in der Kloster-Kirche an den Kirchen-Pfeilern abgemahlet mit einer Kayser-Crone auf dem Haupte, schönen langen krausen und gelben Haaren gezieret, also dass zu muthmassen, welche ein tapfferer, grosser, ansehnlicher, schöner Herr und Kayser dieser Otto müsse gewesen seyn etc. Ich setze hinzu, dass ich eben diese Bildnisse (wiewohl beinahe wegen Luft und Feuchtigkeit verloschen,) dieses 1729. Jahr selbst also getroffen habe, und zwar an den letzten Pfeilern, gleich wenn man in die Kirche hineingehet, guten theils oben kenntlich: der Kaiser an zweien (wie Tham berichtet) mit dem Scepter in der rechten Hand, die Kaiserin nebst der Krone mit prächtigen Federbüschen auf dem Haupte gegenüber. Am letzten Pfeiler linker Hand nach dem hohen Chore liegt eine Standesperson auf den Knien, kann nicht sagen, welche? ist auch sehr verblichen.“ Es scheint mir ziemlich sicher, dass in den männlichen Figuren die drei Ottonen als die Gründer und Beförderer des Klosters, (oder auch K. Heinrich I., Otto I. und II.) und der erste Abt, Wunniger; in den weiblichen aber die heilige Mathildis, Gemahlin Heinrich’s I., (die erste weibliche Figur hat einen Heiligenschein,) dann Editha und Adelheid, Gemahlinnen Otto’s I., und Theophania, Gemahlin Otto’s II., vorgestellt seyn sollen. Denn dass, wie Schamelius meint, die Bildnisse Otto’s des Grossen und seiner Gemahlin vielmals (also in mehrmaligen Abbildungen) hier, an einem und demselben Orte, abgemalt seyn sollten, ist offenbar eine irrige Meinung. — Von einem grossen Deckengemälde über dem Altare in der Chornische, welches noch zur Zeit des Schamelius zu sehen war, ist durch den Einsturtz des Chores jede Spur verschwunden. Dieser Schriftsteller spricht sich darüber, ausser in der bereits oben angeführten Stelle, noch S. 130 seines Werkes folgendermassen aus: „Es präsentiret in der Mitte den Heyland, aus dessen gespaltenen Seite das Blut heraus zur Erden strömet, dafür lieget kniend eine, dem Ansehen nach, vornehme Nonne mit gefaltenen Händen, und hinter derselbigen noch andre.“

 

Einen hauptsächlich zu beachtenden Theil der Kirche bildet die Crypta. Wie sich aus dem Längen- und Querdurchschnitte (s. Bl. 4), und aus dem besonders gegebenen Grundrisse derselben (s. Bl. 5, ff. bis ii.) ergiebt, so liegt sie ganz unter dem hohen Chore, und nimmt die volle Länge und Breite desselben und der daranstossenden Chornische ein. Der Eingang zur Crypta (s. Bl. 5, ff.) führte ehedem aus dem Kreuzgange hinein, befindet sich aber jetzt in einem der Wirthschaftsgebäude. Ist man durch denselben in die unterirdische Kirche selbst eingetreten, so befindet man sich in einem überwölbten Vorplatze, welcher mittelst zweier freistehender und zweier Wandpfeiler (s. Bl. 5, gg.) von dem Haupttheile derselben geschieden ist. Zwischen diesen Pfeilern bilden sich drei Eingänge nach dem Mittelschiffe und den beiden Abseiten der Crypta. An die beiden freistehenden Pfeiler lehnen sich auf der Ost- und Westseite Säulen an. Tritt man nun in das Hauptgebäude der Crypta selbst ein, so findet man, dass deren Mittelschiff von ihren beiden Seitenschiffen durch acht Säulen, vier auf jeder Seite getrennt ist. Zwei dieser Säulen stehen, wie erwähnt wurde, an den beiden freistehenden Pfeilern, welche den Eingang aus dem Vorplatze in die Crypta. bilden, zwei andere lehnen sich auf ähnliche Weise an die freistehenden Pfeiler an, welche den Haupttheil der Crypta von ihrem Chore

 

 

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scheiden, und je zwei auf jeder Seite stehen ganz frei (s. Bl. 5, gg. bis ii. und Bl. 6). Diese Säulen tragen das Gewölbe, auf welchem der Fussboden der oberen Kirche ruht. — Der Chor der Crypta ist um eine Stufe höher als diese selbst, und von derselben Form, wie die Vorlage des Chores der oberen Kirche, nähmlich aus dem Achteck construirt. Er enthält nichts Bemerkenswerthes, ausser auf beiden Seiten kleine Mauerblenden, welche zum Kirchendienst mit bestimmt seyn mochten. - Er wird durch drei Fenster erhellet, wovon eines nach Osten, die beiden anderen nach Nordost und Südost zu gehen; der Haupttheil der Crypta aber hat sechs Fenster, drei auf jeder Seite. — Sämmtliche Bogen, welche in der Crypta vorkommen, sind rund, und man findet in derselben keinen einzigen Spitzbogen. — Die Säulen der Crypta gleichen den im Schiffe der oberen Kirche an den Pfeilern befindlichen Wandsäulen in der Hauptform, jedoch haben die vier Kapitäle, welche zunächst nach dem Chore der Crypta zu stehen, Verzierungen von Blättern und Thiergestalten (s. Bl. 4 die vier in einer Linie stehenden Kapitäle, und Bl. 6), und eine der übrigen Säulen trägt das Kapitäl, welches Bl. 4 zu unterst abgebildet: ist. Leider sind die sämmtlichen Verzierungen sehr beschädiget. Dies ist der Feuchtigkeit zuzuschreiben, welche theils in früherer Zeit durch die gewölbte Decke gedrungen, als noch der hohe Chor der oberen Kirche ganz in Ruinen lag, theils aber dadurch veranlasst worden ist, dass man die Fenster der Crypta zugemauert und nur kleine Luftlöcher gelassen, den Raum in derselben aber zum Aufbewahren von Erdfrüchten benutzt hat *). — Es ist noch zu erwähnen, dass die beiden Pfeiler am Chore der unterirdischen Kirche (s. Bl. 5, hh.) ein völlig gleichseitiges Viereck bilden, und überhaupt die Form haben, wie dieselbe auf Bl. 5 bei ll. in grösserem Maasstabe angegeben ist.

 

Indem wir nun schliesslich einige Betrachtungen über den Baustyl der Kirche zu Memleben anknüpfen, wird es zunächst nicht ohne Interesse seyn, die Kirche zu Wechselburg zur Vergleichung zu benutzen **).

 

Sehen wir zuvörderst auf die Grundrisse dieser Kirchen, so springt die Aehnlichkeit ihrer Anlage sofort in die Augen. Beide bilden fast dieselbe Form eines Kreuzes, in welchem das Verhältniss des Chores zum eigentlichen Kreuzbaue bei beiden ziemlich gleich ist, der Kreuzbau und die westlichen thürme fast in demselben Verhältnisse über die Abseiten hervortreten und die westlichen Thürme eine gleichartige Anlage haben. Dagegen zeigen sich auch einige wesentliche Verschiedenheiten. Die drei Vorhallen haben Halbzirkel an der Kirche zu Wechselburg, dagegen Hälften eines Achtecks an der Kirche zu Memleben; das Schiff jener wird durch acht, dieses hingegen durch zehn Mittelpfeiler gestützt und letzteres dadurch verhältnismässig verlängert; die westlichen Thürme dieser Kirche sind grösser in ihren Dimensionen, und bedeutend schwächer in ihren Grundmauern als die westlichen Thürme zu Wechselburg. — Durch die erwähnte Verlängerung des Schiffes und die grösseren Vierecke der westlichen Thürme wird die Kirche zu Memleben beträchtlich länger als die zu Wechselburg, obgleich der Kreuzbau und Chor beider in den Dimensionen wenig abweichen.

 

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*) Die königl. Preuss. Regierung hat nicht nur mit manchem Kostenaufwand den Fussboden der oberen Kirche schon vor Jahren mit Steinplatten belegen lassen, so dass das Regenwasser einen Ablauf hat, sondern sie hat auch andere ruhmwürdige Einrichtungen zur Erhaltung der Crypta neuerlich getroffen.

 

**) S. Des Verf. „Die Schlosskirche zu Wechselburg, dem ehemaligen Kloster Zschillen etc., als 1ste und 2te „Lief. Der Denkmale der Baukunst in Sachsen, Iste Abtheil., das Königreich etc. Sachsen enth. Leipzig, 1835.“

 

 

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Hinsichtlich der Gebäude selbst lassen sich wenige Vergleichungslinien ziehen, da von der Kirche zu Memleben nur Ruinen übrig sind und auch zu Wechselburg nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustande vorhanden ist. Die von uns wieder hergestellten äusseren Ansichten beider Kirchen können für streng artistische Untersuchungen keinen hinlänglich sicheren Maasstab geben. Dennoch mangelt es in dem Vorhandenen nicht ganz am Stoff für Parallelen. — Die Pfeiler, welche das Schiff tragen, sind in beiden Kirchen massiv und viereckig, jedoch in Memleben an den beiden inneren Seiten mit Halbsäulen versehen, während zu Wechselburg die Ecken durch schwache Säulchen verziert sind. Die Säulenknäufe zu Memleben, soweit sie noch vorhanden sind, sind grösstentheils glockenförmig und höchst einfach; doch kommen in der Crypta fünf verzierte Knäufe vor, an deren einem Thiergestalten, mit Laubwerk umschlungen, abgebildet sind. In der Kirche zu Wechselburg dagegen bieten sich viele reich verzierte Säulenknäufe dar. Völlig übereinstimmend sind die Säulenfüsse am nördlichen Portal zu Wechselburg und in der Crypta zu Memleben; charakteristisch bei beiden die schräg ablaufenden Würfel, worauf die Säulen ruhen, und die vier Blattverzierungen, welche auf den unteren Ringen der Säulenfüsse angebracht sind. Letztere Verzierungen finden sich auch an den Säulen der Kirche zu Paulinzelle, welche im Jahre 1106 erbaut wurde. In der Kirche zu Wechselburg ist der Rundbogenstyl in den Gewölben, dem Schiffe, den Fenstern, folgerecht durchgeführt, wogegen in Memleben das Mittelschiff, das westliche Portal und die äusseren Fenstertheile der Crypta den frühesten Spitzbogenstyl, die übrigen Fenster und Bogen, so wie die inneren Fenstertheile der Crypta aber den Rundbogenstyl zeigen. Die byzantinische Verzierung an der Aussenseite der Chorvorhalle zu Memleben ist eigen- thümlicher Art und von der zu Wechselburg abweichend. Die Figuren an den Wandpfeilern in Memleben sind leider zu verblichen als dass diese Kunstprodukte mit den plastischen Werken zu Wechselburg genau verglichen werden könnten, indess ist bei aufmerksamer Beobachtung doch aus der Grazie und Haltung, aus der weichen idealen Gesichtsbildung und aus der Draperie der trefflichen Wechselburger Figuren, verglichen mit den etwas steifen und starren Figuren zu Memleben, welche in einer gewissen nordischen Weise costumirt sind und sich zum Theil durch sehr schlanke Taillen auszeichnen, zu erkennen, dass die Kunstleistungen in der Kirche zu Memleben auf eine andere Periode hindeuten, als die in der Kirche zu Wechselburg.

 

Wenn wir das Resultat dieser Betrachtungen zusammen fassen, und uns in den Fall setzen, dass wir über die frühere Geschichte Memlebens gar keine geschichtlichen Nachrichten besässen, so würden mehrere Gründe beim ersten Anblick dieser Kirche vielleicht gar zu der Annahme führen, dass die Kirche zu Memleben neueren Ursprunges als die zu Wechselburg sey, und ihre Erbauung wahrscheinlich in den Anfang des 13ten Jahrhunderts falle. Hauptsächlich würden dafür sprechen 1) die Arkaden, auf welchen das Mittelschiff ruht, indem theils die Spitzbogen derselben dem Uebergange in eine spätere Zeit anzugehören scheinen, theils die an den beiden Seiten der Stützpfeiler angebrachten Säulen und die auf letzteren ruhenden inneren Bogen im Gegensatz zu der schlichten Einfachheit der Stützpfeiler zu Wechselburg auf eine mehr entwickelte Baukunst hinzudeuten scheinen, aus welcher dann noch später die schönen Säulenbündel des gothischen Styles hervor gingen; 2) das westliche Portal, bei welchem die über einander liegenden Glieder von verschiedener Form sich in einen ähnlichen Spitzbogen schliessen, und welches gleichsam die einfache Grundform der prächtigen Portale zeigt, mit welchen spätere und nahmentlich im 13ten Jahrhundert erbaute Kirchen geschmückt sind; 3) die Aussenfenster der Crypta,

 

 

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bei denen der Spitzbogen aus einer so geringen Veränderung des Rundbogens hervor gegangen ist, dass hierdurch recht eigentlich die Uebergangsperiode bezeichnet zu werden scheint; 4) die Form der Vorlagen des Chores und der beiden Seiten des Kreuzbaues, welche aus einem Achteck gebildet sind, während die zu Wechselburg noch die runde Form zeigen, welche letztere, als aus der römisch-byzantinischen Bauart entsprossen, in der Regel als die ältere angenommen wird; 5) die Anlage der Kirche überhaupt, welche sich (wenn man die Grundrisse beider vergleicht,) vor der zu Wechselburg durch ein schöneres Verhältniss des Kreuzbaues und der, westlichen Thürme zum Schiffe auszeichnet, und gegen welche die zu Wechselburg durch die massiven Mauern der Thürme und anderer Theile, so wie durch die stärkeren Mittelpfeiler, ein schwerfälligeres Ansehen zeigt.

 

Ziehen wir jedoch die im Eingange des gegenwärtigen Heftes zusammengestellte Geschichte des Klosters Memleben zu Rathe, so dringt es sich, wie wir schon dort angedeutet haben, als das Wahrscheinlichste auf, dass die Kirche zu Memleben zu der Zeit erbaut worden sey, wo dieser Ort zu einer freien Abtei errichtet und reichlich ausgestattet wurde, nähmlich zu Ende des 10ten Jahrhunderts, und es will uns kaum glaublich erscheinen, dass eine so geräumige Kirche in einer Zeit erbaut worden seyn sollte, wo das Kloster Memleben nach den geschichtlichen Zeugnissen in einem Zustande des Verfalles und der Verarmung gewesen zu seyn scheint. Gleichwohl sind anderer Seits die vorhandenen historischen Nachrichten zu mangelhaft, als dass ein sicherer Schluss daraus gezogen werden könnte.

 

Indem wir so zwischen zwei verschiedenen Muthmassungen schwanken, steigen wir noch einmal in die Crypta zu Memleben hinab und widmen diesem unterirdischen Gebäude wiederholt eine aufmerksame Betrachtung. Wir überzeugen uns sofort bei unserem Eintritt, dass dieses untere Bethaus einer sehr frühen Vorzeit angehört. Die Durchführung des Rundbogens in den Fenstern, den Thüren und der gewölbten Decke zeigt den byzantinischen Baustyl in seiner Reinheit. Wir würden daher geneigt seyn, die Crypta für den frühesten Theil des ganzen Gebäudes zu halten und ihr ein höheres Alter als der über ihr erbauten Kirche zuzuschreiben, wenn nicht wieder die Säulenfüsse und mehrere Knäufe in der Crypta die grösste Aehnlichkeit mit den Säulenfüssen und glockenförmigen Knäufen der oberen Kirche zeigten; auch finden sich die erwähnten Blattverzierungen wieder, und es wird in uns der neue Zweifel rege, ob wir die Erbauungszeit der Crypta in das Alter der oberen Kirche vorrücken oder letztere in jene Zeit zurück versetzen sollen.

 

Endlich ist noch eines Umstandes zu gedenken, welcher ein nicht unbedeutendes Gewicht in die schwankende Wagschaale zu legen scheint. Wir berührten nähmlich schon S. 8, dass in der Kirche die Umfassungsmauern der Abseiten und des Chores, ferner die Mauern über den Bogen des Schiffes, die westlichen Thürme, und andere Mauertheile aus unregelmässigen, meist platten Bruchsteinen eines silbergrauen Thonschiefers bestehen. Nun finden sich nach Westen und in geringerer Entfernung von den gegenwärtigen Wirthschaftsgebäuden nicht unbedeutende Ruinen, welche Reste des ehemaligen Castelles oder Königshofes seyn mögen, und diese Mauerreste bestehen aus demselben Thonschiefer und sind auf dieselbe Weise zusammengesetzt wie die erwähnten Mauern der Kirche. Diese Aehnlichkeit des Mauerwerkes würde die Vermuthung sehr verstärken, dass die Kirche zu Memleben, deren Ruinen wir jetzt noch erblicken , mit dem Castell ziemlich gleichzeitig erbaut worden und dieselbe sey, welche bereits gegen Ende de 10ten Jahrhunderts vorhanden war.

 

 

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Der Leser, welchen wir durch diese Betrachtungen auf den schwankenden Boden des Zweifels geführt haben, wird nun die billige Anforderung an uns stellen, dass wir uns am Schlusse für eine oder die andere Meinung mit voller Gewissheit entscheiden. Allein, ob es gleich nicht schwer fallen dürfte, für eine bestimmte Entscheidung über das Alter der Kirche zu Memleben mehrfache Gründe zusammen zu stellen, so würden wir doch glauben, dem Verlangen des Lesers hierdurch mehr scheinbar als wirklich zu genügen. Die Geschichte des Baustyles der frühesten Jahrhunderte ist bis jetzt, ungeachtet mancher verdienstvollen Forschung, noch zu wenig aufgehellt und bedarf noch zahlreicher Vergleichungen, als dass in denjenigen Fällen, wo uns die Geschichte eines Gebäudes keine ganz unwiderleglichen Anhaltungspunkte bietet, aus wenigen Ueberresten und einzelnen Verzierungen derselben die Erbauungszeit verschiedenartiger Theile eines solchen Gebäudes bis auf einen eng begränzten Zeitraum bestimmt werden könnte. Zwar fehlt es nicht an vielen und mit Kostbarkeit gearbeiteten Abbildungen von Bauwerken der byzantinischen Bauzeit, allein wir stehen nicht an, offen auszusprechen, dass man sich theils auf ihre Treue nicht immer gänzlich verlassen kann, da besonders die Künstler des Auslandes oft mehr auf malerische Darstellung als auf höchste Genauigkeit bedacht sind, dass aber theils die damit verbundenen Beschreibungen oft entweder so unvollständig und mehr schönrednerisch oder so mit blossen Muthmassungen ohne artistische oder historische Nachweisungen angefüllt sind, dass wir uns enthalten, auf solche Werke vergleichungsweise uns zu beziehen, indem wir dadurch das herrschende Dunkel eher zu verdichten als aufzuhellen fürchten.

 

Wir müssen daher, was Memleben betrifft, uns jetzt bei den obigen Andeutungen begnügen und den geneigten Leser auf die allgemeinen artistischen Betrachtungen verweisen, welche wir am Schlusse des gegenwärtigen Werkes gründlicher und mit grösserer Sicherheit anzustellen vermeinen und bei welchen wir dann auch noch einmal auf unser Memleben zurückkommen werden.

 

 

 

Schriften, welche bei der Bearbeitung der historischen und artistischen Nachrichten über Memleben benutzt worden sind.

 

Wilhelm (August Benedict), Geschichte des Klosters Memleben in Thüringen. Erste Abtheilung, das Zeitalter der Sächsischen Kaiser, bis zur Unterwerfung des Klosters unter die Oberherrlichkeit der Abtei Hersfeld im Jahre 1015. Naumburg, 1827. 4to. — als 5ter Heft der Mittheilungen aus dem Gebiete historisch - antiquarischer Forschungen, herausgegeben von dem Thüringisch-Sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen Alterthums,

 

Schamelius (Joh. Martin), Historische Beschreibung des vormals berühmten Benedictiner-Klosters zu Memleben in Thüringen, etc. Naumburg, 1729. 4to.

 

Dithmari Episcopi Merseburgensis Chronicon, denuo recensuit, Ursini, Kinderlingii et Wedekindi passim et suas adjecit notas A. Wagner. Norimb. 1807. 4to.

 

Chronicon Episcoporum Merseburgensium, — in Ludwig, Reliquiae Manuscriptorum etc. Tom. IV.

 

Auctor vitae Mathildis, — in Leibnitz, Scriptt. Brunswic. Tom. I.

 

Witickindi Corbej. Annales, — in Leibnitz, Scriptt. Tom. II.

 

Annalista Saxo, — in Eckard, Corpus hist. medii aevi, Tom. I.

 

Chronographus Saxo, — in Leibnitz, Accession, historr. Tom. I.

 

Fabricius, Origines Saxon. Lips. 1598. Fol.

 

Lebensgeschichte der Kaiserin Mathildis, Gemahlin Heinrich’s I. Aus den Scribenten des mittlern Zeitalters gezogen. Reval und Leipzig, 1780, 8vo,

 

 

 

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Geschichte König Heinrich I. und Kaiser Otto des Grossen, aus den Annalen Wittekinds von Korbei, mit historisch-geographischen Anmerkungen. Dresden und Leipzig, 1780. 8vo.

 

Wenk (Helfr. Bernh.), Hessische Landesgeschichte. Frkf. und Leipzig, 1783. 3 Bde. u. 2 Bände Urkundenbuch.

 

Schultes, Directoriam diplomaticum oder chronologisch geordnete Auszüge von sämmtlichen über die Geschichte Obersachsens vorhandenen Urkunden. 2 Bände. Altenburg und Rudolstadt, 1820. ff. 4to,

 

Thuringia sacra, s. historia monasteriorum, quae olim in Thuringia floruerunt etc. Francof. 1737. Fol. M, Kpf.

 

von Berbisdorf, Sammlung von Abschriften der im Dom-Archiv zu Merseburg vorhandenen Urkunden, Mscr.

 

Sagittarius, Histor. Episcopp. Numburgg. — an dessen Histor. Eccardi II. ed. 1718. 4to.

 

Unschuldige Nachrichten von alten und neuen theolog. Sachen etc. vom Jahre 1712. 8vo.

 

Kreysig (Georg Christoph), Beiträge zur Historie der Sächsischen Lande. Altenburg, 1754. 8vo. 2ter Bd.

 

Bertuch (Justin), Pfortisches Chronicon. Leipzig, 1734. 4to.

 

Stieglitz (Christian Ludwig), Ueber die Ruinen einer alten Kirche zu Memleben an der Unstrut, — in Weisse's Musäum für die Sächsische Geschichte, 1sten Bds. 1stes Stück.

 

Derselbe, Von altdeutscher Baukunst. Leipzig, 1820. 4to. M.K.

 

Kugler (Dr. F.), Ueber die Kirche zu Memleben etc. im Museum, Blätter für bildende Kunst, Jahrg. 1834. No. 19 ff.

 

 

 

 

Quelle:

 

Die Kirchen zu Kloster-Memleben, Schraplau und Treben.

Bearbeitet und herausgegeben von Dr. L. Puttrich, unter besonderer Mitwirkung von G. W. Geyser dem Jüngeren, Maler, Mitgliedern des Vorstandes der deutschen Gesellschaft zu Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer zu Leipzig, und mehrerer auswärtigen gelehrten Gesellschaften.

 

Erschienen: Leipzig, Brockhaus, 1837

Die Königlich Preussische Provinz Sachsen Enthaltend, Puttrich, Ludwig. - Leipzig

von Puttrich, L. | Geyser, G. | Lepsius, C.