G. H. Heinse: Ludwig der Springer - Graf von Thüringen

„… Der ausgedachte Plan gelang nach Wunsche, und sonder Gefährde langten unsre Reisenden in Schaumburg an, wo Ludwigs unerwartete Zurückkunft die lauteste Freude allgemein verbreitete. Außer dem Glücke: die Seinigen wieder zu sehen; wurde Ludwig auch durch die Nachricht von dem mächtigen Bunde, der nach seiner Verhaftung wider den Kaiser errichtet worden war, zur lebhaftesten Freude aufgefodert, zumal da schon von allen Bundesverwandten Kunde eingetroffen war, daß sie nur

 

Ludw. d. Spr. 2. Th.

 

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noch den Hoftag, den der Kaiser zu Goslar zu halten gedächte, abwarten wollten, ehe sie ihre ausgerüsteten Heere in das Feld führten.

 

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Ludwig der Springer in St. Ulrici Sangershausen

 

Sind sie versammelt – sprach Ludwig zu seinen Söhnen – dann laßt es uns das Erste seyn: vor Hammerstein zu rücken, um den Kerker unseres Herrmanns zu zerbrechen.

 

Friedrich versprach, sich mit dem Grafen von Thüringen zu Erreichung dieses Endzweckes zu verbinden, bald aber wurde der verabredete Zug unnöthig gemacht. Ein Abgeschickter des Befehlshabers zu Hammerstein brachte die schaurige Nachricht nach Schaumburg: daß Graf Herrmann durch den Tod seiner Haft entledigt worden wäre. Gern hätten Herrmanns Brüder und sein Vater die Wahrheit dieser Nachricht bezweifelt, aber eine Schrift von Herrmann selbst, in den letzten Stunden seines Lebens, unterzeichnet, erlaubte ihnen diesen wohlthätigen Zweifel nicht. Sie wichten sich einige männliche Thränen aus den Augen, dem unglücklichen Herrmann geweihet, dann beschlossen sie, seinen Tod zu rächen.

 

Sechs und dreißigstes Kapitel.

Wiprecht rächt seinen Vater.

 

Alle verbundne Fürsten wurden von dem Kaiser nach Goslar entboten, keiner aber erschien.

 

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Sie hielten dagegen eine Zusammenkunft zu Kreuzburg, um ihrem Bunde noch mehrere Festigkeit zu geben und um zugleich über die besten Maaßregeln zu ihren weitern Unternehmungen gemeinschaftlich zu rathschlagen. Durch beydes brachten sie den Kaiser noch mehr wider sie auf, welcher sie dadurch bestrafte, daß er sie alle in die Acht erklärte, auch mit den Besitzungen einiger unter ihnen seine Getreuen belehnte.

 

Das Herzogthum Sachsen erhielt Graf Hoyer zu Mansfeld, wie dem Innhaber dieses Lehns schon zuvor war berichtet worden, doch nützte dem Grafen Hoyer sein Herzogthum so wenig, als den verbundnen Füsten die Acht schadete. Der Haß gegen den Kaiser und alles was ihm anhieng, war unter den Unterthanen der Geächteten zu allgemein, als daß sie die Verweigerung ihres fernern Gehorsams zu befürchten gehabt hätte.

 

Die Unterthanen Ludwigs erhielt nicht dieser Haß allein, sondern vorzüglich die ungeheucheltste Liebe zu ihrem gütigen Landesvater treu. Unser Vater ist in Noth, laßt uns ihm thätig helfen – rief Einer dem Andern zu – und in kurzer Zeit stand ein so starkes Heer, als Ludwig es noch nie aus seinem Hause gehoben hatte, bereit, seinem Winke zu folgen.

 

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Nicht lange durften die Muthigen harren, bis der Ruf zum Kampfe ertönte.

 

Bey dem Wolfesholze hatte indessen Herzog Lothar seine Krieger versammelt, mit welchen die übrigen verbundnen Fürsten die ihrigen zu vereinigen versprochen hatten, so bald ein kaiserliches Heer im Felde erscheinen würde, denn für jetzt hatte Lothar sich nicht wider den Kaiser sondern nur wider den Grafen von Mannsfeld, gerüstet, den er durch öfters wiederholte Einfälle in sein Land von einem Versuche: sich des von dem Kaiser erhaltnen Herzogthums zu bemächtigen, abzuhalten wußte. Diese Vorübungen zu wichtigern Kämpfen dauerten nicht lange, denn Kaiser Heinrich säumte nicht die Bitten seines treuen Hoyers: ihm beyzustehen; zu erfüllen. Des Kaisers Wink zog bey Walhausen ein zahlreiches Heer zusammen, ob es schon zuvor sein Wille nicht gewesen war, die Fehde im strengsten Winter zu beginnen. Gefälligkeit gegen Graf Hoyern war jedoch nicht die einzige Ursache, warum der Kaiser seinen Entschluß veränderte, ein Rückblick auf seine erste Streitigkeit mit den Thüringern und Sachsen vielleicht eine noch wirksamere, als jene.

 

Damals war es ihm gelungen, der Vereinigung der Verbundnen zuvor zu kommen und Vortheile über sie zu erhalten, ehe dies

 

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durch die Versammlung ihrer ganzen Macht erschwert wurde. Eines gleich glücklichen Erfolgs schmeichelte er sich auch jetzt von dem Angriffe gegen Einzelne, weshalb er beschloß, dem entsetzten Herzog Lothar die Schwere seiner Rache zuerst fühlen zu lassen, allein die kaiserlichen Völker standen kaum im Felde, als auch schon die verbundnen Fürsten zu Lothars Verstärkung hinzu eilten.

 

Auch Graf Ludwig ließ sich weder durch die Beschwerlichkeiten eines Feldzugs im Winter, noch durch die Bitten seiner Söhne: seines Alters daheim in seinem Lande ruhig zu pflegen; abhalten, zum entscheidenden Kampfe für das Vaterland auszuziehen. Er führte seine Krieger selbst an; und will er duldeten diese der Beschwerden so mancherley, da sie ihren Anführer sich keiner entziehen sahen, und jeder Blick auf ihn befeuerte ihren Muth noch mehr, weil er sie an die Ungerechtigkeiten erinnerte, die Ludwig von dem Kaiser erlitten hatte.

 

So bald die verbundnen Fürsten, mit ihren muthigen Kriegern, bey dem Wolfesholze zusammen getroffen waren, sandten sie einen Abgeordneten an den Kaiser, ihm zu erklären: daß sie sich nicht zum Aufruhre, sondern zur Nothwehr gerüstet hätten und ihre Schwerder nicht aus den Scheiden ziehen würden, wenn kaiserliche Majestät geruhen wollte, ihre gerechten

 

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Beschwerden anzuhören und abzustellen. Sie boten einen Vergleich an, allein dem Kaiser gefiel es kaum, ihren Abgesandten zu hören.

 

Mit Aufrührern friedlicher Unterhandlungen zu pflegen, ist wider die Würde unserer Majestät; sie für ihren Frevel zu züchtigen unsere Pflicht – wendete sich der Kaiser erzürnt von ihm hinweg, ehe er noch geendet hatte und gab nun seinem Heere Befehl, zum schleunigsten Aufbruche. Er selbst zog zwar mit, ernannte aber Hoyern, dessen Treue und Tapferkeit er erprobt hatte, zum ersten Anführer, zu einem der obersten nach ihm den Ritter Ludolph von Hackeborn.

 

Des Kaisers Absicht war, die Verbundnen zu überfallen; sie auszuführen wurde er aber durch ihre Wachsamkeit verhindert und durch den tiefen Schnee, in welchem die Seinigen hatten waden müssen, wodurch sie zu sehr ermattet waren, um den Kampf so gleich zu beginnen. Lothar, den einstimmige Wahl zum ersten Anführer des verbundnen Heeres ernannt hatte, und die übrigen Anführer desselben wollten absichtlich nicht den ersten Angriff machen, um ihre vortheilhafte Stellung nicht verlassen zu müssen, da sie ohnehin versichert waren, daß seine Hitze dem Grafen von Mannsfeld nicht vergönnen würde, ihre Begierde zum Kampfe lange unbefriedigt zu lassen.

 

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So vergieng ein Tag, ohne daß beyde Heere dieser gleich grossen Begierde zum Kampfe gemäß gehandelt hätten. Diese Ruhe vor dem nahen Sturme, benutzten die Anführer, den Muth ihrer Krieger noch mehr zu entflammen. Erinnerung an den alten Ruhm der Tapferkeit, an ihre beschänkte Freyheit und an das unerträgliche Joch, mit welchem der Kaiser sie belasten würde, wenn er siegen sollte, waren die Anfachungsmittel welcher sich die verbundnen Fürsten bedienten, indeß Graf Hoyer die Seinigen bey der Treue gegen den Kaiser und bey der Liebe zu ihm selbst beschwor: jetzt den Ruhm zu befestigen, den sie in frühern Schlachten gegründet hätten. Für ihn selbst war der Besitz des Herzogthums Sachsens Aufforderung genug zum tapfersten Kampfe, denn er vermuthete voraus, daß diese Schacht entscheiden würde, ob er hinfort Graf oder Herzog heissen sollte.

 

Der folgende Tag, der erste des Hornungs, brach an, und Graf Hoyer rufte unter seinem Heere die Muthigsten hervor, um mit dem Angriffe nicht länger zu zögern. In den vorhergegangenen kleinen Gefechten mit den Kriegern des Herzogs von Sachsen hatte der Sieg selten zum Vortheile der Mannsfelder entschieden, absichtlich griff daher Hoyer zuerst die Thüringer an, die Ludwig und seine Söhne, Pfalzgraf Friedrich und der jüngere Wiprecht

 

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befehligten. Alle waren muthvoll und sehnten sich nach dem Kampfe, doch freuete sich keiner des Angriffes mehr als Wiprecht.

 

Bevor ich für das Vaterland fechte, will ich meinen Vater an Grafen Hoyern rächen – rief er aus, sprengte aus der Reihe hervor und forderte Graf Hoyern zum Zweykampfe. Hoyer nahm die Ausfoderung an, Ritter Ludolph von Hackeborn gesellte sich zu ihm, zu Wiprechten Heinrich von Thüringen; und beyde Heere standen Mauren gleich, den Kampf dieser Helden anzustaunen. Kaum hatte er begonnen, als Wiprechts starker Arm seinen Spieß in Hoyers Brust warf. Hoyer sank von seinem Rosse. Jubelgeschrey lief bey dem vereinigten Heere bis zu dem letzten seiner Glieder fort, indeß Hoyers Krieger bangten. Ihr sinkender Muth erhob sich jetzt wieder, als Ritter Ludolph den Spieß aus Hoyers Brust zog und dieser Wieprechten zum Faustkampfe rief. Wiprecht übergab sein Streitroß seinem Knappen, stellte sich seinem Gegner noch voll hohern Muthes, denn vorher, entgegen und endigte den Kampf bald so ruhmvoll, als er ihn begonnen hatte, indem er den blutenden Hoyer durch neue Wunden vollends zu Boden stürzte.

 

Jetzt schwang er sich wieder auf sein Roß und eilte zurück zu den Seinigen, die ihm jauchzend entgegen kamen, um wo möglich gleichen

 

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Ruhm zu erwerben wie er. In wenig Augenblicken wurde die Schlacht allgemein. Hoyers Fall hatte die Verbundnen mit Hoffnung des Sieges, das kaiserliche Heer mit Furcht erfüllt und von beyden äusserten sich die Folgen sehr bald. Der Angriff der Verbundnen war wüthender, der Widerstand der kaiserlichen schwächer, als vielleicht ohne Hoyers Fall beyde gewesen wären. Heinrichs Krieger wichen, ohne daß sein und Ludolphs Zuruf ihren entflohenen Muth wieder zu beleben vermogte, aber vergebens war die Eil ihrer Flucht, denn je schneller sie flohen, je rastloser setzten ihnen die Siegenden nach. Schrecklicher war die Niederlage des kaiserlichen Heeres, unter den fünf und vierzig tausend Toden, die das Schlachtfeld bedeckten, befanden sich von den Verbundnen nur wenige tausend.

 

Die Sieger endigten die Verfolgung der Geschlagenen erst dann als sie durch die eingebrochene Nacht verhindert wurden, sie länger fortzusetzen. Nun kehrten sie wieder auf das Schlachtfeld zurück und blieben, um einen Angriff des, immer noch starken geflohenen Heeres sonder Gefährde erwarten zu können, unter den Waffen, bis sie des andern Morgens umsonst nach einem lebendigen kaiserlichen Krieger umher spähten. Jetzt erst fingen sie an das kaiserliche Lager und auf dem Schlachtfelde zu plündern, doch freueten sie sich der Beute, die sie fanden, weniger als über die

 

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Menge der getödeten Feinde, die von dem vollkommsten Siege zeugte und sie zugleich mit der zuversichtlichen Hoffnung erfüllte: daß sie fort an von dem Kaiser wenig mehr zu fürchten hätten.

 

Sie beobachteten nun die letzte Pflicht gegen ihre für das Vaterland gestorbenen Brüder, machten ihnen Gruben und wünschten ihnen eine so fröhliche Urständ als rühmlich ihr Tod gewesen war. Unbegraben blieben aber die Toden von des Kaisers Heere liegen, denn Bischoff Reinhard zu Halberstadt, einer der verbundnen Fürsten, belegte Jeden mit dem Banne, der es wagen würde, neben den Verfechtern der Freyheit, denn die wider sie fochten, eine Ruhestätte zu machen.

 

Zur Erinnerung an die gefallnen Brüder wurde nachher auf dem Platze, wo sie zur Ruhe bis an jenen Tag aufbewahret wurden, ein Dorf erbauet, das den Namen Todendorf erhielt; und zur Erinnerung an den entscheidenden Sieg, der Sachsen und Thüringen die Freyheit sicherte, eine Seule errichtet und mit einem geharnischten Manne geziert, der seinen Streitkolben zum tödlichen Streiche erhob. Viele Jahre nachher wallfahrteten die Bewohner beyder Länder noch zu dieser Seule, um hier jenen grossen Tag des Siegs, den Tag, der ihre Freyheit erhielt, zu feiern, und heut noch, Leser! Erzählt dir der Landmann, bey Sandersleben und Hattstadt, vom heiligen Jodütte, in welchen späterhin der Mann mit dem Streitkolben

 

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umgeschaffen und seinem Beystande der Sieg zugeschrieben wurde.

 

 

 

Sieben und dreißigstes Kapitel.

Ludwig erfüllt sein Gelübbde.

 

Die Sieger eilten, ihren Sieg so viel als möglich zu benutzen und neue Siege folgten ihren Schritten. Graf Ludwigs erste Unternehmung, war die Wiedereroberung der Wartburg, die er durch seine Söhne aushungern ließ, um das liebste seiner Schlösser vor der Verwüstung zu sichern, die mit einer Eroberung durch Sturm unvermeidlich verknüpft gewesen seyn würde. Er selbst erstieg indessen den Kifhäuser, wo er das Schloß zerstörte, das Heinrich auf seiner Spitze erbauet hatte.

 

Wir wollen euch, theure Leser, nicht jetzt noch am Ende des Buchs mit all den Greuelscenen schrecken, deren Schauplatz das unglückliche Thüringen sechs Jahre lang war, da wir euch ohnehin schon so oft in Krieg und Schlachtgetümmel führen mußten und glauben, von euch keinen Vorwurf befürchten zu müssen, daß wir über diese Jahre des Schreckens hinwegeilen. Graf Ludwig gab in ihrem Laufe öftere Beweise, daß sein Alter die Tapferkeit noch nicht vermindert hatte, durch die er sich in frühern Jahren den Ruhm eines Helden erwarb und Ludwig und Heinrich zeigten, daß sie des Namens seiner Söhne würdig wären.

 

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Wenig litt zwar Thüringen an diesem Zeitraume von den Völkern des Kaisers, da sich seine Macht von dem Verluste nicht wieder erholen konnte, den sie in der Schlacht am Wolfesholze erlitten hatten, doch fühlte das Land die Drangsale des Krieges deshalb nicht minder, weil wilde Schren es durchschwärmten, die sich Krieger nannten, ob sie gleich neue Räuber waren. Damals war es, wo der Adel anfieng sich vom Raube zu nähren, ein Übel, dem erst einige Jahrhunderte nachher ganz abgeholfen werden konnte, und der Landmann und Bürger litt, mit dem nicht raubenden Adel, durch diese Räubereyen gleich stark. Allgemein wurde daher der Wunsch, daß ein Friede sie beendigen und Ruhe und Sicherheit wieder bringen mögte. Er wurde erfüllt, da Kaiser Heinrich sahe, daß er seine Absichten mit Thüringen und Sachsen nie erreichen würde und er die Herstellung der Ruhe in Deutschland eifrig wünschte, um dann auch seine Streitigkeiten mit den Päbsten schlichten zu können, die ihm nicht weniger Verdruß und Unruhe machten, als ehedem seinem Vater.

 

Zu Würzburg war es, wo sich von jeder Parthey zwölf Fürsten versammelten, um mit vereinigten Kräften an dem Frieden zu arbeiten, der von allen gleich stark gewünscht wurde. Dieser Wunsch beförderte ihn, er kam glücklich zu stande, wenn schon die Verwirrung, die durch die lange

 

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dauernden Unruhen entstanden war, die Arbeiten der friedestiftenden Fürsten erschwerte.

 

Auch Graf Ludwig befand sich unter diesen versammelten Fürsten und war einer von denen, die sich am thätigsten für die Wiederherstellung der Ruhe verwendeten. So bald sie durch die Abschließung des Friedens gesichert war, eilte er zurück in sein Land, wo sein Volk ihn mit lauterm Jauchzen als je empfing, da er als Friedensbote kam. Sehnlich hatten seine Unterthanen den Frieden herbeygefleht, da sie die Beschwerden des Kriegs im Anfange desselben mit ihrer ganzen Last gefühlt hatten. Nach der entscheidenden Schlacht bey dem Wolfesholze wurden zwar dieser Beschwerden weniger, doch waren ihrer immer noch zu viel, um die vorher erhaltnen Wunden heilen zu können.

 

Dies machte sich jetzt Ludwig zum eifrigsten Geschäft, das ihm aber schwerer wurde, als da die Ruhe, durch die Schlacht zwischen Gera und Droysig gegründet, ihm die Sorgfalt vergönnte, die Seinigen wieder so glücklich zu machen, als sie es vor den Verheerungen des Krieges waren. Rastlos arbeitete Ludwig an der Erreichung seines Zweckes beynahe zwey Jahre lang, und doch war alles, was er zu thun vermogte, nur ein glücklicher Anfang zur Ausführung seines menschenfreundlichen Vorhabens. Daß ihm die Vollendung desselben unmöglich seyn würde, schloß er aus seiner zunehmenden Schwäche, die von hohem Alter herbey

 

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geführet wurde und ihm sein Ende nahe fürchten ließ.

 

Seine beyden Söhne hatten sich indessen vermählt. Ludwig mit Hedwig, der Tochter des Herzogs Lothar, und Heinrich mit der Wittwe des Grafen Giso von Gudensberg, die ebenfalls Hedwig hieß. Udo war Domherr zu Zeitz und hatte gerechte Hoffnung, den Wunsch: ein Bisthum zu erhalten; der von Kindheit an unter allen seinen Wünschen der stärkste war, bald erfüllt zu sehen.

 

Der Erinnerung an die Erfüllung des Gelübdes des Grafen von Thüringen stellte sich daher nichts entgegen, was ihm zu noch längerm Leben in der Welt aufgefodert hätte. Auch ließ er sich durch das allmählige Dahinschwinden seiner Kräfte nicht lange vergebens erinnern.

 

So war es in den ersten Monden des Jahres 1123, als Graf Ludwig seinen Söhnen den Entschluß: in das Kloster Reinhardsbrunn zu gehen; bekannt machte. Ihre Liebe ermangelte zwar nicht, ihn dringend zu bitten: daß er die Erfüllung seines Gelübdes auf noch längere Zeit hinaus setzten mochte; sie schwiegen aber, weil ihr Vater ihnen erklärte, daß sein Entschluß durch nichts erschüttert werden könne, und sie die Festigkeit kannten, die seinen Entschlüssen eigen war.

 

Ludwig berief hierauf die Edeln seines Landes zusammen, deren Bitten sich nutzlos mit den Bitten seiner Söhne vereinigten; stellte ihnen seinen

 

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Ludwig als seinen Nachfolger vor; bat sie diesem so treu und ergeben zu seyn, als sie es ihm ohne Wandel gewesen wären; sagte ihnen herzliches Lebe wohl! Und beschloss dann mit der Bitte: es nicht seinem Willen, sondern seinem Unvermögen beyzumessen, daß sie während seiner Regierung das Glück nicht ganz ungestört genossen hätten, welches ihnen geben zu können immer sein eifrigster Wunsch gewesen wäre.

 

Unsere späten Enkel werden noch die Zeiten rühmen, wo Graf Ludwig, der Vater seines Volkes, in den Jahren der Ruhe Glück und Wohlfahrt in seinem Lande verbreitete, und in den Jahren mörderischer und verheerender Kriege die allgemeine Noth wohlthätig linderte – sprach einer der versammelten Enkeln und wischte sich dann eine Zähre aus dem Auge, von Dankgefühl hervor gelockt.

 

Von mir, edle Männer – begann jetzt der jüngere Ludwig – nehmt das heiligste Versprechen: daß es unverrückt mein einziges Bestreben seyn wird, in die Fußtapfen meines Herrn und Vaters zu treten.

 

Die Versammelten riefen nun ihrem geliebten Vater Ludwig noch einmal Heil, schworen dann seinem Nachfolger ewige Treue und entfernten sich, voll herben Schmerzes: daß Vater Ludwig nicht länger unter ihnen leben wollte.

 

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Ludwig trat seinem Sohne seine Länder ab, mit Ausschluß des Schlosses Schaumburg, das er für sich, so lange er noch lebte, behalten wollte und einiger andrer Schlösser, die Heinrich zu seinem Erbtheile erhielt, dann schloß er die geliebten Söhne in seine Arme; wünschte ihnen ruhigeres und glücklicheres Leben, als ihm des Schicksals Wille beschieden gehabt hätte; nahm von allen seinen Dienern und, von einem Altane des Schlosses zu Schaumburg herab, auch von seinem Volke Abschied und gieng nach Reinhardsbrunn, wohin ihn die Segenswünsche aller seiner Unterthanen begleiteten, ob schon keiner mit ihm zufrieden war, daß er sich von ihnen geschieden hatte. Traurig rief Einer dem Andern zu: Vater Ludwig ist ins Kloster gegangen; und schmerzlicher noch würde diese Traurigkeit gewesen seyn, wenn nicht jede Handlung des jüngern Ludwigs gezeigt hätte, daß er seinem Volke ein so gütiger und sorgsamer Vater wäre, als der Abgeschiedne.

 

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Adelheid in St. Ulrici Sangershausen

 

Nur wenig Wochen hatte Ludwig zu Reinhardsbrunn gelebt, als der Tod ihn zu seiner Adelheid rief. Adelheidens Leichnam war von Scheiplitz nach Reinhardsbrunn gebracht worden, wo Ludwig ihr ein Grabmal errichten ließ und vor seinem Ende befahl: seine Gebeine an der Seite der Lieben zur Ruhe zu bringen, zu deren Geiste sein Geist bald eilen würde.

 

Der Segen des Entschlummerten wurde an seinen Söhnen erfüllt. Sie lebten ruhiger und glücklicher als er. Ludwig wurde, sieben Jahre nach dem Tode seines Vaters, von seinem Schwiegervater, dem Kaiser Lothar, zum Landgrafen von Thüringen erhoben. Er war der Stammvater aller Landgrafen in Thüringen.“

 

 

Quelle:

Gottlob Heinrich Heinse: Ludwig der Springer Graf von Thüringen 2. Teil Weygandsche Buchhandlung Leipzig 1791 S. 625-640

 

 

 

 

Ludwig der Springer - Haft auf Burg Giebichenstein

„… Als Ludwig im Lager anlangte, fand er die verbundnen Fürsten schon zum Aufbruche bereit. Heinrich der Vierte hatte eine Fläche bey Spira, unfern Kindelbrück und Greussen, zu dem Platze seines Triumpfs über die Verbundnen gewählt. Sein Heer hatte sich in zwey Linien gestellt, durch welche sich die besiegten Fürsten, Furcht und Verzweiflung in ihren Blicken, dem Kaiser näherten, der auf einem errichteten prächtigen Throne, mit stolzer Miene eines überlegenen Siegers ihrer Unterwerfung harrte. Sie geschahe, aber getäuscht sahen sich nun die Gedemüthigten in ihren Hoffnungen, und erfüllt wurde hingegen Adelheids Furcht. Seinem Worte und dem Versprechen seiner Abgesandten zuwider, ließ Heinrich die, zum Gehorsam zurückkehrenden, Fürsten verhaften und übergab sie nach der Sitte jener Zeiten, den ihm ergebnen Fürsten zur sichern Verwahrung.

 

Wir nennen von diesen Unglücklichen blos den Herzog Maanus von Sachsen mit seinem Oheim, den Markgrafen von Soltwedel, den Pfalzgrafen Friedrich, den Grafen Otto von

 

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Nordheim und unsern Ludwig mit seinem Bruder Beringer; und schweigen auch jetzt von den Begebenheiten aller Andern, um uns nur mit unserm Helden zu beschäftigen.

 

 

Neuntes Kapitel.

Ludwig der Springer

 

Graf Ludwig wurde auf die Feste Giebichenstein gebracht, wo er seine Freyheit weniger beklagte, als Adelheid, ihre Kinder und alle Unterthanen Ludwigs den Verlust ihres Gatten und Vaters. In Ludwigs Lande waren die Klagen so allgemein, als ob jedes Hauß, jede Familie einen Vater verloren hätte. Unter Allen war aber freylich Adelheid die Trostloseste.

 

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Als Ludwig aus dem kaiserlichen Lager nach Giebischenstein abgeführt wurde, befahl er den vornehmsten seiner Dienern, den Rittern Reinhard von Reinstädt und Ulrich von Teutleben seine Gemahlin an, um sie in seiner Abwesenheit zu schützen und wegen seines Unglücks zu trösten. Beyde wetteiferten, den Befehl ihres geliebten Herrn am besten zu erfüllen, doch war ihnen dies nur

 

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zur Hälfte möglich, da sie alles vergebens anwendeten, die Klagende zu trösten.

 

Ihr bemüht euch umsonst, wackere Männer – sprach Adelheid öfters zu ihnen – Trost bleibt fern von diesem verwundeten Herzen, und Ruhe würde ich mir zum Vorwurfe machen, so lange mein Gemahl im Kerker seufzet. Das einzige, was mich einigermaßen beruhigen kann, ist auf Mittel zu sinnen, ihn daraus zu befreyen. Vereinigt euch mit mir, Ritter! Spannt gleich mir eure Erfindungskraft an, vielleicht daß Eins unter uns etwas ersinnt, wie es möglich wäre, Ludwigs Kerker zu öffnen.

 

Vergebens boten alle ihre ganze Erfindungskraft auf. Den Grafen schnell oder unmittelbar aus seinem Kerker zu befreyen, fanden sie unausführbar. Reinhard erbot sich endlich, zu dem Erzbischoffe Siegfried zu eilen und ihn so lange zu beschwören, bis er des Grafen Befreyung zu vermitteln verspräche, welche wenn er sich nur dafür verwenden wollte, nicht schwer werden könne, da es dem Ritter so wenig als jedem Andern unbekannt war, welches Gewicht seine Worte bey dem Kaiser hätten.

 

Seit jenem Tage, wo Adelheid die Bedingungen des geschlossenen Friedens erfahren

 

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hatte, kehrte jetzt zum erstenmale wieder Freude in ihr Herz. Leidenden ist auch jeher Schimmer von Hoffnung willkommen, der kleinste belebt sie zur Freude. Auch Adelheid fühlte die wohlthätige Wirkung der Hoffnung, welche Reinhards Worte in ihr belebten. Hastig hat sie ihn ohne Verzug nach Maynz zu eilen und, wenn er den Erzbischoff hier nicht treffen sollte, nicht eher zu rasten, bis er ihn ereilt und die Zusage von ihm erhalten hätte, von welcher das Glück und die Zufriedenheit ihres Lebens abhienge.

 

Reinhard fand den Erzbischoff noch mit dem Kaiser in Thüringen, wo er sogleich alles anwendete, um die Absicht seiner Reise zu erreichen, auch war er so glücklich, das Versprechen von dem Erzbischoffe bald zu erhalten, nach welchem sich seine Ergebenheit für den Grafen Ludwig beynahe nicht weniger sehnte, als Adelheids zärtliche Gattenliebe. So eilend, als er zu dem Erzbischoffe gekommen war, gieng er nun wieder nach Schaumburg zurück wo er durch die fröhliche Botschaft, welche er mitbrachte, Trost in Adelheidens zerrissenes Herz goß.

 

Ruhig, beynahe heiter, verlebte nun die zärtliche Adelheid einige Tage, weil ihre Hoffnung den glücklichen nahe wähnte, der sie mit dem entrissenen Gemahle wieder vereinigen würde;

 

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aber bald verdrängte Gram und Trostlosigkeit jene Heiterkeit wieder, da schon zwey Wochen verflossen waren und Adelheid sich noch immer vergebens nach der Erfüllung ihrer Hoffnung sehnte. Ihr Wunsch bewog den Ritter Reinhard, eine zweyte Reise zu dem Erzbischoffe anzutreten, von der er mit neuen Versprechungen von ihm zurückkehrte. Siegfried hatte versichert, den Kaiser härter gefunden zu haben, als er erwartet hätte, zugleich aber auch hinzu gesetzt, daß er nun anstrenge, seinen Bitten geneigteres Gehör zu geben und ihre Erfüllung ohne Zweifel nicht mehr fern wäre.

 

Wir wollen euch,theure Leser, keine Schilderung der Gefühle Adelheidens zu machen versuchen, als der Erfolg ihr bewies, daß Siegfried ihr nur mit leerer Hoffnung geschmeichelt hatte, so wie wir nicht alle die wiederholten Reisen erwähnen, welche Reinhard zu dem Erzbischoffe machen mußte, ehe jene traurige Ueberzeugung in Adelheiden fest wurde. Unbekannt ist es uns, ob Siegfried nichts für Ludwigs Bestes that, aber ob Heinrich zu sehr wider den letztern erbittert war, um ihm die Freyheit wieder zu geben, da zuvor alle Vorstellungen, die er ihm durch den Erzbischoff hatte machen lassen, um ihn zum Beytritte zu seiner Parthey

 

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zu bewegen vergebens gewesen waren, genug Ludwig schmachtete zwey Jahre in seinem Kerker, ungeachtet der Versprechungen Siegfrieds, welche seine Gemahlin Anfangs mit tröstenden Hoffnungen erfüllt hatten.

 

Nichts also von Adelheidens Gram und Klagen während der Dauer dieser Zeit, nichts, als daß sie alle Qualen folterten, die eine liebevolle zärtliche Gattin foltern können, die der Gedanke an den leidenden Gemahl des Tages und im Traume unabläßig beschäftigt. Auch von den Empfindungen Ludwigs in seinem Kerker weiter nichts, als die Geschichte der letztern Tage seiner Gefangenschaft.

 

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Gleich vom Anfange derselben an hatte Ludwig auf Mittel gedacht, sich selbst zu befreyen, weil er befürchtete, daß Niemand sich für ihn vermitteln oder jede Vermittlung nutzlos seyn würde. Mit List und der nöthigen Vorsicht machte er Versuche, einen unter seinen Wächtern zu bestechen, allein ob diese Versuche schon nicht ganz mißglückten, so gelangen sie doch nicht nach Ludwigs Wunsche. Er fand endlich unter seinen Wächtern einen Mann, wie er ihn wünschte, voll guten Willens ihm beyzustehen, listig und verschwiegen – doch konnte er ihn durch die dringlichsten Bitten und

 

Ludw. d. Spr. 2. Th.

 

 

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die glänzendsten Versprechungen zu nichts bewegen, als zur Vermittlung eines Briefwechsels mit seiner Gemahlin. Unerbittlich war sein Vertrauter, wenn Ludwig ihn beschwor, ihm zu seiner Flucht behülflich zu seyn und Ludwig mußte zuletzt mit seinen Bitten schweigen, weil jener ihm drohete, die Dienste, welche er ihm bisher geleistet hatte, fernerhin zu verweigern, wenn er ihn noch einmal in Versuchung führen würde, den Eyd der Treue, welchen er dem Kaiser geleistet hätte, zu brechen.

 

Da Ludwig im Innern seines Kerkers keinen Mitarbeiter an seinem Plane finden konnte, bemühte er sich, ausserhalb desselben welche zu erhalten und jedes Schreiben an seine Gemahlin enthielt Bitten: mit dem Ritter Reinhard und Ulrich auf eine List zu sinnen, wie diese getreuen und unternehmenden Männen ihn aus seinem Kerker befreyen könnten. Selbst damals that er diese schon, als Adelheid sich noch mit der Hoffnung schmeichelte, daß Siegfried ihres Gemahls Befreyung bewirken würde. Ludwig war mißtrauisch gegen den Erzbischoff, daher die Versprechungen desselben bey ihm wenig Glauben fanden.

 

Aus jedem andern Kerker hätte vielleicht Ludwig, durch die List der Seinigen, eher gerettet werden können, als aus dem, in welchem

 

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er vergebens auf sein Entkommen sann. Er beklagte seine Freyheit in einem Gemache des Giebichensteins, zu welchem es unmöglich war, von aussen zu kommen.

 

Nach unsern Urschriften hatte damals der Fels, auf dessen Spitze der Giebichenstein erbauet war, eine andere Gestalt, die Saale nicht den Lauf, wie jetzt, und unsere Leser, denen es sonder Zweifel bekannt seyn wird, daß seit sieben hundert Jahren mancher Berg ungestaltet, der Lauf manches Flusses verändert worden ist, werden die Glaubwürdigkeit unserer Berichte nicht bezweifeln.

 

Der Teil des Schlosses, in welchem Ludwig schmachtete, war an dem äussersten Rande des Felsens erbauet und senkrecht, wie die Mauer des Schlosses, war der Fels auf dieser Seite, von der Spitze bis hinab zum Flusse, an welchem die Wellen der Saale spielten. Gleich unmöglich war es demnach, so wohl vom Fusse des Berges, als auch auf dem Gipfel desselben in Ludwigs Kerker zu kommen, und Reinhard und Ulrich strengten ihre Erfindungskraft ohne Erfolg an, da unmögliche Dinge durch keine Erfindungskraft möglich gemacht werden können.

 

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Es blieb demnach dem Grafen keine Hoffnung zu entkommen übrig, als durch einen Sprung in die Saale, den er, als ein guter Schwimmer, längst gewagt haben würde, hätte die Furcht ihn nicht davor zurückgeschreckt, daß der Fels unter dem Wasser vielleicht nicht so senkrecht seyn mögte, als über demselben und war er dies nicht, so sahe freylich Ludwig seinen Tod unvermeidlich mit jenem Sprunge verbunden. Auf die Gefahr: zerschmettert zu werden; wollte Ludwig dieses Wagstück nicht unternehmen, er verlangte daher von Reinharden eine lange Schnur, um mit dieser die Gestalt des Felsens unter dem Wasser zu untersuchen. Er erhielt diese Schnur ohne Verzug, befestigte einen Stein daran, den er mit blutenden Nägeln aus der Mauer seines Kerkers gegraben hatte und ließ ihn hinab in die Tiefe.

 

Furcht: die einzige Hoffnung, an der er noch eine schwache Stütze fand, sinken zu sehen, bemächtigte sich seiner, da er sein ausgeworfenes Loth auf Felsen stossen fühlte, er mochte es werfen wohin er wollte; und namenloses Schrecken trat an die Stelle jener Furcht, da er nach dem Heraufziehen im Mondschein sahe, daß die Schnur nur einige Ellen tief unter dem Wasser gewesen war. Diese traurige Entdeckung machte Ludwig, als er sich eben ein Jahr

 

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in seinem Gefängnisse befunden hatte, und trostlos: alle Hoffnung zur Flucht sich beraubt zu sehen; jammerte er beynahe acht Monden lang, als endlich eine neue Hoffnung ihm Trost und Muth gab.

 

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Ludwigs Zeitverkürzung bestand einzig darinnen, daß er unverwandt hinab in die Saale blickte, um die auf ihr herumschiffenden Fischer und Menschen zu sehen, welche an ihrem jenseitigen Ufer wandelten. So unterhielt er sich auch einmal mit seinem gewöhnlichen Zeitvertreibe, als er ein Weib, mit einem langen weiten Gewande bekleidet, in das Wasser fallen sahe. Er beklagte die Unglückliche, doch freuete er sich bald, da er sahe, daß ihr Gewand sich auf der Fläche des Wassers ausbreitete und den obern Theil ihres Leibes so lange über demselben empor hielt, bis ein Fischer mit seinem Kahne herbey eilen und sie retten konnte.

 

Zu seiner Freude, welche Mitgefühl entzündet hatte, gesellte sich bald eine andere. Freude über einen glücklichen Einfall, zu welchem der Unfall des Weibes die Veranlassung gegeben hatte. Wie dies Weib könnte vielleicht auch mich ein langes weites Gewand über dem Wasser empor halten, so daß ich die Felsenspitzen, die unter demselben verborgen sind, nicht erreichen würde – dachte Ludwig und fing sogleich

 

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an, über diesen Einfall tiefer nachzudenken. Er fand bald seine Hipothese um so wahrscheinlicher, weil er überlegte, daß die Luft, die sich unter seinem Gewand verfangen würde, ehe er das Wasser erreichte, jenes noch leichter über diesem empor halten müßte, als das Gewand des Weibes.

 

Den Rest des Tages, an welchem er die für ihn so glückliche Bemerkung gemacht hatte, und die ganze ihm folgende Nacht brachte er damit zu, über die Mittel nachzudenken, welche seinen Sprung minder gefährlich machen könnten. Ein wichtiges glaubte er gefunden zu haben, da es ihm einfiel, daß man sein Springgewand, von Leinwand bereitet, auf der innern Seite mit Wachs bestreichen könnte, um dadurch das Eindringen des Wassers zu verhindern. Völlig bestimmt wär er bald zu dem Sprunge, zu welchem ihn vorher die heisseste Sehnsucht nach Freyheit nicht hatte bewegen können, doch beschloß er, ehe er ihn wagte, zu seiner Sicherheit neue Untersuchungen über die Felsen unter Wasser anzustellen.

 

In diesem Gebrauche verlangte er des andern Tages von dem Ritter Reinhard, dem er nebst Adelheid die frohe Neuigkeit berichtete, daß er mit der gerechten Hoffnung sich schmeichelte: in wenig Tagen durch die Flucht

 

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sich in Freyheit zu setzen, zwey Schnure von gleicher Länge mit der, die er ihm vorher gesendet hatte. Die Schnuren langten an und Ludwig sah sich im Geiste schon frey.

 

So bald die Nacht ihm verstattete, mit seinen Untersuchungen anzufangen, brach er aus einem Sessel, der sich in seinem Gefängnisse befand ein Bein aus, an dessen beyden Seiten er die erhaltenen Schnuren befestigte und das Holz nun hinab ließ, bis er fühlte, daß es auf der Fläche des Wassers schwamm. Nun, da er an seiner Schnur bemerken konnte, wie tief es von dem Fenster seines Kerkers bis auf die Oberfläche des Wassers war, wurde es ihm auch nicht schwer, zu messen, wie tief unter demselben die Felsen sich befanden. Oft mußte er sein Loth, auf eben die Art verfertigt, wie wir vorhin erzählt haben, auswerfen, ehe er sich überzeugte, daß das Wasser über ihnen nirgends niedriger war, als drey Ellen, eine Tiefe, welche er nicht erreichen konnte, wenn die obere Hälfte seines Körpers, durch das erfundene Springgewand über dem Wasser empor gehalten wurde.

 

Ludwig machte nun den Ritter Reinhard ohne Verzug mit seinem Plane bekannt. Er beschrieb ihm die Form des Gewandes genau, welches er zur Ausführung desselben nöthig hatte,

 

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und meldete ihm zugleich, auf welche Art er es ihm überliefern könnte. Reinhard versprach, alles dem Befehle seines Herrn gemäß einzurichten und Ludwig verfolgte indessen seinen Plan weiter. Er stellte sich krank, gab einige Tage lang vor, daß seine Krankheit sich mit jedem vermehrte und bewirkte dadurch, daß man sein Verlangen erfüllte und nach Schaumburg sendete, um seinen Geheimschreiber zu holen, von welchem er seinen letzten Willen wollte aufsetzen lassen.

 

Von dieser Botschaft schon unterrichtet, machte sich, mit dem Geheimschreiber zugleich, Ritter Reinhard auf, welchem als Zeugen der Eintritt in Ludwigs Kerker nicht verweigert wurde. Kränker denn je, stellte sich der Graf, als seine Befreyer sich ihm näherten, klagte besonders über den heftigsten Frost und bat den Ritter: ihm wärmere Kleidung zu verschaffen, Reinhard erhielt von Ludwigs Wächtern Erlaubnis, dem Befehle seines Herrn nachzukommen. Er gieng und brachte nach seiner Rückkehr, nebst einem mit Pelze gefütterten Kleide, auch das mit Wachs bestrichene leinene Gewand.

 

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Dies – sprach Reinhard zu dem Grafen, indem er ihm das letztere überreichte – erhielt eure Frau Gemahlin von einem weisen heilkundigen Manne, mit der Versicherung:

 

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daß euer Uebel gehoben werden würde, wenn ihr euch einige Tage lang mit diesem Gewande bekleidetet.

 

Ludwigs Diener legten ihm jetzt beyde Gewande an, der Pelzrock wurde das Oberkleid; doch äusserte der Graf, bey allen Versicherungen des Ritters, wenig Vertrauen zu den Heilkräften des mitgebrachten Gewandes.

 

Ich fühle meinen Tod schon zu nahe – sprach er wehmuthsvoll – um nach Genesung hoffen zu können. Laßt uns daher eilen, damit er mich nicht überrascht.

 

Der Geheimschreiber holte hierauf seine Schreibegeräthschaft hervor. Ludwig sprach mit ihm und dem Ritter heimlich und jener schien gar fleissig zu schreiben, ob gleich niemand die Zeichen, welche er statt der Buchstaben machte, würde haben entziffern können, denn Ritter Ulrich von Teutleben, welcher hier die Rolle des Geheimschreibers spielte, war zwar der Waffen, aber nicht der Feder kundig.

 

Was Ludwigs Wächter für die Erklärung seines letzten Willens hielten, war, wie unsere Leser ohnehin schon vermuthen werden, gemeinschaftliche Ueberlegung über den Sprung, welchen Ludwig den andern Tag wagen wollte.

 

Reinhard fand die Erfindung seines Herrn: mit dem Windrocke; sehr glücklich, allein er

 

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zweifelte, daß Graf Ludwig mit den Füssen das Wasser zuerst erreichen würde, und rieth ihm daher, daß er nicht, wie seine Absicht gewesen war, den Rock während des Sprunges gegürtet lassen, sondern vorher den Gütel öffnen sollte, damit das lange weite Gewand mit Luft gefüllt und durch den Druck derselben auf das Wasser sein ganzer Körper vor dem Niedersinken geschützt würde.

 

So – meynte Ritter Reinhard – könnte der Graf sich ohne Gefahr in die Fluthen der Saale stürzen, doch versicherte er ihm auch zugleich, daß zu noch grösserer Sicherheit, des andern Tages einige Fischer, unter denen auch er sich verkleidet befände, mit ihren Kähnen in der Nähe des Schlosses herumschiffen würden. Immer aufmerksam auf das Fenster eures Kerkers – endigte der Ritter – wird mir der Wink nicht entgehen, welchen ihr mir dann gebt, wenn ihr zum Sprunge bereit seyd. Ich eile hierauf mit meinen Fischern unter euer Fenster, wo wir ein starkes vierfaches Tuch ausbreiten, um euch damit aufzufangen.

 

Ludwig setzte den andern Nachmittag zur Zeit seines Sprunges fest, worauf die Ritter ihn mit der wiederholten Versicherung verliessen: zu seinem Empfange alles aufs Beste einzurichten. Die Zeit der Flucht des Grafen

 

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war also nicht mehr fern, allein seine Ungeduld machte, daß ihm diese kurze Zeit eine unermeßliche Länge zu haben schien. Endlich brach sie heran.

 

Seit Ludwig sich krank gestellt hatte, waren seine Wächter so menschenfreundlich gewesen, ein Fenster seinem Lager gerad über zu öffnen, um dem Fieberkranken die wohlthätige Wärme der Sonne, wie sie sie gewöhnlich im Monat August verbreitet, empfinden zu lassen. Auch heut war dies Fenster offen, denn Ludwigs Wächter ahnten die wahre Ursache nicht, warum ihr Gefangener es offen wünschte, da selbst dann, wenn er gesund gewesen wäre, der Gedanke an den Sprung, welchen er wagen wollte, fern von ihnen gewesen seyn würde. Ueberhaupt glaubten sie, auf einen Mann, der sich auf seinem Lager kraftlos herum warf, keine genaue Aufsicht nöthig zu haben, suchten daher, ohne sich um ihn zu bekümmern, sich die Zeit so gut als möglich zu kürzen und waren besonders öfters sehr eifrig mit dem Bretspiele beschäftigt.

 

Gestern hatte zwar Ludwig zu dem heilenden Gewande, welches Reinhard ihm von seiner Gemahlin gebracht hatte, wenig Vertrauen geäussert, laut rühmte er aber heut seine Kräfte. Er versicherte, daß er sich stärker

 

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fühlte, als seit langer Zeit, versuchte so gar, auf einen Stab gestützt, in seinem Kerker herum zu schleichen, doch klagte er noch immer gleich stark über Frost, und blieb daher vor dem geöffneten Fenster Stehen. Sorglos sassen indessen seine Wächter beym Bretspiele, wo sie sich so vertieft hatten, daß sie weder den Wink bemerkten, welchen Ludwig dem Ritter Reinhard gab, noch darauf Acht hatten, daß er sich seines Pelzrockes entledigte.

 

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Jetzt befand sich Reinhard mit seinen Fischern unter Ludwigs Fenster; das Tuch war schon ausgebreitet; Ludwig blickte noch einmal zurück auf seine Wächter: ob si ihn nicht beobachteten; und da er das Gegentheil bemerkte, schwang er sich auf das Fenster, empfahl sich mit den Worten: heilige Jundfrau nimm deinen Knecht auf; in den Schutz der Mutter Gottes, und wagte getrost den Sprung in eine fürchterliche Tiefe.

 

Wahscheinlich hätte er seines Windrockes nicht bedurft, da es dem Ritter Reinhard mit seinen Gehülfen, gelang, ihn aufzufangen. Eilend wurde er nun an das jenseitige Ufer der Saale geführt, wo Ritter Ulrich mit seinem schnellen Leibrosse auf ihn wartete. Reinhard beschenkte die Fischer, warf seinem Herrn einen

 

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Mantel um, seinen abentheuerlichen Anzug darunter zu verbergen, stieg mit ihm zugleich zu Pferde und Alle eilten mit rastlosem Jagen nach Sangershausen.

 

Hier sahe Ludwig seine geliebte Adelheid und seinen Bruder Beringer, der schon mehrere Monate zuvor seiner Haft entlassen worden war. In ihren Armen freute sich Ludwig seines Entkommens, doch wurde seine Freude dadurch vermindert, daß er seine Mutter nicht wieder fand, die während der Zeit, die er im Gefängnisse zubrachte, gestorben war. Adelheid hatte alle ihre Kinder mit sich nach Sangerhausen genommen, damit Ludwig gleich den ganzen Zirkel seiner Lieben um sich her sehen mögte, aber bald bemerkte Adelheid, daß sie heirduch seine Wünsche noch nicht befriedigt hatte.

 

Was macht mein gutes Volk? - war Ludwigs erste Frage, nachdem er alle seine Lieben umarmt hatte.

 

Trauer über den Verlust ihres geliebten Vaters – antwortete Adelheid – ist beynahe das einzige Leiden deiner Thüringer. Daß zahllose andere sie minder trafen, als ihre mitleidenswürdigen Nachbarn, danken wir den wakkern Grafen Wilhelm und Dietrich, die sie so gar von vielen dieser Leiden befreieten.

 

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Das belohne Gott den biedern Männern – erwiederte Ludwig – Ich kann es ihnen nur danken. Eile, geliebte Adelheid, mir zu erzählen, was seit jenem traurigen Tage, der mich von dir riß, meinem armen Volke begegnete.

 

Adelheid erzählte, doch glauben wir, ihr nicht nach erzählen zu dürfen, weil sie verschiedne, ihr Land nicht unmittelbar betreffende Umstände übergieng, von welchen wir unsere Leser zu benachrichtigen für nöthig halten; wir widmen daher die nächsten Kapitel der Erzählung derselben und einem Auszuge aus dem weitläufigen Berichte Adelheidens an ihren Gemahl, und schliessen dies mit der Nachricht, daß Ludwigs Sehnsucht nach seinem Volke ihm nur einige Tage in Sangerhausen zu rasten erlaubte.“

 

 

 

Quelle:

Gottlob Heinrich Heinse: Ludwig der Springer Graf von Thüringen 2. Teil Weygandsche Buchhandlung Leipzig 1791 S. 364-382

 

 

Die Haftzeit Ludwig des Springers auf der Burg Giebichenstein und sein legendärer Sprung aus 35 m Höhe in die Saale sind Gegenstand einer TV-Sendung unter dem Titel "Wie Ludwig der Springer zu seinem Namen kam", die u. a. am 07.05.2016 im ARD-Programm gesendet wurde.

 

Link: programm.ard.de/TV/Themenschwerpunkte/Dokus--Reportagen/Alle-Dokumentationen/Startseite?datum=07.05.2016&hour=8