F. Kugler 1841 über Paulinzella

II. Bemerkungen über die Kirche von Paulinzelle.

Von F. Kugler.

 

Die Kirche des Klosters Paulinzelle im Thüringer Walde, gegenwärtig, wie bekannt, eine überaus malerische Ruine, bildet ein wichtiges Beispiel für die Anschauung des ältern romanischen (oder byzantinischen) Styles der deutsch-mittelalterlichen Architektur. Sie zeichnet sich durch einige besondre Eigenthümlichkeiten der Anlage aus, für deren nähere Betrachtung ich die Aufmerksamkeit der Leser auf einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen wage. In Rücksicht auf die historischen Verhältnisse

 

 

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des Klosters beziehe ich mich hiebei auf die Notizen, welche die treffliche Geschichte des Klosters Paulinzelle, von Dr. L. F. Hesse (Rudolstadt, 1815) *) enthält.

 

Das Gebäude zerfällt in zwei verschiedene Theile. Der eine ist die eigentliche Kirche, der andere eine geräumige Vorhalle, welche an der Vorderseite der Kirche in beträchtlicher Ausdehnung vortritt. Was zunächst die Kirche selbst anbetrifft, so hat diese die Gestalt einer reinen Basilika: — derjenigen Bauform, die, aus antiken Elementen hervorgegangen, in der altchristlichen Kunst ihre eigenthümliche Ausbildung erhielt und die später (nächst Italien) vornehmlich in Deutschland häufig zur Anwendung gekommen ist. Säulenreihen trennen das Mittelschiff von den Seitenschiffen; sie sind durch Halbkreisbögen verbunden, welche die erhöhten Mauern des Mittelschiffs tragen; sämmtliche Räume, mit Ausnahme der (jetzt zumeist zerstörten) Altarnischen, hatten eine flache Bretterdecke. In der Mehrzahl der deutschen Basiliken wechseln viereckige Pfeiler mit Säulen, oder es sind statt der letzteren allein Pfeiler angewandt; die hier erscheinende, ursprünglichere Einrichtung der reinen Säulenreihe ist dagegen nicht sonderlich häufig, und ich wüßte als entsprechende Beispiele nur den Dom zu Constanz, die Kirche des Klosters Petershausen bei Constanz, den Münster zu Allerheiligen in Schafhaufen, die Kirche des h. Georg zu Hagenau im Elsaß, die Aureliuskirche des Klosters Hirschau in Schwaben, die Schottenkirche zu Regensburg, die Kirche des Klosters Heilsbronn in Franken, die Kirche St. Jacob zu Bamberg und die Kirche auf dem Moritzberge zu Hildesheim zu nennen, — Alles Gebäude, die theils aus der spätern Zeit des 11., zumeist aber aus dem 12. Jahrhundert herrühren, wenn sie auch in der Folge manche Veränderungen erlitten haben.

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*) Zu vergleichen sind damit die aus Chroniken und Urkunden genommenen Berichtigungen und Ergänzungen in Hesse’s Beiträgen zur Geschichte des Mittelalters I., 2. (Hamburg 1836) Anhang S. 337. mit einer Ansicht der Klosterruine. W.

 

 

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Die Säulen der Paulinzeller Kirche haben ein schlankes Verhältniß; dabei aber sind ihre (in der attischen Form gebildeten) Basen sehr schwer, ebenso auch die Kapitäle, welche sämmtlich in der einfachen Würfelform gebildet und mit sehr einfacher Verzierung versehen sind. Doch hat das Deckgesims über den Kapitälen eine geschmackvolle Gliederung; auch bringen die Gesimse, die an der Wand über den Säulen emporsteigen und die jene Halbkreisbögen rechtwinklig einschließen, einen ansprechenden Eindruck hervor. Die letztgenannten Gesimse haben die bekannte würfelartige Verzierung.

 

Historischer Nachricht zufolge wurde die Kirche um das J. 1105 gebaut; ich finde keinen Grund, den Bezug dieser Bauzeit auf das noch vorhandene Gebäude irgend zu bezweifeln. Sehr wichtig ist hiebei das Verhältniß von Paulinzelle zu dem schwäbischen Kloster Hirschau, von wo die ersten Aebte und Mönche nach Paulinzelle kamen; namentlich ist zu bemerken, daß der erste Abt von Paulinzelle, Gerung, als im J. 1092 die Conventualen zu Hirschau in das dortige neue Peterskloster einzogen, als Prior nebst zwölf Mönchen in dem älteren Aureliuskloster zurückgeblieben war. Die Gebäude von Hirschau dürften also das Vorbild zu denen von Paulinzelle gegeben haben. Leider sind die Anlagen des Klosters sehr zerstört. Erhalten ist zunächst nur ein Theil der Aureliuskirche, der Säulenreihen von ähnlicher Beschaffenheit, wie die von Paulinzelle, zeigt, nur mit dem Unterschiede, daß die Schäfte der Säulen hier ungleich kürzer und stämmiger, auch die Deckgesimse über ihren Capitälen einfacher gebildet sind. Der erste Bau dieser Kirche wurde im J. 838 vollendet; im J. 1003 aber wurden die Mönche daraus vertrieben, und das Kloster stand 63 Jahre leer, bis es im J. 1066 neu bevölkert, in seinen Baulichkeiten wiederhergestellt, und die Kirche im J. 1071 neu geweiht wurde. Den letztgenannten Jahren ist unbedenklich der erhaltene Rest der Aureliuskirche zuzuschreiben; ihn für einen Theil des Baues vom J. 838 zu halten, widerspricht vornehmlich

 

 

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der Umstand, daß an der Formenbildung seiner Theile nichts mehr vorkommt, was eine direkte Nachwirkung der Bauweise des classischen Alterthums, wie wir in der karolingischen Periode noch mit zuversichtlicher Bestimmtheit annehmen müssen, verriethe. Später aber kann jener Rest der Aureliuskirche auch nicht sein, da schon im J. 1083 die Lage des Hirschauer Klosters verändert, dasselbe erweitert und eine neue Kirche, die Peterskirche, erbaut wurde, welche man im J. 1091 einweihte. Von dieser Kirche haben sich, mit Ausnahme eines Thurmes, nur formlose Trümmer erhalten; doch geht aus den letzteren wenigstens hervor, daß sie im Innern nicht Säulen, sondern Pfeiler hatte. Die Aureliuskirche gab somit das Vorbild für die von Paulinzelle, und es kann dies, bei dem angegebenen näheren Verhältniß des Abtes Gerung zu derselben, auch nicht weiter befremden. Zugleich aber dient die Uebereinstimmung zwischen diesen beiden Kirchen noch zu einer weiteren Bestätigung der obigen Angabe über die Bauzeit der Aureliuskirche (denn jedenfalls werden die Werkmeister doch in dem Style ihrer Zeit gearbeitet, nicht aber einen um mehrere Jahrhunderte älteren nachgeahmt haben); die größere Einfachheit der Aureliuskirche aber wird dabei durch den Zwischenraum von 30 - 40 Jahren genügend erklärt *).

 

Fast noch interessanter als die eigentliche Kirche von Paulinzelle ist jener schon erwähnte ausgedehnte Vorbau an ihrer Vorderseite. Dieser gehört jedoch nicht der ursprünglichen Anlage an, sondern ist, wie sich aus äußeren unzweideutigen Kennzeichen ergiebt, sammt dem brillanten Portale, welches aus ihm in die Kirche führt, erst später angefügt worden. Das Portal hat an seinen schrägen Seitenwänden je vier schlanke freistehende

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*) Vgl. den Aufsatz von Krieg v. Hochfelden über die alten Gebäude im ehemaligen Kloster Hirschau, in Mone’s Anzeiger zur Kunde der teutschen Vorzeit, 1835, S. 101 ff.; 259, ff. und die dazu gehörigen Tafeln. — Der Verf. nimmt übrigens keinen Anstand, die Reste der Aureliuskirche noch dem J. 839 zuzuschreiben.

 

 

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Säulen, deren Kapitäle, in ihrer Hauptform denen der Kirche ähnlich, mit phantastischen Figuren verziert, doch auch noch roh gearbeitet sind. Darüber erhebt sich der vielfach gegliederte Halbkreisbogen, der das Portal überwölbt und dessen Formation auf die spätere Zeit des romanischen Styles hindeutet. Die Vorhalle selbst besteht aus einem Mittelschiff mit zwei Seitenschiffen, ähnlich denen der Kirche, die hier aber nicht durch Säulen-, sondern durch Pfeilerstellungen getrennt werden. Auf jeder Seite stehen zwei Pfeiler zwischen den entsprechenden Wandpfeilern. Begrenzt wurde die Halle durch zwei starke viereckige Thürme auf den anderen Ecken, von denen aber nur noch der eine erhalten ist. Die Pfeiler der Halle sind viereckig, mit in die Ecken eingelassenen Stäben und Halbsäulchen, — eine Bildungsweise, die wiederum der spätromanischen Bauzeit entspricht und z. B. an den Kirchen von Bürgeln und Wechselburg in Sachsen wiederkehrt; die Halbkreisbögen über den Pfeilern haben dieselbe Gliederung. Ueber den letzteren, der Höhe des Portales entsprechend, läuft ein, aus einfachen Rundstäben bestehendes Gesims hin. Dies diente, wie sich aus noch vorhandenen Balkenlöchern aufs Deutlichste ergiebt, einer Balkendecke zur Unterlage, so daß mithin die Vorhalle eine, im Verhältniß zur Kirche nur geringe Höhe hatte und daß über derselben, wie die weiter emporsteigenden und mit Fenstern versehenen Mauern bezeugen, eine obere Halle angeordnet war. Aus letzterer öffnete sich eine kleine Arkadenreihe, welche oberhalb des Portales hinläuft, nach dem Inneren der Kirche.

 

In der, von Hrn. Direktor Ranke und mir verfaßten „Geschichte und Beschreibung der Schloßkirche zu Quedlinburg etc. habe ich Gelegenheit gehabt, eine Reihe von älteren, am Nordrande des Harzes belegenen Basiliken zu besprechen; ich bin dabei zu der Bemerkung veranlaßt worden, daß die Anlage einer Loge auf der Westseite der Kirche, gegen das Innere derselben durch Arkaden geöffnet, als ein integrirender Theil dieser Bauten betrachtet werden muß. Doch habe ich überall diese Loge

 

 

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nur als einen Bautheil von verhältnißmäßig geringer Tiefe (etwa der Breite der Seitenschiffe gleich oder doch nur wenig breiter) befunden. Die Anlage einer Loge von so bedeutender Ausdehnung dagegen, wie die obere Halle vor der Kirche von Paulinzelle zeigt, muß nothwendig aus ganz besonderen Bedürfnissen hervorgegangen sein. Ich meine indeß den Grund in den Verhältnissen des Klosters gefunden zu haben. Es war zugleich ein Mönchs- und ein Nonnenkloster, und die Kirche diente beiden zur Abhaltung des Gottesdienstes. Wie aber häufig genug bei so bedenklichen Einrichtungen geschah, wird man ohne Zweifel auch hier die Gemeinschaft der Mönche und Nonnen in einem und demselben Raume mit einer guten Kirchenzucht für unvereinbar gehalten und somit darauf Bedacht genommen haben, letzteren ihren besonderen, zurückgezogenen Platz anzuweisen. Hiezu gab eine, nach Art jener Loge, aber geräumiger eingerichtete Emporkirche, die ihren besonderen Zugang haben konnte, die durch die oben genannte Arkade mit dem Inneren der Kirche in Verbindung stand und somit das Anhören der Messe gestattete, gewiß die beste Gelegenheit. Was die untere Halle anbetrifft, so wird auch diese wohl kein müßiger Schmuck gewesen, sondern ebenfalls für praktische Zwecke benutzt worden sein. Die Kirchenzucht erforderte solche Vorräume, für diejenigen sowohl, welche noch nicht völlig in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen, als für die, welche für längere oder kürzere Zeit aus derselben ausgestoßen waren. Bei den alten christlichen Basiliken waren diese Theile ein wesentliches Zubehör; auch im Verlauf des Mittelalters finden sich anderweitig mehrere Beispiele derselben.

 

Für die Zeit des besprochenen Anbaues sind die Eigenthümlichkeiten seiner Formation, welche auf die späteren Jahre des 12. Jahrhunderts deuten, hinlänglich bezeichnend. Ohne Zweifel fällt er in die Regierung des dritten Abtes, Gebhard, 1163 - 1195, der sich besondrer Auszeichnungen zu erfreuen hatte und namentlich das Vorrecht des Tragens der Inful erhielt.

 

 

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Die reichere Ausbildung der in Rede stehenden Bautheile, namentlich des Portales, welches ein gewisses Bewußtsein höherer Würde verräth, scheint mit so ausgezeichneten Lebensverhältnissen zugleich wohl in Uebereinstimmung zu stehen.

 

 

Quelle:

Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen / im Namen des mit der Königl. Universität Halle-Wittenberg verbundenen Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des Vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale hrsg. - Halle.

Band 6 (1841) Heft 1 S. 19 - 25 II. Franz Kugler: Bemerkungen über die Kirche von Paulinzelle

 

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Das von Franz Kugler benutzte Buch von D. Ludwig Friedrich Hesse, gedruckt in Rudolstadt in der Froebelschen Hofbuchdruckerei 1815 - Geschichte des Klosters Paulinzelle wurde im Münchener Digitalisierungszentrum eingescannt und ist unter folgendem Link einsehbar:

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