V. C. Habicht 1931: Die neuentdeckten Fresken in Idensen

Die neuentdeckten Fresken in Idensen

Von V. C. Habicht

 

 

In der abseits der HeerstraBen, in der Nähe des Steinhuder Meeres, bei Wunstorf gelegenen Grabeskirche des Bischofs Siegward von Minden (1120-1140) sind neuerdings dank der Initiative und unter der Leitung des Professors an der Technischen Hochschule Hannover Dr. Fr. Fischer durch den Maler Wildt eine Reihe von Wandmalereien freigelegt worden. Seither waren zwar schon die im Nordflügel des Querschiffs befindlichen Malereien aufgedeckt und durch H. Schmitz 1 der Wissenschaft bekanntgemacht gewesen, aber nun sind die sämtlichen Malereien des Querschiffs und der Apsis von der Tünche befreit und bieten der Wissenschaft ein Material von gar nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung dar. Wenn die Aufdeckungsarbeiten auch noch nicht als abgeschlossen gelten können, weil zu vermuten ist, daß zum mindesten die Gewölbe des einschiffigen Langhauses gleichfalls bemalt gewesen waren und vielleicht auch freigelegt werden können und zu retten sind, so ist doch jetzt schon ein Stoff bereitgestellt, über den zu berichten sich lohnt.

 

Die Bedeutung der Malereien ist zunächst durch die fast beispiellos gute Erhaltung gegeben, fehlt es doch in der mittelalterlichen Kunst sonst überhaupt an Denkmälern, die in derart ursprünglichem Zustande erhalten sind 2. Denn wenn auch einzelne Partien zerstört sind, besitzt das ganze den überaus seltenen Vorzug, daß Restaurierungen niemals stattgefunden haben und uns die Übertünchung 3 einmal Malereien überliefert hat, die uns ein wirklich authentisches Bild der Malerei, Technik usw. dieser frühen Zeit geben. Die kaum zu bezweifelnde und weiter unten noch näher zu begründende Entstehung — um 1130 — bildet das zweite Argument, das den hohen Wert dieser Werke ausmacht. Schließlich — und das ist der letzte Grund für eine durchaus berechtigte, ganz hohe Einschätzung — bieten die Malereien ein monumentales Anschauungsmaterial bodenständiger Auseinandersetzungen rnit den maßgebenden byzantinischen Einflüssen dar, dem in Niedersachsen erst weit spätere Werke wie das Wolfenbütteler Musterbuch 4 oder das bekannte Goslarer Evangeliar 5 an die Seite gestellt werden können.

 

Von einer Gesamtbeschreibung des Bestandes kann hier um so eher Abstand genommen werden, als die noch ausstehenden Freilegungen der Malereien des Langhauses erst einen vollen Überblick und die Möglichkeit des Verständnisses des Programmes bieten werden. Da bis dahin aber noch Jahr und Tag vergehen können, seien die jetzt sehr wohl schon erörterbaren kunstgeschichtlichen Probleme wenigstens angeschnitten.

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1 Vgl. H. Schmitz: Die mittelalterliche Malerei in Soest, Münster 1906, S. 11 ff. 2 Hier gilt einmal nicht die sonst sehr zutreffende Feststellung von H. Karlinger in M. Hauttmann: Die Kunst des frühen Mittelalters. Berlin 1929. S. 129, „daß das etwa vorhandene zum allergrößten Teil das Wesen verfälscht durch leere, weichliche, naturalistisch-sinnlose Retuschen des 19. Jahrhunderts.“ 3 Es ist nicht überliefert. wann diese stattgefunden hat; aber doch wohl erst nach Benutzung als Dorfkirche für den evangelischen Gottesdienst. 4 H. R. Hahnloser: Du Musterbuch von Wolfenbüttel, Wien 1929 (Sonderabdruck aus den Mitteil. der Ges. f. vervielfält. Kunst). 5 A. Goldschmidt: Das Evangeliar im Rathhaus zu Goslar. Berlin 1910.

 

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Zunächst ist die schwierige und seither strittige Datierungsfrage zu erledigen, weil hier die Ansichten nicht um Jahrzehnte, sondern gleich um Jahrhunderte differieren: Mithoff 1 1120-1140, Hase 2: Ende des 12. Jahrhunderts, Dehio 3: 13. Jahrhundert. Bei dem in unserer Wissenschaft geradezu katastrophalen Mißbrauch mit sogenannten »Ansichten«, empfiehlt es sich dringend, die Quellen zu befragen. Hier steht uns allerdings nur die so genannte »jüngere Mindener Bischofschronik« zur Verfügung, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts von dem Mindener Domherrn Heinrich Tribbe, jedoch mit zuverlässiger Verwendung der Quellen und eigenen Untersuchungen verfaßt worden ist 4. Heinrich Tribbe berichtet nun von Siegward, dem Mindener Bischof, daß er von vornehmen Eltern abstammte und den Schaumburger Grafen verwandtschaftlich nahegestanden habe und fährt dann fort: »ecclesiam in Idenhusen plumbo coopertam ex quadris lapidibus studiose muratam cum quatuor altaribus ex propriis sumptibus ad honorem undecim milium virginum fundavit. Intus picturis pulcherrimis decoravit . . . Haec, inquam, ecclesia ceteris paribus est pulchrior ecclesia villana, quam habet Mindensis sedis ecclesia . . . Sigewardus venerabilis antistes postquam annis XX, mensem unum, dies XVl gloriose rexerat, ipso die vitalis, qui est tertia die ante Philippi et Jacobi, anno MCXL, indictione III obiit sepultusque est in medio ecclesiae Idenhusen, de qua superius est dictum . . . « Diese Nachrichten besitzen Glaubwürdigkeit, weil Bischof Siegward in einer undatierten, zwischen 1120 und 1129 ausgestellten Urkunde 5 unter anderm das Vorwerk Idensen dem Bistum Minden schenkt und die Kirchengründung in Idensen mit den Worten: »ecclesiam etiam in Idanhusen ab episcopo nulli concedendam nisi sacerdoti qui ibidem stabiliter habitare deoque fideliter servire studuerit, constitui« ausdrücklich erwähnt.

 

Der architektonische Befund ist zwar ungewöhnlich — Dehio spricht von einem Unikum —, aber, wie Schmitz 6 bereits nachgewiesen hat, in der Zeit — um 1120-1140 — sehr wohl möglich, allerdings nur unter der Voraussetzung enger Anlehnung an französische Vorbilder. Da Schmitz die letzteren mit byzantinischen Bauten in Zusammenhang bringt, läßt er aber die Frage offen, ob die ungewöhnlichen architektonischen Formen in Idensen nicht vielleicht doch direkt vorn Osten abhängen können. Die von Schmitz selbst beigebrachten französischen Beispiele lassen diese Annahme aber als eine sehr unwahrscheinliche erkennen. Ohne diesen baugeschichtlichen Problemen hier weiter nachgehen zu können, dürfen wir uns mit der Feststellung begnügen, daß die Kirche um 1120-1140 gebaut worden ist. Dem Zweck und der Bestimmung nach ist anzunehmen, daß Bischof Siegward Sorge getragen hat, daß die Kirche möglichst bald fertiggestellt und benützbar war. Wir haben also Grund, anzunehmen, daß die Malereien um etwa 1130 ausgeführt gewesen sind.

 

Eine stilistische Einreihung der Malereien wäre erleichtert, wenn die urkundlich 1112

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1 Vgl. H. W. H. Mithoff: Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen, I.Bd. Hannover 1871. S. 107 ff. 2 Vgl. C. W. Hase: Die mittelalt. Baudenkmale Niedersachsens. Hannover 1861. Bd. I, S. 154 ff. 3 Vgl. G. Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bd. V. Berlin 1928. S. 226. 4 Vgl. Kl. Löffler: Mindener Geschichtquellen. Münster 1917. 5 Vgl. A. Erhard: Regesta Historiae Westfaliae Cod. Dipl. 1847-51- Bd. 1, S. 148. 6 Vgl. H. Schmitz: a. a. O., S. 5 ff.

 

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in der Klosterkirche zu Corvey 1 angefertigten Wandmalereien erhalten wären. Auch das zeitlich folgende (1130—1150) Beispiel: die Wandmalereien in der Vorhalle des Hildesheimer Domes 2 sind nur in unzureichenden Pausen erkennbar.

 

Wir müssen also zunächst von dem Befund selbst ausgehen, beziehungsweise von den neuaufgedeckten Malereien, die es ermöglichen, die resignierende Feststellung von Schmitz 5: »Hier will es uns, wohin wir den Blick auch richten, nicht gelingen, engere Anknüpfungspunkte zu finden«, aufzugeben. Dies ist auch bei der Beschränkung dieses Berichtes auf wenige der neuentdeckten Teile möglich, eine Beschränkung, die aus Mangel an ausreichenden Photos (die vor der Ausführung notwendiger Konservierungsarbeiten doch keine zureichende Vorstellung bieten würden) notwendig ist. Als wichtigste Ergänzungen zu den von Schmitz bereits behandelten Szenen des nördlichen Querhausarmes sind bis jetzt hinzugekommen: im Vierungsgewölbe die Taufszene (Taf. 85/1, 2, 86/1),

 

 

 

 

in dem Tonnengewölbe des schmalen Vorchors die Brustbilder von Heiligen (Taf. 86/2, 87/2), in der Apsis die Gestalt des Salvators (Taf. 87/4)

 

 

und im südlichen Querschiffarrn die Szene der Arche Noahs (Taf. 87/1)

 

 

und die Geißelung Christi (Taf. 88/1).

 

 

 

Die, um es gleich zu sagen, sehr byzantinisch anmutende Taufszene des Vierungsgewölbes zeigt in der Mitte eine kreuzförmige Kufe 4, in deren vorderen Enden Täuflinge stehen, während davor eine bärtige, segnende Gestalt — doch wohl Christus — erscheint. Die Gruppen vollfiguriger Gestalten werden links von Petrus geführt, der in der Linken ein aufgeschlagenes Buch mit dem Texte: »Baptizo vos in nomine P.(atris) F.(ilii) S.(piritus)« hält und mit der Rechten einen Segensgestus ausführt; gefolgt von drei Jüngern, denen die gleiche Zahl auf der rechten Seite entspricht. Während im nördlichen Querschiffarm historische Taufszenen dargestellt sind (Petrus tauft Cornelius und sein Haus), handelt es sich bei dieser Szene scheinbar mehr um eine solche symbolischen Charakters, die das Sakrament der Taufe in allgemeinerem Sinne verherrlichen will. Da die Kirche den elftausend Jungfrauen geweiht war (s. o. »ad honorem undecim milium virginum«), dürften die in Rundmedaillons dargestellten Frauen im Tonnengewölbe des Vorchors wohl diese Heiligen darstellen. (Vermutlich befinden sich weitere Szenen dieser Legende unter der Tünche der Gewölbe des Langhauses.) Die leider stark beschädigte Gestalt Christi als Weltenrichter im Halbrund der Apsis läßt aber wenigstens noch deutlich den eindrucksvollen, bärtigen Kopf des Herrn erkennen. Auf der Szene der Arche Noahs und der Taube ist der Kopf Noahs leider stark beschädigt. Zur Ergänzung lassen sich Köpfe in ähnlichen Haltungen aus der Szene der Verklärung Petri (vom nördlichen Querhausarm) heranziehen (Taf.88/2, 87/3).

 

 

 

Von der Geißelungsszene ist wenigstens die Gestalt des linken Henkers gut erhalten.

 

Die fraglos vorhandenen Zusammenhänge mit der byzantinischen Kunst können keine

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1 Vgl. W. Effmanm Die Kirche der Abtei Corvey. Paderborn 1929. S. 8. 2 Vgl. Ad. Zeller: Die romanischen Baudenkmäler von Hildesheim. Berlin 1907 Abb. S. 78. 3 Vgl. H. Schmitz: a. a. O. S. 11 4 O. Wulff hat die Freundlichkeit, mir die byzantinische Herkunft dieser Szene zu bestätigen und nennt mir als Beispiel das Fresko in Ljubostinja. (Taf. 10 in N. Okunew: Monumente artis Serbicae, Bd. II.); vgl. auch die Szenen der Miniaturen im Gregor v. Nazianz (Mscr. Grec. 510 der Nat.-Bibl. Paris) Taf. XXX u. LVI in H. Omont: Facsimilés des miniatures des plus anciens manuscripts greca. Paris 1902.

 

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direkten gewesen sein. Ein Kenner wie Wulff hat die Freundlichkeit, mir auf eine Anfrage mitzuteilen, daß er eine »starke Umarbeitung« erkennt. Es ist anzunehmen, daß ein Musterbuch vorgelegen hat, in dem diese Umsetzungen bereits vorgenommen waren. Die mustergültige Veröffentlichung des Wolfenbütteler Musterbuches 1 hat uns deutlich gezeigt, wie die »Similes« zwar im Motivischen stark von ihren byzantinischen Vorlagen abhängen, im Formalen aber ebenso stark selbständige Wege gehen. Leider sind wir bezüglich der Idenser Fresken nicht in der gleichen glücklichen Lage wie im Falle des Goslarer Evangeliars das formenbestimmende Musterbuch zu besitzen.

 

Historische Uberlegungen und formale Anhalte sprechen aber dafür, beide Tätigkeiten, die Anfertigung des Musterbuches und die Ausführung der Wandmalereien, künstlerisch tätigen Klerikern in Helmarshausen zuzutrauen. Daß in Helmarshausen der Sitz führender Werkstätten war, ist nach der bekannten Tätigkeit des Rogkerus und des Mönches Heriman nicht zu bezweifeln. Es ist auch sehr bezeichnend, daß man sich von Paderborn aus - um 1100 - dorthin gewandt hat, um bedeutende Aufträge zu vergeben (Tragaltäre des Rogkerus 2) und daß ein Kenner wie Heinrich der Löwe einen Helmarshausener Mönch Heriman mit der Ausschmückung seiner Prachtcodices betraut hat 3.

 

Die Sonderstellung und Stärke der Helmarshausener Miniaturen beruhen einmal auf stärkeren Umprägungen der byzantinischen Vorbilder, wie wir sie sonst etwa bei den stark byzantinisierenden Miniaturen des Evangeliars aus Riddagshausen 4 feststellen können, und ferner auf einer ausgesprochenen Aktivierung des Figuralstiles. So gewiß die byzantinischen Exempla nicht nur bei motivischen Eigenarten, wie der kreuzförmigen Kufe — sondern auch im Formalen, für das der Zeit entsprechend lediglich der Figuralstil in Frage kommt, durchschimmern, ebenso deutlich zeigen die Fresken in Idensen in der Darstellung der Haltungen, der Charakterisierung der Köpfe und den derberen und bewegteren Gestalten eine bodenständige Umwandlung, die in dieser starken Form allerdings erst etwa eine Generation später — in den Miniaturen des Heriman, zirka 1170 — wiederzufinden ist. Was die byzantinische Frage anlangt, scheint hier ein ähnlicher Fall wie bei dem Wolfenbütteler Musterbuch vorzuliegen 5, nämlich daß es schwieriger sein dürfte, konkrete byzantinische Vorbilder zu nennen, als — umgekehrt — aus den Idenser Fresken auf uns nicht mehr erhaltene byzantinische Werke zu schliessen. Jedenfalls dürfte eine Klärung des Sachverhaltes in diesem Falle in erster Linie aus einer Heranziehung der bodenständigen Leistungen der Zeit zu gewinnen sein. Es zeigt sich dann, daß westfälische Arbeiten überhaupt nicht in Frage kommen und daß die der führenden niedersächsischen Werkstätten den byzantinischen Exempla verpflichteter sind und die obengenannten Züge in diesem Maße nicht besitzen. Zu dem bereits genannten Evangeliar aus Riddagshausen kann für Braunschweig noch die Kreuzigung eines Missales des Braunschweiger Dornes 6 herangezogen werden. Die Hildesheimer, etwas später entstandenen Werke des Henricus de

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1 Vgl. H. R. Hahnloser: a. a. O. 2 Vgl. A. Fuchs: Die Tragaltäre des Rogerus v. Helmarshausen. Paderborn 1916. 3 Vgl. V. C. Habicht: Nieders. Kunst in England. Hannover 1930. S. 8 ff. und Abb. 4-8. 4 Vgl. V. C. Habicht: Nieders. Kunst in England, Abb. 10 u. 11. 5 Vgl. Hahnloser: a. a. O. S. 18 ff. 6 Vgl. Habicht: Nieders. Kunst in England, Abb. 9.

 

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Middel 1 und Ratman 2 (zirka 1150—1160) zeigen fraglos entwickeltere, das heißt aktiviertere Formwerte und doch — trotz der Entstehungszeit — keine Motive wie die des Henkers auf der Geißelung in Idensen. Wären die Fresken in Idensen schon bei der Abfassung des Textes meiner »Niedersächsischen Kunst in England« aufgedeckt gewesen, hätte ich die dort schon ausgesprochene Ansicht: »es bleibt allerdings die sogar hohe Wahrscheinlichkeit, daß von oder unter Rogkerus schon urn 1100 ein gleich aktivierter Figurenstil wie in den Goldschmiedearbeiten auch in Miniaturmalereien angeschlagen worden ist« wohl noch positiver äußern können. Sind uns auch keine Helmarshausener Miniaturen aus der Zeit um 1100 und der um 1130 erhalten, läßt sich doch eine klar ablesbare Formenfolge: Werke des Rogkerus um 1100, Fresken in ldensen um 1130 und Miniaturen des Herirnan um 1170, und zwar eine solche unlöslicher Verbundenheit aufstellen. Die Verknüpfung nach rückwärts, etwa mit dem Abdinghofener Tragaltar, besteht in der Eindringlichkeit starker Gebärden.Vergleicht man etwa den Henker der Geißelung (Taf. 88/1)

 

 

oder den Zöllner 3 mit »aktivierten« Figuren nichtniedersächsischer Miniaturen wie denen der Passionsszenen des Salzburger Antiphonars 4, so wird sofort deutlich, daß hier in ldensen Schwungkraft und Kühnheit der Bewegungsmotive gegeben sind, die dort fehlen, in ähnlicher Stärke und Unmittelbarkeit dagegen auf dem Abdinghofener Tragaltar vorkommen. Deuten diese entscheidenden Formwerte bereits deutlich auf das Herauswachsen aus der gleichen Schultradition, so tun es einzelne Stilisierungen gleich stark. Die sehr auffällige Prägung des Typus Petri, hervorgerufen besonders durch die ornamental kreisförmigen Stilisierungen des Schnurrs und Backenbartes am Kinn, ist in sehr ähnlicher Form vorgebildet bei der gleichen Gestalt des Dom-Portatiles 5. Wegen der Gleichheit der Techniken ist ein Vergleich mit den Miniaturen Herimans leichter durchzuführen. Wir stellen zwei Köpfe einander gegenüber (Taf. 89/1, 2), deren stilistische Verbundenheit keiner weiteren Begründung bedarf. Trotz der weit zeichnerischeren Gestaltung schimmert auch in einem Kopf wie dem der Maria 6 am weitesten links der Szene der drei Frauen am Grabe Herimans der gleiche, bodenständiger Umformung verpflichtete Typus durch wie bei der Frau am weitesten links der Idenser Darstellung der Arche Noahs (Taf. 87/1).

 

 

Es scheint darnach berechtigt, anzunehmen, daß die Wandmalereien in Idensen von Künstlern aus den Werkstätten in Helmarshausen geschaffen worden sind.

 

Aber nicht allein innerhalb der niedersächsischen Kunst füllen die neuaufgedeckten Werke eine sehr empfindliche Lücke aus, sondern auch in der gesamtdeutschen, da die nächst bedeutendsten — überdies stark restaurierten — Wandmalereien in der Unterkirche in Schwarzrheindorf 7 etwa zwanzig Jahre später entstanden sind. (1156 vollendet.) Wir müssen uns überhaupt noch stärker an die Vorstellung gewöhnen, daß gerade in dieser Zeit — um 1130 — die Initiative in Nordwestdeutschland lag und daß den von Beenken 8

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1 Vgl. H. Swartenski: Vorgotische Miniaturen. Königstein o. J., Abb. S. 51. 2 Vgl. H. Swarzenski: Vorgotische Miniaturen. Königstein o. J., Abb. S. 50. 3 Vgl. H. Schmitz: a. a. O., Abb. Taf. II. 4 H. Swarzenski: a. a. O., Abb. 48. 5 Vgl. A. Fuchs: a. a. O., Abb. 13. 6 Habicht: Nieders. Kunst in England, Abb. 8. 7 Vgl. P. Clemen: Die romanische Monumentalmalerei in den Rheinlanden. Düsseldorf 1916. S. 269 ff. 8 Vgl. H. Beenken: Roman. Skulptur in Deutschland. Leipzig 1924.

 

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richtig eingeschätzten Taten auf dem Gebiete der Plastik (Gernrode, Gandersheim,Quedlinburg) solche der Malerei entsprochen haben. Denn es hängt gewiß nicht mit dem »Zufall« der Erhaltung zusammen, daß wir Gleichwertiges aus dieser Zeit in Deutschland sonst überhaupt nicht besitzen, von dem wirklich dokumentarischen Wert der Fresken in ldensen gegenüber den teils stark restaurierten, teils weit schlechter erhaltenen Arbeiten ganz zu schweigen. Die Perspektiven, die sich für die Erhellung der vielen strittigen Fragen auf dem Gebiete der deutschen Wandmalerei von dem festen Stand aus ergeben, den uns die Fresken in ldensen durch ihre Erhaltung und ziemlich genaue Datierbarkeit (um 1130), gewähren, können hier nicht weiter verfolgt werden. Ebensowenig kann die Vermutung begründet werden, daß die um 1145 enstandenen Wandmalereien des Nonnenbergklosters in Salzburg nicht — wie Karlinger 1 annimmt — von den zeitlich weit zurückliegenden Malereien der Unterkirche von S. Clemente in Rom (ca. 1084), sondern von örtlich und zeitlich näherliegenden Prägungen, für die die Idenser Fresken aber doch wohl nur ein uns faßbares Beispiel sind, ausgegangen sind. Dagegen wollen wir versuchen, eine kurze Kennzeichnung der Stilstufe zu geben, wobei von Allgemeinheiten, wie etwa der, daß die Malereien die qualitätvollsten der Zeit darstellen, abgesehen werden kann, da der künstlerische und kunstgeschichtliche Wert einleuchtend genug ist. ln dieser Hinsicht von Bedeutung wäre höchstens folgendes: Haseloff 2 urteilt über das Evangeliar des Helmarshausener Mönchs Heriman »gewiß das prächtigste Denkmal deutscher Buchmalerei des 12. Jahrhunderts, auch aus dem 13. wüßte ich ihm nichts an die Seite zu stellen«. Dem erhaltenen Bestande und vor allem dem unberührten Zustande nach könnte man ein gleiches Urteil über die Wandmalereien in Idensen, diesen — wie ich bestimmt annehme — gleichfalls Helmarshausener Klerikern zu verdankenden Arbeiten, abgeben.

 

Die Nebeneinanderstellung eines Kopfes der Fresken in Idensen und eines solchen einer der Miniaturen Herimans (Taf. 89/1, 2) hat nicht nur den Zweck, den Schulzusammenhang, die kontinuierliche Tradition aufzuweisen, sie geschieht auch in der Absicht, die Unterschiede klar werden zu lassen. Die letzteren prägen sich vor allem in einem starken Zunehmen linearer Formmittel aus. Diese Zunahme und das Zuhilfenehmen dieser Ausdrucksfaktoren sind an sich bekannte Tatsachen, die wir noch einleuchtender machen wollen durch Gegenüberstellung der Miniatur des Matheus eines Heiningener, also örtlich nicht allzuweit von Helmarshausen entfernten, Evangeliars (jetzt Staatsbibliothek Dresden Nr. A. 94, Taf. 89/3) und der Anbetenden auf dem Idenser Verherrlichungsfresko Petri (Taf. 87/3). Wie hoch und weit das malerische Verfahren in Idensen getrieben war, wird selbst aus den Abbildungen deutlich.

 

Breite, reinfarbige, zum Teil stark aufgelichtete Flächen (vgl. Augen, Stirn, Nase, Bart unseres Ausschnittes, Taf. 87/3) stehen einer schärferen Konturierung und Binnenzeichnung Herimans deutlichst gegenüber. Daß hier ein hochgespannter Wille am Werke war, wird erst dann recht einleuchtend — und den Tatsachen gerechter — wenn man bedenkt,

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1 Vgl. H. Karlinger a. a. O. S. 133. 2 Vgl. A. Haseloff: Eine thüring.-sächs. Malerschule. Straßburg 1899. S. 337.

 

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W. Staude / Abd us-Samad, der Akbar-Maler und das Millionenzimmer in Schönbrunn

 

beziehungsweise mit Recht an die auch in Idensen fraglos vorhandenen Musterzeichnungen erinnert. Lockerungen in den Farbtönen, die Art, wie mit blauen Schatten im Weiß gearbeitet wird, die Vorahnung einer Art von sfumato und die höchst malerischen Helldunkelgegensätze lassen gar keinen Zweifel, daß die Fresken in Idensen eine Spätstufe bedeuten. Hier helfen auch wieder die zwar nur wenigen überlieferten Daten. Immerhin wissen wir, daß Abt Wino von Helmarshausen zu Anfang des 11. Jahrhunderts nach Jerusalem geschickt worden ist und auch von Theophilus ist eine direkte Bekanntschaft mit östlichen, byzantinischen Werken unbedingt anzunehmen. Mit anderen Worten: zur Zeit des Auftrags für die Fresken in Idensen bestanden in den Helmarshausener Werkstätten schon etwa hundertjährige Auseinandersetzungen mit den byzantinischen Exempla. Kein Wunder, daß uns hier in Idensen ein Spätstil, ein höchst geschliffener und nicht mehr überbietbarer entgegentritt. Zu dieser Ansicht zwingen uns nicht nur die Tatsachen des folgenden, lineareren Formwechsels, sondern auch die in ldensen selbst ausgeprägten und angewandten Mittel. Da das Stilgefüge im Prinzip nicht über Ausprägungen hinausgeht, wie sie etwa schon in der St. Georgskirche auf der Reichenau ausgebildet waren, kommen die Erscheinungen des Spätstils besonders in Umprägungen des Figurenideals zur Geltung Weder die Monumentalisierung der Haupthandlungsträger einzelner Szenen, noch auch der Wirklichkeit angenähertere Formen (im großen untersetztere Gestalten, Realismen in der Tracht), sind als die entscheidenden Umbildungen anzusehen, sondern die vom Willen nach prägnantem Ausdruck bestimmten Gebärden und die scharfen Charakterisierungen der Köpfe (vgl. Taf. 86/1, 2, 89/1).

 

 

Nur eine kontinuierliche Pflege der Mittel hat es selbstverständlich ermöglicht, daß dabei rein malerische Ausdrucksfaktoren angewandt werden konnten. Die letzteren, für deren Art man nur die breite, flächige Farbbehandlung etwa der Augendarstellungen heranzuziehen braucht, sind um so entscheidender, als schon die kurz folgende, von Karlinger 1 treffend charakterisierte Stilstufe — Salzburg-Prüfening — eine deutliche Wandlung erkennen läßt.

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1 Vgl. H. Karlinger: a. a. O. S. 183.

 

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Quelle:

 

Habicht, Victor Kurt: Die neuentdeckten Fresken in Idensen. Belvedere. Monatsschrift vol. 18 (1931) S. 149-155 Wien, Zürich 1931

 

Die Quelle liegt eingescannt vor in:

 

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=bel&datum=1931&page=167&size=45

 

Die Abbildungen des Artikels sind teilweise durch Aufnahmen in der Siegwardskirche vom September 2017 ersetzt und im Text eingefügt. Die Originalaufnahmen sind einzusehen unter:

 

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=bel&datum=1931&page=352&size=45

 

 

 

Die Kirche zu Idensen bei Wunstorf.

Von C. W. Hase in Hannover.

(Mit Zeichnungen auf Blatt 31 und 32)

 

 

Geschichtliches.

 

(Auszüglich entnommen aus einer Mittheilung des Amtsrichters Fiedeler zu Hannover in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. 1856.)

 

Das Dorf Idensen in dem Königlich Hannoverschen Amte Blumenau eine Stunde westwärts von Wunstorf an der Aue belegen, wird im Süden und Westen von der kurhessischen Grafschaft Schauenburg und im Norden von dem fürstlich Schauenburg-Lippischen Amte Hagenburg begrenzt, hieß in früheren Zeiten Idenhusen (Ydenhusen, Idanhusen) und gehörte zum Archidiaconate Apelern, Diöcese Minden. Urkundlich wird des Dorfes und der darin belegenen Kirche zuerst erwähnt in einer undatirten Urkunde des Mindener Bischofes Siegward (Siegbert, siwardus) am 12. März 1120 zum Bischof gewählt, in welcher des gleichzeitig lebenden Grafen Adolf‘s von Schauenburg ( anno 1129) gedacht wird, aus welchen Umständen erhellt, daß die Urkunde in dem Zeitraume von 1120 bis 1129 verfaßt sein muß. In genannter Urkunde schenkt Bischof Siegward seine an der westlichen Seite der Leine belegenen Erbgüter, unter denen auch das Vorwerk zu

Idenssen nahmhaft gemacht wird, dem Bisthume Minden. Auch gedenkt in derselben Urkunde der Aussteller der Kirche zu Idensen in den Worten: „Ecclesiam etiam in Idanhusen ab episcopo nulli concedendam nisi sacerdoti, qui ibidem stabiliter habitare Deoque fideliter servire studuerit, constitui.“

 

Einer frühzeitigen Zerstörung und späteren Erneuerung dieser Kirche wird nirgend gedacht, vielmehr spricht ein späterer Chronist Hermann von Lerbeck (Dominikaner-Mönch) um 1400 über die Gründung der Kirche durch Bischof Siegward, hält diese für dieselbe, welche er noch mit eigenen Augen sieht, und giebt davon folgende Beschreibung:

 

„Hic (sc., Sigewardus episcopus) pro spe retributionis aeternae — — ecclesiam in Ydenhusen plumbo cooperto ex quadris lapidibus studiose muratam cum quatuor altaribus ex propriis sumtibus ad honorem XI milium virginum fundavit, intus picturis decoravit; et ibidem ostenditur sedes sua de straminibus artificialiter facta, quae ultra CCC annos duravit, quod impossibile, nisi ex speciali dono Dei est. Haec, inquam, ecclesia villana, quam habet Mindensis sedes. (Hier scheint etwas zu fehlen.) Unde statuii, ut haec ecclesia nulli, nisi sacerdoti, qui stabiliter ibidem habitaret Deoque ibidem fideliter serviret, conferatur. In introitu hujus ecclesiae hos versus in lapide insculptos vidi:

 

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens

 

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sum, quod eram, nec eram, quod sum, modo dicar utrumque.

Tene, praebe juste, prudenter, honeste. 1)

(Von der Inschrift ist nichts mehr auszufinden.)

 

— Sygewardus, venerandus antistes, postquam annis XX, mensem unum, dies XVI gloriose rexerat, ipso die Vitalis, in die ante Philippi et Jacobi, anno Domini M.C.XL, indictione III, obiit. Sepultus est in medio ecctesiae Ydenhusen, de qua superius est dictum.“

(Von einem Grabmale hat Nichts entdeckt werden können.)

 

Nach den obigen Nachrichten schreibt der Chronist von Lerbeck die Gründung der Kirche dem Bischof Siegward zu. Wir wissen nicht, woher der Chronist diese Nachricht entnommen hat. Aus der Urkunde des Bischofs Siegward selbst geht nur hervor, daß er bestimmt hat, die Kirche zu Idensen solle von einem beständig dort wohnenden Priester bedient werden. Fiedeler nimmt in der Mittheilung, aus der wir unsere historischen Daten entlehnen, an, daß die Kirche zufolge der obigen Nachrichten in dem Zeitraume von 1120-1129 erbaut worden sei.

 

Auch Lübke sagt in seiner Mittelalterlichen Kunst Westphalens, daß sich die Kirche durch sichere Zeitbestimmung auszeichne, indem sie durch Bischof Siegbert (Siegward) 1120-1141 gestiftet sei.

 

Da aber über die Gründung der von Lerbeck oben beschriebenen Kirche kein urkundlicher Beweis, sondern nur die Mittheilung des Chronisten Lerbeck vorliegt, so wollen wir die Formen der Kirche in unserer nachfolgenden Beschreibung selbst reden lassen, ob die noch jetzt bestehende und von Lerbeck beschriebene Kirche dieselbe noch sein kann, welcher vom Bischof Siegward ein beständiger Priester bestimmt ist.

 

Weitere Nachrichten, die baulichen Verhältnisse der Kirche betreffend, finden sich nicht bis zum Jahre 1823, in welchem Jahre aus den die Kirche betreffenden Acten der Consistorial-Registratur zu Hannover eine Reparatur am Thurme äußerlich und innerlich, gemeldet wird, bei welcher Gelegenheit der Thurm die Hälfte seiner ursprünglichen Höhe eingebüßt haben soll.

 

Endlich erwähnen wir noch, daß laut der Superintendentur-Acten zu Wunstorf schon im Jahre 1710 höheren Orts die Absicht gewesen zu sein scheint, daß Kirchengebäude, weil dasselbe für die zahlreiche Gemeinde zu klein sei, abzubrechen

 

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1) Siehe E. L.Grotefend‘s interessante Deutung der Verse im Correspondenz-Blatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthums-Vereine. 1858. No. 9.

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um eine neue Kirche zu erbauen. — Glücklicherweise scheiterte die Ausführung an der Armuth der Kirche und der Gemeinde, und man begnügte sich mit der Erweiterung der Plätze, die durch den (das Innere gänzlich entstellenden) Einbau verschiedener sogen. Priechen erzielt wurde. Aus gleichem Grunde ist an das Aeußere der Apsis 1845 eine Sacristei angebaut, und noch jetzt ist man, soviel Referent bekannt ist, fortwährend bemüht, mehr Plätze für die immer noch wachsende Gemeinde zu erfinden.

 

Möchte die Erfindung so glücklich sein, daß das ehrwürdige und schöne Denkmal kirchlicher Baukunst nicht darunter zu leiden hätte.

 

Beschreibung der Kirche.

 

Die kleine vorliegende Kirche inmitten des von blumenreichen waldumkränzten Wiesen umgebenen Dorfes Idensen belegen, ist aus vielfachen Gründen äußerst interessant und einer genaueren Betrachtung werth. Eine seltsame Mischung alterthümlicher selbst das Altchristliche berührender und jüngerer an gothische Weisen streifender Motive, eine sehr gediegene Detaillirung und präzise saubere Ausführung des ganzen Werkes tritt uns trotz der Kleinheit des Baues in überraschender Weise entgegen. Die ziemlich genau von West nach Ost orientirte einschiffige gewölbte Kirche wird im Westen durch einen um ein Weniges schmäleren Thurm, von nahezu quadratischer Grundform, nach Osten zu durch ein Querschiff begrenzt, an welches sich nach altchristlicher Weise unmittelbar die Apsis anschließt, welche innen zwar rund, außen aber nach den fünf Seiten eines Zehneckes gebildet ist. Die äußerliche Breite des Kirchenschiffes tritt an der Ostseite um 2 3/4 Fuß vor dem Querschiffe hervor, um die Giebelbildung deutlich im Aeußeren erscheinen zu lassen, wie wir in gleicher Weise an der Ostseite der Michaelis-Kirche zu Hildesheim eine solche dem Bernwardschen

Bau zuzuschreibende Bildung (siehe Heft I. Seite 20) als sehr wahrscheinlich befunden haben.

 

Die Hauptapsis ist durch drei in den mittleren Feldern derselben angebrachte Fenster erleuchtet; auch haben die in den seitlichen Theilen des Querschiffes östlich in die Mauer eingeschnittenen, äußerlich also nicht vortretenden Seitenapsiden jede ein Fenster.

 

An dem ganzen Bau finden wir den Rundbogen durchgeführt und das Innere der Kirche durch einen sehr entwickelten romanischen Gewölbebau ausgezeichnet. Bis zum Querschiffe ist dasselbe in 2 Gewölbefelder eingetheilt, die durch kräftige Gurten mit eckiger Vorlage getrennt werden; letztere stützen sich auf Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen, die Kappen der dazwischen gespannten Kreuzgewölbe entwickeln sich nicht aus den Ecken von Wand und Pfeiler, sondern treten mit einer Stärke von etwa 9“ , aus den Ecken hervor, welcher Vorsprung eine in die Ecke gestellte Säule getragen wird, wie aus unsern Durchschnitten und der innern perspectivischen

 

 

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Ansicht ersichtlich ist. Die Gewölbefelder sind aber nicht, wie bei den Gewölbebauten des 12. Jahrhunderts quadratisch, sondern sind nach der Längenrichtung der Kirche erheblich schmäler als die Breite der Kirche. Es messen nämlich die Felder der Länge der Kirche nach von Gurt zu Gurt resp. 13 und 13½ Fuß bei 19 Fuß lichter Weite der Kirche. Es erklärt sich aus der Differenz dieser Maßen das höhere Hinauftreten der Gewölbträger über die Kämpferhöhe der Gurten, obwohl bei der Ausführung der Gewölbe dieser beabsichtigte Vortheil zur Ausgleichung der verschiedenen Bogenhöhen nicht vollständig benutzt ist, da die Wandbögen (Schildbögen) der Kreuzgewölbe nicht volle Halbkreise sind, ihr Mittelpunkt also unter ihren Kämpfer hinunterrückt, was sich nicht anders erklären läßt, als daß man eine für das Aeußere festgesetzte Höhe durch die Gewölbe nicht hat überschreiten wollen. Der Umstand, daß die der gothischen Construction entsprechende rechteckige nicht quadratische Grundform der Gewölbfelder hier vorkommt, ist sehr zu beachten, wie denn auch die Gestalt der Gewölbekappen eine für die nach obigen historischen Nachrichten datirte Zeit auffallende Bildung zeigt. Es erheben sich nämlich die Gewölbekappen über ihren Trägern als richtige Kreuzgewölbe, bald aber verlieren sich die Gewölbegräte, und der Schluß der Kappe ist der einer bömischen Kappe, welches nicht als Zufall, Ungeschicklichkeit oder dergleichen anzusehen ist, da die Herstellung dieser Form, die wir unter den mancherlei gekünstelten Gewölbformen rheinischer Kirchen der Uebergangszeit (13. Jahrh.) finden Uebung und Gewandtheit im Wölben voraussetzt. Noch etwas schmäler als die beiden Gewölbfelder des Langhauses ist das des Querschiffes vor der Hauptapsis (11‘ 10“), auf welches dann ein 4½ Fuß breiter Gurt folgt, an welchen sich die Apsis auschließt. Der Raumgewinnung wegen ist ebengenannter Gurt und sein Pfeiler nicht vortretend wie die Pfeiler des Langhauses, auch nicht mit einer Vorlage versehen; der zierliche Schmuck der Wandarcaden der inneren Seite der Apsis, der auch im Innern, die äußerliche Polygonalgestaltung anklingen läßt, setzt sich indeß noch an dem ebengenannten Gurte und Pfeiler vor der Apsis fort, so daß der in der Apsis ziemlich beschränkte Altarraum dadurch eine angenehme Erweiterung erfährt. Der eben angeführte Schmuck der Wandarcaden ist unter den romanischen Kirchen Niedersachsens und Westphalens wohl das einzige Beispiel und möchte, wie die oben besprochenen Gewölbe zunächst nur an rheinischen Kirchen der Uebergangszeit zu finden sein, wie auch selbst die Auszeichnung der Säulenschäfte durch die Anwendung eines härteren dunkelgrünen polirten Materials an ähnliche in den rheinischen Kirchen häufiger vorkommende Beispiele erinnert.

 

In Beziehung auf die auffallenden Verhältnisse des Grundrisses darf auch der geringe Vorsprung des Querschiffes vor dem Hauptschiffe nicht übersehen werden.

 

 

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Die inneren Höhenverhältnisse der Kirche sind nicht bedeutend. Die ganze Höhe des Schiffes bis zum Scheitel des Gewölbes betrug 25 Fuß, wovon gegenwärtig durch Höherlegung des Bodens der Kirche im Langhause etwa ein Fuß eingebüßt ist, so daß die Pfeiler und Säulensockel im Langhause gegenwärtig unter dem Boden verborgen sind. Die Basis des Säulchens am Gurte vor der Apsis erhebt sich um etwa 9 Zoll über jene, während die Basen der Arcadensäulchen der Apsis noch höher hinauftreten, und eine frühere Erhebung des Apsidenbodens über dem des Langschiffes vermuthen lassen. Trotz der unbedeutenden Höhe der Kirche im Vergleiche zu ihrer Breite (19‘/25‘) erscheinen die Höhenverhältnisse durch die schlanken Säulchen und Wandfelder wie durch die rasche Aufeinanderfolge der Gewölbstützen höchst angenehm, und der perspectivische Eindruck des Innern giebt ein so reich belebtes harmonischesBild, zeigt eine so klare organische Auflösung des Gewölbebaues, daß eben bei der Kleinheit des Baues der Eindruck von Formenvollendung und Harmonie wirksamer ist, als bei vielen größeren und complicirteren Kirchenanlagen.

 

Das Innere war außer den Apsidenfenstern mäßig durch 6 gleich große Fenster (4 im Langhause und 2 im Querschiffe) erleuchtet, deren ursprüngliche Höhe derjenigen der über den beiden einander gegenüberliegenden Thüren noch jetzt in ihrer ursprünglichen Größe befindlichen Fenster glich. Die übrigen Fenster sind jetzt, um mehr Licht im Innern zu gewinnen, nach unten verlängert. Von den beiden dem Thurme zunächst liegenden ebengenannten Thüren ist die nördliche seit längerer Zeit vermauert, und nur die südliche dient als Eingang. Der Thurm ist auf die innere Höhe der Kirche in zwei ziemlich gleich hohe mit Kreuzgewölben überspannte Geschosse abgetheilt, von denen das untere durch eine weite Oeffnung mit dem Innern der Kirche verbunden und an der Westseite durch eine Thür zugänglich, eine Vorhalle bildete. Zum zweiten Geschosse gelangt man durch eine in der nördlichen deshalb verstärkten Thurmmauer angelegte Treppe, wo man eine Kapelle mit einer in die Ostwand eingeschnittenen Apsis, in welcher noch jetzt der alte steinerne Altartisch steht, vorfindet, welche mit dem Innern der Kirche durch zwei zu beiden Seiten der Apsis angelegte im Rundbogen geschlossene und durch einen Pfeiler mit kleinen Bögen getheilte Doppelfenster communicirt.

 

In der Südwand der Kapelle ist ein Vierblattfenster angebracht, welches den Raum mäßig erhellt.

 

Die beiden oberen von der in den historischen Nachrichten oben angegebenen Restauration verschont gebliebenen Geschosse sind nur durch eine Balkenlage getrennt, das untere durch zwei schlanke Doppelfenster das obere durch eine Gruppe von 3 dem vorigen gleichen Doppelfenstern in der Ost- und Westseite erhellt. Die 3 Fensteröffnungen der Westseite scheinen mit dem ganzen Giebel einem späteren Restaurationsbau anzugehören.

 

 

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Gleiche Fenstergruppen zieren die Giebel des Querschiffes und erhellen den Dachraum über der Kirche.

 

Die erwähnte Restauration des Thurmes, die sich, wie eben gesagt, an den oberen Theilen der Giebel zeigt, giebt der Vermuthung Raum, daß das Mauerwerk vor der Restauration noch höher hinaufgeführt war, woraus die obige Nachricht, daß der Thurm ursprünglich doppelt so hoch als der jetzige gewesen sei, unterstützt werden möchte.

 

Von den drei im Thurme hängenden Glocken sind die beiden untern aus dem 17.Jahrhundert, während die kleinere ohne Inschrift nur mit zwei aus Draht eingelegten einander gegenüberstehenden Kreuzen versehen, ihrer Form nach dem 12. Jahrhunderte angehören möchte. (Siehe Taf. 32. Abbild. 7.)

 

Noch ist für Techniker interessant, daß der Thurm ohne Verband mit der Kirche aufgeführt ist; die Gründung scheint aber so gut angelegt, oder das Setzen so gleichmäßig erfolgt zu sein, daß die Fuge zwischen Thurm und Kirche völlig gleichmäßig und lothrecht geblieben ist.

 

Bezüglich der Dächer wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß auf dem Dachboden an der Ostmauer des Thurmes der Anschluß des früheren nach den historischen Nachrichten mit Blei 1) gedeckten Daches um einige Fuß niederer war, so daß der First des Daches die östliche Fenstergruppe im Thurme unberührt ließ; auch ist der obere Theil des Ostgiebels am Chore mit der quadratischen Oeffnung, wie genau am Mauerwerke zu ersehen, in späterer Zeit aufgeführt.

 

Das Aeußere der Kirche ist zwar durchaus schmucklos, aber wie der alte Chronist auch sagt, durchaus sorgfältig aus wohl bearbeiteten Quadersteinen (wahrscheinlich aus dem nahen Rehburger Berge) in gutem Verbande aufgeführt, und ist so wohl erhalten, daß man kaum glauben möchte eine Kirche des XII. Jahrhunderts zu sehen; nur an der Nordwestseite hat der Thurm (anscheinend durch heftigen Brand anstoßender Gebäude) gelitten.

 

Wie schon aus der fleißigen wohlüberlegten Ausführung, der sicheren Anwendung künstlicher Motive und der wirksamen Anordnung des in seiner absoluten Größe so unbedeutenden Grundrisses der fein gebildete und erfahrene Baumeister sich bekundet, läßt auch das Detail des ganzen Baues ein gleiches Zeugniß reden.

 

Sämmtliche Säulenbasen sind nach dem Motive der attischen Basis gebildet, aber sie zeigen nicht das Starre und gefühllos Copirte, welches sich häufig an Profilen und namentlich den attischen Basen aus der Frühzeit romanischen Styles findet, sondern sind schwunghaft elastisch und mit jener Feinheit und Eleganz profilirt, die der Blüthezeit der romanischen Kunst angehörend, an griechische Profilirung erinnert und das

 

 

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1) Aus den Idenser Kirchenrechnungen bestätigt sich die frühere Deckung der Kirche mit Blei, indem angegeben wird, daß bei dem anno 1670 vorgenommenen Abbruche des Kirchendaches 231 Centner 11 Pfund Blei auf demselben vorgefunden und in Hannover um 445 Thaler verkauft sind.

 

 

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Todte der aus römischer Ueberlieferung angenommenen Profile gänzlich abgestreift hat. Wir haben des beschränkten Raumes wegen nur ein Beispiel davon Tafel 32, Figur 9 und auch dies nur in leider sehr kleinem Maßstabe und von dem Lithographen entstellt geben können. Die Basen der verschiedenen Säulengattungen sind sämmtlich verschieden profilirt; die kleinen trennenden Plättchen zwischen Wulst und Hohlkehle kommen dabei sowohl gerade als auch schräg vor. An keiner Basis findet sich aber ein Eckblatt oder dergleichen (Lübke giebt ein zierliches Eckblatt an, welches indeß nirgend vorhanden ist.) Dagegen ist an einer Basis eines Fenstersäulchens im Thurme die viereckige Plinthe unter der Basis an den 4 Ecken aus dem Viereck zum Achteck abgeschrägt, und somit der Uebergang in einer Weise vermittelt, wie wir ihn häufiger in der Uebergangszeit finden. — Eben so elegant sind auch die Capitäle mit ihren Abaken geformt, welche sämmtlich die Würfelform haben und deren fein gegliederte Profile der Abaken über die zugehörigen Pfeiler weiterlaufend zugleich die Kämpfergesimse der Pfeiler im Schiffe bilden. Die Halbkreisflächen der Würfelcapitäle haben zur feineren Belebung eine Füllung und das Kugelstück derselben auf den Diagonalen einen Grat. Eine andere Ornamentirung der Capitäle kommt nicht vor, wie denn überhaupt Laub- und Rankenornament plastisch an dem ganzen Bau, wir möchten sagen ängstlich vermieden ist. Die einzige Stelle, an der überhaupt ein Ornament vorkommt, ist am Bogen der Nordthür (Blatt 32, Figur 3), der eine zackenförmige, an Normannische Bogenverzierungen erinnernde Decoration hat. Auch das Bogenfeld daselbst hat geometrische Formen zu seiner symbolischen Sprache, indem 3 Sterne den Grund füllen.

 

An dem Figur 2 dargestellten Portale der Südseite ist die aus verdoppelten Bohlen mit Eisenbeschlag versehene alte Thür interessant, insbesondere durch den inneren Schubriegel von circa 6 Zoll starkem Holze, der sich in einem im Mauerwerke angelegten Canale versteckt, und beim Gebrauche bis zum gegenüberliegenden Gewände gezogen wird, wo er zum Auflager eine entsprechende Oeffnung findet, aus welcher gewaltigen Sicherheitsmaßregel sich vermuthen läßt, daß die Kirche der kleinen Gemeinde als Versteck und Festung bei räuberischen oder feindlichen Ueberfällen zugleich außer ihrem eigentlichen Zweck diente.

 

Endlich erwähnen wir noch, daß wir, angeregt durch die betreffenden Worte des alten Chronisten, nicht verfehlt haben nach der inneren Malerei zu forschen, und an den verschiedensten Stellen auch Spuren derselben fanden. Obschon Zeit und Umstände es nicht gestatteten, ganze Gemälde, die sehr wahrscheinlich noch vorhanden sind, bloßzulegen, haben wir doch ein Stückchen Fries in der Abside des nördl. Kreuzflügels unter dem Fenster herlaufend, von der Kalktünche befreit, welches aus roth braunem Grunde, in Blau, Grün, Gelb und Rosa-Farben mit schwarzen Conturen umzogen, gemalt ist, und dessen Conturen wir in Figur 10 dargestellt haben.

 

Schließen wir damit die Beschreibung der Kirche, so wäre noch die sehr wichtige Frage zu erörtern, ob die hier beobachtete Formenbildung im Ganzen wie im Einzelnen mit der Annahme in Einklang zu bringen ist, daß die Kirche aus der Zeit des Siegward herrühre. Wir glauben dies verneinen zu müssen. —- Der aus dem Zehneck gebildete Chorschluß, die schmale Form der Gewölbfelder, die eigenthümliche Form der Gewölbkappen, das Vierblattfenster der Thurmcapelle, die zum Achteck gebildete Plinthe einer Säulenbasis im Thurme, die höchst vollendete schwunghafte oder elegante Profilirung aller Gesimse und manche oben näher berührte Anklänge an Formen rheinischer Kirchen spätromanischen Styls, geben uns Grund, die Erbauung der Kirche nicht früher als um das Ende des 12. Jahrhunderts annehmen zu müssen. —- Jene Urkunde mag ihre völlige Richtigkeit haben, es ist indeß daraus nicht im Geringsten zu erweisen, daß die von Siegward gegen 1130 mit einem Pfarrer dotirte Kirche die noch erhaltene Kirche ist; obwohl keine Nachrichten darüber

 

 

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vorliegen, daß die zu Siegward‘s Zeit bestehende Kirche etwa durch Brand zerstört worden sei, und noch in demselben Jahrhundert eine Erneuerung erfahren habe, obgleich auch der Chronist des 14. und 15. Jahrhunderts von solchen Ereignissen keine Kunde hat, und uns deshalb die noch jetzt bestehende Kirche als die Siegward‘sche beschreibt, ist doch die Möglichkeit ja selbst die Wahrscheinlichkeit solcher oder ähnlicher Umstände sehr glaublich. Die oben angedeuteten Merkmale weisen zu deutlich auf die spätromanische Zeit hin, als daß wir bei der Menge der einzelnen Motive hier ein sehr frühzeitiges Auftauchen dieser theils schon zum Gothischen überleitenden Formen annehmen dürfen. Der Polygonalschluß im Chore (mit dem Anschließen der Apsis an das Querschiff kommt freilich seltsamer Weise schon in sehr früher Zeit (siehe Schnaase Gesch. der bild. Künste IV, 2, Seite 254, 255, 276) im südlichen Frankreich vor, doch kann hier wohl nicht an eine frühzeitige Uebertragung dieser Anordnung in hiesige Gegend gedacht werden, da im Vereine mit den übrigen angegebenen auffälligen Formen sie sich nicht als ein Zeichen früher sondern spätromanischer Zeit deutlich charakterisiert.

 

Lübke giebt in seiner Mittelalterlichen Kunst Westphalens eine Abbildung und Beschreibung unserer Kirche, worin er sie unter: „einschiffige Kreuzanlagen“ Seite 222 näher bespricht, und auf jener Urkunde bauend, sie als einen interessanten Beleg zur Baugeschichte des XII. Jahrhunderts hervorhebt. Er vergleicht die verschiedenen Beispiele der Einschiffigen Kreuzanlagen, und findet hier den durchgebildetsten Organismus. Wenn wir das Letztere nicht in Abrede stellen wollen, glauben wir doch, daß der Vergleich mit den meisten der unter der Gruppe einschiffiger Kreuzanlagen aufgeführten Kirchen in Bezug auf Zeitbestimmung und Entwickelung wenig interessant ist, da dieselben durch Spitzbögen und andere Merkmale sich als der Uebergangszeit noch näher liegende Beispiele charakterisieren. Wir heben aus demselben Werke einige Beispiele mehrschiffiger Kirchen dagegen hervor, mit denen die Idenser Kirche offenbar eine nähere Verwandschaft hat. Dahin gehören die Kirchen zu Verne, Hörste, Opherdicke und Balve, von denen jede Einzelne mit unserer Kirche übereinstimmende auffällige Formen zeigt, als: das Einschneiden der Seitenapsiden in die Mauerdicke, das Zusammenrücken der Gewölbfelder, der geringe Vorstand des Querschiffes, das Anlehnen der Hauptapsis an einen breiten im Grundrisse das Chorquadrat ersetzenden Gurt, der äußere Schluß der Hauptconcha aus dem Zehneck, die Verzierung der Nischen durch Säulchen, bei Balve sogar die Anordnung der Thurmcapelle im 2. Geschosse und manche Aehnlichkeit, soviel wir ohne eigene Anschauung aus Lübkes Texte haben entnehmen können, im Detail.

Am auffälligsten ist die Aehnlichkeit mit den beiden letztgenannten zu Opherdicke und Balve, ja so auffallend, daß man glauben möchte, es müsse sie ein Baumeister erbaut haben. Die beiden Kirchen setzt Lübke um das Ende des XII. Jahrhunderts, welcher Ansicht wir völlig beistimmem und nach allen diesen Voraussetzungen glauben wir auch die Bauzeit der Kirche zu Idensen nicht früher als um den Schluß des XII. Jahrhunderts annehmen zu dürfen.

 

Am Schlusse glauben wir über die auffällige Form des Anschlusses der Hauptconcha an das Querschiff unter Vermittelung eines breiten Gurtes, unsere Ansicht dahin aussprechen zu müssen, daß diese Form bei kleinen Kirchen, wo die Zahl der Geistlichen keinen großen Chorraum beanspruchte, aus öconomischen Rücksichten entstand, auch weder mit dem Altchristlichen zusammenhängt noch als unausgebildete frühzeitige Form angesehen werden darf, auch in verschiedenen theils oben angeführten kleinen westphälischen Kirchen früherer und späterer Zeit sich wiederholt, wie denn überhaupt unsere Kirche ihrer ganzen Bildung nach in keinerlei Weise durch Niedersächsische Kunstformen beeinflußt sein möchte.

 

 

 

Quelle:

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Bd 3 Sp. 133-140, Bl. 31-32

Hannover, Schmorl & Seefeld 1883

 

 

 

 

 

Die Kirche zu Neustadt am Rübenberge

 

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Die Kirche zu Neustadt am Rübenberge.

Mitgetheilt von C. W. Hase in Hannover.

(Mit Zeichnungen auf den Blättern 38, 39 und 40)

 

Geschichtliches.

 

Ueber die in Neustadt am Rübenberge (an der Leine), drei Meilen unterhalb Hannover, belegene Kirche haben wir leider keine historische Nachrichten auffinden können, die über die Gründung derselben Aufschluß gäben. Aus den geschichtlichen Notizen über Mandelsloh‘s Vorzeit von Fiedeler (Zeitschr. des hist. Vereins für Niedersachsen, 1857) entnehmen wir indeß, daß die Kirche von Neustadt a. R. zu dem Mindener Archidiaconate Mandelsloh gehörte, daß im Jahre 1280 die Stiftsherren (canonici) des von Ahlden nach Neustadt verlegten Collegiatsstifts die Neustädter Kirche von den Mandelsloher Synodal-Anrechten befreieten, und der Bischof Volquin (in Minden) die Synodal-Anrechte über Neustadt nunmehr dem Archidiacon zu Ahldeu beilegte.

 

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Aus einem Originaldocumente der Superindentur-Registratur zu Neustadt, uns freundlichst mitgetheilt, entnehmen wir ferner daß Erich (I) Herzog Braunschweig und Lüneburg 1499 am Sonnabend der heiligen Pfingsten dem Bürgermeister und Rath zu Neustadt die Erlaubniß ertheilt, für Wiederherstellung der sehr baufällig gewordenen Kirche, namentlich der Seitenschiffe, und der defecten Kirchen-Utensilien sammeln zu dürfen, auch theilt der Bischof Hinrik von Minden nach genanntem Documente in demselben Jahre dem Rathe daselbst einen Ablaßbrief mit, für milde Gaben und Handreichungen, welche zum Zwecke des Kirchenbaues und der Utensilien dargebracht werden möchten.

 

 

Beschreibung der Kirche.

 

Die auf den Blättern 38, 39 und 40 dargestellte Kirche hat durch die nach obiger geschichtlichen Nachricht in Aussicht gestellte, und, wie aus Betrachtung der restaurirten Formen hervorgeht, wirklich um den Anfang des 16. Jahrhunderts vorgenommene Restauration eine so wesentlich veränderte Gestalt angenommen, daß es schwer fallen dürfte, aus den übrig gebliebenen Resten der alten Kirche sichere Schlüsse auf die ursprüngliche Gestalt derselben ziehen zu können. Bei gedachter Restauration sind nämlich die beiden Seitenschiffe, der fünfseitige Chorschluß, der an der Nordseite querschiffartig

 

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens

 

 

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vortretende Bau, und die Ueberwölbung und Bedachung der ganzen Kirche neu hergestellt. Bei diesem bedeutenden Umbau wurden auch die neuen Seitenschiffe höher als die früheren angelegt und, wie es scheint, in Folge dürftiger Mittel die drei Schiffe unter ein gemeinsames Dach gebracht, wodurch die das Mittelschiff der alten Kirche erhellenden im Innern noch zu bemerkenden rundbogig geschlossenen Fenster nutzlos und deshalb zugemauert wurden. Der durch Erhöhung der Seitenschiffe gestörte innige Zusammenhang derselben mit dem Mittelschiffe zog abermals eine Erhöhung der Arcaden daselbst nach sich, weshalb die alten Bögen herausgenommen, und über den stehenbleibenden Pfeilern neue, die Höhe der Seitenschiffe erreichende Bögen eingesetzt wurden. (Siehe Holzschnitt Fig. 1.) Der für eine bedeutende Höhe berechnete mächtige Unterbau des Thurmes gehört auch nicht mehr der ersten Anlage an, ist aber bedeutend älter als die genannte Restauration. Es ist demnach wenig von der ersten Bauanlage übrig geblieben und diese wenigen Reste bestehen in den Pfeilern und Wänden des Mittelschiffes, mit Ausnahme der darin eingesetzten oben erwähnten Bögen, und in den beiden an den Langseiten der Kirche einander gegenüberliegenden Portalen, die durch ihre Ornamentation die Seitenschiffe freundlich beleben. So gering diese Reste sind, so läßt sich doch aus ihnen das Constructionssystem der Kirche erkennen und ihr Alter mit ziemlicher Sicherheit bestimmen. Wie die Pfeilerbildung zeigt, war auch die alte Kirche gewölbt, und wie der Grundriß deutlich erkennen läßt, trafen auf ein Gewölbefeld des Mittelschiffes deren zwei in den Seitenschiffen. Das Feld des Mittelschiffes ist ein dem Quadrate sich näherndes Rechteck, dessen längere Seite in der Richtung der Längenaxe der Kirche liegt. Die Hauptgurten und Schildbögengurten des Mittelschiffes sind noch erhalten, während Diagonalgurten und Kappen erneuert sind. — Der Hauptgurt, von etwa 4 Fuß Breite, wird durch einen Pfeilervorsprung gleicher Breite getragen. Für die Aufnahme der Diagonalgurten lehnt sich an genannten Pfeilervorsprung eine Dreiviertel-Säule von circa 10 Zoll Durchmesser. Pfeiler und Säule haben eine gleichmäßige Gliederung als Kapitäl, bestehend aus Platte, Hohlkehle und Plättchen, wie solches Blatt 39, Fig. 3 zeigt. Das somit

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gebildete Kapitäl der Säule ist demnach nicht mehr viereckig (romanisch), sondern nimmt schon die runde gothische Gestalt an. Dasselbe Profil zieht sich zu beiden Seiten des Pfeilers um etwa einen Fuß Breite an der Wand hin, und trägt mit seiner Ausladung den Schildbogengurt. Hiernach dürfte wohl mit Sicherheit geschlossen werden, daß das Profil der Diagonalgurten dem der Säulen (wie in der nicht weit von hier entfernten Loccumer Kirche) entsprach. Jedes Schildbogenfeld hat ein im Rundbogen geschlossenes Fenster, während die Hauptgurten im Spitzbogen geschlossen sind.

 

Aus dieser hier geschilderten Gewölb- und Pfeilerbildung dürfte es nicht zweifelhaft bleiben, daß der Bau der Uebergangsperiode angehört. Abweichend in der Form des Kämpfergesimses von der obenbeschriebenen Weise ist das dem Chore zunächst stehende Pfeilerpaar, dessen Profil das einfachste romanische Gesims in Form der unten abgeschrägten Platte zeigt; es möchte darnach zu schließen sein, daß der Bau vom Chore her allmälig fortgeschritten sei, und mit dem Vorrücken der Zeit auch die jüngeren Formen der mit Ungestüm sich eindrängenden neuen Bauweise aufgenommen habe, wie solches in gleicher Weise an der bereits oben erwähnten nahe gelegenen Klosterkirche zu Loccum sich zeigt. Die Fußgliederung sämmtlicher Pfeiler hat die Form der attischen Base, mit sehr gedrücker Kehle, die sich in das untere Plättchen noch ein wenig versenkt, wie solches in der Uebergangsperiode häufig vorkommt. Ein ferneres Merkmal spätromanischer Form zeigt sich an den Ecken der Hauptpfeiler unmittelbar über der Basis. Der oben erwähnte an den Ecken dieser Pfeiler eingeschnittene Rundstab endet etwa 9 Zoll über der Basis in der Weise, daß sich das Profil des Rundstabes nach beiden Seiten als todtes Profil zeigt. Unter diesem Schlusse ist dann ein Ornament flach in den Stein eingegraben, welches den Raum zwischen Rundstab und Basis ausfüllt, wie vielfache Beispiele der ornamentenlustigen romanischen Spätzeit in ähnlicher Weise zeigen. (Siehe Holzschnitt Fig. 1.)

 

Der starke Kalküberzug des Pfeilers hinderte uns leider am genaueren Erkennen und bestimmteren Darstellen ebengenannten Ornamentes.

 

Bei der mehrfach erwähnten Erhöhung der Arcaden sind die Anfänger der neuen Bögen bedeutend höher gelegt; unterhalb derselben sieht man an den Kanten noch den den früheren Bogen einfassenden Rundstab (Holzschnitt Fig. 1.) gegen die vertikal gemeißelten Kanten verlaufen. Ob die alten Arcaden im Rund- oder Spitzbogen geschlossen waren, ist aber daraus nicht zu erkennen; doch dürfte man mit einiger Sicherheit den Spitzbogen annehmen.

 

Die kleinen Arcadenpfeiler sind sämmtlich verschiedenartig ausgeführt. Das erste dem Thurme zunächst stehende Paar ist von viereckiger Hauptgestalt mit ungleichen roh profilirten Gesimsplatten. Das zweite Paar ist achteckig. Der nördliche

 

 

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Fig. 1

 

 

 

 

Fig. 2

 

 

Pfeiler zeigt westlich eine einfache Uebergangsforrn aus dem Achteck des Pfeilers zum Viereck des Abacus; östlich ist der Uebergang durch einen kugelförmigen Auswuchs belebt (Holzschnitt Fig. 2.).

 

Den südlichen Pfeiler, dessen Kapitäl an den 4 Ecken durch die kaum erkennbaren Evangelistenzeichen, an den 4 Fronten durch die Darstellungen eines Stiers, eines Drachen, eines menschlichen Kopfes und eines rosettenförmigen Ornamentes in roher Weise ausgezeichnet ist, haben wir Blatt 40, Fig. 3, 4, 5, 6 abgebildet Mit größerer Geschicklichkeit ist die in weichem Sandstein ausgeführte und deshalb leider schon stark verwitterte Ornamentation der beiden einander gegenüberliegenden Portale (siehe Blatt 39 und 40) ausgeführt. Die Kapitäle des Inneren, bereits die gotische runde Form, und ihre naturalistische Decorationsweise kündet ebenfalls schon den

 

 

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Eingang des Gothischen an. Ob die Portale bei dem um 1500 stattgefundenen Umbau an ihrer ursprünglichen Stelle stehen geblieben, oder von derselben versetzt sind, läßt sich nicht angeben. — Nach der Constructionsweise und allen dem alten Bau zugehörigen Details glauben wir dessen Bauzeit etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts annehmen zu dürfen. — So viel über den alten Bau, wobei wir schließlich noch hervorheben, daß derselbe ein Quaderbau war, was insofern nicht ohne Interesse sein dürfte, als etwa eine Stunde nördlich von Neustadt (in der Richtung nach Verden zu) etwa gleichzeitig im Kloster Mariensee eine Kirche in Ziegeln erbaut wurde, abermals ein Stündchen weiter von dortaus nach Verden in Mandelsloh schon im 12. Jahrhundert eine Pfeilerbasilike in Ziegeln aufgeführt war. Es bildet hier also Neustadt im 13. Jahrhundert die Grenze, über welche hinaus in Niedersachsen der von Norden und Osten eingekehrte Backsteinbau nicht gedrungen ist. Trotz der Nähe sandsteinreichen Gebirge sehen wir indeß um‘s Jahr 1500 die Restauration der Kirche in Neustadt ganz und gar in Ziegeln hergestellt, aus welchem Umstande zu schließen ist, daß im Verlaufe der Jahrhunderte

 

 

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die Backsteintechnik so weit fortgeschritten war, daß sie durch ihr billiges Material den reichsten Sandsteingebirgen trotz aller Nähe die Concurrenz abschnitt.

 

Die Ausführung des Backsteinumbaues ist ärmlich. Im Aeußeren ist zum Sockel und in den unteren Theilen der Wände so viel Sandstein verwandt, als sich aus dem alten Bau noch als brauchbar wieder verwenden ließ. Die Simsungen der Strebepfeiler und die Sohlbänke der Fenster sind gleichfalls in Sandstein hergestellt, die Fenstergewände dagegen zeigen zierliche Backsteinprofile.

 

Die aus Ziegeln hergestellten Gewölbe des Innern haben birnenförmig profilirte Gurten von der Breite eines halben Steines und Haupt- und Diagonalgurten sind von gleicher Stärke. Die Schlußsteine daselbst sind abgestumpfte Kegel, deren Unterseite meist glatt gelassen ist; nur fünf Schlußsteine des südlichen Seitenschiffes scheinen in Thon gebrannt zu sein, und zeigen in zierlichem Relief an ihrer Unterseite vier Apostelbrustbilder und eins einen predigenden Mönch darstellend. — Fig. 4 Blatt 39 zeigt das gothische Sockelprofil des Aeußeren von 1500.

 

 

 

Quelle:

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Bd 3 Sp. 157-162, Bl. 36-38

Hannover, Schmorl & Seefeld 1883

 

 

Die Stiftskirche zu Wunstorf.

Mitgetheilt von C. W. Hase in Hannover.

(Mit Abbildungen auf den Blättern 41, 42, 43 und 44)

 

 

Geschichtliches.

 

(Nachrichten finden sich in Brasen‘s Geschichte des freien weltlichen Stifts Wunstorf, Hannover 1815 und im Calenberger Urkundenbuch, Archiv des Stifts Wunstorf.)

 

Das Stift Wunstorf *) liegt mit seiner schönen hier näher zu beschreibenden Kirche am östlichen Ende des Städtchens Wunstorf, 3 Meilen westwärts von Hannover zwischen zwei Armen des unweit darunter sich in die Leine ergießenden Aue-Flüßchens. Die Gründung des Stiftes geht in sehr frühe Zeit hinauf. Nach einer Urkunde, welche abschriftlich im Königlichen Archive zu Hannover aufbewahrt wird (Calenberger Urkundenbuch, Archiv des Stifts Wunstorf), nimmt König Ludwig in Ostfranken das von dem Bischofe Diedrich zu Minden gestiftete und der Mindener Kirche unterworfene Nonnenkloster Wunstorf in seinen Schutz. Frankfurt, den 14. October 871.

 

Auch Lerbeck giebt den Bischof Theodericus oder Thidericus (Diederich) dritten Bischof von Minden als Gründer des Wunstorfschen Stiftes an, erwähnt auch, dass er das zu Ehren der heiligen Märtyrer Cosmas und Damianus errichtete monasterium canonicorum secularium mit verschiedenen Reliquien, welche er mit seinem Bruder Erpon aus Italien auf einem Maulesel herbeibrachte, ausgestattet habe.

 

Das Stift, welches nach der Regel des Crodogangus nur Weltgeistliche bekam, hatte 12 adelige Canonissinnen, und 12 adelige Canonici. Während für die Aufnahme einer Canonissinn, bis auf die neueste Zeit, ein Adel von sechszehn Ahnen erforderlich ist, machte man mit den Canonicis bald Ausnahmen.

 

Die Aebtissin mußte fürstlicher oder wenigstens gräflicher Abstammung sein. Von den unter ihr Bediensteten werden

 

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*) Den Namen Wunstorf leitet Brasen von Wun = Holz ab, also Holzdorf, und findet den Namen sehr natürlich, da die ganze dortige Niederung bewaldet gewesen sei. Die Angabe älterer Schriftsteller, welche das Wort von ,,Wonne“ ableiten, also: Wonnedorf, verwirft er wie es scheint mit Grund. Hermann v. Lerbeck (um 1400) sagt darüber: apud Wunstorpe que olim Wunnendorpe id est villa amoenitatis nuncupata etc.; der Name: Wunnendorpe kommt indeß in keiner Urkunde vor, vielmehr ist in der ältesten vom Jahre 871 der Name Uuonheresthorp, in allen späteren Wunestorp oder Wnstorpe gebraucht.

 

Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens.

 

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namentlich aufgeführt: eine Dechantin, Vicedechantin, Küsterin, Kellnerin und eine Sangmeisterin, letztere um die Canonissinnen im Singen zu üben.

 

Von der Stiftskirche melden die Nachrichten erst im Jahre 1284, in welchem Bischof Conrad von Osnabrück die Kirche einweihet, und laut Urkunde Allen, die zur Structur der Stiftskirche beitragen, und zu gewissen Tagen die Kirche besuchen, einen Ablaß von 40 Tagen bewilligt. Wie der Augenschein indeß lehrt, ist die Kirche viel älter, und die Einweihung erfolgte wohl in Folge eines bedeutenden Ausbaues. Brasen nimmt an, daß die Stiftskirche zuvor nicht existirt habe, giebt auch an, daß zuvor sich das Stift der Bartholomäuskirche (die jetzige Stadtkirche hat diesen Namen), die damals eine Capelle genannt wurde, und deren Fundation Pabst Eugen III. (1145-1153) bestätigte, bedient habe. Dies wird nur zur Zeit des Reparaturbaues der Stiftskirche gewesen sein, da letztere unzweifelhaft schon im 12. Jahrhundert existirt haben muß.

 

Für die Canonissinnen war in der Stiftskirche ein Chor erbauet, der sich auf einem den ganzen nördlichen Kreuzflügel füllenden kryptenartigen Unterbau erhob. Dieser Chor, ein freier Raum mit einer Brustwehr nach der Vierung zu, war laut einer auf einem Steine im Boden dieses Chors befindlichen Inschrift im Jahre 1346 erbaut. Die Inschrift lautet: Anno Domini MCCCXLVI in die Benedicti Abatis positus est primus lapis hujus novi operis tempore Alheidis Abbatissae. Im Jahre 1358 ließ die Aebtissin Jutte einen Gang aus ihrem Hause durch das steinerne Schlafhaus (letzteres wahrscheinlich für Fremde zum Logiren eingerichtet) an die Stiftskirche anstoßend, erbauen, aus welchem sie dann vermittelst einer Thür gleich auf das Canonissinnen-Chor treten konnte. Im Jahre 1472 ward dieser Gang nochmals restaurirt. Oben genanntes Schlafhaus ward 1706 abgebrochen. 1625 hatte das Stift sehr durch Tillys rohe Horden zu leiden. 1542 ward zum ersten Male die Kirchenreformation eingeführt; 1545 indeß ward der Ritus wieder katholisch, und 1553 ging das

Stift zum zweiten Male zum lutherischen Glaubensbekenntnisse über, blieb auch von der Zeit an lutherisch. Die letzte Aebtisssin

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war in dieser Zeit des Uebergangs zum Lutherthum Colonna, eine Italienerin, die kurze Zeit darnach im Kloster zu Gandersheim starb, wohin sie viele Kostbarkeiten des Stifts mitgenommen, die später nicht wieder zurückgegeben sind. Von dieser Zeit an ist eine Dechantin die Oberste dieses Stiftes.

 

Um diese Zeit regierte Herzog Erich, der sich als Abt des Stiftes betrachtete, und die Güter der Abtei mit seinen Cammergütern verband, in welchem Zustande es bei allen folgenden Herzögen von Braunschweig und Lüneburg geblieben ist.

 

Im Jahre 1687 wurde eine bedeutende Reparatur am Stiftskirchendache vorgenommen, und in demselben Jahre schlug der Blitz in den Thurm und beschädigte den Glockenstuhl und vieles Gebälk. Der Herzog Ernst August schenkte 250 T (Bild des Zeichens einfügen) zu dessen Reparatur.

 

Ueber die Kirche liegen bis auf die neueste Zeit keine weitere Nachrichten vor. In den letzten Jahren hat eine bedeutende Restauration der Kirche Statt gefunden, wobei die Mauern gegen ferneres durch den Schub der Gewölbe veranlaßtes Ausweichen, durch Anker gesichert sind, eine Menge Außen- und Innentheile, welche im Laufe der Jahrhunderte verfallen oder gänzlich verschwunden waren, sorgfältig erneuert und Altar, Kanzel, Orgel und Gestühl in entsprechenden theils sehr reichen Formen vollständig neu ausgeführt sind. Diese Restauration ist durch den Landbau-Inspector Wellenkamp ausgeführt, und dürfte dadurch das Gebäude auf lange Zeiten einem ferneren Verfalle entzogen sein.

 

Beschreibung der Kirche.

 

Wie aus den auf den Blättern 41, 42, 43 und 44 mitgetheilten Zeichnungen ersichtlich ist, vereinigt die Kirche mit dem Gewölbebau den für die niedersächsischen Basiliken eigenthümlichen Wechsel von Pfeiler und Säulen in den Arcaden. Zu den niedersächsischen Eigenthümlichkeiten dürfte auch die Empore am Westende gerechnet werden, wie auch ferner die hier freilich nur einseitige Verlängerung des Seitenschiffes über das Querschiff hinaus.

 

Der Grundriß Blatt 41 zeigt durch den Unterschied der Farbe altes Mauerwerk und Restaurationsformen, wobei wir hinzufügen, daß die beiden nördlichen Absiden mit der Capelle vor einigen Jahren neu hergestellt sind, daß sich indeß so viele Anhaltepunkte boten, um die unzweifelhaft richtige ursprüngliche Form daraus herzustellen. Das alte Mauerwerk dieser Theile war durch Risse und Senkungen so zerstört, daß an eine Wiederherstellung der Form ohne völliges Abtragen nicht zu denken war. Die obere Hälfte der nördlichen Mauer des Querschiffes wie das ganze nördliche Seitenschiff gehören einer Restauration des späten Mittelalters (15. Jahrhundert?) an. Das südliche Seitenschiff, welches ebenfalls im späten Mittelalter wesentliche Restaurationen erlebt hatte, ist bei dem jüngsten Reparaturbau fast gänzlich erneuert, bei welcher Gelegenheit

 

 

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das Portal desselben um eine Jochweite nach Westen zu gerückt ist. Das durch seine edle Ornamentik sich auszeichnende zweigetheilte Tympanon des letzteren (Fig. 6 Blatt 43) ist mit den Säulen der Türgewandung an das früher sehr einfache Thurmportal versetzt, so daß dem jetzt an der Südseite befindlichen Portale von dem alten Nichts übrig geblieben ist. Auch der an der Südseite aufgeführte Strebebogen nebst Pfeiler ist nach Anleitung eines an derselben Stelle im späteren Mittelalter aufgeführten, in neuerer Zeit sehr baufällig gewordenen ähnlichen Bogens und Pfeilers vollständig neu hergestellt.

 

Das Hauptinteresse bietet die Kirche durch die Gewölbeanlage. Die altsächsische Arcadenbildung mit Wechsel von Pfeiler und Säulen möchte fast vermuthen lassen, daß die Wölbung der alten Basilika später gewaltsam aufgedrungen sei. Die Sandsteinschichten der Gewölbepfeiler greifen auch nur unregelmäßig in den Verband der Arcadenpfeiler und Wände ein, und könnte dieser Umstand in jener Vermuthung bestärken. Bei dem Sockel der combinirten Arcaden- und Gewölbepfeiler zeigt sich indeß deutlich, daß die Vorlagen für letztere gleichzeitig mit ersteren entstanden sind, da überall das wiederkehrende Profil der Basis unter beiden Pfeilern aus einem Stück gearbeitet ist, wodurch die ursprüngliche Absicht der Wölbung deutlich erwiesen wird. Ueberdies zeigt die Ornamentik der Arcadensäulen, der Gewölbpfeiler mit den reich verzierten Capitälen ihrer Ecksäulchen, der Friese und Halbsäulen, welche das Aeußere der Absiden zieren, daß das ganze Bauwerk gleichzeitig entstanden ist.

 

Bezüglich der Gewölbe theilen wir mit, daß nur die Gewölbe der Vierung und des südlichen Kreuzflügels, beide aus Bruchsteinen (siehe den Längendurchschnitt Blatt 41) noch die ursprünglichen sind, während alle übrigen (aus Backsteinen ausgeführten) späteren Zeiten angehören. Wie die für die Gewölbe angelegten Pfeilervorlagen zeigen, sind nur Haupt- und Schildbögengurten vorhanden, und das Kreuzgewölbe steigt ohne Diagonalgurten aus dem Winkel der beiden genannten Vorlagen empor. In dieser Weise sind auch die beiden oben erwähnten noch vorhandenen alten Gewölbe ausgeführt. Die ursprüngliche Ueberwölbung der Seitenschiffe zeigt sich im südlichen Seitenschiffe in klarster Weise (siehe den Grundriß und Durchschnitt Fig. 5 und 6, Blatt 41). Die jüngste Erneuerung derselben hat getreulich die alte Construction nachgebildet, über deren Anlage kein Zweifel obwalten konnte, da Kämpfer und Gurten noch vorhanden waren.

 

Aehnliche Beispiele der Vereinigung der Wölbung mit der im Wechsel von Pfeiler und Säulen in den Arcaden befolgten altsächsischen Anordnung kommen in Niedersachsen mehrfach vor, und zeigen, daß man sich hier bei Einführung der Gewölbe ungern von dieser reizvollen Anordnung trennte.

 

Eigenthümlich ist die Anlage der westlichen Emporen nebst der Thurmbildung.

 

 

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Der Unterbau der Emporen ist alt, wie die Kämpfergesimse der Pfeiler (aus Platte und einer steilen sehr flachen Kehle gebildet) deutlich zeigen.

 

Ueber diesem Unterbau sehen wir (siehe den Längendurchschnitt Blatt 41) den Raum der Empore durch eine Mauer, welche jetzt die östliche Thurmmauer bildet, in zwei Theile getheilt, aus dessen östlicher Hälfte nach Norden und Süden große noch vorhandene (jetzt vermauerte) Oeffnungen die Empore mit Räumen über dem Seitenschiffe verbanden.

 

Der Bogen dieser Oeffnung zeigt sich jetzt über dem Seitenschiffdache, und das jetzt darüber in der Reihe der Mittelschifffenster angebrachte Fenster fehlte früher; auch hatte das Mauerwerk daselbst (jetzt erneuert) früher den Anschein, als ob die Außenfläche durch Brand zerstört sei. Aus diesen Umständen schließen wir, daß an dieser Stelle ein schmales Querschiff angelegt war, etwa in gleicher oder ähnlicher Weise wie bei der Moritzberger Kirche zu Hildesheim (siehe die Abbildungen Blatt 25).

 

Die Mauer (jetzige östliche Thurmmauer) war aber früher nicht vorhanden. Das Mauerwerk ist dem Anscheine nach ziemlich neu (17. Jahrhundert?) und es dehnte sich also die Empore über dem ganzen Raume aus, der zwischen den sich fortsetzenden Mittelschiffwänden, der gewaltig starken westlichen Grenzmauer und der östlichen Brüstung der Empore lag.

 

Dieser ganze Raum war durch ein großes Kreuzgewölbe überspannt, in gleicher Kämpferhöhe mit denen des Mittelschiffes liegend, dessen Schildbögen sich noch deutlich an den Nord- und Südwänden zeigen.

 

Diese Umstände bilden die Beweisgründe, daß die Form des sehr alterthümlich scheinenden Thurmes modern ist. Andere Beweisgründe dafür finden wir am Thurme selbst, indem an der Ostseite desselben in halber Dachhöhe durch Backsteine die Jahreszahl MDCL eingemauert ist. Auch die Nord- und Südseiten des Thurmes sind neu, und nur die Westseite ist alt. Aber auch die Fortsetzung der Mittelschiffwände im Thurme und ebenso das südöstlich und nordwestlich sich über das Seitenschiff erstreckenden kurzen und dicken Mauerstücke sind alt, und dürfen wir hieraus nicht zweifeln, daß südlich und nördlich in der Breite des jetzigen Thurmes den Achsen der Seitenschiffe entsprechend sich zwei Thürme erhoben, die in einer Restauration MDCL (1650) größentheiIs abgetragen sind, wornach die jetzige seltsame Thurmform entstanden ist.

 

Leider haben Nachgrabungen zur Entdeckung der alten Fundamente an diesen Stellen nicht Statt gefunden, wodurch unsere Ansicht allerdings wesentlich würde unterstützt worden sein; doch dürfen wir aus den angegebenen Gründen die Richtigkeit unserer Vermuthung kaum bezweifeln.

 

 

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Aus den Profilen, den in reichlicher Anzahl hier mitgetheilten Ornamenten und der sehr einfachen Gewölbbildung zu urtheilen, glauben wir nicht falsch zu greifen, wenn wir die Erbauungszeit der Kirche um das Jahr 1150 setzen.

 

Schließlich fügen wir hinzu, daß die lange Gestalt der Chorfenster modern ist, und in Beziehung auf unsere durch Ueberschriften nicht erklärten Zeichnungen theilen wir mit, daß Blatt 41 Fig. 7 das Profil eines Kämpfers am Eckpfeiler im nördlichen Querschiffe darstellt. In Fig. 8 desselben Blattes zeigt sich die Abbildung eines häufig wiederkehrenden Gesimsprofiles. Auf Blatt 44 sind zwei der großen Säulencapitäle aus den Arcaden des Mittelschiffes abgebildet. Bei der Abbildung der Basis daselbst hat sich bei der Lithographie leider ein Anlauf vom Sockel zum Säulenstamme eingeschlichen, der selbstverständlich fehlt. Die übrigen kleineren und größeren Capitäle gehören theils den an der großen Apsis außen befindlichen Säulen, theils inneren den Gewölbpfeilern eingeschnittenen Ecksäulchen an. Die einzelnen Friesstücke aus Blatt 42, 43 und 44 gehören dem Aeußern der großen Apsis an, woselbst sie in fortlaufender Reihe (siehe die Choransicht Blatt 43) an der schrägen Fläche der Gurtung zwischen den Säulen in seltsamen Gemisch vermauert sind, so daß dies Band einer Musterkarte verschiedener Friesformen gleicht. Die Wölbung der Apsis ist aus dem späten Mittelalter. Die Gewölbdienste daselbst mit gothischen Capitälen setzen sich auf romanische (ursprüngliche) Basen, die weit größer sind als ihr eigener Durchmesser. Diese Basen zeigen, daß ursprünglich daselbst Arcaden stattfanden, die in ähnlicher Weise wie in Idensen (siehe Blatt 31 und 32) die innere Rundung belebten.

 

Wir wollen nicht versäumen hier noch eines Tympanons zu erwähnen, das früher an der Nordseite der Kirche bei irgend einer Restauration eingemauert war. Dasselbe gehörte wegen seiner kleinen Form einer sehr zierlichen Thür an. Gegenwärtig ist es im Innern verwandt über der aus der nördlichen Capelle auf den Chor führenden Thür. Es ist zweigetheilt; auf jeder Seite steht eine Taube, die Köpfe nach oben gerichtet, beide gegen die Mitte hinschreitend. Wie es scheint, ist eine männliche und eine weibliche Taube dargestellt, indem sich beide dadurch unterscheiden, daß die eine (rechts für den Beschauer) einen Hollen (aufrecht stehende Federn) auf dem Kopfe hat. Auf dem Rande steht die Inschrift: PAX hVIC DOMVI ET OMNIBUS. Das Bild und die Inschrift scheinen auf wünschenswerthes friedliches Beisammensein der männlichen und weiblichen Stiftseingesessenen hinzudeuten.

 

Das Mauerwerk der Kirche ist innen und außen quaderartiges Sandbruchstein-Mauerwerk.

 

 

 

Quelle: Uebersicht der mittelalterlichen Baudenkmäler Niedersachsens. Bd. 3 Sp. 165-170. Bl. 41-44. Hannover, Schmorl & Seefeld 1883