Der Garten der Minerva - der botanische Garten der "Scuola Medica Salernitana" - der ältesten Medizinschule Europas

Giardino della Minerva
ORTO BOTANICO DELLA SCUOLA MEDICA SALERNITANA

GESCHICHTLICHES.
Der Garten der Minerva befindet sich im Herzen der antiken Stadt Salerno, in einer Gegend, die im Mittelalter „plaium montis” genannt wurde, auf halbem Weg einer gedachten Linie, auf der sich, beginnend am Stadtpark, umzäunte, terrassierte Gärten am Fluß Fusandola entlang bis hinauf zum Kastell Arechi ziehen.
Der Garten gehörte seit dem 13. Jahrhundert zum Besitz der Familie Silvatico, wie ein Pergament bezeugt, das im Archiv der Abtei von Cava de' Tirreni aufbewahrt wird.
Später, in den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts, lebte dort Matteo Silvatico, Professor an der „Scuola Medica Salernitana", der berühmten Medizinischen Universität. Er errichtete auf diesem Grundstück einen Heilkräutergarten, den Vorgänger aller zukünftigen botanischen Gärten Europas. In dem Buch von Matteo Silvatico, genannt „Opus Pandectarum Medicinae”, lesen wir die erste Beschreibung des Gartens: ” und ich habe eine Colocasia (eine Pflanze genannt Elefantenohr) in Salerno, in meinem Garten, neben einer gut sichtbaren Quelle."
Auf diesem Grundstück von außerordentlichem kulturellem Wert, in eben diesem Garten der Minerva, wurden Pflanzen angebaut, aus denen sich Wirkstoffe gewinnen ließen, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wurden.
Matteo Silvatico nutzte seinen Garten als Lehranstalt, um den Studenten der Scuola Medica Salernitana die Heilkräuter mit ihren Namen und Eigenschaften nahezubringen.
Der mittelalterliche Garten wurde in etwa 2m Tiefe unter der heutigen Oberfläche entdeckt, wie kürzlich archäologische Recherchen ergaben.
lm Jahr 1666 „... kaufte Don Diego del Core einen Palast samt Gärten...das Haus mit dem kleineren Garten wurde restauriert und bewohnbar gemacht."
In dieser Urkunde eines Notars findet sich außerdem eine der ersten Beschreibungen der Terrasse und des Gartens: „da ist eine Galerie, zum Teil überdacht mit Holzbalken, die von Pfeilern gestützt werden, zum Teil offen und gepflastert. Von dort kann man sich am Anblick des Meeres sowie der umgebenden Berge erfreuen. Rechts gibt es eine nie versiegende Quelle... da ist eine Mauer, die die Quelle einfasst; die ist aber defekt und könnte bald zusammenfallen und die Galerie beschädigen...da gibt es eine Tür, und mit sieben Stufen geht es in den Garten. Der besteht aus einem flachen Teil, hat zwei Feigenbäume und Kletterpflanzen, die eine Pergola über acht Pfeilern bilden, die man zur Zeit aber am Boden liegend vorfindet, weil ihre Holzstützen verfault sind; andere Pfeiler sind umgefallen und zum Teil zerbrochen.”
Auch das Wasserbecken sowie die Treppe, die zur zweiten Ebene des Garten führte, werden erwähnt. Dort gibt es weitere Feigenbäume und eine Quelle, die das darunter befindliche Becken füllt.
Also wies das Grundstück trotz vieler Schäden bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts einige Besonderheiten des heutigen Gartens auf.
Der letzte Eigentümer war Professor Giovanni Capasso, der, auf Betreiben des Rechtsanwalts Gaetano Nunziante, des Direktors des „Asilo di Mendicità” , sofort nach dem Zweiten Weltkrieg das gesamte Grundstück dieser Wohltätigkeitsinstitution schenkte.
Im November des Jahres 1991 wurde in Salerno während des Symposiums „Pensare il Giardino” („Den Garten denken”) das Projekt zur Wiederherstellung des botanischen Gartens vorgestellt, der dem Andenken Matteo Silvaticos und seiner Lehre der Heilkräuter gewidmet sein sollte.
Dieses Projekt wurde dann im Jahr 2000 finanziert und ausgeführt von der Gemeinde Salerno, der heutigen Eigentümerin dieses Grundstücks. Auch Geldmittel der EU aus dem Programm „Urban“ wurden verwendet.
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Heute, nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten, zeigt sich dem Besucher eine faszinierende Vielfalt architektonischer Einzelheiten aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die auffälligste unter ihnen ist eine lange Treppe, betont durch kreuzförmig angeordnete Pfeiler, die eine Holzpergola stützen. Diese Treppe, die die verschiedenen Ebenen des Gartens verbindet und einrahmt, ist auf den antiken Stadtmauern gebaut und gibt einen weiten Blick frei auf das Meer, den Stadtkern und die umliegenden Hügel.
Ein verzweigtes Bewässerungssystem, bestehend aus Leitungen, Becken und Quellen (eine auf jeder Ebene), zeugt von großem Wasserreichtum, der über die Jahrhunderte hinweg den Gartenbau ermöglicht hat. Außerdem ist das Grundstück mit einem besonderen Mikroklima gesegnet und durch seine Südhanglage vor den kalten Nordwinden geschützt. Das ist noch heute die Grundlage für Anbau und Vermehrung von Pflanzen, die zum Gedeihen Wärme und Feuchtigkeit benötigen.


MATTEO SILVATICO UND SEIN WERK.
Matteo Silvatico
Die Familie Silvatico kam von Tosciano Casale nach Salerno.
Die sehr alte und einflussreiche Familie brachte bereits am Anfang des 12. Jahrhunderts einen Arzt hervor: Giovanni Silvatico, „milite” und Baron.

Im Jahr 1188 wird ein weiterer Giovanni Silvatico erwähnt, ebenfalls Arzt.
Im Jahr 1239 wurde Pietro Silvatico Prokurator von Terra di Lavoro und dem Contado di Molise für den Kaiser Friedrich den Zweiten. Später, im Jahr 1269, war Ruggiero Silvatico unter den Lehnsmännern von Carlo, dem Prinzen von Salerno.


Zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert trat Matteo Silvatico in Erscheinung: er war Professor an der Scuola Medica Salernitana und und ein hervorragender Kenner von Heilpflanzen. Das Manuskript Pinto berichtet, dass das Wohnhaus der Familie Silvatico sich in der Nähe der Kirche Santa Maria delle Grazie befand. Matteo S. erfreute sich großer Berühmtheit, sodass der König von Neapel, Roberto d'Angiò, ihn unter seinen Leibärzten haben wollte und ihm den Titel „miles“ verlieh als Zeichen seiner Dankbarkeit.
Unter diesem Titel erscheint er in einem Dokument, das von dem Erzbischof von Salerno und dem Orden der Crociati verfasst wurde.
Giovanni Boccaccio hat Matteo S. wahrscheinlich am Hof des Königs Roberto kennengelernt, um ihm später, im „Decamerone”, die zehnte Novelle des vierten Tages zu widmen.


Die „Pandette“
Das Hauptwerk des Professors Matteo Silvatico heißt „Opus Pandectarum Medicinae” und ist ein Lexikon der „semplici”, d. h. von Heilmitteln aus einem einzigen Wirkstoff, zumeist pflanzlicher Herkunft. Das Manuskript wurde 1317 vollendet und dem König von Neapel, Roberto d'Angiò, gewidmet.
150 Jahre später fand Angelo Catone - Leibarzt von Ferdinand dem Ersten von Aragona, König von Neapel- dies Werk so wichtig, dass er die erste Edition herausbrachte. Sie wurde in Neapel im Jahr 1474 gedruckt. Im darauffolgenden Jahrhundert wurde die „Pandette” mehrmals neu aufgelegt und ein Inhaltsverzeichnis beigefügt.
Die „Pandette” der venezianischen Ausgabe von 1523 setzen sich aus 721 Kapiteln zusammen: davon handeln 487 Kapitel von pflanzlichen Heilmitteln, 157 von mineralischen, 77 von tierischen, und 3 Kapitel beschreiben „semplici”, die wir heute nicht mehr definieren können.
Die 487 pflanzlichen Heilmittel werden mit 1972 Namen belegt ( auf Latein, Arabisch und Griechisch), mit einem Durchschnitt von 4 Namen pro Pflanze.
Die Kapitel der „Pandette” beginnen stets mit dem Namen der Heilpflanze, gefolgt von seinen Synonymen auf Latein, Arabisch und Griechisch. Die morphologische Beschreibung -von berühmten Autoren ( meist Dioscoride und Serapione der Jüngere) oder aus eigener Erfahrung- schließt sich an, sowie Angaben über die Beschaffenheit der Heilpflanze. Abschliessend werden ihre therapeutischen Möglichkeiten ausgeführt.
Die Bezeichnung der Kapitel ist ein erstes Zeichen für den großen Einfluss der arabischen Kultur auf das Werk von Matteo Silvatico: von den 487 Kapiteln über die Heilpflanzen werden 233 ( 42,9%) mit
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einem Namen arabischer Herkunft benannt. 134 Pflanzen ( 27,6%) werden zuerst auf Griechisch und nur 120 Kapitel ( 24,6%) auf Lateinisch beschrieben. Dieser Einfluss wird noch deutlicher, wenn man die Anzahl der Kapitel betrachtet, die von exotischen Arten handeln. Von den 487 Heilkräutern, die wir identifiziert haben, sind 67 ( 13,8%) exotisch. Dieser Einfluss ist einer der einzigartigen und unwiederholbaren Aspekte der „Pandette”.
Kein anderes Werk in Europa enthält so eine Vielzahl arabischer Namen, um Pflanzen des Mittelmeerraums zu beschreiben.
Die morphologische Beschreibung ist fast immer reich an Einzelheiten, oft aus klassischen Vorbildern wiederholt; die Teile des jeweiligen Heilkrautes werden beschrieben und verglichen mit denen von bereits sehr bekannten und schon bildlich dargestellten Pflanzen. Diese minuziösen Beschreibungen enthalten viel von Matteo Silvaticos persönlicher Erfahrung. Bei den Verdiensten des Werks von Silvatico wird die wissenschaftliche Stringenz unterstrichen, mit der er seine Beschreibung und Auflistung der pflanzlichen „semplici” betreibt: da bleibt kein Raum für die magisch-abergläubische Tradition, die anderen Texten anhaftet.
Schließlich ist es bedeutsam festzustellen, welch große Aufmerksamkeit der Autor den unterirdischen Pflanzenteilen zuwendet (Wurzeln, Zwiebeln, etc.). In den Beschreibungen sind sie immer angeführt, und ihre Form fließt oft sogar in den Namen der Pflanze ein, wie dann später, von Linné an, es die Blüten sein werden, die die neue Namensgebung beeinflussen.


CONTRARIA CONTRARIIS CURANTUR.
Der Therapieansatz sowie die Studien der medizinischen Botanik im mittelalterlichen Salerno gründen sich auf die „Lehre von den vier Körpersaeften”, die ihrerseits auf der antiken „Lehre von den vier Elementen” fußt.
Mit Pythagoras von Samos und seinen Anhängern von der Schule von Kroton vervollständigt sich gegen Mitte des 6.Jahrhunderts v. Chr. die Doktrin, die an das Konzept der „Harmonie“ gebunden ist. Diese Harmonie regiert und bestimmt die Zusammensetzung aller Stoffe; sie ist nicht statisch, sondern befindet sich in einem unstabilen Gleichgewicht, erzeugt von dem ständigen Kampf der Gegensätze, die den Dingen innewohnen.
Die Harmonie, die das Universum regiert, bestimmt auch den Menschen; sie gibt ihm Gesundheit, während eine Störung dieses Gleichgewichtes Krankheiten hervorruft.
Aber der Einfluss der Pythagoraeer geht noch weiter. Für sie ist das Leben aus vier Elementen zusammengesetzt: Erde, Luft, Feuer und Wasser. Diesen vier Elementen entsprechen vier Eigenschaften: trocken, kalt, warm und feucht. Die Körpersaefte ( Blut, schwarze Galle, gelbe Galle und Schleim) entsprechen den vier Elementen (Luft, Erde, Feuer und Wasser) und besitzen dieselben Eigenschaften. Die Körpersäfte sowie die Elemente stehen in direkter Beziehung zu ihren sogenannten „Primäreigenschaften”: warm, kalt, feucht, trocken.
„Vier Säfte gibt es im Körper: Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Das Blut ist feucht und warm,der Schleim kalt und feucht, die gelbe Galle warm und trocken, die schwarze Galle trocken und kalt...”.
Das Zusammenwirken dieser vier Körpersäfte bestimmt das „Temperament“ des Einzelnen, seine mentalen Fähigkeiten und seinen Gesundheitszustand.
Diese Theorie von den Körpersäften war vorherrschend in der Medizin, von 500 v. Chr. bis zur Revolution von Virchow im Jahr 1858!
Der menschliche Körper wird also bestimmt von den vier Körpersäften, und jedes Ungleichgewicht in deren Zusammensetzung führt zu Pathologien. Die Krankheit, die verstanden wird als das Überwiegen eines Saftes, muss also angegangen werden mit einem Wirkstoff ( entweder unvermischt oder zusammengesetzt), dessen Eigenschaften im Gegensatz stehen zu denen des im Überfluss vorhandenen Körpersaftes. Deswegen ist die Klassifizierung der „semplici” (der Heilpflanzen mit unvermischtem Wirkstoff) nach den Kriterien der Körpersäfte des Menschen so wesentlich. Aus diesem Grund gibt es also „warme, feuchte” Pflanzen, „warme, trockene”, „kalte, feuchte” und „kalte trockene”.


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Aber zu dieser ersten Unterteilung gesellt sich noch eine weitere von gleicher Gewichtung, die durch eine „Gradation” die Kraft der physiologischen Wirkung bestimmt. Der „Grad“ ist außerdem das Hauptkriterium bei der Bestimmung der Heilkräuter, wie sie im „Graduum simplicium”, auch genannt „De simplici medicamine” von Costantino Africano (gestorben 1085) angewendet wurde. Es geht dabei um „...das Ausmaß, in dem ein Medikament warm, kalt, trocken oder feucht ist. Es gibt vier Abstufungen. Im vierten Grad ist das Medikament dermassen warm, dass man es nicht anwenden kann, ohne zu töten. Es würde jeden umbringen, der es in grosser Menge zu sich nähme... ”
Die Beete auf der ersten Ebene des Gartens der Minerva, die durch bereits vorhandene Wege in vier „Tortenstücke” eingeteilt sind, eignen sich besonders gut dazu, diese Lehre sinnfällig zu machen. So lassen sich die grundlegenden Theorien erklären, die in der Scuola Medica Salernitana vorherrschten, indem man außerdem das mittelalterliche Klassifikationssystem dem modernen, nach Familien geordneten von Linné, gegenüberstellt.


DAS BEWÄSSERUNGSSYSTEM.
„ So wie der Körper ohne Seele tot ist, verhält es sich nicht anders mit einem Garten ohne Wasser." So schrieb Agostino del Riccio, ein ehemaliger Domenikanermönch aus Florenz, in seinem grossen Werk über die experimentelle Landwirtschaft (1595) in einem Kapitel, das ausschliesslich der Bewässerung gewidmet ist. Tatsächlich bereitet in den mediterranen Gärten die Bewässerung von jeher große Schwierigkeiten: im Sommer ist es zu trocken, sodass dem Garten Wasser zugeführt werden muss; im Winter hingegen ist wegen der Wasseranstauungen Drainage vonnöten.


Ein grundlegender Faktor in der mediterranen Landwirtschaft ist die Wissenschaft von der Verteilung des Wassers. Durch die Jahrhunderte haben sich die Systeme zum Auffangen des Wassers, zu seiner Leitung und Aufbewahrung immer weiter verfeinert, sowohl in ihrer Funktionalität als auch in ästhetischen Aspekten, bis sie schließlich zu wahren Schmuckstücken eines Gartens wurden.
Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Garten der Villa d'Este in Tivoli mit seinen beeindruckenden Wasserfällen und zahlreichen Wasserspielen: die Notwendigkeit der Bewässerung wird so mit dem Sinn für Schönheit verbunden.


Becken, Zisternen und kleine Kanäle sind aus dem Bild der mediterranen Gärten nicht fortzudenken. Sie erinnern auch an die Gartenkultur des islamischen Kulturkreises, die in den vergangenen Jahrhunderten so sehr die hiesige beeinflusst hat.
Auch im Gebiet um Salerno und an der Amalfitanischen Küste sind diese Systeme zum Auffangen und Kanalisieren des Wassers charakteristisch. Durch seine bergige Landschaft, das Vorhandensein gewisser Wassermengen und aufgrund der von altersher traditionellen landwirtschaftlichen Nutzung (Getreide, Wein, Gemüse und Blumen) bot es sich von jeher als Experimentierfeld für derartige Bewässerungssysteme an. Außerdem wurde Wasser gebraucht für die vorhandenen Papierfabriken, die Öl- und Gerteidemühlen entlang des Tals von Amalfi.
Ein räumlich begrenztes aber kostbares Beispiel für diese Verfahren, in denen sich das Nützliche mit dem Schönen verbindet, ist das Bewässerungssystem im Garten der Minerva.


DIE MITTELALTERLICHE STADT UND IHRE GÄRTEN.
ln der Vergangenheit war Salerno eine Stadt der Gemüse- und Ziergärten, dank seines milden Klimas, seines Reichtums an Quellen und der Fruchtbarkeit seiner Erde.


In seinem Buch „Salerno im 17. Jahrhundert” beschreibt Donato Dente die Eindrücke über die Stadt aus bedeutungsvollen geschichtlichen Quellen: ”... der Leser konnte sich deshalb ein gutes Bild machen über die natürlichen Schönheiten, die die Vorsehung dieser Stadt verliehen hat: die Lieblichkeit ihrer Landschaft, den Reichtum an klarem Wasser, die Milde der Jahreszeiten, die gesunde Luft, die die Medizin als heilkräftig ansieht, die an Weingärten reichen Felder, der betörende Duft der Orangenblüten, der die vielen Gärten erfuellt...”


Aus dem Mittelalter haben wir jedoch nur wenige fragmentarische Zeugnisse solcher Gärten.
Ihre Verteilung im Geflecht der gesamten Stadt war sicherlich gebunden an den Verlauf der Stadtmauern und das Vorhandensein von Wasser: eine Reihe von umzäunten, terrassierten Gärten gab es im Westen entlang der Befestigungslinie und des Flusses Fusandola; sie hatten den Vorzug vieler Quellen vom Berg Bonaides; im Osten befanden sich die Nutz- und Ziergärten beim „Orto
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Magno” in der Nähe der Stadtmauern und des Flusses Faustino ( heute Rafastia genannt): sie wurden aus den zahlreich vorhandenen Brunnen mit Wasser versorgt; weitere Gärten gehörten den Klöstern, die es in der ganzen antiken Stadt verteilt gab.
Das gesamte östliche Stadtgebiet war bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts von großen Flächen durchzogen, die zur Landwirtschaft genutzt wurden (daher der Name „Orto Magno”). Mit der Zeit verloren diese unbebauten Zonen ihren landwirtschaftlichen Wert und wurden als Baugelände begehrt. Die Anzahl der Häuser, die von Gärten oder Feldern umgeben waren, nahm beträchtlich ab. Die wenigen noch unbebauten Gebiete gehörten entweder der Kirche, oder sie wurden als „kommunale Gärten" von den Bewohnern mehrerer Häuser gemeinsam genutzt.
Heute ist dies Gebiet fast ganz bebaut; der Fluss Rafastia verläuft unterhalb der Straße und folgt ungefähr der Straße Fieravecchia: leider ist der antike Name „Orto Magno” das Einzige geblieben, das an die ehemalige landwirtschaftliche Nutzung erinnert.
Im Gegensatz dazu sind die Gärten im Gebiet des Fusandola zum größten Teil noch vorhanden. Bei ihnen handelt es sich zumeist um Parzellen, die von hohen Mauern umgeben waren: diese erfüllten die doppelte Funktion des Schutzes und der Herstellung eines förderlichen Mikroklimas.
Grundlegend für das Gedeihen des gesamten Systems war die unübersehbare Wasserfülle. In großen Becken - den sogenannten „peschiere”, die man heute noch sieht - wurde es aufgefangen. Diese dienten auch zur Aufzucht von Fischen oder zur Wachsbearbeitung.
Alle Gärten am Fluss Fusandola hatten Wasserleitungen; eine von ihnen wurde im Jahr 1238 für das Nonnenkloster Santo Spirito gebaut und führte Wasser aus einer Quelle, die sich an dem Ort „Aquarola” befand, unweit des Klosters San Leo im Gebiet von Canalone. Anfangs wurde das Wasser aus dieser Quelle ausschließlich vom Kloster Santo Spirito genutzt, später jedoch, im Hinblick auf die außergewöhnliche Wasserfülle, wurde diese verteilt, zuerst an die benachbarten Klöster, dann auch an private Eigentümer. So entstand durch die Jahrhunderte ein leistungsfähiges und dichtes Netz der Wasserversorgung, das, ausgehend von der Quelle „Aquarola” das Wasser an viele Gärten verteilte: an lo Paino, Minerva, Cera, den großen und kleinen Garten von San Leone,die Gärten des Busanola, der Zicardi und andere.


DER GARTEN VON GESTERN, DER BOTANISCHE GARTEN VON HEUTE.
Am 10. September 2000 wurde mit den Restaurierungsarbeiten des Gartens der Minerva begonnen: ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der Pläne, die während des Symposiums „den Garten denken” im Jahr 1991 erstellt worden waren.
Das vordringlich zu lösende Problem stellte sich in der Frage, wie im Garten der Minerva seine noch sichtbare jetzige Form, erkennbar an seiner Architektur, in Einklang gebracht werden könne mit seiner angestrebten Funktion als botanischer Lehrgarten.
Einst ein bedeutendes Beispiel salernitanischer Gärten des 17. Jahrhunderts, zeugte der Zustand des Gartens der Minerva vor seiner Restaurierung von jahrhundertelanger Vernachlässigung und Verwahrlosung all seiner strukturellen und dekorativen Elemente.
Es musste also nicht nur Störendes entfernt werden, sondern es galt auch, wichtige Strukturen zu befestigen (Treppe mit Pergola, Umfassungsmauern der terrassierten Flächen).

 

Außerdem waren nicht mehr wahrnehmbare stilistische Einzelheiten hervorzuheben. Die Restaurierung hat sich darauf konzentriert, den Garten der Minerva so genau wie möglich nach dem Bild seiner charakteristischen Phase wiederherzustellen.


Die ältesten Schichten des Gartens wurden durch gartenarchäologische Untersuchungen erforscht. Diese haben bedeutsame Informationen über verschiedene Phasen seiner Geschichte zutage gebracht, besonders über die gefächerte Anordnung der Beete und über das verzweigte, vielschichtige Bewässerungssystem, von auffangenden Leitungen über Zuflüsse bis zu Abflüssen.
Wer heute den Garten betritt, dem fallen sofort dessen architektonische und landschaftsarchitektonische Besonderheiten auf: die Merkmale aus der Glanzzeit des Gartens haben mit grosser Aussagekraft und Dichte überlebt. Weniger sichtbar aber umso wichtiger ist das weise System der Kanalisation und Verteilung des Wassers, seit arabischen und antiken Zeiten überliefert. Ursprünglich aus der Notwendigkeit entstanden, den Garten angemessen zu bewässern, hat es sich im Lauf der Zeit zu einem Element der Verschönerung entwickelt, ohne jedoch seine eigentliche Rolle einzubüßen.
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Was vielleicht den zwingendsten Grund für deren Bedeutung darstellt: die Tatsache, dass an diesem Ort Matteo Silvatico zu Beginn des 14. Jahrhunderts den ersten Heilkräutergarten der Geschichte anlegte, der der Forschung und der Lehre gewidmet war.
Jedes der erwähnten Merkmale des Gartens der Minerva wird mit neuem Leben zu erfüllen sein, damit es sich harmonisch mit den übrigen zusammenfügt in einem Botanischen Garten, der die Pflanzenarten beherbergt, die von der Scuola Medica als Heilmittel benutzt wurden und die in dem Werk von Matteo Silvatico „Opus Pandectarum Medicinae” beschrieben sind.


Nachdem die dringlichen Restaurierungsarbeiten abgeschlossen waren, wurde die botanische Sammlung dergestalt auf den Garten verteilt, dass seine Eigenschaften als Mediterraner Garten besonders betont und hervorgehoben wurden.
Das bedeutet, dass der Garten der Minerva kein botanischer Garten im herkömmlichen Sinn ist, sondern dass er verschiedene Themen beeinhaltet und darstellt ( von der Geschichte der Medizin bis zum „Mediterranen Garten”).
Die zu entwickelnden Lehrziele können zusammenfassend folgendermaßen beschrieben werden:
a) der Mediterrane Garten zwischen „schön“ und „nützlich” ( angelegt in einem umzäunten, terrassierten Gelände).
b) der Heilkräutergarten des Matteo Silvatico:

  • das antike System der Klassifikation der Heilkraeuter;
  • die Gegenüberstellung von Zeichnungen der mittlealterlichen Herbarien mit der Wirklichkeit;
  • der „Garten der Wurzeln”.

Zum ersten Thema möchten wir den Besuchern des Gartens dessen für einen salernitanischen Nutz- und Ziergarten beispielhafte Gestalt nahebringen: durch genaues Betrachten der Elemente, die ihn mit dem Konzept des „Mediterranen Gartens” verbinden und mit den Einzelheiten, die ihn aus den Tausenden verschiedener Gärten um das Mittelmeer herum hervorheben: seine Geschichte, die umgebende Landschaft, die Anwendung von Licht und Wasser, seine Materialien, die Vegetation.
Zum Thema der botanischen Überlieferung der Scuola Medica Salernitana bietet der Garten der Minerva als erstes und wichtigstes Anschauungsmaterial auf der untersten, breitesten Fläche des Gartens die Darstellung des antiken Klassifikationssystems der Pflanzen (ihre Zusammensetzung und Gradation).


Auf allen übrigen Beeten des Gartens werden die Pflanzen nach landschaftsarchitektonischen Prinzipien angeordnet. Jede Spezies ist durch eine Kenntafel identifiziert. Diese stellt die jeweilige Heilpflanze in ihrer gedachten Position innerhalb des „Schemas der Elemente” dar, das der konzentrischen Unterteilung der Gradation zugrunde liegt.
Wenn die Anordnung der Heilkräuter des Gartens festgelegt ist, werden in den übrigen Parzellen ein- und zweijährige Pflanzen und Stauden angebaut. Diese nehmen einen Großteil der Auflistung ein und werden so das Bild des „Mediterranen Gartens” abrunden.
Ausgewählte Veröffentlichungen, die Abbildungen aus den salernitanischen Kodizes-Herbarien zeigen, werden den Besuchern vorgelegt zur Veranschaulichung der Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zwischen mittelalterlicher Darstellung und der Wirklichkeit.
Der gewollt didaktisch-erklärerische Ansatz ist, dem Interessierten während seines Besuchs im Garten der Minerva Gelegenheit zum Vertiefen seiner Kenntnisse auf verschiedenen Ebenen zu geben.
Zum dritten Thema:
In einer besonderen und recht schattigen Ecke des Gartens, dem ehemaligen „Waschhaus”, wird es eine kleine Ausstellung über Wurzeln geben: indem wir die mittelalterliche Darstellung der Pflanzen deren wirklicher Form gegenüberstellen, wird es möglich sein, die Bedeutung herauszustellen, die die Wurzeln in der antiken Botanik hatten, nicht nur als wertvolle Speicherorgane, reich an aktiven Wirkstoffen, sondern auch für eventuelle Implikationen magischer und abergläubischer Art.

Testi: LUCIANO MAURO (Conservatore del Giardino)
Maggiori Informazioni su: www.giardinodellaminerva.it
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Veröffentlicht als kostenloses Informationsmaterial Giardino della Minerva 2014 für Besucher des Gartens der Minerva. Die eingefügten Bilder sind im dargestellten Material nicht enthalten und wurden 2014 hier aufgenommen.