F. von Quast 1852: Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg. 1)

Von F. v. Quast.

(Hierzu eine lithographirte Beilage.)

 

Den Freunden des deutschen Mittelalters sind die Denkmäler der Baukunst nicht unbekannt, durch welche Regensburg eine so ausgezeichnete Stellung in Deutschland einnimmt. Dr. Waagen 2) hebt die Bedeutsamkeit der Stadt, in Bezug auf ihre alten Bauwerke, mit Recht hervor, indem ihr, was namentlich die Kirchen des XII. und XIII. Jahrhunderis betrifft, in Deutschland nur Cöln voranstehe. Er beschreibt dieselben im Einzelnen, so dass auch derjenige, dem es nicht vergönnt war, die Monumente an Ort und Stelle zu sehen, durch ihn einen Ueberblick jener Bedeutsamkeit erhält; wer dieselben aber am Orte selbst aufsucht, wird seine Beschreibung gern zur Hand haben, da sie ihm vielfache Aufklärung über ihren Styl und die Reihenfolge ihrer Erbauungszeiten gewährt.

 

Das grosse Werk von Popp und Bülau, über die alten Kirchen von Regensburg, führt uns einige der bedeutendsten jener Monumente in ausgezeichneten Aufnahmen vor Augen. Schon die blosse Ansicht der nur in Konturen gegebenen Blätter wird den Kunstkenner von der Sorgsamkeit überzeugen, mit der jene Aufnahmen und nach ihnen der Stich wieder vollführt wurden. Ich kann die Vorzüge dieser Aufnahmen, welche sich fast vor allen mir bekannten rühmlichst auszeichnen, um so mehr anerkennen, als ich das Glück hatte, die Kirchen in Begleitung des Herrn Popp zu sehen, und seine Herausgabe gleichzeitig damit zu vergleichen. Nur einen Mangel möchte ich dabei hervorheben, dass nämlich der Fugenschnitt des Mauerwerkes nirgend angedeutet ist. Es würden hiedurch die Formenbildungen jedesmal noch charakteristischer hervortreten, und manche Unregelmässigkeiten der Architektur durch das verschiedenartige Mauerwerk motivirt erscheinen; auch die verschiedenen Bauzeiten würden dadurch besser charakterisirt werden.

 

Noch einen Mangel dieses Werkes würde ich als solchen bezeichnen, wenn er die Verfasser träfe. Er trifft aber uns, das deutsche kunstliebende oder vielmehr nicht liebende Publikum. Der ungenügende Absatz des Werkes veranlasste dessen Stillstand, nachdem nur drei Monumente, allerdings ziemlich die bedeutendsten von ihnen, veröffentlicht waren. Es sind: die Schottenkirche zu S. Jacob, die alte Pfarre und der Dom, als Repräsentanten des romanischen, des Uebergangs-Styles und der vollendeten Gothik. Gern bätten wir noch einige der andern Monumente ihnen in ähnlich würdiger Weise angeschlossen gesehen; doch müssen wir dankbar für das Geleistete sein und für die übrigen Bauwerke in zerstreuten Werken bei Gruber, Kallenbach u. s. w., wenn auch ungenügende Darstellungen aufsuchen.

 

Wenn ich jetzt über Regensburger Monumente Einiges zu berichten gedenke, so wünsche ich nicht zu wiederholen, was von meinen Vorgängern bereits in vollständiger Weise zur Darstellung gebracht worden ist. Ich beabsichtige nur dasjenige den Kunstfreunden vorzulegen, was mir namentlich in Bezug auf die älteren Bauwerke noch nicht zum Abschluss gebracht zu sein scheint, und wo sich mir specielle Thatsachen und Beweismittel darboten, welche wohl geeignet waren, dem gewünschten Ziele näher zu kommen.

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1) Dieser schätzenswerthe Beitrag wurde schon fast vor einem Jahre geschrieben und uns dann mitgetheilt, welches wir im Interesse des Hrn. Verf. bemerken. Aeussere Umstände verhinderten den früheren Abdruck. D. R.

2) Kunstwerke und Künstler in Deutschland, II. S 87.

 

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Die Donaugegenden waren bekanntlich nicht weniger als wie die Rheinlande von römischer Kultur erfüllt. Dennoch ist hier nirgend, wenigstens in Deutschland, ein nennhaftes Werk der Römer über der Erde erhalten. Auch von altchristlichen Bauwerken ist nichts mit Sicherheit nachzuweisen. Die grosse Strasse der Völkerwanderung ging diesen Strom entlang, und was etwa von den Verwüstungen der einen noch verschont worden war, wurde von den folgenden Barbaren gründlich zerstört; und was diese elwa noch übrig gelassen, sank noch im IX. und X. Jahrh. unter der viehischen Raubsucht der Ungarn, bis endlich auch für diese unglücklichen Länder die Siege der sächsischen Kaiser den Anfang einer neuen Kultur möglich machten.

 

Namentlich ist es Regensburg, die alte Residenz der Agilolfinger und deutschen Karolinger, so wie der Herzöge Bayerns im X. und XI. Jahrhundert, welches durch seine frühe christlich-germanische Kultur vor allen Städten des Südens von Deutschland den Anspruch wenigstens auf Monumente des Hochmittelalters hätte. Hieher kam, der wohl nicht unbegründeten Sage zufolge, aus Gallien der heilige Rupertus schon im Anfange des VII. Jahrhunderts, noch ehe er seinen Stuhl in Salzburg aufstellte, und taufte den Herzog und sein Volk. Hieher folgte ihm bald sein Landsmann S. Emmeran und stiftete das berühmte Kloster, dem er als Abt und Bischof zugleich vorstand. Hier sehen wir endlich noch mehrere Bauwerke, welche vor andern durch eigenthümliche Formen und alterthümliche Einfalt sich auszeichnen, und denen man daher gern geneigt ist, ein hohes Alter anzuweisen.

 

Der Monumente, die der Zeit vor dem XI. Jahrhundert angehören, sind im Occidente (mit Ausnahme von Rom und Ravenna) so wenige, dass sie gänzlich gegen diejenigen verschwinden, welche uns allein aus dem XI. Jahrhunderte übrig geblieben sind, namentlich in Deutschland. Ich habe an einem andern Orte 1) gezeigt, wie vorsichtig man in dieser Beziehung zu Werke gehen muss, und eine wie geringe Zahl selbst derjenigen Werke ist, welche die Kritik des XI. Jahrhunderls aushalten, während das Land mit den Bauwerken der folgenden Jahrhunderte so zu sagen bedeckt ist. Wenn daher für Monumente, wie namentlich den sogenannten alten Dom zu Regensburg oder gar für das demselben benachbarte sogenannte Baptisterium, welche beide an dem Kreuzgange des Domes liegen, und die allerdings sehr ungewöhnliche und namentlich das erstere Gebäude auch entschieden alterthümliche Formen zeigen, ein Alter beansprucht wird, das noch mehr oder weniger weit über das XI. Jahrhundert hinaufsteigt, so kann man ganz bestimmte Beweise dafür fordern, oder man muss die Sache dahin gestellt sein lassen. 2)

 

Des sogenannten Bapltisteriums vorläufig zu geschweigen, so verlohnt es wohl der Mühe, eine genaue Feststellung für das Alter des alten Domes zu finden. Schon die Gesammtanlage 3) des nur mässig grossen Bauwerkes zeigt eine ungewöhnliche

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1) Beiträge zur chronologischen Bestimmung der ältern Gebäude Cölns bis zum XI. Jahrhundert, in den Jahrbüchern des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. X. S. 187. und XIII. S. 168 sq.

2) Waagen a. a. 0. S. 93. 94 setzt die Erbauung beider als wahrscheinlich im IX. Jahrhundert voraus. Kallenbach in seiner Chronologie der deutschen mittelalterlichen Baukunst Bl. I. lässt den alten Dom v. Bischof Garibald zwischen 740--752 erbaut werden. Gruber in seiner vergleichenden Darstellung für christliche Bauk. II. Tafel XXXVI, 1. hält den alten Dom ſür die älteste christliche Schöpfung in Deutschland, vielleicht von Tassilo I. gegründet und spätestens aus dem VIII. Jahrhundert. Für das sogenannte Baptisterium, welches er Tafel XXVI abbildet, nimmt er „mit Bestimmtheit“ die Karolinger Zeit an.

3) S. auf der anliegenden Tafel Fig. 1. den Grundriss der Kirche, mit Herstellung der alten Eingänge; Fig. 2. einen perspektivischen Längendurchschnitt; Fig. 3. Pfeilerkapitäle bei a. und an allen übrigen Pilastern des Schiffs; Fig. 4. Profil dazu; Fig. 5. Kapitäle b. der kleinen Pfeiler unter der Empore; Fig. 6. Details der kleinen durchbrochenen Blenden des Altares; Fig. 7. Auſriss einer Blende, Fig. 8. Durchschnitt derselben. Gruber giebt den Grundriss in seiner vergleichenden Sammlung für christliche Bauk. II. Bl. XXXVI. 1. Denselben nebst Längendurchschnitt und Details, aber namentlich die letzteren sehr ungenau, theilt Kallenbach mit, in seiner Chronologie der deutsch-mittelalt. Bauk. Bl. I. Fig. a—f.

 

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Grundform , nämlich ein Rechteck von doppelter Quadratform des Grundrisses, jedes Quadrat mit rundbogigem Kreuzgewölbe ohne Grate überspannt und durch schlanke Wandpfeiler von einander getrennt; jede Seite eines jeden Quadrats wieder von je zwei hohen Rundbogen - Nischen eingenommen, zwischen denen und zu deren Seiten sich wieder schmale und schlanke Pilaster befinden. Nicht minder ungewöhnlich erscheint auch das nur sparsam angewendete Detail, namentlich das elegante Profil aller Pilasterkapitäle und die ganz gleiche Basenbildung, welche eine der pragmatischen Ausbildung der romanischen Baukunst entschieden vorangehende Bildung zeigen.

 

Die Ostseite ist dadurch vor den anderen ausgezeichnet, dass sich hier nur eine grössere Nische befindet, in welcher ein sehr eigenthümlich geschmückter Altar steht. Derselbe zeigt einen viereckigen, inwendig hohlen Körper, an dessen unterer Hälfte eine Reihe kleiner Rundbogennischen angebracht ist, eine jede durch eine Art Fensterkreuz in vier Felder getheilt, deren Füllung jedesmal durch eine Menge runder Löcher durchbohrt ist, die in den innern hohlen Raum hineinschauen lassen. Solcher Nischen befinden sich acht an der Vorderseite des Altares, und noch eine an jeder Nebenseite, hart neben der Ecke der Vorderseite. Mir ist eine dergleichen Form bisher nirgend anderwärts vorgekommen; sie erinnert an die altchristlichen Steingitter an den Seiten der Altäre, durch die man in das Sepulchrum der Gruftkirche hinuntersehen kann. Die übrigen Theile des Altares ermangeln jeder Verzierung.

 

Die jetzigen Fenster der Kirche im oberen Theile der seitennischen sind nicht ursprünglich. Der älteren Fenster waren auf jeder Langseite nur zwei, je eins in dem Bogenschilde eines jeden Gewölbes, und zwar jedesmal grade über dem Pfeiler, der die zwei Nischen einer jeden Gewölbeabtheilung von einander trennt. Die Empore der westlichen Hälfte des westlichen Gewölbes ist ursprünglich, da die Pilaster-Kämpfer, auf denen das sie stützende Bogenpaar ruht, dasselbe Profil, wie jene an den Pfeilern der Seitenwände zeigen. Bemerkenswerth ist noch die Struktur des Mauerwerks, das allein an den Pfeilern und Bogeneinfassungen die regelmässigen Fugen eines sorgfältigen Quaderbaues zeigt, das übrige Mauerwerk aber ist von Bruchsteinen mit alter Verputzung.

 

Höchst beachtenswerth ist gewiss ein Grundriss, der durch die vielfachen und regelmässig angeordneten halbkreisförmigen Nischen (die man jedoch wegen ihres nur geringen Durchmessers von nur 6--7 Fuss nicht wohl mit Waagen als ehemalige Kapellen anerkennen kann), allerdings an römische Bauanlagen erinnert; beachtenswerth ist auch eine gewisse schlanke Magerkeit aller Verhältnisse, so wie die sorgfältige Behandlung der Details; Alles Eigenthümlichkeiten, die wohl den Anspruch auf hohe Alterthümlichkeit zu begründen geeignet sind. Wenn man aber weiter fragt, welchem Jahrhunderte dieselben speciell eigenthümlich sein möchten, so ist die Antwort darauf nicht so leicht zu geben. Aehnliche Eigenthümlichkeiten charakterisiren allerdings die Bauwerke des XI. Jahrhunderts; vieles davon lässt sich aber auch an den wenigen Monumenten erkennen, denen wir mit Sicherheit oder doch mit Wahrscheinlichkeit ein noch höheres Alter zuschreiben können. Aber ganz bestimmte Indicien, welche z. B. in Cöln und Umgegend zur Feststellung

 

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eines höheren Alterthums bewegen, fehlen hier. Auch ist wohl zu beachten, dass wir es hier mit einem nur kleinen Gebäude zu thun haben, dessen jetzt allgemein verbreiteter Name, alter Dom, uns nicht zu dem falschen Schlusse verleiten darf, als ob derselbe nothwendig einem hohen Alterthum angehören müsste, einer Zeit, wo etwa die Cathedrale noch von geringen äusseren Maassen gewesen wäre. Dergleichen vulgär populäre Namen haben oft gar keinen historischen Werth, und im vorliegenden Falle ist der wahre Name unseres sogenannten alten Domes der der St. Stephans Kapelle; dieselbe ist also einem ganz anderen Schutzheiligen als wie die wirkliche Cathedrale gewidmet, welche von Anfang an die heiligen Petrus und Emmeran als ihre Patrone verehrt.

 

Wenn wir nun, um zur Klarheit zu kommen, die alten historischen Zeugnisse zu Hülfe nehmen, so ist es mir nur gelungen, eine einzige Stelle aufzufinden, welche sich auf unser Bauwerk bezieht. Es betrifft dieses die Verlegung des Bischofsitzes, der ursprünglich und seit der Stiftung des Klosters wie des Bisthums, i. J. 697, mit der Abtei von S. Emmeran verbunden war, aus dem vor der Stadt gelegenen Kloster, nach dem Innern der alten Stadt, wo sich der Bischofsitz noch jetzt befindet.

 

Von späteren Chronikanten wird diese Verlegung auf das Ende des VIII. Jahrhunderts festgestellt. Wir lesen: Iste Adalvinus (seit 799) cum decennium praefuisset, a Regibus Francis, qui Bojariam occuparant, persuasus, Monasterio Cathedrali cessit, sede Episcopali in civitatem translata, in Eccelesiam S. Stephani prothomartyris. 1)

 

Derselbe Sammler theilt uns ferner (II, 253) den Inhalt einer Urkunde Ludwig des Frommen, die sich auf diese Verlegung bezieht, in den Worten mit: H. ludovicus d. f. cl. Rex, Caroli Magni filius, dictus Pius, super translatione sedis Episcopalis, ab hoc. Monasterio (S. Emmerani) ad Ecclesiam S. Stephani in civitate, per Patrem Carolum Magnum, autoritate Leonis Papae, Anno 798 facta et super immunitate ejus Deum Monasterii &c sine Dato. und in den Zusätzen der citirten Regensburger Ausgabe wird I. S. 150 sogar der Wortlaut dieser Urkunde mitgetheilt, worin die betreffenden Worte also lauten: Ludovicus, div. fav. gr. Rex. . . . oportet nos . . . invidiam destruere . . . quae est in Ratispona civitate inter Ecclesiam sancti Stephani Prothomartyris, ubi modo sedes est Episcopalis, et inter Eccl. S. Emmerani pretiosi Martyris, juxta muros ejusd. civitatis , ubi Cathedra erat Pontificis, usque dum Pater meus Carolus Magnus, Anno ab inc. Dom. DCCXCVIII c. aut. Leonis Papae destruxit, etc. consensu Adalvini Ep. ejusd. civ. in civitatem statuit ff. Leider aber fehlt diese Urkunde in der sorgsamen Zusammenstellung des Codex Ep. Ratisp. v. Ried. Wohl aber lesen wir bei ihm S. 5 sq. den Nachweis, dass die ganze Verlegung des Sitzes von S. Emmeran nach der Stadt zu jener Zeit auf betrüglichen Nachrichten beruht; dass selbst ein Mabillan sich durch eine erst im XVII Jahrhundert interpolirie Stelle des sonst so vorzüglichen Localchronisten Arnolfus täuschen liess, wonach Bischof Sinipentus i. J. 789 den Bischofsitz von S. Emmeran nach der jetzigen Cathedrale von S. Peter verlegt habe; vielmehr sei der Bischofsitz mit der Abtei bis zu Ende des X. Jahrhunderts ohne Unterbrechung verbunden geblieben, und erst zu dieser Zeit, d. h. 200 Jahre später, die Trennung durch den Bischof S. Wolfgang vollführt worden.

 

Wir müssen also auf die Erwähnung der S. Stephanus Capelle, oder des sogenannten alten Domes im VIII. oder selbst

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1) Wigalei Hund a Sulzemos Metrop. Salisb, Ed. Ratisp. 1719, I. S. 126. Er hat den ein halbes Jahrhundert älteren Laurentius Hochwartus (bis 1539) fast wörtlich ausgeschrieben. Vergl. Ried. Codex. Ep. Ratisb. 1816. Praef. XI.

 

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in einem der spätern Jahrhunderte Verzicht leisten; wenigstens finden wir derselben in der schon oft genannten vorzüglichen Sammlung authentischer Urkunden von Ried nirgend erwähnt. Unser Urtheil wird sich also lediglich auf den Charakter der Architektur allein basiren müssen. Ehe wir dies aber auszuführen versuchen, sei es erlaubt, ein anderes nicht weniger wichtiges Bauwerk in den Kreis unserer Betrachtung zu ziehen.

(Fortsetzung folgt.)

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung)

 

Es ist so eben die bedeutende Stellung hervorgehoben worden, welche die Abtei von S. Emmeran in der Kirchengeschichte von Regensburg und Bayerns überhaupt einnimmt, indem sie der Mittelpunkt war, von wo aus erst in viel späterer Zeit das Bisthum abgelöst wurde. Nimmt man dazu, wie dieses berühmte Kloster, namentlich in den ältesten Zeiten, von Kaisern, Königen, Herzögen und anderen höchsten geistlichen und weltlichen Fürsten reichlichst begabt und zur Ruhestätte ihrer Gebeine auserwählt wurde, so ist das Nachforschen nach Bauwerken aus ältester Zeit an dieser Stelle sehr wohl begründet. Das jetzige Aussehen der Kirche, wenigstens ihres Haupttheiles, entspricht einem so hohen Alterthume und so hoher Bedeutsamkeit allerdings nicht, und ich wage selbst nicht zu sagen, ob der Hauptkörper desselben unter den zapfigen Stuckaturen noch irgendwo und bis zu welchem Punkte hin älteres Mauerwerk überdecken mag. Dagegen aber gehören einzelne Theile der Kirche noch unzweifelhaft früheren Bauten an, und einige derselben flössen sogar ein nicht geringes kunsthistorisches Interesse ein. Ich geschweige hier des ausgezeichneten, von

 

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Waagen mit Recht hochgepriesenen Kreuzganges 1), der an jeder seiner Seiten interessante Beispiele vom Fortschritte der Architektur, aus dem romanischen bis zum vollendet gothischen Style, darstellt; ich gehe auch hier nicht auf eine nähere Untersuchung darüber ein, ob der alte Krypten-Umgang um den massiven Kern der östlichen Altarnische sehr alt ist und welcher Zeit er etwa angehören möchte; auch übergehe ich die elegante Portal-Façade am S. Emmerans-Platze, auf der Nordseite der Kirche, im eleganten spätest romanischen Uebergangsstyle. Man tritt durch sie gegenwärtig in einen offenen Vorraum, an Stelle einer ehemals überwölbten Halle, welche sich, zwei Gewölbe breit, von Norden nach Süden bis zum Kirchen-Portale an der Nordseite der Kirche, nächst dem westlichen Querschiffe, hinzog. Nur ein Rest dieser Vorhalle, nächst der Kirche, ist übrig geblieben. Dieser Rest aber, so wie die im westlichen Theile der Kirche befindliche Krypta, bedürfen und verdienen eine sorgfältige Untersuchung.

 

Die Vorhalle hat eine lichte Breite von 40 Fuss und ist in der Mitte durch eine Pfeilerreihe in zwei parallele Gewölbreihen getheilt. Jedes einzelne Kreuzgewölbe hat eine quadratische Grundfläche und wird nach allen Seiten durch rundbogige Gurten von flacher, einfach rechteckiger Profilirung getrennt. Die gleichfalls rundbogigen Kreuzkappen sind noch ohne vortretende Graten. Ehemals waren, wie noch deutlich zu erkennen ist, wenigstens sieben dergleichen Kreuzgewölbe, in einer Reihenfolge von Norden nach Süden, d. h. von der Kirche bis zum vorgenannten Eingangs-Portale am S. Emmerans-Platze hin, vorhanden; gegenwärtig nur noch zwei. Die fünf nördlichen sind zerstört und nur noch an den Seitenwänden, namentlich an der besser erhaltenen westlichen, erkennt man noch das ehemalige Vorhandensein derselben; hier sieht man noch die gruppirten Wandpfeiler und zwischen ihnen, zunächst dem Fussboden, eine Reihenfolge von jedesmal fünf rundbogigen Wandbögen, welche durch Säulchen mit Würfel-Kapitalen von einander getrennt werden. In dem noch erhaltenen Theile werden die Gewölbe in der Mitte von viereckigen Pfeilern, mit angelehnten Halbsäulen an jeder Seite, getragen. Die Wandpfeiler sind ähnlich gebildet; in den Ecken nächst der Kirche werden die Gewölbe von consolenartigen Vorsprüngen getragen. Das Ganze zeigt grossartige Verhältnisse und eine einfach würdige Anordnung; die sparsamen Details beschränken sich, ausser jenen kleinen Arkadensäulen, auf die Profilirungen und einiges Blattwerk an den Kapitälen der Pfeiler und an jenen Consolen. Erstere sind ziemlich roh gearbeitet, was auch, trotz einer gewissen Ueppigkeit der Erfindung, von dem sparsam angebrachten Blattwerke gilt. 2)

 

Alle diese Eigenthümlichkeiten sind so charakteristisch, dass wir sie sogleich als Werke vom Ende des XII. Jahrhunderts anzuerkennen haben, welche Periode überall in Deutschland schon einen durch vielfache Uebung hervorgebrachten handwerksmässigen Charakter trägt, in Bayern aber, wie man namentlich

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1) Wenn Waagen ihn den grössten und schönsten unter den romanischen Kreuzgängen in Deutschland nennt, so möchte ich doch bei aller Anerkennung der Vorzüge desselben, namentlich dem Kreuzgange des Doms zu Trier noch den Vorrang zuerkennen; auf beide passt aber die Bezeichnung romanisch nicht völlig, indem beide schon stark den Uebergangsstyl zum gothischen zeigen, und einzelne Theile in Regensburg sogar völlig gothisch sind. S. die Darstellung eines Fragments dieses Kreuzgangs bei Popp und Bülau VIII, 5 und 6.

2) S. auf der Tafel in Fig. 9 den Grundriss des der Kirche zunächst belegenen erhaltenen Theils der Vorhalle. Fig. 10 zeigt die Ansicht der Nordseite derselben mit den Eingängen zur Kirche, Fig. 11 einen Theil der Westwand, in der dritten und vierten Gewölbeabtheilung von der Kirche ab, d. h. bereits ausserhalb des noch erhaltenen Theils der Halle. Die Buchstaben A. B. C. D. zeigen die Details an den entsprechenden Stellen in Fig. 10 und 11.

 

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in der Krypta des Domes zu Freising sehr deutlich erkennt 1), sogar von bedeutender Rohheit nicht freizusprechen ist, die hier mit einer gewissen Ueppigkeit der Formbildung gemischt erscheint. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass diese Vorhalle zu denjenigen Bauwerken zu rechnen ist, welche nach dem verheerenden Brande von 1163 (oder 1166, oder in beiden Jahren; für beide Jahreszahlen finden sich Beläge) ausgeführt wurden. Dieser Bau wurde, laut einer im westlichen Theile der Kirche vorhanden gewesenen Inschrift (Hund I. 134), erst im Jahre 1189 geweiht. Der Vollständigkeit wegen theilen wir dieselbe hier mit: Anno ab incarnatione Domini 1189 Judictione 12. regnante Friderico primo Imperatore, obtento Peringeri abbatis, dedicata est haec Basilica a venerabilis huius sedis Episcopo Cunrado, 5 Calend. Novembris, in honorem Sanctae Trinitatis, Sancti Michaelis et Omnium Sanctorum. Es ist anzunehmen, dass die Vorhalle, welche doch nur ein secundäres Bauwerk ist, eher später als früher gebaut wurde, da man mit der Einweihung der Kirche schwerlich bis zu ihrer letzten Vollendung wartete.

 

Aus der Vorhalle geht man mittelst zweier Thüren in das nördliche Seitenschiff der Kirche. Jede derselben, von viereckiger Form, bildet den Hintergrund einer halbkreisförmigen Nische, deren jede einen Halbmesser von 14 Fuss hat. Beide Nischen werden durch einen Zwischenpfeiler von 4 Fuss Breite von einander getrennt und ein eben so breiter Pfeiler begrenzt die andere Seite einer jeden Nische, so dass diese Nischen mit ihren einschliessenden Pfeilern den ganzen Hintergrund der Halle von 40 Fuss Breite einnehmen. Die Einfassungen der Nische sind völlig glatt und ohne alle Ornamentirung. In der Kämpferhöhe läuft ein zierliches Gesims um das Innere der Nische herum, das sich nächst den Seiten consolenartig verkröpft, aber nicht bis an die Vorderseite der Wand vortritt. Oberhalb der Thüren, welche 7 Fuss lichte Breite haben, bildet dieses Gesims die Oberkante eines sonst ganz glatten Architravs, der über den die Thür einfassenden Pilastern als grader Thürsturz aufliegt. Diese Thür, mit ihren sie begränzenden Pilastern, deren Kapitäle allseitig ausladen, und der Architrav darüber, gewähren einen fast griechischen Anblick, der dadurch nicht

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1) Nach dem Brande von 1159 (S. Hund Met. Sal. I. S. 73 und Anm. der Reg. Ausg. S. 108) wurde die Kirche vom Grunde auf neu gebaut. Erst 1205 wurde der Neubau geweiht. Vergl. Waagen a. a. O. S. 82. Erst dieser letzten Zeit möchte ich das reiche Portal der Kirche zuerkennen, trotz der Inschrift von 1161, welche ich nebst den kleinen Figuren des Kaisers Friedrich I. und seiner Gemahlin Beatrix und deren Beischriften erst als Zusätze des XIV. Jahrhunderts erkenne; wenigstens nach den Kostümen des Kaisers und der Kaiserin zu urtheilen. Offenbar sind die Figuren dem ältern Portale erst später beigefügt worden, wahrscheinlich zum Andenken an die neue Grundsteinlegung des Domes, dem der Kaiser und seine Gemahlin sich besonders gnädig erwiesen haben mögen. Waagen a. a. O. bezeichnet die Figuren dieses Portales fälschlich, einerseits als Bischof Albert, dem noch eine andere Figur mit Bischofstab zur Seite stehe, und auf der entgegengesetzten Seite, neben welcher die Jahreszahl 1161 stehe, als eine Gräfin von Burgund. Die Inschriften stellen aber deren Bedeutung ausser Zweifel. Ueber dem thronenden Kaiser, im Kettenpanzer, mit kurzer goldener Tunica darüber, die Krone auf dem Haupte, das Scepter in der Hand, neben welcher eine kleine Figur mit Krummstab steht, die man trotz mangelnder Mitra als den Bischof Albert sehr wohl kann gelten lassen, steht die Unterschrift: FREDERIC . RO . A . IMPR . AV . . ST‘, welches sehr leicht zu ergänzen ist: Fredericus Romanorum Imperator Augustus. Die spätere Zeit des Kostüms wird besonders durch eiserne Schienenpanzertheile an den Ellenbogen und Achseln bezeichnet. Ueber der knieenden Figur der Kaiserin, auf der südlichen Seite des Portals, steht die Inschrift: CONIVX . BEATRIX . COMITISSA . BVRGVNDIAE . A°MCLXI. Den Kopf des Kaisers, welcher aber aus obigen Gründen nicht als gleichzeitiges Bildniss gelten kann, hat Herr von Raumer als Titelkupfer in seinem Geschichtswerke über die Hohenstaufen gegeben; doch ist der Kupferstich gegen das Steinbild zu zart gehalten.

 

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gestört wird, dass diese ganze Anordnung sich inmitten einer halbkreisförmigen Rundbogen-Nische befindet. Dieser Eindruck wird durch die Profilirungen noch wesentlich verstärkt. Die Kapitäle der Pfeiler zur Seite der Thür zeichnen sich hierin vorzugsweise aus: ein elegant geschwungener umgekehrter Karniss, mit Platte darüber, bildet den oberen, eine zierlich vortretende Hohlkehle, von schrägen Plättchen eingefasst, den unteren Theil, beide in sorgsamer Weise durch ein zierliches Rundstäbchen mit einander verbunden 1). Es ist völlig dasselbe Profil, um es hier sogleich zu bemerken, welches alle Pilaster des Alten Domes krönt und in umgekehrter Stellung alle Basen daselbst bildet, nur dass dort das vermittelnde Rundstäbchen fehlt 2). Das in Kämpferhöhe um die Nische im Innern herumlaufende kleinere Gesims zeigt dagegen nur die obere Hälfte jenes Profils, die vordere Consolenverkröpfung daselbst nur eine vortretende Hohlkehle, mit Rundstab darunter und Plättchen und Platte darüber 3). Gegenwärtig ist nirgend eine Basis zu sehen, doch ist es wahrscheinlich, dass eine solche, wie beim Alten Dome um Pfeiler und Nischen umlaufend, noch im Fussboden versteckt liegt.

 

Der erste Blick lässt die Verschiedenheit dieser so überaus zierlichen Architektur von der bei weitem roheren, massigeren der Vorhalle leicht erkennen, und auch der Ansatz der consolenartigen Vorsprünge in den Ecken der Halle, nächst jenen Nischen zeigt, wie dieselben auch constructiv nicht mit einander harmoniren, indem dieselben, ohne Rücksicht auf die ältere Architektur jener Nischen und deren Zubehör, vor dieselbe roh vorgesetzt sind. Schon hiedurch wird der Beweis hergestellt, dass die Halle der jüngere Bautheil ist 4) und dass es sich auch hier bewährt, was ich bereits anderwärts mehrfach nachgewiesen habe, dass die Romanische Baukunst Deutschlands von einer gewissen sorgsamen Zierlichkeit ausging (die namentlich noch das XI. Jahrhundert charakterisirt) und erst im XII. Jahrhundert, als man, durch häufigere Praxis verwöhnt, sich einer leichtfertigeren Technik hingab, zu roheren Formen gelangte. Diese rohere Periode fällt nun in Bayern ziemlich spät, d. h. Ende, des XII. und Anfang des XIII. Jahrhunderts; am Mittel- und Oberrhein, z. B. am Dome in Mainz, finden wir sie bereits gegen Mitte des XII. Jahrhunderts, in Norddeutschland aber bereits im Anfange desselben oder sogar schon am Ende des XI. Jahrhunderts, wovon die Stiftskirche zu Quedlinburg das auffallendste Beispiel giebt 5).

 

Noch merkwürdiger wird dieser ältere Bautheil aber durch drei Bildwerke, welche die Fronten der Pfeiler zur Seite der Nische und zwischen denselben schmücken. Sie sind innerhalb einer mehr hohen als breiten viereckigen Einfassung angebracht, deren einfache Profilirung den schon bezeichneten Charakter des älteren Bautheiles trägt. Die Oberkante der Reliefs liegt in der Höhe der Kämpfergesimse der Nischen, doch berühren sie dieselben nicht. Der gemessene Raum, in dem die Reliefs angebracht sind, der zu den Seiten nur einen schmalen Wandstreifen übrig lässt und sich völlig den gegebenen Grössen einordnet, lässt nur eine gleichzeitige Einfügung annehmen, da-

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1) S. Fig. 10 B. der Tafel.

2) Vergl. Fig. 3. 4. 5, welche die Pilaster-Profile des alten Domes darstellen mit den ebengenannten des Fortales von S. Emmeran in Fig. 10 B.

3) S. Fig. 10 A.

4) Im Grundrisse Fig. 9 ist das ältere Mauerwerk dunkler gehalten.

5) Ich behalte mir den Nachweis vor, dass diese Kirche erst derjenige Bau ist, der nach dem Brande des J. 1170 angefangen und 1129 geweiht wurde. Die von Kugler ihr mit Recht als gleichzeitig verglichene S. Marien-Kirche in Magdeburg wurde vom Erzb. Werner (1064—1078) vom Grunde auf neu gebaut; diesem Baue gehören die ältesten Reste der Kirche an, und es lassen sich in ihr vier Bau-Perioden nachweisen, deren jüngste den altgothischen Styl aus der zweiten Hälfte des XIII. Jahrh. Zeigt.

 

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eine spätere nothwendig die benachbarten Gesimse mehr oder weniger verletzt haben würde, was aber nirgend zu erkennen ist. Ueberdies springt die südöstliche Console der späteren Vorhalle ein wenig vor die in die Wand eingelassene Einfassung des daselbst befindlichen Reliefs vor, so dass letzteres nothwendig schon an seiner jetzigen Stelle vorhanden sein musste, als die Vorhalle vorgebaut wurde.

 

Diese Reliefs stellen den heil. Emmeran am östlichen und den heil. Dionysius am westlichen Pfeiler dar. Innerhalb eines von Säulen getragenen Rundbogens, der von der äusseren viereckigen Umfassung eingeschlossen ist, steht jedesmal die lebensgrosse, fast völlig rundgearbeitete Relieffigur des betreffenden Heiligen, nach vorn gerichtet, den Obertheil des Körpers vorgebeugt, die Füsse zusammengeschlossen und das Gewand in zierlichen Fältchen hart an den Körper anschliessend. Das Ganze erinnert lebhaft an das Aussehen ägyptischer Mumien. Ob die Leiter, welche S. Emmeran vor sich hält, ursprünglich zur Figur gehört, könnte nur eine genaue Untersuchung lehren, welche in grösserer Nähe vorgenommen werden müsste, als wie es mir vergönnt war, dieselbe zu sehen 1).

 

Das um ein Geringes breitere Feld des mittleren Pfeilers nimmt die Gestalt des thronenden Christus ein, in der Linken das Evangelienbuch haltend, die Rechte zum Segen erhoben. Unter den zusammengezogenen Füssen desselben befindet sich ein kleines Medaillon mit dem Brustbildnisse eines die offenen Hände zur Anbetung aufhebenden Abtes. Die Skulptur des Christus entspricht in jeder Weise der Charakteristik, welche von der der beiden anderen Figuren gegeben wurde. Ich wurde zugleich lebhaft an die ähnliche Darstellung in Goldblech auf dem Deckel des alten Codex aus dem ehemaligen Reichsstifte Niedermünster, jetzt in der Bibliothek zu München, erinnert. Dieser Codex ist zur Zeit einer Aebtissin Uota angefertigt. Es regierten zwei des Namens im genannten Stifte: Uota, Gräfin von Kirchberg, um 1002, und Uota, Gräfin von Mosburg, um 1070 2). Aus der Vergleichung mit diesem, sicher dem XI. Jahrhundert angehörigen Bildwerke würden wir also auch schon für die Skulpturen von S. Emmeran und mithin auch für den Bautheil, an dem sie sich befinden, auf das XI. Jahrhundert schliessen können, womit auch der Charakter der Architektur völlig übereinstimmt. Es kommen uns jedoch noch andere Angaben zu Hülfe, welches dieses näher begründen.

 

Das Medaillon zu den Füssen Christi, mit dem Brustbilde eines Abtes enthält folgende Umschrift: Abbas Reginward hoc fore iussit opus. Abt Reginward regierte von 1049—1064. Im Catalog der Aebte bei Hund a. a. O. II. S. 257 lesen wir von ihm: Reginbardus obiit anno 1064. Sedit annis 14, mens. 10. dieb. 28. hic repent ossa S. Dionysii. Dieselbe Angabe liest man neben seinem Bildnisse in der Sakristei, wo nach auch anderwärts üblicher Weise die ganze Reihenfolge der Aebte nebst Beischriften aufgestellt ist. Ein anderer Abt dieses oder eines ähnlichen Namens kommt in S. Emmeran nicht vor.

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1) Waagen a. a. O. S. 110 liess sich durch die Leiter, die er wohl für einen Rost hielt, verleiten, in dieser Figur den heil. Laurentius zu erkennen. Die Namen der Heiligen stehen in ursprünglicher Schrift ihnen beigeschrieben. Ich stimme mit ihm in der Charakterisirung der Skulpturen überein, nur dass ich dieselben nicht gerade roh benennen möchte, sie sind vielmehr sehr sorgsam ausgeführt, aber allerdings noch unbeholfen, in ähnlicher Weise, wie beide Eigenschaften auch bei altgriechischen Skulpturen vereinigt erscheinen.

2) S. Allg. Auskunft über die k. Hof- und Staats-Bibliothek zu München. 1846. S. 37. Herr Waagen a. a. O. S. 97, der den Codex fälschlich als aus dem Stifte Ober-Münster herrührend bezeichnet, nannte ihn als sicheres Werk des XII. Jahrh., was jedoch durch den Namen der Aebtissin widerlegt wird. Ich stimme in Bezug auf die Charakterisirung der Skulptur nicht ganz mit ihm überein.

 

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Diese Inschrift 1), der eine andere aus jener Zeit in Deutschland schwerlich in Bezug auf Bedeutsamkeit für die Kunstgeschichte zu vergleichen ist, bezeichnet die Skulpiuren nebst dem Bautheile, an dem sie sich befinden, als ganz unzweifelhafte Werke der Mitte des XI. Jahrhunderts. Die an ihnen nachgewiesenen eigenthümlichen Charakteristiken sind deshalb als für die bezeichnete Periode in Regensburg gültig anzuerkennen. Diese Skulpturen dürfen mithin wohl als die ältest datirten von grösserem Umfange in Deutschland bezeichnet werden, wenigstens unter den Steinbildern, und sie sind um so bedeutender, da sie die Gestalten in Lebensgrösse darstellen. Für die Geschichte der Bildhauerkunst in Deutschland, für welche in neuester Zeit so wichtige Entdeckungen, namentlich in Norddeutschland, gemacht wurden, werden diese Skulpturen ferner einen wichtigen Ausgangspunkt bilden.

 

Es ist schon oben die fast gänzliche Uebereinstimmung gezeigt worden, welche zwischen den architektonischen Details dieses Portals von S. Emmeran und dem Alten Dome stattfindet. Auch die Nischenarchitektur als solche lässt die Aehnlichkeit beider noch stärker hervortreten, so wie überhaupt ein gewisser einfach strenger Charakter, der an Magerkeit streift, beiden gemeinsam ist. Ich kann deshalb auch für beide Architekturen nur eine Gleichzeitigkeit der Entstehung anerkennen und stehe deshalb nicht an, auch den sogenaunten Alten Dom, oder richtiger gesagt, die S. Stephans-Capelle im Kreuzgange des Doms, für ein Bauwerk des XI. Jahrhunderts zu erklären. Wenn Andere demselben ein noch höheres Alter zusprechen wollen, so gestehe ich offen, dass ich bis jetzt in ganz Deutschland nur ein einziges Bauwerk kenne, das man dem X. Jahrhundert mit einiger Sicherheit zuweisen kann 2), welches aber eben so wie die wenigen noch älteren Monumente der karolingischen Zeit, in geringerer Verwandtschaft zu der S. Stephans-Capelle steht, als der Portalbau von S. Emmeran, und dass ich deshalb nicht umhin kann, auch für die erstere, wie für den lelzteren, das XI. Jahrhundert als Erbauungszeit anzunehmen.

 

Ausser diesem Portalbau, der also von dem S. Emmeran verheerenden Brande des XII. Jahrhunderts jedenfalls verschont blieb, erkenne ich noch in dem Gemäuer der westlichen, dem heil. Bischofe Wolfgang gewidmeten Gruftkirche, einen Rest der früheren Kirche an, welche gleichfalls jener Verheerung entging. Sie bildet ein Quadrat von 40 Fuss nach jeder Richtung, durch viermal vier Säulen in je fünf Schiffe getrennt. Die zwei äusseren Säulenreihen gegen Nord und Süd haben runde Schäfte, die inneren aber achteckige, alle sind mit zierlichen, mehr oder weniger geschmückten Würfelkapitälen versehen, deren hohe und mehrfach profilirte Abaken stark vortreten. Auch die Basen sind vielgegliedert und entbehren der Eckblätter. Dennoch möchte ich diese Säulen nebst darauf ruhenden rundbogigen Kreuzgewölben erst als einer Erneuerung des XII. Jahrhunderts angehörig anerkennen. -- Anders ist es mit dem Gemäuer der Seitenwände. An der westlichen Aussenwand sind wieder fünf halbkreisförmige Nischen angebracht (in dreien derselben sieht man jetzt spätere Spitzbogenfenster durchgebrochen); drei andere dergleichen Nischen in der Nord- und Südwand, den drei westlichen Intercolumnien der Säulen-Stellungen entsprechend, nehmen den westlichen Theil jener Wände ein. Die Nischen werden durch Kämpfer gekrönt, deren

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1) Waagen a. a. O. S.110 liest die Umschrift des Medaillons irrthümlich: Abba Reginwortishofer. Er bedauert zugleich, dass ihm keine Monographien des Klosters zu Gebote gestanden hätten, um danach die Zeit dieses Abtes und demnächst das Alter des Bildwerks festzustellen, das er jedoch nur der Vorhalle gleichzeitig, der letzten Hälfte des XII. Jahrh. zuschreibt; wenigstens erwähnt er keines Unterschiedes der Zeit zwischen beiden.

2) S. Pantaleon in Cöln; vergl. meine oben angeführte Abhandlung.

 

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Profilirung völlig der unteren Hälfte der Kämpfer des Portalbaues und des Alten Domes entspricht, und deshalb wieder auf Gleichzeitigkeit der Erbauung schliessen lässt 1). Ich vermuthe aber, dass die alten Seitenwände mit jenen Nischen aufhören und dass die daselbst noch jetzt aufgestellten Seitenaltäre den alten Abschluss des älteren Baues bezeichnen, über welche hinaus die Krypta im XII. Jahrhundert erweitert und mit den jetzigen Säulen und Gewölben versehen wurde. Möglicherweise schloss die Krypta gegen Osten mit drei Altarnischen, deren mittlere grössere weiter zurücklag.

 

Aus der mittleren Nische der Nordseite dieser Krypta führt eine Thür in einen kleinen quadratischen Nebenraum, der in der Mitte von einem viereckigen Pfeiler gestützt wird, dem an den Wänden vortretende Wandpfeiler entsprechen, die sich mit ihm durch rundbogige Gurten verbinden. Die Zwischenfelder sind mit rundbogigen Kreuzgewölben ohne Grate überspannt. An der Ostseite ruht der Gurtbogen jedoch auf einer Console, die mehrfach gegliedert über dem Scheitel einer kleinen Altarnische vortritt. Die Kämpfer aller Pfeiler entsprechen genau den Kämpfern an den Nischen der grossen Krypta und lassen daher diesen Nebenraum als ein gleichzeitiges Bauwerk erkennen. Wahrscheinlich befand sich über demselben in alter Zeit ein Thurm und ihm entsprach ein anderer auf der Südseite; doch konnte ich dort eine solche Nebenkapelle weder auffinden noch erfragen. (Fortsetzung folgt.)

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

 

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung.)

 

Der heil. Wolfgang, dem die Krypta gewidmet ist, war von 972--994 Bischof. Er war es, der zuerst dem Kloster einen eignen Abt in der Person seines Vetters oder Neffen B. Rainvoldus gab, von dem es in dem Catalog der Aebte (bei Hund II, 251) heisst: Aedificavit hic Rainvoldus cryptam sui nominis , in qua sibi sepulchrum, ante 15 annos quam moreretur ( 1001) designaverat, quam S. Wolfgangus dedicavit. Ich kann hieraus nicht erkennen, ob hiemit die westliche S. Wolfgangs-Krypta gemeint ist; jedenfalls ist es nicht der jetzt noch vorhandene Bau, da wir über dessen Neubau im XI. Jahrh. berichtet werden. Wir lesen nämlich in der Lebensbeschreibung des Bischofs Gebhard III. (1036-1060. S. Hund I, 130), dass unter ihm Pabst Leo IX. nach Regensburg gekommen, den Bischof Wolfgang unter die Zahl der Heiligen aufgenommen habe, nec non ossa B. Dionysii (die schon zur Zeit des Kaisers Arnulf nebst dem berühmten Karolingischen Codex aureus aus Frankreich nach S. Emmeran zu Regensburg gekommen sein sollen) de quib. diu dubitatum fuit, num haberentur in aede S. Emmerani, vidit, attrectavit et Apostolico diplomate, q. illic servatur, praesente Imp. Heinrico, Gebhardo Episcopo & quin etiam Parisiorum legatis praesentib. comprobavit et confirmavit; ecclesiam item S. Emmerani nuper incendio vastatam, cum crypta occidentali consecravit; tabulatum in ejusd. eccl. summitate, suis sumptib. fieri jussit. Ich lasse hier billig die Authenticität jenes Diploms dahingestellt sein, das den Stempel der Unächtheit sehr stark an sich trägt; lege aber wohl Gewicht auf die Nachricht von dem Brande der Kirche und deren neue Weihung, wobei eben dieser westlichen Krypta namentlich erwähnt wird, weil dies genau mit der diplomatisch festgestellten Bauthätigkeit des Abtes Reginward zusammentrifft, die hiedurch sogar auf die Zeit um 1050 festgestellt wird. Auch die Wiederauffindung der Gebeine des heil. Dionysius (man findet dergleichen stets

 

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bei der Fundamentlegung der Kirchen, zu deren Errichtung die Spenden höchst willkommen sind, die von den Pilgern einkommen, die zu solchen neuaufgefundenen Heiligengebeinen hinzuströmen ), welche dem Abt Reginward zugeschrieben wird, stimmt mit dieser päpstlichen Anerkennung derselben zusammen, und die Darstellung desselben Heiligen neben dem Titularheiligen S. Emmeran zur Seite des thronenden Chrisius, an der Fronte des Portales, erhält hiedurch eine besondere Erklärung und ein bedeutendes Gewicht 1).

 

Nachdem wir nun ein festes Fundament für die Geschichte der Baukunst in Regensburg durch sicher datirte Bauten der Mitte des XI. und der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts gewonnen haben, können wir mit festeren Schritten zur Beurtheilung der übrigen Reste romanischer Baukunst in jener Stadt herantreten. Wir fassen zunächst das sogenannte Baptisterium am Kreuzgange des Domes ins Auge.

 

Auch hier ist zunächst die Frage auſzuwerfen: auf welcher Authorität beruht dieser Name? Besondere Taufkirchen, meist von polygoner oder runder Grundform, ſehlen einer italienischen Cathedrale wohl nur selten. Desto seltener aber sind sie im Norden zu finden. In Regensburg, auf dem Boden römischer Colonial-Cultur und eines frühgermanischen Christenthums, wäre die Erscheinung eines besonderen Baptisteriums, nach Art jener italienischen, durchaus nicht auffällig, aber es fragt sich nur, ob wir in dem bezeichneten Gebäude des Dom-Kreuzganges ein solches zu erkennen haben. Allerdings ist die centrale Anordnung einer quadratförmigen, von achteckiger Kuppel überstiegenen Mitte, der sich halbkreisförmige Absiden auf drei Seiten anschliessen (die vierte, westliche, gegen den Kreuzgang, enthält den Eingang, innerhalb einer tiefen viereckigen Nische) für ein Baptisterium wohl geeignet, obschon sie in derselben Anordnung, so viel mir bekannt ist, anderwärts nicht gerade vorkommt. Auch pflegt ein solches Baptisterium vor dem Haupteingange der Cathedrale zu liegen, obschon es auch Ausnahmen von dieser Regel giebt. Es würde also hierdurch im vorliegenden Falle nichts entschieden werden. Was aber entscheidend wäre, das wäre der Titel S. Johannes Baptista, den die Taufkirche entweder noch jetzt oder doch wenigstens ehemals hätte führen müssen. Davon findet sich aber nirgend eine Spur.

 

Wohl aber führt diesen Titel eine andere Kirche, welche an dem freien Platze, dicht vor der Fronte des Domes, noch gegenwärtig liegt. Allerdings zeigt dieselbe eine Form, die derjenigen eines Baptisteriums, wie wir uns ein solches nach italienischen Vorbildern denken, sehr wenig entspricht. Wir sehen jetzt ein modernes Kirchgebäude, von länglicher Grundform; aber auch das mittelalterliche Bauwerk, an dessen Stelle das jetzige erst in moderner Zeit trat, dürfte schwerlich der eigenthümlichen Form eines Baptisteriums viel besser entsprochen haben. Bereits Bischof Conrad I. (1126-1132) gründete ein Collegiatstift bei S. Johannes Baptista, dessen Kirche bei dem grossen Brande von 1152 mit zerstört wurde. Die wiedererbaute

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1) Herr G. R. R. Pertz gestattete mir die Einsicht in ein noch ungedrucktes Document der Mitte des XI. Jahrh. Anonymi Ratisbonensis translatio S. Dionysii Areopagitae. Sie beginnt mit den Worten Incipit epistola cuiusdam presbyteri ad Reginwardum. Venerabili abbati Reginwardo et sanctorum martyrum Emmerani nec non suis temporib. a Deo revelati . . . protectoris Dionysii matriculario (i. e. Servatori, Custodi) . . . . Es folgt eine weitläuftige Beschreibung, auf welche Weise jener heilige Körper durch Kaiser Arnulf von Paris weggeführt und sodann in Regensburg niedergelegt worden sei. Sodann zuletzt: Incipit detectio corporum Macharii Areopagitae Dionysii sociorumque ejus, quae facta est anno ab Incarn. Dom. plus minus circiter 1050 imperante ap. Romanos Henrico Augusto, regnante ap. Francos Henrico, Roberti piissimi regis filio. u. s. w. Ueber den Bau der Kirche selbst erſahren wir daraus jedoch nichts.

 

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Kirche stand aber nur bis 1380, wo sie, um dem vergrösserten Dome Platz zu machen, abgebrochen wurde. Wir lesen darüber in unserem schon genannten Chronisten (Hund 1, 139) folgende beachtenswerthe Stelle: Eccl. S. Joannnis, ab Episcopis Ratisp. fundata, ad ampliandam Eccl. Cathedralem, est destructa, et alio loco, ubi tunc erat taberna, quae dicitur auf den Brettern, venuste aedificata. Fuerat enim primo loco Templum S. Joannis fundatum in arca Cathedralis Ecclesiae in eo loco, qui hodie ostenditur medius inter duas aras deinceps extructas; una est S. Florini, quam fundavit Albertus Stauffer. antequam fieret Episcopus (1409--1421) altera vero e regione S. Thomae, q. fundavit Barthol. Robitzer , Can. Rat. sub Ep. Alberto Stauffer. Es ist nicht möglich, eine für ein Baptisterium günstigere Lage auszudenken, als wie sie, zufolge dieser gewiss auf alten ächten Zeugnissen beruhenden Nachricht, die ältere Johannis-Kirche hatte, welche dem Dome so nahe stand, dass ihr Platz sogar beim Neubau des letzteren von demselben verschlungen wurde. Aus dieser Nachricht ist schon nicht im mindesten daran zu zweifeln, dass diese Kirche ursprünglich eine wirkliche Taufkirche gewesen ist, obschon ich des Namens Baptisterium in alten Nachrichten bisher nicht erwähnt gefunden habe. Gegenwärtig ſinde ich denselben aber ausdrücklich für die S. Johannis-Kirche in einer kurzen Beschreibung der Stadt Regensburg genannt, welche der oben genannte Anonymus der Translatio S. Dionysii aus der Mitte des XI. Jahrhunderts giebt. Er nennt zuerst gegen Osten den älteren Theil der Stadt mit der kaiserlichen Burg. Westlich davon liegt sodann der Stadttheil, worin die Cathedrale. „Ergo a praedicto templo ultra basilicam sancti Joannis, quae baptisterium vocatur, quod ab aquilone ad austrum in longum porrectum vides, ac muro cinctum, atrium Pontificis Danubium vergit.“ Den dritten Theil der Stadt, gleichfalls mit einer Mauer umgeben und bis zum Flusse sich hin erstreckend, bildet die Abtei S. Emmeran, welche erst später der Stadt hinzugefügt wurde, daher urbs nova.

 

Hieraus erhellt schon genugsam, dass man gar keinen Grund hat, den Namen eines Baptisteriums auf das oben genannte, jetzt als solches bezeichnete Gebäude im Kreuzgange anzuwenden; dasselbe hat diesen Namen niemals im Ernste geführt 1), und nur moderne Archäologen scheinen ihm, eben um seiner abweichenden Grundform willen, jenen Beinamen verliehen zu haben. Im Kirchengebrauche führt das Gebäude einen ganz anderen Namen, nämlich den der Allerheiligen Capelle, und mit dieser Beihülfe werden wir sehr bald aus den fabelhaften Jahrhunderten mitten in sichere historische Zeiten versetzt. Wir finden nämlich vom Bischöfe Hartwich II. (1155-1164) Folgendes erwähnt (Hund I, 132): Obit 1164, 11 Cal. Sept. cum praecedenti anno monast. S. Emmerani igne foedatum fuisset, sep. est in sacello omnium Sanctorum in ambitu, non longe a Sacello Protomartyris Stephani, quod prius fuit Ecclesia Cathedralis. Habet hic Episcopus lapidem quidem sepulchro impositum, qui locum sepulturae indicat, sed absque inscriptione, quae tunc temporis non fuit usitata. Testantur autem ejus sepulturam libri Chori Ratisp. et Calendarium illud, in quo Episcoporum aliorumque dies anniversarii obitus sunt annotati. Ejus anniversarius annotatus est die 3 Martii, in die S. Chunigundis &c.

Die Bischöfſe werden der Regel nach in ihrer Cathedrale begraben; wo eine Ausnahme hiervon stattfindet, wird man, mit wenigen Ausnahmen, als Ursache finden, dass Sie inmitten irgend einer eignen Stiftung zu ruhen wünschten. In Regensburg

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1) Gruber a. a. O. II. S. 30 findet es merkwürdig, dass kein Chronist dieser Capelle Erwähnung thue, nur der Name Baptisterium habe sich durch Tradition erhalten. Er nimmt die Erbauungszeit bestimmt in der Karolingerzeit an, Waagen dagegen, wie wir oben sahen, im X. Jahrhundert.

 

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waren bisher alle Bischöfe , mit Ausnahme zweier, welche auswärts gestorben und begraben waren, in der ältesien Cathedrale von S. Emmeran beigesetzt, und selbst die Trennung der Bischöfe vom Kloster am Ende des X. Jahrhunderts hatte dieser frommen Sitte keinen Abbruch gebracht. Hartwich II. war der erste, der von diesem Herkommen abwich. Ein äusserer Grund dafür, dass er seine Gebeine nicht an der herkömmlichen Stelle wünschte beigesetzt zu sehen, liegt wohl darin, dass im Jahre 1163, also nur ein Jahr vor seinem Tode, S. Emmeran völlig niederbrannte und dass seitdem die sichtbaren Zeichen der Gräber seiner Vorfahren verschwunden sind. Er mochte wohl kein Verlangen tragen, unter Trümmern zu ruhen. Alsdann aber lag es nahe, dass er sein Grab innerhalb der Cathedrale wählte: dass er dies nicht that, muss also eine besondere Ursache gehabt haben. Diese kann man aber nur darin finden, dass er innerhalb einer ihm eigenthümlichen Stiftung, der von ihm gegründeten Capelle Allerheiligen zu ruhen wünschte. Zwar ist jetzt aus derselben auch der Stein verschwunden, der das Grab einst deckte; aber noch zu Menschen Gedenken sah man ihn daselbst und auch gegenwärtig zeigt der Fussboden die Spuren einer gewaltsamen Veränderung, wie sie in unseren Zeiten leider nur zu häufig mit allen alten Erinnerungen vorgenommen worden sind.

 

Um das Alter unseres Bauwerks aber definitiv der bezeichneten Periode zusprechen zu können, bedarf es nun noch einer Erörterung, ob der Styl der Architektur der Mitte des XII. Jahrhunderts entspricht. Es ist schon oben hervorgehoben worden, wie die Grundform des Gebäudes, ein Quadrat mit halbkreisförmigen Kreuzvorlagen und einer achteckigen, das Ganze übersteigenden Kuppel, wohl geeignet ist, an ältere Perioden zu erinnern 1). Der völlige Mangel aller Details im Innern, wo weder an Nischen noch an Eckpfeilern irgend ein Profil sich findet, nirgend ein Gurtungs- oder anderes Gesims sichtbar wird, kann diese Annahmen nur verstärken. Man denke sich die jetzt nur mit Putz überdeckten Wände, Nischen, Gewölbe u. dergl. mit Malereien bedeckt, und der hoch alterthümliche Charakter des Gebäudes ist nicht zu verkennen; und auch der jetzt zum Theil abgefallene Putz, der das ziegelartig gefugte Bruchsteinmauerwerk sichtbar werden lässt, kann den Beschauer, der sich hier in Regensburg in einer so klassisch alten Lokalität befindet, über das Alter wohl täuschen lassen. Auch die so seltene und in ihrer Seltenheit gewiss auf sehr alter Tradition beruhende Form des Altares in der östlichen Nische, der auf vier Säulen ruht, zwischen denen in der Mitte ein einfach viereckiger Pfeiler sich befindet, würde nur Veranlassung geben, im vorliegenden Bau Hochalterthümliches zu erkennen, während die Säulenform mit Würfelkapitälen (von entschieden nicht alter Form) ein solches Urtheil schon wieder schwankend macht. Gruber fiel dies allerdings schon auf und um seine Annahme von dem bedeutenden Alter der Capelle hiermit zu vereinigen, so setzt er eine Erneuerung des Altares in späterer Zeit voraus. Zu dieser Voraussetzueg fehlt aber jeder Grund; dies erkennt man sehr

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1) Gruber giebt a. a. O. II. Bl. XXVI. den Grundriss und den äussern Aufriss der Capelle. Bei aller Anerkennung der Richtigkeit dieser Aufnahmen, ist es zu bedauern, dass er die verschiedenartige Constructionsweise der einzelnen Theile, die durch verschiedenartigen Fugenschnitt charakterisirt sind, nicht angegeben hat. Auch vermisst man die Mittheilung der nur wenigen, aber so sehr charakteristischen Details, welche zur Beurtheilung dieses kleinen aber höchst beachtenswerthen Monuments vorzugsweise wichtig sind. -- Auf der Tafel ist Fig. 13 der Grundriss, Fig. 14 eine Ansicht des Aeussern, dessen Details im Grössern αζ zur Seite gezeichnet sind und sich an den angegebenen Stellen befinden. Fig. 15 giebt eine der Säulen des Altares mit den Stufen unter demselben und der Altarplatte darüber. Letztere wird ausser von den vier Säulen noch durch einen ganz rohen mittleren viereckigen Pfeiler getragen.

 

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deutlich am Aeusseren der Kirche. Hier sehen wir eine sehr elegante, schon auf Rafſinement beruhende Dekoration des Gebäudes. Zierliche Pilaster, deren Fuss sich in die die Capelle umkränzende Basis verläuft, umgeben die Nischen wie die Ecken des Gebäudes, nicht weniger das obere Achteck der Kuppel. Sie sind unter einander durch Rundbogenfriese verbunden, deren je zwei zwischen je zwei Pilastern an den Halbkreisnischen, je drei aber an jeder Seite des oberen Achtecks zwischen den Eckpilastern angebracht sind. Pilaster und Consolen zeigen keinen anderen Schmuck, als eine aus sich folgenden Hohlkehlen, Rundstäben und Plättchen zusammengesetzte und in scharfen, präcisen Umrissen vortretende Profilirung. Auch hier, wie im Innern des Alten Domes, der nur wenige Schritte davon entfernt liegt, sind Pilaster und deren Kapitäle allein von Hausteinen gebildet, das Uebrige von Bruchsteinen mit Putz übertragen. Aber der Charakter ist doch ein durchaus anderer als dort. Bei der Allerheiligen Capelle treten die Pfeiler überall scharf profilirt aus der Wand hervor, während dieselben am Alten Dome meist nur durch den Ansatz des Putzes motivirt erscheinen. Die kleinen Rundbögen unter den Friesen sind schon an sich als dem XII. Jahrhundert charakteristisch zu erwähnen, noch mehr erscheinen die eigenthümlichen Formen desselben aber in allen Profilirungen der Pilaster, der Gesimse und der Basis. Weit entfernt von den sich an die Antike anlehnenden Formen, welche wir, wie anderwärts in Deutschland, so auch in Regensburg für das XI. Jahrh. als charakteristisch auffanden, zeigen die Profile der Allerheiligen Capelle den ausgebildeten Romanischen Styl, doppelte, scharf über einander vortretende Hohlkehlen, Rundstäbe darüber oder darunter oder beides zugleich, ohne irgend eine organische Forderung. Plättchen als Krönung des Ganzen, grössere oder kleinere Schmiegen, schräger oder steiler gestellt, unter oder inmitten der übrigen Glieder, bilden ein zwar buntes und nicht unerfreuliches Spiel der Linien, sind aber fern von der organischen Gliederfolge, welche die Profile des XI. Jahrhunderts bei allen Absonderlichkeiten derselben doch immer noch aus dem Alterthume conservirt haben. Auch das Sichverlaufen des Pilastervorsprungs in die die Basis krönende Schmiege ist für die im XII. Jahrhundert geschehene Ausbildung der Romanischen Baukunst in Deutschland charakteristisch; sie entspricht der Idee nach dem krönenden Rundbogengesimse, d. h. beide setzen die Kraft der Stütze in horizontaler Richtung bis zur nächsten Stütze fort und vertheilen so die Last gewissermaassen auf das Ganze, recht im Gegensatze zum Prinzipe der Gothik, wo die Last auf einzelne Stützen hin concentrirt wird und der Strebepfeiler, in dem sich die Stützpunkte vereinigen, deshalb über das Gesimswerk hinübergreift.

 

Am meisten erkennt man die spätere Zeit aber an zwei Pilastern der östlichen Nische und an dem je mittleren der Seitenabsiden. Die Anordnung ist so getroffen, das die das Innere erhellenden Fenster (was diese vier Schlitze doch nur wenig thun, da das Hauptlicht durch die acht grösseren Fenster der Kuppel hereinfällt) gerade stets auf einen der genannten Pilaster treffen. Derselbe ist nun an seinem oberen Theile, hart unter dem Kapitäle, um dieses schmalen Rundbogenfensters willen, dessen äusserer Kontur ungefähr dieselbe Breite hat, wie der Pilaster selbst, mit einer Einfassung umher, verkröpft und diese Verkröpfung als eigner Körper behandelt, mit besonderen Ober- und Untergesimsen versehen, die, im Charakter der übrigen gehalten, mit diesen sich nur noch zusammengruppiren und der ganzen Anordnung eine sehr bunte Erscheinung geben, die einer ursprünglichen Architektur, wie sie das XI. Jahrhundert und noch mehr die vorhergehenden charakterisirt, sehr wenig entspricht, wohl aber dem XII. Jahrhundert.

 

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Dieselbe Profilirung, welche die Gesimse der Pilaster zeigen, sehen wir aber auch an den Abaken der Säulenknäufe des Altares im Innern der Capelle, und wir können sie daher mit denselben nur gleichzeitig erkennen, was auch oben bereits vorausgesetzt wurde. Der Charakter dieser Säulen entspricht überhaupt vollkommen dem des XII. Jahrhunderts 1).

 

Ein fürchterlicher Brand verheerte im Jahre 1152 den Dom S. Peter, S. Johannes, Niedermünster, die Alte Capelle, S. Paul und Obermünster, und Alles, was zwischen inne lag 2). Die Mehrzahl derselben liegen in gedrängter Lokalität neben einander und ihr gemeinsamer Brand hat daher nichts Verwunderliches, wohl aber der von Obermünster, welches durch einen grossen Theil der Stadt davon getrennt liegt. Ich vermuthe fast, dass hier ein Versehen des Chronisten stattfand; wenigstens halte ich es nicht für unmöglich, dass der Hauptkörper der Kirche des Obermünsters älter ist als der Brand von 1152. Das Schiff zeigt schon in den mehr breiten als hohen Verhältnissen einen alterthümlichen Charakter. Die viereckigen Pfeiler, welche die je 6 Rundbögen auf jeder Seite des Schiffs trennen, haben als Kapitäl eine einfach vortretende Kehlung mit Plättchen darüber, als Basis aber eine Schmiege. Von übrigen Details habe ich nichts bemerkt. Die östliche Abside ist verbaut, der ehemalige westliche Nonnenchor von moderner Erscheinung und das wirklich Alte noch bedeutend modernisirt, so dass ein entscheidendes Urtheil nicht sogleich zu fällen ist. In der Vorhalle der Nordseite sieht man, ausser anderen Kunstwerken, ein interessantes Portal in frühgothischem Uebergangsstyle. Der Glockenthurm, auch verschiedenen Zeiten angehörig, steht, wie bei S. Emmeran, nach italienischer Art, isolirt vom Gebäudekörper der Kirche.

 

Wenn man das hohe Alter des bereits 831 von der Königin Hemma, Gemahlin Ludwig des Deutschen, gegründeten Stiftes betrachtet, so kann man hier wohl an alte Bauanlagen denken; doch ist in keiner Weise an diesen ursprünglichen Bau zu denken, da Kaiser Heinrich II. im Jahre 1010 eine neue Kirche einweihen liess, die 1020 wieder abgebrannt sein soll. Wir würden also doch höchstens an eine Kirche des XI. Jahrhunderts denken können.

 

Die Kirche des Stifts Niedermünster scheint aber nach jenem Brande von 1152 völlig erneuert worden zu sein. Die wenigen Reste, welche der völligen Verzopfung dieser Kirche entgangen sind, zeigen den vollkommen ausgebildeten Romanischen Styl; so namentlich das westliche Hauptportal unter der Vorhalle und ein noch erhaltener Emporen-Rundbogen auf jeder Seite des Chores, der zwei kleinere Rundbögen umschliesst, die auf einer Mittelsäule mit Würfel-Kapitäl von gewöhnlicher Form des XII. Jahrhunderts ruht. Sonst erkennt man weder an den 7 Rundbögen zu jeder Seite des Schiffs, noch an den je dreien des Chors irgend einen der Verzopfung entgangenen Rest.

 

Die übrigen im Jahre 1152 als abgebrannt erwähnten Kirchen sind nicht mehr in gleichzeitigen Erneuerungen vorhanden; die jetzigen Gebäude sind entweder gothisch oder aus noch neuerer Zeit.

 

(Fortsetzung folgt.)

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1) Vergleiche die Würfel-Kapitäle der Vorhalle von S. Emmeran Fig. 11 D. mit der ganz ähnlichen des Altares der Capelle Allerheiligen in Fig. 15.

2) Hund I. S. 132. Dr. Waagen a. a. O. S. 90 fügt noch S. Emmeran aus mir unbekannter Quelle hinzu; sollte dies nicht eine Verwechselung mit dem Brande vom Jahre 1163 sein?

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung.)

 

Wir kommen nun auf das bedeutendste Romanische Bauwerk in Regensburg, welches zugleich als Basilika eine der vorzüglichsten Stellen in Deutschland einnimmt. Es ist die Schottenkirche zu S. Jacob. 3) Die schon im Jahre 1089 nach Regensburg gekommenen Schotten erhielten vom Stifte Obermünster die demselben gehörige Kirche Weihen S. Peter vor dem Ostende der Stadt, neben welcher Sie sich ein Kloster erbauten; doch blieb diese Kirche dem genannten Stifte fortwährend unterworfen. 4) Da sich die Zahl dieser Schottenmönche, die sich vornehmlich der Pflege ihrer nach dem gelobten

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3) S. die vorzüglichen Aufnahmen von Popp und Bülau. Leider vermisst man hier gerade die Angaben des Fugenschnitts und des verschiedenartigen Mauerwerks recht sehr.

4) S. Bestätigungsurkunde K. Heinrich IV. bei Hund I. 172. und bei Ried a. a. O. S. 166.

 

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Lande durchziehenden Landsleute annahmen, fortwährend vermehrte, 80 stiftete der Burggraf Otto nebst anderen Bürgern von Regensburg vor dem Westende der Stadt ein neues Schottenkloster zu S. Jacob, welche Stiftung Kaiser Heinrich V. im Jahre 1111 bestätigte. (Hund a. a. O. und III, 65.) Auch diese Kirche soll im Jahre 1152 abgebrannt sein (Waagen a. a. O. S. 96) und ich zweifle nicht, nach dem Style einiger Theile des Baues zu urtheilen, an einer Erneuerung in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts. Den Haupttheil der Kirche aber, d. h. das Schiff mit den Seitenschiffen und dem berühmten Portale der Nordseite, kann ich mit Waagen nur als denjenigen Bau anerkennen, den der dritte Abt des Klosters, Georg, um 1200 ausführte. Die dafür angeführten Gründe, dass die hochstrebenden Verhältnisse schon das Hereindringen des gothischen Prinzips ankündigten, und dass die sehr reiche Form der Kapitelle diesem Zeitraume gleichfalls entspreche, erkenne ich im vollsten Maasse an. Mir ist in Deutschland kaum eine andere Basilika von so hochstrebenden Verhältnissen bekannt, als wie die in Rede stehende, die hierin einen rechten Gegensatz zu den vorgenannten des Obermünsters bildet; einem unbefangenen Betrachter kann der bei weitem ältere Charakter der letztgenannten Kirche nicht entgehen. Aber auch ein Vergleich mit denjenigen Architekturen, welche wir in Regensburg als ächte Werke des XII. Jahrhunderts erkannten, der Capelle Allerheiligen im Dom-Kreuzgange, der Vorhalle von S. Emmeran, den Resten alter Architektur im Niedermünster, lehrt uns, dass dieselben im Vergleiche zu den Haupttheilen von S. Jacob einen verschiedenen und älteren Charakter zeigen. Jene Architekturen zeigen überall noch eine gewisse Mässigung in der Verwendung wie in der Formenbildung der Details. Bei der Capelle des Dom-Kreuzganges, die im Jahre 1164 schon als beendet angenommen werden muss und die somit als die älteste derselben zu nennen ist, giebt sich schon dadurch eine grössere Verwandtschaft mit den ächten Resten des XI. Jahrhunderts, dem Portale von S. Emmeran und der S. Stephans-Capelle zu erkennen, dass alles Detail nur in zierlichen Pilasterprofilen und einigen Gesimsen besteht. Die Reste des Niedermünsters zeigen schon eine etwas freiere Formenentwicklung. An der Vorhalle von S. Emmeran erkennt man endlich eine viel üppigere Entwicklung der Architektur, der sich hier schon eine gewisse Plumpheit der Profile beimischt, die von Manchen für Alterthümlichkeit, von mir aber als Ausartung angesehen wird. An dem, jedoch nur sparsam vorhandenen Blattwerke der Consolen erscheint schon eine Anbahnung zu den fleischigen Gebilden, welche an den Kapitälen in S. Jacob und besonders an dem Portale daselbst erscheinen, das in überüppigen Form- und Figurenbildungen Alles übertrifft, was wir in Deutschland von Romanischer Kunst besitzen. Wenn nun, wie schon oben erwähnt wurde, jene Vorhalle von S. Emmeran wahrscheinlich noch um etwas jünger sein dürfte, als die Einweihung des anstossenden Kirchtheils, welche 1189 stattfand, so gelangen wir durch diese Mittelglieder bereits nahe an den Zeitpunkt, wo wir die Erbauung des Schiffs und des Portales anzunehmen uns gedrungen fühlen. Dies ist dieselbe Zeit, in welche, wie oben in einer Anmerkung gesagt wurde, das Portal des Doms zu Freising fallen dürfte (1205 geweiht), das in üppigen Bildungen der Details unserem Portale von S. Jacob verwandt ist, obschon ersteres in eleganteren Hauptformen der ganzen Anordnung sich darstellt. Eine viel grössere Verwandtschaft zeigt aber das Portal des Schotten-Klosters mit dem Westportale der ehemaligen Carmeliter-Kirche zu Bamberg, welche als Kirche des heiligen S. Theodor um 1200 neu gebaut wurde 1).

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1) Nach mündlicher Mittheilung des Prof. v. Reider in Bamberg.

 

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Auch hier sieht man, wie in Regensburg, liegende Löwen über Consolen oder Kapitälen mit üppigfleischigem Blattwerk aus der Wand hervortreten. Auch hier befinden sich: wie dort Bandverschlingungen in vereinzelten Gruppen und eine gebrochene Stabverzierung wie am südlichen Portale von S. Jacob gegen den Kreuzgang zu. Auch die nach malerischem Prinzipe geordnete Gruppirung der wechselnden runden und geraden Gliederungen der Portale, sind beiden gemeinsam, und deuten schon Bestrebungen an, die erst in der Gothischen Baukunst zur Vollendung kamen.

 

Eine ähnlich malerisch reiche Gliederung und ähnliche Decoration mit allerlei Bestien und wunderlichem Blattwerk von ganz verwandter Formenbildung zeigt auch das rundbogige Portal einer kleinen achteckigen Kirche zu Ober-Wittighausen, von welcher mir eine Zeichnung vorliegt. Innerhalb der das Portal umfassenden viereckigen Einfassung sieht man aber hier eine Reihenfolge kleiner decorativer Spitzbögen, welche die spätere Zeit der Entstehung dieses kleinen Monuments, über welches mir jedoch jede weitere Nachricht fehlt, genugsam anzeigen.

 

Diese Beispiele stehen aber nicht vereinzelt da; in Süddeutschland herrscht am Ende des XII. und Anfange des XIII. Jahrhunderts überhaupt eine ähnliche rohe Ueppigkeit vor, und diejenigen Bauwerke, welche hiervon frei sind und sich den in Norddeutschland gerade damals in höchster Blüthe stehenden zierlichen romanischen Formenbildungen annähern, gehören daselbst zu den Ausnahmen.

 

Wir kehren aber nach S. Jacob in Regensburg zurück. Von den älteren Bauwerken jener Sladt sehr abweichend ist namentlich auch das Mauerwerk der Kirche, welches im reinen Quaderbau aufgeführt ist. Wir haben bereits mehrfach diesen wichtigen Punkt zur Erkenntniss der verschiedenen Bauperioden, die Verschiedenheit des Materials zu berühren Gelegenheit gehabt, und ich erwähne hier deshalb nur kurz, wie in Regensburg das Bruchsteinmauerwerk, mit Mörtel überzogen, bei den Bauwerken des XI. Jahrhunderts vorherrscht, nur bei wenigen Bautheilen und Gliedern dies Sichtbarwerden der Hausteine zulassend. Im XII. Jahrhundert treten letztere an der Capelle Allerheiligen bereits stärker hervor, noch mehr aber an der Vorhalle von S. Emmeran. Hier bei S. Jacob ist nun der ganze Bau zum Quaderbau geworden und besteht sowohl am Seitenschiſfe, als auch am oberen Mittelschiffe aus gut zusammengestellten viereckigen Steinen, die einander an Grösse zwar nicht gleich sind, aber doch stels in gutem Verbande liegen. Jeder Quader enthält nun ein Steinmeizzeichen der ältesten Gestalt, d. h. einen Majuskelbuchstaben; ich fand die Buchstaben A. M. und das runde Є. Ferner ein griechisches und ein Krückenkreuz und zwei Zeichen, deren eines einen senkrechten Strich mit Querstrichen zu oberst und unterst zeigt, das andere aber drei senkrechte Parallelstriche, die an der Basis durch einen Querstrich verbunden werden, der sich nach der einen Seite weiter fortsetzt. Alle diese Zeichen bestehen aus einfach eingegrabenen Linien und stehen bald senkrecht, bald verkehrt, mitunter auch seitwärts zu der jetzigen Lage der Steine. Dass diese Zeichen hier keinen anderen Sinn haben können, als zu beweisen, welche Steine dieser oder jener Geselle angefertigt hat, um so eine Controlle über den Bau zu liefern, ist hierbei sehr deutlich. Dass durch dieselben aber keine Auszeichnung begründet werden soll, erkennt man daraus, dass die reichdecorirten Steine des Portales, die allein auf Steinmetzenkunst Anspruch machen können, jener Zeichen völlig entbehren, obschon sie zur Seite mit dem Mauerwerk so gleichmässig verbunden sind, dass hier nur an völlige Gleichmässigkeit der Erbauung zu denken ist 1). Ich denke

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1) Wenn in der Beschreibung zu Langes Ansichten der vornehmsten Städte in Deutschland, I. und auch anderwärts von einer Versetzung dieses Portals, und noch dazu im Jahre 1552 von der damals zerstörten Schotten-Kirche Weih S. Peter, an die jetzige Stelle gesprochen wird, um ihr ein womöglich in vorkarolingische Zeiten hinaufreichendes Alter zu ermöglichen, so zeigt, abgesehen vom Baustyle, schon die blosse Steinconstruction die völlige Unmöglichkeit einer derartigen Annahme. Wohl aber erkennt man an dem Abbruche des oberen Theiles der Seitenpfeiler, dass hier einst die Bogen einer Vorhalle gegenstiessen oder doch gegenstossen sollten.

 

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mir, dass das Portal einem besonderen Werkmeister in Venedig gegeben war und dass es daher an demselben solcher Controlzeichen nicht bedurfte. Hätte, wie man neuerdings oft genug gefabelt hat, jenen Zeichen eine Geheimlehre zum Grunde gelegen, so fand dieselbe gerade an diesem Portale mit seiner Fülle wunderlicher Ungeheuer ein so reiches Feld sich Geltung zu verschafſen, als nirgend anderwärts in Deutschland; aber gerade hier hören die Steinmeizzeichen auf. Ich halte die Steinmetzzeichen dagegen nur für einen eben damals neuaufgekommenen Gebrauch, um eine Controlle über die vollführten Arbeiten jedes Arbeiters zu haben.

 

Auch am Aeusseren des Kreuzbaues am Münster in Freiburg, schon im Uebergangsstyle und daher wohl erst gegen Mitte des XIII. Jahrhunderts vollführt, fand ich verwandte Buchstaben als Steinmetzzeichen angewandt; doch zeigen dieselben mehr runde Formen, wie S. R. und ein Dreiblatt, das schon die hereinbrechende Gothik andeutet. Sehr interessant ist in dieser Beziehung auch ein Vergleich der am Dome zu Halberstadt vorkommenden Steinmetzzeichen, wo sie an den älteren gothischen Theilen, d. h. an den drei westlichen Pfeilerabtheilungen, hauptsächlich aus einzelnen Buchstaben I L N S T bestehen, denen sich noch ein griechisches Kreuz und eine andere kreuzartige Verschränkung anschliesst; nur einmal erscheint ein etwas gerundetes A. Dieselben Zeichen, mit Hinzufügung einiger anderen, Ω V Q, eines Halbmondes und einer Art Dreizack, findet man im älteren Theile des Kreuzganges (Uebergangsstyl). Auch an den Thürmen, vom Glockenhause bis zum Dache, finden Sie sich, von noch einigen Buchstaben und einigen Verschränkungen begleitet. Die Steinmetzzeichen der übrigen Bautheile werden, je jünger Sie sind, desto complicirter, und so dienen dieselben dazu die Auffindung der verschiedenen Bau-Perioden zu erleichtern, je nachdem ein völliger Mangel derselben, die Anwendung einfacher Buchstaben oder mehr oder weniger complicirter Zeichen, stattfindet 1). Für unsern Zweck aber dienen diese Beispiele zum Beweise, dass das Vorkommen von Steinmeizzeichen im Allgemeinen als ein Zeichen jüngerer Entstehung, und zwar derjenigen Periode anzugehen ist, wo sich die Technik von den geistlichen Corporationen, die sie ursprünglich fast allein ausübten, abzulösen begann, und dass daher das Erscheinen derselben am Haupttheile von S. Jacob in Regensburg als ein Präjudiz für die spätere Erbauung dieses Bautheiles gellen darf.

 

Für die spätere Entstehungszeit sprechen auch die oberen Fenster des Mittelschiffs von langgezogener Form; noch mehr aber in der Mitte einer jeden Seite, etwa wo Schiff und Chor sich scheiden (jenes von Säulen, dieses von viereckigen Pfeilern getragen), die Anordnung eines Fensters von verschiedener Form, auf der Nordseite ein kreisförmiges mit einem Steinkreuze in der Mitte, auf der Südseite ein Vierblattfenster. Die unverletzte Quaderverbindung der ganzen Umgebung lässt nicht die Annahme zu, als ob diese Fenster erst später eingezogen wären, und die Bestienköpfe an den inneren Spitzen des Vierblattfensters zeigen deutlich den Zusammenhang mit den übrigen

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1) Herr Dr. Lucanus in Halberstadt hat eine Reihenfolge dieser Steinmetzzeichen, je nach den einzelnen Bautheilen, zusammengestellt, deren gefällige Mittheilung hier zu Grunde gelegt ist.

 

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Dekorationsformen der Kirche. Die Form dieses Fensters aber ist schon eine bestimmt gothische, und die beide Fenster umgebenden Profile tragen auch bereits einen gothisirenden Charakter.

 

Der letztere tritt nun ebenfalls an den Kreuzgewölben hervor, welche die westliche Empore tragen und dieselbe überdecken. Sie zeigen bereits eine starke Ueberhöhung und die Kappen werden durch Grate, von einer Profilirung mit überhöhtem Rundstabe, getragen, vor dem in einem Falle sogar in der Mitte eine Nase vortritt, wodurch dasselbe einen völlig gothischen Charakter annimmt 1). Dass diese Gewölbe mit ihren Graten aber ursprüngliche sind, erkennt man auf den ersten Blick, indem aus den Ecken sogar besondere Consolen zu ihrer Aufnahme hervorkragen 2), so wie sich gegen das Mittelschiff hin eigene Säulenbündel zu ihrer Aufnahme gruppiren. Construction und Decoration, namentlich des Blattwerks an Kapitälen und Consolen, weichen von denen der übrigen Kirche nicht im mindesten ab.

 

Noch mehr zeigt den späten, fast gothischen Charakter das quadratische Kreuzgewölbe, das hart vor der grossen Altarnische vom übrigen Langchore durch einen reichprofilirien Gurtbogen getrennt wird. Die Rippen desselben sind mit einer fortlaufenden Reihe kleiner Knöpfe, in der Gestalt von Rauten, besetzt, die unter einander in den kurzen Zwischenräumen noch durch Verbindungslinien an einander geheftet scheinen. Das Mittelfeld einer jeden Raute zeigt eine derselben sich anschmiegende vierblättrige Rose in altgothischem Charakter 3). Auch dieses Gewölbe zeugt durchaus von gleicher Entstehungszeit mit der übrigen Kirche.

 

Ein bestimmter Theil der Kirche lässt dagegen eine entschieden andere Constructionsweise als die des übrigen Baues erkennen und führt deshalb nothwendig auf Annahme einer verschiedenen Bauzeit: es ist dies der östlichste Theil der Seitenschiffe mit den angehängten kleinen Seitenabsiden und den daselbst befindlichen, die grosse Nische einschliessenden Glockenthürmen. Die grosse Nische selbst mit ihrem decorirten Bogenwerk umher zeigt jedoch völlig denselben Styl und dasselbe Mauerwerk aus Quadersandstein, wie das Schiff und die Seitenschiffe. Die vorbezeichneten Theile dagegen sind von Bruchsteinen (Pläner Kalkstein) und, mit Ausnahme der rundbogigen Doppelfenster der Thürme, ohne alles Detail, selbst ohne Rundbogenfriese, welche doch, in reicher Weise gebildet, das Mittelschiff übersteigen. Jene Doppelfenster 4) werden in der Mitte von einer kleinen Säule mit einfach glattem Würfelkapitäl von guter Bildung des XII. Jahrhundert getragen, dem ein Doppelkragstein zur Aufnahme des Bogens aufliegt. So wie der spätere Ansatz der grossen Nische an jene ältere Thurmbauten und die den letzteren organisch verbundenen Altarnischen sehr deutlich zu erkennen ist, so auch die sehr rohe Verbindung beider Theile am nördlichen Seitenschiffe , in der Gegend jener Thürme. Die spätere Anfügung des Quaderbaues an das schon vorhandene Bruchsteinmauerwerk ist hier sehr auffällig. Namentlich an den Thürmen sind auch sehr deutliche Brandspuren von altem Kalksteinmauerwerk zu erkennen 5).

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1) Auf der Tafel ist Fig. 16 das Profil der Rippen des südwestlichen Kreuzgewölbes der westlichen Empore, Fig. 17 die dazu gehörige Console der Südwestecke, Fig. 18 das Profil der Rippen des nordwestlichen Kreuzgewölbes.

2) Deren eine in Fig. 17 gezeichnet ist.

3) Fig. 19 zeigt einen Theil einer dieser Rippen, Fig. 20 die Rauten-Verzierung in grösserem Maassstabe, Fig. 21 das Profil der Rippen.

4) S. eine Skizze davon in Fig. 22.

5) Der schon gerügte Mangel der Angaben des Steinschnitts in dem sonst so vorzüglichen Werke von Popp und Bülau macht es unmöglich, jene Verschiedenheiten des Mauerwerks in ihren Aufnahmen zu erkennen, welche in der Wirklichkeit so sehr deutlich hervortreten.

 

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Aus allem diesem folgt nun, dass, wie die östlichen Reste der Kirche bezeugen, der um die oder bald nach der Mitte des XII. Jahrhunderts vollführte Neubau der Kirche (denn sehr deutlich zeigen jene Reste den Charakter dieser Periode, wie er oben an den gleichzeitigen Bauwerken in Regensburg nachgewiesen wurde) zu Anfange des XIII. Jahrhunderts wieder durch Feuer zerstört worden ist, und dass nun erst derjenige Bau begann, den wir jetzt vor Augen haben. Die alterthümliche Gestalt der Basilika in dieser späten Zeit ist allerdings sehr auffallend und nächst der in Süddeutschland überhaupt verzögerlen Ausbildung der Baukunst nur aus lokalen Ursachen zu erklären. Die spätere Erbauung wird aber ausser der, die spätere Zeit in ganz Süddeutschland charakterisirenden üppig rohen Decorationsweise noch durch die dem Gothischen sich nähernden hohen Verhältnisse und viele speciell gothisirende Formen an Fenstern und Kreuzgewölben und an der Art des Mauerwerks erkannt. S. Jacob in Regensburg bahnt in so weit den Weg an, der sodann in den vollständigen Uebergangsbauten von S. Sebald und dem Dome in Bamberg, die dann um die Mitte des XIII. Jahrhunderts und über dieselbe hinaus fallen, deutlicher verfolgt wird.

 

Die Schottenkirche bildet das jüngste Gebäude Romanischen Styls in Regensburg. Ein grösseres Bauwerk im Romanischen Uebergangsstyle mit vorherrschendem Spitzbogen, welche Bauweise anderwärts, namentlich am Niederrheine, so zahlreich ist, fehlt in Regensburg gänzlich, und ich wüsste hierfür nur den zierlichen Portalbau, der den Eingang zu der Vorhalle von S. Emmeran gegen den nördlichen Platz zu bildet, zu nennen: eine zierliche Façade mit zwei Spitzbogenthüren und einer in mehrere Abtheilungen getheilten kleinen Blendarkade darüber, deren Rückwand gegenwärtig mit modernen Figuren der vierzehn Nothhelfer geschmückt ist. Ueber die Zeit der Erbauung ist mir nichts bekannt; dem Style nach zu urtheilen, fällt sie in die Mitte des XIII. Jahrhunderts.

 

Es ist nicht gebräuchlich, zwischen diesem romanischen Uebergangsstyl und demjenigen, in welchem der gothische Styl bereits den Hauptcharakter bildet, doch so, dass er noch eine mehr oder weniger grosse Beimischung romanischer Reminiscenzen zeigt, einen grossen Unterschied zu machen; und doch ist ein solcher in Deutschland durchaus nothwendig. Weil eben hier der gothische Styl sich nicht, wie im nördlichen Frankreich, Schritt vor Schritt aus dem romanischen entwickelt und aus dessen Umhüllung, so zu sagen, sich emporarbeitet, so kann auch kein organischer Uebergang stattfinden, wie wir eben einen solchen in Frankreich finden, wo deswegen auch nur ein einziger Uebergangsstyl existirt; und auch dieser ist daselbst nicht durch scharfe Grenzen von dem vorhergehenden romanischen und dem nachfolgenden gothischen zu trennen. In Deutschland sehen wir von vorne an zwar ähnliche Tendenzen verfolgen, als jene sind, welche in Frankreich zur Herstellung des gothischen Bausystems führten; aber im Ganzen findet dieses doch stets in etwas verzögerter Art statt. Daher kann es denn auch nicht fehlen, dass späterhin, als das gothische System in Frankreich schon zu einer gewissen Constituirung gelangt war, eine mächtige Einwirkung davon auf Deutschland, so wie auf andere Nachbarländer stattfand. Diese zeigt sich anfänglich mehr in Aufnahme gewisser Einzelnheiten, des Spitzbogens, Kleebogens, der Kleeblätter, in der Anordnung der Thürme an den Fronten und selbst in der durchgeführten Gewölbeanlage der Schiffe u. dgl. m. Daneben bleibt aber der schwere Grundcharakter des romanischen Styles: dicke Mauern, kleine Fenster,

 

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schwere Verhältnisse und speciell romanische Details. Die Aufnahme der Knospenkapitäle, der Triforium-Galerie über den Seitenschiffen gegen das Mittelschiff, die Erweiterung der Fenster, das Polygon der Chornische u. s. w. zeigen die letzte Entfaltung der romanischen Baukunst an, deren dieselbe bei uns, von französisch gothischen Bauformen influenzirt, fähig war. Sie ging in sich gelbst zu Grunde und es beginnt, bei uns ohne einheimische Wurzel, ein völlig Neues, der gothische Styl, der ganz einfach aus Frankreich entnommen wird, wo wir seine Genealogie ausschliesslich höher hinauf verfolgen können. Indem der gothische Styl aber bei uns zuerst auftritt, ist er keinesweges mehr der reinſranzösische geblieben, vielmehr hat er von vorne herein einen eigenthümlich deutschen Charakter angenommen, doch so, dass letzterer sehr wenig Zusammenhang mit dem so eben erst abgelegten romanischen zeigt. Zwar darin hängt er mit ihm zusammen, dass romanische Details noch lange mehr oder weniger an Kapitälen und anderen Ornamenten zur Anwendung kamen: aber eine gewisse Elasticität der Profile, eine zarte Schärfe alles Blattwerks und andere, oft nur dem geübten Blicke erkennbare Eigenthümlichkeiten zeichnen die frühgothischen Bauwerke Deutschlands eben so vorheilhaft vor den spätromanischen, wie vor den französisch-gothischen aus. Diese, so zu sagen, angeborene Eigenthümlichkeit ist es, welche es möglich machte, dass die deutsch-gothische Baukunst einer Vollendung entgegengehen konnte, welche selbst die französisch-gothische, auf der sie doch basirt, in vielen Dingen und in glänzenden Beispielen noch übertrifft. Andererseits zeigt dagegen die deutsch-gothische Baukunst auch von Anfang an eine gewisse Systemlosigkeit, ein Haschen nach neuen Grundformen, welches in einzelnen Beispielen, wie bei der Liebfrauen-Kirche zu Trier und der Elisabeth-Kirche zu Marburg, einen glänzenden Erfolg erlangte, das aber doch im Ganzen zu tadeln ist und daher den Erfolg im Ganzen auch sehr verkümmert. Nur in wenigen Beispielen, unter denen das Schiff und der Thurmbau des Strassburger Münsters und der Cölner Dom in erster Reihe stehen, verfolgte man die grade, schon vorgezeichnete Strasse und gelangte daher auch dort zu so gewaltigen Resultaten, wie sie vor Aller Augen liegen, weil man eben keinen einzigen der schon erlangten Vorzüge französisch-gothischer Baukunst Preis gab, dieselben aber mit der speciell deutschen Frische auffasste und hierdurch gestärkt dieselben in höchster Vollendung zur Darstellung brachte.

 

(Fortsetzung folgt.)

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung.)

 

Das älteste Bauwerk in Regensburg, das den speciell gothischen Typus zeigt, ist die sogenannte Alte Pfarre 1). Allerdings ist die Gothik gerade hier noch mit einer Menge romanischer Details durchwirkt, und kann daher mit Recht als Uebergangs-Gothik bezeichnet werden. Auch dieses Gebäude zeigt, wie so viele ſrühgothische in Deutschland, eine abnorme Grundform. Dieselbe bildet ein Rechteck, das an allen vier Seiten mit Emporen umgeben ist, so dass zwei Gewölbsysteme von ziemlich gleicher Höhe sich übereinander befinden, während der mittlere , nicht eben sehr grosse freie Raum wohl ehemals bestimmt war, höher hinaufgeführt zu werden. An der Ostseite, zu ebner Erde, ruhte der Altar, wie in der Capelle Allerheiligen, auf vier freien Säulen. Es ist möglich, dass die gerade hier sehr beengte Lokalität zu dieser verstümmelten Grundanlage, in welcher selbst ein würdiger Altarplatz ſehlt und wo die Nebentheile den Haupttheil der Kirche fast erdrücken, die nächste Veranlassung gab; höchstens bei einer Pfarrkirche, wo Lokal- und Bedürſnissfragen häufig das Uebergewicht über höhere ästhetische Rücksichten gewinnen, sind dergleichen Wunderlichkeiten zu entschuldigen, obschon sie niemals zu billigen sind; auch ist dieses Beispiel mit Recht ohne alle Nachfolge geblieben. Wenn wir über die Grundform dieser Kirche hier ein strenges Urtheil fällen müssen, so kann gleichzeitig ein um so günstigeres über die Detailformen ausgesprochen werden: namentlich die mannichfaltigen Blattformen der Kapitäle gehören in ihren geistreichen und edlen Bildungen zu dem Vorzüglichsten, was wir der Art besitzen.

 

Ich behalte es mir vor, später auf die wahrscheinliche Erbauungszeit dieser Kirche zurückzukommen, indem ich gegenwärtig nur bemerke, wie solche frühgothische Bauwerke mit den spätromanischen sehr wohl gleichzeitig sein können; ja es kann sich wohl treffen, dass an demselben Orte ein frühgothischer Bau älter ist als ein spätromanischer, weil beide verschiedenartigen Ursprunges sind und daher nicht nothwendig

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1) S. die genauen Aufnahmen bei Popp und Bülau. Gerade diese Kirche ist in dem genannten Werke mit besonderer Vorliebe behandelt, und es fehlt in demselben kaum eins der zahlreichen und schönen Details. Einige derselben findet man auch bei Gruber a. a. O. II. Bl. XVI und XVIII.

 

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von einander abhängen. Es ist jedoch anzuerkennen, dass das dem Ersterben unterliegende alte System dem mit Jugendkraft siegreich auftretenden neuen nicht lange widersteht, dass es also nur Ausnahmefälle sind, wo beide neben einander vorkommen, oder wo wohl gar ein Bauwerk romanischen Uebergangsstyles jünger ist, als ein im reingothischen oder doch gothischen Uebergangsstyle aufgeführtes 1).

 

Wir betrachten zunächst ein Gebäude, welches den gothischen Styl nun schon in voller Entwickelung zeigt, und das zugleich den Verzug einer sicheren Datirung der Erbauungszeit darbietet. Es ist dies die Dominikaner-Kirche zu Regensburg 2).

 

Die Kirchen der Bettelorden sind dadurch von Bedeutsamkeit für die Geschichte der Baukunst, dass diese Orden erst im XIII. Jahrhundert entstanden, und dass ihre Kirchen daher, wenn ihnen nicht irgendwo zufällig ein älterer Bau überwiegen wurde, nothwendig unter den mächtigen Impulsen dieses Jahrhunderts entstanden. Nur sehr wenige derselben zeigen den noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts herrschenden romanischen Styl oder doch Reste desselben; die grosse Mehrzahl aber, wo nicht spätere Erneuerungen vorhanden sind, den frühgothischen. Die Bettelorden hatten nicht, indem sie diesen Baustyl adoptirten, alte Traditionen zu überwinden, wie andere geistliche Orden, der der Benediktiner, Canoniker, Cistercienser, Prämonstratenser u. s. w., sondern Sie selbst, ein neues Geschlecht, nahmen ohne Misstrauen die neueingeführte Baukunst an und thaten gerade dadurch, bei ihrer überschnellen Ausbreitung über ganz Europa, der Ausbreitung der gothischen Baukunst nicht geringen Vorschub.

 

Hiebei ist noch ein anderer Umstand scharf ins Auge zu fassen. Die Ordensregeln der Bettelorden verboten jeden unnützen Aufwand bei Errichtung der Kirchen. Thürme durften, mit Ausnahme kleiner Dachreiter, gar nicht vorhanden sein, wodurch das Aeussere allerdings eine Verstümmelung erleidet, welche durch andere Vorzüge nicht wieder ersetzt werden kann. Aber auch im Uebrigen wurde die möglichste Einfachheit zur Regel gemacht, weshalb luxuriöse Bauformen, wie ausgebildete Strebepfeilersysteme mit ihren Strebebögen, Fialen und Baldachinen so gut wie gar nicht vorkommen, auch ausgebildete Fensterformen nur zu den Ausnahmen gehören. Die Kapitäle sind nicht häufig mit Blattwerk oder anderem Schmuckwerk versehen. Selbst die Gesammtanlage der Kirchen ohne Umgang um den Chor, ohne Capellenkranz u. s. w. zeugt von grosser Nüchternheit. Dagegen findet man fast durchgehend weite und hohe Verhältnisse, weitgespannte Bögen über dünnen Stützen, aufstrebende Gewölbe, elegante Gewölbträger und hohe Fenster. Die Bettelorden wurden nur selten, und dann meist nur in den oben neuchristianisirten Ländern an den östlichen Marken Deutschlands, von mächtigen Geschlechtern gestiftet, wie solches bei den anderen älteren Klosterorden die Regel war. In den bei weitem meisten Fällen war es die Gemeine selbst, welche die Klöster baute und deren Bewohner unterhielt. Deshalb musste der Gemeine ein weiter Kirchenraum gewährt werden,

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1) S. des Verf. Aufsatz über die Liebſrauen-Kirche zu Halberstadt im Tübinger Kunstblatt 1845, wo nachgewiesen ist, dass der romanische Umbau des Innern dieser Kirche gleichzeitig oder noch jünger ist, als die altgothischen Theile des Domes in derselben Stadt und an demselben Platze. Bei der Liebſrauen-Kirche in Trier zeigt der Mittelthurm noch romanische Formen; er ist nothwendig jünger als die völlig gothische Kirche, über deren Gewölbemittel er sich erhebt.

2) S. den Grundriss bei Gruber a. a. O. II. Bl. XXXI, 1., woselbst auch das Detail der Pfeilerbasen, wennschon mit einigen Unrichtigkeiten, gezeichnet ist. Den Chor im äusseren und inneren Auſriss giebt Kallenbach; hier sind doch die Formen nicht charakteristiscch genug wiedergegeben, und es wäre daher eine Beifügung von Details nöthig gewesen, die aber ſehlen.

 

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der die Menge leicht zu fassen vermochte, und wohl geeignet war, dass Alle am Dienste des Altares nicht minder, als an der Predigt, genügenden Antheil nehmen konnten. Diese Nichtfundirung der Bettelklöster, ihre Abhängigkeit von dem guten Willen der Menge, war aber auch Ursache, dass man darauf bedacht war, die Zeit der günstigen Strömung zu benutzen und die Kirche zu bauen, so lange diese Orden, so zu sagen, Mode waren. Daher sind verhältnissmässig so wenige Kirchen der Bettelorden in den späteren Jahrhunderten erneuert worden, wo sich das Interesse der Gemeinen vielmehr den Pfarrkirchen und der Stiftung zahlreichster Privat-Capellen zuwandte.

 

Die Dominikaner-Kirche zu Regensburg ist als ein rechtes Muster ihrer Art aufzustellen, und ich wüsste ihr in allen obengenannten Beziehungen nur die Minoriten-Kirche zu Cöln an die Seite zu stellen. Beide sind altgothisch, beide stellen, so zu sagen, den Typus des Gothischen wie ihrer Ordensbedürfnisse für ganze Gegenden fest, beide vereinigen in vorzüglicher Weise die schlanken und weiten Verhältnisse, welche ihre Orden verlangen, mit einer zwar nur mässigen, aber stets richtig vertheilten Ornamentik; der Regensburger Kirche dürfte der Vorzug grösserer Leichtigkeit zuzuerkennen sein, der Cölner ein regelrechterer Organismus, dem selbst die Strebebögen nicht fehlen, und eine elegantere Durchbildung der Details. Beiden kann man eine vorzügliche Stellung unter den ältesten Werken gothischer Baukunst in Deutschland nicht versagen.

 

Die Bischöfe von Regensburg zeigten sich dem Bettelorden vorzugsweise günstig. Bischof Conrad übergab den Franziskanern schon im Jahre 1226, in welchem Jahre der Ordensstifter starb, kurz vor seinem eignen Tode, die schon vorhandene S. Salvators-Kirche, und sein Nachfolger Bischof Siegfried den Dominikanern die S. Blasius-Kirche, deren jene zum Collegiat-Stifte S. Johannis Baptisterium, diese zum Domstifte in Eigenthumsverhältnissen standen; doch begaben sich die beiden Stifte ihrer Rechte zu Gunsten der neubegünstigten Orden. Hierdurch erwuchs den letzteren der Vortheil, dass sie sich nicht sogleich mit Neubauten zu übereilen brauchten und die günstigste Gelegenheit abwarten konnten.

 

Offenbar zu dem Zwecke eines vergrösserten Neubaues erhielten die Dominikaner im Jahre 1263 vom Bischofe Leo die Anwartschaft auf einen gegen Westen an ihr Kloster anstossenden Platz, den augenblicklich Wolfgang von Schirling vom Bischofe auf Lebenslang zu Lehen trug, den Sie jedoch erst nach dessen Tode wirklich in Besitz zu nehmen Aussicht hatten. Inzwischen verlieh ihnen der ehemalige Bischof von Regensburg, Albertus II. (1260-1262), der unter dem Namen Albertus Magnus als eins der vorzüglichsten Lichter des Dominikaner-Ordens bekannt ist und der im Jahre 1262 seine bischöfliche Würde niederlegte, um als Bruder in denselben wieder einzutreten, im Jahre 1267 einen Ablassbrief für die Beucher ihrer Kirche. Die hierdurch erlangten Spenden wurden wohl schon für den Neubau der Kirche hinterlegt. Vor dem Jahre 1273 ist derselbe aber schwerlich begonnen, da ein Bestätigungsbrief des Bischofs Leo vom 10. Juli dieses Jahres wegen jenes schon genannten Platzes, den Wolfgang von Schirling noch als lebend bezeichnet. Bald darauf muss derselbe aber gestorben, und der lange vorbereitete Bau dann sogleich mit grosser Macht betrieben worden sein. Ein höchst wichtiger Ablassbrief des vielgenannten Bischofs Leo, vom 24. Juni 1275, für alle diejenigen, welche zum Bau der neuen Kirche beitragen würden, zeichnet sich vor der grossen Menge anderer, die wir besitzen, durch grosse Ausführlichkeit aus und durch den Eifer, mit welchem der Bischof sich der Sache annimmt. Der Wichtigkeit wegen, den derselbe für unsere Darstellung hat, lasse ich den Wortlaut

 

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der unseren Gegenstand betreffenden Stellen hiernach folgen 1):

 

Leo . . Ratisp. Ep. . . . Cum igitur . . . fratres Ordinis Predicatorum . . . Ratispone degentes , Oratorii sui angustia impediti, necessarium dei ministerium hiemali tempore, ac et pluviali in estate non valeant adimplere, sed cogantur ad proponendum Dei verbum ad aliena et diversa ejusdem civitatis se transferre monasteria, officinarum quoque sue religioni necessariorum gravem admodum defectum sustineant: Nos . . . . ad extruendum Oratorium juxta morem ordinis manum adposuimus adjutricem. Universitatem itaque vestram (d. h. alle Aebte, Pröbste, Archidiaconen, Dechanten, Pfarrer und Vicare der Diöcese) commonentes . . . . injungimus per presentes, quatenus de bonis a Deo vobis collatis ad consummanda predicta pias ipsis largiamini elemosinas, et subjectum vobis populum ad eroganda grata karitatis subsidia publicis exhorlationibus, secretlis consiliis et testamentorum ordinacionibus inducatis . . . . . omnibus , qui predictis fratribus predicatoribus pro consummatione operis jam cepti manum porrexerint adjutricem, 80 dies criminalium et annum venialium de inimita ipsis penitencia misericorditer relaxamus, ratas nichilominus habentes . . . . confratrum et Episcoporum nostrorum, quorum dioceses sepe dicti fratres ad seminandum Dei verbum ingrediuntur, indulgentias, si quas ipsis duxerint in domino concedendas. Insuper ratas habemus circa subditos nostros, si qui fratribus predictis suas elargiti fuerint elemosinas, Indulgencias Episcoporum subscriptorum ipsis in Concilio Lugdunensi nobis ibidem existentibus concessas, quas adhoc . . . . litteris presentibus duximus inserendas, a ven. fratre nostro domino Heinrico Treverensi Archiepiscopo 40 dies criminalium et 80 venialium, ab Episcopo Chimensi desgl. a fratre Alberto quondam Episcopo Ratisp. desgl. a fratre Guidone Epo Claramonten. desgl. a fratre Titerico Epo Faventino desgl. a fratre Ottone Epo Mindensi desgl. Datum Ratispone anno dni 1275. VIII Kal. Julii.

 

Man sieht es dem ganzen Inhalte des Ablassbriefes an, dass es einen grossen Bau gilt, auf den er sich bezieht; alle Geistlichen der Diöcese werden der Reihe nach ermahnt, sich der Beförderung dieses Werkes in jeder Weise anzunehmen, selbst dazu beizutragen und das ihnen untergebene Volk hierzu sowohl öffentlich, wie heimlich zu ermahnen und dasselbe namentlich dahin zu leiten, dass es sich bei Testamenten dieses Baues annehmen möge. Sodann wird die Unzulänglichkeit des bisherigen Gotteshauses ausführlich geschildert, das weder vor der Strenge des Winters, noch vor der regnigten Jahreszeit Schulz gewähre, weshalb die Brüder genöthigt seien, durch die ganze Stadt umher in fremden Klöstern zu predigen; endlich wird der verhätnissmässig sehr hohe Ablass von 80 Tagen und von einem Jahre für alle diejenigen verkündet, welche zur Vollendung des schon begonnenen Werkes beitragen werden, für die denn auch noch gleichzeitig der Ablass von sechs anderen in Lyon versammelt gewesenen Bischöfen mitgelheilt wird, deren jeder 40 und 80 Tage verliehen hat.

 

Vergleicht man diesen Inhalt mit dem der vorhergenannten Urkunden, so erkennt man sehr deutlich, wie das jam coeptum sich nur auf einen eben erst begonnenen Bau beziehen kann, der 1167 entschieden noch nicht angefangen war, da der Ablassbrief des Alberlus Magnus von diesem Jahre des schon be- gonnenen Baues mit keinem Worte gedenkt, was er im entgegengesetzten Falle gewiss gethan hätte. Auch der Umstand, dass der jämmerliche Zustand der bisherigen Kirche und die

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1) Die Urkunde ist ausführlich abgedruckt bei Ried a. a. O. S. 534. In demselben Codex befinden sich auch alle anderen Urkunden, auf denen diese Darstellung basirt.

 

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hieraus sich ergebende Noth der Brüder wegen ihres Unterkommens so umständlich beschrieben wird, lässt annehmen, dass dieser Zustand nicht ein längst vergangener ist, sondern noch fortwährend besteht, dass also mindestens kein Theil des neuen Gotlteshauses so weit errichtet dastand, dass er schon wieder benutzt werden konnte. Hiermit stimmt nun auch das Datum der anderen Ablassbriefe überein, welche während des Bischofs Aufenthalt auf dem Concile zu Lyon ausgestellt wurden, was zufolge vorhandener Urkunden im Monat Mai 1274 stattfand 1).

 

Hieraus ergiebt sich nun folgender Zusammenhang. Nach Ausstellung der Urkunde vom 10. Juli 1273, wahrscheinlich noch in demselben Jahre, starb der oftgenannte Wolfgang von Schirling und das Prediger-Kloster konnte den von ihm bisher besessenen Platz zum Neubau seiner Kirche in Besitz nehmen. Schon seit vielen Jahren, wie der Ablassbrief vom Jahre 1267 beweis‘t, waren Spenden zum Besten des Klosters gesammelt, die nun, da der Bau wirklich beginnen konnte, eine sehr eifrige Betreibung desselben möglich machten. Der Bau hat denn wahrscheinlich schon im Jahre 1274 begonnen, aus welchem Jahre jene sechs Ablassbriefe der in Lyon versammelten Bischöfe herrührten, unter denen sich der ehemalige Bischof der Diöcese, Albertus Magnus, befand, der aus Liebe zum Orden seiner Würde entsagt hatte und in denselben zurückgetreten war. Im folgenden Jahre 1275 war nun der Bau im völligen Gange, wie der grosse Ablassbrief dieses Jahres ergiebt. Noch mehr ergiebt sich aber der Eifer, mit welchem dieser Bau betrieben wurde, aus einem anderen Ablassbriefe vom 28. Nov. 1277, den der Bischof Heinrich II., Nachfolger des in demselben Jahre verstorbenen Bischofs Leo, allen denen ertheilt, welche die Predigten jener Brüder besuchen, den Festtagen ihres Ordens und Hauses und namentlich auch dem Jahrestage der Einweihung ihrer Kirche und deren Altäre beiwohnen würden. Dieser Ablassbrief übertrifft jenen von 1275 fast noch an weitläuftiger Aufzählung der Verdienste dieser Brüder und kann deren Sache dem Clerus der Regensburger Kirche, an den derselbe gleichfalls wie jener gerichtet ist, nicht dringend genug empfehlen. Dennoch kommt nichts darin vor, was sich auf den noch fortdauernden Bau der Kirche bezöge. Wenn derselbe noch fortginge, so würde dieser für Spenden wichtige Umstand gewiss nicht vergessen worden sein. Am Schlusse des Briefes, nachdem der dem Orden verliehene Ablass schon verkündigt worden ist, wird allerdings noch hinzugefügt, dass, da der Orden nach seinen Statuten keine jährlichen Renten besitzen dürfe, so möge man ihnen Almosen schenken, sive ad monasterii sui fabricas, sive ad corporalem sustentacionem necessarias, wofür dann noch wieder ein besonderer Ablass verheissen wird. Ich beziehe dieses aber nicht auf den Bau der Kirche selbst, obschon das Wort monasterium sonst gewöhnlich hierauf zu beziehen ist; bei Bettelklöstern entsinne ich mich aber nicht, es in diesem Sinne angewendet gefunden zu haben, wie denn auch in diesem selben Briefs dafür ecclesia gebraucht wird und in dem von 1275 Oratorium; vielmehr dürfte es sich entweder auf den Bau der Klostergebäude beziehen, welche sonst unter dem Namen claustrum vorzukommen pflegen, oder auf die laufende Unterhaltung aller Klostergebäude, einschliesslich der Kirche, was durch die Zusammenstellung mit der sustentacio am wahrscheinlichsten zu sein scheint. Dagegen lässt die Aufforderung zum Besuche der Predigten und der Festtage der Brüder auf Vollendung der Kirche schliessen, noch mehr aber die Einladung zur Feier des Jahrestages der Einweihung, welche also

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1) Urkunden vom 9. und 15. Mai 1274 bei Ried S. 530 und 531. Die nächst vorhergehende vom 6. Jan. 1274 und die nächstfolgende vom 9. März 1275 sind zu Regensburg ausgestellt.

 

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198 Sp. 1

 

schon geschehen war. Wenn nun anderwärts eine solche Einweihung nach Beendigung eines Theiles einer Kirche schon vorgenommen wurde, der Bau aber nichts desto weniger in den übrigen Theilen oft noch Jahrhunderte lang fortgesetzt wurde, so ist zu bedenken, dass dies meist bei sehr grossen Gebäuden stattſand und dass dies gewöhnlich Dom-Kirchen waren oder doch solche Stifts- und Kloster-Kirchen, welche vorzugsweise auf eigne Kräfte angewiesen waren und dieselben daher auch auf längere Zeit vertheilen mussten. Anders bei den Bettelklöstern, welche, wie schon oben berührt wurde, die ihnen günstige Strömung schnell benutzen mussten. Auch kann man aus dem Umstande, dass die Einweihung der Altäre neben der der Kirche noch besonders genannt wird, darauf schliessen, dass die Kirche im Ganzen fertig war, weil die Nebenaltäre sonst gar nicht oder doch nur diejenigen derselben namentlich genannt sein würden, welche bereits fertig waren, wie solches anderwärts zu geschehen pflegte.

 

Aus allen diesen Gründen schliesse ich, dass die Kirche in den Jahren 1274-1277, also während des nur kurzen Zeitraumes von vier Jahren, von Grunde auf gebaut und vollendet wurde, so dass ihre Einweihung wahrscheinlich kurz vor Ausstellung der Urkunde vom 28. November 1277 erfolgt war. Eine so schnelle Vollendung eines nicht unbedeutenden Gebäudes setzt uns allerdings in Verwunderung, die wir gewohnt sind, mit den Kirchen des Mittelalters den Begriff einer sehr langen Bauzeit zu verbinden. An sich ist die Sache aber keinesweges unglaublich, und die schon erwähnten, den Bau fördernden Umstände waren zur Erreichung dieses Zweckes sehr geeignet. Auch ist wohl zu bemerken, dass die Kirche zwar nicht unbedeutend ist, aber doch von sehr einfacher Struktur, nur mit sehr mässiger Anwendung von Ornamenten. Wäre die Anlage mit einer reichen Detaillirung der Bautheile verknüpft gewesen, wie bei dem gleichzeitig begonnenen Dome, so wäre ein so schnelles Vorschreiten völlig unmöglich gewesen, weil zur Ausarbeitung einer so grossen Fülle gegliederter Bautheile der blosse gute Wille und eine Menge theilnehmender Hände nicht ausreicht. Wohl aber ist dieses bei einem Baue wie die Dominikaner-Kirche möglich, deren Anlage höchst einfach ist, deren Wände aus Bruchsteinen bestehen und deren sparsam vertheilte Gliederungen selbst meist eine sehr einfache Formbildung zeigen 1).

 

Das im Lichten 35 Fuss breite und gegen 90 Fuss hohe Mittelschiſf wird seiner ganzen Länge nach, bis zum Chorschlusse hin, durch die niederen Seitenschiffe begleitet, die selbst gradlinigt endigen, während der Chlorschluss aus fünf Seiten des Achtecks gebildet wird. Den Langchor bilden 4 Gewölbabtheilungen, das Schiff 6 dergleichen, etwas breiter wie jene, von Westen gegen Osten gerechnet. Die letzteren öffnen sich gegen die 20 Fuss breiten Seitenschiffe durch elegant geformte Spitzbögen; jene werden von den hinter ihnen fortlaufenden Abseiten durch die Abschlusswände des Chores, gegen welche die Chorstühle lehnen, völlig getrennt. Die Pfeiler des Schiffs sind von achteckiger Grundform, mit Halbsäulen an den vier Stirnseiten, die bis zur Höhe der unteren Bögen aufsteigen, mit Ausnahme der gegen das Mittelschiff gerichteten, welche bis zum Anfange des Hauptgewölbes hinaufreicht. Der letzteren Halbsäulen entsprechende Dienste steigen von den Gewölben des Chores bis zur halben Wandhöhe hinab, wo sie von wunderlichen Consolen gestützt werden, die die Form eines Hornes oder einer gebogenen

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1) Kallenbach a. a. O. setzt, seinem selbstſestgestellten Systeme folgend, den Bau unserer Kirche zwischen 12301240. Die allegirten Urkunden scheinen ihm unbekannt geblieben zu sein. Waagen a. a. O. S. 101 legt mit Recht auf die Urkunde von 1275 das grösste Gewicht.

 

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Rübe haben 1); nur in den Ecken des Chorschlusses steigen Sie bis zum Fussboden hinab. Alle Kapitäle zeigen ein elegantes kelchartiges Profil, doch ohne alles Blattwerk oder anderen Schmuck, der sich überhaupt nirgend in der Kirche zeigt; nur die erste Dienstconsole neben dem Schiffe, wo sich über dem Horne ein Knospenkapitäl als unmittelbarer Träger des Dienstes befindet, macht eine Ausnahme. Dagegen zeigen alle Profile, so sparsam sie auch erscheinen, eine grosse Eleganz. Mitunter, wie an der Deckplatte der Kapitäle, welche einen scharf eingezogenen Karnies zeigt, erkennt man auch noch alterthümliche Erinnerungen; dasselbe findet bei den Anordnungen von Consolen in Höhe der unteren Kapitäle statt, um die schrägen Seiten der Pfeiler mit den Gurtbogen darüber zu vermitteln; diese ganze Anordnung zeugt noch von romanischem Einflusse, obschon die Formbildungen selbst gothisch sind. Ja, neben diesen romanisirenden Elementen finden wir gleichzeitig schon Profilirungen, die entschieden als spätgothische zu bezeichnen sind, nämlich die Gurtbögen zwischen Schiff und Seitenschiffen und alle Gurte und Grate des ganzen Kirchgebäudes, welche sämmtlich kein anderes Profil zeigen, als die nach beiden Seiten geschweifte Viertelkehle, nebst abgrenzender Platte darüber. Es ist dies das späteste Rippenprofil, das im XV. und XVI. Jahrhundert fast ausschliesslich herrscht; von einer späteren Einziehung der Gewölbe ist aber hier nicht die Rede, wo auch die Wandbögen zwischen Gewölben und Wänden, und namentlich, wie schon erwähnt, die grossen Gurtbögen, auf denen die oberen Wände des Schiffes ruhen, dasselbe Profil zeigen, und Alles gleichsam wie aus einem Gusse erbaut ist.

 

Wir sind also zu der Anerkennung genöthigt, dass hier in einem altgothischen Bauwerke, wo noch nicht einmal alle romanischen Elemente überwunden sind, schon gleichzeilig die Vorboten des Verderbens sich beimischen, die allerdings hier noch, so zu sagen, unschädlich sind, aber doch schon die Tendenz ankündigen, der die Gothik später mehr und mehr entgegeneilte, bis auch sie, wie jede frühere und spätere Kunst, vom Verderben erfüllt wurde und demselben erlag. Im vorliegenden Falle darf eine Entschuldigung darin gefunden werden, dass das genannte Profil aus wenigen einfachen Linien besteht und deshalb dem Charakter des ganzen Bauwerkes entspricht. Es ist gegentheils aber auch zu erinnern, wie eben diese einfachen Bauten, wenn sie einerseits die Reinheit des Systems ohne alle überflüssige Beimischung darzustellen wohl geeignet sind, andererseits doch auch durch Scheu vor Entwickelung der Formen eine Verkrüppelung des Systems anbahnen, die ebenso das Verderben der Kunst vorbereitet, als andererseits die Ueberfülle des Reichthums.

 

(Fortsetzung folgt.)

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1) Dieselbe auffallende Form zeigen auch die unteren Endigungen der Kreuzgurtträger des Mittelschiffs in S. Sebald zu Nürnberg, wo sie über den Kämpfern der die Seitenschiffe vom Hauptschiſfe trennenden Bogenpfeiler aufhören. Hier ist jene sonderbare Form durch die Anordnung oberhalb der Kämpferprofile, denen sie sich mit seitwärts gerichteter Spitze aufsetzen, motivirt, was in der Regensburger Kirche nicht stattfindet, wo dieselben an der glatten Wand sich befinden. Ich halte die letzteren für eine blosse ziemlich rohe Nachahmung der in S. Sebald befindlichen Form. Da man keine Formen nachzubilden pflegte, welche einer lange vorhergehenden Zeit angehören, so würde hierdurch ein Nebenbeweis herzuleiten sein, dass S. Sebald nicht lange vor der Dominikaner-Kirche erbaut ist, wenn dieses nicht schon aus dem ganzen complicirten Charakter der ersteren Kirche gefolgert werden müsste. Die Urkunde von 1273, welche ihrer Reparatur erwähnt, steht hiermit wohl in Verbindung.

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung.)

 

Betrachten wir nunmehr das Aeussere, so fällt an demselben, wie schon bemerkt wurde, die Einfachheit der Construction auf. Die Wände sind nur aus Bruchsteinen aufgeführt, in welche Strebepfeiler und Fenstereinfassungen an den betreffenden Stellen eingreifen und den fast alleinigen, wenn auch immerhin dürftigen Schmuck bilden. Beide aber zeigen durchgehend ein sehr bestimmtes gothisches Gepräge, obschon in alterthümlicher Form. Dieses Alterthümliche hat aber gar keinen Zusammenhang mit der vorangehenden romanischen Baukunst, vielmehr erinnert es an altfranzösisch-gothische Formen. Die Strebepfeiler sind regelrecht vertheilt, vielfach abgesetzt und, wenigstens am Chorschlusse, von achteckigen Spitzen überstiegen. Die Fenster haben Doppelschlitze und Dreipässe oder Vierpässe anstatt der Rosen. Hier zeigt sich das Alterthümliche darin, dass namentlich gegen den Chorschluss zu die betreffenden Formen gewissermaassen aus der Bogenfüllung des Fensters ausgegraben scheinen und keine andere Profilirung als die schräge Leibung zeigen; bei vielen derselben fehlt sogar die Aushebung der Zwickel jener Drei- und Vierpässe. Solche Dreipässe zeigen sich auch als einfachster Schmuck der kleinen Giebelendigungen mehrerer Strebepfeiler.

 

Im westlichen Theile der Kirche zeigen, was nicht zu verkennen ist, die Fenster eine etwas elegantere Bildung, was wohl auf eine etwas spätere Vollendung dieses Bautheiles gedeutet werden kann, wenngleich in der ganzen Struktur kein Unterschied zu entdecken ist. Dasselbe gilt auch von der reicheren Rosenform des grossen westlichen Fensters im Hauptschiffe und der beiden Nebenfenster an der Westseile der Seitenschiſfe. Dagegen zeigt das westliche Hauptportal, unter jenem grossen Fenster gelegen, am Aeusseren ganz allein noch eine Rückerinnerung an den romanischen Baustyl, indem die Hauptform desselben einen Rundbogen bildet, dem sich zwei kleinere Spitzbögen, die allein als Eingänge dienen, unterordnen. Eine Reihenfolge rundbogiger Kleebögen ordnet sich dem umschliessenden Rundbogen ein, ein anderer Kranz kleiner Spitzbögen einem jeden der kleineren Spitzbögen; die senkrechten Einfassungen blieben beiderseits davon frei. Jener Rundbogen nicht minder, wie die Anordnung der decorativen Kleebögen, zeigen einen ungothischen Charakter, der aber sogleich wieder durch die eleganteste gothische Profilirung aller Theile, namentlich aber der Spitzbogenöſfnungen, ausgetilgt wird; letztere gehört zu dem leichtesten der Art, was wir besitzen.

 

Auch das kleinere Seitenportal der Nordseite zeigt eine elegante Profilirung, doch von sehr verschiedener, mehr rundlicher Ausbildung, während beim Hauptportale mehr ein scharfer, tiefhinterarbeiteter Charakter vorherrscht. Innerhalb des Spitzbogens dieses Seitenportales liegt ein Kleebogen. Ein Säulchen zu jeder Seite der Thüreinfassung ist zwar mit einem Kapitäle (ohne Blattwerk, wie im Innern) versehen, aber eine Basis fehlt, da alle Gliederungen der Thüreinfassung, bei diesem, wie bei dem Hauptportale, stumpf auf der Abschrägung des unteren Theiles verlaufen. Auch diese unorganische Form ist ursprünglich und als sehr alter Vorläufer des Verfalles zu erkennen; wunderlich trifft diese Verfallsform hier an denselben Bautheilen mit romanischen Alterthümlichkeiten zusammen.

 

Es leuchtet auf den ersten Blick ein, dass in der schon genannten Alten Pfarre das romanische Element noch in ganz anderer Weise vertreten ist, als in der Dominikaner-Kirche.

 

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207 Sp. 2

 

Hier ist dasselbe so gut wie gänzlich überwunden und wagt nur noch in etlichen Nebendingen hervorzutreten; dort ist der Kampf noch ein sehr hitziger, obschon es nicht zweifelhaft ist, wem der Sieg zu Theil werden wird. Allen Analogien zufolge wird daher auch die Zeit der Entstehung der Alten Pfarre jener der Dominikaner-Kirche vorangehen, d. h. sie wird vor dem letzten Viertel des XIII. Jahrhunderts fallen: Leider besitzen wir über dieselbe überhaupt nur sehr wenige Nachrichten und keine, welche in dieser Beziehung irgend wie entscheidend wäre. Ich finde nur zwei Urkunden, die sich auf die Alte Pfarre beziehen, welche richtiger als die Dom-Pfarrkirche zu S. Ulrich bezeichnet werden muss. In der ersteren vom 8. Juli 1228 (Ried S. 352) erklärt Bischof Siegfried, wie er vom Domkapitel, dem die genannte Pfarrkirche gehörte, die Nutzniessungen derselben auf drei Jahre, vom vergangenen S. Martinsfeste an gerechnet, erhalten und dieselben wieder, mit Zustimmung des Kapitels, an den Vitzthum Ulrich gegen jährliche 30 Pfund für dieselbe Zeit überlassen habe. In der anderen Urkunde vom 12. Juli 1263 (Ried S. 468) erklärt der Bischof Leo, wie das Domkapitel den jedesmal aus seinem Schoosse gewählten Rektor dem Bischofe zu präsentiren habe. Er wisse aber genau, wie schwach die Dotation des Domkapitels von dessen erster Gründung an sei, so dass es zum anständigen Unterhalte der Domherren, was schmählich sei, selbst an den nöthigen Lebensmitteln, Wein, Fleisch und Brod mangele. Diese vom Anfange an schmähliche Dotation sei durch unglückliche Ereignisse noch vermehrt worden. Wenn er dem nun auch nicht im Ganzen abhelfen könne, so wolle er es doch wenigstens in so weit thun, als es den Mangel an Brod betreffe. Deshalb habe er, da die Pfarre nach dem Tode des Domherrn Ulrich von Dornbeck erledigt sei, die grösseren Zehnten der Kirche dem Domkapitel zur Aufhülfe ihres Mangels an Brod übereignet; die übrigen Einkünfte aber sollten dem jedesmaligen Rektor verbleiben.

 

Wir erkennen aus beiden Urkunden nur, dass jene Pfarre, wenigstens im XIII. Jahrhundert, mit dem Domkapitel in Verbindung stand, so dass dasselbe den jedesmaligen Pfarrer aus seinem Schoosse zu erwählen hatte; dass die Revenüen aber in den Jahren 1227-1230 an den Bischof, und von diesem wieder einem Dritten überlassen worden; endlich, dass die grossen Zehnten der Pfarre seit 1263 dem Domkapitel übereignet worden sind. Für den Bau der Kirche liesse sich hieraus eine doppelte Alternative folgern; entweder haben die Rektoren zwischen den Jahren 12301263, so lange dieselben, neben ihrer, wenn auch spärlichen Domherrn-Präbende, im Genusse der gesammten Pfarr-Revenüen der Kirche waren, dieselbe neugebaut, oder aber nach jenem Zeitraume das Domkapitel, aus Dankbarkeit für die empfangenen Wohlthaten. Jedenfalls dürfte der Bau um die Zeit von 1263 fallen. Die in der Dominikaner-Kirche noch nicht ganz überwundenen romanischen Elemente lassen die Annahme wohl zu, dass dieselben bei einem Bauwerke, dem die Eigenthümlichkeiten eines neuen Ordens für Anwendung eines neuen Bausystemes nicht zu Gute kamen, 1015 Jahre früher bedeutend stärker hervortreten mochten. Das für die Dominikaner-Kirche festgestellte Datum lässt aber keinenfalls die Annahme zu, als ob die Alte Pfarre vor dem Jahre 1250 erbaut sein könne.

 

Im Jahre 1275, demselben, in welchem Bischof Leo jenen für die Baugeschichte von Regensburg so wichtigen Ablassbrief erliess, legte er auch den Grundstein zum neuen Dome, nachdem derselbe vor wenigen Jahren abgebrannt war. Es ist dies der gewaltige Bau, den wir noch jetzt vor Augen sehen, und mit Recht als eins der ausgezeichnetsten gothischen Bauwerke bewundern.

 

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208 Sp. 1

 

Bereits um die Mitte des Jahrhunderts war die alte Cathedrale so baufällig, dass man einen Restaurationsbau begann, der einem Neubau fast gleich kam und zu dessen Ausführung das Domkapitel sich verschiedene Ablassbriefe für diejenigen, welche zum Bau beitragen würden, erwarb, unter denen ein päpstlicher sich besonders auszeichnete. Das Domkapitel benachrichtigt hiervon die Diöcesangeistlichkeit unter dem 22. November 1250 und bittet um eifrige Unterstützung 1). Nur drei Tage später stellte der Bischof Albert I. einen Ablassbrief zu gleichem Zwecke aus, und 1254 Papst Innocenz IV. abermals einen. Wir wissen nichts Näheres über den Erfolg derselben und über die damals ausgeführten Bauten. Der durch Blitz veranlasste Brand im Jahre 1273 bewirkte aber einen völligen Neubau nach einem ganz neuen, bei weitem grossartigeren Plane. Schon im folgenden Jahre wurden die Vorbereitungen durch Sammlungen getroffen, zu welchem Behufe man sich eine grosse Anzahl von Ablassbriefen der auf dem Concile von Lyon versammelten Bischöfe erwarb, des Bischofs von Freising vom 9. Mai, des Erzbischofs von Magdeburg und eilf anderer deutscher Bischöfe vom 10. Mai, des Erzbischofs von Salzburg und fünf anderer meist ausländischer Erzbischöfe und Bischöfe vom 23. u. 24. Mai. Offenbar verdankte das Domkapitel diese Menge von Gunstbezeugungen dem besonderen Eifer des Bischofs Leo, der, wie wir bereits sahen, im Monat Mai 1274 persönlich dem Concile beiwohnte. So vorbereitet konnte er dann im nächstfolgenden Jahre 1275 am 23. April den Grundstein zur neuen Cathedrale legen. Sein schon zwei Jahre später erfolgter Tod unterbrach das Werk nicht, da sein Nachfolger Heinrich II. von Roteneck sich des Baues mit nicht geringerem Eifer annahm.

 

Es liegt nicht in meiner Absicht, die Geschichte des Dombaues während dieses und der folgenden Jahrhunderte hier vollständig durchzuführen, da dieselbe füglich der Gegenstand einer besonderen ausführlichen Abhandlung sein könnte. Ich musste dieses Baues aber gleichsam als Schlusssteines der vorliegenden Betrachtung erwähnen. In dieser Beziehung liegt namentlich ein Vergleich mit der zuletzt geschilderten Dominikaner-Kirche nahe, da beide ziemlich gleichzeitig begonnen und beide als Erstlinge des neueingeführten gothischen Bausystemes erscheinen. Ein wesentlicher Unterschied des letzteren Baues von dem der Cathedrale zeigt sich aber sogleich darin, dass die Klosterkirche sich nur ein sehr beschränktes Ziel gesteckt hat, das sie möglichst schnell zu erreichen wünscht. Dass ihr dieses in vorzüglicher Weise gelungen sei, haben wir mit Freuden anerkannt, zugleich aber auch die Bemerkung nicht unterlassen, dass die ganze Aufgabe, welche zu lösen war, doch nicht eben eine sehr bedeutende zu nennen ist. Bei dem Dome galt es dagegen einen grossen, aufwändigen Bau, an dem die gothische Baukunst Gelegenheit finden sollte, den ganzen Aufwand glänzender Formenbildungen zur Schau zu tragen, über die sie in so reicher Weise gebietet. Die Schwierigkeiten, welche sich hierbei im Gegensatze zu jener einfacheren Aufgabe darbieten, wachsen nicht allein nach dem Verhältnisse der Grössen zu einander: sie sind bei den aufwändigeren Bauformen in unendlich verstärktem Maasse vorhanden.

 

Die bedeutenderen Maasse aller Bautheile verlangen bei einem grösseren gothischen Bauwerke eine ganz andere Art der Ausbildung aller Theile, als bei einem dem Maasse und dem Zwecke nach weniger bedeutenden. Gewisse Bautheile und deren Einzelheiten bleiben bei beiden gleich gross; andere müssen vergrössert oder vervielfältigt werden; noch andere Bautheile, welche bei einer grösseren Architektur gar nicht fehlen dürfen, würden bei einer kleinen sogar lästig sein, wenn

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1) Siehe alle Beweisstellen bei Ried an den betreffenden Orten.

 

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sie vorhanden sind. So kann eine kleine gothische Kirche ohne Uebelstand der Strebebögen, selbst der Anlage eines Querschiffs u. dgl. entbehren; bei einer gothischen Cathedrale sind dies aber offenbare Mängel; dort können die Strebepfeiler ganz einfach gehalten sein, während hier eine Ausschmückung zur Nothwendigkeit wird, wenn nicht Kahlheit der Form eintreten soll. Die Kirche eines Bettel-Klosters oder einer Capelle kann oder muss sogar einer Thurmanlage entbehren. Bei einer Dorfkirche genügt schon ein einziger Thurm; bei einer Domkirche verlangt das Auge deren mindestens zwei, wenn die ganze Anlage nicht von Armuth Zeugniss ablegen soll.

 

Bei den französischen Cathedralen, deren Erbauung die gothische Baukunst gross gezogen hat, tritt dieser, so zu sagen, dem Stande angemessene Aufwand recht auffallend hervor. Hier ist nicht nur die Hauptfront mit ihren Doppelthüren und drei regelrechten Portalen u. s. w. geschmückt, sondern auch die Seitenportale der Kreuzesfronten entbehren in den älteren und besseren Beispielen dieses Schmuckes nicht. Das Mittelschiff wird von prächtigen Strebebögen gestützt, die gegen angemessen verstärkte Strebepfeiler der Seitenschiffe sich gegenlehnen, deren Spitzen wieder mit reichen Tabernakeln geziert sind. Aehnliche Bildungen umgeben den langausgestreckten Chor, dessen Polygonschluss zu ebener Erde von zahlreichen kleineren Polygonen umkränzt wird. Dieses durchgeführte System der Stützen, das eben so constructiv nützlich, wie dem Auge wohlgefällig ist, macht es möglich, dass die Zwischenwände überall weit und hoch geöffnet werden können und namentlich durch die oberen Fenstern eine grosse Lichtfülle in das Innere hineingeleitet wird, die fast zu stark für den Zweck ist und deshalb wieder in schönster Weise durch das wohlthätige Farbenspiel gebrannter Fenster gemildert wird. Wie organisch ist hier Alles gegliedert, wie harmonisch das Verhältniss der stützenden Theile zu den gestützten vertheilt, wie ununterbrochen der Verlauf aller Formbildungen bis zu seinen ästhetischen Schlusspunkten am Ostende des Chores und an den Krönungen der Thürme!

 

Nur Selten wird man in jenem Heimatlande gothischer Architektur eine wesentliche Abweichung von den festgeslellten Normalbildungen finden, eben weil das Ganze so organisch mit seinen Gliedern zusammenhängt; nur weitere Ausbildungen vorhandener Typen pflegte der jüngere Meister den schon festgestellten Hauptformen einzufügen. Als nun andere Länder jene Architektur in ihre Heimat verpflanzten, sind Sie nie ohne eignen Schaden von diesem Wege abgewichen. Der Meister des Cölner Domes steht dadurch so gross da, dass er nicht nur die einzelnen Formbildungen der Gothik adoptirte, sondern auch alle Consequenzen der gesammten Anlage zu seinem Eigenthume machte und nun mit höchster Meisterschaſt zur höchsten Vollendung ausbildete; und dennoch, wo er oder einer seiner Nachfolger wesentliche Abweichungen sich erlaubte, z. B. dass er doppelte Nebenschiſfe anstatt einfacher anordnete, enstanden Missverhältnisse, besonders an der Thurmfronte, denen selbst die grösste Meisterschaft nicht völlig wieder abhelfen konnte. Dennoch war es der Meister des Cölner Domes allein, der jenen sicheren Weg verfolgte. Der Strassburger und der Freiburger Münster zeigen ein jeder nur ein Fragment einer gothischen Gesammtanlage. Wir wissen nicht, in welcher Weise Meister Erwin den Plan der übrigen Bautheile seines Münsters würde geschaffen haben, da wir nicht einmal genaue Kenntniss davon haben, wie er sein Hauptwerk, den Thurmbau, zu vollenden gedachte. Das Schiff und noch mehr der ältere Theil des Thurmbaues sind in jeder Weise des Ruhmes würdig, den man ihnen in vollem Maasse gespendet hat. Ersteres weicht nicht viel von ähnlichen Anlagen französischer Cathedralen ab,

 

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nur dass es ein mehr breites Verhältniss zeigt. Dagegen erkennt man mit Freuden in den alten Theilen der Façade eine geniale Fortbildung älterer französischer Anlagen der Art; das Leistenwerk an den Wandflächen und Strebepfeilern ist ein entschiedener Fortschritt und das durchbrochene Stabwerk vor den oberen Fenstergruppen eine Neuerung, die im höchsten Grade unsere Anerkennung verdient, die grosse Rose ist die schönste Bildung ihrer Art! Ich zweifle daher nicht im Mindesten, dass auch die übrigen Theile des Münsters, wenn es Erwin‘s Aufgabe gewesen wäre, dieselben neuzubauen, von demselben genial verständigen Geiste Zeugniss ablegen würden.

 

Nicht ganz dasselbe Lob lässt sich dem Münster in Freiburg ertheilen, dessen Schiff sich zwar den Schönheiten des Strassburger Schiffes nähert, doch mehrfache Missverständnisse zeigt; namentlich in dem ältesten Theile, neben dem Kreuze, haben die Fenster ganz verwahrloste Formen. Dass nur ein Thurm die Façade schmückt, lässt sich durch den Zweck einer Pfarrkirche entschuldigen; aber als Muster des Edelsten kann ich es nicht anerkennen, so viele Vorzüge der Thurmspitze auch sonst unter der Mehrzahl der vollendeten gebühren. Ein vollendetes Muster gewährt auch diese Kirche nicht, deren Kreuz und Chor überdies einen verschiedenen Bauplan zeigen.

 

Auch die übrigen süddeutschen Kirchen, deren Entstehungszeit in die Zeit der altgothischen Baukunst fällt, gewähren nirgend das Muster eines in allen Theilen vollständigen Cathedral-Baues. Es sind durchgehend, wie die Kirchen zu Colmar, Wimpfen im Thal u. s. w., Reductionsbauten, bei denen eine grossartige Entfaltung aller Formen nicht erwartet werden darf. In Norddeutschland finden wir allerdings, neben dem Cölner Dome, noch einige wenige grossartige gothische Bauanlagen, wie die Dome zu Magdeburg, Halberstadt, Xanten und die Klosterkirche zu Altenberg, welche früher oder um dieselbe Zeit wie der Dom zu Regensburg begonnen wurden; sie scheinen aber ohne Einfluss auf die Feststellung von dessen Plan gewesen zu sein.

 

(Fortsetzung folgt.)

 

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215 Sp. 1

 

Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Fortsetzung.)

 

Der Regensburger Dom ist der erste grössere Bau in Süddeutschland, welcher in gothischer Bauweise von Grunde auf neugebaut wurde. Betrachten wir nun zunächst den Grundplan, so zeigen die Anordnungen der Thürme und des Schiffes keine wesentlichen Abweichungen von den bereits festgestellten der französisch-gothischen Kirchen, oder auch von denen des Strassburger Münster. Wie bei letzterem ist das Verhältniss aber auch hier, im Gegensatze zu französischen Anlagen, eher breit als hoch zu nennen, was noch durch die sehr breiten Seitenschiffe verstärkt wird, worin unser Dom seinem berühmteren Vorbilde nachstrebt; auch darin nähert er sich dem Strassburger Münster, dass die Tiefe eines jeden Kreuzgewölbes im Hauptschiffe, von Osten nach Westen gerechnet, welche in den besten französischen Beispielen, und auch am Cölner Dome, gerade die Hälfte der Weite des Schiffes beträgt, hier viel beträchtlicher ist. Offenbar wird die perspektivische Wirkung des Innern dadurch beeinträchtigt, was hier um so mehr der Fall ist, als das Schiff überhaupt nur vier Bogenstellungen bis zum Thurmbaue hat, dessen untere Theile zwar, wie anderwärts, mit dem Inneren des Schiffes und der Seitenschiffe verbunden sind, aber um der stärkeren trennenden Pfeiler willen nothwendig als Theil für sich betrachtet werden wollen. Rechne ich hierzu noch die schweren Verhältnisse der Fenster in den Seitenschiffen, die nur wenig geöffnet sind, so ist ein Charakter des Ganzen nicht zu verkennen, der einigermaassen dem Hochstrebenden und Hochgeöffneten der gothischen Baukunst widerstrebt.

 

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215 Sp. 2

 

Doch ich verkenne nicht, dass Thurmbau und Schiff, wie wir sie jetzt vor uns sehen, nicht der ersten Zeit des Dombaues angehören. Auch hier, wie bei der Mehrzahl aller Kirchbauten, namentlich bei den Neubauten, begann man mit dem Chor und schritt erst allmählig gegen Westen vor. Schon oben sahen wir, wie noch bis zum Jahre 1380 die alte S. Johannes Baptista-Kirche inmitten des Platzes stand, den jetzt das Schiff der Kirche einnimmt, das nun erst, nach deren Beseitigung, erbaut werden konnte. Der Bau der Façade, mit Ausnahme der unteren Geschosse des südlichen Thurmes und eines Theiles des Hauptportales, fällt sogar erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts, zu welcher Zeit auch erst die westlichen Gewölbe des Inneren ausgeführt wurden. Aus diesen Gründen dürfen wir auch an alle diese Theile keine scharfe Kritik anwenden, wenn dieselbe zugleich als Kritik desjenigen Werkes dienen soll, welches der erste Baumeister bei jener Grundsteinlegung vom Jahre 1275 festgestellt hatte. Wir gehen deshalb auf eine nähere Betrachtung der östlichen Kirchtheile ein.

 

Da fällt uns zunächst die sehr einfache Anlage des Kreuzes auf, dessen Arme nicht einmal vor die Fluchtlinie der Seitenschiffe vortreten. Nebenschiffe der Kreuzesarme, wie sie den grossen Cathedralen gebühren, sind nicht vorhanden. Noch ärmlicher aber erscheint die Anlage des Chors. Derselbe ist nur zwei Gewölbeabtheilungen lang, denen sich sogleich der Chorschluss, aus fünf Seiten eines Achtecks bestehend, anschliesst. Diese abgekürzte Anlage ist durch zugehörige Nebenräume nirgend hin erweitert. Kein Umgang führt um den hohen Chor herum, noch weniger existirt ein Kranz von Kapellen, der in so wunderbar schöner Weise die letzte Entfaltung der gothischen Cathedrale bilden soll. Eine kurze polygon geschlossene Seitennische, östlich eines jeden Kreuzarmes, begleitet zu jeder Seite auf eine nur kurze Strecke hin den Langchor und bildet ausser ihm die alleinige Ausbildung des Grundrisses dieses sonst so reich ausgestatteten Kirchentheiles; denn die viereckigen Sakristeien, welche noch östlich von diesen Seitenkapellen zu jeder Seite des Chorschlusses liegen, sind schwerlich als eine besondere Zierde der Kirche anzuerkennen.

 

Wir haben schon bei Gelegenheit der Dominikaner-Kirche hervorgehoben, wie wir eine solche Vereinfachung der Grundanlage bei einem Kirchengebäude nur billigen können, das überhaupt von aufwendigen Formen absieht; der ähnliche Chorschluss der kunsthistorisch so vorzugsweise bedeutenden Stiftskirche zu Wimpfen im Thale, obschon weit reicher durchgeführt, als die Dominikaner-Kirche zu Regensburg, ermangelt gleichfalls nicht eines richtigen Verhältnisses der Gesammtanlage zur weiteren Ausbildung seiner einzelnen Theile, weil diese eben auch ein sehr richtiges Maass der Detaillirung inne hatten und zu der nur mässigen Grösse des Baues in angemessenem Verhältnisse stehen.

 

Anders jedoch bei dem Dome zu Regensburg. Die Weite des Schiffes kommt der des Cölner Domes so ziemlich nahe: folglich gehört derselbe zu den am grossartigsten angelegten Cathedralen, und eine regelrechte Entwickelung aller Formen wäre daher am berechtigten Orte gewesen. Diese Ausbildung besteht aber nur in der reicheren Gliederung der aufstrebenden Theile, nicht in der Entfaltung des Grundrisses. Weil letzterer mangelhaft ist, so war es aber auch nicht möglich, die der vollendet gothischen Architektur entsprechende Gruppirung eintreten zu lassen, der Art, dass die Haupttheile vorzugsweise hervortreten, dass dieselben von Nebentheilen verschiedener Ordnung umgeben seien und dass eben durch diese verschiedenartig artikulirte Bedeutsamkeit das Ganze als ein mächtiger Organismus sowohl im Innern, als im Aeussern sich darstellt. Durch den Mangel eines Umganges um den Chor fehlt das so

 

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wichtige Doppelverhällniss der oberen, lichteren Fensteretage gegen die mur halblichten Gewölbe des Umganges. Die Doppeltheilung in zwei Etagen behielt man bei, aber in beiden sind gleichmässig Fenster angeordnet. Man fühlt durchaus keine innere Nothwendigkeit für diese Anordnung. In der Dominikaner-Kirche und anderwärts, wo man durch einen reducirten Styl veranlasst war, den Chor, gleichfalls ohne Umgang zu lassen, hat man im richtigen Gefühle der veränderten Verhältnisse nur eine Reihe Fenster an den betreffenden Stellen, namentlich am Chorschlusse, angebracht, diese aber vom Gewölbe bis tief hinab zur Basis der Kirche hinabgeführt, und durch diese zwekmässige Anordnung, welche dem Chorschlusse eine bedeutende Lichtfülle gewährt, diesem ausgezeichneten Bautheile gewisser-maassen einen Ersatz verliehen für die verkümmerte Anlage des Ganzen. Im Dome, zu Regensburg aber behielt man die Doppelgeschosse bei, ohne ihre, Nothwendigkeit zu motiviren; doch das Missverhältniss wohl fühlend, hat man dieselben doch etwas verschiedenartig zu decoriren versucht. Die unteren Fenster liegen gewissermaassen in der Vertiefung kleiner Nischen, während die oberen sich in der glalten Wandfläche befinden; hierdurch wird das Hinausschieben des unteren Abschlusses über die Schlussmauern des Chors, wie es in der ausgebildetsten Cathedrale so schön ausgebildet ist, wenigstens angedeutet, und dadurch noch mehr hervorgehoben, dass vor der Vorderseite jener Fensternischen des Erdgeschosses ein durchbrochener Spitzbogen vorliegt, durch dessen durchbrochene Zwickel-Oeſfnungen hindurchgesehen, die dahinter liegenden Fenster scheinbar noch weiter weggeschoben werden. Es ist nicht zu leugnen, dass, in mässiger Entfernung betrachtet, diese Anordnung einen sehr malerischen Effekt gewährt; aber es ist dies doch immer eine Anordnung, die mehr für kleinere Kirchen, als für eine grossartige Cathedrale passend ist; überdem sind die Verhältnisse dieser Bautheile auch durchgehend sehr schwerfällig, die Fenster mehr breit als hoch, die Gliederungen zum Theil fast ohne Profilirung. Auch ist es nicht wohlthätig, dass die beiden Fensterreihen ziemlich dieselben Abmessungen haben. Nur dadurch erscheinen die oberen Fenster höher, dass eine galerieartige Fensterreihe sich noch unter denselben befindet, welche, gleichfalls durchbrochen, ihnen zuzugehören scheint; es ist dies das Surrogat des Triforiums, dessen dunkle Schatten sonst so wohlthätig mit den lichten Fenstern darüber und dem Helldunkel der unteren Hallen contrastirt und zum Effekte des Inneren der gothischen Cathedralen so unentbehrlich ist. Als durchsichtige Galerie, als untere Fortsetzung des Fensters ist dieselbe ein Pleonasmus, den der Dom zu Regensburg allerdings mit dem Cölner gemeinsam hat, bei dem die Fensteröffnungen des Triforiums gleichfalls als Fehler anzuerkennen sind.

 

Wenn dem Inneren der östlichen Theile des Regensburger Domes schon die nöthige Gruppirung der verschiedenen Theile zu einander fehlt, so tritt dieses beim Aeusseren noch viel mehr hervor. Die gothische Baukunst bietet nichts dar, worin sie ihren constructiven und doch zugleich malerischen Charakter so harmonisch vereinigt zeigte, wie in dem Aufbau des Chorschlusses, wo der niedere Umgang von kräftigen Strebepfeilern umgeben wird, die, weit über die Mauern desselben in reicher Detaillirung hinaufsteigend, durch kühngeschwungene Strebebögen mit dem höheren lichtgeöffneten Chorshaupte verbunden werden, während der Zwischenraum der Pfeiler an deren Basis durch die Polygonen sich hervordrängenden Kapellen mit ihren vielen langgezogenen Fenstern und Strebepfeilern eingenommen wird. Dieses Alles, in grösserer Polygonbewegung um den ganzen Chorschluss herumgeführt, ist von unendlichem Reize und gewährt bei jedem Schritte neue Aufschlüsse der Formbildungen, welche sich fortwährend zu entfalten und zu decken

 

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streben, so dass man diese Gruppirung des edelsten Theiles der Cathedrale mit Recht als deren Krone bezeichnen kann.

 

In Regensburg fehlt die eine solche Formbildung bedingende Anlage des Grundrisses; deshalb war auch die Gruppirung der Theile eine Unmöglichkeit. Nothwendig kehren auch am Aeussern die schon beim Innern gerügten zwei Reihen Fenstern über einander wieder und stören den Anblick durch ihre breiten Verhältnisse. Das obere Fenster wird hier nicht, wie im Innern, durch die darunter befindliche Galerie scheinbar verlängert, da letztere hier durch eine Reihe selbständiger Spitzbogenschlitze ausgebildet erscheint. Der Parallelismus beider Fensterreihen über einander, deren keine ein rechtes Uebergewicht über die andere erlangt, tritt hierdurch um so unangenehmer hervor.

 

Eine solche Anordnung eignete sich natürlich nicht, um den Schmuck ausgebildeter Strebepfeiler und Strebebögen anzubringen, und die Erbauer der Dominikaner-Kirche haben deshalb in richtigem Gefühle den Hauptschmuck ihrer Strebepfeiler in angemessen verstärktem Vortreten derselben und ihrer regelrechten Verjüngung nach oben hin, wo sie spitzenartig sich verlaufen, gesucht und gefunden. Zu Wimpfen im Thale hat man, bei etwas reicheren Architekturformen, die oberen Theile reicher, namentlich die oberen Spitzen oberhalb des Hauptgesimses tabernakelartig geschmückt, was bei der gleichfalls nur einfachen Hauptanlage als das richtigste Maass der Ausschmückung erscheint.

 

Anders am Dome zu Regensburg. Wie der Erbauer im Innern das Bedürfniss der Ausweitung der unteren Theile fühlte und durch die Anordnung der unteren Fensternischen scheinbar zu ersetzen wünschte, so vermeinte er auch die Gruppirung des Aeusseren wenigstens durch die Andeutung von Strebebögen zu erlangen, sollte es auch an Orten sein, wo sie nicht hingehören. Er ordnete deshalb die Strebepfeiler des Chorschlusses der Art an, dass die obere Einziehung über dem einfach rechteckigen unteren Theile desselben, nicht nach der Richtung der Kirche hin erfolgte, vielmehr nach der entgegengesetzten Seite des Pfeilers hin, wo sich die Strebepfeiler-Verjüngung scheinbar isolirt nach obenzu emporgipfelte, erst mit quadratischem, dann mit achteckigem Durchmesser, und endlich mit einer oberen Zuspitzung, doch so, dass die Uebergänge ohne alle Vermittelung blieben. Der Zwischenraum zwischen dieser lang in die Höhe gezogenen Strebepfeilerspitze, welche der Höhe des ganzen oberen Stockwerkes des Chorschlusses gleich ist, wird mit diesem durch eine kleine schmale Zwischenwand verbunden, deren schräge Oberkante mit einer durchbrochenen Gitterverzierung gekrönt ist, die dasselbe Muster zeigt, wie jene über den Strebebögen des Cölner Domes. Offenbar sollte durch dieselben der Effekt von Strebebögen hervorgebracht werden, obschon, es eigentlich nur Strebewände zu nennen sind, trotz einzelner Durchgangsöffnungen an dem unteren Theile derselben. An den kurzen Seiten des Langchores, wie am Schiffe, finden sich dagegen regelrechte Strebebögen, jedoch ohne, eine besondere künstlerische Ausbildung derselben.

 

Diese Missbildungen, welche eine strenge Kritik zu rügen sich genöthigt sieht, zeugen von einem Verkennen der ursprünglichen gothischen Formbildungen, wie sie sonst nur bei späteren Architekturen vorzukommen pflegen. Auffallend war es hier jedoch, dieselben bei einem frühgothischen Bauwerke zu finden. Frühgothisch ist der Dom zu Regensburg aber nicht allein deshalb zu nennen, weil seine Entstehungszeit noch innerhalb des XIII. Jahrhunderts fällt, das in Deutschland noch ganz und gar der ersten Entwickelungsperiode der gothischen Baukunst angehört; auch die Formbildungen grösserer oder kleinerer Bautheile lassen solches erkennen. Am alterthümlichsten

 

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erscheint in dieser Beziehung die Anordnung der Fenster in den Seitenschiffen, namentlich in dem freier gelegenen und weniger durch spätere Zuthaten veränderten südlichen. Hier finden wir innerhalb einer jeden Gewölbeabtheilung jedesmal zwei einander nahe gerückte Spitzbogenöffnungen, über deren Spitzen sich ein Rundfenster mit ihnen zu einer gemeinsamen Gruppirung verbindet. Es ist dies eine hochalterthümliche Fensterbildung, welche in Frankreich schon etwa hundert Jahre früher bei der Bildung des gothischen Bausystemes vorkommt und ihren Grund darin hat, dass man den ganzen Raum des Gewölbeschildes der Aussenwand durch Fensterbögen zu öffnen sich bestrebte. Anfänglich gruppirte man, was auch wohl im spätromanischen Gewölbbau Deutschlands vorkommt, zwei oder mehrere Fenster neben einander. Hierbei liess man gern, wenn ein Mittelfenster vorhanden war, dieses höher hinaufsteigen; waren ihrer nur zwei, so ordnete man über ihnen, wie es eben hier in Regensburg geschieht, ein Rundfenster zur Ausfüllung des oberen leeren Feldes innerhalb des sich nach oben hin verengenden Feldes des Kreuzgewölbes an. Später fasste man diese Gruppirung durch einen ihnen gemeinsamen Umfassungsbogen als ein Ganzes zusammen, indem man gleichzeitig die einzelnen Theile näher an einander rückte. So entstanden die ältesten ächtgothischen Fenster, wie an den Cathedralen zu Chartres, wo noch ein Rundbogen, und zu Soissons, wo schon ein Spitzbogen den äusseren Abschluss der grossen Fenster bildet. Zuletzt erst wurden die noch nicht geöffneten Massenreste, welche sich innerhalb der gemeinsamen Umschliessung befinden, gleichfalls durchbrochen, und alle Oeffnungen der Art mehr und mehr profilirt, so dass zuletzt nur noch zartes Stabwerk die innere Theilung der Fenster bildet, wo ehemals nur eine durch Fensteröffnungen durchbrochene Mauer vorhanden war.

 

(Schluss folgt.)

 

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Reihenfolge und Charakteristik der vorzüglichsten Bauwerke des Mittelalters in Regensburg.

Von F. v. Quast.

 

(Schluss.)

 

Der Dom zu Regensburg zeigt also in seinen Seitenschiſffen die gothische Fensterbildung noch auf dem Standpunkte einer Uebergangsperiode. Selbst das untere Fenster der Westseite des südlichen Thurmes zeigt keine andere Bildung, als die Reihenfolge aller anderen Fenster des südlichen Seitenschiffs, in welches auch jenes Fenster hineinsieht. Der untere Theil dieses Thurmes zeigt allerdings eine entschieden ältere Architektur, als der ganze übrige Thurmbau. Nur die Thür jenes Thurmes ist dem älteren Mauerwerk, gleich jener des südlichen Seitenschiffs, erst später eingefügt und zwar zu derselben Zeit, als auch das Hauptportal (mit Ausnahme des polygonen Vorbaues) gebaut wurde; diese Theile zeigen aber wieder einen entschieden älteren Styl, als die grosse Masse des übrigen Thurmbaues, welche, wie auch eingegrabene Jahreszahlen beweisen, erst am Ende des XV. Jahrhunderts angefangen wurde.

 

Wir haben bereits oben gesehen, dass die alte Kirche des Collegiatstiftes S. Jobannis Baptisterium noch bis zum Jahre 1380 innerhalb des Schiffes der Cathedrale sich befand und erst damals, in Folge des Weiterbaus der letzteren gegen Westen hin, von dort an ihre jetzige Stelle am Domplatze verlegt wurde. Ich halte es aber nicht für unmöglich, dass die Aussenmauer des südlichen Seitenschiffes, einschliesslich jener westlichen Fenstergruppe des südlichen Thurmes, schon damals bestand, und dass die alte, gewiss nur kleine Johanniskirche erst beim Fortbaue des Mittelschiffes im Wege war. In so weit wäre also jene Nachricht auch nicht im Wiederspruche mit der Annahme, dass jene Südwand der Kirche, mit den so alterthümlich gebildeten Fenstern, schon der älteren Bauanlage angehören. Wollte man dieser Ansicht nicht beistimmen, so könnte man einfach nur annehmen, dass man bei Fortsetzung des Baues gegen Westen hin die schon festgestellte Fensterform regelrecht fortsetzte, obschon sie mit der zur Zeit der Ausführung herrschenden Bauweise sehr wenig übereinstimmte. Dergleichen Fälle kommen, namentlich bei grossen Bauten, allerdings vor (z. B. am Cölner Dome), dann pflegt aber das Detail doch die zur Zeit herrschende Bauweise nicht völlig zu verläugnen, wie es hier geschieht. Deshalb eben neige ich zu jener anderen Annahme hin, weil eben die entschieden späteren Bauten der Westseite auch einem ganz anderen Style folgen. Auch dadurch wird dieselbe wahrscheinlich, dass jene jüngeren Seitenthüren, deren Styl etwa der Zeit der Verlegung der S. Johannis-Kirche,

 

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also dem Ende des XIV. Jahrhunderts, entspricht, offenbar erst nachträglich dem älteren Mauerwerke eingefügt worden sind, was man nicht nöthig gehabt hätte, wenn dieses selbst erst in jene Zeit fiele.

 

Eine ähnliche, fast vorgothische Alterthümlichkeit, wie an jenen Fenstergruppen, zeigt der Bau auch anderwärts nicht selten. Namentlich erkennt man dies an den gedrückten Blendarkaden, welche die innere Basis des Polygonschlusses der Nebenchöre umgeben. Die kurzen Mittelsäulen, die dem Halbkreise sich nähernden sehr stumpfen Spitzbögen zeugen nur wenig von der Leichtigkeit der gothischen Architektur, die in diesen Bautheilen in den oberen Theilen erst sehr allmählig sich hervorarbeitet. Auch die von Engelconsolen unterstützten Seitenarkaden dieser Nebenchöre tragen noch sehr jenen alterthümlichen Charakter. Dasselbe lässt sich auch von den decorativen Zwickelbögen vor den unteren Fensternischen des Chorschlusses sagen. Eine grosse kreisförmige Durchbrechung bildet deren einzigen Schmuck der Zwickel, die für ein blosses Ornament entschieden zu gross sind. Auch das ist alterthümlich schwerfällig, dass am Aeusseren die Giebel über den oberen Fenstern des Chorschlusses noch ohne alles Maasswerk geblieben sind, u. s. w.

 

Neben diesen alterthümlichen Formbildungen gehen aber andere her, welche auf das Entgegengesetzte hinweisen. Jene noch sehr rohe Hauptform der Fenster im Seitenschiffe wird durch ein Maasswerk von ausgebildetster Anordnung und vollendeter Profilirung ausgefüllt. Die Fenster des Chores sind mit vielfachen Stäben und reichem Rosettenwerk ausgefüllt. Bei den unteren vermisst man sogar schon eine organische Gliederung der dieselben bildenden Theile. Bei den oberen zeigen sich neben einer überreichen Rosette gewisse magere und selbst höchst willkürliche Stäbe, die keinen anderen Zweck haben, als das Ganze bunt und reich zu machen. Durch die ganze Kirche geht ein solches Gemisch alterthümlich roher und überreich entwickelter Formen, die zum Theil der edelsten Entwickelungs-Periode angehören, zum Theil sogar schon die des Verfalles ankündigen; und alles dieses aus derselben Zeit an einem und demselben Bautheile. Das edelgeformte Blattwerk an Kapitälen und Consolen und die Mehrzahl der tief unterschnittenen Profile geben jedoch vollgültiges Zeugniss von der Entstehung in der edelsten Zeit der gothischen Baukunst.

 

Aus dieser ganzen Schilderung ergiebt sich, dass ich den Urheber dieses so aufwändigen Bauwerkes nicht unter die Zahl der hohen Meister rechnen kann, welche in der Blüthezeit der gothischen Baukunst dazu mitwirkten, dieselbe zu derjenigen Höhe zu entwickeln, welche sie faktisch erreichte. Mir scheint er ein etwas planloser Meister gewesen zu sein, ohne Einsicht in das Wesentliche der gothischen Baukunst, der Zufälligkeiten aufgreift und sie theilweise festhält und durchführt, während ihm wesentliche Dinge völlig entgangen sind. Dass er der oberdeutschen Schule angehörte, lässt sich, ausser der ganzen Art der Formenbehandlung, welche von der dort einheimischen Härte sich nicht loswinden kann, auch aus gewissen Lieblingsformen schliessen, namentlich aus der vielfachen Anordnung kleiner Consolen unter den Verkragungen des untersten runden Pfühls der Säulenfüsse, wo dieselben über den viereckigen Sockel hinweg vortreten. Es ist dieses eine Eigenthümlichkeit, welche man im Strassburger Münster häufig bemerkt, sodann in einigen anderen Kirchen, welche mit demselben zusammenhängen, in der S. Thomas-Kirche daselbst, in den Kirchen zu Colmar, Wimpfen im Thal u. s. w. Dass aber Regensburg in dieser Beziehung von jenen abhängig war, erkennt man schon aus dem verschiedenen Alter von beiden. Der anderen Kirchen zu geschweigen, so wurde bekanntlich das Schiff des Münsters

 

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zu Strassburg in demselben Jahre 1275 vollendet, in welchem zum Regensburger Dome erst der Grundstein gelegt wurde; auch finden wir in jenen Kirchen diesen Schmuck, der dort noch einen gewissen alterthümlichen Charakter trägt, nur mässig angewendet, während er im Regensburger Dome zu einer sich unendlich wiederholenden Dekorationsfigur geworden ist.

 

Wenn ich in Obigem ein ziemlich hartes Urtheil über den Meister des Regensburger Domes gesprochen habe, das viele bisherige Bewunderer desselben wohl nicht angenehm berühren wird, so begründe ich dasselbe durch die ausführlich dargelegten Motive, welche mich hierzu bewogen haben. Es ist Zeit, dass wir auch auf dem Felde der mittelalterlichen Kunst nicht minder, wie auf dem der antiken durch den Zauber hindurchdringen, der allen ihren Gebilden eingeprägt ist, um auch in jenen so hoch über uns stehenden Wunderkreisen eine Scheidung zwischen bedeutend und unbedeutend zu machen, unbehindert durch den höheren oder geringeren Aufwand, der diesem oder jenem Bauwerke zu Theil wurde. Nur ein eifriges Erforschen des Entwickelungsganges der Baukunst des Mittelalters und aller Phasen, welche dieselbe im Ganzen, wie in allen ihren einzelnen Theilen, durchzugehen hatte, um ihr Endziel zu erreichen, kann uns zu einem solchen Urtheile befähigen. Um dieses zu erreichen, ist daher eine fortwährende Vergleichung der einzelnen Bauwerke mit denjenigen nothwendig, bei denen sich bereits ein fester Prinzipienfortschritt erkennen liess, um demselben demgemäss erst die ihm gebührende Stellung anzuweisen.

 

Gleichzeitig verkenne ich die architektonische Wirkung nicht, welche der Dom zu Regensburg auf den Beschauer macht, und trotz der Kritik, welche ich mich an das Bauwerk zu legen nicht entbrechen konnte, habe ich am wenigsten mir dadurch den Genuss verkümmern lassen, den ein so mächtiges Gebäude auf den Beschauer hervorbringt. Solcher weiten Hallen, wie sie der Regensburger Dom zeigt, giebt es nicht viele, und man giebt sich mit Freuden dem Genusse des in ihnen herrschenden zauberischen Helldunkels hin. Will man sich nun die Ursachen erklären, weshalb der Dom, trotz der an ihm gerügten architektonischen Mängel, dennoch eine so mächtige Wirkung hervorbringt, so möchte ich sie in Folgendem finden.

 

Zunächst ist es der Vorzug eines jeden bedeutenden Bauwerkes, dass es auf den unbefangenen Beschauer seine Wirkung nicht verfehlt. Die Masse an sich wirkt. Deshalb imponirt die Façade trotzdem, dass die Thürme unvollendet sind, und trotzdem, dass an denselben sehr verschiedenartige Bauintentionen und Style sich durch einander schieben. Noch mehr aber wirken aus diesem Grunde die weit und hoch gespannten Hallen des Innern. Sodann ist es der gothische Styl überhaupt, in dem das Gebäude ausgeführt ist, der uns anzieht, der uns an den reich gegliederten Pfeilerbündeln zu den lichten Fenstern und dem Halbdunkel der Gewölbe emporleitet und gleichzeitig vom Irdischen zum Himmlischen hinaufrückt. Und trotz der grossen Fehler, die wir an dem Urheber dieses Domes zu tadeln uns bewogen fanden, erkennen wir doch auch freudig die Fülle von Schönheiten an, die uns überall in Menge entgegentreten, zum besten Beweise, dass wir es hier mit einem Bauwerke zu thun haben, das der besten Zeit der gothischen Baukunst angehört, einer Zeit, welche auch das Geringste adelte. Um wie viel mehr musste sie sich an einem Dome bezeugen, der zu den bedeutendsten Bauwerken unseres Vaterlandes gehört. Endlich verbreitet die Fülle alter Glasgemälde, welche die Fenster des Chores umkränzen und das ohne sie zu volle Licht derselben wohlthätig mildern und gleichzeitig die sonst etwas roheren Formen der Fenster in den Seitenschiffen adeln, über das Ganze einen neuen Zauber. Die grosse Mehrzahl dieser

 

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Glasgemälde gehört jenen älteren architektonisch geordneten Gruppirungen an, welche der besseren Zeit der gothischen Architektur eigenthümlich sind, und weniger dem Detail der Ausführung sich zuwendend, keinen Anspruch darauf machen, mit eigentlichen Gemälden zu wetteifern, wogegen ihnen ein voller Ersatz wird durch die angemessene Vertheilung der wenigen, aber kräftigen Farben. Wenige Kirchen haben eine solche Fülle des alten Farbenschmucks bewahrt, so dass die Harmonie derselben nur wenig unterbrochen wird. Wo dies der Fall war, haben nur Glasgemälde der Münchener Fabrik die Lücken ausgefüllt, doch ohne die alten ersetzen zu können, da das in ihnen vorwaltende malerische Prinzip und der vorherrschende gelbe Farbenton mit vielfacher Schattengebung sehr ungünstig gegen die so kräftige und doch so klare Lichtfülle der alten Fenster absticht.

 

 

 

Quelle:

 

Heidelberger historische Bestände digital
Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt (Stuttgart)
Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk; Organ der deutschen Kunstvereine 3.1852

Zitierlink: htpps://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/dkb1852/0178

 

 

 

 

Bösner 1830: Die steinerne Brücke zu Regensburg

Die steinerne Donau-Brücke zu Regensburg.

 

Ein Beytrag zur Geschichte dieser Stadt.

 

Unter mir, über mir rennen die Wellen, die Wagen und gütig

gönnte der Meister mir selbst, auch mit hinüber zu gehen.

Schiller.

 

Sulzbach, in der J. E. v. Seidel’schen Buchhandlung. 1830.

 

 

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Blatt mit perspectivischer Ansicht:

Die Donaubrücke zu Regensburg vor dem Jahr 1784 von der Morgenseite.

 

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Vorwort.

 

Mein mir und manchem meiner Mitbürger unvergeßlicher Vater — er war Stadtkammerer und Bau- und Steueramts-Director der freyen Stadt Regensburg — hatte sich die Erhaltung und Verbesserung der steinernen Donaubrücke zum Lieblingsgegenstand seiner amtlichen Sorgfalt und Thätigkeit gewählt. Seinen Rathschlägen und seiner Ausführung verdanken wir die Ergänzung derselben duch Wiederherstellung des gesprengten Bogens und die Entfernung aller fremdartigen Anhängsel, als des mittlern Thurmes, der Mühlen u. s. w.

 

Die Liebe zu diesem Kleinod der Stadt habe ich als ein Vermächtniß übernommen und bin so glücklich gewesen, als Unterhändler und Regierungs-Organ in den Kriegsjahren 1800 und 1809 solche durch Verwendung zu bethätigen, die abermalige Sprengung eines Bogens abzuwenden und unserm Palladium Schonung zu erwirken.

 

Noch übriget mir, durch Zusammenstellung aller mir zu Gebote stehenden Notizen und Erfahrungen das Letzte zu thun und damit einer bessern Feder aufzubewahren, was von diesem dem gesammten Weltverkehr angehörigen Denkmal teutscher Kraft und Weisheit mir bekannt ist und überliefert zu werden verdient.

 

 

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IV

 

Uebrigens werden mir die Manen der regensburgischen Geschäftsmänner, meiner Freunde und Amtsgenossen darob nicht grollen, daß ich ihren Ansichten von dem Ursprung der Brücke nicht das Wort rede und den Ruhm derselben dem Herzog von Bayern nicht verkümmere. Denn Laokoon’s Warnung: Trojaner, trauet nicht; die Griechen fürchte ich, und doppelt, wenn sie schenken! — kann wenigstens jetzt nicht mehr von Wirkung seyn, und meine Meinung nicht leiten, wenn von dankbarer Anerkennung der diesem Werke zum Grunde liegenden großen Absicht des Gründers die Rede ist.

 

Regensburg, den 25sten August, 1830.

 

 

Heinrich Joh. Thomas Boeßner,
königl. Bayer. Regierungsrath.

 

 

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Indem Karl der Große bemerkt haben mag,” sagt Gemeiner, der verdienstvolle Verfasser der Regensburgischen Chronik I. S. 57., „wie unbequem es im vorher gehenden Jahr bey dem Heerzug gegen die Hunnen gewesen sey, daß keine Brücke über die Donau gegangen und die beiden Ufer verbunden habe, so befahl er im Jahr 792, daß hier eine Schiffbrücke gemacht und mit Ankern und Tauen fest und auf solche Weise verbunden würde, daß dieselbe gelöset und geöffnet werden konnte, wenn bey offnem Strome Schiffe passirten, zur Winterszeit aber Eis laufe. Vorher war keine Brücke zu Regensburg über die Donau gegangen. Dies macht die uralte Lebensbeschreibung des heil. Emmeram’s recht anschaulich, indem der Verfasser erzählt, wie ein Reisender aus Sachsen auf seiner Reise auf dem Berge zwischen der Donau und dem Regen angekommen, daselbst das Münster St. Emmeram mit den vielen Thürmen der Stadt erblicket habe, sodann den Berg (durch die Schellenstraße) herabgegangen und zu einer Ueberfahrt gekommen sey, wo er sich eingeschifft und auf einer Fähre über die Donau gesetzt habe. Im siebenten und achten Jahrhundert war, dem zufolge, keine Brücke zu Regensburg vorhanden. Die Schiffbrücke,

 

 

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welche Karl der Große erbauet, ist bis in das 12te Jahrhundert gestanden.“

 

In den turbulenten Zeiten, im Jahr 1135“ fährt der Verfasser S. 225. fort, „in welchem in ganz Europa eine außerordentliche, große und anhaltende Dürre alle Flüsse vertrocknet hatte und die Donau selbst in ihren Tiefen seicht wurde, faßte Rath und Gemeine zu Regensburg den großen Entschluß, das bewundernswürdige Werk, das ein ewiges Denkmal des ehemaligen, hiesigen Bürgerreichthums und des Gemeinsinns aller Einwohner bleibt, die steinerne Brücke zu bauen.“

 

In einigen neuen Chroniken und selbst im Lorischen Auszug der Geschichte von Bayern wird behauptet, der Herzog von Bayern und die Bürgerschaft hätten die Brücke auf gemeinsame Kosten gebaut.“ Mein gelehrter Freund bezweifelt dieses Vorgeben: „denn,“ setzt er hinzu, „wenn gleich der Konsens des Herzogs zu dem Bau erholet worden seyn kann, indem des Landes Pässe, Heerstraßen und Brücken in den Punkt der Landessicherheit und Vertheidigung einschlugen, so hatte doch der Herzog übrigens gar kein Interesse und keine Veranlassung zu einem so großen Aufwand, da zumal der Zoll nicht vom Herzog, sondern von dem Burggrafen erhoben wurde.“

 

Gegen diesen Zweifel erlaube ich mir folgende Einwendungen.

 

Sowohl im Jahr 1130 als im Jahr 1132 war Regensburg ein Raub der Flammen geworden und zugleich der Tummelplatz der wildesten Leidenschaften, welche

 

 

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sich in dem Kampfe des Herzogs über den eingedrungenen Bischof Heinrich, Graf von Wolfratshausen, zügellos entwickelten. Das Kriegsfeuer hatte sich, wie eine Gewitterwolke, über das ganze Land verbreitet. Handel und Gewerbe lagen zu Regensburg darnieder. Wie läßt sich aber von einem zerrütteten gemeinen Wesen, von einer geplünderten, verarmten Bürgerschaft, von einer abgebrannten Stadt voraussetzen, daß sie nach einer solchen Katastrophe zu dem Gedanken der Errichtung dieses ungeheuern Bauwerkes sich erheben konnte? Und wenn auch das Bedürfniß dieses Baues schon lange vorher gefühlt worden ist, wie ist zu glauben, daß die zahllosen Mittel zu diesem Unternehmen von der Bürgerschaft allein hätten aufgebracht werden können? Mußten doch alle Hände beschäftiget seyn, um die Stadt aus dem Schutt wieder herauszuarbeiten, den Bürgern und Einwohnern Häuser zu erbauen und Kirchen und Klöster wieder herzustellen!

 

Dagegen sehen wir dieser bedrängten Bürgerschaft einen der reichsten Fürsten seiner Zeit, Herzog Heinrich, genannt der Stolze, Eidam des Kaisers Lothar und sein Reichsverweser, investiret mit den Mathildischen Allodialgütern in Italien und durch die verschiedenen Heereszüge über die Donau von der Wichtigkeit der Herstellung eines festen, unzerstörlichen Uebergangs überzeugt und ausgerüstet mit Allem, was zur Ausführung seiner Ueberzeugung erforderlich war, — gegenüber stehen. Denn, nicht allein das dazu benöthigte Geld, (dessen Summe

 

 

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ohnedem nicht nach unserm Maasstabe berechnet werden darf), sondern auch das Baumateriale und die nöthigen Hände hingen von dem kräftigen Willen dieses Fürsten ab, da die geeignetsten Steinbrüche in seinem Gebiete lagen und es nur eines Winkes bedurfte, um tausend Gespanne und mehrere tausend Hände zum Frohndienst in Bewegung zu setzen.

 

Der Handelsstand,” sagt mein verewigter Freund in seiner interessanten Abhandlung über den Ursprung der Stadt Regensburg S. 48. Note 73., „welcher in jener Zeit ausschließlich den Bürgerstand bildete, hatte vorzüglich zur Förderung seines nach dem Norden gerichteten Handels diese Baute geführet.” Weit entfernt den bedeutenden Umfang des damaligen Handels aus dem Süden gegen Norden, wovon zu Regensburg die Hauptniederlage war, in Zweifel ziehen zu wollen, (S. Roman Zirngibl’s Geschichte des bayer’schen Handels S. 550.) kann ich nur nicht zugeben, daß, wenn die Stadt eingeäschert und geplündert war, und Handel und Gewerbe darniederlagen, nur die Kaufleute ihre Reichthümer gerettet und sich in der Lage befunden haben sollen, mit ihrem Ueberfluß dieses dem gesammten Weltverkehr angehörige Ereigniß, (wie sich Freiherr v. Hormaier in seiner klassischen akademischen Rede vom 28sten März 1850 ausdrückt) herbey zu führen. Da aber in der Geschichte doch nur das angenommen werden darf, was aus den Umständen natürlich hervorgehet und es der Natur widerstreitet, daß, wenn der Mangel dem

 

 

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Ueberfluß gegenüber stehet, jener etwas Großes hervorgebracht und dieser, bey allem Gefühle der Macht und des Bedürfnisses, sich dabey leidend verhalten habe, so läßt sich der Meinung, daß Rath und Bürgerschaft die steinerne Brücke allein und aus eigenen Kräften erbauet haben, nur mit Zwang beypflichten. Natürlicher ist daher die Ansicht Roman Zirngibl’s (in seiner Geschichte des bayer’schen Handels S. 551.):. „Herzog Heinrich habe die festen Steine zu diesem gewaltigen Bau zugestanden, und die Kosten seyen mit den Zolleinkünften, die von dem Burggrafen erhoben wurden, bestritten worden; da aber der Burggraf ein Vasall des Herzogs war und die Herzoge Antheil am Zolle hatten, so folge, daß die Herzoge auch mit Geld zum Brückenbau beygetragen haben.“

 

Wohl darf man allerdings annehmen, daß unter den damaligen staatsrechtlichen Verhältnissen, welche die freye Stadt Regensburg nur Kaiser und Reich unterwarfen und dem Herzog beschränkte Rechte einräumten, dieses große, die Stadt und das Land gleichangehende Werk im Einverständniß beider Theile begonnen und ausgeführt worden ist, und daß Rath und Bürgerschaft nach ihren Kräften mitgewirkt haben, um den gemeinnützigen, unsterblichen Entschluß des Herzog zu Stande zu bringen.

 

Die Meinung, daß die Brücke römischen Ursprungs sey, wurde von manchem Regensburgischen Geschäftsmann genähret, aber — ohne Grund. Denn, außer obiger geschichtlicher Gewährschaft, nach welcher Karl der Große

 

 

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genöthigt war, hier eine Schiffbrücke zu schlagen — stehet dieser Meynung der Mangel aller Merkmale dieser Herkunft entgegen. Denn ihr fehlet der agger pontis (eine gewölbte Chaussee für die Reiterey und das Fuhrwerk); ihr fehlet der erhöhete Gang auf beyden Seiten für die Fußgänger (wofür die gegenwärtigen angebrachten Schrittsteine nicht gelten können) der zuweilen prächtig gedeckt war und Schutz gegen Sonne und Regen gewährte; ihr fehlet die großartige Anlage, durch welche sich z. B. Trajans Brücke über die Donau auszeichnete, die auf 20 Pfeilern aus Quadern, (150 Fuß hoch, 60 Fuß breit und 170 Fuß weit) ruhte; auch fehlet ihr das Zeugniß römischer Geschichtschreiber.

 

Auch scheinen Diejenigen, welche dieser Brücke ein so hohes Alterthum andichten, vergessen zu haben, daß eine Urkunde, welche die erste Ansiedelung zu Stadt am Hof bezeuget, die Worte enthält; Anno 1138, qui est tertius inchoati pontis super Danubium, ripensis agricultura mutari coepit in aedificia — eine Zeitrechnung, die den Menschenfreund mehr erfreut, als Barbarossas: a destructione Mediolani! Der Bau wurde erst im Jahr 1146 (acht Jahre nach Herzogs Heinrich Ableben) vollendet, als Bischoff Regimbert die Passauer Brücke über den Inn erbaute. (S. Hansiz Germ. Sacra I. p. 507.). Irrig war daher die Behauptung des Raths der Stadt Regensburg im Rechtsstreit mit ihrem Bischoff im Jahr 1446: Diese Brücke möchte wohl älter seyn, als das Hochstift selbst!

 

 

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Das dieser Abhandlung angefügte Blatt stellt die Brücke nach perspectivischer Ansicht von Morgen gegen Abend dar, wie sie noch vor dem Jahr 1784 beschaffen war, und giebt mir die Gelegenheit über ihre Gestaltung Folgendes zu sagen, wobey ich mich zum Theil der Leitung v. Wiebeking’s in seiner Wasserbaukunst III. S. 537. überlasse.

 

Die Brücke von Regensburg bestand ursprünglich aus 15 Bögen, wovon späterhin der linkseitige verkleinert und der rechtseitige zugemauert worden ist. Von den 13 ganz offenen Bögen hat der engste 35 Fuß 6 Zoll und der weiteste 57 Fuß Weite. Nur die Kopfbögen und das Aeußere bestehen aus Werkstücken, der übrige Theil der Gewölbe aus im Rohen behauenen Bruchsteinen. Das Geländer ist aus Platten von Werkstücken gemacht, die Brücke selbst großentheils mit Kapfelberger Sandsteinen erbaut und seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts mit Hirschlinger Granit gepflastert; die Pfeiler dieser Brücke sind nicht vollendet. Bei keiner Brücke in der Welt haben die Pfeiler solche ungeheuere Vorbaue und Umgebungen, wovon einige die Länge von 192 Fuß und eine Breite von 64 Fuß haben. Die Brücke ist nicht ganz nach einer geraden Linie gebaut, sondern hat in der Mitte gegen den Strom eine Ausbauchung. Sie ist 24 Schuh breit und ihr Fahrweg hat während des Winters, der bedeutenden Steigung wegen, merkliche Unbequemlichkeiten. Ihre Länge beträgt genau 1000 Schuh. Durch die successive Erweiterung der

 

 

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Vorbauten und Umgebungen, (welche zugleich im rechten Arme des Stromes eine Aufstauung desselben zum Besten der obern Mühlwerke zum Zwecke hatte) ist die Stromsection der Donau bey Regensburg mit dieser Brücke bis auf 113 Fuß eingeschränkt worden, wiewohl sie in der geradlinigen und parallelufrigen Flußbahn 500 Fuß mißt.

 

Aber keine Brücke hat auch solche Nachtheile für die Schifffahrt und Uferbewohner, als die Regensburger Brücke,“ sagt v. Wiebeking I. S. 215., „sie läßt dem Strom zwischen den fünf Fuß über dem niedrigsten Wasserstand liegenden Umgebungen der Pfeiler auf der rechten Seite bis zu dem die Donau in zwey Arme theiIenden, von dem Oberwörth nach dem Unterwörth gehenden Wehrdamm, nur eine Weite von 69 Fuß 8 Zoll und eine ihrer Oeffnungen zwischen je zwo Umgebungen der Pfeiler mißt nur 13 bis 18 Schuhe, so daß keine Schifffahrt stromaufwärts, dieser engen Oeffnungen sowohl als der fürchterlichen Wirbel wegen, die am untern Ende dieser Umgebungen statt haben, möglich ist. a) Für das

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a) Und dies bemerkte auch nach ihm einer der größten Stromkenner seiner Zeit, Napoleon. Votre grand pont est tres désavantageusement construit pour la navigation, sagte er bey seinem verhängnißvollen Besuche im Jahr 1809. Doch suchte man sich in älteren Zeiten dadurch zu helfen, daß ein Kanal oberhalb der Brücke in die Stadt und unterhalb derselben wieder heraustrat (S. Gemeiner III. S. 283.), auf welchem die Schiffe den Gefahren und Beschwerlichkeiten außerhalb entgehen konnten, und daß ein Haspel (Antwerch) auf dem Anger am Katharinen-Spital angebracht war, womit die Schiffe durch die Brücke hinaufgezogen wurden. S. Gemeiner I. 365 und II. 75.

 

 

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Zeitalter, worin die Regensburger Brücke erbaut wurde, ist sie ein wahres Meisterwerk! Nachher erst hat man den Fehler begangen, die Umgebung der Pfeiler so groß zu machen, theils aus Besorgniß für die Sicherheit der Brücke selbst, theils zum Vortheil der Mühlen. Da diese Umgebungen aus einem mit Steinen gefüllten Pfahlbau bestehen und die Pfähle fünf Schuh über das niedrigste Wasser hervorragen, also kaum fünfzig Jahre der Fäulniß widerstehen, so kann man sich leicht denken, wie viel hier, besonders nach Eisgängen, für Reparaturen ausgegeben worden ist.“

 

Von den Wahrzeichen dieser Brücke — von dem Molch, der (wahrscheinlich als Iustiger Einfall eines Steinhauers) dem Wasser an einem Pfeiler auf der östlichen Seite entkriecht; von dem Hund ohne Kopf, (den ihm, nach der Volkssage, im Grimm über die erlittene Ueberlistung der Satan abgerissen haben soll); b) von den beiden kämpfenden Hahnen; c) von dem Zettelträger Schuck

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b) Für die geleistete Hülfe bei dem Bau der Brücke soll der Baumeister dem Fürsten der Finsterniß den ersten lebendigen Uebergänger verheißen haben. Beelzebub Iauerte lange auf den Lohn seines Beystandes. Aber der Architect war ein größerer Schalk als er und schickte ihm einen Hund. Dieses Mährchen beweist, daß man diese Bauausführung für etwas Uebermenschliches hielt!

c) Der Geländerstein, auf welchem dieser Hahnenkampf abgebildet ist, trägt die Jahrzahl 1582, im welchem Jahr dieses Denkmal wahrscheinlich renovirt worden ist, da schon mehrmalen ganze Reihen solcher Geländersteine in die Donau gestürzt sind und wieder ersetzt werden mußten.

 

 

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wie heiß d) schweige ich, da die Hieroglyphen phantasiereicher Baumeister nur von ihnen selbst erklärt werden können. Doch ist es mir klar, daß der sogenannte Hund ein verstümmelter bayer’scher Löwe ist e) der gerade auf

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d) Auf den Portale einer viel später an die Brücke angebauten Schleifmühle war ein steinernes Männlein in puris naturalibus angebracht, welches in einer Hand einen Zettel mit den Worten: Schuck wie heiß haltend, mit der andern die gegen die im Meridian stehende Sonne gerichteten Augen bedeckte und sich wahrscheinlich der Klage über die unerträgliche Hitze, welche im hohen Sommer Mittags diesen Steindamm durchglüht, nicht enthalten konnte; Andere sahen in dem gegen den Dom gerichteten Männlein einen Nebenbuhler des Meisters, der den Dom erbaute und übersahen dabei, daß der Dom 100 Jahre später als die Brücke angefangen und nicht in einem Jahrhundert vollendet worden ist.

e) Der bayer’sche Löwe kommt zu Regensburg oft vor umd deutet entweder auf vormaliges Herzogliches Eigenthum, oder auf den Wohnsitz eines bayer’schen Beamten. Das alte Thor, welches nach dem Prebrunn (der westlichen, in bayer'schem Lehensverband gestandenen Vorstadt) führte, ist noch mit einem herabspringenden Löwen bezeichnet; das Volk nennt die Gegend die Hundsumkehr. Auch bei der Niederreißung des Bruckzollner-Hauses am südlichen Fuß der steinernen Brücke wurde im Jahr 1829 an dem obenerwähnten, verbauten, rechtseitigen Bogen das Bild eines bayer’schen Löwen entdeckt und dadurch die überwiegende Theilnahme Herzogs Heinrich an der Ausführung dieses Bauwerks noch mehr bestätigt.

 

 

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der Linie des Dammes liegt, welcher nach dem vom Herzog als bayer’sches Gebiet behaupteten obern Wörth führt und die Gränze des Hoheits-Bezirkes bezeichnen sollte, und daß die beyden auf der Linie des untern Wörths angebrachten Hähne den Streit andeuten, welcher zwischen der Stadt und dem Chorherrnstift St. Mang zu Stadt am Hof auch über diese Insel von Zeit zu Zeit aufglimmte.

 

Nun noch einige historische Bemerkungen:

 

1) Die älteste Urkunde, welche diese Brücke betrifft, ist vom Jahr 1182, in welcher Kaiser Friedrich I. im Einverständniß mit dem Bischoff von Regensburg und dem Herzog von Bayern, auf Ansuchen der Bürger und des Brückenmeisters Herbord festsetzte: daß erstlich Niemand zu einem Brückenzoll gezwungen werden, sondern es dem freyen Willen überlassen bleiben soll, ob Jemand zur Erhaltung und Wiederherstellung der Brücke beytragen will; zweitens, daß an beyden Enden der Brücke der Platz auf 12 Schritte von allen Gebäuden, welche der Bequemlichkeit der Vorübergehenden im Wege seyn könnten, frey bleiben soll. f) Allein diesem Kaiserlichen Freybrief gieng es, wie so vielen Ausgeburten

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f) Die Urkunde lautet:

 

Fridericus I. consilio et consensu Chunonis Episcopi, Ottonis Ducis Bavariae, aliorumque principum ad petitionem civium Ratisb. ac Herbordi magistri pontis lapidei statuit: ne ex debito ab aliquo pontem transeunte aliquid exigatur, nisi propria voluntate ad conservationem et restaurationem pontis aliquid conferre velit; ut areae utriusque capitis pontis, ad spatium 12 passuum liberae sint et nullum ibi aedificium, quod commoditatem commcantium turbare possit, exstruatur.

 

 

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der Politik des Mittelalters. Er wurde beobachtet, so lange es die Umstände mit sich brachten und so lange eine billige Beachtung der Freyheit des Verkehrs und der Erleichterung des Handels die Oberhand behielt. Als aber die gewöhnlichen Einnahmen den Ausgaben nicht mehr gewachsen waren umd als die Sicherheit der Stadt sowohl als der Betrieb ihrer Gewerbe diese Gegenden in Anspruch nahm, wurde des guten Kaisers Wille ad acta gelegt, die Brücke mit einem Zoll beschweret und ihre beiden Aus- und Zugänge mit Häusern und Gebäuden dermaßen besetzt, daß von der reichsoberhauptlich anbefohlenen Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Vorübergehenden auch keine Spur mehr wahrgenommen werden konnte. Erst der Königl. Bayer’schen Regierung war die Genugthuung vorbehalten, den Geist Friedrich’s durch Erweiterung und Verschönerung des nördlichen Fußes der Brücke und durch Aufhebung des Brückenzolls zu versöhnen. Der südliche Fuß der Brücke sieht aber noch seiner Erlösung von allem Uebel entgegen.

 

2) Gleich Anfangs wurde ein Brückenmeister in der Person des Herbord bestellt. Die nachfolgenden, welche im 13ten Jahrhundert dieses Amt verwaltet haben, sind

 

 

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nicht bekannt. Aber vom 14ten und 15ten Jahrhundert sind folgende vorgekommen: Conrad Engelmeier 1366, Rantinger 1389, Erhard Nothschärf 1426, Erhard Pretbeck 1430, Martin Probst auf Tunau 1440. 1441, Sigismund Graner 1455. 1461, Hermann Zöller 1461. 63. 67. 68. 73. 75., Ulrich Paumgartner 1475 — 1477., Joh. Trainer 1477—1490. Das Amt des Brückenmeisters war in der kleinen Republik sehr angesehen und beschäftigte sich mit der Oberaufsicht über die Zöllner und über die Brücke, ihre Gefälle, Zinsen und Gilten, die dem Rath verrechnet werden mußten. Eine Menge Häuser an der Brücke waren derselben zinsbar, woraus sich die Leichtigkeit erklärt, mit welcher man sich über Kaiser Friedrich’s wohlgemeinte Baulinie hinaussetzte. Im Jahr 1324 beschloß der Rath, daß die Badstube bey der Brücke nicht mehr auf Leib verliehen, sondern vielmehr alles Einkommen davon zur Erhaltung der Brücke gezogen werden solle — ein Beweis, daß der Gebrauch der Bäder sehr frequent gewesen seyn muß. Dagegen verkaufte im Jahr 1389 der Brückenmeister Wilhelm Rantinger „das Bruck-Ziegelhaus am Eck an St. Margarethen-Kapelle an Heinrich Volkensteiner auf zwey Leib.” Auch, wurde die Brücke öfters von Geschäftsherren und Stiftern der Jahrtäge und Messen dermaßen bedacht, daß sie die auf Vernachlässigung ihrer Geschäfte gesetzten Pönfälle der Brücke oder dem Bruckmeister zuschrieben. Unter andern stiftete Albrecht Abt

 

 

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zu Emmeram im Jahr 1356 eine Messe, mit beygefügtem Pönfall, daß auf die Versäumung der Amthof zu Techbeten dem Bruckmeister zufallen sollte. Im Jahr 1385 ereignete sich auch wirklich der Fall. Das Konvent vergaß der Stiftung und der Rath sammt dem Bruckmeister verglichen sich um Gotteswillen und auf des neuen Abts Friedrich von Weidenberg Bitten gegen Ausstellung einer noch schärfer verpönten Verschreibung.

 

Die Brücke hatte übrigens ihr eigenes Siegel mit der Umschrift: Sig. gloriosi pontis Ratisponensis und mit der verkürzten Abbildung der Brücke, wie solche noch in einem in Stein gehauenen Wappenschild westlich am 11ten Bogen zu sehen ist , welchem das Stadtwappen gegenüber stehet.

 

3) Im Jahr 1205 wurde auf den eilften Pfeiler ein Thurm aufgesetzt, welcher im Jahr 1785 — durch den vorhergegangenen Eisgang dem Einsturz nahe gebracht — abgetragen werden mußte. Er war mit dem Fundament des Pfeilers nicht verbunden, indem man beym Abbruch noch die Spuren von Materialien fand, die ihn vom Pfeiler und vom Brückenpflaster trennten. Auch eine blecherne Kapsel fand sich nicht ferne von seiner Grundlage mit vermodertem Papier angefüllt. Daß er schon vor dem Jahr 1357 gestanden, beweist ein Bruckzinsregister von diesem Jahr, wo unter andern zinsenden Grundstücken „das Haus, daz gelegen ist zenächst

 

 

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an dem Thurm auf der Prukke, da Friedrich der Zollner inn ist“ vorkommt.

 

Die steinernen Büsten K. Philipp’s mit der Aufschrift: Philippus rex Rom. und seines Gegners K. Otto IV., dann ein geflügelter Löwe und ein Bild der Zwietracht zierten seine nördliche Seite und sind nun im Antiquarium im Domkreuzgang aufbewahrt.

 

4) Die Insel des obern Wörth war in alten Zeiten nicht mit der steinernen Brücke, sondern zuerst durch einen Steg und seit dem Jahr 1489, unter Herzogs Albrecht Schutz, durch eine hölzerne Brücke mit Stadtamhof verbunden. Erst im Jahr 1500 beschloß der Rath zu Regensburg, unter der Einwirkung Kaiserlicher Kommissarien und mit Einwilligung des Herzogs, eine Verbindungs-Brücke am 10ten Pfeiler zu errichten und so die Insel mit ihren Mühlen und Hammerwerken mehr an die Stadt zu knüpfen.

 

Dieser 10te Pfeiler litt bey dem fürchterlichen Eisgange, im Jahr 1784 sehr in seiner Grundlage, wovon der Schaden im Jahr 1825/26, wo sich am Eingang der Strömung eine Eisbank gebildet und die Gewalt der herabstürzenden Wassermasse den Grund ausgewühlt hatte, erst sichtbar wurde. Bei der mit großer Umsicht und Sachkenntniß durch die Königl. Baubehörde vorgenommenen Reparatur desselben kam zu Tage, daß der Pfeiler in einer gewissen Tiefe mit einem eichenen, von Fäulniß

 

 

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angegriffenen Rahmen umgürtet ist, welcher vermuthlich, bey Formirung desselben als Leere diente, daß die den Pfeiler formirenden Quaderstücke 2 Zoll tiefer auf einer sehr festen Kiesschichte, über welche eine Mörtellage ausgegossen ist, liegen, daß durchaus keine Rostschwellen oder Rostpfähle vorhanden sind, und daß der Pfeiler bis zur Mitte seiner Basis hohl war.

 

Hieraus und aus der im Jahr 1829 gemachten Entdeckung, als nächst der Schleifmühle ein Brunnen gegraben, die nordwestliche Flanke des rechtseitigen, verschütteten Bogens entblöst und ebenfalls eine hölzerne Einfassung im Grunde gefunden wurde, gieng die etwas beunruhigende Wahrnehmung hervor, daß wahrscheinlich kein Pfeiler auf einem Roste ruhet, sondern jeder nur auf natürlichen Grund aufgesetzt ist, und daß sich das ganze Brückengebäude, nur durch seine Spannung, durch seine specifische Schwere und durch Cohäsion und die Verkittung in seinen Grundlagen erhält, woraus sich die Nothwendigkeit eines mächtigen Schutzes von Außen durch sorgfältig unterhaltene Vorbaue und Umgebungen ergiebt, die, wenn sie auch durch Abkürzung, Abrundung und Niederlegung allerdings einer zweckmäßigen Abänderung bedürfen (wie bereits früher auf des Raths Erkundigung von den hiesigen Technikern anerkannt und verlangt worden ist ), g) doch nie, nach dem Muster anderer Brücken, ganz entbehrt werden können.

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g) Nachdem sechs betagte und erfahrne Schiffer darin übereinstimmten, daß die Bruckpfeiler um 1½ bis 3 und 4 Schuh geschmälert werden sollten, respondirten die Rathskonsulenten in ihrem memoriale von 12ten December 1695, dass die Unförmlichkeit der an einigen Jochen befindlichen Bäuche oder Wampen abgethan und bey der Reparation eine bessere Gleichheit und Form gehalten werden möge. Dies zur Belehrung derjenigen, die in neuesten Zeiten die von der Königl. Baubehörde unternommenen Verbesserungen so scharf bekritelt haben!

 

 

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5) Das nördliche Ende der Brücke, wo sich ein alter, durch Bauart und Form an römischen Ursprung erinnernder Thurm (der auf seiner südlichen Seite die, erst im Jahr 1637 restaurirte Figur eines Kaisers trug, den man, des auf der Hand sitzenden Vogels wegen, Heinrich den Finkler nannte), und ein auf der entgegengesetzten nördlichen Seite eingemauerter römischer Grabstein — von M. Aurelius, von der IIIten Röm. Legion, seinen Freunden und Anverwandten bestimmt — befand, wurde im XIVten und XVten Jahrhundert, im Einverständniß mit den Herzogen von Bayern, mit Gräben, Mauern, Thürmen und Zugbrücken umgeben, um die Stadt anfangs im Städtekrieg, dann im Kriege gegen die Hussiten gegen Ueberfall sicher zu stellen. So wurden im Jahr 1388 mit der Zenger, als der Pfandinhaber, Einwilligung, um den Feind (die Fürsten gegen den Städtebund) sich nicht in der Nachbarschaft festsetzen zu lassen, alle Häuser zu Stadtamhof (das Kloster St. Mang und das Spital ausgenommen) niedergerissen, um den Brückenkopf ein Graben oder Zwinger gezogen und die obere Wörthinsel mit der untern durch einen noch

 

 

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vorhandenen Steindamm verbunden. Die Befestigung der Brücke wurde im Jahr 1429, als die Hussiten die obere Pfalz wiederum heimgesucht hatten, noch mehr verstärkt. Denn das Kartharinenspital war vor Alters mit der steinernen Brücke in unmittelbarer Verbindung so, daß man ebenen Weges von derselben durch die sogenannte schöne Pforte (porta speciosa) in das Hospital gelangen konnte. Das an die Brücke anstoßende Gebäude war aber schon dazumal größtentheils öde und verfallen, daß zu besorgen gewesen, es dürften die Hussiten bey einem plötzlichen Ueberfall in die unterirdischen, festen Keller und Gewölbe sich werfen, sich darinnen halten und daraus der großen Brücke Meister werden. Es wurde daher für räthlich angesehen, einen Theil der Gebäude dieses Hospitals niederzulegen, die Verbindung mit der Brücke aufzuheben, und diesen Hauptpaß der Stadt durch Erbauung zweyer kleiner Thürme besser zu verwahren. Allein hiezu mußten nicht nur St. Margarethens-Kapelle, sondern auch auf bayer’schem Grund und Boden verschiedene Häuser und Läden niedergerissen und beseitigt werden. Das Ganze wurde nicht ohne Widerspruch des Bischofes und der betheiligten Bürger von Stadtamhof in’s Werk gesetzt. Aber die drohende Gefahr beschwichtigte die Gemüther und die Herzoge Wilhelm und Ernst von Bayern überließen im Jahr 1433 den Grund und Boden, auf welchem in der Vorstadt der Graben am jenseitigen Ende der Brücke aufgeworfen worden, für alle Zeiten der Stadt Regensburg zu Eigenthum.

 

 

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Das Jahr 1809 verzehrte aber dieses finstere Bollwerk. Eine heitere, mit zierlichen Gewerbsläden besetzte Terrasse nimmt seine Stelle ein und dient als Wahrzeichen des friedlichen und freundlichen Geistes, der unsere Zeit bezeichnet und in der Einigung Regensburgs mit dem Mutterlande sich so gemüthlich ausspricht.

 

6) Im dreißigjährigen Kriege — im Jahr 1633 — machte die Vertheidigung der Stadt Regensburg die Sprengung des dritten Bogens der steinernen Brücke nothwendig, welcher sodann durch eine Zugbrücke ersetzt wurde. Durch den dadurch herbeygeführten Mangel der erforderlichen Spannung fieng aber der dritte und vierte Pfeiler sich zu spalten an, und lehrte die Nothwendigkeit, den zerstörten Bogen wiederherzustellen, welches auch, nicht ohne Widerspruch der Kurzsichtigen, im Jahr 1791 zur Ausführung kam. Wäre dieser Bogen nicht hergestellt worden, so blieb hier ein militärischer Vertheidigungspunkt, der im Jahr 1800 und 1809 zu ganz andern, in jedem Falle fürchterlichen Resultaten führen mußte.

 

7) Einer wesentlichen Verbesserung wäre diese Brücke allerdings noch fähig, wenn, wie von Wiebeking III. S. 539. bereits angedeutet hat, durch Erhöhung ihrer Vorpfeiler bis zur Oberfläche der Brückenwege, Ruheplätze angebracht und die Brückenbahn durch an den Seiten anzubringende Kragsleine und durch eine

 

 

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Schränkung erweitert würde, wie es bey der Dresdner Brücke, zur großen Annehmlichkeit und Bequemlichkeit, erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts geschehen ist.

 

Doch, sie stehet unter der Obhut eines geist- und kraftvollen Königs, dessen Auge mit wohlwollendem Eifer Alles aufsucht, was dem biedern Volk der Bayern frommen, was das Leben seiner geliebten Kinder erhöhen kann! Vielleicht findet auch Sein geübter Scharfblick, die Verbesserung dieses Denkmals der Macht und Weisheit Seiner Vorgänger auf dem Bayer’schen Throne Seiner Aufmerksamkeit würdig! —

 

Denn — glücklich nur in den Beglückten
kann Er jetzt und künftig seyn;
blos in anderer Entzücken
gründet Seines sich allein.

 

 

 

 

Quelle:

Bösner, Heinrich Johann Thomas: Die steinerne Brücke zu Regensburg: ein Beytrag zur Geschichte dieser Stadt. Sulzbach. Seidel 1830

 

Das Buch ist online in der Bayerischen Staatsbibliothek München unter folgendem Link verfügbar:

 

https:// digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10945886

 

 

 

 

 

 

Heinrich Zschokke 1828 über die steinerne Brücke zu Regensburg

 

„11.

Die Brücken bei Regensburg und Passau

 

Weit und groß, mit kostbaren Gebäuden, hohen Kirchen, Klöstern, Ringmauern und Streitthürmen, lag Regensburg an der Donau ausgebreitet, des baierischen Herzogthumes und des süddeutschen Waarenverkehres erste Stadt, aber noch immer, gleichwie zu der Agilolfingen Zeit, ohne Brücke über den Strom.

 

Es begab sich, daß im Sommer des tausend einhundert fünfunddreißigsten Jahres, da von großer Hitze ganze Wälder erbrannten, auch die Wasser der Donau gar seicht wurden. Dies bewog den Herzog, seinem Namen ein Denkmal

 

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auf die spätesten Zeiten zu stiften. Er ließ, vereint mit der Bürgerschaft, eine steinerne Brücke erbauen. Es wurden im Bette des Flusses unter dem Wasser große Steinlagen mit Eichen, Eisen und·Blei befestiget; über dieselben dann fünfzehn Schwibbogen von Marmor gewölbt; darüber die offene Brücke, dreißig Werkschuhe breit, eilfhundert einundzwanzig lang, von einem Ufer zum andern. Im eilften Jahr seit Anhebung des Werks stand es vollendet; von Allen gepriesen als Wunder der Kunst im deutschen Lande 105).- Vorher wurden Waaren, Menschen und Vieh nur auf bleibenden Fähren übergeschifft, dergleichen auch hin und wieder in andern Gegenden des Flusses zur Bequemlichkeit der Reisenden zu liegen pflegten 106).“

 

 

105) Aventin Orig. Ratisb. (oefele 2, 758). Die Brücke über den Reng haben hernach die von Regensburg erbaut.

106) So empfing 1140 das Kloster Windberg ein eigenes Fährrecht durch die Grafen von Bogen, propter bladam et alias necessitates. Mon. Boic. 14, 36.

 

 

Quelle:

Heinrich Zschokke‘s ausgewählte Schriften. Dreißigster Theil. Der Baierischen Geschichten Zweites Buch. Beschluß. Aarau 1828. Bei Heinrich Remigius Sauerländer. S. 194-195

 

 

 

 

 

Studien über die romanische Baukunst in Regensburg

von Dr.Ing. Hans Wagner (Architekt)
Buchdruckerei und Verlagsanstalt Carl Gerber, G.M.B.H., München

 

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Meinem lieben Vater in Dankbarkeit gewidmet

 

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Verzeichnis der einschlägigen Literatur.

 

H. Graf v. Walderdorff: Regensburg in Seiner Vergangenheit und Gegenwart. 4. Auflage 1896.

Dr. G. Hager: Mittelalterliche Bauten Regensburgs. Die Kunstdenkmäler Bayerns. Band: Oberpfalz und Regensburg. Bez.-A. Roding.

F. v. Quastund H. Otte: Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst 1856. I. Band.
Die Kongregationen der Schottenklöster in Deutschland.

Dr. B. Riehl: Denkmale frühmittelalterlicher Baukunst in Bayern. Deutsche und italienische Kunstcharaktere. Beitrag zur Geschichte der romanischen Baukunst im bayer. Donautal.

R. Dohme: Geschichte der deutschen Baukunst.

Niedermayr: Künstler- und Kunstwerke der Stadt Regensburg.

Jakob: Die Kunst im Dienste der Kirche.

Dr. Endres: Das St. Jakobsportal in Regensburg n. Honorius Augustodunensis 1903.

Pohlig: Die romanische Baukunst in Regensburg. Die Kapelle St. Georgii am Witfend.

Bernh. Salin: Die altgermanische Tierornamentik.

Ruprich-Robert: L'architecture normande de XI. et XII. siècles.

Dr. von Reber: Die byzantinische Frage in der Architektur.

Springer: Handbuch der Kunstgeschichte. II. Band.

R. Streiter: Entwicklungsfragen aus dem Gebiete der christlichen Kunst des I. Jahrtausends.

Dr. Fr. Schmidt: Über den Ursprung der romanischen Baukunst.

Rivoira: Le origini della architettura Lombarda e delle sue principali derivazioni nei paesi d'oltr.' Alpe. 1901–1907.

Nella terra di Bari: Ricordi di arte Medioevale.

 

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Je mehr deutsche Städte es gibt, die Sehenswürdigkeiten modernen Ursprungs in grosser Zahl zeigen, desto weniger finden sich solche, die noch gut erhaltene, Jahrhunderte alte Zeugen früherer Kunst und Kultur aufweisen können. Desto freudiger begrüsst es der deutsche Kunsthistoriker und auch der Architekt in der alten deutschen Kaiserstadt Regensburg, auf kleinem Feld eine grosse Fülle jener altehrwürdigen, interessanten Baudenkmäler romanischer Zeit zusammengedrängt zu finden. Kaum eine andere Stadt hat so sehr im Verborgenen den Reiz des Mittelalters, mit seiner urwüchsigen Kunst, bewahrt, wie das alte Regensburg.

 

Es soll nicht davon gesprochen werden, welch‘ bedeutende Rolle Regensburg unter den Römern spielte, wie nach den Stürmen der Völkerwanderung das wenig Überlebende der Kunst auf dieser Oase eine Zufluchtstätte fand, wie Künste und Wissenschaften unter den bayerischen Herzögen, aus dem Stamme der Agilolfinger, in den neugegründeten Klöstern gepflegt und gefördert wurden, oder gar welchen Aufschwung Regensburg als Metropole der Bischöfe und als Residenz unter der Herrschaft der Karolinger nahm, ohne unter den nachfolgenden sächsischen, fränkischen und schwäbischen Kaisern merklich von dem Glanze zu verlieren, den die Blütezeit Regensburgs, die zugleich mit der Entwicklung der romanischen Baukunst zusammenfällt, im Gefolge hatte.

 

Der grösste Teil dieser Zeugen früherer Baukunst findet sich ja in den verschiedenen Werken schon besprochen, mit grösserer oder geringerer Genauigkeit in Bezug auf Entstehungszeit und Erbauer untersucht, auch in manchen Fällen ziemlich genau unter die Lupe genommen, jedoch mit der fast jedesmal wiederkehrenden Schlussbemerkung, dass man es hier mit einer „ganz eigentümlichen, merkwürdigen und speziell Regensburg angehörigen Bauart zu tun hat“. 1)

 

 

Allgemeiner Überblick.

Vielleicht ist es deshalb nicht unangebracht, zu erforschen, worauf denn diese, zweifellos richtig, als dem alten Regensburg eigentümliche Baukunst zurückzuführen ist und was all den vorhandenen Werken --- denn nur an der Hand der noch bestehenden Überreste soll der Versuch gemacht werden -- diesen eigenartigen Stempel aufdrückt. Um nun in das Wesen dieser Bauart einzudringen ist es allerdings notwendig, sich zuerst auch in der übrigen Kunstwelt umzuschauen, um sich hinsichtlich der künstlerischen Selbständigkeit oder Aufnahme anderer, fremder Kunstüberlieferungen ein Urteil bilden zu können. In welcher Entwicklungsphase der romanische Stil nach Deutschland und insbesondere nach

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1) Siehe Verzeichnis der einschlägigen Literatur.

 

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Regensburg gelangte, welche Vorbilder vorhanden waren, die nachahmenswert erschienen, oder auch inwieweit man es mit einer selbständigen Kunstübung zu tun hat -- das sind lauter Fragen, die den Beobachter zwingen, seinen Blick von dem Ursprung der romanischen- Baukunst, auf deren Entwicklung in den verschiedenen Ländern, bis zu dem Zeitpunkt des Eingreifens in das engere Gebiet Regensburger romanischer Kunst zu richten.

 

Byzanz-Ravenna.

Nach dem Zerfall des römischen Reiches entwickelte sich im Osten Europas, unter dem Schutz vor zerstörenden Elementen, im Gegensatz zu dem beunruhigten Westen ein blühendes Kulturleben, das, wie fast immer, in der Baukunst monumentalen Ausdruck findet. Bei der damaligen Machtstellung von Byzanz war es auch kein Wunder, wenn die Elemente präbyzantinischer Kunst in den angrenzenden Nachbargebieten und insonderheit in dem, nunmehr in Ravenna, als der Residenz, gipfelnden, weströmischen Reich Eingang fanden. Ravenna, politisch wie kirchlich von Byzanz abhängig, konnte sich nicht dem Einfluss oströmischer Kultur entziehen, blieb deshalb auch in der Baukunst in einem merklichen Abhängigkeitsverhältnis von Byzanz, wie sich das unter anderem besonders in der wichtigen und charakteristischen Neubildung des Kapitäls zeigt. 1)

 

In jene Zeit, in der der sogenannte romanische Stil wohl seine Entstehung feiert, fallen auch schon manche Motive dieses Stils, von denen wohl eines der reizvollsten, die in den sogenannten Bogenfries übergehenden Blendarkaden der Aussenwände sind, ein Charakteristikum, das später für die äussere Erscheinung romanischer Bauten fast unentbehrlich erschien. Während der nun folgenden Langobardenherrschaft und auch nach dem Erlöschen der politischen Selbständigkeit des Langobardenreiches, sehenwir dann eine weitere Entwicklung, die sich „allmählich durchringt zum Werden des romanischen Stils, auf dessen Spur man nunmehr gelangt“. 2) Die wichtigste Erscheinung des werdenden lombardisch-romanischen Stils, ist die typische Gestaltung des Äusseren, nämlich der Bogenfries mit Lisenengliederung, die im IX. Jahrhundert als fertig bezeichnet werden kann. Wenn im X. Jahrhundert auch noch immer byzantino-ravennatische Traditionen nachklingen, so besonders in der byzantinischen Trapezform mancher Kapitäle, so begegnen wir doch wichtigen Neuerungen --- nämlich dem ravennatischen Eckblatt der Basen und den Merkmalen beginnender Einwölbung.

 

Kommen wir nun auf die Frage zurück, ob die Regensburger romanische Bauweise unter einem direkten Einfluss ravennatischer Kunst steht, so müssen wir das schon in Anbetracht des Zeitpunktes verneinen; denn in Bayern wie fast in ganz Deutschland war die Baukunst -- abgesehenvon einem möglicherweise gar nicht so primitiven Holzbau auf das Mindeste beschränkt. Begegnen wir auch hie und da und besonders auf dünnen Säulchen den ravennatischen Trapezaufsätzen ähnlichen Kämpfersteinen

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1) Anmerkung. Diese Entwicklungsfragen sollen hier aber nicht erörtert werden, zumal Sie von Geheimrat Dr. v. Reber (die byzantinische Frage in der Architektur), von R. Streiter (Entwicklungsfragen aus dem Gebiete der christlichen Kunst des ersten Jahrtausends) und Dr. Fr. Schmidt (Über den Ursprung der romanischen Baukunst) schon in der eingehendsten Weise behandelt wurden.

2) Dr. Fr. Schmidt. Über den Ursprung des romanischen Baustiles. S. 17.

 

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über den Würfelkapitälen, so kann man darin keine Nachahmung, sondern nur eine aus der Konstruktion sich ergebende Notwendigkeit erblicken, nämlich den Übergang von dem dünnen Säulchen zu der breiten Last herzustellen, wenn es galt mächtige Mauerkörper der Bogen auf die schwachen Säulchen zu übertragen.

 

Lombardische Kunst u. deren Einfluss auf Regensburg.

Um das Jahr 1000 war der romanische Stil in Oberitalien fertig und allein herrschend und nahm seinen Weg nach Westen und Norden. Im X. Jahrhundert mag auch mit den wachsenden politischen und Handelsbeziehungen etwas von dieser schon weit gediehenen Bauweise über die Alpen gekommen sein --- abgesehenvon Karl des Grossen Münsterbau -- und zwar besonders Kenntnisse der üblichen basilikalen Anlagen. Dass jedoch diese Einflüsse nur sehr allgemeiner Natur gewesen sein können, mag schon der Umstand beweisen, dass das Eckblatt der Basen sich in Italien schon am Ende des X. Jahrhunderts vorfindet, während wir in Regensburg wie in ganz Bayern das Eckblatt geradezu als Charakteristikum des XI. Jahrhunderts betrachten. Einer weiteren Erscheinung ist jedoch noch zu gedenken, nämlich der Campanile oder freistehenden Glockentürme, die sich auch in einigen charakteristischen Beispielen in Regensburg vertreten finden. v. Reber setzt die ersten italienischen Glockentürme ins VII. (Rundtürme) und VIII. Jahrhundert, also ungefähr 3 Jahrhunderte früher als die frühesten freistehenden Glockentürme Regensburgs entstanden sind, nämlich der Turm von der „Alten Kapelle“ und vom „Obermünster“, welche gegen Ende des IX. bezw. Anfang des XI. Jahrhunderts entstanden sind. Ob nun die Kaiser auf ihren Italienzügen diese für Deutschland fremde Erscheinung gesehenhaben und nachahmenswert fanden, oder ob bei der Ausbreitung des Mönchtums durch Rompilger dieses Motiv hieher verpflanzt wurde, mag dahingestellt bleiben. Die Ähnlichkeit der Anlagen aber mit denen in Italien dürfte wohl kaum einen Zweifel bestehen lassen, dass -- selbst wenn sich die damaligen Baumeister schon über den konstruktiven Vorteil dieser Anlage im klaren waren -- dieser Einfluss direkt über die Alpenpässe nach Regensburg gedrungen ist. Denn da mochte dieses Motiv gern aufgegriffen werden, bei der an und für sich herrschenden Vorliebe des Mittelalters für starke turmartige Befestigungen, die zugleich als Zufluchtstätte dienten, wie die Schwibbogen, die die Verbindung mit der Kirche herstellten, beweisen. Derselben Absicht mag auch der jüngere sogenannte Römerturm in Regensburg seine Entstehung gedankt haben. Vielleicht spielte in Regensburg, abgesehenvon den italienischen Kunsteinwirkungen, die, wie wir sehenwerden, in dieser Zeit bedeutend waren, auch noch das Vorhandensein eines ähnlichen Römerwerkes beim Aufgreifen dieser Idee eine Rolle.

 

Während die rheinische Baukunst durch Karl den Grossen und seine Saaten in viel engere Beziehung zu Italien getreten ist und auch blieb, wie das so manche Charakteristika, so besonders das Motiv der Zwerggalerien beweisen, war der Einfluss der romanischen Bauweise der Lombardei für Regensburg nur auf eine gewisse Gruppe von annähernd gleichzeitigen Bauten beschränkt, die später berührt werden, -- trotzdem Regensburg die Durchgangsstation für Handel- und Kriegsverkehr bildete. Obwohl in Oberitalien der romanische Stil schon infolge der vorgeschrittenen Kunsttechnik eine gewisse Vollständigkeit und Reife erlangt hatte,

 

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und man glauben möchte, dass er in diesem Stadium der Entwicklung nach Deutschland gelangt ist, so kann man doch nicht annehmen, dass er in anbetracht der damals völlig fehlenden Publikationsmittel unverzerrt über die Alpen kam, gewiss aber nicht von den künstlerisch ungewandten nordischen Volksstämmen, die wohl einen bildungsfähigen, tief in die Sache eindringenden Sinn und ein reges Naturgefühl, aber einen recht kärglichen Einsatz von technischem Können, gegenüber den Vorzügen der alten Kultur, den abgeschliffenen Formen und dem ausgebildeten Handwerk, entgegenzustellen hatten -- mit dem ganzen nötigen Verständnis aufgenommen wurde. Infolgedessen konnte sich die Weiterentwicklung auch nicht als eine lückenlose Vervollständigung dieser Bauart darstellen -- im Gegenteil, die künstlerische Ungelenkigkeit des Volkes bedingte gegenüber der viel vollkommeneren überlieferten Kunstweise einen Rückschritt, der erst allmählich ausgeglichen werden musste, ehe der ursprüngliche Faden der von Süden und Westen eingedrungenen Kunstformen erfolgreich weiter gesponnen werden bezw. sich auf der neuen Grundlage eine autochthone Kunst bilden konnte. Daraus mag sich auch das zeitliche Zurückbleiben der Stilperioden in den deutschen Landen gegenüber den anderen in Betracht kommenden Ländern erklären. Denn wenden wir uns nach Frankreich, so finden wir zu einer Zeit, wo wir noch eifrig mit der Ausbildung des romanischen Stils beschäftigt waren, seinen Nachfolger, die gotische Bauweise schon in vollster Entwicklung.

 

Frankreich.

Das südliche Frankreich war es natürlich zunächst, das mit der neuen Kunst, die aus der Lombardei eindrang, in Berührung kam, wenngleich die antike Kultur hier aus den Zeiten der Römer noch so tief eingewurzelt war, dass sie nicht so leicht durch die neue Stilrichtung verdrängt werden konnte. Hier war es auch, wo die Wölbung der Basilika zuerst durchgeführt wurde, zumal man ja hier die Kunst des Wölbens immer geübt hatte, während im mittleren Teil Frankreichs die flachgedeckten Basiliken sich allgemeiner Verbreitung erfreuten. Der in Aquitanien so beliebte Kuppelbau kombinierte sich bald mit dem basilikalen System, das in ganz Frankreich und den Rheinlanden und von dort aus im übrigen Deutschland in der Plangestalt des sogenannten lateinischen Kreuzes, zur hauptsächlichsten Grundrissanlage wurde.

 

Normandie.

Wurde nun im Süden die romanische Kunst stark beeinflusst durch die vorhandenen Bauwerke, die noch aus der Römerherrschaft übrig waren, so machte sich im Norden Frankreichs, wo sich die Frankenstämme befanden, besonders seit dem Eindringen der sogenannten Nordmannen oder Normannen, die, aus Skandinavien kommend, in das Küstengebiet einfielen und bald weit ins Innere des Landes -- auch ins Rheingebiet -- eindrangen, ein ganz anderes Moment geltend, das von um so grösserer Wirkung war, als die Eroberung und das Festsetzen der Normannen in Nordfrankreich mit der Entwicklung des romanischen Stils zeitlich zusammenfällt.

 

England.

Die Normannen sind es nun auch, die uns auf das benachbarte England hinweisen, wo nach der Vertreibung der Dänen im X. Jahrhundert der angelsächsische Stil blühte, um dann seit der Eroberung Englands durch die Normannen 1066, dem normännischen Stil zu weichen, der

 

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bis zum Schlusse des XII. Jahrhunderts der herrschende blieb. „Mit den Normannenfürsten kamen auch baulustige Bischöfe und baukundige Männer aus Frankreich hinüber, so dass sich bald eine rege Bautätigkeit entfaltete, deren Spuren uns noch heute zahlreich und deutlich entgegentreten und der Architektur Englands ein dauerndes Gepräge verleihen,“ 1) so dass es uns nicht wundernimmt, wenn die hervorragenden Bauwerke jener Stilepoche auch anderwärts nachahmenswert erschienen.

 

Im Grundriss machte sich die grosse Länge der Kirchen und starkes Hervortreten des mitunter zweischiffigen Querhauses über das Langhaus und schon frühe der geradlinige Chorschluss bemerkbar; man findet an der Anlage kolossaler Krypten Geschmack und lässt über den dicken, kurzschäftigen Rundsäulen der Schiffsarkaden, die zuweilen mit gegliederten Pfeilern wechsein, sich eine Empore hinziehen, die sich mit kräftiger Bogenarchitektur gegen das Mittelschiff zu öffnet.“ 1)

 

Charakteristik normännischer Kunst.

Was nun die Ornamentierung und Behandlung des Details betrifft, so kann man, was auch Salin 2) bei Verfolgung des nordischen Tierornaments feststellt, in der ganzen romanischen Kunst zwei Kunstwege verfolgen, den einen vom Orient zum Occident und den anderen vom Norden nach dem Süden. Auf dem ersten Wege war es die antike Kultur und Kunst, die gegen Westen und Norden zog; daher sehenwir, dass das normannische Kapitäl des XI. Jahrhunderts von der vorher eingeführten antiken Kunst die Voluten und die Kelchblätter, nur vereinfacht, bewahrt, andererseits seine Erweiterung, Verkragung und Deckplatte der byzantinischen Kunst entlehnt hat. Diese Kapitäle, beinahe der einzige Schmuck an den Gebäuden jener Epoche, zeigen Voluten, die einigen aufgerollten Blättern entsteigen, selten als Wiedergabe des Details des Akanthusblattes; entweder hatten die Bildhauer keine hinreichenden antiken Modelle, worauf oft missglückte Nachahmungsversuche zurückzuführen sind, oder sie wichen von ihrem Vorbilde nach ihrem eigenen Gefühl ab. In einem Zeitraum von ungefähr einem Jahrhundert von 1060--1160 können wir zwei weitere Abstufungen in der normännisch-romanischen Kunst unterscheiden. „Die zweite Abstufung, die wir in der Ornamentierung beobachten, erscheint gegen Ende des XI. Jahrhunderts; die Bildhauer gaben die Einfachheit des ersten Kapitäls auf und setzen dafür ihre an Einbildungskraft reichen Kombinationen, unter denen man Laubwerk, Verschlingungen, Tiere und menschliche Figuren sieht an deren Stelle. Diese Modifikation, deren es eine grosse Anzahl Beispiele gibt, ist zurückzuführen auf den zeitlichen Einfluss benachbarter Schulen und bringt aus den beiden hauptsächlichsten Typen einen vermittelnden hervor. In den letzten Jahren des XI. Jahrhunderts und während des XII. Jahrhunderts ändert ein dritter Einfluss, vom Norden ausgehend, über England, wo die Normannen um diese Zeit ansässig waren, diese Ornamentierung vollständig und gibt ihr einen ganz besonderen Charakter.“ 3) Ruprich-Robert ist ferner der Ansicht, dass das XI. Jahrhundert die Würfelform seines Kapitäls aus Skandinavien entlehnt hat -- ein Punkt, der ja schon viel umstritten ist, da man die ersten Würfelkapitäle schon

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1) Springer, Handbuch der Kunstgeschichte. S. 156, 157.

2) Bernhard Salin, Die altgermanische Tierornamentik.

3) Ruprich-Robert, l'architecture normande des XI. et XII. siècles.

 

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im IX. Jahrhundert in der Lombardei antrifft --- ohne indess die Ornamentik seines Vorbildes anzunehmen, andererseits die Gestaltung des Abakus der byzantinischen Kunst entnommen hat. Eine weitere Ausbildung des Würfelkapitäls, die besonders für die normännische Kunst charakteristisch ist, zeigen die sogenannten Faltenkapitäle, die weiter unten eingehende Besprechung finden werden. Das normännische Kapitäl zeigt im allgemeinen ein eigenartiges germanisches Gepräge und ist „als das hauptsächlichste Eiement normhännischer Architektur auf dem Höhepunkt bemerkenswert durch Folgerichtigkeit, Geschlossenheit der Formen, Feinheit und oft Vollendung in der Ausführung.“ 1)

 

Regensburg und die Römerkunst.

Soweit mögen die kunstgeschichtlichen Vorbetrachtungen über die allgemeine Entwicklung der romanischen Bauweise in aller Knappheit den notwendigen Überblick gewähren, um auf das spezielle Feld Regensburger Kunst jener Stilrichtung übergehen zu können. Wie eingangs schon erwähnt, haben wir nur wenige deutsche Städte, die in erhaltenen Bauwerken ihren mittelalterlichen Charakter so sehr bewahrt haben wie Regensburg; aber wir würden der alten „Ratisbona“ Unrecht tun, wenn wir mit dem Mittelalter beginnen würden und die weit zurückliegende Zeit ihrer Entstehung ausser Acht lassen wollten. Erinnert uns schon der Name an das alte „castra regina“ der Römerherrschaft, die auch, wie zahlreiche Funde 2) es dartun, eine bemerkenswerte römische Exportkunst aufblühen liess, so weht uns von den erhaltenen Teilen der römischen Castellmauer und besonders von der „Porta praetoria“ der Hauch jener alten kriegerischen Kunst entgegen; mag die Buckelquader des Römers noch an ihrer ursprünglichen Stelle liegen, oder von späteren Geschlechtern dem soliden Verband der Römermauer entnommen sein --- unwillkürlich empfinden wir eine merkwürdige Verwandschaft, wenn wir zum nächsten Glockenturm wandeln, der uns ebenso trotzig und kampfbereit erscheint wie das alte Römerwerk. Ein direkter Einfluss dieser römischen Exportkunst jener Zeit, die, wie das römische Funde aus Regensburg und Umgebung zeigen, immerhin bemerkenswerte Leistungen hervorbrachte, kann nicht nachgewiesen werden und Gründe, die dafür von einigen Autoren wegen der eigenartigen Nischenarchitektur, die sich noch findet, angeführt werden, beruhen auf falschen zeitlichen Datierungen. Darf doch nicht vergessen werden, dass zwischen dem Blühen jener römischen Provinzialkunst und dem Auftreten des sogenannten romanischen Stils ein ganz bedeutender Zeitraum liegt, der in Anbetracht der geschichtlichen Ereignisse besonders geeignet war, jede Kunstübung zu unterbrechen.

 

Regensburg unter den ersten bayerischen Herzögen.

Regensburg war auch ganz Rätien nach Auflösung des römischen Reiches offiziell eine Provinz des ostgotischen Reiches, so war doch von einer Oberhoheit wenig zu verspüren und die nachfolgende Zeit, die dunkelste in der bayerischen Geschichte, verdichtet den Schleier immer mehr, der nur das Eindringen neuer Völkermassen mit ihrer zerstörenden Wirkung erkennen lässt. Eine Zeit der Zerstörung und Verwahrlosung mag über die Gegend hereingebrochen sein, bis endlich im VII. Jahrhundert die Geschichte etwas zu dämmern beginnt. Seitdem Regensburg als Hauptstadt

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1) Ruprich-Robert, l‘architecture normande des XI. et XII. siècles.

2) Vergleiche S. 63 und 66.

 

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der Bajuwaren, der jetzigen Bayern auftritt. Von da an blieb es der Sitz eines Stammesherzogs aus dem Geschlechte der Agilolfinger, die ihrerseits in einem schwankenden Abhängigkeitsverhältnis von den fränkischen Königen standen. Diesen Herzögen, die offenbar Christen waren, oder doch wenigstens durch einen fränkischen Missionär, wie deren schon vorher solche ohne besonderen Erfolg das Land durchzogen, -- nämlich den hl. Rupert sich taufen liessen, folgten gar bald, aus Frankreich kommend, Wanderbischöfe wie St. Emmeram und St. Erhard, die den hier seit den Römerzeiten nie ganz erloschenen Funken christlicher Lehre wieder anfachten, so dass mit dem Anwachsen der christlichen Gemeinde auch die Zahl der Seelsorger und wandernden Missionäre zunahm, die sich gar bald mit dem Bau von Kirchen befassten. schon das IV. Jahrhundert hatte wie Dohme annimmt, hier christliche Kirchen gesehen, „offenbar Werke jenes monumentalen Charakters, der den Römerbauten überhaupt eigen ist; aber nichts mehr ist von ihnen erhalten“. Diese Behauptung scheint sehr gewagt und ist durch nichts erwiesen; glaubwürdiger klingt es, wenn aus dem VII. Jahrhundert, im Gegensatz hiezu, die Kunde von hölzernen Kirchenbauten kommt, welche die ersten in diese verwilderte Gegend wiederkehrenden Sendboten, Erhard, Rupert und Emmeram errichten. Bald darauf wird Regensburg neben der herzoglichen Residenz auch die Metropole des weit ausgedehnten Bistums und als solche ein wichtiger politischer Punkt. Von Bonifatius, dem grossen Missionär, der angelsächsischen Klöstern seine Ausbildung verdankt, wurde neben Passau und Freising auch das Bistum Regensburg gegründet, mit dessen ersten Bischof Gawibald (739) die lange Reihe der hiesigen Bischöfe beginnt.

 

Regensburg als Bischofsstadt.

Mit der Zunahme der Bekehrung der Bevölkerung wuchs natürlich auch die Macht und der Einfluss der neugegründeten Zentrale christlicher Lehre, die ihrerseits auch wieder bestrebt war neue Kräfte für den Dienst der Kirche und zur Vollendung des Bekehrungswerkes zu gewinnen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen zwar noch nicht durch Zulauf aus dem eigenen Land, denn das war erst zu kurze Zeit in geordnete Bahnen gelenkt und abgesehenvon der geistigen Unreife der kaum zur Beruhigung gelangten Wanderstämme, fehlte es natürlich vollständig an Gelegenheit zur Ausbildung in Schulen. Der Nachschub an Männern, die geeignet waren das begonnene Werk weiterzuführen, musste daher aus dem Überschuss anderer Länder gedeckt werden, und diese Männer waren in erster Linie irisch-angelsächsischer und fränkischer Abstammung sowohl in Geburt wie Schule. Mit der wachsenden Zahl der Gläubigen und ihrer Lehrer wuchs naturgemäss auch das im Vorbild der altchristlichen Lehre begründete Bedürfnis nach geeigneten Versammlungsorten, die zur Predigt und zur Abhaltung von Kultushandlungen dienten und ausserdem war die Kirche wie zu allen Zeiten, so besonders dem ungebildeten Volke gegenüber darauf bedacht ihre Lehre und Macht über die Gemüter augenfällig in die Erscheinung treten zu lassen. Das geschah am besten durch den Bau von Kirchen. Diese Kirchen waren aber anfangs durchaus nicht das, was sich mit unserem Begriff von „Kirche“ deckt, sondern es waren einfache, höchst primitive Holzbauten, die wohl nur die drei wichtigsten Räume für den damaligen Gottesdienst enthielten, nämlich den Raum für die schon getauften

 

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Gläubigen, an den sich eine Erweiterung zur Aufnahme des Altartisches und ein Vorbau für die erst in die Gemeinschaft der Gläubigen einzuverleibenden Neulinge oder Büssende anschloss. Die grosse Feuergefährlichkeit, wie der Wunsch der Kirche ihrem Ansehenentsprechend einen monumentaleren Ausdruck zu geben und nicht zuletzt der sich immer wiederholende Umstand, dass mit dem Aufblühen der Kultur auch ein Aufschwung der Baukunst Hand in Hand geht, haben veranlasst, dass man sich bald nicht mehr mit den leicht zerstörbaren Kirchen aus Holz begnügte, sondern solche aus Stein baute. In Nordfrankreich, wo sich noch Reste von hölzernen Kirchen bis 440 (n. Chr.) nachweisen lassen, verschrieb man sich zum Zwecke der Erbauung von Steinkirchen Maurer aus Italien und Südfrankreich, Länder, die schon ihrer geologischen Beschaftfenheit nach, mehr auf den Steinbau angewiesen sind als der holzreichere Norden; so entstanden dort schon um 675 die ersten Kirchenbauten aus Stein. In Regensburg wird man es nicht viel anders gemacht haben, wobei nur der Umstand in Betracht kommt, dass man hier schon Steinbauten mit der vorzüglichen römischen Technik vor Augen hatte und die teilweise zurückgebliebene, sich mit dem neuen Volke vermischende keltisch-romanische Bevölkerung auch etwas von der alten römischen Maurerkunst herübergerettet hat. Also vollständig auf die italienischen „commacini“ war man wohl nicht angewiesen, hingegen hat man die Ideen zu den Anlagen der ersten Steinkirchenbauten romanischen Vorbildern aus Italien entlehnt.

 

Regensburg unter dem Einfluss altchristlich-italienischer Kunst.

Kein anderes Gebiet von Mitteleuropa als wie Oberitalien verfügte auch zu dieser Zeit, Anfang des VIII. Jahrhunderts über eine soweit vorgeschrittene Baukunst, und ausserdem führte gerade in der Zeit der Zentralisation der christlichen Gemeinden die massgebenden Männer der Weg nach Rom an den schon weit gediehenen Kirchenbauten Oberitaliens vorüber, so dass es uns nicht wundern kann, wenn wir an dem ältesten Bau des Mittelalters, der in Regensburg nachweislich ist, nämlich dem Chor von St. Emmeram eine so grosse Ähnlichkeit mit altchristlichen Krypten wie z. B. mit der S. Apollinare in Classe zu Ravenna finden.

 

St. Emmeran, Krypta.

Dem von der altchristlichen Kirche übernommenen Verlangen, den Märtyrern und grossen Missionären eine würdige Ruhestätte zu ZeE- währen, die dann Veranlassung zu einem eigentlichen Kirchenbau für den Kult des Heiligen wurde, hat auch diese Emmeramskrypta ihren Ursprung zu verdanken. Der erste von Bonifatius eingesetzte Bischof Sorgte zunächst dafür, dass die Gebeine des ermordeten Emmeram in einem neu erbauten Grabe beigesetzt wurden. Konnte dieser Bischof Gawibald den ge- fassten Gedanken, zum Andenken an Emmeram eine grössere Kirche zu erbauen, nicht mehr zur Ausführung bringen, so verwirklicht Bischof Lindpert um 780 die Absicht Seines Vorgängers und erbaut in Anlehnung an italienische Vorbilder eine grosse querschiftlose Basilika, wobei er, um der Hauptapsis ein richtiges Grössenverhältnis zum ganzen Bau zu geben, die Mauer des neuen Chores mit einem Zwischenraum um die

 

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schon vorhandene Krypta herumbaut, wodurch ein Umgang um die Confessio des hl. Emmeram entsteht. Mit diesem Bau, der sich ganz in Grundriss und Aufbau der altchristlichen Kirche anschloss, deren Vorbild man aus Oberitalien bezogen hatte, beginnt, unterstützt von einem vermehrten Heiligenkultus, eine lebhafte Bautätigkeit, die ausser einigen Märtyrerkapellen, wie der des hl. Erhard, auch einige andere basilikale Bauten entstehen liess; nämlich die sogenannte „Alte Kapelle“, sowie „Ober- und Niedermünster“.

 

Erhardikapelle.

Die Erhards-Kapelle, 1) von der man wohl sagen kann, dass sie das einzige noch annähernd im ursprünglichen Zustand erhaltene Bauwerk jener ersten nachweisbaren Bauepoche ist, gibt uns im Kleinen ein Bild davon, wie primitiv wohl die ersten Steinkapellen gestaltet sein mochten. Wenn man auch eine, für die damalige frühe Zeit anerkennenswerte gebundene Steinbaukunst vorfindet, so lässt doch die übergrosse Nüchternheit weniger einen Verzicht auf alle Zierformen als vielmehr einen Mangel an künstlerischem Können durchblicken. Immerhin ist in der kleinen Kapelle, die infolge der durch die Jahrhunderte hindurch erfolgten Terrainerhöhung im Boden steckt und so den Anschein einer Krypta erweckt, ein baugeschichtlich überaus interessanter Raum geblieben, den man wohl als Zwischenglied ansehenkann, zwischen dem Chor von St. Emmeram und den annähernd in der gleichen Zeit entstandenen ersten Anlagen der Stiftungen der „Alten Kapelle“ sowie von „Ober- und Niedermünster“. Leider lassen sich bei den letztgenannten drei Bauten nur auf schriftlichen Überlieferungen beruhende Mutmassungen aufstellen, da die ursprünglichen Anlagen selbst sich infolge von vollständigen Umbauten und der um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts erfolgten Verzopfung nicht mehr erkennen lassen und damit auch kein einwandfreies Urteil erlauben.

 

„Alte Kapelle“.

In der noch vorhandenen Gesamtanlage von der „Alten Kapelle“ einer dreischiffiigen Pfeilerbasilika, mit vorgelegten, etwas über die Seitenschiffe vorspringendem östlichen Querschiff, zeigt sich bereits, abweichend von der reinbasilikalen Form, wie man sie für die erste Anlage der Emmeramskirche von Italien übernommen hatte, das Bedürfnis, -- hervorgerufen durch das Anwachsen der Priesterschaft, -- in einer Kirche mehr Altäre zum Abhalten von Messen zu besitzen. Der Umstand ferner, dass bei dem vermehrten Heiligenkultus öfters zwei oder mehr Heilige als besondere Schutzpatrone eines Gotteshauses gebührende Verehrung finden mussten, hatte nicht nur, wie in der reinbasilikalen Anlage den Anbau von kleinen Apsiden als Abschluss der Seitenschiffe zur Aufstellung von Altären hervorgerufen, sondern auch bald zur Erbauung eines und später zweier Querschiffe geführt; mit der Notwendigkeit, mehr Raum für den eigentlichen Kult zu gewinnen, gelangte man zu der im südlichen Frankreich konstruktiv vorgebildeten Grundrissanlage des sogenannten lateinischen Kreuzes, das eine glückliche Lösung des Raumbedürfnisses darstellt.

 

Der schüchterne Versuch der Kreuzanlage, wie er sich gerade in dem nur wenig über die Seitenschiffe vorspringenden östlichen Querschiff der „Alten Kapelle“ kennzeichnet, möchte glauben lassen, dass Kunde von diesem Kompromiss des griechischen Kreuzes mit der basilikalen

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1) Abbildung bei H. Graf v. Walderdorff. Regensburg in seiner Vergangenheit und Gegenwart. Vierte Auflage 1896. S. 219.

 

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Anlage, den Frankreich am frühesten zeigte, durch Wandermönche eben von dort oder Oberitalien nach Regensburg gedrungen ist, hier aber noch nicht das nötige konstruktive Verständnis fand, weil man bei der allgemein üblichen Anwendung von flachen Holzdecken freien Spielraum in der Grundrissanlage hatte, gegenüber den sich aus dem gebundenen System ergebenden konstruktiven Notwendigkeiten. Diese Willkürlichkeit der Gründrissbildung weicht jedoch bald bei dem, durch das Aufblühen der Klöster und die Beihilfe der Herrscher unterstützten Streben, nicht nur grössere, sondern auch mit der Zeit fortschreitende Kirchenbauten auszuführen, einer grösseren Planmässigkeit, -- die zwar nie durch eine feststehende Norm gebunden -- doch mit mehr Verständnis Grundriss und Aufbau, unter Berücksichtigung praktischer Notwendigkeiten verbindet.

 

Unter den Karolingern, in Regensburg besonders unter Ludwig dem Deutschen, erfreuten sich nicht nur Klöster, sondern auch mit ihnen die künstlerischen Bestrebungen besonderer königlicher Gunst, die sich in Gewährung von Geldmitteln und besonders reichen Schenkungen aussprach. Dieser Herrscher war es auch, der die „Alte Kapelle“ in ihren Hauptbestandteilen neu erbaute und sie reichlich dotierte; ein grosser Teil dieses Baues ist noch unter der Rokokodecke erhalten und besonders das, wie erwähnt, nur wenig vorspringende östliche Querschiff, das als einzige derartige Anlage in Regensburg bemerkenswert ist; fast sämtliche übrigen Kirchen weisen ein westliches Querschiff auf, das später zu Westemporen wurde. Was den Bau noch besonders interessant macht, das ist der dazu gehörige, freistehende, mit der Kirche noch durch einen Schwibbogen verbundene Glockenturm (Abb. 1).

 

Abb. 1. Glockenturm der „Alten Kapelle“.

 

Glockenturm.

Ist urkundlich über den Bau der Kirche selbst überliefert, dass aus Mangel an Material die römische Stadtmauer als Steinbruch benützt wurde, so hat das die Untersuchung nicht nur an den Kirchenmauern, sondern auch an dem unteren Teil des Glockenturmes bestätigt, so dass mit Bestimmtheit der untere Teil des Glockenturmes wenigstens der Bautätigkeit Ludwig des Deutschen seine Entstehung verdankt. Haben wir aber die Bauten dieser Periode vorher als von Italien beeinflusst bezeichnet, so wird die ganz an die Gestalt der ursprünglichen italienischen Campanile erinnernde Turmanlage diese Behauptung nur noch bestätigen, wie uns auch der schmucklose, schlichte weitere Aufbau des Turmes --- mit Ausnahme der im

 

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XIII. Jahrhundert aufgesetzten oberen Laterne --- ein Bild der damaligen, jedes feineren Schmuckes entbehrenden Aussenarchitektur gibt.

 

Obermünster.

Der andere Bau, der seine Entstehung derselben Zeitepoche verdankt, ist die Kirche von Obermünster (Abb. 2); auch hier wird die ursprüngliche Anlage urkundlich auf die Gründung durch Ludwig den Deutschen zurückgeführt, dessen Gemahlin Hemma auch in der Kirche begraben liegt. Von der damaligen Kirche existiert nichts mehr; sie wurde vielmehr zwischen 1010 und 1020 von Kaiser Heinrich II. ganz neu aufgebaut und zwar mit dem für jene Zeit charakteristischen Querschiff, das erst später unter der Äbtissin von Sandizell 1683--1719 in der noch bestehenden Weise umgebaut wurde, wobei der schöne Ostchor vermauert und in eine Orgelempore umgewandelt wurde, während man den Hochaltar in den nach Westen über das Querschiff hinaus verlängerten Westchor transferierte; die grosse Einfachheit dieser Anlage, die eine Pfeilerbasilika

 

Abb. 2. Obermünster. Nord- und Chorseite.

 

mit quadratischen Pfeilern darstellt, --- auffallender Weise mit einer ungleichen Anzahl von Pfeilern der Nord- und Südarkadenwand -- zeigt sich besonders in der überaus primitiven Form der Pfeilergestaltung, deren Kämpfer bloss durch Kehle und Platte und deren Sockel eine Schräge mit Platte bilden; ebenso schmucklos gestaltete sich die Aussenarchitektur, der sogar der einfache Bogenfries fremd ist. Dieser ausgesprochene Mangel an Formensinn ist bezeichnend für die Anfänge der damaligen grösseren Kirchenanlagen und zeigt, dass wohl die technischen Schwierigkeiten das Können und die Kraft der Werkleute so vollständig in Anspruch nahmen, dass man an eine künstlerische Ausschmückung nicht denken konnte. Die folgenden Jahrhunderte mit ihrem so reich entfalteten Kunstsinn, suchten die Öde und Leere dieses Baues durch eine ausgiebige Verzierung der grossen Mittelschiffswände mit Malereien zu

 

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mildern, wie das die aufgedeckten und bei Walderdorff 1) abgebildeten und beschriebenen Wandbilder beweisen, die leider wieder übertüncht wurden.

 

Auffallend mag es erscheinen, dass weder die „Alte Kapelle“ noch „Obermünster“ eine Krypta besitzen, während von der Karolingerzeit an die Anlage von Krypten sehr beliebt ist und eine solche, wie schon besprochen, in der Emmeramskrypta bereits vorgebildet war. Auch die unter Kaiser Heinrich Il. nach einem Brande um 1020 erfolgte Wiederherstellung des westlichen Teiles der Emmeramskirche mit dem Querschiff war zuerst nicht mit der Erbauung einer Krypta verbunden, während die nachfolgende Bauperiode eine grosse Vorliebe zeigt für Krypten oder diesen ähnliche Räume mit auf Säulen ruhenden gewölbten Decken. Bis zu dieser Zeit bestand das tragende Element nur aus einfachen Pfeilern, deren Stellung in der neuen Bauperiode die Säule einnimmt.

 

Abb. 3. Glockenturm von Obermünster.

 

Westquerschiffe.

Die eben besprochenen Bauten weisen jedoch eine andere Eigenart auf, die besonders bezeichnend ist für die unter Kaiser Heinrich II. in Regensburg entstandenen Kirchenbauten. Dieses neue Entwicklungsmoment des romanischen Kirchenbaus bilden die Westquerschiffe mit Westchor zwischen zwei Fronttürmen, eine Anlage, die zu den deutlichsten Wahrzeichen des sächsisch-romanischen Stils zählt. Der sächsische Herrscher, der ein grosser Gönner der Kirche war, hat aus seiner Heimat eine derartige Anlage bei der Erneuerung des westlichen Teils von St. Emmeram hieher verpflanzen wollen; ist auch diese Absicht an diesem Bau nicht zur Ausführung gelangt, weil von den beiden beabsichtigten zwei Westtürmen der südliche gar nicht und der nördliche nur bis zur Dachhöhe gediehen ist --- wohl aus Mangel an Geldmitteln und wegen des nach Heinrich II. Tode in anderem Sinne unter Abt Reginward erfolgten Umbaues --, so tritt der Plan doch deutlich zutage. In dem später jedoch unter Hirsauer Einfluss stehenden Umbau von Niedermünster hat das Motiv der Westempore mit darunter liegender Vorhalle, die von zwei Westtürmen flankiert wird, auch Anwendung gefunden. Beim Bau von Obermünster unter Heinrich II. war zwar nur eine Westempore als

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1) H. Graf von Walderdorff, Regensburg in seiner Vergangenheit und Gegenwart. 4. Auflage. 1896. S. 217.

 

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Frauenchor mit einer Vorhalle, in die auch der Kircheneingang führte, vorgesehen, wenn auch der jetzige Zustand durch den Ausbau des Westchores unter der Äbtissin von Sandizell ein anderer ist. Auf die Anlage von zwei Westtürmen hatte man verzichtet, offenbar weil die Anlage eines freistehenden Glockenturmes damals geläufiger und vielleicht schon vorgesehenwar, entsprechend dem ersten derartigen Vorbild.

 

Glockenturm.

Dafür ist der schöne Glockenturm (Abb. 3) noch erhalten, der, wenn auch in seinem unteren Teil aus Quadern. der römischen Stadtmauer erbaut, doch erst der Bauperiode unter Heinrich II. zuzuschreiben ist. Von grossem Interesse ist nämlich die Ornamentierung der Kämpfer des südlich in den Turm führenden Portals, die eigentlich den ersten Nachweis ornamentaler Kunst in Regensburg liefert; sie scheint dem sächsisch-romanischen Stil anzugehören und zwar soll nach Walderdorff das gewundene Strick- und Blattornament, mit dem der Kämpfer verziert ist, in ganz ähnlicher Ausführung in der Abteikirche in Quedlinburg zu finden sein. Für jeden Fall ist das Auftreten und erstmalige Vorkommen von Ornamentik, die erst gegen Ende der nächstfolgenden Periode vereinzelt auftritt, schon bemerkenswert, abgesehendavon, dass man es mit rein geometrischen and pflanzlichen Motiven zu tun hat, im Gegensatz zu der in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts einsetzenden ausgeprägten Vorliebe für üppiges Pflanzen- und besonders für das Tierornament. Nur der untere Teil des Turmes, aus grossen Quadern aufgeführt, gehört jener Bauperiode an, während die oberen Stockwerke später entstanden sind und sowohl durch die Abteilung der Stockwerke, durch zierliche Rundbogenfriese, die auf fein profilierten Konsolen ruhen, wie auch in der ganzen Mauertechnik mit den ziegelartig behauenen Bruchsteinen und grösseren Werkstücken an den Ecken auf die Mitte des XII. Jahrhunderts hinweisen und eine grosse Ähnlichkeit mit der hiesigen Allerheiligenkapelle zeigen.

 

Die erste Blütezeit romanischer Kunst unter italienischem Einfluss.

 

Zwischen diesem letztgenannten Bau und dem eben besprochenen liegt jedoch eine Epoche reicher Bautätigkeit von grossem baugeschichtlichen Interesse und zwar sind es die Stephanskapelle, der Portalumbau von St. Emmeram und enger zusammengehörig noch die Wolfgangskrypta, die Magdalenenkapelle und die Donaustaufer Burgkapelle. Die Hauptmerkmale, die diese Bauperiode zusammenschliessen, sind folgende: kleinere Anlagen, Belebung der Wände durch halbrunde Nischen, damit zusammenhängende Überwölbung unter gleichzeitiger Ausbildung der Stützen zunächst als Pilaster und dann als Säulen; feinere Profilierung der Kämpfer und Sockel, sowie bei der Wolfgangskrypta, der Magdalenenkapelle und Staufer Burgkapelle charakteristische Ausbildung des Abacus, der einem zwischen dem Kapitäl und dem Gewölbeansatz eingeschobenen umgekehrten Trapez ähnelt und als dem eigentlichen Würfelkapitäl gleichwertiges Glied erscheint. 1)

 

St. Stephan.

Von diesen fünf sich durch die Nischenarchitektur ähnelnden Bauwerken macht die Palastkapelle von St. Stephan oder der sogenannte

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1) Abbildung bei der Stauferkapelle.

 

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Alte Dom“ sowohl in seiner Gesamtanlage, wie in der technischen Ausführung den Eindruck des grössten Alters. Die Anlage zeigt ein aus zwei Quadraten bestehendes Rechteck, das von zwei Kreuzgewölben ohne Gurten überspannt ist. Das östliche Quadrat ist nördlich und südlich durch je zwei hohe Rundbogennischen gegliedert, die ihrerseits durch je einen schmalen, schlanken, wenig vortretenden Pilaster getrennt sind; das westliche Quadrat hat noch ausser an der Nord- und Südseite auch an der Westseite zwei Nischen, während die Ostseite des östlichen Quadrates mit einer grösseren Apsis abgeschlossen ist, in welcher ein Steinaltar steht, dessen Fensterchen offenbar den altchristlichen „transennae“ nachgebildet sind. 1) Die westliche Hälfte des westlichen Quadrates nimmt eine auf zwei kleinen Kreuzgewölben ruhende Empore auf, die ihren Stützpunkt auf einem Mittelpfeiler findet; die vier gleichen Rundbogennischen setzen sich auch über der Empore fort, ein Umstand, der neben dem auch stilistisch anders behandelten Mittelpilaster die Vermutung nahe legt, dass diese Empore etwas später eingebaut wurde, um so den Zweck einer bischöflichen Hauskapelle besser zu erfüllen. Was die Profile an den Pilastern anbelangt, so machen sie trotz der -- im Gegensatz zu den bis zu dieser Zeit höchst primitiven Formen -- reichen und feinen Gliederung, durch ihre wenig sorgfältige Ausführung den Eindruck einer sehr geringen Steinhauertechnik; ferner verrät die bei der Restauration des Gewölbes aufgedeckte Gewölbedicke von über einem halben Meter -- bei ungefähr sechs Meter Spannweite -- eine in der geringen Wölbetechnik begründete übergrosse Ängstlichkeit. Auffallend ist die Ähnlichkeit der Profile an den Pilastern mit den Profilen der anderen Bauten dieser Gruppe. Jedenfalls ist die Kapelle eine Vorläuferin der folgenden Bauwerke und ist deren Erbauung in die erste Hälfte des XI. Jahrhunderts zu verlegen; sie steht im engsten Zusammenhang mit der genannten Baugruppe, die wenn nicht auf einen gemeinschaftlichen Schöpfer, so doch auf eine gemeinsame und zwar aus Italien stammende Schule zurückzuführen ist.

 

Die Überwölbung eines Raumes und zwar -- fast nur quadratischer Räume -- verbunden mit der Belebung der Wände durch Nischen, deren Zwischenpfeiler als vorgelegte Pilaster ausgebildet sind, das sind, zusammen mit der reicheren Profilierung, Motive, die in ihrem plötzlichen Auftreten nicht auf einmal den Ideen und dem Können eines einheimischen Meisters entsprungen, sondern vielmehr einer fertig vorgebildeten Architektur entnommen sind.

 

Nordportal von St. Emmeram.

Bei dem anderen hieher gehörigen Bauüberrest, nämlich dem Nordportal von St. Emmeram (Abb. 4) gestaltet sich der Beweis seiner Zugehörigkeit zu dieser Baugruppe wesentlich schwieriger. Es ist hier nicht der Zweck zu den vielen Mutmassungsbeweisen einen neuen hinzuzufügen, aber soviel steht fest, dass der Portalbau, wie er auf uns gekommen ist, eine Adaptierungsarbeit an den Überbleibseln eines älteren Baus ist -- aber wohl kaum, wie Prof. Pohlig meint, eines Baus aus der Zeit des Bischof sindpert oder Abt Ramwolds -- und dass Abt Reginward denselben bei der Ausgestaltung des westlichen Teiles der Emmeramskirche, nämlich bei der Erbauung des westlichen Querschiffes mit dem Westchor und der Wolfgangskrypta, beibehalten und nur dem Bedürfnis entsprechend

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1) Siehe Walderdorff, S. 175. Abbildung ebendort S. 174.

 

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umgeändert und ausgestaltet hat. Dass der ursprüngliche, nur zum Teil verwendete Bau aus so früher Zeit stamme, dagegen spricht die Anwendung von Nischen, die der damaligen Baukunst, die sich, wie schon erwähnt, mit dem Allernotwendigsten begnügte, zu kompliziert war und ferner noch die jener Zeit völlig fremde, feine Profilierung des Kämpfergesimses -- vorausgesetzt, dass dasselbe nicht auch bei der Umänderung erst neu eingesetzt wurde, was nur eine genauere Untersuchung des Mauerwerks erweisen könnte. 1)

 

Von weit höherem Interesse sind die drei eng zusammengehörigen Bauten, die Wolfgangskrypta, die Magdalenen- und die Staufer Burgkapelle, nicht nur deshalb weil uns deren Anlagen noch ziemlich unversehrt

 

Abb. 4. Nordportal von St. Emmeram.

 

erhalten sind, sondern auch weil sie einen bedeutenden Fortschritt der Regensburger romanischen Baukunst aufweisen. In der Mitte des XI. Jahrhunderts unter dem baulustigen Abt Reginward wurde der schon unter Heinrich II. geplante Anbau eines westlichen Querschiffes mit Westchor über der Wolfgangskrypta, die von zwei Westtürmen flankiert werden sollten, vollendet. Wie früher die Verehrung des hl. Emmeram zur Erbauung der Emmeramskrypta geführt hatte, so war jetzt das Bedürfnis, zum Kult des hl. Dionysius eine geeignete Stätte zu haben, die Veranlassung

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1) Anmerkung. Wenn der Umbau aber wirklich an dem Werk sindperts vorgenommen worden sein soll und zwar 1052, so müsste letzteres, das bis zum Brand von 1166 bestanden haben soll, als Durchgangsraum zur eigentlichen Kirche gedient haben, um dann der noch teilweise bestehenden Vorhalle gegen Ende des XII. Jahrhunderts Platz machen. Im übrigen siehe Th. Pohlig, die romanische Baukunst in Regensburg und Walderdorff, Dr. Hagers Text zu O. Auflegers: Mittelalterliche Bauten Regensburgs.

 

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zur Errichtung des Querschiffes mit Westchor, unter dem, der damaligen beliebten Bausitte entsprechend, die Krypta eines Lokalheiligen, des hl. Wolfgang, Platz fand.

 

Wolfgangskrypta.

 

Abb. 5.

 

Aber nicht so sehr der erhöhte Westchor, der gleich dem Querschiff die grösste Einfachheit aufweist, erregt das meiste Interesse, als vielmehr die teilweise unter dem Querschiff und dem Westchor errichtete Krypta(Abb. 5); ihre Grundform ist ein Quadrat, das durch die vortretenden Mauern des Dionysiuschores in zwei auch verschieden angelegte Teile zerfällt. Der westliche Teil ist ein Nischenbau, in dessen Westwand sich fünf Nischen verteilen, denen fünf Schiffe entsprechen, die nicht wie bisher durch Pfeiler, sondern durch Säulen getrennt sind. Zum erstenmal tritt in der romanischen Bauweise Regensburgs die Säule als Stütze auf und zwar bestehen die beiden äusseren Reihen aus je vier runden Säulen, während die Säulen der inneren Reihe rechteckige Formen haben. 1) Hier finden sich auch, wie das schon Dr. Hager sagt, die ersten Würfelkapitäle mit ihrer für diese Baugruppe charakteristischen Ausbildung der Deckplatte. 2) Die Baswen sind reich und verschieden gegliedert, mit der besonders das frühe Mittelalter bezeichnenden grossen Hohlkehle in der MitteMitte, jedoch noch ohne Eckblatt, ein übriger Beweis ihrer Entstehungszeit vor dem XII. Jahrhundert; den Säulen entsprechen an den zwischen den Nischen stehenden Wandpfeilern profilierte Kämpfer. Eine weitere Neuerung der Wölbekunst ist noch durch die Einwölbung der Kreuzgewölbe zwischen Gurten zu verzeichnen, die einen wesentlichen Fortschritt bedeutet und ebenso bei den beiden anderen Bauten, der Magdalenenkapelle und der Staufer Burgkapelle Anwendung findet.

 

Magdalenenkapelle.

Gleichzeitig mit dem Westbau und der Wolfgangskrypta ist -- abgesehenvon einem architektonisch wenig bedeutenden viereckigen Raum im untersten Turmgeschoss -- die darüber liegende Magdalenenkapelle entstanden; sie liegt auf gleichem Niveau mit dem Westchor und ist in den unteren Teil des nur zur Dachhöhe gediehenen nördlichen Turmes eingebaut. Während des Baus verzichtete man wohl auf die Hochführung der Türme und legte dann, um den einmal geschaffenen Raum nicht unbenützt zu lassen, die kleine Kapelle in dem Turmuntergeschoss an; dass man den Turm nie benützte beweist, dass die Magdalenenkapelle, ebenfalls ein Nischenbau 3) mit je zwei Nischen an drei Seiten und einer grösseren Altarnische im Osten, von Kreuzgewölben auf Gurten überspannt war, die ihre gemeinsame Unterstützung in einer Mittelsäule fanden. Die Anwendung breiter Gurten verlangte auch eine grössere Auflagerfläche als sie die kleinen Würfelkapitäle hatten und diese konstruktive Notwendigkeit führte dann zu der erwähnten Ausbildung und ungewöhnlichen

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1) Abbildung bei H. v. Walderdorff. S. 318.

2) Vergleiche Abbildung der Kapitäle der Staufer Burgkapelle.

3) Ein wohl erhaltenes Denkmal einer ganz verwandten Nischenarchitektur bietet die Apsis vom Baptisterium St. Johannes in Poitiers (Rivoira Band II.) S. 85.

 

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Verbreiterung des Abacus, dessen eigentlich plumpes Aussehendurch die reiche Profilierung ebenso wie an der Wolfgangs- und Staufer- Burgkapelle 1) abgemindert wurde; durch diesen Ausweg konnten die Säulen im richtigen Verhältnis zum zierlichen Bauwerk bleiben und doch ihre Funktion ausüben.

 

Abb. 6. Burgkapelle in Donaustauf.

 

Gegenüber der Wolfgangskrypta tritt jedoch noch eine andere Ausbildung der Einwölbung auf; während bei jener die Gurtbögen auf Kämpfern ruhen, ziehen sich bei der Magdalenenkapelle um die Nischen und an den Wänden Schildbogen hin, die ihrerseits auf Säulen sitzen, die auf hohen Sockeln an den Wänden zwischen den Nischen vorgesetzt sind. Die Nischen reichen mit Ausnahme der östlichen Altarnische, die besonders ausgebildet ist, bis zum Boden; sie hört 1 m über dem Boden auf und ist zu beiden Seiten von Rundsäulchen, in kleinen rechtwinkligen Vertiefungen stehend, eingerahmt, auf deren Deckplatte der äussere Teil der Nischenwölbung wie ein Schildbogen aufsitzt. Die übrigen vor den Nischenpfeilern stehenden Säulen sind rechteckig und ruhen auf quadratischen Sockeln; im übrigen zeigen sie dieselbe charakteristische Gestaltung der Deckplatte, die auch im Profil fast genau dieselbe ist, wie bei den anderen zwei Bauten. Hatte schon die Wolfgangskrypta, durch die mit den Nischen korrespondierenden Kreuzgewölbe einen einheitlichen Eindruck gemacht, so kann man das noch mehr von dieser kleinen Kapelle sagen, in der bereits auch die Feinheiten der Wölbekunst und deren organischer Zusammenschluss mit dem Grundriss voll zur Geltung kommen.

 

Burgkapelle in Donaustauf.

Denselben eigenartigen Baugedanken finden wir in reicher Ausführung in der nur zum Teil erhaltenen Kapelle der ehemaligen bischöflichen Burg Donaustauf (siehe Abb. 6); wenn auch der jetzige Zustand der Kapelle nicht mehr den unbedingten Schluss erlaubt, dass sie wie das Dr. Hager behauptet ehemals auch quadratisch war, so liegt bei der sonstigen

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1) Siehe Abbildung bei der Burgkapelle.

 

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Ähnlichkeit der Anlage auch die Wahrscheinlichkeit nahe, dass man gleich den beiden anderen Bauten am Quadrat festhielt. Da die Zahl der Nischen an jeder Wand dann drei beträgt, so bedurfte man zur Unterstützung der Kreuzgewölbe vier Mittelsäulen, so dass also eine ziemlich reiche Anlage entstand. An den Wänden zwischen den Nischen und auch in den Ecken -- eine neue Variation -- befinden sich wieder runde Säulen, die ebenso wie in der Magdalenenkapelle auf aus viereckigen Platten gebildeten Sockeln stehen; auf diesen Säulen ruhen die über die Halbkugelfläche der Nischenwölbung vortretenden Schildbogen der Kreuzgewölbe, wie auch die Gurtbogen; beide schliessen mit der grossen Deckplatte der niederen gedrückten Würfelkapitäle bündig ab. Die Basen zeigen zwei grosse Wülste und nur eine kleine Hohlkehle und sind ohne Eckzier. „Was diese Bauten noch besonders als zusammengehörig und interessant erscheinen lässt, das ist die Art wie je zwei durch einen Wandpfeiler geschiedene Nischen in einem Gewölbejoch organisch zusammengefasst sind und nicht minder das Motiv vollrunder Säulen, welche den Pfeilern zwischen den Nischen vorgestellt sind und in der Magdalenenkapelle die Halbkuppeln der Nischen, in der Stauferkapelle die denselben vorgelegten Schildbogen tragen. Säulen von solcher Anordnung und Funktion finden sich nach dem Vorbilde römischer Bauten der Kaiserzeit in altchristlichen Baptisterien 1) (Dehio und v. Bezold: die kirchliche Baukunst des Abendlandes). „Welchen Einfluss, sagt Hager, die Kunst des Meisters übte, zeigt auch die Verwendung vollrunder Säulen als Träger der Spitzbögen im nordöstlichen Kreuzgangsjoche von St. Emmeram.“

 

Man kann zusammenfassend sagen, dass durch diese Bauepoche, die eine Blüteperiode in der Regensburger Baukunst bildet und den Bann der starren Ungelenkigkeit gebrochen hat, unter italienischem Einfluss sich sowohl eine ganz eigenartige Grundriss- und Wölbungslösung gefunden hat, als auch die Detailkunst eine ganz den südlichen Vorbildern entsprechende Ausbildung erfahren hat, jedoch nur eine streng tektonische Anwendung findet, im Gegensatz zu der, mit dem nordischen Einfluss einziehenden Lust an reicher oft überschwenglicher Dekoration.

 

Regensburg unter dem Einfluss der Hirsauer Bauschule.

 

Ehe jedoch die reiche Kunstblüte unter nordischem Einfluss einsetzt, kommt noch ein anderer rein tektonischer Einfluss zur Geltung, nämlich die von Schwaben aus wirkende Hirsauer Schule. Auf alemannisch-schwäbischen Boden hatte im Anschluss an die rege Bautätigkeit der spätkarolingischen Periode, die streng kirchliche, den Neuerungen abholde Richtung der Cluniazenser in dem Kloster Hirsau einen mächtigen Stützpunkt gefunden. Die von Hirsau ausgehende Bauweise fand schnell auf deutschem Boden gegen Ende des XI. Jahrhunderts grosse Verbreitung und übte einen beträchtlichen Einfluss auf eine Reihe hervorragender Kirchenbauten aus der ersten Hälfte des

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1) Dr. Hager. Mittelalterliche Bauten Regensburgs. S. 7. Vergleiche: Antike Thermen, Baptisterium zu Ravenna.

 

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XII. Jahrhunderts und so auch auf die Regensburger Baukunst, wo sie auch, wie in ganz Bayern lokale Eigenschaften aufweist.

 

Klosterkirche in Prüfening.

Dr. Hager 1) bespricht bereits „die gegenüber dem Formenreichtum der vorigen Periode reaktionär schlichte Bildung der Zierformen“ und weist an einigen Bauten, besonders an der Prüfeninger Klosterkirche (Abb. 7)

 

Abb. 7. Klosterkirche in Prüfening.

 

den Zusammenhang dieses Baues mit der Hirsauer Bauschule nach, der sich besonders durch die über das Querschiff hinaus als Nebenchöre fortgesetzten Seitenschiffe, durch die beiden Osttürme über dem Schluss der Nebenchöre, durch die schlanken Verhältnisse im Aufbau, durch die tiefe Vorhalle und das Westportal in seinen einfachen schlichten Formen, als den Hirsauer Bauten vom Ende des XI. und Anfang des XII. Jahrhunderts angehörig erweist; zugleich ist das Fehlen der Krypta bemerkenswert -- wenn auch die wirksame Überhöhung des Chores als Überbleibselder früheren Kryptenanlagen bestehen bleibt -- wiederum ein Cluniazenser-Zug! Die Ausbildung einer grösseren Höhenentwicklung und schöner Massverhältnisse, die den Hauptreiz der Hirsauer Bauten bildet, blieb auch nicht ohne Einwirkung auf andere Regensburger Bauten. Wurde bei dem ersten Bau dieser Richtung in Regensburg, nämlich in der Prüfeninger Klosterkirche auch noch der Pfeiler -- weil bis dahin bei grösseren Bauten infolge leichterer technischer Ausführbarkeit und grösserer Tragfähigkeit hier allein herrschend -- vor der Säule bevorzugt, so tritt doch neben den zierlichen Säulchen der Turmschallöcher ein sehr hübsches Motiv auf, nämlich die durch Nischen mit auf Säulchen ruhenden Doppelbögen durchbrochenen Chorwände (Abb. 8).

 

Abb. 8. Klosterkirche in Prüfening. Chordurchsichten.

 

Die Kirche zeigt sonst die eben besprochenen Charakteristika der Hirsauer Bauschule. Den Hauptschmuck im Innern bildeten, die noch ziemlich umfangreich erhaltenen hübschen Malereien.

 

Niedermünster.

Nächst Prüfening zeigt die Kirche von Niedermünster, eine dreischiffige, ehemals flachgedeckte Basilika ohne Querschiff mit einem Westportal

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1) Dr. Hager. S. 8.

 

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und zwei Westtürmen (Abb. 9) -- der einzigen in Regensburg vorhandenen romanischen Westfrontausbildung --- in ihrer Anlage grosse Ähnlichkeit mit den Merkmalen der Hirsauer Bauschule; besonders charakteristisch sind die in einer Flucht mit dem Chor abschneidenden Seitenschiffe, die vom Hauptchor durch die zwischen Pfeilern hochgeführten Chorwände getrennt sind, die ihrerseits durch die erhaltenen rundbogigen Durchsichten durchbrochen sind, deren Mittelsäulen Würfelkapitäle tragen und ganz mit der Chorausbildung der Prüfeninger Klosterkirche übereinstimmen. Die ausgebildete Mauertechnik und die akanthusartigen Blätterkapitäle am Süd- und Westportal (Abb. 10, vergleiche auch Abb. 26, Fig. 5) verraten dagegen normännischen Einfluss. Einige Würfelkapitäle und besonders ein mit einem primitiven Blattornament und einer strickartig gewundenen Deckplatte verziertes Kapitäl enthält der sich nördlich anschliessende Kreuzgang.

 

Allerheiligenkapelle.

Dass der Einfluss von Süden aber noch immer nicht ganz ausgeschaltet war, beweist ein anderer, wenn auch kleiner Bau, nämlich die Allerheiligenkapelle am Domkreuzgang (Abb. 11). Aus Italien, wo der Zentralbau mehrfach und besonders bei grösseren Schöpfungen wie bei Baptisterien angewendet wurde, hatte Karl der Grosse in seinem Münsterbau diese reiche künstlerische Bauform über die Alpen gebracht; aber sie konnte der schon eingebürgerten basilikalen Form, die vor allem keine zu hohen Anforderungen an die Konstruktionsverhältnisse des noch ungelenken Volkes stellte, keine Konkurrenz machen und findet nur ausnahmsweise und in kleinen Verhältnissen Anwendung. So ist auch diese Kapelle der einzige derartige Bau Regensburgs, der sich als eine quadratische Anlage mit drei Apsiden in der Grundform darstellt und „als solche an italienische Zentral- und im Aufbau mit der achteckigen Kuppel an ebensolche Kuppelbauten erinnert“; 1) während das Innere

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1) Dr. Hager. S. 9.

 

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nur durch die teilweise erhaltene Bemalung wirkt und einen schon viel erwähnten, berühmten alten Altartisch 1) enthält, ist die Aussenarchitektur äusserst zierlich gestaltet und zeigt im Einklang mit den kleinen Massverhältnissen des ganzen Baues eine feine Gestaltung und Ausführung der Zierformen. „Besonders der eigenartige Charakter der Profile an den kleinen Konsolen des Rundbogenfrieses, den Gesimsen und den Kämpfern der Pilaster, die mit Laternen ausgestattet sind“ 2) -- ein Motiv, das man auch in der Normandie so an St. Laurent de Falaise (Calvados) und in Montgaroult (Orne) findet -- „besonders die an die Profile der Staufer Schlosskapelle anklingenden, unmittelbar aufeinandersitzenden kleinen Kehlen, möchte an Meister ähnlichen Ursprungs, wie sie die Erbauer der Kapellen der vorhergehenden Epoche waren, erinnern, so dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass, wie an dem etwa gleichzeitigen Glockenturm vom Obermünster und an der Niedermünsterkirche, auch an der Allerheiligen Kapelle italienische Werkmeister „commocini“ gearbeitet haben, die ausser der vorzüglichen Mauertechnik, die an all diesen Bauten durch die ziegelartig bearbeiteten Bruchsteine charakterisiert wird, auch die ihnen aus dem Heimatland geläufigen Zierformen antiken und byzantinischen Ursprungs zur Anwendung brachten.

 

Abb. 9. Niedermünster. Westtürme.

 

In diese Zeit fällt wohl auch die Erbauung des St. Georgii-Kirchleins im Witfend, einer erst kürzlich aufgedeckten Kapelle, die in dem erhaltenen Teil der Apsis sich als dieser Zeit angehörig erweist und nach den Ausführungen des Herrn Studienrats C. Th. Pohlig die erste Doppelkapelle darstellt. 3)

 

So hatte innerhalb eines Jahrhunderts vom Anfang des XI. bis Anfang des XII. Jahrhunderts die romanische Baukunst Regensburgs, an

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1) Abbildung bei Springer s. o.

2) Dr. Hager S. 9.

3) C. Th. Pohlig. Die Kapelle St. Georgii am Witfend.

 

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der Hand südländischer Vorbilder und Hirsauer Meister einen grossen Aufschwung genommen, der eine feste Grundlage nicht nur des technischen, sondern auch des künstlerischen Könnens schuf, die notwendig war, um die Fülle neuandrängender Einflüsse der kommenden Epoche aufzunehmen, zu verarbeiten und sie dann zu der hohen Kunstblüte zu bringen, deren Überreste uns jetzt noch mit grösstem Interesse erfüllen. Nicht mehr die Originalität der Grundriss- und Aufriss-Lösung verbraucht das ganze Können der Meister -- sie haben vielmehr gelernt die technischen Schwierigkeiten leichter zu überwinden und können nun ihr Augenmerk mehr der künstlerischen Dekorationsweise widmen, die in der reichen und mannigfachen Ornamentik und Skulptur ihren Höhepunkt erreicht.

 

Abb. 10. Niedermünster. Südportal.

 

Die Kunst der Schottenmönche.
Zweite Blütezeit und Höhepunkt der romanischen Kunst in Regensburg.

 

Eine ganz andere Epoche der romanischen Baukunst Regensburgs beginnt um die Mitte des 12. Jahrhunderts und besonders mit dem Hauptbauwerk dieser Zeit, dem Bau der Schottenkirche von St. Jakob. Weniger in der Grundrissanlage, die, wie wir sehen werden, der Hirsauer Bauschule entsprungen ist, als vielmehr in dem plötzlichen Auftreten einer völlig anderen bis dahin in Regensburg fremden Auffassung der Ornamentik und der ganzen Dekoration, zeigt sich der grosse Unterschied zwischen der vorhergehenden und der jetzt folgenden Kunstepoche, der einen tief einschneidenden Wendepunkt nicht nur in der lokalen

 

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Kunst Regensburgs, sondern fast in der ganzen damaligen romanischen Bauweise Süddeutschlands bildet.

 

Hier setzt im Gegensatz zum südlichen der nordisch-germanische Einfluss ein, der Regensburg durch die Schotten-Wandermönche übermittelt wurde.

 

Irland und die Schottenmönche.

Zunächst bedarf gleich der Name einer Erläuterung, neben der Irland und die Erklärung des Auftretens dieser fremden Mönche. 1) „Nicht etwa Schottländer sind unter diesen Schotten zu verstehen, sondern die stammverwandte Bevölkerung Irlands ist es, welche in den frühen Jahrhunderten des Mittelalters allein dem Kontinent bekannt wurde und sich überall unter dem Namen „Schotten“ bezeichnet findet. In Erin, auf der fabelreichen Smaragdinsel haben wir die Heimat dieserPilger zu suchen, die als Irländer, leicht erregbaren Gemütes, für religiöse Vorstellungen immer besonders empfänglich gewesen zu sein und sich ihnen mit besonderer Innigkeit hingegeben zu haben scheinen. Schon in der heidnischen Zeit galt die Insel für heilig und war hier der Hauptsitz der Druiden-Herrschaft. Als ihnen dann von der verwandten Bevölkerung Galliens und Britanniens die Predigt des Christentums gebracht wurde, nahmen sie auch diese mit grosser Bereitwilligkeit auf; die Druiden scheinen sich derselben nicht widersetzt zu haben, sondern sie verwandelten sich selbst in christliche Priester und retteten so ihre Herrschaft über die Gemüter der Menschen.

 

Abb. 11. Allerheiligenkapelle.

 

Mit dem Christentum aber, mit den zahlreichen einwandernden britischen, gallischen und römischen Geistlichen kam zu dem schon früher nicht kenntnislosen, sondern geschickten Volk die christlich-römische Wissenschaft und mancherlei neue Kunst. Sie lernten

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1) F. v. Quast und U. Otte. Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst. 1856. 1. Band. Die Kongregation der Schottenklöster in Deutschland. S. 21.

 

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schöner und besser -- wenigstens im Vergleich zu dem gewiss üblichen Holzbau solider zu bauen, Kalk und Mörtel anzuwenden und Bogen zu wölben, auch kostbares Gerät für den Dienst der Kirche zu verfertigen -- alles wohl eine willkommene Übung für die schon am Holzbau blühende ornamentale Kunst, die sich weiterhin ganz deutlich in ihren kunstvollen Handschriften fortpflanzte; „sie lernten auch lateinische Sprache und Schrift und vervielfältigten mit grossem Eifer die zu ihnen gebrachten Handschriften und gewannen dadurch bald den Ruf der geschicktesten Schreiber der damaligen Zeit.“ Damit in Verbindung stand das rasche Entstehen von zahlreichen Klöstern, in denen Kunst und wissenschaftliche Tätigkeit Pflege fanden. Die Forschungen Salins 1) haben schon ergeben, dass sich im VI. Jahrhundert ein starker Einfluss von Norden her über grosse Gebiete des mittleren Europa fühlbar machte, „trotzdem der Kulturstrom bisher Jahrtausende lang und nachmals so gut wie immer, sich hauptsächlich in entgegengesetzter Richtung bewegte.“ Allein abgesehen von den archäologischen Tatsachen, die diesen Verlauf in unverkennbarer Weise ans Licht legen, lassen die damaligen Verhältnisse verstehen, weshalb gerade um diese Zeit die Kulturströmung die hier angegebene Richtung einschlug. Während der nächst vorausgegangenen Jahrhunderte hatte namentlich der von Südosten kommende Kulturstrom dem Norden eine Menge neuer Motive aus der klassischen Kunst zugeführt und nachdem der Verkehr mit dem Süden durch das verheerende Hereinbrechen der germanischen Völkermassen abgeschnitten war, wurden diese Motive von den nördlichen Germanen umgebildet und zwar in voller Übereinstimmung mit der germanischen Eigenart; frei von jedem fremden Einfluss, war es für die Nordgermanen naturgemäss, dass sie gerade dem meist Individuellen in ihrer Begabung Ausdruck verliehen. In dieser Zeit, in der das Abendland rettungslos in Barbarei zu versinken schien, bot nun fast allein Irland eine Zufluchtstätte für die alte Kultur, die in aller Ruhe eine nordisch-individuelle, teilweise autochthone Umbildung erfahren konnte. Die mit dem Christentum eingeführte christlich-römische Wissenschaft fand dort fruchtbaren Boden und deren schriftliche Vervielfältigungen gaben Anlass zu kunstvollen Ausschmückungen, wie uns das die noch erhaltenen irländischen Handschriften, wie das Book of Durrow, Book of Lindisfarne, Book of Kells und andere beweisen, die sämtlich glänzende Proben dieser feinen Detailkunst enthalten und von der fleissigen Kunstübung in den Klöstern zeugen; „diese bevölkerten sich rasch durch die für das Christentum gewonnenen Angelsachsen, die scharenweise nach der heiligen Insel hinüberströmten,“ 2) um aus den Schulen dieser gefeierten Lehrer als Pilger und Evangeliumsverkünder sich über Frankreich und Deutschland zu verbreiten. In den in Irland entstandenen Klöstern insbesondere, entwickelte sich eine ganz eigenartige Kultur, die mit der Übung der antiken Literatur eine geradezu glänzende Ausbildung der germanischen Kunst und damit der Tierornamentik verband. Lässt sich nun ein um diese Zeit -- VI. und VII. Jahrhundert -- von Norden her sich geltend machender allgemeiner Einfluss auf dem europäischen Kontinent bemerken,

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1) Bernhard Salin. Die altgermanische Tierornamentik.

2) F. v. Quast und H. Otte. Die Kongregation der Schottenklöster S. 22.

 

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so darf das wohl zu der Annahme berechtigen, dass insbesondere durch die in den irischen Klöstern ausgebildeten Missionare, die sich bald über England und Frankreich verbreiteten und tief nach Deutschland eindrangen, diese Kunstübung, von deren glänzenden Leistungen die wenigen oben genannten Werke Zeugnis ablegen, in ihrer ursprünglichen Frische in die nächstliegenden Länder gebracht und auch, wenngleich verblassend, so doch in manchem charakteristischen an die Stätten der Wirksamkeit jener Irenmönche verpflanzt wurde.

 

Irische Kunst auf dem Kontinent.

In England und dem nördlichen Frankreich -- der späteren Normandie, -- den zunächst in Betracht kommenden Ländern mag von der irischen Kunstüberlieferung am meisten hängen geblieben sein, wie ja auch später die Normannen auf ihren Eroberungszügen mit den Denkmälern irischer Kunst in engste Berührung kamen; umgekehrt gewann dann mit der politischen Machtstellung der Normannen ums Jahr 1000 die normännische Kunst, in der die irische aufgegangen war, die Oberhand; wie frisch irische Kunst sich auch noch ziemlich weit vom Stammland erhalten hat, dafür mögen wohl die erhaltenen verschiedenen Codices von St. Gallen als beredtes Zeugnis dienen.

 

Nun finden wir zwar an erhaltenen Denkmälern in Regensburg -- denn von diesen soll ja hier die Rede sein --, kaum einen auf den ersten Blick auffallenden Zusammenbhang; aber man darf dabei nicht vergessen, dass sich die auf dem Pergament erreichbare, beinahe übergrosse Zierlichkeit der Zeichnung und der Formen, kaum je auf Stein, gewiss aber nicht auf dem in hiesiger Gegend zu Gebote stehenden, rauhen Steinmaterial erreichen liess. Man kann deshalb auch gar nicht verlangen, dass die noch erhaltenen Steinskulpturen im Detail eine ins Auge fallende Ähnlichkeit mit der alten irischen Kunst erkennen lassen müssen, die ja auch nur als ein in der normännischen Kunst aufgegangener Bestandteil wirken kann; ausserdem entstammen ja auch die wenigen uns erhaltenen Denkmäler einer viel späteren Zeit und naturgemäss wurde der ursprüngliche Charakter des feinsten Details eben durch die Zeit verwischt. Allein die offenkundige Eigenart der ornamentalen Behandlung an den in der Schottenperiode entstandenen Bauten zeigt so grosse Verwandtschaft mit der normännischen Kunst, dass gerade diese Eigenart zu einer genaueren Untersuchung berechtigt.

 

Die Irenmönche u. die normännische Kunst.

Wie schon oben erwähnt, war eben nach den Eroberungszügen der Normannen mit deren politischer Machtstellung auch ein Aufschwung der Kunst Hand in Hand gegangen, die gerade in der für uns in Betracht kommenden Zeit zu ihrer vollsten Blüte gelangte und so nicht verfehlen konnte, auf geistig angeregte Männer, wie die Irenmönche es waren, mächtigen Einfluss zu üben.

 

Diese rasche Kunstentfaltung auf normännischem Boden konnte jedoch nur dadurch möglich sein, dass die jugendfrische Kunst des Nordens dort auf geeigneten, vorbereiteten Boden fiel; und diese Vorbedingung war auch erfüllt. Nach Ruprich-Robert bestanden schon seit Einführung des Christentums im nördlichen Frankreich Kirchen aus Holz, die sich durch Reste bis 440 hinauf verfolgen lassen. Man begnügte sich aber bald nicht mehr mit diesen leicht zerstörbaren Bauten, sondern errichtete solche aus Stein und verschrieb sich zu dem Zweck

 

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Maurer aus Italien und Südfrankreich, so dass um 670 schon die ersten Kirchenbauten aus Stein zu finden sind. Dass auf dieser Basis ruhend, die fränkisch-keltische Kunst fortwährend von dem von Süden kommenden Strom bespült, der ost- wie weströmische Kunst mit sich führte, sich bald so reich entwickelte, ist kein Wunder. Gerade zu rechter Zeit fanden ausserdem noch die glänzenden Anfänge merowingischer Kunst, die zu ersticken drohte, eine gesunde Auffrischung durch den ungetrübten Kunstsinn der nordischen Eindringlinge. Die zwei Kunstwege die hier -- in Nordfrankreich -- an der geographischen Grenze, wie in der ganzen romanischen Kunstepoche, zusammentreffen, lassen sich auch hier verfolgen; der eine vom Orient zum Occident und der andere von Nord nach Süd -- wieder die schon erwähnte Erscheinung, zu der Salin auch bei der Verfolgung der nordischen Tierornamentik kommt.

 

Das normännische Kapitäl des XI. Jahrhunderts z. B. hat einerseits von der vorher eingeführten antiken Kunst die Voluten und die Kelchblätter nur vereinfacht bewahrt, andererseits seine Erweiterung, Verkragung und Deckplatte der byzantinischen Kunst entlehnt; gleichzeitig und besonders gegen das Ende des XI. Jahrhunderts hat sich seine Dekoration modifiziert und sich mit Verschlingungen, Schnörkeln, Tieren und ausnahmsweise mit menschlichen Gestalten bereichert. Das Kapitäl des XI. Jahrhunderts hat nach der Ansicht Ruprich-Roberts „seine Würfelform aus Skandinavien entlehnt, ohne indess die Ornamentik seines Vorbildes anzunehmen; andererseits hat es seine Verkragung und Deckplatte der byzantinischen Kunst entnommen. Es entsteht das Faltenkapitäl, welches selbst nur eine Reihe von Verkragungen ist. Das geometrische Gepräge des Kapitäls ist eigenartig, und es ergibt sich aus den mannigfachen, von Lokalkünstlern gemachten Entlehnungen und aus der eigentümlichen Begabung derselben, dass das hauptsächlichste Element normännischer Architektur auf seinem Höhepunkt durch die Folgerichtigkeit, Geschlossenheit der Formen und die Vollendung der Ausführung bemerkenswert ist.“

 

So war die normännische Kunst gestaltet zu einer Zeit, wo sie für einen Teil der Regensburger Kunst als Vorbild diente, das durch Männer vermittelt wurde, die in dem freieren Horizont der scholastischen Lehre ihre Jugendjahre verlebt hatten. Vorbereitet in dieser Geistesschule, waren sie auch befähigt, die Eindrücke, die ihnen in ihrem Heimatland und besonders an der Nordküste Frankreichs, in der Normandie begegneten, zu studieren, zu erfassen und von der reichen Kunstentfaltung, die ihnen dort entgegenblühte, ein lebenskräftiges Reis mit zu führen, um es auf ihrer Weiterwanderung auf den gesunden Stamm eines Baumes zu verpflanzen, der bald reiche Früchte tragen sollte.

 

Die normännische Kunst in Regensburg.

Dass in Regensburg nun eine Ornamentik von solcher Ähnlichkeit mit der normännischen Kunst Nordfrankreichs, Englands oder des anderen normännischen Eroberungsgebietes, Süditalien, auftritt, darf wohl zu der Behauptung berechtigen, dass die Baumeister, wenn Sie auch nicht selbst Normannen waren, so doch Gelegenheit hatten, an Ort und Stelle sich in die Formen jenes Kunststiles einzuleben, dessen sie sich dann an anderen Orten ihrer Tätigkeit bedienten. Schotten, d. h. irische Mönche, waren es nun, die St. Jakob erbauten und was liegt da näher, als dass

 

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die Künstler solche waren, die von Irland, als Nachschub zur Bevölkerung ihrer neuangelegten Klöster in Deutschland, kommend, auf ihrer Wanderung bei Betreten des europäischen Kontinents und zwar der zunächst liegenden Normandie mit normännischer Kunst in Berührung kamen; bei ihrem Streben ihre neuzuerbauenden Kirchen mit dem Schönsten, das sie gesehen, auszuschmücken und mit anderen darin zu wetteifern, zierten sie in dem normännisch-romanischen Kunstsinn ihre neuen Kirchen. So ist die Eigenart mancher romanischer Bauten Regensburgs von der Mitte des XII. Jahrhunderts ab zu erklären, wenn auch die Verwandtschaft der Formen, die vielleicht schon in ihrem Detail verwischt hier zur Anwendung kamen und noch dazu durch die Unbilden der darüber hinweggegangenen Jahrhunderte gelitten hat, nicht mehr so leicht mit einem schlagenden Analogon aus anderen erhaltenen Baudenkmälern nachzuweisen ist. Besonders die plumpe Behandlung mancher Skulpturen erweckt den Eindruck, als ob dem ausführenden Steinmetzen ein gutes Vorbild gefehlt habe, er selbst aber nicht entwickelt genug war, das Fehlen eines richtigen Vorbildes durch eigene Kunstgewandtheit und Beobachtungsgabe zu ersetzen.

 

Ein Zusammenhang der Regensburger Baukunst liegt nun nicht in der Ähnlichkeit der ganzen Kirchenanlagen begründet; die von dorther eindrängende Kunst musste sich vielmehr erst akklimatisieren und den vorhandenen, besonders seit der letzten Bauepoche üblichen Grundrissanlagen sich anpassen; dafür konnte sie sich aber nichtsdestoweniger in der Ornamentik sehr wohl entfalten und durch ihre zahlreichen Charakteristiken bestimmte Anhaltspunkte bieten über das „Woher“ der romanischen Kunstblüte Regensburgs, die eine so ausgesprochene Eigenheit besitzt.

 

St. Jakobskirche.

Die ersten Niederlassungen der Schottenmönche in Regensburg gehen zurück auf das Ende des XI. Jahrhunderts; bei der sich mehrenden Zahl der Pilger musste man an die Errichtung eines neuen, für eine grössere klösterliche Gemeinde ausreichenden Klosters denken, dem sich natürlich bald auch der Bau eines neuen Gotteshauses anschloss, der bis ungefähr zum Jahre 1120 vollendet war, „wenn er auch mit der grössten Eilfertigkeit aber um so weniger Sorgfalt ausgeführt wurde“ -- wie der Chronist meldet. Das war aber gerade die Zeit, in der der Einfluss der Hirsauer Bauschule am stärksten war und in der 1119 geweihten Prüfeninger Klosterkirche einen ganz charakteristischen Repräsentanten fand. Diese Richtung blieb auch die folgende Zeit die herrschende in der Regensburger Kunst und so konnte sich ihr auch der nötig werdende Neubau der Jakobskirche nicht entziehen. Greger, Abt des Klosters, sah sich nämlich wegen des baufälligen Zustandes der Kirche genötigt, um 1160-1170 eine gründliche Neugestaltung an Kloster und Kirche vorzunehmen. Wie Dr. Hager das schon zeigt, sind in der jetzigen Kirche einer dreischiffigen Säulenbasilika (Abb. 12) die Ostpartie der Apsiden und die Türme von dem alten Bau herübergenommen worden, während der ganze übrige Teil dem Umbau entstammt; schon allein die Mauertechnik zeigt den Unterschied.

 

Abb. 12 Grundriss v. St. Jakob.

 

Die Türme sind noch nach Art der vorhergehenden Bauwerke aus kleinen lagerhaften Bruchsteinen mit Eckquadern errichtet, während der übrige Bau aus regelrecht behauenen Steinen besteht. Die Grundrissanlage zeigt ganz die an die Hirsauer Bauschule gemahnende

 

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übliche Form, die bei dem in Bayern häufigen Verzicht auf ein Querschiff, alle drei Schiffe in einer Flucht abschneidet und jedes einzelne Schiff mit einer halbrunden Apsis abschliesst.

 

Über dem letzten Quadrat der Seitenschiffe ist je ein quadratischer Ostturm aufgebaut. An dem Neubau ist zum Unterschied von der Prüfeninger Kirche und zurückgreifend auf die Originale, die ausserordentlich beliebte Verwendung von Säulen beibehalten, während die Ausbildung der den Chor einschliessenden Langhausstützen als Pfeiler erfolgte; der weit in das Langhaus hineinragende erhöhte Chor setzt sich auch noch östlich des Triumphbogens fort und ist dort von einem Rippenkreuzgewölbe überdeckt; den westlichen Teil des Baues nimmt eine sich über die drei Schiffe erstreckende Westempore ein, die auf zwei gedrungenen kraftvollen Säulen ruht und ihrerseits auch mit Rippenkreuzgewölben überdeckt ist. Ein westliches Portal war nicht vorgesehen, denn die dicke Westmauer enthält die Treppe zur Empore; die Eingänge waren vielmehr nach Süden führend und an der Nordseite als allgemeiner Eingang angelegt.

 

Die Gesamtanlage zeigt also eigentlich nichts wesentlich Neues, mit Ausnahme der Einwölbung auf Rippen. Gerade diese Rippenkreuzgewölbe sind aber nun von so grösserer Bedeutung als nach Dr. Hager es in Bayern keinen Bau gibt, in welchem das Rippenkreuzgewölbe quellenmässig so früh bezeugt ist, wie hier. Mit der Einführung der Einwölbung auf Rippen wird aber in Regensburg ein grosser Schritt vorwärts in der Kunst des Wölbens getan, „zu der man sich doch immer nur mit einem gewissen Zagen entschlossen“ und die sich -- wie das die letzte Bauepoche beweist -- nur auf die Überdeckung kleiner Räume beschränkt hat. Man kann deshalb nur annehmen, dass ein starker Einfluss von einem Lande her sich bemerkbar machte, wo die Wölbekunst und insbesondere die auf Rippen sich schon eingebürgert hatte, und das war bereits seit

 

Abb. 13. Ecksäule auf der Empore in der St. Jakobskirche.

 

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Abb. 14. Mittelpfeiler auf der Westempore.

 

Abb. 15. Rundvorlage auf der Westempore.

 

Mitte des XI. Jahrhunderts in der Normandie der Fall. Dass man auch grössere Räume mit Gewölben überdecken kann, dass haben die Schottenmönche an fertigen Beispielen gesehen und wagten die Ausführung dieser Deckenart auch an ihrem Neubau anzuwenden. „Dass man am Chor von St. Jakob auch noch die Rippen halbrund mit quadratischen Erhöhungen und einer Art Perlstab versah, kann nur ein Beweis vorgeschrittener Stilentwicklung sein. 1)

 

An dem Kreuzgewölbe auf ebenfalls halbrunden jedoch glatten Rippen, die die Westempore tragen und überdecken, scheint man sich die nötige Technik angeeignet zu haben, so dass man dann gewandt genug war, in den vom alten Bau übernommenen Teil das geschmückte Kreuzgewölbe des Chores, dessen Triumphbogen bei dieser Gelegenheit auch erhöht wurde, einzusetzen. Eigentümlich sind die halbrunden Schildbögen an den Seitenwänden der Westempore, deren Rippen sich in origineller Weise durch die an die tragende Säule angeschlossene Konsole (Abb. 13) nach unten verkröpfen. Ebenso eigenartig sind die beiden Mittelpfeiler auf der Empore (Abb. 14), die als Säulenbündel ausgeführt sind, bestehend aus der dicken gedrungenen Tragsäule und

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1) Die ornamentale Ausschmückung der Rippen ist im allgemeinen ungebräuchlich, wird jedoch auch angetroffen, so an der Kathedrale von Puy-en-Velay und an S. Pierre in Oxford, an St. Maria in Stow (England), siehe Rivoira, Bd. II, S. 295.

 

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zwei ganz schmalen Säulchen, die unter den Gurtbogen vorgelegt sind und ein selbständiges Kapitäl mit hochausgebildeter Deckplatte -- in derselben Höhe wie die dicken Säulen -- tragen. An der Westwand der Empore tragen Pilaster die Schildbögen und vorgelegte halbrunde Säulen die Gurtbögen (Abb. 15), die in der vorhergehenden Periode auf vollrunden Säulen ruhten.

 

Diese interessanten Einzelheiten, die konstruktiven Bedürfnissen folgerichtig entsprungen sind und einen für die Regensburger Kunst unvermittelt grossen Aufschwung bedeuten, sind es aber nur zum geringeren Teil, die unsere Aufmerksamkeit erregen. Vielmehr stürmt auf den Beschauer eine solche Fülle von Formen und ein solcher Reichtum an Ornamentik ein, dass selbst ein vom entwickelten Stand der modernen Kunst ausgehender Kritiker seine Bewunderung nicht versagen kann, ob der fast unerschöpflichen Phantasie und dieses so überreich ausgebildeten Formensinns, der sich wohl in keinem nachfolgenden Stil mehr so naiv und doch so kraftvoll-üppig ausgebildet findet.

 

Abb. 16. Inneres der St. Jakobskirche.

 

Was beim Betreten des Kircheninneren (Abb. 16) sofort in die Augen fällt, das sind in erster Linie die Säulen, die reich, mannigfach, mit nimmer ermüdender Phantasie gebildet sind; zehn solcher Säulen tragen die Mittelschiffswände und jede schliesst mit einem anders ornamentierten Kapitäl ab. Betrachtet man zunächst die Silhouette der Säulen, so fällt vor allem die merkwürdig gedrückte Form des Kapitäls auf, während die Säule selbst, wie die ganze Kirche schlanke Verhältnisse zeigt; die niedrige Kapitälform, die wohl den Eindruck erhöhter Festigkeit und Tragkraft bietet, verrät nun sofort ihre Abstammung von normännischen Kapitälen, die sich z. B. in Kirchen von Ecrainville und Etretat (Seine-Inferieure) finden, dort jedoch im Einklang mit der wuchtigen, gedrungenen Form der ganzen Säule stehen; dass aber auch ganz ähnliche Verhältnisse von Säule und Kapitäl vorkommen, das beweist die Kirche von Dunfermline

 

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(Ecosse) und ein normännisches Treppenhaus von Canterbury. Wie eng sich der Baumeister auch konstruktiv an seine Vorbilder geschlossen hat, dafür spricht der Umstand, dass die Säulen nicht wie in Deutschland gebräuchlich monolith, sondern aus kleinen Werkstücken zusammengesetzt sind. Die Basen, die die charakteristische, attische Form mit grosser Hohlkehle zeigen, sind an Stelle des Eckblattes mit Widder- und Adlerköpfen und Krallen versehen.

 

Von den Kapitälen zeigen die einen den Kelch, bedeckt mit herauswachsenden Blättern, zwischen denen an den Ecken Menschenköpfe oder Vögel hervorlugen, oder mit sich ineinander schlingenden Menschen- und Tiergestalten, alles in ziemlich hervortretender Plastik. Andere Kapitäle zeigen nur Pflanzenornamente, traubenartige Gebilde, Blätter, die in ihren spitzen Formen an unverstandene Akanthusblätter erinnern, und umgestülpte Blätter, zwischen denen lange Ranken hervorwachsen, die sich an den Ecken zu Spiralen aufrollen und so ebenfalls antiken Vorbildern ähneln, die ihren Weg aus Oberitalien teils direkt nach Regensburg, meist aber zuerst in das nördliche Frankreich und England gefunden haben, um von dort aus hierher zu gelangen. Der Abakus ist aus Platte, einem kräftigen Viertelswulst und nochmal einer Platte gebildet; die untere Platte zeigt an manchen Kapitälen, auch antikisierend, Einziehungen und Einkerbungen, die obere ist glatt; der Wulst dagegen ist mannigfach verziert mit Blätterbündeln, Palmetten, Schuppen, eierstabartigen Gebilden und dem so beliebten Flechtornament, bestehend aus zusammenhängenden Ringen oder geflochtenen dreisträhnigen Bändern.

 

Einfluss normännischer Ornamentik.

Besonders auffallende Ähnlichkeit zeigt ein Kapitäl, dessen Ecken mit Männerköpfen mit geflochtenen, herunterhängenden Bärten geziert ist mit einem ebensolchen aus der Kirche Saint-Sauveur in Caen; ferner hat sich auch die Anwendung von Vögeln, Adlern und Eulen, hie und da mit Menschenköpfen, als Eckverzierung der Kapitäle in der normännischen Kunst grosser Beliebtheit erfreut, ein Motiv, das bald auch in Deutschland sehr grosse Verbreitung fand, so am Dom zu Konstanz, das dem von Irenmönchen bewohnten St. Gallen nicht zu entfernt liegt, auch in der Burgkapelle in Nürnberg, die Anfang des XII. Jahrhunderts erbaut, in ihren Kapitälen denselben Charakter trägt und zeitlich auch von Regensburg beeinflusst sein könnte.

 

Wie stark die nordische Tierornamentik – abgesehen von anderen, gleichartigen Elementen -- gewirkt hat, mag der Umstand beweisen, dass nicht nur die normännische Kunst des Nordens selbst dieses Motiv gern benützte, sondern es auch dahin verpflanzte, wo die normännischen Eroberer Fuss fassten; so finden wir z. B. an der Kathedrale von Ruvo in Süditalien 1), wo sich die Nordmannen um die Mitte des XI. Jahrhunderts nach Kämpfen mit den Sarazenen niederliessen, ein Vogelkapitäl von solcher Ähnlichkeit, dass ein innerer Zusammenhang, eine gemeinschaſtliche Idee wohl kaum von der Hand zu weisen ist. Ist auch die Kapitälform eine ganz andere, höhere, an das Korinthische gemahnende -- im Gegensatz zu der gedrückten Form der Kapitäle von St. Jakob -- so kann diese Verschiedenheit den Ideenzusammenhang nicht stören, wenn man bedenkt, dass dort in Apulien, wo sich derartige Kapitäle vorfinden, der Einfluss

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1) Nella Terra die Bari. Ricordi di arte Medioevale. S. 67.

 

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antiker Kunst, angesichts der dort noch aus der Blütezeit hellenistischer Bildung stammenden, erhaltenen Bauwerke so stark war, dass sich an den dort überlieferten Architekturformen der germanische Kunstsinn der Normannen gewissermassen nur als Verkleidungskunst zur Anwendung bringen liess, dass dieser nordische Einfluss hingegen noch nicht stark genug war, feststehende Proportionsmasse aufzuheben. Ausserdem darf nicht vergessen werden, dass in Süditalien das Kunsthandwerk auf einer anderen Stufe stand und dass die Kirchen, aus denen solche Kapitäle stammen, dem XI. Jahrhundert angehören, also wesentlich älter als unsere Jakobskirche sind.

 

Wurden nun im Süden von den Normannen die Proportionen antiker Bauwerke beibehalten, so fügten sich die Eroberer im Norden Frankreichs und in Südengland den damals dort herrschenden romanischen Bauformen, aber ebenso wie in Italien mit charakteristisch hervortretender, autochthoner Ornamentik -- und darin liegt die Hauptbedeutung normännischen Kunsteinflusses auch für Regensburg.

 

Im Gegensatz zu den so mannigfaltig gestalteten Kapitälen der schlanken Mittelschiffsäulen stehen die kurzen, gedrungenen, schon besprochenen Mitteltragsäulen der Westempore, deren Schwerfälligkeit sichtlich durch die auf dem Empore vorgelegten kleinen Säulchen gemildert werden sollte, und die sämtliche ziemlich roh gearbeitete Pflanzenornamentik als Schmuck der Kapitäle tragen, die ihrerseits, mit ihrer gedrückten Form, im Einklang mit den dicken Säulen stehen. Man merkt, dass bei diesem Bauteil die technischen Schwierigkeiten die Überwölbung alle Formen plumper werden liessen und die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Um so mehr konnte sich diese sprudelnde Ornamentierungslust an solchen Stellen entfalten, wo keine besonderen technischen Schwierigkeiten nebenhergingen.

 

Nordportal von St. Jakob.

Das war an dem schon so viel besprochenen und umstrittenen Nordportal der Fall; der grosse Bilderreichtum der als Ganzes eine symbolische Darstellung der Verkündigung des Evangeliums durch die Schottenmönche vorstellen soll, ist schon so eingehend behandelt worden -- in Bezug auf Bildersymbolik --, dass ich nur auf die betreffenden Autoren 1) hinweisen möchte.

 

Es ist ja hier nicht der Zweck über die Symbolik des viel beschriebenen Portals zu rechten, sondern es soll vielmehr frei von variablen Mutmassungen nur ein Urteil über die Entstehung und den tieferen Kunstzusammenhang dieser unvermittelt auftretenden Formengebung gefällt werden, auf Grund der uns noch vor Augen stehenden Architekturdetails, die einzig allein reelle Mittel an die Hand geben, richtige Schlüsse zu ziehen. Weder die mehr oder minder genauen schriftlichen Überlieferungen, noch die ganze Grundrissanlage, die sich immer den lokalen Überlieferungen anpasst, sondern nur die reiche Ornamentik mit ihren mannigfachen Formen, ermöglichen hier eine einwandfreie Untersuchung.

 

Es ist schwer beim Betrachten des Portals den Blick auf einen bestimmten Punkt ruhen zu lassen, bei der Fülle der sich von allen Seiten andrängenden Formen. Versuchen wir jedoch, von der Mitte des eigentlichen

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1) Jakob: Die Kunst im Dienste der Kirche. Endres: Das St. Jakobsportal in Regensburg. Niedermayr, Janner, Sighardt a. a. O. S. 189. Niedermayr: Künstler und Kunstwerke in Regensburg. S. 102. Dr. K. Riehl; Denkmale ſrühmittelalterlicher Baukunst in Bayern. S. 90. ff.

 

 

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Nordportal von St. Jakob.
Originalaufnahme von Gebr. Laifle & Co., Regensburg.

 

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Portals ausgehend, vorläufig von den sich anschliessenden Seitenflächen Abstand zu nehmen, so fällt uns an dem dreimal abgestuften, vorgelegten Portal, 1) abgesehenvon dem architektonischen Reichtum der Anlage, die üppige Skulptierung nicht nur der Säulenkapitäle sondern auch der Säulenschäfte auf, die ganz mit ziemlich plastischen Palmettenmustern in der verschiedensten Ausführung, zum Teil auch mit Vögeln bedeckt sind. Diese Säulen sind monolith, sitzen auf reich verzierten Basen der im ganzen Bau üblichen Form und tragen merkwürdiger Weise bis auf 2 -- ohne vermittelnden Astragal, reiche mit Pfanzenmustern gezierte Kapitäle niederer Form. Auf der rechten Seite des Portals schliesst sich ein kräftiger Abakus mit geziertem Wulst an, der sich auch über die ganze rechte Wandfläche hinzieht und das Auflager für die glatten Bogenleibungen bietet, die genau die Fortsetzung der seitlichen Profilierung bilden. Das Portal -- rein tektonisch betrachtet -- zeigt in der ganzen Anlage grosse Ähnlichkeit mit vorgelegten Portalen der Schwäbischen Schule, wie z. B. mit dem Südportal der Kirche zu Benz und anderen; jedoch trägt keines so ausgesprochen normännischen Charakter wie verschiedene Einzelheiten am Jakobsportal. Zunächst ist die Ornamentik der Basen an der linken Seite bemerkenswert; sie besteht darin, dass der untere Wulst mit einem rechtwinkligen, dreisträhnigen Flechtmuster überzogen ist, ein Motiv das z. B. an der Kathedrale von Bayeux häufig Verwendung findet; ganz dasselbe Muster bedeckt auch stellenweise den linken Bogenpfeiler; der obere Wulst dieser Basen ist als gedrehtes Tau behandelt, ein Motiv das jedoch schon allgemeinere Verbreitung gefunden hatte und uns schon einmal begegnet ist. (Obermünsterturm und Stephanskapelle.)

 

Auf den auch technisch sehr schön ausgeführten Säulenschäften sitzen nun, wie oben bemerkt, ohne vermittelnden Astragal Kapitäle auf, die auch mannigfach und sehr originell gebildet sind und offenbar an oberitalienische Vorbilder erinnern, die jedoch in ihrer Behandlung die Einwirkung normännischer Kunst nicht verleugnen können. Besonders charakteristisch ist das vorderste Kapitäl an der linken Portalseite, das in seinen zusammengerollten Blättern und Ranken eine ganz augenfällige Ähnlichkeit zeigt mit Kapitälen von St. Ambrogio in Mailand --- ebenso aber mit einem solchen von Ruqueville (Calvados) und mit einem aus einer Klosterkirche in Caen! Dass diese Ähnlichkeit mit italienischen Mustern nicht zufällig ist, ist klar, beweist vielmehr wie sehr man in der normännischen Kunst mit den italienischen Motiven vertraut war. Trotzdem es eigentlich nahe liegt zu glauben, dass der italienische Einfluss direkt eingewirkt habe auf dieses Bauwerk, behaupte ich, dass mit der durch die Schottenmönche veranlassten Kunstepoche in Regensburg der direkte italienische Einfluss ganz zurückgedrängt wurde durch den viel mächtigeren und frischeren Kulturstrom, der nun von Norden nach Süden seinen Weg nimmt. Wie weit die italienische Kunst eingewirkt bat, das hat die letzte Epoche gezeigt, wo der Höhepunkt des Einflusses erreicht war, was aber an ähnlichem in dieser Periode in Regensburg entsteht, ist alles auf dem Umwege durch die normännisch-englische Kunst hieher verpflanzt worden.

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1) Ursprünglich war der Bau einer Vorhalle oder eines Vorhofes geplant. Siehe Anhang. S. 75---78.

 

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Dass die Kapitäle an dem Nordportal, die teilweise sehr reich mit sich überschlagenden Blättern und Menschenköpfen, teils auch wieder einfach nur als Kelch mit gerillten Blättern gestaltet sind, alle -- mit Ausnahme von zwei Kapitälen an der linken, vom Beschauer aus rechte Portalfläche -- ohne Astragal auf dem Schaft sitzen wirkt eigentlich befremdend und lässt sich durch keinen Grund rechtfertigen. Aber auch dafür lassen sich Beispiele erbringen, sowohl aus dem normännischen Kunstgebiet wie an der alten Kirche Notre-Dame d'Esquay (Calvados), wie in der skandinavischen Kunst an der Frelserkirche in Horsens, wo unmittelbar nebeneinander Säulen mit und ohne Astragal gestellt sind.

 

Ruprich- Robert sagt folgendes über diese Art von Kapitälen: „Zusammengesetzt aus flach zu Voluten aufgerollten, übereinander geschichteten Blättern, scheinen sie nicht für ihre Stützpunkte gemacht zu sein; ohne Astragal und viel breiter als der Durchmesser der Säule, erscheinen sie wie verstümmelt; die beiden Deckplattengesimse sind ebenso zierlich wie die Skulptur des Kelches grob ist“. An den für uns in Betracht kommenden Kapitälen ist das mit Recht getadelte ästhetisch nicht genügende, unvermittelte Aufsitzen eines wesentlich breiteren Kelches schon vermieden, indem der untere Durchmesser des Kelches genau dem der Säule entspricht, so dass die Blätter aus dem Schaft herauszuwachsen scheinen und damit der Eindruck des Verstümmelten fehlt. Wenn auch der Zweck des Kapitäls, zwischen runden und eckigen Formen zu vermitteln, erfüllt ist, so ist doch die Idee nicht als glücklich zu bezeichnen, wenn ohne ein trennendes Zwischenglied das Palmettenmuster des Schaftes plötzlich aufhört und organisch unvermittelt Blätter und Ranken ihren Anfang nehmen. Die Ornamentik an den Kapitälen kann besonders auf der westlichen (linken) Portalhälfte nicht als „grob“ bezeichnet werden, eher der ziemlich schwere Abakus auf der rechten Portalseite.

 

Beachtenswert ist auch wie der Baumeister alle vorspringenden Ecken, sowohl die an der Portalleibung wie auch an den seitlichen Bogenpfeilern, teils bloss abschrägt oder mit kleinen Wulsten verziert, die er sinnreich nach unten dünner werden lässt 1), um Sie als Fessel für kauernde menschliche Figuren zu benützen, die oben wie unten angewendet, in gefälliger Weise den Übergang von der Abschrägung zur Ecke des Sockels vermitteln.

 

Das Bandornament und seine verschiedene Anwendung.

Nächst den menschlichen und tierischen Skulpturen, die besonders zu besprechen sind, nimmt das in dieser Kunstepoche häufig angewendete Bandornament grosses Interesse für sich in Anspruch; mit der grössten Vorliebe angewendet und so recht geeignet für eine primitive Verzierungskunst, findet es von den einfachsten geometrischen Mustern angefangen, bis zu den künstlichsten, ja gekünstelten, fast nicht entwirrbaren Verschlingungen schon frühzeitig Anwendung, zerfällt aber trotz seiner endlos verschiedenen Gestaltungen in zwei ganz scharf geschiedene Elemente, die eine und ältere Form geht aus der altgermanischen und irländischen

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1) Ein Motiv, das auch die nachfolgenden Bauten dieser Richtung z. B. die St. Galluskapelle zeigen, das sich allerdings auch am Westportal der 1180--1190 erbauten Pfarrkirche (ehemals Stiftskirche) in Isen, Bez.-Amt Wasserburg, findet.

 

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Tierornamentik hervor und ist auf die älteste Metalltechnik zurückzuführen; sie dringt von Norden nach Süden. Die andere Form, die auf das engste mit der Holzschnitzkunst zusammenhängt, kann wohl, ihrem gleichzeitigen Auftreten im Süden 1), wie im Norden, nach zu schliessen, als das Ergebnis einer allgemeinen europäischen Bewegung und als Gemeingut der germanischen Rasse bezeichnet werden. Letztere Form hat die erstere übermittelt und mit sich in der Anwendung vermischt, in der stilistischen Behandlung dagegen deren ursprünglichen Charakter beibehalten.

 

Abb. 17. Eckkapitäle im Kreuzgang von St. Jakob.

 

Beide Formen treten in Regensburg ziemlich gleichzeitig und selbst nebeneinander auf. Das Element der letztgenannten Form ist das dreisträhnige Band, das der ersten hat als Charakteristikum zwei doppelte Konturlinien mit dazwischen stehenden, runden, später eckigen Knöpfen. In Regensburg findet sich nur das dreisträhnige Bandornament, während sowohl das zwei- als auch dreisträhnige eine Eigenart Oberitaliens ist. Ursprünglich wurde das Band nur für sich allein, zu den verschiedensten geometrischen Mustern geformt, angewendet 2); in der weiteren Entwicklung wurde seine Funktion, mit der Ausbildung des Pflanzenornaments zusammenhängend, auf die Bildung von Ranken und Blattstielen ausgedehnt. In der ersteren Verfassung finden wir in Regensburg das Band

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1) Dort schon seit der Langobardenherrschaft anzutreffen, so z. B. an einer Dekoration aus S. Salvatore in Brescia, (VIII. Jahrhundert) am Ziborium des hl. Eleucadius von S. Apollinore in Classe, Ravenua, S. Ambrogio in Mailand.

2) Vergleiche die Basilika S. Ambrogio in Mailand, Rivoira Bd. I, S. 250, 321.

 

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zuerst am Nordportal der St. Jakobskirche; sowohl die äussere Türleibung, der Wulst des Kämpfergesimses (siehe Abb.), wie auch ein Kapitäl im Innern, sind als geschlossene dreisträhnige Ringe gestaltet, die zusammenhängen; gleichzeitig sehen wir an den Basen der Portalsäulen schiefes und rechtwinkeliges, fortlaufendes Flechtmuster und an einer Säule am linken Wandfeld ein schon kühner verschlungenes Band gleicher Ausführung. Zuletzt tritt das Flechtmuster noch am linken Bogenpfeiler in einer sehr verbreiteten Form, mit den charakteristisch scharf gebrochenen Ecken auf, ähnlich wie man das an irländischen Initialen sieht. In einer etwas späteren Periode, wie sie die mit Flechtwerk überzogenen Eckkapitäle im Kreuzgang von St. Jakob (Abb. 17) zeigen, lässt man die Bänder bereits in Spiralen münden.

 

Abb. 18. Alter Altarstein in St. Jakob.

 

Wie zuletzt dann noch das Band einem fremden Zwecke dienen muss und seine Funktion vollständig verändert, zeigt ein aus St. Jakob stammender Stein (Abb. 18), auf dem das dreisträhnige Band Ranken und Blattstiele in gleicher Breite bildet, die in Blätter sich auflösen, während die Hauptranke beiderseits in Tiermäulern endet.

 

Abb. 19. Kapitäl aus dem ehemaligen Kreuzgang von St. Jakob.

 

Ein anderes Beispiel zeigt ein im historischen Museum aufbewahrtes Kapitäl (Abb. 19), bei dem wiederum das dreisträhnige Band in einfach umgestülpte Blätter übergeht. Das ist, kurz, in Regensburg der Werdegang der einen Form des Bandornaments, das sich gegen Ende der romanischen Stilperiode, gar nicht mehr dem ursprünglichen Zwecke dienend, findet, um mit dem Aufblühen der Gotik mit ihren reich stilisierten Planzenmotiven ganz zu verschwinden.

 

Ein ganz ähnlicher Verlauf lässt sich bei der ersten Form des Bandornaments verfolgen; wie schon erwähnt, geht dieselbe auf die nordische Metalltechnik zurück, wie das eine grosse Anzahl von Brakteatenfunden erweisen, die stets genau diese charakteristischen Formen zeigen (Abb. 20), nämlich ein Band, das beiderseits von einer doppelten Konturlinie eingefasst ist, zwischen denen als weiterer Schmuck runde

 

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Knöpfe in die Höhe getrieben sind; aber selbst, wenn die vorhandenen Goldgegenstände diese Abstammung nicht als unzweifelhaft erscheinen liessen, könnte diese Form in erster Linie an nichts anderes, als an solche Goldtreibearbeit erinnern, die in ihrer ganzen Ausführung, die natürlichste und einfachste Technik zeigt, dünnes Metall zu verzieren.

 

Nordische Brakteaten sind es nun, die diese Bänder zeigen, aber nicht in der Eigenschaft als Bänder oder Blattranken -- wie ja die Anwendung von Pflanzenmotiven der nordisch-germanischen Kunst fremd war -- sondern als Tierleiber; die sich, als Ergebnis jener alten Tierornamentik, in zahlreichen, fast unentwirrbaren Windungen in einander schlingen. Mit dem Zusammenfliessen dieser altgermanischen Tierdarstellung in die vom Süden her mit dem vegetabilischen Element sehr vertraute Kunst, ging diese etwas unverständliche und unnatürliche Art der Tierdarstellung bald in andere Modifikationen über, die der natürlichen Tiergestaltung Rechnung trug, zur Betonung der Gliedmassen jedoch die ursprüngliche Darstellung beibehielt; 1) in Norwegen übertrug sie sich wohl zuerst von der Metalltechnik auf Holz und dann auf Stein. Ein Holzornament an der Kirche von Wang zeigt die Tierdarstellung noch ganz in ihrer ursprünglichen Form, während eine andere Tiergestalt an dem Tympanon vom Nordportal des Doms zu Land, bereits ein Beispiel für die modifizierte Form gibt. (Abb. 30.)

 

Abb. 20

 

In die normännische Kunst scheint diese Bandform schon nicht mehr mit ihrer ursprünglichen Bedeutung gelangt zu sein, denn es ist kein Beispiel einer derartigen Tiergestaltung aus der normännisch-romanischen Stilperiode bekannt, während die Bandform selbst, vollständig charakteristisch und unverändert, zahlreiche Anwendung findet. 2) In ihrer Verwertung als Bandornament ist die ursprüngliche Darstellung des Tierleibes durch die normännische Kunst nach Regensburg übertragen worden, jedoch tritt sie hier zeitlich etwas später auf, wie das die erstmalige Anwendung an Säulen und Kapitälen des Kreuzgangs von St. Jakob, der mehr dem Ende des XII. mit Anfang des XIII. Jahrhundert angehört, zeigt.

 

Um diese Zeit war in Regensburg die Auflösung des dreisträhnigen Bandornaments in Blattmotive schon im Gange und so ist es erklärlich, dass die neue Bandform gar nicht mehr allein als geometrisches Bandornament zur Anwendung kommt, sondern sofort das Los des Vorläufers teilt und wenigstens in Blättern endet. Dieses gleichzeitige Nebeneinanderherlaufen

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1) Abbildungen und Beispiele hiefür finden sich bei Bernhard Salin: die altgermanische Tierornamentik. Siehe auch Abb. 30.

2) So an Kapitälen der Kirche in Ryes (Calvados) an S. Sauveur und an S. Trinite in Caen. Siehe Abb. 26.

 

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beider Formen könnte nicht auffälliger bewiesen werden als durch eine Säule von St. Jakob (Abb. 21), deren ganzer Schaft von diesem Band als Flechtornament überzogen ist, das unter dem Astragal in Blattform endet; am Kapitäl ist schon der Anlauf genommen dasselbe als Blattranke und Blattstiel auszubilden, während die unterste Platte des Abakus noch mit dem eng verflochtenen dreisträhnigen Band geziert ist.

 

Abb. 21. Säule von St. Jakob.

 

Zwei weitere Kapitäle (Abb. 22) vom Kreuzgang von St. Jakob zeigen bereits eine sich in zwei Stiele teilende Ranke, beide noch mit den zwei doppelten Konturlinien und runden Knöpfen in der Mitte: auch hier ist das ursprüngliche Motiv noch genau festgehalten.

 

Abb. 22. Kapitäle vom ehemaligen Kreuzgang von St. Jakob.

 

Aber nur solange die Steinmetzen, die an St. Jakob tätig waren derartige Motive anwendeten, erhält sich dasselbe rein; was die Nachahmung der Vorbilder von St. Jakob gegen Ende der romanischen Blüteperiode in Regensburg für Früchte zeitigt, mögen noch einige Beispiele von Fragmenten aus dem Ulrichsmuseum dartun. Ein Stück eines Kämpfergesimses zeigt auch in roherer Arbeit dasselbe Band, während bei dem anderen Beispiel einer gekuppelten Säule, vom alten Salzburger Hof stammend (Abb. 23), Stengel und Blattrippen nur mehr im Prinzip Ähnlichkeit zeigen; ganz dieselbe Erscheinung zeigt das Portal der Galluskapelle.

 

Abb. 23. Gekuppelte Säulchen aus dem alten „Salzburgerhof“ stammend.

 

Während bei den ursprünglichen Tierleibern und bei deren Anwendung als Ranken und Bänder durch die Schottensteinmetze, die inneren kleinen Buckel immer rund und oben glatt sind, entsprechend dem Metallvorbild, sind an den beiden letzten Beispielen die Knöpfe nicht nur viereckig, sondern werden auch gegen oben schmäler. Mit diesen letzten erhaltenen Beispielen verschwindet in Regensburg auch diese Bandform, gleich ihrer Vorgängerin.

 

Man sieht wie das Tierornament des Nordens in seiner unverständlichen Form, allmählich in das Pflanzenornament übergeht, das als Resultat seiner Variation eigentlich nicht mehr mit dem nordischen Urmotiv übereinstimmt, im Gegenteil, die ursprüngliche Funktion dieser Bänder, als Tierleiber zu gelten, vergessen wird, wie daraus aber ein reizender, sinn- und phantasiereicher Bestandteil der originellen Regensburger Ornamentik durch die Schottenmönche gebildet wird.

 

Kapitäle aus dem ehemaligen Kreuzgang.

Eine weitere ganz charakteristische Besonderheit der Regensburger romanischen Kunstblüte liegt in der eigenartigen Behandlung der noch ziemlich zahlreich und gut erhaltenen Kapitäle aus dem Kreuzgang von

 

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St. Jakob. All die reiche Phantasie und Verzierungslust konnte hier so recht ausklingen und hat an dem wohl bis in die ersten Jahre des XII. Jahrhunderts hineindauernden Ausbau des Kreuzganges sich reichlich ausgelebt. Dass das Würfelkapitäl der Regensburger Kunst nicht mehr fremd war, haben wir schon gesehen; immerhin aber tragen diese Würfelkapitäle einen ganz selbständigen Charakter und wären auch ohne das frühere Vorhandensein von ähnlichen Kapiträlen jedenfalls mit derselben Eigenart behandelt worden.

 

Das einfache Würfel-Kapitäl an den kleinen Säulchen aus dem Kreuzgang (Abb. 24, 25), tritt bald in der üblichen Form einer an den vier Seiten beschnittenen Halbkugel mit den halbkreisſörmigen Feldern auf, die dann meist mit flachem Ornament verziert sind, oder es besteht aus einem

 

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quadratischen Würfel, dessen unterer Teil sich gegen den Durchmesser des Schaftes abschrägt und über und über mit zierlichem Blattornament oder auch Bandwerk bedeckt ist.

 

Abb. 24. Säulchen aus dem ehemaligen Kreuzgang von St. Jakob, jetzt Chorschranken.

 

Abb. 25. Säulchen aus dem ehemaligen Kreuzgang von St. Jakob, jetzt Chorschranken.

 

Damit ist noch die ursprüngliche Gestalt des Würſelkapitäls nicht wesentlich verändert.

 

Faltenkapitäle.

Diesem einfachen massigen Würfelkapitäl stehen nun in den verschiedensten Exemplaren vorhandene, sogenannte Faltenkapitäle als eine wichtige Neuerung gegenüber, die zum erstenmal in Regensburg auftritt und ebenfalls ihre Abstammung von der normännischen Kunst unzweideutig erweist.

 

Ruprich-Robert sagt darüber ungefähr folgendes: Das einfache, weit verbreitete Würfelkapitäl findet man bereits seit dem X. Jahrhundert in

 

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Norditalien und zwar sowohl mit Malerei wie mit Flachrelief an den ebenen Seiten bedeckt. In den letzten Jahren des XI. und Anfang des XII. Jahrhunderts ändert ein von Norden ausgehender Einfluss die Ornamentierung vollständig. Es entstehen die Faltenkapitäle „chapiteau godronné“, deren Grundzug sich ohne Unterlass wiederholt, deren Einzelheiten aber so verschieden wie möglich sind. Ihre Entstehung erklärt derselbe Autor folgendermassen: „Im XII. Jahrhundert als alle Formen der Architektur an Feinheit zunahmen, musste die Würfelform zu grob erscheinen; man teilte deshalb die dicken Kapitäle in vier Sphärische Teile, die sich

 

 

Abb. 26. Fig. 1--4. Kirche in Ryes (Calvados)

Fig. 5. St. Nicolaus in Caen.

Fig. I-IV. St. Trinité in Caen.

 

durchdringend, zusammen von einem Würfel durchstossen wurden; dann schmückte man jeden dieser Teile, die gleichsam eine Gruppe von vier vereinigten Kapitälen bilden. Die Zahl der Unterteilungen wurde dann noch vermehrt, so dass einfache wie verdoppelte, ja sogar ineinander geschobene, hornartig gekrümmte Falten entstehen, meist mit einer geometrischen Ornamentik versehen, wie sich zahlreiche derartige Beispiele finden; so in der Krypta einer Kirche in Canterbury, in Maules (Saint-et-Pise), in der Kirche in Ryes 1) (Calvados) und in den Kirchen S. Trinité vom Abbaye aux Dames und S. Sauveur in Caen (Abb. 26).

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1) Auch die verschiedene Behandlung der vier Kapitälseiten, wie sie an einigen von diesen Kapitälen vorkommt, findet in Regensburg an den Kapitälen des Kreuzganges ein Gegenstück.

 

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Diese Art des Kapitäls finden wir an einer Reihe verschiedener Säulen aus dem Kreuzgang von St. Jakob; sie sind alle verschieden und eigenartig behandelt, zeigen jedoch alle die Auflösung des Würfels in 16 Falten, während die Vorbilder von Caen grössere Mannigfaltigkeit aufweisen; dass man die trichterförmigen Kegel an den Beispielen von Caen mehr als ein mit dem Kapitäl zusammengehöriges Ganzes behandelt hat, ist ein Vorzug gegenüber der Nachahmung in St. Jakob, wo die einzelnen Falten, besonders an dem sich an die rechte Chorwand anlehnenden Kapitäl, bloss nebeneinander gereiht sind und im Gegensatz zu den anderen, mit dreisträhnigen Bändern verbundenen Trichtern, die Einheitlichkeit des Kapitäls stören.

 

Immerhin dürfte die Einführung dieser sonst in Bayern und Schwaben fremden Form des Kapitäls einen sehr deutlichen Beweis bilden für den engen Zusammenhang der Regensburger Kunst mit der normännischen.

 

Wie reich die Phantasie der schottischen Künstler war und wie eng sich die verschiedensten Elemente zusammendrängen, mag das erhaltene Südportal der Kirche St. Jakob zeigen (Abb. 27), das auch in anderer Beziehung noch besonders interessant ist.

 

Abb. 27. Südportal von St. Jakob.

 

Hier sehenwir neben dem einfachen Würfelkapitäl die unzweideutigste Nachahmung eines korinthischen Kapitäls; die hohe Form desselben, die zwei Reihen sich überschlagender Blätter mit den Spiralen an den Ecken, ja sogar die eingezogene Deckplatte ist wiedergegeben, nur mit dem Unterschied, dass das Mittelblatt des korinthischen Kapitäls durch einen Vorsprung der Platte 1) ersetzt wird; darüber liegt der mit germanischem Flechtmuster verzierte Wulst des Abakus, auf dem dann die im reichsten Zickzackmuster verzierten Bogen aufsitzen -- eine für Regensburg ebenso neue wie charakteristische Erscheinung.

 

Zickzackmuster.

Ist noch ein Beweis für die engste Anlehnung jener Regensburger romanischen Kunst an die normännisch-englische

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1) Ein ganz ähnlicher Kapitälstil derselben Platte ist im Hof des Castells Friedrich II. in Bari (Apulien), auch normännisch; vergleiche Nella Terra del Bari. Ricordi di arte Medivevale. S. 20.

 

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Kunstrichtung nötig, so wird diese augenfällige Ähnlichkeit des Zickzack-Ornaments mit normännisch-englischen Mustern keinen Zweifel mehr an der Richtigkeit der Behauptung aufkommen lassen können. Besonders die Landschaft Calvados zeigt an zahlreichen Bauten gegen Ende des XI. und im XII. Jahrhundert dieses Zickzackornament, so die Kirchen von Mouen, Cresserons, Guibray à Falaise, Notre-Dame-du-Vale in Tilly-Sur-Seulles, Saint Loup in Bayeux (Abb. 28); auch an der hl. Grabkirche in Cambridge ist es angewendet. 1)

 

Abb. 28.

 

Im übrigen hat dieses Portal in seiner Eigenart Nachahmung geſunden in dem der Frühgotik anmgehörigen Nordostportal von St. Emmeram. 2)

 

Abb. 29 Abgestuftes Portal im Kreuzgang zum Refektoriumssaal.

 

Neben dem interessanten Südportal enthält der Kreuzgang von St. Jakob noch ein gut erhaltenes, zweimal abgestuftes Portal (Abb. 29), das in seiner ganzen Erscheinung, wie auch in dem Motiv verschlungener Blätter grosse Ähnlichkeit mit der schwäbischen Kunst zeigt, wenn auch die bei den Werkmeistern von St. Jakob beliebten Motive der sich nach unten verjüngenden runden Vorlagen an den Abschrägungen und die Behandlung der Blätter ihre Schöpfer nicht verkennen lassen. Die Würfelform der Kapitäle ist unter dem flachen Blattwerk erhalten, das in den Eckknollen schon den Keim der gotischen Knospe in sich trägt; noch genauer lässt sich das an einem Bündelkapitäl verfolgen, das in einem Ausbau des Kreuzganges --

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1) Der Zickzackstab wird in Deutschland nur selten gebraucht und findet eigentlich nur in der ersten Hohenstaufenzeit einige Verbreitung; auch in den normännischen Teilen Süditaliens trifft man ihn an, so z. B. in Altamura an der Chiesa palatina (porta laterale), ebenso in Sizilien.

2) Näheres über den Kreuzgang bei Dr. Hager.

 

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wohl dem früheren Brunnenhaus der Kreuzgänge entsprechend -- erhalten ist.

 

Dekorative Behandlung des Äusseren.

Die Eigenart der dekorativen Behandlung beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Ornament, sondern betrifft auch das architektonische Element und zuletzt nicht zum mindesten die Plastik. Abgesehen von einigen auffälligen Motiven, wie sie die aus den seitlichen Bogenpfeilern am Nordportal von St. Jakob hervortretenden runden Kugeln bilden, die sich nicht nur am Portal der Kirche von Pin-la-Garenne (Orne), wie auch in Süditalien an der Chiesa palatina in Altamura, 1) sondern auch in der romanischen Kunst Schwabens, so am Südportal der Kirche in Benz finden, -- zeigt die am Nordportal angewendete Gliederung der Wandfläche durch Arkaden, das einzige derartige Beispiel in Regensburg, das man den sonst im romanischen Stil so beliebten Zwerggalerien gegenüberstellen könnte. Dass sie früher aber nicht dazu bestimmt waren, für die Erscheinung des Ganzen nach aussen hin in Betracht zu kommen, geht daraus hervor, dass die geplante Vorhalle mit ihrem Dach die Galerie verdeckte. 2) Aber ebenso selten wie gerade in Regensburg die Anwendung dieser Wandbelebung ist, ebenso originell und von den übrigen Vorbildern abweichend ist die Behandlung dieser Blendarkaden; anstatt der Säulchen sind karyatidenartige Figuren von Heiligen angewendet und in der zweiten Reihe tragen interessant geformte Pfeilerchen die Bogen.

 

Wenn die Verzierung durch solche Blendarkaden hier an keinem anderen Beispiel nachgewiesen werden kann, so erfreut sich dagegen der Rundbogenfries allgemeiner Beliebtheit; in zierlicher Ausführung ist uns dieses Charakteristikum romanischer Kunst schon an verschiedenen Bauwerken von der Mitte des XI. Jahrhunderts an begegnet, nur waren überall die Konsolen meist durch Profile geschmückt, während sich jetzt aufgehende Knospen und nach unten geneigte Köpfe in die Funktion der Konsolen teilen. Gegenüber den einfacheren Konsolen des Rundbogenfrieses des Mittel- und westlichen Querschiffes von St. Jakob, finden wir an dem an und für sich reicher behandelten Nordportal den Rundbogenfries nicht nur selber ornamental behandelt, sondern es ist auch die im Bogenfelde liegende Wandfläche mit einem einfachen, wenig zierlichen Blattornament ausgefüllt, eine Erscheinung, die sich besonders an schwäbischen Rundbogenfriesen in ausgedehntem Masse findet.

 

Dekorative Wand-Behandlung im Innern.

Bei der Besprechung der Belebung der äusseren Wandflächen durch die Blendarkaden am Portal und den fortlaufenden Rundbogenfries müssen auch die originellen Verzierungen der Chormauern, soweit diese in das Langhaus hineinreichen, Erwähnung finden. Der Architekt scheute sich nämlich die Chormauer als kahle Fläche zu bilden und bedeckte die Chorwand auf den Aussenseiten mit einem rechtwinklig gebrochenen Muster, das in der Kirche St. Stephan in Caen u. a. ein Gegenstück findet; ausserdem sieht man an der Aussenseite der nördlichen Chorwand, direkt über dem Sockel in Halbplastik eine Miniaturgalerie angebracht, die in ihrer Einfachheit sehr altertümlich erscheint und an Holzkonstruktion erinnert. Die Bogen der kleinen Arkaden-Reihe werden nämlich

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1) Nella Terra di Bari. Ricordi di arte Medioevale, S. 9.

2) Siehe Anhang.

 

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von kleinen dicken, sich stark verjüngenden Halbsäulen getragen, deren Kapitäl wie Basis aus einem gleich behandelten, halben, cylindrischen Stück gebildet sind. Ob nun der Baumeister an dieser Stelle diese kleinen Blendbogen nur aus Freude an Verzierung angebracht hat, oder ob er gleichsam eine Fortsetzung der übrigen Arkaden an der plötzlich undurchbrochenen Chor- und zugleich Mittelschiffsmauer andeuten wollte, mag dahin gestellt bleiben; jedenfalls bietet die Anwendung einer gewissermassen schematisch dargestellten Blendgalerie einen bemerkenswerten Hinweis auf die ursprüngliche Konstruktion dieses tragenden Architekturteils, der in seiner Einfachheit den Anfang zum Würfelkapitäl zeigt. 1)

 

Plastik.

Doch alle diese kleinen Besonderheiten sind nebensächlich gegenüber einem, wie schon erwähnt, viel wichtigeren Faktor, der der ganzen damaligen und folgenden romanischen Kunst Regensburgs ein so merkwürdiges Gepräge gibt; nämlich die plötzlich und in grosser Zahl auftretenden Skulpturen von Tieren und Menschen. Bis zu dem Eingreifen der schottischen Mönche in die Kunst Regensburgs gab es fast gar keine Plastik; wenigstens kann man bis dahin nur die beiden ganz roh gearbeiteten angeblichen Herzogsfiguren im Ulrichsmuseum und die drei Hochreliefs am Nordportal von St. Emmeram, sowie die sogenannte Agnesstatuette aus der Georgiikapelle an der Halleruhr (auch Mitte des XI. Jahrhunderts) stammend -- namhaft machen. Unbeholfenheit und das Unvermögen, Bewegung und Leben in die Figuren zu bringen, gekennzeichnet besonders durch sitzende oder senkrechte Stellung mit nebeneinander gesetzten Füssen, sind die einzigen Merkmale jener ersten Figuren; der Versuch zu einer Gewandbildung ist besonders bei der kleinen Agnesstatuette gemacht. Eine Tierplastik ist Regensburg bis dahin überhaupt vollkommen fremd. „Wenn wir nicht ohnehin wüssten, sagt Endres, dass tatsächlich ein fremder Faktor diesen Aufschwung zustande kommen liess, müssten wir den bildnerischen Schmuck von St. Jakob geradezu als unvermittelt bezeichnen.“

 

Der fremde Faktor ist nun wieder kein anderer als die durch die Schottenmönche übermittelte, normännische und im weiteren Sinn nordische Kunst. Ruprich-Robert weist, wie eingangs schon erwähnt, nach, dass Ende des XI. und im XII. Jahrhundert mit den geometrischen Formen und den anderen Teilen der Dekoration sich allmählich Figuren von Menschen und hauptsächlich Tieren verbinden, die einen eigenartigen und besonders nordischen Charakter tragen.

 

Tier-Darstellungen.

An dem berühmten Regensburger Schottenportal wirken nun tatsächlich nicht nur die Menge, sondern auch die Eigenartigkeit der Ideen und Verschiedenheit des bildnerischen Schmuckes verblüffend; rechnen wir auch ein gut Teil unserer Bewunderung unseren Anschauungen zu gute, denen eine Bildersprache nicht so geläufig und auch nicht so verständlich ist, wie sie es dem frühen Mittelalter war, das bei dem Mangel an Schulbildung die Bildersprache als wirksamstes Mittel zur Volksbelehrung

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1) Ruprich-Robert gibt ein Beispiel von hölzernen Würfelkapitälen skandinavischen Ursprungs, die ganz die gleiche Form zeigen; er leitet den Ursprung des normännischen Würfelkapitäls vom skandinavischen Holzbau ab; im übrigen finden sich ähnliche Motive wie in St. Jakob auch an einigen Fragmenten, die vom sog. „alten Salzburgerhof“ in Regensburg stammen.

 

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doppelt nötig hatte, so fordert uns dennoch die Eigenart des Gebotenen lebhaftes Interesse ab. Zunächst ist es die Reihe von Fabeltieren, die plump und unbeholfen erscheinen, in ihrer stilistischen Behandlung aber einen fremden, nordischen Charakter tragen. Das grosse Reich der Drachen und Ungetüme der germanischen Mythologie scheint uns verkörpert vor Augen zu stehen. Fabeltiere mit krokodilartigen Köpfen, jedoch mit Ohren, Flügeln, ungefügen Füssen, einem mit Schuppen bedeckten Leib und einem geringelten Schwanz, oder elephantenartige Tiere, Hunde und andere zoologisch nicht bestimmbare Phantasiegebilde sind in Hochrelief dargestellt. Die Einbildungskraft ruft alle möglichen Gestalten hervor und weil es sich nicht um die Ähnlichkeit mit einem bestimmten Tier handelt, können die Figuren den Ideen entsprechen. Dass die Künstler jedoch auch verstanden haben, bestimmte Tiere wiederzugeben, mögen die zahlreichen Löwen dartun, die am Sockel, wie am Kämpfergesims des Nordportals kauern. Wenn die Künstler auch diese Tiere nie gesehen und nur vom Hörensagen gewusst haben mögen, dass z. B. die Löwinnen ohne Mähne sind, so haben sie es doch verstanden, in dem offenen Maul die Fressgier und in den stilisierten Haarlocken die Mähne darzustellen, so dass das Tier als Löwe zu erkennen ist.

 

Abb. 30.

 

Während die Bildhauer bei der Darstellung der Löwen als grimmiger als grimmiger Portalwächter realistisch zu werden versuchen, zeigen sie bei der Wiedergabe der Fabeltiere eine starke Anlehnung an frühgermanische Muster (Abb. 30), wie uns solche auf Brakteaten und Fibeln erhalten sind, die nicht nur in der ganzen Gestaltung z. B. des Kopfes, sondern auch in Einzelheiten, wie in der sich nach oben rollenden Nase grosse Ähnlichkeit der Figuren zeigen. Die Technik in der Verzierung mit den eingegrabenen Linien weist jedoch ganz auf die Holzschnitzkunst hin, wie das auch die Faltengebung oder besser gesagt der Versuch zu einer solchen an den Gewändern der Figuren zeigt.

 

Menschen-Darstellungen.

Das über die ersten nachweisbaren Figuren weiter oben gefällte Urteil kann auch auf die figürliche Plastik am Jakobsportale Anwendung finden; sind die Darstellungen menschlicher Figuren auch um mehr als ein Jahrhundert jünger als die von St. Emmeram, so zeigt die Behandlung der einzelnen Figur doch fast gar keinen Fortschritt. Weiss der Künstler auch den Gesichtern verschiedenen Ausdruck zu verleihen und die Arme und Hände freier zu behandeln, so bleibt doch die ganze Haltung steif und die Faltengebung wird eigentlich nur schematisch durch parallel

 

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eingegrabene Rinnen ersetzt, die ähnlich wie im Blattornament enden und wirkt mehr ornamental als natürlich; der nackte Körper ist in den Proportionen einigermassen richtig, jedoch zeigen Arme und Beine nur runde Fleischmassen ohne jede Betonung der Muskulatur. Interessant wird die figürliche Plastik nur durch die Reichhaltigkeit ihrer Ideen und ihre originelle Anwendung. Es ist merkwürdig, aber charakteristisch, wie neben der eigentlich vollendeten ornamentalen Kunst ein so kindliches Behandeln der menschlichen Gestalt besteht; wiederum ist das nur ein Beweis dafür, dass die ornamentale Kunst schon lange geübt worden sein muss, bis sie diesen Grad der Vollkommenheit erreichte. Immerhin stehen die figürlichen Regensburger Skulpturen weit höher als z. B. die der benachbarten schwäbischen Kunst, die, bei der unbeholfensten Darstellung von menschlichen Figuren, nie über ein ziemlich flaches Relief hinaus kam, während sich in Regensburg meist Hochreliefs und Ganzplastiken finden. Zu den letzteren zählen auch die beiden Figuren an der alten Kapelle, die Beichte darstellend, die wie die Behandlung des Gewandes zeigt, dieser neuen Kunstrichtung angehören, jedoch mit Ausnahme des Versuchs, eine bestimmte Handlung darzustellen, keinen Fortschritt aufweisen. So gross die Gewandtheit in der Darstellung der Ornamente und schliesslich auch noch der fabelhaften Tiergestalten ist, bei denen eine Unrichtigkeit nicht so sehr ins Auge fällt -- vor der menschlichen Gestalt erlahmt das Können der Künstler.

 

In der Hauptsache steht die Regensburger Plastik eben noch zu sehr im Banne der Vorliebe für die Gestalten einer Dämmerwelt, als dass eine natürlichere Entfaltung des Formensinnes möglich gewesen wäre. Der lehrhafte Zug und das Bestreben die Schrecken der Sündhaftigkeit grell auszumalen, beeinflussten die Anschauungen viel zu sehr, als dass eine freiere, schärfere Naturbeobachtung hätte Platz greifen können.

 

Abb. 31 Romanischer Löwe.

 

Abb. 32 Greif einen Menschen in den Pranken haltend.

 

Selbst die wenigen besseren Skulpturen, wie ein Löwe (Abb. 31) und ein Greif (Abb. 32), im Ulrichsmuseum aufbewahrt, die gegen Ende der romanischen Kunstepoche entstanden sind, leiden noch daran, so dass der romanische Stil Regensburgs im gotischen aufgeht, ohne eine vollkommene Plastik zu hinterlassen; erst mit dem Einzug der französischen Gotik wurde eigentlich das zur gedeihlichen Kunstentwicklung nötige Schönheitsgefühl erweckt.

 

Spätromanische Periode.

Mit dieser Periode der „Schottenkunst“, wie ich sie nennen möchte, ist zugleich auch der Höhepunkt der romanischen Kunst Regensburgs erreicht. 1) Die Zeit bis zum Eindringen der gotischen Formen war zu kurz, als dass noch viel nennenswerte Bauwerke hätten entstehen können; zudem ist gerade von den Ausläufern der romanischen Kunst das wenigste erhalten geblieben. Dass der glanzvolle Bau von St. Jakob nicht verfehlen konnte mächtige Wirkung und damit auch Einfluss auf neue Bauten zu üben, liegt auf der Hand; so kann es uns auch nicht wundern, wenn wir an dem Portal der Galluskapelle, Anfang des XIII. Jahrhunderts –

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1) Schon seit Anfang des XII. Jahrhunderts mit dem Einfluss der Hirsauer Bauschule war das nicht allzuweit entfernte Bamberg in künstlerischen Wettbewerb mit Regensburg getreten, um, anfangs noch ein Schüler der Regensburger Kunst, bald und zwar bis gegen Ende der romanischen Periode als siegreicher Rivale zu erscheinen. In Bamberg ist deshalb auch der sogen. „Übergangsstil“ viel mehr zur Ausbildung gelangt wie in Regensburg, wo der Übergang zur Gotik viel rascher erfolgte.

 

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eigentlich dem einzigen Überrest aus der ausgehenden Romanik -- die engste Anlehnung an das Vorbild von St. Jakob erkennen, wenn auch der Charakter des feinsten Details unverstanden und vermischt zur Anwendung kommt; neben der schon bei der Besprechung des Bandornaments erwähnten Ausbildung der Blattrippen, zeigen die Blätter und Ranken an den Ecken schon eine an die frühgotische Knospenkapitäle gemahnende Form. Von den anderen Bauten jener Zeit sind die meisten in der gotischen Periode ganz gotisiert worden oder es sind nur mehr Fragmente erhalten, die, wie jene vom alten Salzburger Hof, zeigen, dass die Kunst nicht mehr bloss dem Sakral- sondern auch dem Profanbau 1) gedient hat und teils die Erweiterung der Schottenkunst bilden, noch mehr aber ein Hinneigen zur Frühgotik verraten. Man darf nicht vergessen, dass wir mit der Mitte des XIII. Jahrhunderts an einem Zeitpunkt angelangt sind, wo die Gotik in Frankreich bereits vollständig gebildet war. Nahm Deutschland zwar auch an dem Gesamtaufschwung der Kultur zur Zeit der Kreuzzüge teil, so war hier jedoch nicht so wie in Frankreich, in Paris, ein Mittelpunkt

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1) Das bekannteste Beispiel hiefür ist die alte „steinerne Brücke“ über die Donau, ein Meisterwerk der damaligen Baukunst.

 

 

 

Einfügung 1:

Die Brücken bei Regensburg und Passau

Weit und groß, mit kostbaren Gebäuden, hohen Kirchen, Klöstern, Ringmauern und Streitthürmen, lag Regensburg an der Donau ausgebreitet, des baierischen Herzogthumes und des süddeutschen Waarenverkehres erste Stadt, aber noch immer, gleichwie zu der Agilolfingen Zeit, ohne Brücke über den Strom.

Es begab sich, daß im Sommer des tausend einhundert fünfunddreißigsten Jahres, da von großer Hitze ganze Wälder erbrannten, auch die Wasser der Donau gar seicht wurden. Dies bewog den Herzog, seinem Namen ein Denkmal auf die spätesten Zeiten zu stiften. Er ließ, vereint mit der Bürgerschaft, eine steinerne Brücke erbauen. Es wurden im Bette des Flusses unter dem Wasser große Steinlagen mit Eichen, Eisen und·Blei befestiget; über dieselben dann fünfzehn Schwibbogen von Marmor gewölbt; darüber die offene Brücke, dreißig Werkschuhe breit, eilfhundert einundzwanzig lang, von einem Ufer zum andern. Im eilften Jahr seit Anhebung des Werks stand es vollendet; von Allen gepriesen als Wunder der Kunst im deutschen Lande 105).- Vorher wurden Waaren, Menschen und Vieh nur auf bleibenden Fähren übergeschifft, dergleichen auch hin und wieder in andern Gegenden des Flusses zur Bequemlichkeit der Reisenden zu liegen pflegten 106).“

105) Aventin Orig. Ratisb. (oefele 2, 758). Die Brücke über den Reng haben hernach die von Regensburg erbaut.

106) So empfing 1140 das Kloster Windberg ein eigenes Fährrecht durch die Grafen von Bogen, propter bladam et alias necessitates. Mon. Boic. 14, 36.

Quelle:

Heinrich Zschokke‘s ausgewählte Schriften. Dreißigster Theil. Der Baierischen Geschichten Zweites Buch. Beschluß. Aarau 1828. Bei Heinrich Remigius Sauerländer. S. 194-195

 

Einfügung 2:

Informationen zur Rekonstruktion dieses grossartigen steinernen Baudenkmals Regensburgs sind in Wikipedia unter dem Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Steinerne_Brücke zu finden (Stand 12. Oktober 2020 um 17:55 Uhr)

 

 

 

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für alle Kunst und Kultur. In Deutschland war – wie fast in allen Zeiten dafür charakteristisch, überall eher ein Streben nach individueller Gestaltung des Lebens zu bemerken als ein Drang nach Übereinstimmung; ausserdem war der romanische Stil in Deutschland so eingewurzelt und volksbeliebt, dass hier die ersten Spuren dder Gotik sich erst zeigen, als Notre-Dame zu Paris so gut wie fertig war (1177 begonnen).

 

Übergangszeit. Eindringen der Gotik. St. Ulrichskirche.

Das zeigt wohl kein Beispiel deutlicher als die Kirche von St. Ulrich, (Abb. 33) um 1250 begonnen, die eines der interessantesten Baudenkmäler der Übergangszeit bildet. Wie kaum an einem anderen Bauwerk ist an diesem das Ringen des eindringenden neuen gotischen Stils mit dem romanischen charakterisiert.

 

Abb. 33. St. Ulrichskirche.

 

Das Bemerkenswerteste an der äusseren Erscheinung dieser Kirche, die ganz genau die klare, aber zögernd und unbehilflich zur Ausführung gebrachte Absicht verrät, den Schub der Mittelgewölbe durch Strebebogen abzufangen und auf die Seitenschiffsmauern zu übertragen, sind die als förmliche Strebewände ausgeführten Streben über dem Dach der Seitenschiffe; kam die Überwölbung des Mittelschiffs auch nicht zur Ausführung, so zeigen ausser diesen Strebewänden auch noch halbrunde Säulenvorlagen 1) im Innern diese Absicht. Die Seitenschiffe, die zum erstenmal hier in Regensburg als Emporen ausgebildet sind und zwar als ringsumlaufende, sind unten mit Segmentbogen, oben mit Spitzbogen gegen das Mittelschiff geöffnet und mit Rippenkreuzgewölben bedeckt. Die Dekoration bewegt sich, frei von dem phantastischen Ornament der letzten Epoche, bereits in den weichen Formen der Frühgotik mit ihren Knospen und sich an den Kelch anschmiegenden Blättern,

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1) Ganz ähnlich enden diese Vorlagen ohne Abschluss auch in St. Zeno in Verona.

 

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wenn auch die Figur des von zwei Engeln umgebenen Christus am Tympanon des Südportals (Abb. 34) mehr romanische wie gotische Figuren verkörpern.

 

Abb. 34. Südportal an der St. Ulrichskirche.

 

Die Ahnlichkeit der ganzen Anlage wie der Details mit der nordfranzösischen Gotik und besonders mit dem Dom von Laon -- worauf schon H. von Walderdorff 1) hinweist -- zeigt nur wieder, dass auf dem einmal durch die Schottenmönche gebahnten Weg auch die neue Kunstrichtung während der aufblühenden Gotik, vom nördlichen Frankreich ausgehend, ihren Einzug hält, unter deren Einfluss die Reihe jener edlen gotischen Bauwerke entstand, zu denen wir heute noch mit Bewunderung aufblicken. Mit diesem Bau ist der Gotik der Weg gebahnt, die siegreich über die romanische Kunst hinwegschreitet und damit über den Stil, der Jahrhunderte dazu brauchte, um von den geringen Anfängen einer Kunst, nicht nur technisch wie künstlerisch, zu so ansehnlicher Höhe zu gelangen, sondern auch in seiner Urwüchsigkeit und Kraft nie mehr erreicht wurde.

 

Gründe für die Entstehung der Eigenart der romanischen Kunst in Regensburg.

Auf die Regensburger romanische Kunst wirken noch drei Faktoren bestimmend ein, die das Zustandekommen der schon betonten Eigenart bedingen, nämlich: das zu Gebote stehende Steinmaterial und, im Zusammenhang damit, die mit den Zeiten verschiedene Mauertechnik, sowie die damalige Lebensauffassung.

 

Steinmaterial.

Das fast ausschliesslich verwendete Material ist der in den Steinbrüchen donauaufwärts bei Kapfelberg und Allkofen vorkommende grobkörnige, löcherige Kalkstein, der, sehr wetterbeständig, der Bearbeitung nicht allzu grosse Schwierigkeiten bereitet, jedoch zur Erzielung eines

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1) H. Gr. v. Walderdorff S. 189.

 

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feineren Details und scharfer Kanten ungeeignet ist. Da jedoch in den ersten Epochen der romanischen Kunst die Beschaffenheit des Materials zu ornamentalen Arbeiten wegen des mangelnden Kunstvermögens nicht in Frage kommt, so wird zunächst das Steinmaterial nur in Verbindung mit der reinen Mauertechnik für das Entstehen von Bauwerken in Betracht zu ziehen sein.

 

Römerbauten.

Wie eingangs schon erwähnt, verfügte Regensburg, gemäss seiner geschichtlichen Entwicklung über eine gut ausgebildete römische Provinzialkunst, die sich sowohl auf architektonischem Gebiet, wie durch die zutage geförderten Skulpturen noch jetzt deutlich erkennen lässt. Man hat römisch-korinthische Kapitäle in derber Ausführung, wie in den Verhältnissen fein abgewogene Gesimse mit Eierstab und Säulenbasen, die ihrem Umfang nach auf ganz bemerkenswerte Bauten schliessen lassen, gefunden. Diese Fragmente lassen wohl auf die Grösse der Römerbauten schliessen, aber darüber haben wir gar keine Gewissheit, was wohl bei dem Verlassen der Stadt durch die römisch-keltische Bevölkerung von diesen römischen Festungs- und Tempelbauten bestanden hat, und so kann man auch keine einwandfreie Folgerung auf ihren etwaigen Einfluss auf die erste romanische Bauepoche ziehen. Im Gegenteil, wenn man das aus der Frühzeit romanischer Kunst Erhaltene sieht, kann man gar keinen Zusammenhang finden, ja man möchte das Vorhandensein von sichtbaren römischen Vorbildern, wie sie jetzt wieder aus vielen Metern Tiefe ans Tageslicht gebracht wurden, stark anzweifeln und kommt so zu dem Schlusse, dass römische Architekturformen und Skulpturen gar keine Nachahmung gefunden haben.

 

Leider besteht ja von Mitte des IV. bis zum VII. Jahrhundert völliges Dunkel über die Geschichte Regensburgs. Es ist wohl nichts von einer Erstürmung oder Einnahme überliefert, sondern die Stadtbevölkerung wich vor den eindringenden Volksstämmen gegen Süden zurück, alles zurücklassend, wie es eben war. Die einwandernden Bajuwaren ergriffen Besitz von der verlassenen Stadt, siedelten sich an, begnügten sich aber jedenfalls, wie alle germanischen Völker, anfangs mit dem Holzbau. Drei Jahrhunderte vergingen, bis die Bewegung zu Ende war und sich Gemeinwesen zu bilden anfingen. Mit dem Sesshaftwerden macht sich auch der Wunsch zur Herstellung haltbarer Wohnstätten bemerkbar. Als dann mit den ersten christlichen Sendboten im VII. Jahrhundert das Christentum neuerlich seinen Einzug hielt -- Christen waren ja auch schon zu Römerzeiten da, wie das Grabsteine beweisen -- schritt man zum Bau von primitiven Gotteshäusern von Stein und zwar mit Unterstützung der neubekehrten Herzoge.

 

Inzwischen waren aber beinahe vier Jahrhunderte über die Römerbauten hinweg gegangen und hatten Ruinen aus ihnen gemacht. Die Architekturformen waren ja wohl noch erhalten, aber der Mangel an Kunstübung und die primitive Lebensführung hatten noch kein Verständnis für diese Formen; auch war die Technik noch lange nicht auf der Höhe angelangt, um Ähnliches ausführen zu können. So waren die verwahrlosten Überbleibsel aus der Römerzeit den ältesten Baumeistern gerade gut genug, um sie als willkommenen Steinbruch zu benützen. Zugleich war damit auch der Kirche ein Gefallen erwiesen, dass man die heidnischen Bauten vernichtete und dadurch dem Christentum Vorschub leistete.

 

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Römische Plastik.

Römische Skulpturen, deren jetzt wieder eine ganze Reihe von sehr schönen Exemplaren zutage gefördert wurden und uns ein sehr erfreuliches Bild von jener hochstehenden römischen Exportkunst geben, waren hauptsächlich nur auf den Gräberfeldern zu finden und auf diesen war, bis man zum Anfang einer bildnerischen Kunst gelangte, in den verschiedenen Jahrhunderten längst so viel Gras gewachsen, dass sie dem Auge entrückt waren. In neuester Zeit holte man sie aus ungefähr einem Meter Tiefe aus dem Boden heraus, unter dem Schutz der Erde wohl erhalten. Der Stein ist meist derselbe wie an romanischen Skulpturen, nämlich der löcherige Kalkstein aus den schon genannten Brüchen donauaufwärts bis Abensberg. Die Bildhauer jedoch waren Künstler, die über eine ausgezeichnete Schulung verfügten, während die Steinmetzen der späteren Zeit gewiss wohl auch in ihrem Sinne Künstler waren, jedoch ohne eine Schule aus sich heraus Neues Schaffen mussten.

 

Mauertechnik.

In einem anderen Punkt muss jedoch der Römer-Kunst ein Einfluss eingeräumt werden, nämlich in der Mauertechnik und vielleicht auch in der Wölbekunst; letzteres lässt sich allerdings nicht erweisen.

 

An mehreren Stellen ist nämlich im Laufe der Zeit das Römermauerwerk wieder zum Vorschein gekommen, so an der römischen Festungsmauer und der „Porta Prätoria“ und so konnte man die Mauertechnik der Römer genau feststellen. Graf von Walderdorff hat eingehende Untersuchungen darüber angestellt und die Ergebnisse in seinem Buche 1) niedergelegt. Demnach besteht das Mauerwerk der Römer aus dem „opus quadratum“, „grossen ohne Mörtel aufeinander gefugten Quadern sowohl auf der Innen- wie Aussenseite der Mauer; der Zwischenraum ist mit Mörtel und Bruchsteinen ausgefüllt“. Sehr oft findet man dem Mörtel auch noch Ziegelschlag beigemengt. Die Mauertechnik wurde auch bei den zum Teil aus dem vorhandenen Material der römischen Stadtmauer hergestellten Bauten angewendet, später auch bei den Gewölben. Der Unterschied ist nur der, dass die Quadern nicht mehr bloss auf einander geschichtet wurden, sondern mit weissem Mörtel verbunden sind. Zur Herstellung der Gewölbe wurden meist Ziegelsteine neben gewöhnlichen Bruchsteinen verwendet; auf diese kam ein dicker Guss von Mörtel mit Bruchsteinen und Ziegelbrocken, wie das an den teilweise noch erhaltenen Gewölben an der Staufer Burg gut zu beobachten ist.

 

Immerhin war damit die äussere Erscheinung bei Verwendung grosser Quadern gar nicht geändert, wie ein Vergleich zwischen Stücken der Römermauer und dem untersten Teil des freistehenden Turmes der „Alten Kapelle“ zeigt. Nachdem aber das leicht erreichbare Steinmaterial, nämlich der Kalkstein der Römerbauten aufgebraucht war, musste man sich neue Bausteine holen, und zwar ist da, wohl zur Zeit als die Karolinger in Regensburg ihre Residenz anlegten, zur Herstellung einiger äusserst massiver Bauten sehr grobkörniger Granit verwendet worden, der der Struktur nach den Steinbrüchen von Leonberg im Naabtal entnommen ist. 2)

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1) Regensburg in seiner Vergangenheit und Gegenwart, S. 74.

2) Möglicherweise kann es sich auch um Findlinge handeln.

 

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Dieser Periode, die sich in ihren Bauwerken noch ganz an die römischen Festungsbauten anschliesst, entstammen offenbar 1) die untersten Teile des sogenannten „Römerturms“ in Regensburg und eines auf dem Burgberg von Donaustauf stehenden mächtigen runden Turmes. War hier auch noch die römische Buckelquader zur Anwendung gekommen, so zeigt sich doch schon ein merklicher Unterschied; die Römer hatten die Steine nur auf der Lager- und Stossfugenseite zum Auf- und Aneinanderpassen bearbeitet, während die Buckelquadern an den oben angeführten Bauten sogenannten „Kantenschlag“ zeigen. Die Grösse der Quadern und das rauhe Material machen einen alten und wehrhaften Eindruck. Zur Herstellung solcher massiver Trutzbauten eignete sich auch der Granit gut.

 

Mit dem Einziehen schlankerer Verhältnisse und zierlicherer Formen musste sich aber auch die Mauertechnik ändern; ebenso war das Granitmaterial dafür zu rauh und schwer zu bearbeiten und so griff man wieder auf die schon seit den Römerzeiten in Gebrauch stehenden Steinbrüche donauaufwärts zurück.

 

Es werden auch nicht mehr grosse Quadern aufeinander geschichtet, sondern die Bruchsteine werden in kleinen Abmessungen und, ähnlich wie Ziegel zubehauen, in regelrechtem Verband in fettem Mörtel verlegt. Die Ecken der Bauwerke aus dieser Periode, z. B. der Staufer Burgkapelle, der Andreaskapelle in Prüfening, am Turm von Obermünster, am Römerturm (oberer Teil) und der Türme von St. Jakob und Niedermünster wurden zur Erzielung von grösserer Stabilität aus grösseren rechtwinklig zubehauenen Quadern gebildet. Die zwischenliegende Wandfläche wurde dann in der vorerwähnten Weise ausgemauert. Es war dies eigentlich die Technik des römisch-italienischen Bruchsteinmauerwerkes, dessen guter Verband durch das ziemlich leicht zu bearbeitende Material ermöglicht wurde. Die Ausbildung dieser Technik fällt mit der Zeit der ersten Kunstblüte der romanischen Zeit in Regensburg zusammen, wie sie die schon besprochenen Gewölbebauten darstellen, die neben diesem konstruktiven Fortschritt auch die eben gekennzeichnete Mauertechnik in ihrem Äusseren zeigen; so ausser den vorhin genannten Bauten auch die Allerheiligenkapelle im Domkreuzgang und die Georgiikapelle am Witfend.

 

Die dritte und vollendetste Mauertechnik ist die, bei der rechtwinklig glatt bearbeitete Hausteine von gleicher Höhe in einer Schichte zur Anwendung kommen. Die Bearbeitung der Steine selbst kann verschieden sein. Bei den ersten Steinbauten wurde noch nach dem Vorbild der Römerbauwerke die sogenannte Buckelquader gern angewendet und zwar beim Bau der „Alten Kapelle“ noch in derselben Form, wie sie von der römischen Stadtmauer, die als Steinbruch diente, genommen wurde, ohne Kantenschlag. Bei der nächstältesten Anwendung dieser Buckelquadern an den untersten Schichten, des weiter oben besprochenen „Römerturmes“ und des runden Turmes auf dem Staufer Burgberg wurden zwar die Steine mit Kantenschlag versehen, aber die grossen Abmessungen behielt man noch bei. Als diese beiden Bauwerke Anfang des XII. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurden, verwendete man für die Schichten von einer Höhe von drei bis vier Metern ab kleinere Kalkstein-Buckelquadern,

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1) Wenn es sich dabei nicht überhaupt um vorrömische Überbleibsel handelt.

 

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deren Kantenschlag noch deutlich die Bearbeitung mit dem Schariereisen zeigt. Die Buckel der Quader sind nicht mehr bossiert, sondern glatt bearbeitet und wurden wohl angewendet, um den Turm möglichst im selben Charakter weiterzuführen; nach zehn bis zwölf Schichten gab man aber die mühsame Arbeit auf und mauerte mit kleinen Bruchsteinen weiter.

 

Hier kommen auch Steinmetzzeichen vor, die vielleicht nur um weniges früher, wenn nicht gleichzeitig mit den an St. Jakob vorhandenen, entstanden sind und die die Zugehörigkeit 1) zu der ersten, von der Bauhütte der Hirsauer abhängigen Steinmetzenschule erkennen lassen. 2) Diese Buckelquadern zeigen also nicht nur eine ausgebildetere Steinmetzkunst, sondern auch zum erstenmal die Zeichen ihrer Verfertiger. Dieser Umstand ist um so bemerkenswerter, als er den Schluss auf das erstmalige Vorkommen einer Steinmetzenschule und Bauhütte gestattet. Man kann sagen, dass nun zum erstenmal in der Regensburger mittelalterlichen Kunst neben dem Maurer auch der Steinmetz selbständig besteht; es soll damit nicht gesagt sein, dass es vordem keine Steinmetzen gegeben habe; dagegen sprechen ja die Bauwerke aus dem XI. Jahrhundert. Aber der Steinhauer tritt dabei nicht nur als solcher auf, sondern er ist Maurer, der die vorkommenden Steinmetzarbeiten auch mit ausführt.

 

Entstehen von Bauhütten.

Es lässt sich deshalb selbst während der regen Bautätigkeit um die Mitte bis Ende des XI. Jahrhunderts eine Bauhütte nicht nachweisen und erscheint das Bestehen einer solchen auch zweifelhaft. Da jedoch in jedem grösseren Kloster bauverständige Mönche waren, so wird man in der Annahme nicht fehl gehen, dass das mächtigste Regensburger Kloster jener Zeit, nämlich St. Emmeram, wo die Bautätigkeit um die Mitte des XI. Jahrhunderts ihren Mittelpunkt hatte, über einen Stamm von baukundigen Leuten verfügt haben wird. Unter der Leitung baulustiger Äbte scheint sich nun mit dem Eindringen der Hirsauer Schule seit dem Bau der vom Bischof Otto von Bamberg gestifteten Kirche mit Kloster in Prüfening (1109) eine Bauhütte gebildet zu haben, die unter dem Einfluss des mit Hirsauer Mönchen besetzten Klosters in konstruktiver wie raumbildender Hinsicht in neue Bahnen gelenkt wurde. Die Tätigkeit dieser Schule ist durch die unter Hirsauer Einfluss entstandenen Kirchenbauten von St. Jakob, Niedermünster und der Andreaskirche in Prüfening genügend bestätigt. Dort liegen die Anfänge der ersten Bauhütte in Regensburg, die bei der Anzahl und der Grösse der genannten Bauten gleich über eine nicht geringe Zahl von Mitgliedern verfügt haben muss. Dieser Bauhütte dürften wohl die Steinmetzzeichen am Römerturm, an der Jakobskirche und nicht zuletzt die von der „Steinernen Brücke“ (erbaut 1135 bis 1146) stammen, die alle drei unter anderen auch ein einfaches Kreuz () als gemeinsames Zeichen tragen. Mit der Errichtung dieses ersten grossen Profanbaues feiert die frühmittelalterliche Baukunst und damit wohl auch diese Bauhütte den Triumph konstruktiven Könnens.

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1) Vorausgesetzt, dass der ganze Bau nicht noch vorrömisch ist; denn auch an vorrömischen Mauern kommen ganz ähnliche Zeichen vor.

2) Die Steinmetzzeichen sind zum Teil abgebildet bei H. Graf von Walderdorff S. 474 und S. 403.

 

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Schule der Schottenmönche.

Mit der Erneuerung der Jakobskirche in ihrer jetzigen Gestalt, die sich durch das plötzliche Auftreten einer reichen Ornamentik charakterisiert, beginnt ein neuer Abschnitt der romanischen Kunst in Regensburg. Es entstand eine Schule, in der sich die Stärke der Hirsauer Bauhütte, nämlich Konstruktion und klare Raumbildung mit dem eindringenden Element der von den Schottenmönchen importierten Kunst paart.

 

An der Jakobskirche findet man nur an den nicht ornamentierten Quadern Steinmetzzeichen, während die Skulpturen und Ornamente, so das ganze Nordportal, gar kein solches Zeichen aufweisen. Das bringt mich zu dem Schluss, dass die Zurichtung der Bauquadern wohl hauptsächlich durch die Steinmetzen dieser schon bestehenden Bauhütte erfolgte, während die eigentlichen Bildhauerarbeiten von den Mönchen selbst oder wenigstens von solchen angefertigt wurden, die mit den Schottenmönchen aus deren Heimat und zwar hauptsächlich auch aus der Normandie und England mit herüber gekommen waren. 1) Diese Künstler waren schon allein durch ihre grosse Kunstfertigkeit, die sie in ihren Ornamenten und Skulpturen an den Tag legten, genügend legitimiert, so dass sie sich nicht erst der Steinmetzzeichen bedienen mussten, um ein Werk, als von ihrer Hand hergestellt, auszuweisen. Es war nur natürlich, dass die Kunst, die diese Schottenmönche mitbrachten, mächtigen Eindruck gemacht hat und dass diese Schule, in der unter Hirsauer Einfluss die Vervollkommnung des technischen Könnens den Hauptzweck bildete, unter Einwirkung dieser geschickten Steinmetzkünstler auf eine neue Bahn gedrängt wurde. Die einheimischen Steinmetzen lernten begierig von ihren Meistern und suchten sich die Kunstfertigkeit derselben anzueignen. Damit erklärt sich auch die Tatsache, dass von diesem Zeitpunkt an -- nämlich mit dem Neubau der Schottenkirche -- eine grosse Menge von Ornamenten und Skulpturen entstanden ist, die alle denselben Charakter und dieselbe Technik aufweisen. Denselben Charakter, der in der Auffassung des Lebens, der Vorliebe für symbolische Darstellung und damit in der Wahl des wiederzugebenden Gegenstandes begründet ist. Dass die Ornamentik und die Skulpturen dieselbe Technik in der Bearbeitung zeigen, ist bei der Verwendung ein und desselben Materials -- hauptsächlich aus den Brüchen von Kapfelberg stammend -- ja nur zu erwarten. Dieser allgemein schon seit Römerzeiten verwendete Kalkstein ist meist grobkörnig und verschieden, bald gross-, bald kleinlöcherig, ist im Laufe der Zeit sehr erhärtet, während das frisch gebrochene Material, so lange es noch die Bruchfeuchtigkeit enthält, leicht zu bearbeiten ist.

 

Die Werksteine an St. Jakob sind mit allen Regeln der Steinmetzkunst bearbeitet. Die flachen Quadern sind mit dem Flächhammer oder mit dem Zahneisen hergestellt, gespitzt oder gestockt; einzelne Stücke zeigen auch aufgezogenen Kantenschlag. Für die ornamentalen Darstellungen mit ihrer ausgeprägten Eigenart, sind ja meist auch Stücke mit etwas feinerem Gefüge verwendet, so dass sie im allgemeinen schärfere Kanten und Konturen zeigen, wie das z. B. auch ein Seite 42 abgebildeter Altarstein zeigt.

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1) Ausserdem waren die Steinmetzzeichen Ausweise für die Leistungen einzelner bei Akkordarbeit und für die Berechnung des Lohnes wichtig; die Bildhauerarbeiten stellten sich jedoch als Regiearbeiten der betreffenden Künstler dar.

 

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Die Behandlung der vegetabilischen Formen ist streng und steif, ohne Bewegung; in welchem Gegensatz steht dazu ein knappes Jahrhundert später das gotische Laubwerk! Die Blattrippen sind entweder in harten Linien eingegraben, ohne sonderlichen Schwung, oder sie sind durch eine Reihe kleiner, mit dem Steinbohrer hergestellter Löcher markiert; so besonders tritt das auf an den Füllornamenten des Bogenfrieses, an einem Pflanzenkapitäl einer südlichen Langhausstütze und an den beiden die Westempore mit Gewölben tragenden Säulen, mit ihren ungefügen Pflanzenkapitälen sehr oft ist der Steinbohrer angewendet, um manche, an und für sich unplastische Formen durch kräftige Schattenwirkung, wie sie die Löcher hervorrufen, plastischer zu gestalten. Es ist dies allerdings ein nicht erfreulicher Notbehelf, der sehr an die Verfallszeit der römischen Architektur erinnert.

 

Die geometrische Ornamentik fand schon weiter oben eingehendere Erwähnung. Das Mutterland all dieser fremden Ornamentik, die Normandie und England, besass im Gegensatz zu Regensburg ein hervorragend hiefür geeignetes Material, nämlich einen äusserst weichen, aber wetterbeständigen, jurassischen, oolithischen Kalkstein, der gestattete alle Formen viel bestimmter, sauberer und schärfer herauszuarbeiten. Das Übertragen von fremden, für feineres Material berechneten Formen auf das einheimische Regensburger Steinmaterial musste zu einem Widerspruch in der Erscheinung führen. Der Umstand aber, dass die Formensprache manchmal im Gegensatz zum Stoff steht, beweist einerseits nur, dass diese Kunst in ihrem ersten Auftreten nicht bodenwüchsig, sondern importiert war, andererseits macht sie gerade dieser Gegensatz charakteristisch und interessant.

 

Wie schon weiter oben angedeutet, machte diese Kunst der Schottenmönche grossen Eindruck nicht nur auf Laien, sondern auch auf die Steinmetzen der Bauhütte die sich bemühten, es ihren neuen Meistern nachzutun. Zugleich regte sich in der ganzen Umgegend, die mit Regensburger Kunst in Berührung kam, überall der Wunsch an den Kirchen auch ähnliche symbolische Darstellungen zu besitzen, die damals dem Volk vollkommen verständlich waren und der Geistlichkeit als bequemes Erziehungsmittel dienten. So kann es uns nicht wundernehmen, wenn wir allenthalben in der Umgebung von Regensburg an kleineren Kirchen hauptsächlich figürliche Darstellungen von ganz ähnlicher Auffassungsweise und Technik finden wie am Schottenportal in Regensburg. Dass sie an Vollkommenheit denen in Regensburg etwas nachstehen, erklärt sich einfach aus der Tatsache, dass es eben Schülerarbeiten aus der Schottenbauhütte sind. So die Portale in Biburg und besonders Gögging (bei Neustadt a. D.) (Abb. 35),

 

Einfügung: Portal der Kirche in Gögging b. Neustadt a. D. 2010

 

welch letzteres noch deutlich in der rechtwinkligen Umrahmung an die schwäbische Kunst erinnert. Aber auch in Regensburg selbst sind fast alle gleichzeitigen Umbauten und Neuanlagen dieser Zeit, wie ich schon weiter oben nachgewiesen habe, von dieser Bauhütte abhängig. Dass der eine oder andere Schottenbildhauer seine Kunst auch in den Dienst anderer gestellt hat, beweist wohl das Seite 28 abgebildete Südportal von der Niedermünsterkirche, dessen Kapitäl rechts fast genau mit einem solchen von Caen (Abb. 26, Fig. 5) übereinstimmt. Dass die im Sinne der Schotten gehaltene

 

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Ornamentik Anfang des XIII. Jahrhunderts schon eine Verflachung erfuhr, darauf habe ich schon bei Erwähnung des Portals der St. Galluskapelle hingewiesen.

 

Abb. 35. Portal der Kirche in Gögging b. Neustadt a. D.

 

Ein merkwürdiges Beispiel für die Erzeugnisse dieser neuen Bauschule bildet die noch zum Teil stehende Vorhalle von St. Emmeram aus dem Ende des XII. Jahrhunderts (s. Abb. 4, S. 21). An ihr lässt sich so recht die Mischung des Elements der Hirsauer Bauschule und das Eindringen der neuen Ornamentik nebeneinander beobachten. Neben dem mit dem typischen Hirsauer Schachbrettmuster überzogenen Kapitäl finden sich solche mit Widderköpfen und mit roh gearbeitetem Blattwerk, das offenbar von einem im Sinne der Schottenschule arbeitenden Steinmetz stammt (Abb. bei Walderdorff S. 328). Nicht minder bemerkenswert als diese Ornamentierung, sind die Pfeiler -- an denen jedoch keine Steinmetzzeichen zu beobachten sind -- nicht so sehr, weil die Pfeiler aus graugrünem Sandstein, die Kapitäle jedoch zum Teil aus Kalkstein gleicher Struktur wie an der Jakobskirche hergestellt sind, als wegen ihrer Gestaltung als Quadrat mit vier vorgelegten Halbsäulen unter den Gurtbögen. Diese Gliederung des romanischen Pfeilers, die auch schon an einem Wandpfeiler auf der Westempore von St. Jakob angewendet ist (s. Abb. 15, S. 35) bedeutet schon einen grossen Fortschritt, insofern als damit zum erstenmal eine konstruktiv richtig dem Gewölbebau angepasste Pfeilerbildung auftritt, wie Sie auch in St. Jakob noch nicht durchwegs vorkommt.

 

Romanische Plastik.

Das andere, vielleicht gerade wegen der uns fremden Auffassung, am meisten ins Auge fallende Merkmal ist die ausgedehnte Anwendung figürlicher Darstellungen, die nicht nur für Regensburg selbst charakteristisch ist, sondern auch überall dorthin übertragen wurde, wo diese

 

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Schottenschule Arbeiten ausführte (Gögging, Schottenkirche in Würzburg, Figur auf der noch bestehenden südlichen Seitenapsis).

 

Weiche, rundliche, unbestimmte Formen der nackten Körperteile, steife Haltung und strenge Stilistik sind neben den früher schon erwähnten Merkmalen die Hauptkennzeichen dieser frühmittelalterlichen Plastik Regensburgs. Das grobkörnige Material, die meist phantastische, symbolische Auffassung und nicht zum mindesten der offensichtliche Mangel jedes genaueren Naturstudiums sind wohl die Hauptfaktoren, denen diese merkwürdige Plastik ihre Entstehung verdankt.

 

Gerade mit den Schottenmönchen zog eben eine andere auch vom Norden stammende Anschauung in die Regensburger Kunstwelt. Es wäre falsch zu behaupten, dass vorher in Regensburg keine plastische Kunst getrieben worden wäre; das haben wir ja an den schon erwähnten Skulpturen gesehen, aber -- und darin besteht der grosse Unterschied-- die frühere Plastik verfolgte den Zweck gewisse, wirklich vorhandene Dinge und vor allem Persönlichkeiten wiederzugeben, wenn man von der Darstellung Christi absehen will, die einer heiligen Scheu wegen, an der konventionellen Überlieferung kleben bleibt! So finden wir in der Zeit vor den Schotten in Regensburg nur Plastiken, die Herzöge, Äbte, Bischöfe, Könige und Königinnen darstellen sollen.

 

Abb. 36. Römische Plastik.

 

Die skulpturelle Kunst, die die Schottenmönche einführten, zeigt dagegen einen anderen Charakter. Ist es auch der früheren Plastik nur dadurch gelungen bestimmte Personen erkennen zu lassen, dass ihre Namen eingemeisselt, oder ihnen bezeichnende Attribute (Krone, Vogel) beigegeben wurden, so war damit der Zweck, wenn auch mit primitiven Mitteln, doch erreicht. Jetzt wurde aber die Wiedergabe des Natürlichen fast ganz zurückgedrängt und förmlich überwuchert von der Darstellung nur in der religiös aufgeregten Phantasie vorhandener Gestalten, deren Tummelplatz von jeher die germanisch-mittelalterliche Mythe war, in der sich der Kampf der alten heidnischen Anschauungen mit den neuen christlichen widerspiegelt.

 

Ein Stück germanisch-mittelalterlichen Gedankenlebens, mit seiner grossen Furcht vor seelenfeindlichen Gewalten, hat sich uns also in diesen

 

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Halbmensch-Gestalten, Drachen und Untieren erhalten, deren Anblick uns eigentümlich berührt, der uns aber gar nicht so fremd zu sein brauchte. Aber der überschwengliche Glaube und vor allem Aberglaube des tiefen Mittelalters spricht aus diesen Figuren und das entrückt sie unserer Auffassung und lässt Sie uns unverständlich erscheinen.

 

Weiter oben wurde schon auf die Unfreiheit der Bewegung, auf die primitive, an die Holzschnitzkunst erinnernde Faltengebung der Gewänder sowie die Darstellungsweise der Haare an Menschen und Tieren hingewiesen. Auch hier kann man bis zu einem gewissen Grade die Plumpheit der Formen dem groben Material zuschreiben wie auch der Verwitterung. Dass aber eine reifere Kunst demselben rauhen Material, sowohl in Gesichtsausdruck, wie Wiedergabe des nackten Körpers (Abb. 36), Faltengebung sowie Tierdarstel- lung 1) (Abb. 37), etwas ungleich vollkommeneres herstellen konnte, das beweisen die ausgegrabenen, römischen Plastiken, wenn sie auch fast ein Jahrtausend älter sind.

 

Abb. 37. Römischer Löwe auf einem Eber liegend.

 

Die Gotik hielt das Material für ihre Darstellungsweise schon nicht mehr für geeignet und verwendete gerne feinen roten Marmor, oder noch lieber feinen graugrünen Sandstein, der auch eine glatte Übermalung erlaubte; das zeigen die schönen Hochgräber in St. Emmeram.

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1) Anmerkung: Wenn es auch nicht immer zweifellos erscheint, ob mit dieser aus dem Orient stammenden Idee eines auf einem Eber reitenden Löwen lediglich die Kraft versinnbildlicht werden soll, oder ob sexuelle Gedanken mitspielen, so scheint schon das Auftreten dieser Darstellung in der römischen Provinzialkunst an verschiedenen Orten, so ausser in Regensburg z. B. auch in Köln (Skulptur im Wallraff-Richartz-Museum) auf eine sehr gangbare und dem römischen Ideenkreise bekannte Form schliessen zu lassen. Stellt man aber zum Vergleich die zahlreichen mittelalterlichen romanischen Skulpturen von Löwen, die meist Menschen zwischen den Pranken halten -- z. B. vergl. Abbildung des Nordportals von St. Jakob, so ist wenigstens die äussere Verwandtschaft dieser beiden Darstellungen doch geeignet, unwillkürlich die mittelalterlichen Skulpturen in einem gewissen Zusammenhang mit dieser römischen Provinzialkunst erscheinen zu lassen.

Es soll damit die Vermutung, als hätten derartige römische Skulpturen den romanischen Bildhauern als Modell gedient, wie schon erwähnt, durchaus nicht das Wort geredet werden, aber ob wir in diesen mittelalterlichen Skulpturen nicht das auf den Ideengang des Christentums übertragene und aus demselben hervorgegangene Resultat geänderter Anschauungen erblicken dürfen, ist wohl nicht von der Hand zu weisen.

War in dem einen Fall die Macht des Römers versinnbildlicht, so konnte im anderen Falle die Macht des Bösen sehr wohl in dieser wirksamen Form dem Volk vor Augen geführt werden.

 

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Rückblick.

Regensburg kann auf eine besonders reiche und mannigfache Entwicklung seiner romanischen Kunst zurückblicken, deren Zustandekommen eine ganze Reihe von Faktoren nacheinander bewirkte. Die ersten Steinbauten wurden unter dem Einfluss der wuchtigen römischen Bauweise errichtet, die auch wertvolle Fingerzeige für die Erlangung der technischen Gewandtheit bot und so die Hauptschwierigkeiten überwinden half. Nachdem der Boden so vorbereitet war, konnte er auch von Italien kommende Motive erfassen und die Ausführung ermöglichen, zuerst zwar mit der grössten Einfachheit, später aber schon mit gutem technischen Können. Die Reihe gleichartiger und gleichzeitiger Bauten beweist, wie sehr man sich an einmal eingeführte Bauweisen anklammerte und nur kleine Variationen hervorbrachte, die allerdings ein langsames Fortschreiten erkennen lassen. Inzwischen war die Verbindung mit Schwaben auch so gewachsen, dass sich, im Zusammenbang mit den klösterlichen Bestrebungen, auch der Einfluss der Hirsauer Bauschule geltend machte, der bis zur anfangenden Gotik für die Gesamtanlage der Kirche massgebend blieb. Nebenher gingen die Einwirkungen der mit den Kreuzzügen neuentstandenen Ritterorden wie der Templer 1), die zwar gegenüber dem noch immer starken Kunstzug von Italien her keine einschneidende Bedeutung erlangten. Aber auch der Einfluss der südlichen Kunst wurde bald in den Hintergrund gedrängt durch das plötzliche Auftreten nordischer und zwar normännischer Kunst, die in frischer Natürlichkeit von den Schottenmönchen nach Regensburg gebracht wurde, um hier mit einem Schlage die Herrschaft an sich zu reissen und durch den Reichtum der Phantasie und des Formensinns so überwältigend zu wirken, wie später die Gotik es durch ihre Massverhältnisse getan hat; kein anderer Einfluss war imstande auch nur ähnliches entgegenzustellen und jener normännischen Kunst den Rang abzulaufen. Diese Epoche schwelgt in Erfindungen und Ideen und zeigt einen unerschöpflichen Reichtum an Gedanken, wenn auch die Darstellung oft nicht über verunglückte Versuche hinausgeht; mit dieser Periode ist der Höhepunkt erreicht, dessen Ausläufer kaum Zeit hatten auszuklingen und gar bald von der eindringenden Gotik erstickt wurden. Demzufolge ist der Wert jener Regenburger romanischen Kunst weniger in einer autochthonen Grundriss- und Aufrissentwicklung der kirchlichen Baukunst, als vielmehr in der -- zwar auch fremden Motiven entnommenen aber doch selbständigen, dem Können, der heimischen Technik und dem Material angepassten Detailkunst zu suchen, so dass uns in Regensburg, in Übereinstimmung mit dem ganzen Bayern eine eklektische Kunst entgegentritt, die von den frühesten Anfängen an bis zur höchsten Blüte ein klares Bild dieses naivurwüchsigen, aus selbsteigener Kraft der germanischen Völker entstandenen Stiles gibt.

 

Regensburg im Januar 1908.

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1) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Templer sich in Regensburg eine kleine Kirche in Hallenform erbauten, nämlich die sogen. Leonhardikapelle. Näh. siehe Pohlig S. 32. Diese Form zeigt übrigens schon die südlich von Regensburg gelegene 1105-1110 erbaute Benediktinerkirche in Prül. (Näheres siehe B. Riehl, Beiträge zur Geschichte der romanischen Baukunst im bayer. Donautal) mit schönen neuauſgedeckten romanischen Wandmalereien. Ferner nördlich von Regensburg die Cisterzienserkirche in Walderbach (erbaut Ende des XII. Jahrhunderts). Näheres siehe Dr. Hager: die Kunstdenkmäler Bayerns. Band: Oberpfalz und Regensburg. Bez.-Amt Roding.

 

Einfügung: Cisterzienserkirche in Walderbach 2010

 

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Anhang.

 

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Mitteilung über die Ausgrabung nördlich der St. Jakobskirche.

 

Beitrag zur Geschichte dieser Kirche.

 

Anfang Juni heurigen Jahres begann man mit der Änderung der gärtnerischen Anlagen, die sich nördlich der Jakobskirche befinden. Nach Beseitigung des Humus traf man bald auf von Bauschutt umgebene Fundamentmauern und zwar ungefähr in der Mitte des in der Skizze veranschaulichten, aufgedeckten Kirchengrundplanes (Abb. 38).

 

Obwohl an dieser Stelle kein Bauwerk zu vermuten war, glaubte ich doch beim weiteren Verfolg dieser Mauern -- deren mittlere beim späteren Verlauf die Pfeilerreihe ergab -- auch einen Fingerzeig für die Gestaltung der, nach bisheriger Annahme, früher vorhandenen Vorhalle des Nordportals zu finden. Ich bemühte mich daher zuerst nur als Privatperson beim Fortschreiten der Arbeiten gegen Osten zu, die zutage getretenen Mauern genau mit dem Masstab abzumessen und mir Notizen darüber zu machen. Da man vorläufig, weil wenig in die Tiefe gegangen wurde, nur anscheinend zusammenhängende Mauerüberreste fand, ergab sich noch kein Anhaltepunkt für die Gestaltung des Ganzen.

 

Erst als östlich die beiden Längsmauern mit einer Rundung (im Plan die südliche Apsis) endeten, die noch dazu von einer den inneren Mauerkern umgebenden und nicht mit demselben zusammenhängenden Mauer 1) umschlossen war, wurde es klar, dass es sich um eine Kirche handelte. Leider konnte ich das Stehenbleiben dieses interessanten Ostteiles bis zur Aufdeckung des Übrigen nicht erwirken. 2) Der innere Mauerkern mit dem charakteristischen rechteckigen Ausschnitt wurde abgetragen, während die äussere aus regelmässig und teilweise rechtwinklig bearbeiteten Bruchsteinen, solid hergestellte Umfassungsmauer einstweilen stehen blieb (siehe Anmerkung 1). Leider war der östliche Abschluss der Apsiden beim früheren Anpflanzen von Bäumen und beim Herstellen des Pflasters arg zerstört worden, so dass man keinen genauen Abschluss mehr erkennen konnte. Auch hier hat eine spätere

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1) Diese Mauer war scheinbar ununterbrochen, bis sie sich später als die Fortsetzung der Vorlagen darstellte.

2) Da man einerseits nicht über den vorhandenen Weg hinausgraben durfte, andererseits aber das Bestehen einer dritter Apsis vermutet wurde, musste später, nachdem Geldmittel vorhanden waren, noch einmal nachgegraben werden. Diese Nachgrabung förderte die angegebene Form des Grundplanes.

 

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Nachgrabung ein den Erwartungen wenig entsprechendes Bild gefördert, nämlich an Stelle der Nordapsis, eine gar nicht im Verhältnis zum ganzen stehende kleine Rundung (Siehe Plan !).

 

Unterdes 1) hatte man auch an der Südmauer -- nachdem die Vorlagen 4 und 5 weggerissen waren -- die Fundamente der Vorlagen 6, 7 und 8 aufgedeckt. Scheinbar standen einige in Zusammenhang mit

 

DIE AUFGEDECKTEN FUNDAMENTE NÖRDLICH DER ST-JAKOBSKIRCHE

REGENSBURG. M 1:340

ANMKG:
1) SENKRECHT SCHRAFFIRTES MAUERWERK MIT DER LÄNGSMAUER NICHT ZUSAMMENÄNGEND
2). ERGÄNZUNGEN v. REKONSTRUKTION DER VORHALLE PUNKTIERT u. SCHIEFF SCHRAFFIERT

Aufgen. HANS WAGNER
REGENSBURG JULI 1908

 

Abb. 38.

 

der Längsmauer, jedoch konnte ich bei nochmaligem tieferen Nachgraben einwandfrei feststellen, dass die Vorlagen nur mit einem 2--3 cm starken

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1) Inzwischen hatte ich mich an das, die gärtnerischen Arbeiten leitende Stadtbauamt gewendet, mit dem Ersuchen, mir die Aufnahmen dadurch zu erleichtern, dass man das Aufsichtspersonal davon unterrichtete; doch konnte ich, wie schon erwähnt, das Stehenbleiben der Ostpartie nicht durchsetzen. Das Stadtbauamt beauftragte bald darauf einen Beamten mit der genauen Vermessung der später zutage tretenden Mauerreste und von diesem Zeitpunkt an wurden die Mauern erst nach genauer Aufnahme abgetragen. So konnte man wenigstens von den Teilen westlich der Apsiden ein zusammenhängendes Bild bekommen.

 

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Mörtelband aus äusserst gut erhärtetem Kalkmörtel, mit der durchlaufenden Mauer in Verbindung standen und jedenfalls nicht gleichzeitig mit derselben aufgeführt worden sein dürften. In beiden Fällen war das Material gelblicher Kalkstein mit Muscheleinsprengungen mit weissem Mörtel verbunden, nur aus Bruchsteinen, ohne eine mittlere Füllung von Mörtel und Abfall -- also nicht als Füllmauerwerk, trotz der Mauerdicke – hergestellt.

 

Ein einwandfreies, befriedigendes Bild der nördlichen Apsis der neu aufgedeckten Anlage, liess sich auch bei nochmaligem tiefen Nachgraben zur Feststellung der Aussenseite nicht erzielen. Neben der im Plane angegebenen kleinen Rundung ist auch die vielleicht einstige Form des Abschlusses mit punktierten Linien gegeben. Die innere Rundung des nördlichen Apsis war sehr unregelmässig, so dass man sie nur als untersten Fundamentabsatz auffassen kann; es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass in den nächsthöheren Schichten diese Apsis ebenso gestaltet war wie die südliche. Überhaupt scheint nicht nur beim Abbruch der Kirche im Jahre 1560 (siehe weiter unten), sondern auch später durch Umbauten gerade an dieser Stelle viel zerstört worden zu sein, wie das aus einer alten Bleistiftzeichnung, das Jakobstor vor 1803 darstellend, ersichtlich ist. Wenn dieselbe auch nicht genau ist, so zeigt sie doch noch einen Teil einer runden Mauer, die der südlichen Apsisrundung entspricht; daran schliesst sich die gegen Osten liegende Kirchhof-Abschlussmauer mit Eingang, dessen Backsteinpflaster man in 40 cm Tiefe antraf. Auch diese Mauer ist bei den Nachforschungen aufgedeckt worden und zeigt neben Mauerwerk, das solchem an der später erwähnten schiefen Mauer entspricht, spätere Technik (Fischgrätenmauerwerk) und weniger gutes Material. Gerade aber an der Stelle der fraglichen Nordapsis ist aus der Zeichnung nur der gerade, mit einem Tor durchbrochene Abschluss eines scheunenartigen Gebäudes ersichtlich.

 

Bei der Betrachtung des Grundplanes fällt nicht nur die zweischiffige Anlage, sondern auch die grosse Unregelmässigkeit in Stellung und Grösse der Pfeiler- bezw. Säulenfundamente auf, ganz abgesehenvon den ja im Mittelalter nicht selten vorkommenden Abweichungen vom rechten Winkel und der nicht ganz parallelen Lage zur Klosterkirche; die annähernd gleichlaufende Richtung weist jedoch auf einen baulichen Zusammenhang hin, der aber noch keinen Hinweis dafür gibt, welchem der beiden Bauten die Priorität zuzuerkennen ist.

 

Da nun für die eigentlich unerwartete Aufdeckung der Fundamente dieser Kirche, deren Name wohl in zwei alten Handschriften erwähnt ist -- von der man aber gar nichts, nicht einmal ihren ehemaligen Standplatz wusste -- etwas Licht nur durch die vorhandenen handschriftlichen, ältesten Quellen gewonnen werden kann, so seien zunächst diese wiedergegeben.

 

In P. Hier. Grienewaldts Beschreibung der Stadt Regenspurg a. 1615 ist auf Seite 129 zu lesen: „Pfarrkirch St. Nicolai im Schottenkloster bay St. Jakob, nachst an dem Stadtthor“; er berichtet weiter, dass diese Kirche von einem nachlässigen Abt daselbst, wegen angeblicher Baufälligkeit dem Magistrat auf Abbruch überlassen wurde, im Jahre 1560. Daraus ist zu ersehen, dass wir es mit der Pfarrkirche St. Nicolaus zu tun haben dürften. Es ist dies um so eher zutreffend, als dieser kleine Bau

 

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als Pfarrkirche für den kleinen Pfarrbezirk ausreichend war, während St. Jakob selbst Klosterkirche blieb; die Bedeutung dieser kleinen Kirche scheint bei der unmittelbaren Nähe des prächtigen Hauptbaues bald zurückgegangen zu sein, so dass man der Erhaltung derselben nicht die nötige Sorgfalt zuwendete. Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass die Kirche St. Nicolaus nicht sehr lange in ihrer Eigenschaft als Pfarrkirche gedient hat, sondern später als Totenkirche verwendet wurde, in der hauptsächlich nur mehr die Einsegnungen von Pfarrangehörigen vorgenommen wurde, die dann unmittelbar an der Kirche im Friedhof bestattet wurden.

 

Die Erbauung von St. Nicolaus dürfte wohl zeitlich mit der Transferierung des Klosters von Weih St. Peter und mit der Errichtung der ersten Anlage von St. Jakob (1111) annähernd zusammenfallen; mangels genauerer Angaben kann die Zeit jedoch nicht genau bestimmt werden. Von grösserer Bedeutung ist noch die Kunde 1), die besagt, dass die Kirche durchaus gewölbt sei; das gibt schon die Erklärung für die mittlere Reihe der Pfeilerfundamente. Das westlichste Fundament hat wohl ehemals eine Säule getragen, deren Zweck jedoch nicht klar ersichtlich ist, obwohl die Nachricht, dass die Kirche überwölbt war, das Vorhandensein einer niedrigen Westempore nicht ausschliesst. Da die Kirche nur vom Kloster aus zugänglich war, würde auch eine Westempore dem Zugang, der nur an der Südseite der Kirche zu suchen ist, nicht im Wege gewesen sein. Die Mauerdicke war bei einer Fundamentbreite von rund 2,0 m im Verhältnis zu den kleinen Abmessungen des ganzen Baues von vornherein so gross bemessen, dass dieselbe vollauf genügte, um dem Gewölbedruck zu widerstehen. Man braucht deshalb auch nicht an ein späteres Einziehen der Gewölbe zu denken, noch in den südlichen Vorlagen Strebepfeiler zu suchen.

 

Wir haben es jedenfalls mit einer zweischiffigen Hallenkirche zu tun, die entweder mit zwei Tonnengewölben mit Stichkappen, oder mit, allerdings oblongen, Kreuzgewölben überdeckt war. Letzteres stellt eine Ausnahme in der damaligen romanischen Wölbekunst Regensburgs dar.

 

Ebenso bemerkenswert erscheint auch die Anlage der noch um die südliche Apsis herumgeführten, selbständigen Vorlagen an der Aussenseite der Südmauer. In den Zwischenräumen zwischen den Vorlagen befanden sich sehr viele Gebeine, ein Umstand der auf den Zweck dieser Bauglieder,

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1) Die zweite alles vorhandene Material zusammenfassende Nachricht ist zu finden bei Christ. Gottlieb Gumpelzheimer 1837, „Regensburgs Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten“. „Auf dem Kirchhof bey dem Kloster St. Jakob, gegen das Tor zu und auf der Strasse heraus, stand eine baufällige Kapelle St. Nicolai oder Nimiam genannt. Abt Balthasar des Schottenklosters errichtete vom 5. Sept. 1560 mit dem Magistrat einen Kontrakt, nach welchem diese Kirche ihm zum Abbruch cediert werden sollte, doch so, dass sie (die Schotten) die Hohlziegel von dem Dach selbst abtragen und in des Klosters Nutzen verwenden möchten, die Mauern und Steine aber der Rat auf seine Kosten abbreche und solche nach seinem Gefallen verbrauche, dagegen jedoch den Kirchhof, so weit sich die Mauern der abgebrochenen Kapelle erstrecken, mit einem Mäuerlein schliessen soll. Die Kirche war sehr alt und durchaus gewölbt und nur vom Kloster aus konnte man in dieselbe gelangen.

Auf dem Beschütt vom Gewölbe fand man die Gerippe von 20 verwesenden Kindlein; keine Treppe führte weder von innen noch aussen zu diesem Gewölbe, aber in der Ecke der Kirche fand sich eine schon beynahe morsche Leiter angelehnt, mittels welcher man durch ein Loch auf das Gewölbe kommen konnte.

 

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die wahrscheinlich einer etwas späteren Zeit entstammen, hindeutet. Zwischen Vorlage eins und zwei mag sich möglicherweise eine kleine gruftartige Wölbung gespannt haben; wenigstens schienen an der Innenseite der beiden Vorlagen widerlagerähnliche Steine herauszuragen. In einer Tiefe von 60 cm bis 1,00 m fanden sich in dieser Höhlung so viel Knochen wie nirgends. Wenn sich auch nicht nachweisen liess, dass zwischen diesen Vorlagen vornehmen Leuten der Pfarrei oder Gönnern des Schottenklosters Familiengrüfte eingeräumt waren, so dürften jedenfalls diese Vorlagen nicht mit Strebepfeilern zu identifizieren sein; sie liegen nämlich gar nicht alle genau gegenüber den mittleren Pfeilerfundamenten, waren ferner auf der entgegengesetzten Seite gar nicht nachzuweisen und bezeugen durch die annähernde Genauigkeit der Masse unter sich in Unabhängigkeit vom Kircheninnern ihre selbständige Bedeutung. Sie werden im Zusammenhang mit den vorhin erwähnten Gründen wohl nur architektonisch-dekorativem Zwecke gedient haben.

 

Mindestens ebenso unerwartet, wie die aufgedeckte Kirche kam die schräg gegen die Jakobskirche verlaufende Mauer zum Vorschein. Dort wo diese Mauer an das kleine Kirchlein wohl einst angeschlossen war, ist leider beim früheren Anpflanzen von Bäumen das Fundament zerstört worden, jedoch kann die Anlehnung an diese südwestliche Kirchenecke, schon wegen der Geschlossenheit der Anlage, nicht zweifelhaft erscheinen.

 

Der schräge Lauf der ganzen Mauer hat jedoch in Bezug auf die Hauptsache, nämlich die Aufdeckung von Fundamenten, die der vermuteten Vorhalle hätten angehören können, allen Erwartungen Hohn gesprochen, und man kann feststellen, dass die besonders an den in Frage kommenden Stellen, gegenüber den Bogenansätzen, eifrig betriebenen Nachforschungen nur ein negatives Resultat gezeitigt haben. Die Mauer rückt dem westlichen der beiden Pfeilervorlagen des Nordportals so nahe, dass es anfangs nicht ausgeschlossen erschien, dass der Bogen sich auf die Mauer spannte. Gerade an dieser Stelle war auch das Mauerwerk wieder zerstört durch einen Baum. Nachgrabungen an der Innenseite dieser schrägen Mauer gegen den Portalpfeiler zu (siehe Plan) bis zu 3 m Tiefe, haben aber gar keine Spur eines Fundaments, das dem Bogen als Auflager gedient haben könnte, gezeigt. Die schiefe Mauer ging ununterbrochen auch vor dem Portal vorüber, dass wohl anzunehmen ist, dass nie ein direkter Zugang von dem damals tiefer liegenden Terrain zum Nordportal bestanden hat; Steintreppen oder ähnliches kam nicht zum Vorschein. Die Zugänge waren vielmehr wie das aus der Abbildung und alten Plänen ersichtlich ist, und wie es sich auch aus der Beschaffenheit des früheren Terrains erklärt nur von Osten und Westen. Um so mehr erwartete man ein Fundament bei dem östlichen Pfeiler; aber auch hier haben die Nachgrabungen gar nichts gefördert. Die beiden noch vorhandenen Teilstücke des Bogens 1) ergaben einen Durchmesser von ungefähr 4,80 m; somit hatte man die Entfernung, in der sich Fundamentspuren hätten finden müssen. Dass der östliche Portalpfeiler annähernd der Westwand der Nicolauskirche gegenüberliegt, ist wohl nicht zufällig und scheint in einer

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1) Die verzahnte Fläche über den beiden Eckpfeilern wurde erst unter Dombaumeister Deuringer geglättet, ebenso die Übergangstelle von der alten Ostpartie zum Quadermauerwerk.

 

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unmittelbaren Beziehung zum Nordportal zu stehen. Nicht unwahrscheinlich ist es auch, dass die schiefe Mauer mit der Südwestecke von St. Nicolaus in der im Plan angegebenen Weise verbunden war.

 

Dass diese fraglichen Fundamente der korrespondierenden Pfeiler vielleicht nur so wenig tief fundiert waren, dass sie bei der Tieferlegung des ganzen Terrains um einen halben Meter, anlässlich der Bepflanzung mit Bäumen in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, weggerissen wurden, ist bei der Gründungstiefe des Portals selbst und der übrigen Mauern ganz und gar nicht wahrscheinlich.

 

Auf Grund all dieser Beobachtungen kommt man zu dem wichtigen Schluss, dass die Vorhalle wohl projektiert war, aber nie zur Ausführung gekommen ist.

 

Wie aber mag die Halle gedacht gewesen sein? Bei Annahme eines Vorhallenprojektes unter Zugrundelegung des Ergebnisses der Ausgrabung ist die Frage, ob die Nicolauskirche und die anschliessende schiefe Mauer zur Zeit des Umbaues von St. Jakob schon vorhanden war, von Wichtigkeit und bedarf zunächst der Lösung.

 

Dazu ist es notwendig, kurz auf die Gründung des Schottenklosters zurückzugreifen.

 

Die ursprüngliche Ansiedelung der Schottenmönche war das Kloster mit Kirchlein Weih St. Peter vor der südlichen Stadtmauer. Bei der zunehmenden Zahl der Mönche wurde das alte Kloster zu klein und die Mönche nahmen, in Anbetracht der Ausdehnung der Stadt nach Osten und Westen, westlich ausserhalb der Stadtmauern einen neuen Klosterbau in Angriff.

 

Ist nun zwar nur von der Jakobskirche selbst überliefert, dass sie in den Jahren 1110-1120 erbaut wurde, so wird man doch nicht fehl gehen in der Annahme, dass die Pfarrkirche St. Nicolaus annähernd gleichzeitig mit dem ersten Bau von St. Jakob errichtet wurde.

 

Dass diese ausdrücklich als „Pfarrkirche bey St. Jakob“ bezeichnete Nicolauskirche schon vor der Ansiedlung der Mönche dort vorhanden gewesen sein sollte, erscheint unbegründet; ausserdem beweist die annähernd parallele Lage der beiden Kirchen eine gewisse Abhängigkeit der beiden Bauten von einander. Kaum hätte man sich bei der Situierung der grossen Jakobskirche durch das kleine Kirchlein beeinflussen lassen.

 

Eher könnte man eine etwas spätere Datierung des Baues zulassen, etwa gegen Mitte des XII. Jahrhunderts, so dass die Nicolauskirche vor Abbruch und Umbau der Jakobskirche schon bestand und der Gottesdienst keine Unterbrechung erfahren brauchte. Die Nachricht, dass die Nicolauskirche schon Mitte des XVI. Jahrhunderts für den Abbruch reif war, erklärt sich nur daraus, dass dieselbe ebenso wie St. Jakob „eilfertig“ gebaut war und nur der kleinen Abmessungen wegen länger hielt, als die grosse Klosterkirche. Gegen eine noch spätere Datierung spricht der Umstand, dass in Regensburg ab Mitte des XII. Jahrhunderts nur mehr Quadermauerwerk angewendet wurde, dieses aber nach der verhältnismässig kurzen Zeit von 3½ Jahrhunderten noch nicht den Abbruch gerechtfertigt hätte.

 

Daraus erhellt das Vorhandensein der kleinen Pfarrkirche zur Zeit des Umbaues von St. Jakob, wenn es nicht als Beweis für die Gleichzeitigkeit der beiden ersten Kirchenbauten gelten kann.

 

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Das Bestehen der Nicolauskirche kann und muss also als Faktor bei der Vorhallenfrage in Rechnung gezogen werden.

 

Was die schiefe Mauer betrifft, so erscheint bei der Anlage des Klosters ausserhalb der Stadtmauern eine Einfriedigungsmauer mit als erstes Erfordernis. Ihre merkwürdig schiefe Richtung war, wie schon darauf hingewiesen, weniger durch Besitz-, als durch Terrainverhältnisse bestimmt. Neben dem Bestehen der Nicolauskirche ist also der Verlauf der Schiefen Mauer im Auge zu behalten.

 

Die Frage nach dem Grund, warum man sich zur Anlage einer Vorhalle oder eines Vorhofes entschloss -- es möge dies im Zusammenhang mit anderen Hirsauer Bauten geschehen sein oder deswegen, um einen Raum für Büssende oder Unwürdige zu schaffen, oder vielleicht um es dem mächtigen Kloster St. Emmeram gleich zu tun, das Ende des XII. Jahrhunderts auch an einer Vorhallenanlage arbeitete --, braucht hier nicht in Betracht zu kommen.

 

Hier ist die Absicht zu einer ähnlichen Anlage deutlich durch die zutage tretenden Bogenansätze verraten. Die Ansätze bieten auch hinsichtlich der projektierten Spannweite eine ganz bestimmte Grösse -- von 4,80 Meter -- mit der man rechnen und von der man bei der weiteren Untersuchung ausgehen muss.

 

Dass die Absicht nicht bestanden hat Bogen oder Gewölbe gegen den übrigen Teil des Portals und seine seitlichen Fortsetzungen zu spannen, geht aus einem Blick auf das ganze Portal hervor. Punkte, an welche sich Bogen oder Gewölbe hätten anlehnen können, sind weder vorhanden noch zu finden.

 

Auch der Gedanke an einen Giebel muss bei der breit hingelagerten Masse, der Horizontalteilung und dem durch die Reihe der Apostelfiguren über dem Portalgewände gebildeten Abschlusse unbedingt zurückgewiesen werden.

 

Die geplante Vorhalle könnte sich also, entweder mit einer geraden Balkendecke oder einem offenen Sparrendach überdeckt, an das Portal angelehnt haben. Das hätte aber den Nachteil gehabt, dass ein grosser Teil des Portals in Dunkel gehüllt und damit die Wirkung besonders der obersten Figuren abgeschwächt worden wäre.

 

Eine andere Lösung wäre die, dass bei Annahme einer dreischiffigen Vorhalle -- gewölbt oder mit Balken überdeckt -- (Siehe Planskizze Seite 72 im Anhang) das letzte oder die letzten zwei Felder als offenes Atrium ausgebildet wären. Dadurch entstände ein offener Vorhof, der nicht nur im Gegensatz zum Halbdunkel der Vorhalle das freiliegende Portal dem Auge in desto glänzenderem Lichte hätte erscheinen lassen, sondern auch bei der Geschlossenheit des dadurch gebildeten Raumes zur Konzentration der Gläubigen besonders beigetragen hätte. Die durch die Mönche beabsichtigte lehrhafte Einwirkung der Darstellungen am Portal auf die Kirchenbesucher wäre durch nichts besser erreicht worden.

 

Man könnte nun fragen, zu welchem Zweck beabsichtigte man von den Eckpfeilern ausgehende Bögen zu spannen, wenn doch der Platz vor dem Portal unüberdeckt bleiben sollte? Aber auch dieser scheinbare Widerspruch wird dadurch einfach gelöst, dass diese Bogen dem Seitenschub der angrenzenden Bogen begegnen und zu einer architektonischen Verbindung der Halle mit der Kirche dienen sollten.

 

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Die Aufstellung dieses Projekts schliesst jedoch nicht nur die Anlehnung an die Westwand der vorhandenen Nicolauskirche, sowie die Schleifung der schiefen Mauer auf die nötige Länge in sich, sondern erforderte auch -- was nicht zu übersehen ist -- eine Überbrückung des Wassergrabens, der sich gegen den sogenannten Weissgerbergraben -- bis zur Erweiterung der Stadtmauer gegen Westen um 1284 -- hinzog, oder wenigstens die Schaffung einer genügenden Fundamentierungsmöglichkeit bei dem schlammigen, schlechten Baugrund. Ausserdem war, sollte der Hauptzugang nicht mehr von Osten, sondern nur durch die Vorhalle von Norden her erfolgen, die Errichtung einer zweiten Brücke nötig, die wieder auf das jenseitige Ufer des Grabens führte.

 

Die Geschlossenheit der klösterlichen Anlage brauchte durch einen solchen Bau nicht zu leiden, denn die Westwand der Vorhalle konnte undurchbrochen sein bis zum Anschluss an die schiefe Mauer und die drei Eingangstore konnten nötigenfalls durch Tore geschlossen werden, wie das heute noch bei der Vorhalle von St. Emmeram der Fall ist.

 

Bei Situierung des Nordportals mit den einbezogenen Seitenwänden hatte man wahrscheinlich schon Rücksicht genommen auf den Bau einer Vorhalle. Oder sollte es Zufall Sein, dass der östliche Abschlusspfeiler des Portals in einer Flucht liegt mit dem aufgehenden Mauerwerk der Westwand der Nicolauskirche? Kann wegen der Beibehaltung der Ostteile der Jakobskirche auch die Länge des Neubaues keine wesentliche Änderung erfahren haben, so war doch für die Anlage des Portals genügender Spielraum in der Längsrichtung gegeben.

 

Je mehr man aber zu der Ansicht gelangt, dass der ganzen Anordnung des Nordportals der Gedanke einer vorzulegenden Vorhalle von grösserer oder geringerer Ausdehnung zugrunde lag, um so schwieriger wird die Lösung der Frage, warum der Bau doch unterblieb. - Ja man kann sogar noch weiter gehen und sagen, dass man mit der Verwirklichung dieser Bauidee schon begonnen hatte, in dem die am Bau tätigen Steinmetzen die vier liegenden Löwen bereits gemeisselt hatten, die als grimme Wächter am Eingang der Vorhalle Aufstellung finden sollten.

 

Die zu beiden Seiten des Portals und in der Mitte der seitlichen Wandflächen auf Postamenten ruhenden Löwenfiguren lassen sehr vermuten, dass ihre Anbringung an diesen Stellen trotz der äusserst meisterhaften Einfügung nicht ursprünglich war. Man kann vielmehr das Hineinstossen der Tierleiber in die menschlichen Figuren befremdend finden und mit Recht von der Ansicht ausgehen, dass diese Anordnung die Folge einer späteren Einfügung ist. Die Mönche werden sich wohl schwer entschlossen haben diese Figuren, an deren jeder die Mühe und Arbeit eines Künstlers hängt, teilweise zu zerstören.

 

Aber man hatte diese vier Löwen, die mit dem Unterbleiben des Baues der Vorhalle ihrem Zweck nicht dienen konnten und griff, um diese wertvollen Plastiken zu verwerten, zu dem Mittel sie nachträglich in das Portal einzufügen.

 

Es ist darum schwer, wenn nicht unmöglich den wahren Grund zu finden, der gewichtig genug sein konnte, das soweit gediehene Projekt nicht zur Ausführung kommen zu lassen.

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Waren es die Schwierigkeiten, die das abfallende Terrain und der Baugrund boten, war die schiefe Mauer ein Hindernis oder liess die Lage des Klosters ausserhalb der Stadtmauern eine Erschwerung des Abschlusses gegen aussen als nicht geboten erscheinen oder fehlte es nach dem kostspieligen Bau von St. Jakob an Geld?

 

Jedenfalls sei auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der, wenn er sich auch nicht geschichtlich nachweisen lässt, doch die Möglichkeit in sich birgt, auf den Entschluss der Bauherren entscheidend eingewirkt zu haben.

 

Das war der Einsturz der zwei äussersten Gewölbejoche der Vorhalle von St. Emmeram, wo der Baumeister einerseits den Seitenschub der Gewölbe unterschätzt hatte, andererseits aber noch nicht die Kenntnisse besass, wie einem solchen Übel wirksam zu begegnen sei. Die Fortsetzung des Baues der Vorhalle unterblieb daraufhin ebenfalls, obwohl schon die Wände und die zur Aufnahme der Gewölbe bestimmten halbrunden Vorlagen gebaut waren und noch -- aus dem Lot gedrängt – stehen.

 

Die Errichtung dieser Emmeramer Vorhalle fällt aber zeitlich mit dem Neubau von St. Jakob zusammen. War nun geplant die Vorhalle von St. Jakob auch zu überwölben -- und das ist sehr wahrscheinlich -- so ist wohl anzunehmen, dass die Schottenmönche aus dem unglücklichen Ausgang dieses Versuches die nötige Lehre zogen und von einem ebenso gefährlichen Experiment Abstand nahmen.

 

Schiefe Mauer.

Gab diese schiefe Mauer anstatt der positiven Lösung der „Vorhallenfrage“ nur noch mehr Fragen auf, so ist sie doch ſür die Erklärung einer Eigenheit der Jakobskirche selbst von Bedeutung.

 

Die beiden Sockelhöhen an der Nordseite, links und rechts von dem berühmten Nordportal sind verschieden und zwar ist der Sockel östlich vom Portal um 57 cm höher als der westliche Sockel. Daraus glaubte man den Beweis erbringen zu können, dass der ganze Westteil der Kirche später errichtet und das Nordportal von Weih St. Peter dorthin übertragen worden sei. 1)

 

Über diese Eigenheit gibt nun die Fundamentierungstiefe der schiefen Mauer Aufschluss. Auf die oberste Stufe des Kircheneingangs bezogen, ist nämlich das Fundament der schrägen Mauer gegenüber dem Portal 2,28 m tief gelegen, während dasselbe gegenüber dem tiefer liegenden Sockel des westlichen Teils der Kirche auf 3,47 m hinabreicht (Stehe Plan!) Daraus ergibt sich, dass der westliche Teil des Bodens vom Portal ab, früher, bei Anlage der Kirche tiefer gelegen war. Deshalb musste man die Schiefe Mauer dort tiefer fundieren und den westlichen Kirchensockel,

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1) An anderer Stelle ist schon darauf hingewiesen, dass das aufgehende Mauerwerk der Jakobskirche von Angehörigen der damals in Regensburg bestehenden Bauhütte ausgeführt wurde. Da die Herstellung der Mauern aus glatt behauenen Steinen schneller vor sich ging wurde für das Portal das Mauerwerk ausgespart, bis die eigentlichen Künstler, die das Portal herstellten, mit ihren, viel mehr Zeit beanspruchenden bildnerischen Darstellungen fertig waren. Dann konnte erst das ganze Portal eingefügt werden. Daraus erklärt sich auch das Hineinragen der Mauer in das Kircheninnere und der manchmal nicht ganz genaue Verband mit der Längsmauer. Das Portal ist aber trotzdem gleichzeitig, wenn es auch, wie das heutzutage noch geschieht, der längeren Fertigungsdauer wegen, etwas später eingefügt wurde.

 

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der jetzt nur wenig vom Boden absteht, tiefer legen. Es spricht auch noch ein anderer Grund dafür: Gräbt man an dem Sockel des westlichen Teils der Jakobskirche hinab so findet man bis ungefähr 50 cm Tiefe unter dem Boden noch ganz glatt behauene Steine, wie sie dem Oberbau angehören und erst von da an zeigen sich rechtwinklig zubehauene Steine. Daraus erhellt, dass das Tieferlegen des Sockels nicht einen Beweis für eine spätere Entstehungszeit des westlichen Teiles bietet, sondern dass das frühere Terrain, das um soviel tiefer gelegen war, die Höhe des Sockels bestimmte.

 

Umgekehrt ist es östlich des Portals! Hier hört das Hausteinmaterial in einer Höhe von 50 cm über dem Boden auf und eine genauere Untersuchung hat ergeben, dass diese ersten mit Steinmetzzeichen A, M, E, I. etc. versehenen Quadern auf rechtwinklig zubehauenen, vorn gespitzten Kalk- und Sandsteinen von feinem Gefüge ruhen, die mit weissem Mörtel zu einem soliden Mauerwerk zusammengeſügt sind. DasMaterial entstammt, wie ein Vergleich mit dem noch am Turm und der nördlichen Apsis zutage tretenden, teilweise auch verputzten Mauerwerk zeigt (siehe Abb. 39) vom Abbruch des ersten „eilfertig“ errichteten Baues von St. Jakob.

 

Abb. 39. Anschluss des Mauerwerkes des Umbaues von St. Jakob an die alten Ostteile der Kirche.

 

Auch das Portal ist auf solchen Steinen fundiert und die Süd-(Hof)-Seite zeigt jetzt noch offen bis über Emporenhöhe dasselbe Mauerwerk und Material wie am Nordturm. Man könnte leicht der Anschauung zuneigen, dass man von dem alten Bau das Fundament und noch einen Teil des aufgehenden Mauerwerks hätte stehen lassen und darauf die neue Kirche aus Quadern erbaut. Dagegen spricht aber erstens der Umstand, dass die noch vorhandene Mauerflucht der Ostpartie von der Flucht der neuen Kirche etwas abweicht und ferner hat eine Untersuchung des Fundaments vom Nordturm gezeigt, dass dasselbe nicht aus rechtwinklig zugerichteten Bruchsteinen mit durchlaufenden Lagerfugen, sondern nur aus lagerhaften Bruchsteinen hergestellt ist, ganz so wie das Fundament der neuaufgedeckten Nicolauskirche. Man wollte

 

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den Neubau von St. Jakob als Quaderbau errichten, benützte erklärlicher Weise aber das gute Material des alten Baues zu Fundamentierungszwecken.

 

Für eine Eigenheit der Jakobskirche selbst hat die schiefe Mauer wichtige Anhaltepunkte ergeben. Anscheinend stand sie nicht in förderndem Zusammenhang mit dem Vorhallenprojekt, andererseits muss sie doch einem Zweck gedient haben. Sie kann entweder nur eine Abschluss- und Einfriedigungsmauer oder auch zugleich Stützmauer gewesen sein. Das Mauerwerk ist sehr solid hergestellt und ist dasselbe Material verwendet wie bei dem Fundament der Jakobskirche nämlich Kalksteine von 10--15 cm Höhe und 25--50 cm Länge. Nur sind die einzelnen Steine nicht so sauber bearbeitet; die Mauer war innen und aussen bis zum eigentlichen Fundament senkrecht und glatt gearbeitet, an einzelnen Stellen sogar verfugt. Nachdem die Kirche ausserhalb der Stadtmauern gelegen war, ist die Errichtung einer starken (80 cm dicken) Umfassungsmauer nur natürlich. Zugleich scheint sich aber ihre grosse Höhe dadurch zu erklären, dass sie auch eine Art Stützmauer war, die das Plateau, auf dem die Klosterkirche stand, gegen die niedriger liegende, gegen den Weissgerbergraben führende Vertiefung abstützte.

 

Die gegen die Westwand der Kirche senkrecht zulaufende Mauer stammt aus späterer Zeit und war über die schräglaufende Mauer hinweggeführt. Ebenso ist die gegen die nördliche Seitenapside zulaufende Mauer teilweise späterer Zeit angehörig, denn sie zeigt seit Römerzeiten erst im XIII. Jahrhundert in Regensburg wieder angewendetes sogenanntes „Fischgräten“-Mauerwerk, bei welchem die Bruchsteine unter einem spitzen Winkel gegeneinander liegen. Die übrigen Mauern sind die Fundamente kleiner Häuschen, die teilweise noch auf der alten Bleistiftzeichnung angegeben sind. Spuren eines Turmes gegenüber der Westempore wurden auch nicht gefunden.

 

Der ganze Platz wurde später Friedhof und sind die Grabstellen im Plane angegeben. Sonderbar erscheint, dass, obwohl nur Laien in diesem Friedhof begraben wurden, bei den Toten gar keine Beigaben, wie Kreuze, Ringe oder ähnliches gefunden wurde.

 

Das Ergebnis dieser Ausgrabung, die eine Blosslegung der Vorhallen-Fundamente zum Ziel hatte, ist allerdings nicht so gestaltet, wie man allgemein erwartet hatte. Aber wenn das Resultat -- abgesehen von der Blosslegung der Kirche, die dem Wasserheiligen St. Nicolaus geweiht ist -- auch negativ ist, so ist doch die Gewissheit vorhanden, dass die viel umstrittene Vorhalle nie bestanden hat. Jedenfalls wird aber die Erhaltung des herrlichen Nordportals die Anlage einer Schutzhalle über kurz oder lang zur Notwendigkeit machen.

 

 

 

Quelle:

Studien über die romanische Baukunst in Regensburg

von Dr.Ing. Hans Wagner (Architekt)

Buchdruckerei und Verlagsanstalt Carl Gerber, G.M.B.H., München 1908.

Hinweis: Die eingefügten Farbaufnahmen entstammen einer Studienreise von Otto Kruggel.