Carl Schnaase: Romanische Schulen im südlichen und westlichen Frankreich

St. Front in Perigueux

Viertes Kapitel.

Romanische Schulen im südlichen und westlichen Frankreich.

Auch für Frankreich war die Zeit des Aufschwunges noch nicht gekommen. Während Deutschland unter der klugen Leitung der sächsischen Fürsten sich zu einem einigen, geordneten Reiche gestaltete, zerfiel der westliche Theil des karolingischen Reiches in eine Menge kleiner Lehnsterritorien, in denen die Mächtigeren ohne Scheu vor einer höheren Gewalt die kleineren Besitzer unterdrückten und sich zu Beherrschern aufwarfen. Die Schwäche der Nachkommen Karls des Grossen, denen die Zügel der Regierung mehr und mehr entfielen, war die nächste, aber nicht die alleinige, nicht die letzte Ursache dieses Verfalls, sie war vielmehr selbst schon die Wirkung eines tieferen Grundes, der durch die Mischung verschiedenartiger Elemente entstandenen inneren Zerspaltung der Nation. Auch in Deutschland war ein Conflict des Germanischen und Romanischen, die romanische Bildung hatte mit dem Widerstreben des Volkes zu kämpfen; aber der Kampf war doch nur ein geistiger. In Frankreich standen diese streitenden Kräfte verkörpert neben einander; germanisches Gefühl

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widerstrebte nicht bloss lateinischer Lehre, sondern es hatte wirkliche Romanen, römische Sitte und südliche Natur vor sich. Die Mischung beider Elemente war eine physische, und das romanische, in Karls des Grossen Zeit, ich möchte sagen in der Ueberraschung des ersten Angriffs zurückgedrängt, machte sich jetzt immer mehr geltend. Die äussere Erscheinung dieses Kampfes war die Sprache; in ihr begann der Gährungsprozess. Unter den Merowingern und noch unter Karl bestanden beide Sprachen nebeneinander, und die deutsche war die der Sieger, des Hofes, des Adels. Bald verlor sich dies *), beide Sprachen mischten sich, eine dritte, neue, entstand allmälig. Die römische Sprache, die in der Zahl der Bevölkerung vorherrschte und den Vorzug vollkommener Ausbildung hatte, überwog; aber sie erfuhr doch auch einen erheblichen Einfluss des germanischen Elementes. Wenn die Stammsilben der Wörter, meist aus der lateinischen Sprache, als ihrer Mutter, herstammen, so zeigen die Biegungsformen und die Satzbildung den Einfluss des germanischen Geistes. Es war ein complicirter, langwieriger Bildungsprozess, durch den diese Verschmelzung bewerkstelligt wurde, und der keinesweges in allen Theilen Frankreichs gleiche Resultate herbeiführte. Im Süden, in der alten römischen Provinz waren die Deutschen vereinzelt und in Berührung mit einer gewandten, römischen Bevölkerung. Im Norden hatten sie dichtere Wohnsitze, stärkeren Zufluss von jenseits des Rheines; auch war hier die römische Cultur selbst nicht so tief eingedrungen. Im Westen hatte sich die keltische

*) Schon unter Karl dem Kahlen konnte man das Deutsche, das als die Sprache der Grossen noch wichtig war, nicht mehr im Lande lernen. Der Abt von Ferrières dankt (853) dem von Prüm, dass er ihm zugesendete Knaben in der deutschen Sprache unterrichtet; cujus usus, fügt er hinzu, hoc tempore pernecessarium nemo nisi tardus ignorat. (Schlosser, Weltgesch. M. A. Bd. 2, Abth. 1, S. 474.) 16*

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Sprache noch völlig erhalten, bis auf den heutigen Tag lebt sie noch in der Bretagne; die östlichen Gegenden hatten, sei es schon durch den Ursprung der ersten Bewohner, sei es durch die Verpflanzung germanischer Stämme in das verödete Land, die schon unter den späteren römischen Kaisern stattfand, eine deutsche Färbung. Später brachten die Normannen, die sich im Norden niederliessen, ein dem germanischen Geiste verwandtes Element hinzu, das demselben ein Uebergewicht verschaffte. Dazu kam die geographische Lage Galliens. Es war nicht, wie Deutschland, ein Binnenland, sondern auf drei Seiten vom Meere umspült, auf jeder mit anderen Völkern in Berührung, im Süden mit den Bewohnern des Mittelmeeres, mit Italienern und Byzantinern, im Westen mit Spaniern und Arabern, im Norden und Nordwesten mit den Bewohnern Brittaniens und mit den rüstigen scandinavischen Stämmen. Während aber diese äusseren Einflüsse auf die offenen Gegenden wirkten, blieben gebirgige, schwer zugängliche Provinzen wie die Auvergne, Velai und Bourbon, davon unberührt. Rechnet man hinzu, dass bereits bei der Einwanderung der deutschen Stämme locale Verschiedenheiten bestanden, so ist begreiflich, dass diese kaum zu übersehende Mannigfaltigkeit von Provinzialeigenthümlichkeiten in rechtlichen Verhältnissen, wie in der Sprache und Sitte, die Regierung unendlich erschweren, die Kraft der karolingischen Fürsten brechen musste, und wiederum durch den Verfall der Centralgewalt eine grössere Stärke erhielt. Es ist merkwürdig, dass gerade die Nation, welche bestimmt war, das Bestreben nach nationaler Einheit am kräftigsten auszubilden, mit einer atomistischen Zersplitterung begann, während Deutschland, dessen Stammessonderung sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, in jener Frühzeit in sich einig erschien. Bei uns ist die Einheit geblieben, wie

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sie durch die Natur gegeben war, ein Gesammtbegriff, der die Besonderheit der einzelnen Stämme nicht ausschliesst, und der sich daher am wirksamsten zeigte, so lange diese noch weniger ausgebildet waren. Dort ist sie das Resultat eines Bedürfnisses, das nur allmälig zum Bewusstsein und zur Befriedigung gelangte, dadurch aber auch viel tiefere Wurzeln schlug. Es entstanden daher zunächst einzelne getrennte Provinzen, die aber doch, weil verwandten Ursprungs, einander entgegen reiften und allmälig, erst im engeren, dann im weiteren Umkreise zusammenwuchsen. Denn freilich lag eine gemeinsame Nationalität zum Grunde, die keltisch-gallische, welche zwar durch fremde Völkerschichten überdeckt und zurückgedrängt, aber dennoch nicht erstorben war, und aus der unzerstörbaren Kraft des Bodens allmälig wieder sich aufrichtete. Wir kennen die ursprünglichen Eigenschaften dieses weitverbreiteten, mannigfache Völker umfassenden Stammes freilich nur aus einzelnen Andeutungen der römischen Schriftsteller; allein diese reichen hin, um sie in dem späteren Volkscharakter der Franzosen wiederzufinden. Es war ein für Bildung nicht unempfängliches Volk, leicht erregbar, zu Neuerungen geneigt, aber doch kalten verständigen Blickes. Religion verband sich mit Staatsklugheit ein mächtiger, prunkliebender Adel beherrschte, in inniger Verbindung mit den Druiden, das niedere Volk. Dieser volksthümlichen Grundlage mögen wir es zuschreiben, wenn in Ländern keltischen Ursprungs die Aristokratie immer wieder eine viel grössere Bedeutung erhielt, als in Deutschland. Schon im Anfange dieser Epoche können wir, ungeachtet der Zerklüftung des Landes, zwei grosse Massen unterscheiden, Süd- und Nordfrankreich, langue d‘oc und langue d‘oyl, Provenzalen und Franzosen. Diese Verschiedenheit gründete sich auf uralte Verhältnisse. An

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den südlichen Küsten hatten griechische Pflanzstädte schon vor der römischen Eroberung Civilisation verbreitet, und nach derselben dem strengeren römischen Geiste eine weichere auf feineren Lebensgenuss gerichtete Färbung gegeben. Auch die Völkerwanderung zerstörte die Blüthe dieser Gegend nicht völlig, die grösseren Städte wussten ihre Gewerbthätigkeit und ihre Selbständigkeit zu bewahren, mannigfache Ueberreste römischer Grösse erregten den Sinn für Pracht und Luxus, und die fortwährende Anerkennung des römischen Rechts beförderte Ordnung und Gesetzlichkeit.

Nîmes Maison Carrée

Pont du Gard

Die ersten germanischen Eroberer des Landes ,die Westgothen, wurden von dieser einheimischen Civilisation überwältigt, cultivirt und verweichlicht; die fränkische Herrschaft fasste nur schwache Wurzeln; die Normannen drangen nicht bis hieher, und mit den Arabern waren, nachdem ihr erster Einfall glücklich zurückgeschlagen, nur auf den Gränzen Kämpfe zu bestehen. Das Christenthum hatte unter der gebildeten und empfänglichen Bevölkerung dieser Gegend Eingang gefunden, frommen Regungen waren die Gemüther höchst zugänglich, die strengere Haltung, welche nach dem Jahre 1000 aufkam, machte sich auch hier am stärksten geltend. Aber der Gegensatz zwischen Geistlichkeit und Laien war hier weniger fühlbar, weil die gemeinsame Sprache sie verband und die Verschiedenheit des Lateinischen von dem einheimischen Dialekte zu gering war, um nicht Verschmelzungen herbeizuführen. *). Die Laienwelt war daher minder ungebildet, die Geistlichkeit weniger gelehrt, mehr genöthigt und mehr geneigt, auf die Wünsche und Gebräuche des

*) Schon aus der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts besitzen wir geistliche Formeln und Gesänge theils ganz in provenzalischer Sprache, theils wechselnd lateinisch und romanisch. Vgl. Fauriel, Histoire de la poésie provençale. Paris 1846.

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Volkes einzugehen. Noch aus römischer Zeit her war das Volk an poetische Anregungen gewöhnt; die Kirche liess sich auch hierauf ein, dramatisirte ihre Feste, trug heilige Geschichten in bänkelsängerartigen Reimen vor, durchwebte sie sogar mit landschaftlichen Schilderungen, in denen schon jetzt Philomele, die in den späteren ritterlichen Gedichten so unentbehrliche Nachtigall, ihre Stelle fand. Unter der Geistlichkeit entstand daher eine Form der Bildung, in der sich weltliche Elemente, zum Theil in antiker Färbung, mit christlichen mischten. Auch der kriegerische Adel konnte dem Einflusse städtischer Sitte und einer milderen Sinnesweise nicht widerstehen. Er gab den Ermahnungen der Kirche zuerst Raum; indem er den Gottesfrieden annahm und als ritterliches Gesetz anerkannte; er benutzte aber auch diese Tage der Ruhe zu friedlichen Festen, und bald erschallten die Burgen nicht bloss vom Getöse der Waffen, sondern von den Tönen heiterer Geselligkeit. Die Poesie der Minne hatte hier ihre früheste Blüthe, und die Lieder der Troubadours machten die Gemüther für zarte Regungen empfänglich. Politische Bedeutung erlangte das Land zwar nicht, die Versuche der burgundischen Fürsten scheiterten, aber es erfreute sich des Friedens und der Wohlfahrt lange vor den anderen Völkern des Abendlandes. Die Nordfranzosen dieser Zeit roher und kriegerischer, rühmen an den Provenzalen ihre Klugheit und Emsigkeit, aber sie verschmähen ihre reiche Tracht und die Weichlichkeit ihrer Sitte, und verspotten ihre, ihnen unmännlich scheinende Vorsicht *).

*) Vgl. die oft angeführten Stellen des Glaber Radolf (bei du Chesne IV, 38 und das Radolf Cadomensis (Muratori Scr. Rer. Ital. V) bei Wachsmuth Sittengeschichte II, 458. Sie scheiden sich, sagt der Chronist, wie Hühner und Enten; es war sprüchwörtlich: Franci ad bella, Provinciales ad victualia.

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Diese Schilderung traf nun zwar zunächst nur die Bewohner der südlichen Küstenländer; aber auch die mittleren Provinzen unterschieden sich noch wesentlich von den Nordfranzosen. Während diese durch die Kriege mit den einheimischen keltischen Stämmen oder den räuberisch einfallenden Normannen und durch die Thronstreitigkeiten der karolingischen Fürsten verwilderten, während bei ihnen nur der kriegerische Muth Geltung hatte und germanischer und nordländischer Geist die Oberhand gewann, waren die inneren Gegenden und die westlichen Küsten durch Berge oder ihre Abgelegenheit geschützt, und bewahrten in stiller Abgeschlossenheit ihre heimischen Traditionen. Diese Mannigfaltigkeit der Verhältnisse und Richtungen der verschiedenen Provinzen, von der uns die Berichte der mönchischen Schriftsteller in ihrer einförmigen Latinität nur sehr ungenügende Anschauung geben, lernen wir erst durch die Betrachtung der Monumente vollkommen schätzen. Während die deutsche Architektur schon überall eine gleiche Tendenz zeigt, die sich in wenigen Gegensätzen ausbildet, sehen wir auf dem Boden des heutigen Frankreichs einen Reichthum der verschiedenartigsten Formen und Systeme, welche theils abweichende Auffassungen der antiken Elemente, theils verschiedene fremdartige Einflüsse von Süden und Norden, dann aber auch verschiedene Stimmungen und geistige Richtungen andeuten, und zum Theil die auffallendsten Gegensätze bilden. Nirgends erhalten wir ein so anschauliches Bild der Gährung von Kräften und Stoffen, des Eindringens nationaler Elemente in die Stille klösterlicher Thätigkeit, der mannigfaltigen Bestrebungen, welche im Beginne dieser Epoche an verschiedenen Stellen sich geltend machten und bald in grösseren, bald in kleineren Kreisen wirkten. In einigen Gegenden erhielt sich römische Tradition ohne bedeutende

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Umgestaltung, in anderen bildete sich eine solche frühzeitig zu einem eigenthümlichen Typus aus; in noch anderen endlich mischten sich die Einflüsse mehrerer solcher Schulen zu einer neuen mittleren Form. Das Studium dieser provinziellen Eigenthümlichkeiten, erst seit wenigen Decennien begonnen, kann noch nicht als abgeschlossen angesehen werden; die Begrenzung der Schulen ist zum Theil unsicher, das Chronologische noch nicht vollständig festgestellt *). Aber die wesentlichen Züge sind doch schon deutlich erkennbar. Bei Weitem die Mehrzahl dieser Schulen und die grössere Mannigfaltigkeit der Formen gehören dem südlichen Theile Frankreichs, bis zur Loire und noch etwas nördlicher, an, aber sie sind unter sich wieder durch gewisse gemeinschaftliche Eigenthümlichkeiten verbunden und von den nördlichen Gegenden unterschieden, so dass auch hier wieder die nördlichen und die südlichen Provinzen zwei grosse Massen bilden, innerhalb welcher dann wieder feinere Unterscheidungen erkennbar werden. Im nördlichen Frankreich geht die Architektur fast denselben Weg, wie in Deutschland, sie beginnt mit höchst einfachen Formen und mit der geraden Decke, wendet sich dann dem Kreuzgewölbe zu, und sucht im Einklange mit diesem den ganzen Bau organisch zu gestalten. In der südfranzösischen Baukunst ist dagegen vor Allem ein engeres Anschliessen an antike Ornamentation, in höherem

*) Besonders für die nähere Feststellung des Alters selbst der hervorragenden Gebäude fehlt es an sorgfältigen kritischen Forschungen; die französischen Antiquare haben sich mehr mit dem Geographischen beschäftigt. Ueber die Begränzung der verschiedenen Schulen sind die Differenzen minder bedeutend, wie die Vergleichung der beiden von Violet-le-duc (in César Daly‘s Révue de l‘Arch. Vol. X Tab. 14) und Caumont (im Abécédaire de l‘Archéologie 1851 pag. 176) entworfenen Karten mit meiner weiter unten folgenden in manchen Punkten abweichenden Darstellung ergiebt.

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Grade, als selbst in Italien, wahrzunehmen; antike Glieder werden, oft spielend und ohne constructiven Zweck, aber doch mit geistiger Regsamkeit und mit einer klaren, heiteren, der Antike verwandten Stimmung, angewendet und mit christlichen Motiven verbunden. Dem Grundplane nach sind die Kirchen auch hier meistens längliche Basiliken, obgleich ungewöhnliche Anordnungen hier häufiger, als in anderen Ländern vorkommen. Die wichtigste Eigenthümlichkeit ist aber die vorherrschende Anwendung des Tonnengewölbes. Auch dies war ohne Zweifel von römischen Vorbildern, welche lange, mit solchen Gewölben bedeckte Räume enthielten, entlehnt. Bei der Verbindung von Haupt- und Seitenschiffen tritt dann aber die weitere Eigenthümlichkeit ein, dass die Seitenschiffe sich mit einem halben Tonnengewölbe an das Tonnengewölbe des Mittelschiffes anlegen und so dasselbe stützen, eine Anordnung, die schwerlich in der Antike, wohl aber (wie die Kapelle in Aachen beweist) in karolingischen Bauten ihr Vorbild haben mochte. Es geht dadurch der Raum für Anbringung der Oberlichter im Mittelschiffe verloren, so dass dasselbe dunkel erscheint, und nur von den Fenstern des Chores, der Kuppel, wo eine solche besteht, und der Façade beleuchtet wird. Diese Dunkelheit des Inneren, die an den antiken Tempel erinnert und in der südlichen Vorliebe für schattige und kühle Räume eine Unterstützung findet, ist eine gemeinsame Eigenthümlichkeit dieser Gegenden. In einigen derselben haben jedoch die Seitenschiffe zwei Stockwerke, ein unteres, mit Kreuzgewölben gedecktes, und eine Empore, welche durch eigene, wiewohl kleine Fenster beleuchtet wird. Sehr frühe kommt in diesen Gewölben der Spitzbogen vor, jedoch in einer anderen Gestalt als später im gothischen Style, auf breiter Grundlinie und geschweift. Die Anleitung dazu gab wohl das Halbgewölbe

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ND du Port, Clermont

 

der Seitenschiffe und das darin angedeutete System des Stützens, welchem entsprechend man das Gewölbe des Mittelschiffes aus zwei anstrebenden Hälften bestehen liess, die in einer Spitze zusammentrafen. Dies Gewölbe gewährte dann den Vortheil geringeren Seitendruckes und grösserer Höhe, als das halbkreisförmige *). Bei diesem sehr

*) Renouvier (Bull. Monum. X, p. 661) bemerkt, dass die halbkreisförmigen Tonnengewölbe von St. Guillem du désert, Quarante, Espondeilhan (im Dep. des Hérault) selbst die späteren Kreuzgewölbe an Höhe übertreffen. Er zählt nicht weniger als dreizehn grössere Kirchen in Languedoc und der Provence auf, welche, aus dem elften und zwölften Jahrhundert stammend, solche Gewölbe ohne Spur einer späteren Hinzufügung haben.

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augenscheinlichen Ursprunge der spitzen Wölbung und bei der sehr abweichenden Form dieses Spitzbogens darf man ihn mit der Entstehung der gothischen Architektur, an welcher gerade diese Gegend keinen Antheil hat, nicht in Zusammenhang bringen, und eben so wenig an eine Herleitung von den Arabern denken, zumal da bei diesen solche Gewölbe nicht vorkommen. Oft sind die Tonnengewölbe des Mittelschiffes durch Gurtbögen verstärkt, welche von den Halbsäulen der Pfeiler aufsteigen, und dann also das fortlaufende Tonnengewölbe mehr oder minder regelmässig theilen, jedoch, der Form desselben entsprechend, stets rechtwinkelig, niemals diagonal, so dass das Auge an der Wölbung immer nur parallele Bögen sieht. Auch dies mochte auf antiker Tradition beruhen, wie denn in der That die Piscina mirabilis bei Bajae wirklich Tonnengewölbe mit Gurtbögen enthält. Wie man es in solchen Nützlichkeitsbauten gefunden haben mochte, ruhen auch hier die Mauern stets auf Pfeilern, denen da, wo sie Bögen zu stützen hatten, Halbsäulen angelegt sind; freie Säulen kommen nur da vor, wo die Chorrundung einen Umgang erhält, und nur an dieser Rundung, nicht im Schiffe. Das Kapitäl zeigt oft die sorgfältige Nachahmung des korinthischen, oft aber auch nur die Höhe und den Kelch desselben mit figurirten Darstellungen; das Würfelkapitäl ist fast ganz unbekannt. Offene Zwerggallerien im Aeusseren kommen nicht vor, und selbst Bogenfriese höchst selten; die Gesimse haben zwar ähnliche Verzierungen, wie wir sie in Deutschland kennen gelernt haben, aber sie ruhen stets auf Kragsteinen. Auch der nordfranzösische Styl hat mehr Antikes, als die deutschen Bauten; namentlich ist es wichtig, dass

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die Strebepfeiler, die man an Wasserleitungen und ähnlichen Nützlichkeitsbauten der Römer vorfand, frühe angewendet und für das Kreuzgewölbe benutzt wurden. Oft finden sich auch Halbsäulen als Mauerverstärkung im Aeusseren. Korinthisirende Kapitäle sind auch hier nicht selten, und an Stelle des Bogenfrieses sind Kragsteine gewöhnlich. Indessen sind Würfelkapitäle vorherschend, und in der Ornamentation entwickelt sich ein eigenthümlicher strenger Geist, der geometrische Formen den pflanzenartigen Gestaltungen vorzieht *).

*) Die französische Archäologie hat in den letzten Decennien eine gewaltige Thätigkeit entwickelt; der Eifer, mit welchem de Caumont, Didron und Andere vorangingen, hat vielfache Anregung gegeben; Gesellschaften verschiedener Art überziehen Frankreich mit einem Netze, und der Localpatriotismus zahlreicher Dilettanten unterstützt diese wissenschaftlichen Bemühungen. Es ist daher ein unermessliches Material angehäuft, indessen fehlt es an genügenden Werken mit systematisch geordneten architektonischen Zeichnungen. Quellen sind, ausser vielen Monographien, zunächst die kolossale, vom Baron Taylor, Nodier und de Cailleux veranstaltete Voyage pittoresque et archéologique dans l‘ancienne France, wo man freilich nicht erschöpfende architektonische Details, und noch weniger kritische Forschungen aber doch Ansichten und häufig Durchschnitte und Grundrisse findet. Ausserdem geben Mérimée‘s Beschreibung seiner im Auftrage der Regierung unternommenen Reisen (Notes d‘un voyage dans le Midi de la France und dans l‘Ouest de la France, von denen ich die Brüss. Ausg. 1835 und 1837 benutze) Schilderungen die indessen sehr ungleich und oft dunkel sind. Alex. de Laborde (Monumens de la France), Willemin (Monumens français inédits) geben vereinzelte und in architektonischer Beziehung wenig befriedigende Zeichnungen. Chapuy‘s verschiedene Werke (Cathedrales françaises; moyen age pittoresque, moyen age monumental) enthalten oft sehr gute und elegante, aber keinesweges immer zuverlässige, meist malerische Ansichten. Zuverlässiger in seinen Zeichnungen, aber planlos, ist der Atlas von du Somérard, l‘art du moyen age, dessen Text auch schätzbare, aber schlecht geordnete Notizen enthält. Im Bureau des Ministeriums des Innern in Paris ist eine Sammlung von Zeichnungen historisch wichtiger Monumente angelegt, welche bei Reparaturen oder von Antragstellern eingereicht worden, deren Durchsicht mir mit grosser Liberalität gestattet wurde. Caumonts Histoire sommaire de l‘Arch. giebt eine, freilich nur sehr allgemeine und mehr auf den Norden von Frankreich beschränkte Uebersicht der Epochen; dagegen enthält dessen Bulletin monumental (bis jetzt 18 Bände) eine Fülle von Nachrichten, ebenso mehr oder weniger das Bulletin des Comité historique pour les arts et monuments, Didron‘s Annales archéologiques und César Daly‘s Revue de l‘Architecture. Millin, Voyage dans le midi de la France, ist in Beziehung auf die Architektur des Mittelalters unbrauchbar. Sehr gelungene Beschreibungen einer Zahl von Monumenten und urkundlichen Nachrichten (von denen die meisten sich auf die westlichen und nördlichen Gegenden Frankreichs beziehen) giebt auch der Engländer Thomas Inkersley, Romanesque and pointed architecture in France, London, Murray 1850.

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254 Südfranzösische Architektur.

Provence, Dauphiné, Languedoc.

Ueberblicken wir nach diesen Vorbemerkungen die südlichen Gegenden, so finden wir in den Provinzen auf beiden Seiten der Rhone einen ziemlich übereinstimmenden Styl, der sich auch vor den übrigen südlichen Schulen durch lebendige Bewahrung des Gefühls für antike Formschönheit auszeichnet. Es gehört dahin die eigentliche Provence (mit den Departements Bouches du Rhone, Vaucluse, Basses Alpes, Var )und das Dauphiné (Drome, Hautes Alpes, Isère), beide auf dem östlichen Rhoneufer, dann das Bas-Languedoc (Hérauld, Gard, Lozère, Ardèche, Haute Loire) im Westen der Rhone. Wir befinden uns hier auf dem klassischen Boden der eigentlichen römischen Provincia, wo nicht bloss die Aehnlichkeit des Klimas, sondern auch die Pracht römischer Bauwerke vielfach an Italien erinnert.

Nîmes Amphitheater

La Turbie Alpium Tropaea

Auch die Architektur hat mit der italienischen Manches gemein, das flache Dach und eine gewisse, dem Süden eigenthümliche Simplicität; sie unterscheidet sich aber dennoch in wesentlichen Eigenschaften, und ist im Ganzen, merkwürdig genug, stets in höherem Grade antik geblieben, als jene.

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Die Kirchen dieses Bezirks zeichnen sich keinesweges durch Grösse aus, sie sind meistens niedrig und schwach beleuchtet, nicht viel heller wie die antiken Tempel, der Grundplan ist einschiffig oder in Basilikenform, die Zahl der Conchen meistens vermehrt, so dass ausser der Nische des Hauptaltars zwei oder auch vier kleinere halbkreisförmige Kapellen hervortreten. Zuweilen liegt die Concha des Chors wie in den altchristlichen Basiliken unmittelbar auf dem Querschiffe *), bei vollständigerer Ausbildung der Kreuzgestalt findet sich dagegen auch hier auf der Ostseite jedes Kreuzarmes eine und auf dem weiter hervortretenden Chorarme die gewöhnliche Gruppe von drei Nischen. Bei einschiffigen Kirchen ist die Concha oft und frühe im Aeusseren polygonförmig. Immer aber stehen alle diese Nischen senkrecht auf der Axe des Schiffes; die complicirtere Anordnung, die in anderen Gegenden Frankreichs frühe vorkommt, wonach die Seitenschiffe sich als runder Umgang des inneren Chors gestalten und kleinere Nischen in centraler Richtung sich an die Concha anlegen, ist hier im Ganzen unbekannt und kommt nur ausnahmsweise in einem einzigen, unten zu erwähnenden Beispiele, mit augenscheinlicher Entlehnung aus einer anderen Gegend vor. Eine wichtige Abweichung von dem Basilikenstyl ist dagegen, dass die Balkendecke hier so gut wie verschwunden ist; ich finde nur ein einziges Beispiel dieser Art erwähnt **). Das Tonnengewölbe, durch Gurtbögen verstärkt, kommt schon in der alten Kathedrale von Vaison in der Provence ***) und in der Klosterkirche S. Guilhem du désert ϯ) (im Bas-Languedoc) vor, welche beide,

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*) So in St. Paul-trois-chateaux (Drome). **) Die kleine Kirche von Baillargues (Voyage dans l‘ancienne France). ***) Mérimée a. a. O. S. 161.) Vgl. Renouvier, Monumens de quelques anciens diocéses du Bas Languedoc. Montpellier 1835 – 1841. Er beschreibt in einzelnen Heften ausser der genannten sehr interessanten Kirche die späteren Abteikirchen von Valmagne, Maguelone, Vignagoul, S. Felix de Montreau u. a.

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jene mit geringerer, diese mit grösserer Wahrscheinlichkeit, in‘s zehnte Jahrhundert gesetzt werden, und jedenfalls zu den ältesten Kirchen des Landes gehören. Es erhält sich von da an fortwährend und wird erst in der folgenden Epoche durch das Kreuzgewölbe verdrängt. Seine Structur ist die schon beschriebene, so dass die Seitenschiffe nur halbe, anstrebende Tonnengewölbe haben und das Mittelschiff der Oberlichter entbehrt. Indessen findet man auch einige abweichende Gewölbbildungen, die darauf abzielten, Oberlichter zu gewinnen. So besteht in der schon erwähnten Kathedrale von Vaison und in der Klosterkirche von Thorignet das Gewölbe der Seitenschiffe aus etwa zwei Dritteln des Tonnengewölbes, in dem nicht bloss der ansteigende Theil, sondern auch der Anfang der Senkung gegeben ist. Noch eigenthümlicher ist das Gewölbe der alten Kathedrale von Die (Dauphiné), wo Kappen von den Seitenwänden her in das Tonnengewölbe einschneiden und so einen Raum für kleine Oberlichter bilden. Auch der Spitzbogen, in jener oben beschriebenen breiteren Form, findet sich sehr frühe, so namentlich in zwei Kirchen von Vaison, in S. Quininius und in der schon erwähnten Kathedrale, die, wenn sie auch nicht, wie man angenommen hat, aus dem zehnten Jahrhundert herrühren, doch jedenfalls nicht jünger sein können, als der Anfang des zwölften, da schon um 1160 die Stadt verfiel, von ihren Bewohnern verlassen wurde und aufhörte bischöflicher Sitz zu sein. In der Kathedrale kommt er auch an den Scheidbögen vor, in S. Quininius und ebenso in vielen anderen Kirchen dieser Gegend (in Cavaillon, St. Gilles, Vénasque,

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Montmajour, St. Trophime in Arles, in Rèdes, Villemagne, Béziers, Maguelone) nur im Gewölbe. Häufig sind sogar die Gurtbögen unter dem zugespitzten Gewölbe rund gehalten, als habe man jene, der Nützlichkeit halber adoptirte Form verbergen wollen. Für die Fenster und Portale nahm man wenigstens den deutlich ausgesprochenen *) Spitzbogen erst sehr spät, mit der Einführung des in Nordfrankreich ausgebildeten gothischen Styls an, und auf die Gliederung der Pfeiler hatte er überall keinen Einfluss. Diese sind vielmehr stets viereckig, schwerer Form, häufig mit zwei oder vier Halbsäulen besetzt, welche die eckig profilirten Scheid- und Gurtbögen tragen. Freistehende Säulen kommen im Innern nicht vor, ausser in den seltenen Fällen, wo man antike Säulenstämme verwenden konnte **). Schwache Strebepfeiler als Stützen für die Gurtbögen des Gewölbes finden sich einige Male ***), aber ohne bedeutende structive Ausbildung. Bogenfries und Lisenen sind nur in älteren Bauten ), an polygonen Chornischen dagegen wohl Pilaster oder Halbsäulen als Mauerverstärkungen angewendet. Die Thürme sind von geringer Höhe und schwerer Form, sehr verschieden von den schlanken Thurmbauten, die im Norden namentlich in der Normandie, schon in dieser Epoche aufkamen. Sie stehen vereinzelt bald am Chore, bald an der Façade, bald auf der Vierung des Kreuzes, wo sie dann als ein viereckiger

*) Denn eine gelinde fast unbemerkbare Zuspitzung findet sich öfter, z. B. in dem Portale von St. Trophime zu Arles. **) So im Baptisterium zu Aix. Mérimée, Voyage dans le Midi p. 211. ***) In der Kath. von Vaison und in S. Restitut (Drome), hier jedoch bei einem einschiffigen Bau.) In S. Guilhem du désert und in S. Martin in Londres, einer kleinen Kirche, die von dem Styl dieser Gegend etwas abweicht, und wie der Berichterstatter in der Voy. d. l‘anc. Fr. sagt, an das Romanische des Nordens erinnert.

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258 Provence.

Mauerkörper, der auf Gurtbögen, die tiefer als die Tonnengewölbe des Mittelschiffs und Chors gelegt sind, schon im Inneren erscheinen und hier mit einem Kuppelgewölbe bedeckt sind *). Diese Kuppeln sind aber nicht nach byzantinischer Weise von einem Gesims, sondern durch in die Ecken gelegte Bögen getragen. Das Constructive macht also im Ganzen geringe Ansprüche; die Kahlheit der gerade aufsteigenden, von wenigen Fenstern durchbrochenen Mauern ist vielmehr hier, wie im ganzen Süden charakteristisch. Um so bedeutungsvoller erscheint dann an einzelnen Stellen, an Portalen und Façaden die Ornamentation, sie tritt in einen entschiedenen und bewussten Gegensatz zu jenen bloss dem Nutzen gewidmeten Theilen, und dieser Contrast scheint wieder dem südlichen Gefühle zuzusagen. Hier ist dann der Geschmack und die Geschicklichkeit dieser alten Werkmeister in der Verwendung antiker Formen zu ihren Zwecken in der That bewundernswerth. Einzelne Glieder sind häufig mit solchem Verständniss der antiken Form behandelt, als ob sie von gelehrten Architekten aus der Renaissancezeit gezeichnet wären, und zuweilen geht in ganzen Gebäudetheilen der Anklang an altrömische Weise so weit, dass man gezweifelt hat, ob sie nicht wirklich aus römischer Zeit herrühren und in dem späteren Gebäude beibehalten seien. Dahin gehört vor Allem die Vorhalle der Kathedrale von Avignon, Notre Dame des Domes, die an ihrem äusseren und inneren Thore einen Rundbogen zwischen kannellirten korinthischen Säulen, unter einem römischen

*) So in der schon erwähnten Kirche S. Martin in Londres. In der überhaupt ziemlich abweichenden Kirche de la Garde Adhémar im Dep. du Drome, steht der Thurm nicht eigentlich über der Vierung des Kreuzes, da ein solches nicht existirt, aber doch unmittelbar vor der Chornische. Es ist ein dreischiffiges, auf jeder Seite durch zwei Pfeiler getheiltes Gebäude.

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Giebel und mit bekannter Anwendung antiker Ornamente zeigt, so dass noch Mérimée geneigt ist, die ganze Structur aus der Zeit westgothischer Herrschaft bei noch erhaltener römischer Tradition herzuleiten *).

N. D. des Domes, Avignon

Aehnlich, wenn auch weniger bedeutend, sind die Portale im Dome zu Aix und in der Dorfkirche zu Pernes **). Allein wie es sich auch mit dem Alter dieser Portale verhalten mag, gewiss ist es, dass gerade im zwölften Jahrhundert diese antiken Formen mit grosser Vorliebe und mit einer überraschenden Meisterschaft angewendet wurden. Die bekanntesten und bedeutendsten Beispiele dieser Art sind die Façaden der Kirchen von St. Gilles ***),

Saint Gilles du Gard Fassadenausschnitt

und von St. Trophime zu

*) Mérimée a. a. O. p. 126. Abbildung bei A. de la Borde a. a. O. und in der Voyage dans l‘ancienne France. **) Mérimée p. 214 und 183. ***) Abbildung in der Voy. dans l‘anc. Fr. und zwar hier sehr gelungen, und in Chapuy, moyen age monumental. Vgl. Mérimée p. 323. Das Datum von 1116 bezieht sich nicht nothwendig auf die Façade, sondern auf den Anfang einer grossen Kirche, deren Fortsetzung man nachher aufgegeben und sie durch ein kleines Gebäude gothischen Styls ersetzt hat. Ausser dem Portale besteht noch von dieser Anlage eine Krypta nebst einzelnen Mauerstücken des Oberbaues. Sie sind schon mit vollständiger Ornamentation versehen und erscheinen daher mehr wie Ruinen als wie die Anlage eines unvollendeten Werks. Ohne Zweifel begann man hier (und auch sonst in romanischen Bauten) nicht (wie es im gothischen Style gewöhnlich) mit dem Bau des Chors, sondern arbeitete auf verschiedenen Seiten zugleich. Es kann daher wohl sein, dass auch die Façade gleich anfangs in Angriff genommen wurde. Bei der Mauerdicke dieser romanischen Bauten war dies nicht bedenklich.

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260 Provence.

Arles *), jene laut Inschrift im Jahre 1116 begonnen, diese etwas später, wie man annimmt, 1154. Die erste ist auf drei Portale eingerichtet grösser und reicher, und scheint die Absicht anzudeuten, den Schmuck, den jetzt nur der untere Theil hat, auf die ganze Façade anzuwenden. Die zweite ist einfacher und hat nur auf der nackten Wand ein reich geschmücktes Portal, das aber verwandte Motive enthält und den Einfluss jenes reicheren Baues vermuthen lässt. Die gemeinsame Eigenthümlichkeit beider besteht darin, dass eine höchst lebendige Anwendung antiker Formen mit einer ganz neuen, malerischen Wirkung verbunden ist.

Saint Gilles du Gard Centaur und Hirsch

Saint Gilles du Gard Affen und Kamel

Saint Gilles du Gard Loewe mit Lamm

Saint Gilles du Gard Fassade Architrav

Nicht nur die Ornamente, Palmetten, Rankengewinde, Eierstäbe, Kannelluren sind im antiken Geiste ausgeführt, sondern auch der Gedanke des Architravbaues ist noch beibehalten, indem ein breiter, aber reich mit Sculptur geschmückter Fries auf Pilastern ruhend die Portale deckt und bei der Façade von St. Gilles sogar ganz durchläuft. Zwar sind die Thüren dann auch durch einen Bogen gekrönt, aber dieser steht über jenem Friese und hat also gar keine constructive Bedeutung. Dieser Fries ist über die Mauerfläche hinaus ausladend gehalten und wird neben und zwischen den Portalen von mehreren freistehenden Säulen getragen, die zwar nicht weit genug von der Wand entfernt sind, um einen Durchgang zu gestatten, wohl aber weit genug, um sie durch ihre Schatten zu beleben.

*) Im Kreuzgange von St. Trophime findet sich die Grabschrift eines Baumeisters: A. D. MCLXXXI obiit Poncius Rebotti Sacerdos et Canonicus regularis et operarius ecclesiae Sancti Trophimi (so bei du Somérard, Album Série 6, pl. 2), so dass wenigstens um diese Zeit der Bau noch fortgesetzt wurde. - Abbildungen bei de la Borde und bei Millin a. a. O. und sonst häufig; vgl. Mérimée p. 272.

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261 St. Gilles und St. Trophime.

Hinter dieser Säulenstellung ist die Wand dann noch durch kannellirte Pilaster getheilt, so dass das Ganze durch diesen reichen, mannigfaltigen Rhythmus eine gefällige malerische Wirkung hervorbringt. Dabei ist in anderen Theilen, z. B. in den Deckplatten der Kapitäle die Form des Mittelalters erkennbar, und auch der reiche plastische Schmuck, mit dem das Ganze bedeckt ist, trägt den Charakter des Jahrhunderts. Löwenähnliche Thiere mit dem Menschenbilde zwischen den Klauen liegen am Fusse der Säulen, Lämmer und Drachen schleichen an den Gesimsen, und die menschlichen Gestalten contrastiren im strengen Styl der Köpfe und der Gewandung mit der Heiterkeit der architektonischen Theile. Dennoch aber ist das Ganze mit solcher Sicherheit und Anmuth geordnet, dass es einen harmonischen Eindruck gewährt. Aehnlich in reicher Anwendung antiker Glieder und Ornamente sind die Façade von St. Gabriel, auf dem Wege zwischen Arles und St. Remy, die schönen Kirchen von St. Paul-trois-chateaux und St. Restitute, beide in geringer Entfernung in der Dauphiné. Es ist höchst merkwürdig, wie weit hier die Nachahmung der antiken Vorbilder geht. An St. Paul-trois-chateaux zeigt die unvollendete Façade neben dem Portale kannellirte, noch nicht mit Kapitälen versehene Säulenstämme, die genau die Disposition wie an den Seitenhallen eines römischen Triumphbogens haben, im Inneren sind die rundbogigen Fenster von Säulen umstellt, welche ein gerades Gesims tragen, das Gebälk ist hier und an anderen Kirchen dieser Gegend, in N. D. des Domnes in Avignon, in den Kirchen von Vaison u. s. f. völlig in antiker Eintheilung wiedergegeben. Neben dieser genauen und vollendeten Nachbildung der Antike durchweg erst dem zwölften Jahrhundert, der Zeit des

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262 Provence.

wiederauflebenden Geschmacks und feinerer Kunstfertigkeit angehört; dies erklärt es auch, dass so viele dieser Decorationsbauten, wie eben St. Paul und wie St. Trophime in Arles unvollendet geblieben sind. Allein umso mehr muss man über diese verfrühte Renaissance, über diese Mischung antiker und mittelalterlicher Motive erstaunen. Neben dem wohlgebildeten Akantus, den Eierstäben, Palmetten, Mäandern, den Kragsteinen ganz antiker Bildung sind thierische Formen, menschliche Köpfe und ähnliche Ausgeburten mittelalterlicher Phantasie angebracht, die uns leicht enttäuschen, wenn wir augenblicklich an ein anderes Zeitalter dachten. Sehr auffallend ist dies an den Kreuzgängen, namentlich an denen von St. Trophime in Arles und von St. Guilhem-du-désert, wo sich das phantastische Element des Mittelalters im Wechsel der Säulenstämme und in ihrer Gestaltung, in den Zickzacklinien und ähnlichen der Antike fremden Ornamenten äussert, aber doch zugleich in einer breiten, bequemen, heiteren Weise auftritt, die sich von dem Charakter der nordischen Bauten sehr auffallend unterscheidet. Der Hauptsitz dieser Schule ist im Rhonethal, in der Erzdiöcese von Vienne und zum Theil in der von Narbonne, hier sind ihre schönsten Leistungen: westlich geht sie in die überaus verwandte aber doch minder ausgebildete Schule von Languedoc über, nördlich erstreckt sich ihr Einfluss bis in die Diöcese von Lyon. Die Hauptstadt selbst hat in der Abteikirche von Ainay eine Basilika, wie wir sie in Italien zu sehen gewohnt sind, mit gewaltigen antiken Granitstämmen und mehr oder weniger gelungenen Nachbildungen korinthischer Kapitäle. Auch die Kirchen von Nantua und St. Paul-de-Varax (Dep. de l‘Ain) haben kannellirte Säulenstämme und andere antike Formen. Indessen verliert sich schon hier die Zartheit des

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263 Die romanische Schweiz.

provenzalischen Meissels; die Art, wie die antiken Reminiscenzen benutzt sind, erinnert mehr an Italien. Mit diesen südfranzösischen Gegenden muss ich auch die romanischen Theile der Schweiz verbinden, die zu römischer Zeit zur Gallia Lugdunensis gehört hatten und noch jetzt, als die Bisthümer Genf, Lausanne und Sion zur Kirchenprovinz von Vienne gehören, und deren sehr interessante Monumente (erst vor Kurzem durch das Werk eines einheimischen Alterthumsfreundes *) in weiteren Kreisen bekanntgeworden) Züge der provenzalischen Bauschule, wenn auch mit eigenthümlicher Auffassung und neben manchen fremdartigen Elementen zeigen. Von hohem Alter erscheint zunächst die Kirche Romainmotier (Romanum monasterium) eine Basilika mit Kreuzschiff, drei östlichen Conchen und einem geräumigen, zweistöckigen Narthex. Dicke Rundpfeiler von kaum drei Durchmesser an Höhe, aus kleinen Steinen zusammengesetzt, an welchen ein roher, viereckiger Steinblock die Stelle der Basis, eine rohe Deckplatte die des Kapitäls einnimmt, trennen das jetzt mit Kreuzgewölben gedeckte Mittelschiff von den Seitenschiffen, welche merkwürdiger Weise (wie wir dies auch an einigen unten zu erwähnenden französischen Kirchen finden) mit quergelegten, also dem Kreuzschiffe parallellaufenden Tonnengewölben gedeckt sind. Der Narthex ist schon ursprünglich mit Kreuzgewölben bedeckt, die von Pfeilern mit angelegten Halbsäulen getragen werden. Die Gesimse bestehen nur in einer einfachen Schmiege oder

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*) Blavignac, Hist. de l‘architecture sacrée du quatrième an dixième siècle dans les anciens évêchés de Genève, Lausanne et Sion, Paris und Leipzig 1853, mit einem Atlas von sehr charakteristischen Zeichnungen. Es ist zu bedauern, dass der Verfasser dieses dankenswerthen Werkes seine Forschungen durch die Vorliebe für überfrühe Datirung und für eine dunkle Symbolik weniger fruchtbar gemacht hat. Vgl. die Beurtheilung von Lübke im D. K. Bl. 1854 No. 24, 25.

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264 Die romanische Schweiz.

Kehle, nicht in der reicheren attischen Form, die Ornamente sind durchweg von äusserster Rohheit, meistens nur flach eingekratzt. Die Kapitäle an der Aussenseite des Chors zeigen antike Reminiscenzen, Voluten und dem Akanthus nachgeahmte Blätter, an anderen Stellen sind sie unförmliche Blöcke, zum Theil mit barbarischen Sculpturen, der eine am Rande der Deckplatte mit einer quergelegten Menschengestalt, von fast gleicher Grösse des Kopfs und des Körpers, ein anderer mit einem missgestalteten, von vielen Haaren umflutheten Menschenantlitz. Die Anlage des Narthex und die Ausstattung des Aeusseren dürfte noch dem elften Jahrhundert angehören, vielleicht sogar wegen der Rohheit der Details, der Frühzeit desselben; das Innere der Kirche, welche im Mittelschiffe wahrscheinlich ursprünglich eine flache Decke hatte, scheint noch älter und mag in der That, wie der Beschreiber jener Gegenden annimmt, aus dem siebenten Jahrhundert stammen. Wir befinden uns jedenfalls in einer Zeit, wo man aus der architektonischen Tradition der antike nur die Grund formen begriff, nicht einmal die attische Basis nachahmte, und wo der südfranzösiche Styl noch nicht entwickelt oder in diese Berge nicht eingedrungen war. Nicht viel jünger ist die kleine Kirche St. Pierre in Clages im Bisthum Sion; ein einfaches Rechteck mit drei Conchen, der Thurm auf dem durch höhere Anlage kenntlichen Kreuzschiff, die niedrigen Seitenschiffe vom Mittelschiffe durch sehr unförmliche zum Theil in ihrer oberen Hälfte rund gestaltete Pfeiler getrennt, an den Säulenkapitälen des Thurms wieder wie in Romainmotier rohe und phantastische Sculptur. Jünger und mehr mit den provenzalischen Bauten verwandt ist die Kirche St. Jean Baptiste zu Grandson, ebenfalls am Neufchateler See. Sie ist zwar,

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265 Romainmortier

abweichend von dem Herkommen der Provence, eine Säulenbasilika, aber mit ganzen und halben Tonnengewölben gedeckt und sehr viel besser ornamentirt. Die Basis ist attisch, wenn auch in etwas schwerfälliger Form, die Kapitäle zeigen durchweg, auch bei ganz anderen Verzierungen, den Grundgedanken des korinthischen, der Abacus ist meistens als Kehle gebildet. Das Blattwerk ist mit ziemlich feinem Gefühl gearbeitet, dagegen sind die figürlichen Darstellungen der Kapitäle, welche bald heilige Hergänge, den Erzengel Michael, die Jungfrau u. s. f. alles in sehr kurzen, schweren Figuren, bald phantastische Thiere enthalten, noch überaus roh. Neben jenen südfranzösischen und antiken Formen kommen aber auch, namentlich an den Wandsäulen der Seitenschiffe, Würfelknäufe mit Riemenverschlingungen, Deckplatten mit schräger Schmiege und steilere attische Basen mit Eckklötzchen und Blättern vor, so dass sich hier deutscher und französischer Einfluss zu begegnen scheinen. Das Gebäude wird nicht früher als vom Ende des elften oder Anfange des zwölften Jahrhunderts zu datiren sein. Auch die Kirche der im Jahre 962 gegründeten Cluniacenser Abtei Payerne, östlich vom Neufchateler See, scheint ursprünglich die Bedeckung in südfranzösischer Weise mit ganzen und halben Tonnengewölben gehabt zu haben. Das Mittelschiff hat noch jetzt dein Tonnengewölbe, die Seitenschiffe sind mit Kreuzgewölben bedeckt. Kreuzförmige Pfeiler mit eingelegten Halbsäulen trennen die Schiffe. Auf der Ostseite stehen neben der Apsis des Chors jederseits zwei, ebenfalls halbkreisförmig geschlossene Kapellen, wie dies, besonders an Cistercienserkirchen, häufig, aber wohl erst um die Mitte des zwölften Jahrhunderts vorkommt. Dies und der Spitzbogen an den Seitenkapellen lassen darauf schliessen, dass wenigstens dieser Theil der Kirche erst dem Schlusse

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266 Die romanische Schweiz

unserer Epoche angehört. Dennoch ist der plastische Schmuck, mit welchem die Kapitäle an den gekuppelten Säulen im Inneren der Chornische verschwenderisch ausgestattet sind, ebenso phantastisch als roh. Diese Säulen haben attische Basis und schlanke Kelchkapitäle, an denen die bekannten Klötzchen, auch wohl Voluten und Akanthusblätter die Reminiscenz des korinthischen Kapitäls ausser Zweifel setzen, dabei aber historische Sculpturen aller Art angebracht sind, Christus und St. Petrus, auch dieser ungewöhnlicherweise in der ovalen Glorie, Heilige, die mit Drachen und anderen Thieren kämpfen, und andere Thiergestalten dunkler Bedeutung. Noch roher sind die Details des Kreuzschiffes; die Kapitäle, der Würfelform sich nähernd, tragen Verschlingungen und andere mehr nordische als südfranzösische Ornamente, dann aber auch Figuren von unförmlichster Bildung und unverständlichster Bedeutung, welche mit dem Beile, nicht mit dem Meissel ausgehauen scheinen. Aehnlich, aber noch wilder, sind die Sculpturen an den Kapitälen und Deckplatten in der Kirche N. D. de Valère, auf einer Bergesspitze bei Sion, wo eine grosse Zahl von phantastischen und schreckenden Gestalten, grosse Köpfe mit ungeheueren Rachen, welche Menschen und Thiere verschlingen, Adler, Löwen, Böcke, mit conventionellem, theils skizzirtem, theils sehr tief eingehauenem Blattwerk verwirrend wechseln. Sehr eigenthümlich, aber auch bezeichnend für den Mangel an richtigem Stylgefühl ist, dass die schrägen Schmiegen der Deckplatten mit einzelnen dicken Schnecken, Muscheln, Tannzapfen und anderen Früchten besezt sind, während ein anderes Mal an einem Abacus Christus zwischen Engeln, freilich in hässlichster Gestalt, dargestellt ist. Die Anlage der Kirchen, namentlich der Gebrauch des Tonnengewölbes, für dessen Vorherrschen in dieser Epoche

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267 Mischung provenz. und nord. Elemente.

auch noch einige andere, minder bedeutende Beispiele vorhanden sind, weisen nach der Provence hin. Auch zeigt sich der Einfluss aus dieser Gegend, der bei der kirchlichen Verbindung sehr erklärbar ist, noch später in den frühgothischen Bauten. Auch der Reichthum an Sculpturen mag durch eine Anregung aus jenen Gegenden bedingt sein, nur dass bei den Bewohnern dieses rauheren Landes die antike Anmuth und Heiterkeit in eine wilde, derbe Phantastik umschlug. Der Mangel antiker Vorbilder war gewiss nicht die einzige oder hauptsächliche Ursache dieser Verschiedenheit. Manche Ueberreste des Alterthums mussten in dieser den Römern wichtigen Gegend damals noch erhalten sein; namentlich hatte das Kloster Payerne ganz in seiner Nähe die römische Stadt Avenches. Aber die Natur brachte andere Stimmungen hervor und die Bevölkerung war hier ungeachtet der romanischen Sprache ohne Zweifel mehr mit nordischen Elementen gemischt. Dieser nordische Einfluss zeigt sich in dem Wilden, Schreckenden und Phantastischen der Sculpturen und in den Verschlingungen, welche hier mehr und in anderer Weise vorkommen als in Deutschland. Bemerkenswerth ist die Verwandtschaft dieser phantastischen Ornamentik und Sculptur mit der, die wir im Elsass und in Schwaben gefunden haben. Die schweizerische Sculptur ist noch reicher und phantastischer, aber auch roher als jene deutsche, und es wird genauerer Forschungen, als bisher angestellt sind, bedürfen, um zu ermitteln, wo dieser Geschmack entstanden ist. Jedenfalls sehen wir darin einen Zusammenhang dieser romanischen Gegend mit Deutschland und nehmen somit die Gränze wahr, wo sich die Eigenthümlichkeiten beider Länder berührten und mischten.

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268 Auvergne.

Die Auvergne.

Während sich hier also der Einfluss jener südlichen Schule allmälig verläuft, bilden in nordwestlicher Richtung nach dem Inneren von Frankreich zu, die rauhen Berge der Cevennen und des Cantal eine scharfe Grenze, jenseits welcher eine neue bauliche Region beginnt. Der Mittelpunkt derselben ist die Auvergne, ein abgeschlossenes Gebirgsland, vom Meere und den grossen Strömen entfernt, reich an Naturschönheiten, aber unfruchtbar und von einem armen Volke bewohnt. Obgleich auch hier eine römische Stadt lag, die mit dem Namen des Augustus beehrt wurde (Augusta Nemetum), scheinen die italischen Sieger die rauhe Gegend nicht sehr geliebt zu haben, wenigstens finden sich hier keine Prachtbauten wie in der Provence. Das Christenthum brachte sie zu grösserem Ansehen. Schon im sechsten Jahrhundert baute der Bischof Naumatius (571-598) in der Hauptstadt des Landes, damals Arverna, jetzt Clermont Ferrand, eine grosse Basilika, welche Gregor von Tours einer ausführlichen Beschreibung würdigt *). Im Jahre 840 von den Normannen zerstört, wurde sie bald darauf durch den Bischof Sigonius (863-868) wieder hergestellt, und es ist möglich, dass in der jetzigen Kirche, Notre Dame du Port, noch einige Mauertheile jenes Gebäudes vom neunten Jahrhundert erhalten sind **). Allein dennoch lässt die Ausführung sowohl als die ganze Plananlage darauf schliessen, dass die gegenwärtige Kirche nicht früher als am Ende des elften

*) Vgl. oben Th. III, S. 482. **) Mallay, Essai sur les églises romanes du Dép. du Puy de Dome, Moulins 1841, die beste Provincialmonographie, welche die französiche Literatur besitzt, macht darauf aufmerksam, dass die Lava, welche in allen anderen Kirchen dieser Gegend gebraucht wird, in N. D. du Port noch nicht vorkommt.

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269 N. D. du Port.

oder am Anfange des zwölften Jahrhunderts entstanden ist *). Indessen war sie jedenfalls, wie sich bei ihrer Vergleichung mit den anderen Kirchen der Gegend zeigt, das Vorbild, nach welchem sich diese abgeschlossene Schule richtete. Sie unterscheidet sich von der provenzalischen sowohl im Grundplane als in der Ausführung. Zunächst ist die Choranlage eine andere; sie besteht aus einem innern von Säulen umstellten Theile, aus einem Umgange und aus mehreren Kapellen, die an die runde Apsis angelegt sind, und also nicht mehr auf der Axe der Kirche senkrecht stehen, sondern sich strahlenförmig der Nische anschliessen. Umgang und Kapellen haben nur die Höhe der Seitenschiffe, während die Mauer der inneren Concha darüber hinaus ragt, und sich der Höhe des Mittelschiffes nähert. Ausserdem sind jedoch auch hier zwei runde Kapellen an den Kreuzarmen, eine auf jeder Seite des Chors, angebracht. Das Langhaus ist dreischiffig und wie in der Provence von viereckigen Pfeilern mit angelegten Halbsäulen begränzt; allein über den Seitenschiffen befindet sich eine Gallerie, welche auch an der Westseite entlang läuft und so eine Art Narthex, eine niedrige Vorhalle, bedeckt. Die Seitenschiffe selbst haben Kreuzgewölbe, die Gallerien aber das halbe Tonnengewölbe, das sich an das Tonnengewölbe des Mittelschiffs anlegten. Wir finden daher diese Verbindung beider Wölbungsarten, die wir schon am karolingischen Münster in Aachen kennen gelernt haben, in dieser Gegend einheimisch. Die Pfeiler haben in der Regel nur auf drei Seiten, im Seitenschiffe und unter den Scheidbögen, Halb- oder eigentlich Zweidrittel-Säulen; die dem Mittelschiffe zugekehrte Seite ist an verschiedenen Stellen

*) Vgl. die gegen Mallay‘s Annahme früherer Entstehung gerichtete Ausführung im Bull. Monum. XVI, p. 81 ff., der ich nur beitreten kann

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270 Auvergne.

N. D. Du Port.

mit einer, und zwar hoch hinauflaufenden Halbsäule bekleidet, theils wo sich darauf ein Gurtbogen erheben sollte, wie es stets um die Vierung des Kreuzes herum und öfter auch im Mittelschiffe geschah, theils auch ohne allen ersichtlichen Zweck, entweder als eine Vorbereitung auf den Vorsprung des Kreuzpfeilers, oder für die beabsichtigte, aber unterbliebene Anlage eines Gurtbogens. Die Seitenschiffe erreichen meistens nicht ganz die halbe Breite des Mittelschiffs *). Die Gallerie öffnet sich in N. D. *) In N. D. du Port 3 gegen 6,70 Mètres, 9‘ 7“ gegen 21‘ 4“.

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271 N. D. Du Port.



N. D. Du Port, Clermont.

du Port gegen das Mittelschiff über jeder Arcade mit drei, auf Säulen ruhenden Bögen, welche merkwürdiger Weise kleeblattförmig, aber sehr einfach aus nur drei Steinen gebildet sind. Der Chor ist gewöhnlich um einige Stufen über den Boden erhöht, und ruht auf einer Krypta von gleicher Grösse. Ueber der Vierung des Kreuzes ist ein Kuppelgewölbe und öfter ein Thurm. Auch scheint es, dass auf der Vorhalle Thürme waren oder angebracht werden sollten; sie sind jedoch nirgends erhalten. Das Kreuzschiff

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272 Auvergne.

hat keine Seitenschiffe und die innere Chorrundung ist nicht von Pfeilern, sondern von runden Säulen umgeben. Die Basis der Säulen und Halbsäulen ist stets die attische, die Kapitäle haben die Kelchform des korinthischen und sind auch zum Theil mit Akanthus oder anderem Blattwerk, der Antike ähnlich, häufig jedoch auch mit Darstellungen aus der heiligen Geschichte oder mit symbolischen Figuren verziert. Kannellirte Pilaster, die in der Provence, und wie wir später sehen werden auch in Burgund, häufig sind, kommen hier nicht vor und die Säulenstämme sind dünner und schlanker als in den südlicheren Gegenden. Die beigefügte Ansicht vergegenwärtigt die Anordnung des Inneren; sie zeigt recht augenscheinlich die Verschiedenheit dieses südfranzösischen Systems von dem, welches in Deutschland und im nördlichen Frankreich herrschte, namentlich den eigenthümlichen Eindruck, welchen der Mangel der Oberlichter und das Ausstrahlen des Lichtes von der Kuppel des Kreuzes und den Fenstern des Chors hervorbringt, und der von der Wirkung unserer stärker oder doch gleichmässiger beleuchteten Kirchen so wesentlich abweicht. Im Aeusseren fällt es zunächst auf, dass die Portale sehr einfach gehalten sind, sie bestehen aus rechtwinkeligen Seitengewänden mit geradem Sturz und flacher Bogenkrönung, ohne alle Gliederung und Vertiefung, so dass sowohl die ernsten, kräftigen Archivolten des Nordens als der heitere plastische Schmuck des Südens fehlt. Dagegen ist hier ein anderer Schmuck beliebt, eine Art Mosaik aus mehrfarbigen, rothen, gelben, weissen, schwarzen Steinen, welche Muster von Rauten, Sternen, Kreisen, Zickzacks u. s. f. bilden, und bald als fortlaufender Fries, bald in den Zwickeln der Fensterbögen, bald an Giebeln und anderen geeigneten Stellen vorkommen. Schon Gregor von Tours erwähnt dieser Mosaiken an der Kirche des

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273 N. D. du Port.

Naumatius *), ihr Gebrauch stammt daher aus altchristlicher Zeit her, und schliesst sich wohl an das antike Opus reticulatum an, das man in spätrömischer Zeit und im Beginn des Mittelalters, zum Ersatze für die schwierigere plastische Ornamentation, mehrfarbig zu bilden pflegte, wie dies in Frankreich (an S. Jean in Poitiers, an der alten Basilika von St. Front in Périgueux und sonst) und in Deutschland (am Klarenthurm in Köln) öfter vorkommt. Der vulkanische Boden der Auvergne begünstigte durch die mannigfaltigere Farbe der Steine diesen Gebrauch. Die plastische Ausstattung der Gesimse zeigt die weit verbreiteten Formen, den schachbrettartigen, den tauförmigen Fries, Zickzack, Sägezähne und gebrochene Stäbe; sie werden aber von Consolen antiker Bildung getragen. Der Bogenfries kommt nicht vor. Am Langhause und an den Chornischen sind statt der Lisenen Mauerverstärkungen, theils in eckiger Form, theils als Säulen gestaltet, angebracht, die jedoch nicht auf den Boden herabgehen, sondern auf dem Basament stehen. Die Fenster sind mit einem in regelrechtem Steinschnitt ausgeführten Bogen von wechselnden dunkeln und hellen Steinen gedeckt, aber sonst ohne Gliederung; nur das Stockwerk der Gallerie ist im Aeusseren mit kleinen Arcaden verziert. Sehr eigenthümlich ist endlich an N. D. du Port die Ausstattung eines Seitenportals, indem es eine einfache rechtwinkelige Thüre ohne Vertiefung und Säulen darstellt, welche mit einem schweren, giebelartig geformten Balken gedeckt ist. Dies kommt auch sonst nicht selten, namentlich am Rhein z. B. in St. Maria in Lyskirchen in Köln vor.

*) „Parietes ad altarium opere sarsurio ex multo marmorum genere exornatos habet.“ Greg. Turon. lib. 2 Hist. cap. 16 Ducange s. v. Sarsurium erklärt das Wort aus der Vergleichung mehrerer Stellen dahin, dass es: varias discolorum marmorum crustas invicem commissas, ut unum corpus et unam quasi picturam efficiant, bedeute. IV. 2. 18

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274 Auvergne.

Allein in allen anderen Fällen ist dieser Balken unverziert gelassen, während er hier Sculptur, die Anbetung der Könige und die Taufe Christi im Jordan, enthält. Ueber diesem Balken befindet sich dann noch ein flacher, halbkreisförmiger Bogen, in dessen Innerem Christus auf einem Throne zwischen zwei Cherubim dargestellt ist. Auf jeder Seite des Portals endlich ist die kolossale Reliefgestalt eines Heiligen angebracht, so dass das Ganze eine Anordnung bildet, für die wir kein anderes Beispiel haben, und die für die Selbstständigkeit dieser Schule spricht *). Alle diese Sculpturen sind übrigens, ebenso wie die an den Kapitälen der Kirche, sehr roh. Die Abweichungen der anderen Kirchen von jenem ihrem Vorbilde bestehen hauptsächlich in der Anordnung des Grundrisses. An N. D. du Port sind vier radiante Kapellen, so, dass gerade auf den äussersten Punkt der Concha keine fällt. Bei der Kirche von Issoire, die sich übrigens ihr am nächsten anschliesst, ist dies dadurch verbessert, dass man an diesem Punkte zwischen zwei Kapellen noch einen viereckigen Ausbau eingefügt hat. Auch die Kirchen von Orcival und von Brioude (diese schon im Velai, ausserhalb der eigentlichen Auvergne) sind genaue Nachahmungen jener älteren Kirche. Andere, die von Volvic, S. Nectaire, Bourg-Lastie, haben eine einfachere Anordnung des Chores. Ueberall zeigt aber die Bildung der Pfeiler und Gewölbe, die Anlage der Gallerien, die Behandlung des Aeusseren, die Bildung der Bögen aus verschiedenfarbigen Steinen, und namentlich der musivische Schmuck, dass dasselbe System zum Grunde liegt. Vergleichen wir diese Schule mit der provenzalischen, so steht sie, in Beziehung auf das Ornamentistische und Plastische, weit hinter ihr zurück, übertrifft sie aber in *) Eine Abbildung bei Chapuy, Moyen age monumental Nro. 77.

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275 Eigenthümlichkeiten dieser Provinz.

dem eigentlich Architektonischen. Eine rhythmische Anordnung des Grundplanes, wie sie in Deutschland durch die Anwendung des Grundquadrats auf die Pfeilerstellung oder auf die Kreuzgewölbe bemerkbar war, findet sich zwar nicht; selbst die Gurtbögen sind nicht zur regelmässigen Abtheilung des Langhauses benutzt. Dagegen ist die breitere Anlage des Chores mit dem Umgange und den radianten Kapellen eine sehr wichtige und bedeutsame Neuerung, die, wie wir sehen werden, später in ganz Frankreich vorherrschend wurde. Ob sie gerade in der Auvergne entstanden, wissen wir freilich nicht mit voller Bestimmtheit, da wir diese Form am Ende des elften oder am Anfange des zwölften Jahrhunderts, also um dieselbe Zeit, aus der N. D. du Port zu stammen scheint, schon an mehreren Orten, im Languedoc, in Burgund, selbst in der Provence finden. Indessen ist sie nirgends so einheimisch und so durchgängig angewendet, wie hier, und dieser Umstand macht es wahrscheinlich, dass sie hier auch ihren Ursprung habe, und schon an älteren, untergegangenen Kirchen vorgekommen sei. In der Provence findet sie sich nur einmal, an der Kathedrale von Valence, die im Jahre 1095 durch Papst Urban II. gegründet wurde *), im Languedoc können wir sie nur an zwei sogleich näher zu beschreibenden Kirchen aufweisen. In diesen südlichen Gegenden erscheint sie daher als fremd und eingeführt. In den burgundischen Gegenden ist sie dagegen sehr häufig, indessen doch neben anderen Plananlagen, und scheint überhaupt nur durch das Vorbild

*) Vgl. eine ausführliche Beschreibung im Bullet. Monum. XIV, p. 535 ff. Die Innenansicht in der Voyage dans l‘ancienne France, Dauphiné Lief. 30, scheint unrichtig, indem sie einen einfachen Chorschluss angiebt, und mit der Ansicht der Seitenschiffe in Lief. 18 nicht übereinstimmt. Die Seitenschiffe haben zum Theil noch das halbe Tonnengewölbe, zum Theil (spätere) Kreuzgewölbe. 18*

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276 Languedoc.

einiger grossen, später zu erwähnenden Kirchen aufgekommen zu sein. Im Languedoc, mit Einschluss des Roussillon bis an den Fuss der Pyrenäen, herrscht ein ähnlicher Styl, wie in der Provence. Es sind einschiffige Kirchen mit polygoner Concha, oder dreischiffige mit mehreren, aber senkrecht auf der Axe stehenden Kapellen, schwere Pfeiler und Seitenschiffe ohne Gallerien. Rundsäulen schwerer Form finden sich, zum Theil monolith von einheimischem Granit (in der alten Kirche S. Martin von Canegou), zum Theil gemauert (so in St. Nazaire in Carcassone); Würfelkapitäle (in S. Pierre in Toulouse) und der Bogenfries (in Burlats bei Alby) kommen in einzelnen Fällen vor *), in der Regel aber befinden sich Consolen unter dem Friese, und die Ornamentation besteht fast ganz aus antiken Motiven, die, wenn auch incorrect, doch mit Geschick und Geschmack behandelt sind **). Dies findet sich selbst in den Vorbergen der Pyrenäen an der Kirche von Coustouges im Roussillon, und besonders in der Klosterkirche von Alet (Electa), südlich von Carcassone, wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts ***), wo namentlich der Chor von ausserordentlicher Schönheit sein soll. Die Portale von Serrabonne, von St. Bertrand de Comminges, an der Kirche der Citadelle von Perpignan, in Cornelia, in Villefranche

*) Beide in der Voyage dans l‘ancienne France. **) Ein bedeutendes Beispiel dieser Art ist die Kirche St. Michel bei dem Städtchen Lescure, von welcher in der Voyage dans l‘ancienne France ein schönes Portal gegeben wird. ***) Mérimée S. 404. Er bemerkt an diesem Chore als eine neue Eigenthümlichkeit, dass er fünf kreisrunde, durch Säulen getrennte Nischen und darüber die Halbkuppel habe. Es ist offenbar das System der Mauerverstärkung durch Nischen, das in rheinischen Bauten sehr gewöhnlich ist, und auch aus antiken Vorbildern entlehnt war.

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277 Conques.

de Pradès u. a. zeigen dasselbe Bestreben, wie die prachtvolleren von St. Gilles und St. Trophime in Arles. Die Archivolten sind mit antiken Ornamenten fast überladen, die Säulenstämme verziert, das Bogenfeld mit Reliefs gefüllt. Wir finden uns hier wiederum noch ganz auf klassischem Boden, wo uns antike Reminiscenzen auf jedem Schritte begegnen.

Prieure de Serrabone Nordportal

Prieure de Serrabone Kreuzganggalerie

Nur zwei, freilich sehr bedeutende Kirchen machen von dem herrschenden Systeme dieser Gegend eine Ausnahme, indem sie sich dem der Auvergne anschliessen, aber es in weiterer und sehr merkwürdiger Entwickelung anwenden. Die älteste derselben ist die Abteikirche zu Conques (Dép. Aveyron) an der Gränze der Auvergne, die schon in den Jahren 1035-1060 erbaut sein soll *). Ihre Anlage unterscheidet sich von N. D. du Port in Clermont zunächst dadurch, dass drei Kapellen am Chorumgange angebracht sind, nicht wie dort vier, welche mit den beiden, auf der Ostseite des Kreuzes der Axe stehenden Kapellen eine sehr vollständige und bedeutende Centralanlage um die achteckige Kuppel der Vierung bilden und das ganze Gebäude in Osten eben so vollständig schliessen, als es auf der Westseite durch zwei Thürme und den sie verbindenden Vorbau geschieht. Noch wichtiger ist, dass auch das Kreuzschiff Seitenschiffe hat, und die Gallerie auch hier und über dem Chorumgange fortläuft, mithin, da sie an den Façaden des Kreuzschiffes und des Langhauses durch einen schmalen Gang verbunden ist, ein die ganze

*) Die Rohheit der Bildwerke, so wie der vorherrschende Gebrauch des korinthischen Kapitäls deuten auf eine frühere Zeit hin. Ich kann mich indessen bei der sehr ausgebildeten Anlage des Zweifels nicht enthalten, ob die gegenwärtige Kirche nicht ein späterer, vielleicht gegen das Ende des elften Jahrhunderts begonnener, St. Sernin in Toulouse nachgeahmter Bau sei. Vgl. die ausführliche Beschreibung derselben von Mérimée im Bullet. Monum. IV, p. 225 ff.

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278 Languedoc.

Kirche umfassendes zweites Stockwerk bildet. Die Bedeckung ist, wie in den Kirchen der Auvergne, im Mittelschiffe durch ein ganzes, über den Gallerien durch ein halbes Tonnengewölbe, unter denselben durch Kreuzgewölbe bewirkt. Die Pfeiler sind überaus stark, viereckigen Kernes, theils mit Pilastern, theils mit Säulen besetzt, diese steigen von unten auf bis zu den Gurtbögen des Gewölbes, jene tragen an der Gallerie noch wieder Säulen, die in sehr unbeholfener und primitiver Weise angebracht sind. Die Gallerie hat über jeder unteren Arcade zwei Bogenöffnungen. Oberlichter fehlen auch hier, und die Beleuchtung ist nur durch die Kuppel, durch die wenigen Fenster der drei Façaden und der Chornische, und durch die der Seitenschiffe und Gallerien bewirkt. Die Ornamentation des Inneren besteht nur in den Kapitälen, welche sämmtlich verschieden, wiewohl alle korinthisirend, zum Theil mit Figuren, zum Theil mit phantastischen Blättern geschmückt sind. Im Aeusseren haben die ohnehin sehr dicken Mauern starke und breite, strebepfeilerartige Lisenen; nur am Chore sind die Fenster von Säulchen flankirt, und nur hier hat das äussere Gesims verzierte Kragsteine, die Gestalt von Thierköpfen darstellend. Die Façade hat sehr schwere Formen, Strebepfeiler von bedeutender Stärke, und ein, durch einen breiten Mittelpfeiler getheiltes Portal von geringer Vertiefung, darüber aber in dem mächtigen Rundbogen ein grosses Relief des jüngsten Gerichts in sehr roher, aber doch mit Phantasie und noch mit Kenntniss antiker Motive gearbeiteten Sculptur *). Ausserdem findet sich an der Façade eine Art musivischer Ornamentation, wie in der Auvergne. Vieles an dieser Kirche ist sehr

*) Das Bildwerk ist reich mit Inschriften in leoninischen Versen bedeckt, auf dem Thürsturz die Warnung: O peccatores, transmutetis nisi mores, Judicium durum vobis scitate futurum.

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279 St. Sernin in Toulouse.

auffallend; namentlich die vollständige und grossartige Ausbildung der Kreuzgestalt durch dreischiffige Kreuzarme und reichen Chorschluss, und ferner die Theilung des Portals durch einen Mittelpfeiler; beides Formen, welche (mit Ausnahme der gleich zu erwähnenden Kirche von Toulouse) übrigens dem romanischen Style fremd sind, und erst im gothischen Style des dreizehnten Jahrhunderts zu bleibender Anwendung kamen. Indessen lässt doch die Rohheit der Details und die gesammte Ausführung von Conques nicht zweifeln, dass sie hier schon aus dem Bau des elften Jahrhunderts stammen. Ganz ähnlich in der Anlage, Pfeilerbildung und Wölbung ist die Kirche St. Sernin in Toulouse, welche, auf älteren Fundamenten erbaut, im Jahre 1096 geweiht wurde und in ihren Haupttheilen aus dieser Zeit erhalten ist *). Nur ist hier Alles im grössesten Maassstabe; das Kreuzschiff hat, wie dort, drei, das Langhaus aber fünf Schiffe. Ebenso ist die Zahl der Kapellen am Chorumgange auf fünf, die an den östlichen Kreuzseiten auf je zwei auf jeder Seite gestiegen, so dass eine Gruppe von neun Kapellen das Gebäude abschliesst, über welcher dann zuerst die Mauer des Chorumganges, dann die höhere des inneren Chorraumes, darauf die breite Wand des gesammten Kreuzschiffes; und endlich ein Thurm auf der Vierung des Kreuzes aufsteigen. Es ist daher der Gedanke eines Centralsystems angedeutet, der aber (abgesehen von einer hässlichen Ueberhöhung der Concha durch eine spätere Mauer und der bizarren, im fünfzehnten Jahrhundert hinzugekommenen Zuspitzung des Thurmes) schon dadurch der grossartigen Wirkung der rheinischen Centralbauten entbehrt, dass die breite und hohe Mauer des Kreuzschiffes

*) Dafür sprechen namentlich die noch völlig römischen Ziegel an verschiedenen Theilen des Baues.

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280 Languedoc.

die ganze Gruppe halbkreisförmiger Anbauten unharmonisch abgränzt und ausser Zusammenhang mit der Gesammtanlage der Kirche setzt. Dennoch aber geben die reinen,

St. Sernin. Toulouse


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281 St. Sernin in Toulouse

regelmässigen Formen der halbkreisförmigen Nischen, die reiche und harmonische Ausstattung, die namentlich der Chorumgang durch jene Kapellen und die den Raum zwischen ihnen füllenden Fenster erhält, die saubere und präcise Ausführung der strebepfeilerartigen Halbsäulen und ihrer Kapitäle, so wie der Friese, Consolen und Archivolten, einen Totaleindruck, von dem die Reisenden mit Bewunderung sprechen *). In diesen beiden Kirchen war also das System der Auvergne nicht nur aufgenommen, sondern auch weiter ausgebildet und durch die feinere Ornamentation dieser südlichen Schule verschönert. Aber dieser glänzenden Beispiele ungeachtet fand es nicht weiteren Eingang, man blieb vielmehr auch später, bis die Albigenserkriege den Flor und die Selbstständigkeit des schönen Landes zerstörten und nun auch der gothische Styl von den Nordfranzosen eingeführt wurde, den alten einfachen Formen getreu.

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Burgund.

In allen diesen südlichen Gegenden, die wir bisher betrachtet haben, erscheinen die baulichen Formen fast wie ein Naturerzeugniss des Bodens. Sie kehren stets, mit geringen Veränderungen, wieder; die historische Bewegung ist kaum wahrzunehmen. Die Anhänglichkeit an antike Formen und der Einfluss klimatischer Bedingungen sind so mächtig, dass sogar der von aussen her eingeführte gothische Styl, wie wir sehen werden, sich ihnen anbequemen musste. Dies gilt selbst von der Auvergne, obgleich ihre Berge sie gegen die Macht der südlichen Sonne schützen; auch sie behielt den hergebrachten Styl, mochte

*) Mérimée a. a. O. S. 429.

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282 Burgund.

er einheimisch oder aus der Fremde gekommen sein, ohne freiwillige Veränderung bei. Ein anderer Geist herrscht in den Gegenden, welche sich von den nördlichen Grenzen der Auvergne und der Diöcese Lyon bis an die Gränzen der Champagne erstrecken, und die ich nach ihrem Hauptbestandtheile unter dem Namen von Burgund zusammenfasse, indem ich dazu die Landschaft Bourbon und die Diöcesen Macon, Chalons-sur-Saone, Autun, Dijon und Nevers rechne. Auch hier hat die Antike noch einen überwiegenden Einfluss, auch hier sind noch jetzt bedeutende römische Monumente erhalten, aus denen antike Reminiscenzen früher oder später in die mittelalterliche Architektur übergingen, und deren Vorbild den Sinn für feinere plastische Ausführung lebendig erhielt. Aber der Einfluss der Antike und die plastische Neigung äusserten sich in anderer Weise, als in der Provence. Aus den römischen Monumenten entlehnte man nicht bloss den Schmuck, sondern auch constructiv wichtige Formen; namentlich spielt der kannellirte Pilaster hier eine grosse Rolle, und dient zur zweckmässigen Ausbildung des Pfeilers. Und ebenso überwuchert die Sculptur nicht bloss als müssige Zierde die leeren Wände, sondern wird auf die Theile verwendet, welche eine geregelte Construction ihnen anwies. Der Grund dieser Verschiedenheit ist nicht sowohl in äusseren Bedingungen, im Klima, im Material, als in dem verschiedenen Charakter des Volksstammes zu suchen. In sprachlicher Beziehung beginnt schon in den südlichen Theilen dieses Bezirks der Uebergang von der Languedoc in die Languedoil, auch in baulicher Beziehung fühlen wir hier schon den Einfluss des germanischen Elementes, das die antiken Traditionen freier und kühner benutzt. An die Stelle jener südlichen Behaglichkeit und Unthätigkeit, die sich im Besitze der alten Ueberlieferung befriedigt, tritt hier

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283 Charakteristik des Styls.

ein strebender Sinn, der nach Neuem und Besserem sucht. Daher erhalten die Gebäude schon frühe grössere Dimensionen, reichere Ausstattung des Inneren, bessere Ausbildung des Constructiven. Die Planordnung der Auvergne fand hier so frühe Eingang, dass man zweifeln kann, ob sie hier oder dort erfunden ist. In älteren und kleineren Bauten sieht man wohl noch den einfacheren Chorschluss mit einer oder mehreren senkrechten Nischen *); aber schon vom Ende des elften Jahrhunderts haben alle grösseren Kirchen den Chorumgang und Kapellenkranz, so wie die Gallerien über den Seitenschiffen. Dazu kommt dann aber noch hier eine Vorhalle, nicht, wie in Deutschland, als mächtiger Thurmbau, aber geräumig, mit mehreren Säulenreihen und aus zwei Stockwerken bestehend. Auch die Thürme werden hier zahlreicher und höher, und steigen in reicher Gruppirung an den Kirchenschiffen empor. Tonnengewölbe sind auch hier vorherrschend, doch suchte man, weil der trübere Himmel stärkere Beleuchtung erforderte, Oberlichter damit zu verbinden. Und wie in der Anlage, zeigt sich auch in den Details ein kräftigerer, derber Sinn. Der Bogen wird bestimmter gegliedert, aus reich verzierten Bändern und Rundstäben zusammengesetzt. Die Sculptur zeichnet sich durch eine an die Antike erinnernde Klarheit und Einfachheit, aber auch durch dramatische Lebendigkeit und Bedeutsamkeit aus. Sie zeigt Formenstrenge und Ernst des Sinnes, aber ohne die Neigung zu einer dunkelen Symbolik oder zu schreckenden Gestalten, die wir weiterhin im Westen und Norden finden werden. Die Baugeschichte dieser Provinz kennen wir etwa seit dem Jahre 1000. Um diese Zeit, seit 990, lebte hier der Abt Wilhelm von St. Benigne in Dijon, ein Lombarde

*) Mérimée, Voyage dans le midi p. 68.

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284 Burgund.

von Geburt, berühmt zunächst als strenger Reformator entarteter Klöster, dann aber auch als Baumeister, und dies in dem Grade, dass er von dem Herzoge von Burgund, und sogar von dem der Normandie, mit der Herstellung oder Errichtung vieler Klöster in ihren Ländern beauftragt wurde. Die Verbindung seiner reformatorischen Thätigkeit mit der baulichen könnte es zweifelhaft machen, ob auf die letzte grosses Gewicht zu legen; indessen wird sie ausdrücklich hervorgehoben und gerühmt. Namentlich soll er zu der Kirche seines eigenen Klosters den Plan selbst angegeben und die Arbeiten mit Hülfe fremder Künstler, die er besonders aus seinem Vaterlande, Italien, herbeikommen liess *), ausgeführt haben; auch wurde er dabei von seinem Bischofe unterstützt, der, selbst ein eifriger Bauherr, für ihn mehr als hundert Marmorsäulen aus Italien kommen liess. Leider besteht nichts mehr von dieser seiner Schöpfung; die Kirche **) wurde, nachdem sie im Jahre 1271 durch den Einsturz eines Thurmes verwüstet war, renovirt, eine dazu gehörige, sogleich näher zu erwähnende Rotunde blieb zwar noch stehen, ist aber in unserem Jahrhundert ebenfalls abgebrochen, so dass uns auch von ihr nur Beschreibungen und Zeichnungen erhalten sind. Der Bau der Kirche war reich und complicirt; über 300 Säulenstämme von Marmor und anderen Steinen wurden darin gezählt; die Zeitgenossen sprechen davon mit Bewunderung, und erklären sie für das bedeutendste Bauwerk von Gallien ***).

*) Coeperunt ex sua patria, hoc est Italia, multi ad eum convenire. Aliqui litteris bene eruditi, aliqui diversorum operum magisterio docti; . . . quorum ars et ingenium huic loco profuit plurimum. Chron. S. Benig. Divion. ap. d‘Achéry Spicil. Vol. II, p 384. **) Sie dient gegenwärtig, nach Zerstörung der älteren bischöflichen Kirche, als Kathedrale. ***) Glab. Rad. de vita S. Wilh. Nro. 22. Praesto est cernere totius Galliae mirabiliorem atque propria positione incomparabilem.

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285 Abteikirche St. Benigne.


St. Benigne Dijon.

Dijon Saint Benigne Langhaus

Dijon Saint Benigne Krypta

Dijon Saint Benigne Langhaus

Die Kirche selbst hatte die gewöhnliche Kreuzgestalt, eine fast unter ihrer ganzen Länge sich ausdehnende Krypta und eine Tribune über den Seitenschiffen *). Am Ende des Chores schloss sich jene Rotunde an **), ein in der That sehr eigenthümlicher Bau. Sie bestand nämlich aus drei Stockwerken, einem unteren und zwei sich übereinander erhebenden, sehr breiten Gallerien, zwischen denen nur ein sehr schmaler Raum sich vom Boden zur Kuppel erhob. Zwischen den acht Säulen, welche diesen innersten Raum umschlossen, und der Umfangsmauer stand noch ein anderer, grösserer Säulenkreis, der die Gallerie in der Mitte ihrer Breite stützte. Die Höhe

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*) Dies scheint Mabillon zu meinen, wenn er die Kirche selbst (praeter rotundum oratorium, quod in capite ecclesiae constructum adhuc cernitur) als „triplex condita sub eodem tecto superior, media et infima“ schildert (Acta SS. Bened. Tom. IV). **) Deutlicher als Mabillons Beschreibung und seine (auch bei du Somerard, l‘art au moyen age, Album, Série 5, pl. 1, wiederholte) äussere Ansicht, sind die Zeichnungen bei Lenoir, Monuments des arts libéraux, Paris 1840. Der innere Raum hatte nur 16 Fuss, die ganze Rotunde 56 Fuss Durchmesser bei 65 Fuss Höhe, jedes der beiden unteren Stockwerke nur die Höhe von 14-15 Fuss. Der Grundriss besteht aus drei concentrischen Kreisen, ein innerer von acht, ein zweiter von 24 Säulen und endlich die Umfangsmauer.

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286 Burgund.

dieser Stockwerke, wenigstens der beiden unteren, war nur gering, und der Zweck dieser ganzen Anordnung ist undeutlich. Man könnte an ein Baptisterium denken, bei welchem die oberen Gallerien Raum für Zuschauer der unten vorzunehmenden Taufhandlung bilden sollten. Allein jedes Stockwerk war als eine abgesonderte Kapelle oder Kirche, die eine der heiligen Jungfrau, die andere dem Erzengel Michael, die dritte der Dreieinigkeit gewidmet, vermittelst besonderer Treppenthürme von unten aus zugänglich. Der Name des Johannes, der einer Taufkapelle nicht gefehlt haben würde, kommt also nicht vor. Dass Wilhelms italienischer Ursprung auf diese ungewöhnliche Construction Einfluss gehabt habe, lässt sich nicht behaupten, da wir kein italienisches Vorbild dafür kennen; auch war Italien gerade in dieser Zeit zu sehr verwildert, als dass man seinen italienischen Gehülfen eine bedeutende Einwirkung auf die nordische Kunst beimessen könnte. Eher mögen jene in so grosser Zahl herbeigeschafften Säulenstämme Motive erzeugt haben, wie sie in der italienischen Architektur vorkommen. Wenigstens ist es dadurch zu erklären, dass die schönste Kirche von Dijon, die Kirche Notre Dame, obgleich sie erst im dreizehnten Jahrhundert, also lange nach den Zeiten Wilhelms, ihre jetzige Gestalt erhalten hat, eine auffallende Aehnlichkeit mit gewissen Kirchen von Lucca, Pisa und Arezzo zeigt, indem sie, wie diese, eine Façade von drei offenen Bogenhallen und mehreren Stockwerken kleiner Arcadenreihen hat, die sich hoch hinauf über das Dach des Kirchenschiffes erhebt, und mit dem Reichthume mannigfaltiger Säulenstämme prunkt *).

*) Die Baugeschichte dieser eben so schönen wie eigentümlichen Kirche, verdiente wohl eine nähere Erforschung. Dass sie (wie Jolimont in Chapuy‘s Cath. de France annimmt) ganz aus den Jahren 1252-1334 herrührt, ist wegen der rundbogigen Fenster des Chores, der lanzetförmigen Fenster des Kreuzschiffes und der einfachen Knospenkapitäle nicht denkbar. Wahrscheinlicher ist die Angabe von Inkersley a. a. O. S. 20, dass der Chor im Jahre 1229 vollendet sei, wofür er jedoch gegen seine sonstige Gewohnheit keine Beweisstelle anführt. Der Styl des dreizehnten Jahrhunderts ist in ihr nur durch den ungewöhnlichen Umstand modifizirt, dass der Meister eine bedeutende Zahl monolither Säulenstämme oft von grosser Stärke und Länge zu verwenden hatte. Woher dieser kostbare und im dreizehnten Jahrhundert so seltene Schmuck stamme, ist unerklärt, und bleibt es allerdings möglich, dass er aus einem Bau des elften Jahrhunderts entlehnt ist, und mit der Anschaffung von Säulen aus Italien zusammenhängt.

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287 St. Philibert in Tournus

Eine richtigere Vorstellung von Wilhelms baulichen Bestrebungen gewährt uns eine andere wichtige Abteikirche aus derselben Zeit, St. Philibert in Tournus, die, nach einem Brande vom Jahre 1007, unter seiner Mitwirkung erbaut, höchst eigenthümliche Formen und dennoch keine Spur eines fremden Einflusses zeigt. Der Eindruck des Gebäudes ist der des höchst Alterthümlichen, man kann nichts Schwerfälligeres, Massenhafteres und Solideres sehen, es ist, wie einer der Beschreiber sagt, wahrhaft cyklopisch, und dennoch keinesweges roh und vernachlässigt *). Es besteht aus einer Vorhalle von bedeutender Grösse, einem dreischiffigen Langhause mit Kreuzarmen, dem Chore mit Umgang und drei Kapellen, zu welchen noch zwei andere auf der Ostseite des Kreuzes hinzukommen. Vorhalle, Schiff und Chor haben statt der Pfeiler starke, niedrige, besonders in der Vorhalle und im Chor sehr schwere Rundsäulen, ohne eigentliches Kapitäl, bloss von einem Wulst bekrönt (A), auf welchem aber im Mittelschiffe des Langhauses Halbsäulen bis zur Wölbung aufsteigen (B), deren Gurtbögen (C) sie auch tragen. Sehr eigenthümlich ist nun diese Wölbung, denn sie besteht nicht, wie sonst

*) Vgl. Mérimée, Midi, S. 69 ff. Eine Abbildung des Aeusseren bei du Somérard, Album, Serie 5, pl. 7. Andere Zeichnungen in der Voy. dans l‘ancienne France im Bande Franche-Comté pl. 12-21.

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288 Burgund.


St. Philibert, Tournus.

Tournus Saint Philibert

in dieser Gegend, aus einer fortlaufenden, longitudinalen Wölbung, sondern aus einzelnen transversalen Tonnengewölben (E), welche über jeder Arcade auf den zu diesem Zwecke auch höchst massiv gebildeten Gurtbögen ruhen *). Die Seitenschiffe sind dagegen mit Kreuzgewölben gedeckt, und es ist so durch jene völlig ungewöhnliche Wölbungsart ein Raum für kleine Oberlichter gewonnen. Auf der Mitte des Kreuzes ist eine sphärische, durch wohlangelegte Zwickel mit der viereckigen Mauer verbundene Kuppel, welche, nebst dem oberen Stockwerke der Chornische, durch die freie Behandlung des Akanthus und anderer, an die Antike erinnernder Ornamente, durch reiche Archivolten der Fenster auf kannellirten oder sonst verzierten Säulenstämmen auf eine etwas spätere Entstehungszeit hindeutet. Drei Thürme steigen empor, zwei an der Vorhalle, einer auf dem Kreuze; dieser ist viereckig, in den oberen Stockwerken

*) Die beigefügte kleine Zeichnung ist aus Batissier, histoire de l‘art monumental, entlehnt. Eine Monographie de l‘eglise de Tournus (Beschreibung ohne Abbildungen) findet sich in Joseph Bard, Nouveau guide général d‘Archéologie sacrée, Lyon 1847, S. 339 ff.

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289 St. Philibert in Tournus.

etwas jünger erscheinend, aber dennoch in romanischer Form. Es sind also in diesem Bau mehrere Eigenthümlichkeiten zu bemerken. Der Chorschluss, der auch in der Krypta dieselbe Form hat, erinnert an die Auvergne; der Mangel einer Gallerie über den Seitenschiffen entspricht dem südlichen Systeme, die ungewöhnliche Wölbungsart und die dadurch herbeigeführte Anbringung von oberen Fenstern im Mittelschiffe, und endlich die runde Gestalt der Pfeiler erscheinen dagegen als Neuerungen höchst primitiver Art, die kein bekanntes Vorbild hatten. Wir sind daher wohl berechtigt, den Bau in seinen wesentlichen Theilen mit Ausschluss des Chores und der oberen Stockwerke des Thurmes, einer sehr frühen Zeit zuzuschreiben, also etwa dem Bau, der nach dem Brande von 1007 begonnen, und im Jahre 1019 schon beendet war *). Besonders bemerkenswerth ist jene Wölbungsart, indem sie zeigt, wie frühe man hier schon die Nachtheile der gewöhnlichen Tonnengewölbe wahrgenommen, und ihnen durch künstliche Versuche abgeholfen hat. Man hat dieselbe Überwölbung, jedoch nur auf den Seitenschiffen, auch an anderen und zwar weit entfernten Stellen von Frankreich, namentlich in den Ueberresten der romanischen Kathedrale von Limoges, in denen der älteren Kirche von St. Front in Perigueux **), und in den noch erkennbaren Theilen des älteren Baues von St. Remy in Rheims ***)

*) Mabillon, in den Act. St. Bened. erwähnt eines zweiten Baues im Jahre 1019, und Mérimée ist geneigt, diesem Jahre die jüngeren Theile zuzuschreiben. Indessen ist der Zeitraum von 1007 bis 1019 zu kurz, um mehr als die Vollendung des ersten Bauunternehmens daran zu knüpfen, und scheint die Stylverschiedenheit jener jüngeren Theile zu gross, um sie schon in diese Frühzeit zu setzen. **) Vgl. F. De Verneilh Archit. Byzantine en France S. 92 u. 267. ***) Violet-le-Duc in César Daly‘s Révue de l‘Archit. X, p. 248. IV. 2. 19

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290 Burgund.

entdeckt, wo sie ohne Zweifel nicht in Nachahmung von Tournus, sondern durch eine selbstständige, aus denselben Gründen hervorgegangene Erfindung entstanden sein müssen. Die Kirche von Paray-le-Monial, einer anderen, nicht weit davon gelegenen, einst mächtigen Abtei, wird derselben frühen Zeit, dem Anfang des elften Jahrhunderts, zugeschrieben, trägt aber jüngere Züge.

Paray le Monial Sacre Coeur

Paray le Monial Sacre Coeur

Sie hat die Kreuzform, den Chorumgang mit drei radianten Kapellen und senkrechte Nischen auf der Ostseite des Kreuzschiffes, die Schiffe werden aber von viereckigen, gegliederten Pfeilern mit kannellirten Pilastern getrennt, die Scheidbögen und das Tonnengewölbe in Haupt- und Seitenschiffen sind spitz, die Fenster und alle Bögen des Aeusseren rund geschlossen. Im Chor stehen acht überaus schlanke, wie es scheint monolithe Säulen, 24 Fuss hoch, mit Kelchkapitälen, über denselben ist ein Triforium mit rundbogigen Arcaden. Die Haupttheile des Schiffes haben grosse Aehnlichkeit mit der Kathedrale von Autun, und werden daher wie diese aus dem zwölften Jahrhundert stammen; jene schlanken Säulen erinnern aber an die Bauten von Dijon aus der Zeit des Abtes Wilhelm. Es mag daher hier Neues und Altes gemischt sein *). Auch die Baugeschichte einer dritten bedeutenden Abteikirche, der von Vézelay, im Norden Burgunds, nahe bei

*) Eine Abbildung der Chornische bei du Somerard, a. a. O. Série 10, pl. 11, eine Travée in Caumont‘s Abécédaire (1851) p. 106. Der Plan dieser Kirche ist eigenthümlich, und giebt fast ein griechisches Kreuz, indem auch die Kreuzarme drei Schiffe enthalten und ebenso, wie das Langhaus, nur aus drei Arcaden bestehen. Der Abbé Crosnier (Iconographie chrétienne in Caumont‘s Bull. monum. XIV, p. 77) glaubt in der in diesem Gebäude (an den Fenstergruppen, Triforien u. s. f.) wiederkehrenden Dreizahl eine symbolische Hinweisung auf die Trinität zu finden. Gerade die Wiederholung beweist, dass kein symbolischer Gedanke zum Grunde lag, da derselbe dadurch abgeschwächt worden wäre.

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291 Paray-le-Monial und Vezelay.

Avallon, knüpft sich unmittelbar an den Namen des berühmten Abts von St. Benigne, der im Jahre 1008 von Herzog Heinrich beauftragt wurde, diese, fast gänzlich untergegangene Abtei (prope ad nihilum redactam) wieder herzustellen, woran er denn auch bis 1011 beschäftigt gewesen sein soll. Ohne Zweifel ist der jetzt erhaltene mächtige Bau weder in dieser kurzen Zeit entstanden, noch so alt; wenigstens die ganze Ausstattung verweist in das zwölfte Jahrhundert, und wir können annehmen, dass der ganze Bau, wenn auch auf älteren Fundamenten, erst nach einem Brande von 1120, der so bedeutend war, dass über tausend Menschen dabei verunglückten *), entstanden ist. Das Gebäude, wie es auf der Höhe des Berges in herrlichster Gegend thront, ist von bedeutender Grösse.

Vezelay St. Marie Madeleine

Vezelay St. Marie Madeleine

Es beginnt wieder mit einer grossen und tiefen dreischiffigen Vorhalle, die über den Nebenschiffen und auf der an das Kirchenschiff anstossenden Seite eine nach diesen zu geöffnete Tribune trägt; offenbar ein Sängerchor für die Mönche. Unter dieser Tribune führen drei reich verzierte Portale in die Kirche selbst, die, obgleich in anderen Formen, nicht minder wie Tournus den Eindruck des hohen Alterthums und eines tiefen, fast trüben Ernstes macht.

Vezelay St. Marie Madeleine Kragsteine

Das Mittelschiff ist bei bedeutender Länge und selbst Höhe nur schmal, im Verhältniss zu seiner bedeutenden Länge durch kleine Oberlichter schwach beleuchtet, von eckigen, kreuzförmigen Pfeilern begrenzt, die auf jeder Seite die Vorlage einer Halbsäule haben. Die Seitenschiffe sind mit Kreuzgewölben ohne Rippen, das Hauptschiff in seiner westlichen Hälfte mit einem Tonnengewölbe, dann mit einem etwas höher gelegten Kreuzgewölbe gedeckt, das zwar gewiss späterer Entstehung, aber ebenfalls noch ohne Rippen ist. Auf die

*) Vgl. die bei Labbé (Nova Bibl. ms. Lat. 11, p. 219) abgedruckte Chronikenstelle. 19*

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292 Burgund.

Auf die Ornamentation hat diese Aenderung indessen keinen Einfluss; sie ist überall dieselbe, sehr reich, aber auch sehr ernst. Die Basis der Säulen ist von ungleicher Höhe und wechselnder Form, aber immer ohne Eckblatt und fast immer auf dem Wulste mit Perlstäben oder Palmetten verziert. Die Kapitäle sind sehr reich, alle verschieden, viele mit schreckenden, wunderbaren Gestalten, andere mit Blättern, Voluten, Flechtwerk ausgestattet. Die Scheidbögen sind eckig, von einem Rundstabe mit Palmetten eingefasst; die Gurtbögen des Gewölbes aus verschiedenfarbigen Steinen gebildet und gleichfalls von einem Rundstabe begränzt. Durch die ganze Perspective des Inneren herrscht die Horizontallinie vor. Die Halbsäulen des Mittelschiffs, welche bis zu den Gurtbögen des Gewölbes aufsteigen und erst hier ihr Kapitäl haben, sind nämlich zweimal, zuerst durch das Pfeilergesims unter den Scheidbögen, dann durch das fortlaufende Gesims über denselben durchschnitten. Beide Gesimse sind stark ausladend, und geben durch ihre langen parallelen Linien dem Ganzen eine feierliche, ernste Regelmässigkeit; die klösterliche Stimmung kann keinen würdigeren architektonischen Ausdruck erhalten als hier. Der Chor gehört schon einer anderen Richtung an. Acht hohe monolithe Säulen mit Knospenkapitälen, die Basis mit dem Eckblättchen verziert, tragen eine zierliche Gallerie, in der zwei Spitzbögen von je einem Rundbogen umschlossen sind. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Theil nach einem Brande von 1165, der berichtet wird, entstanden ist. Das Kreuzschiff, älter als der Chor aber jünger als das Langhaus, hat zwar ebenfalls eine Gallerie, aber in rundbogigen schweren Formen. Kannellirte Pilaster finden sich nur an dem Portal der Kirche, von dessen Sculpturen ich weiter unten noch sprechen werde. Das Aeussere ist einfach, aber eigenthümlich, indem die Mauer, unten stärker,

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293 Vezelay.

sich in drei Absätzen nach oben verjüngt, und also ein Strebesystem im Grossen durchführt. Das Dachgesimse ruht auf Kragsteinen, zwischen denen kreisförmige Ornamente einen fortlaufenden Fries bilden. Das Gebäude hatte früher vier Thürme, zwei an der Façade, zwei an den Kreuzarmen; die beiden nördlichen sind in den Religionskriegen zerstört, die beiden anderen bestehen noch *). Bedeutend grösser und einflussreicher als alle diese klösterliche Stiftungen war die von Cluny, des berühmten Mutterklosters des weit verbreiteten Ordens, dessen Name auch in der Baugeschichte eine grosse Bedeutung hat. Es stand in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts auf der Höhe seiner Macht und Blüthe und zählte nicht weniger als dreitausend Mönche. Dem entsprach die Grösse der Kirche, welche Abt Hugo im Jahre 1089 begann, und die, obgleich erst im Jahre 1130 vollendet, doch schon 1094 so weit gediehen war, dass Papst Urban II. auf jener weltgeschichtlich wichtigen Reise, welche den ersten Kreuzzug einleitete, im Jahre 1094 drei Altäre darin weihen konnte. Auch dieses Heiligthum des französischen Mittelalters ist in der Revolution verkauft und abgebrochen, nur ein geringer Theil des ehemaligen abteilichen Palastes und zwei achteckige Thürme der Kirche stehen aufrecht, Fragmente von Säulen und anderen Details sind in die Sammlungen

*) Abbildungen der äusseren und inneren Façade bei du Somérard im Album. - Keine Kirche wäre im höheren Grade einer vollständigen Publikation würdig. Ich bin ausser eigener Anschauung der Beschreibung Mérimées (Midi S. 27 ff.) gefolgt und füge noch seine Maassangaben bei. Länge der ganzen Kirche 123 M. 40 c. (390‘ 9“), Breite der drei Schiffe 26 M. 11, des Mittelschiffs 7 M. 50, Höhe der Seitenschiffe 7 M. 50, des Mittelschiffs vorn 17,95, des Kreuzgewölbes im hinteren Theile 20,80, des Chors 21.10. - Es geht daraus hervor, dass die Anlage des Kreuzgewölbes im östlichen Theile des Langhauses die Vermittelung zwischen dem höheren Gewölbe des Chors und dem niedrigen des Schiffes bildet.

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294 Burgund.


Cluny.

Cluny Abtei

übergegangen, ein ganzes Städtchen hat sich in den Trümmern der Nebengebäude innerhalb der älteren, an höchst interessanten Wohngebäuden des zwölften oder dreizehnten Jahrhunderts reichen Stadt angesiedelt. Indessen sind Zeichnungen und genaue Beschreibungen erhalten *). Es war eine der grössesten Kirchenanlagen, fünfschiffig, mit zwei Kreuzschiffen, mit der (etwas später erbauten) Vorhalle 555, ohne dieselbe 410 Fuss lang, 110 Fuss breit, und im Mittelschiffe fast ebenso hoch. Die beiden Seitenschiffe waren zusammen dem mittleren an Breite gleich, in der Höhe abnehmend, das nächste 55, das entferntere nur 37 Fuss hoch;

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*) Lorrain, Essai historique sur l‘abbaye de Cluny, Dijon 1839, und viele Nachrichten bei du Somérard, l‘art au moyen age. Ueber den jetzigen Zustand Mérimée, Midi p. 78. Den Plan und eine äussere Seitenansicht gibt schon Mabillon in den Acta SS. Bened. Tom. IV. Abbildungen der alten Wohnhäuser des Städtchens bei Verdier und Cattoir, Architecture civile et domestique au moyen age et à la Renaissance.

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295 Abtei Cluny.

so dass sich im Aeusseren drei zurücktretende Stockwerke, jedes mit Fenstern, bildeten. Viereckige Pfeiler mit übereinandergestellten Pilastern und Halbsäulen stützten die Gurtungen des Gewölbes und trugen spitze Scheidbögen, wogegen die Bögen der 300 Fenster welche das Gebäude erhellten, und die der kleineren Arcaden kreisrund waren. Zwölf solche Pfeiler standen auf jeder Seite des Mittelschiffes bis zu dem ersten grösseren Kreuzarme, drei von da an bis zu dem zweiten kleineren. Die Chornische ruhete auf acht grossen freistehenden Säulen, und war ausser dem Umgange von fünf radianten Kapellen umgeben, über welchen sich dann die Fenster und oben die Halbkuppel mit einem grossen Gemälde auf Goldgrund erhob *). Die Ostseite jedes der vier Kreuzarme hatte auch noch zwei kleinere Conchen. Sieben Thürme erhoben sich über dem Dache, der grösseste, viereckig, auf der Mitte des grösseren Kreuzschiffes, die anderen auf den Ecken des Kreuzschiffes, und der Vorhalle theils vier-, theils achtseitig. Durch die radianten Kapellen, die verschiedenen Stockwerke des Chors, den Körper des Oberschiffes und endlich die Kuppel auf der Mitte des Kreuzes war also eine pyramidalische Anordnung wie in der Auvergne und wie in den Rheingegenden angedeutet, wenn auch weniger concentrirt und durchbildet wie in diesen. Die Pracht der Stoffe war der Würde des Heiligthums entsprechend; es wird berichtet, dass der Abt Hugo Säulenstämme von Cipollin und penthelischem Marmor über das Meer und auf den Flüssen heranbringen liess, deren Länge 30 Fuss betrug **). Ausser

*) Eine ungenaue Zeichnung bei Lenoir, Musée des Monumens franç. Paris, 1800, 8.) Tom II, p. 11. Es stellte Gott Vater mit den Zeichen der Evangelisten neben sich und dem Lamme unter seinen Füssen dar. **) Du Somérard a. a. O. Tom. III, S. 377.

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296 Burgund.

der Kirche erneuerte Hugo noch mehrere Theile des Klosters, darunter ein Refectorium mit den Dimensionen von 100 auf 60 Fuss. Bald nach der Einweihung dieser grandiosen Kirche wurde ein anderer bedeutender Bau, wenn auch in geringeren Dimensionen, doch mit Ansprüchen an Glanz und Pracht begonnen, der des Doms zu Autun (1132). Nach sechszehn Jahren war er so weit gediehen, dass die feierliche Niederlegung der Reliquien des heiligen Lazarus stattfinden konnte; später gerieth er in Stocken, woher sich erklärt, dass Seitenschiffe und Chor im gothischen zum Theil spätgothischen Style construirt sind. Indessen lassen doch die Details des Schiffes die schöne Façade des Kreuzes und die herrliche Sculptur am Portal desselben keinen Zweifel, dass wir in diesen Theilen noch das Werk des zwölften Jahrh. besitzen. Die Pfeiler haben auf allen Seiten Pilaster, welche so sehr der Antike nachgebildet sind, dass wir sie der Römerzeit oder doch dem sechszehnten Jahrhundert zuschreiben könnten, wenn nicht die figurirten Kapitäle das Mittelalter verriethen. Die Pilaster im Hauptschiffe haben diese Kapitäle erst unter dem Gurtbogen des Tonnengewölbes, sind aber durch das Pfeilergesimse und durch die Simse des Triforiums durchschnitten. Man muss gestehen, dass für diesen Gebrauch, namentlich da, wo nur Gurtbögen der Tonnengewölbe zu stützen waren, der Pilaster manche Vortheile darbot. Die Hinaufführung desselben bis zur Gewölbhöhe würde einem an antike Form gewöhnten Auge zwar auffallen, aber doch nicht in dem Grade wie bei dem runden Säulenstamme; und auch die Abschnitte, welche durch die durchgeführten Gesimse entstehen, sind hier weniger störend. Natürlich waren es indessen nicht solche Ueberlegungen, welche die Annahme dieser Form herbeiführten, sondern die Nachahmung

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297 Kathedrale von Autun.


Dom zu Autun.

Autun Saint Lazare

Autun Saint Lazare

Autun Musée Rolin Liegende Eva

der in dieser Provinz noch in grosser Zahl vorhandenen römischen Monumente. Autun selbst besitzt zwei römische Thore, an welchen kannellirte Pilaster vorkommen, und man kann nicht verkennen, dass sie das Vorbild derjenigen gewesen sind, die wir im Dome sehen; namentlich ist das Triforium des Doms, dass aus vier kannellirten Pilastern mit geradem Gebälk und drei dazwischen gelegten Bögen besteht, eine genaue Kopie aus einem dieser Thore, der Porte d‘Arroux *). Die Scheidbögen und das Gewölbe sind hier schon im entschiedenen Spitzbogen, alle anderen Bögen des Triforiums, der Fenster und Portale dagegen rundbogig. Bemerkenswerth ist, dass hier ein

*) Die beigefügten Zeichnungen sind wieder aus Batissier, histoire de l‘art monumental (p. 560) entlehnt.

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298 Burgund.


Porte d‘Aurroux zu Autun

Autun Porte d‘Arroux 2001

Triforium vorkommt, da diese kleineren, einen blossen Durchgang bildenden Gallerien dem romanischen Style im Ganzen fremd sind, der in der Auvergne sowohl als, wie wir später sehen werden, in der Normandie nur die grösseren, die ganze Breite des Seitenschiffes einnehmenden Tribunen kannte. Sehr ähnlich der Kathedrale von Autun ist die von Langres. Auch hier gab ein noch erhaltener römischer Triumphbogen das Vorbild für die vortrefflich ausgeführten Kannelluren der Pilaster und die korinthisirenden Kapitäle *). Indessen bedurfte es nun schon nicht mehr solcher vereinzelter Veranlassungen, denn auch die Vorhalle der Kirche St. Vincent zu Macon, ein Ueberrest der im zwölften Jahrhundert erbauten Kathedrale, diese an der Gränze der Lyoner Diöcese, auf dem südlichsten Punkte dieser Region, wie jene auf dem nördlichsten, an der Grenze der Champagne, zeigt denselben Styl und ist nicht sowohl ihrer erzbischöflichen Stadt, Lyon, als dem Vorbilde des Doms von

*) Vgl. die Abbildung einer Travée und mehrerer Details bei Caumont Bull. Monum. V, p. 488.

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299 Kathedrale von Autun.

Autun gefolgt. Auch in den Gebirgsgegenden von Bourbon, an der Gränze der Auvergne, herrscht dieser burgundische Styl, jedoch neben directen Nachahmungen des Styls der Auvergne. Die Benediktinerkirche Veauce ist äusserlich mit Halbsäulen und Arcaden geschmückt, wie N. D. du Port in Clermont, die Kirche von St. Pourçain hat sogar wie jene auvergnatischen Bauten musivische Verzierungen, und selbst an den nördlichen Abteikirchen von Souvigny und St. Menoux ist, nach dem Vorbilde von Issoire, die mittlere der fünf radianten Kapellen viereckig geschlossen. Aber dabei haben viele dieser Kirchen die Vorhalle und die Oberlichter des burgundischen Styls, mehrere (St. Menoux, Iveure, Souvigny) kannellirte Pilaster, wohlgeformte korinthische Kapitäle, Mäander und Blattverzierungen von provenzalischer Reinheit, dann aber auch wieder die Friesverzierungen des nordfranzösichen Styls, phantastisch historiirte Kapitäle und andere Formen, welche einen nördlichen Einfluss zeigen. So in den Kirchen von Chatel-Montagne, Vermeuil, Antry-Issard, Chantelle *). Derselbe Styl herrscht in der Diöcese Nevers; die kolossale Klosterkirche von la Charité-sur-Loire, schon 1107 vollendet, zeigt ihn mit sehr primitiven Formen; indem sie, wie die Kirche von Cluny, neben den radianten Kapellen des Chors auch noch zwei Nischen auf jedem Kreuzarme hat. In St. Etienne von Nevers finden wir, ähnlich aber in anderer Weise wie in Tournus, ein Beispiel des strebenden Geistes, der diese Region auszeichnet. Auch diese, wahrscheinlich grösstentheils noch im elften Jahrhundert erbaute Kirche hat die Planordnung der Auvergne, und die Kuppel des Kreuzes ruht auch hier, wie in den dortigen Kirchen, auf Bögen, welche tiefer liegen,

*) Ueber Bourbon überhaupt vgl. das gründliche Werk von Achille Allier, l‘ancien Bourbonnais, Moulins 1835 fol.

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300 Burgund.

als das Gewölbe des Mittelschiffs. Da die Mauern, welche diese Bögen mit dem oberen Theile der Kuppeln verbinden, das Licht, das aus den Fenstern der Kuppeln einfällt, vom Langhause abhalten, hatte man schon in N. D. du Port fensterartige Oeffnungen, mit zwischengestellten Säulen darin angebracht. In Nevers hat man sich dabei nicht begnügt, sondern über jenen Bögen die Mauer durch eine vollständige Säulenstellung ersetzt, die nun eine weitere Verbreitung des durch die Kuppel eindringenden Lichtes gestattet *). Neben dem strebenden, auf das Constructive und Zweckmässige gerichteten Sinne unterscheidet sich diese Schule von jenen südlichen durch eine kräftigere Ornamentation. Sie hat zwar gewisse antike Formen, besonders den kannellirten oder mit anderen Verzierungen bedeckten Pilaster, das korinthische Kapitäl und Anderes sich ganz zu eigen gemacht, sie liebt den Schmuck reicher und geschmackvoller Sculptur, aber sie behandelt diese derber, und sie verbindet, namentlich auch an den Portalen, jene Pilaster durch kräftige, in der Form des Rundstabes gebildet Archivolten. Von der darstellenden Sculptur dieser Gegend ist weiter unten zu sprechen, von ihrem Portalschmuck mag die beigefügte Zeichnung des Portals von Sémur (Dép. Côte-d‘or) ein Beispiel geben **). Und so bilden denn diese Gegenden einen Uebergang zu dem Styl der nördlichen Schulen, den wir später kennen lernen werden, nachdem wir zuvor das westliche Frankreich betrachtet haben.

*) Aus dieser Rücksicht auf bessere Beleuchtung glaube ich diese auffallende, und nicht wieder vorkommende Anordnung erklären zu müssen, welche Mérimée Midi p. 3, beschreibt und von der die Abbildung bei Batissier a. a. O. p. 555 eine Anschauung giebt. **) Nach Batissier a. a. O. - Vgl. auch das Portal von Tonnerre (Dép. der Yonne) bei Caumont Bull. monum. XVIII. 329.

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301 Ornamentation


Sémur

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302 Aquitanien.

Aquitanien.

Neben den beiden grossen Regionen, die wir betrachtet haben, der provenzalischen, mit ihrem fast antiken Geschmack, und der burgundischen, mit ihrer reichen Plananlage, erscheinen die westlichen Gegenden, das frühere Aquitanien, mit den Provinzen Guyenne, Angoulème, Perigord, Saintonge, Poitou und Anjou als eine dritte, eigenthümliche Region. Sie stehen im Ganzen in monumentaler Beziehung der Provence näher als den burgundischen Gegenden, das Architektonische ist auch hier einfacher, das Mittelschiff ohne Oberlichter, der Chorschluss ohne Umgang und Kapellenkranz, aber es fehlt die heitere Anmuth, die Tradition des antiken Geschmacks, die sich in der Provence erhielt; die Formen sind finsterer, schwerer, derber, und die bildliche Ausstattung, für die sich hier gerade eine grosse Vorliebe zeigt, ist nicht wie dort in mehr antiker Weise behandelt, sondern überraschend wild, phantastisch, überladen. Ist dies schon ein Zeichen eines unruhigeren, mehr strebenden Geistes, so zeigt sich derselbe auch noch darin, dass hier ungewöhnliche, von der vorherrschenden Regel abweichende Bauformen häufiger als in irgend einem anderen Lande vorkommen. In den südlichsten Theilen dieser Region sind diese Züge noch weniger erkennbar; die Gascogne und die benachbarten Gegenden sind im Ganzen arm an Monumenten; der Mangel an geeignetem Baumaterial und die Dürftigkeit der Bewohner verhinderten hier das Entstehen einer eigenen Schule. Auch in den südlichen Departements der Guyenne, an beiden Ufern der Garonne, finden sich die Styleigenthümlichkeiten der angränzenden Provinzen. Die romanischen Kirchen oder Kirchentheile von Moirac, Monsempron, Mac d‘Agenais, St. Sabin in Villefranche (Lot und Garonne), die zu Loupiac, Begadun, Monlis, St. Croix zu Bordeaux

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303 Diöcese Bordeaux.

unterscheiden sich wenig von den Bauten des Languedoc; sie haben die einfache Basilikenform mit wenig ausladendem Kreuzschiffe und senkrecht auf der Axe stehenden Kapellen, Tonnengewölbe mit Gurtbögen, Pfeiler mit Halbsäulen, den einfachen Chorschluss, dabei zuweilen vortreffliche Ornamente, korinthisirende Kapitäle von schönster Ausführung. Doch regt sich schon hier jener phantastische Geist; bizarre Thiergestalten, verzerrte Köpfe dienen als Kragsteine, und die Façade von Loupiac erinnert mit ihrem Arcadenschmuck schon an den decorativen Styl des Poitou. Zu den berühmtesten Werken dieser Gegend gehört das Kloster Moissac (Tarn und Garonne), hauptsächlich freilich wegen seiner zum Theil sehr schönen, zum Theil wenigstens höchst phantastischen Sculpturen.

Moissac Abtei Fassade

Moissac Abtei Kapitelsaal

Moissac Abtei Kreuzgang

Moissac Abtei Kreuzgangskapitell

Die alte im Jahre 1063 geweihte Kirche besteht nicht mehr und ist durch spätere, bedeutungslose Constructionen ersetzt; nur die kolossale, aber höchst einfache Vorhalle ist noch aus jener Bauzeit (wahrscheinlich von 1063-1072) erhalten und ihr Portal, sowie der Kreuzgang sind mit jenen Sculpturen, von denen ich an der geeigneten Stelle sprechen werde, geschmückt. Beide stammen, wie wir sehr bestimmt wissen, aus der Zeit des Abt Ansquilinus um das Jahr 1100. Die Kapitäle des Kreuzganges sind noch mit einem Anklange an das korinthische gebildet, aber sehr phantastisch verziert. Besonders merkwürdig ist aber, dass sich am Portale und Kreuzgange der Spitzbogen in stumpfer Form, also hier mit einem ganz sicheren und für diese Gegend frühen Datum findet *).

*) Abbildungen in der Voyage dans l‘ancienne France und bei Alex. de Laborde, der Kreuzgang auch bei Gailhabaud, Vol II. Die Inschrift, welche mit den Sculpturen des Kreuzganges unzweifelhaft gleichzeitig ist, nennt den Namen des Ansquilinus und das Jahr 1100. Anno ab incarnatione aeterni principis millesimo centesimo factum est claustrum istud tempore Domini Ansquilini abbatis. Auch in den Ann. Ord. S. Bened. ad. an. 1104 wird von diesem Ansquilinus, welcher 1091 die Würde erlangte, erzählt: Hic majorem ecclesiae portam et claustrum ab se constructum praeclaris statuis ornavisse traditur.

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304 Aquitanien.

In den nördlichen Theilen der Guyenne, besonders im Departement Dordogne und einigen benachbarten Landstrichen treffen wir nun aber auf eine Gruppe von etwa vierzig Kirchen ganz eigenthümlicher Art, die sich von den übrigen dieser Gegend, ja des gesammten Frankreichs, höchst wesentlich unterscheiden, deren Anblick an dieser Stelle höchst überraschend, deren Entstehungsgeschichte höchst räthselhaft ist. Sie sind nämlich alle, abgesehen von manchen anderen damit zusammenhängenden Abweichungen von der gewöhnlichen Form, ganz oder doch grösstentheils mit Kuppeln gedeckt, und zwar mit Kuppeln byzantinischer Construction, wie man sie sonst diesseits der Alpen im Mittelalter nicht anwendete, also mit Halbkugeln, welche auf einem von vier, aus Kugelschnitten gebildeten Bogenzwickeln getragenen Gesimse ruhen. Das Vorbild dieser Schule und die Mutterkirche der ganzen Gruppe ist unbezweifelt die Abteikirche St. Front zu Périgueux *). Man erstaunt, wenn man schon beim ersten Anblick ein Gebäude entdeckt, das ganz orientalischen Eindruck macht, und noch mehr, wenn man bei näherer Prüfung findet, dass es eine genaue und vollständige Nachahmung der Marcuskirche in Venedig, mit wenigen Abänderungen, ist. Der Plan ist nämlich der eines griechischen Kreuzes, zusammengesetzt

*) Felix de Verneilh, l‘architecture byzantine en France, Paris 1851, mit vielen Abbildungen, giebt gründliche Untersuchungen und genaue Beschreibungen dieser ganzen Kirchengruppe und macht die älteren Werke über dieselben, namentlich das von Wigrin de Taillefer Antiquités de Vesone (der alte Name von Périgueux) 1821, entbehrlich. - Wie der abgedruckte Grundriss andeutet, ist die halbkreisförmige Concha durch einen Chor im gothischen Styl verdrängt. Sowohl in der äusseren Ansicht, als in der perspectivischen Ansicht des Innern geben die beigefügten Zeichnungen in dieser Beziehung eine Restauration.

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305 St. Front in Périgueux.


St. Front.

 

St. Front Grundriss

St. Front de Perigueux

St. Front de Perigueux

St. Front de Perigueux Innenansicht

aus fünf Kuppeln, welche durch Gurtbögen von bedeutender Breite oder wenn man will durch Tonnengewölbe begränzt und verbunden werden. Hier wie in der Marcuskirche werden diese Tonnengewölbe von mächtigen Pfeilern an den Ecken des Mittelquadrats und den äusseren Grundlinien der Kreuzarme getragen. Hier wie dort sind diese Pfeiler, da sie innerhalb des Gebäudes liegen, und den freien Raum beengen, durchbrochen und innerlich IV. 2. 20

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306 Aquitanien.


S. Marco, Venedig.

überwölbt, so dass sie in S. Marco förmliche Seitenschiffe und hier, wo aus Unbehülflichkeit und in Ermangelung von Säulen grössere Pfeilerstücke stehen blieben, wenigstens Durchgänge geben. Selbst die Maassverhältnisse sind dieselben wie in der Marcuskirche; St. Front ist zwar etwas kleiner, aber man hat bemerkt, dass die Differenz genau dieselbe ist, wie zwischen dem italienischen und französischen Fuss, so dass dieselben Zahlen sich in beiden Gebäuden wiederholen *). Die Nachahmung ist daher unverkennbar und ging selbst so weit auf die byzantinische Weise ein, dass die Kuppeln frei hervortraten und ihre Bedeckung und die des übrigen Baues durch flache Steinplatten (von etwa 9“ Dicke) bewirkt war, so dass, wie an orientalischen Bauten, weder Holz noch Eisen daran vorkam. Erst vor etwa 60 Jahren hat man, um den wiederholten Reparaturen vorzubeugen, das ganze Gebäude mit einem Dache überdeckt und entstellt. Nur in Einzelheiten wich der Baumeister ab. Während in S. Marco,

*) Länge jedes Kreuzarmes 180 und 176 Fuss, Höhe der Pfeiler 40‘, der Kuppeln 86‘, der dazwischen liegenden Tonnengewölbe 56 bis 59‘. Ich bemerke, dass durch ein Versehen der Grundriss von St. Front nach einem kleineren Maassstabe gezeichnet ist, wie der von St. Marco.

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307 St. Front in Périgueux.

wie in den meisten Kirchen des Orients, in jeder Kuppel zwölf Fenster angebracht sind, haben hier nur die mittlere Kuppel und die am Eingange dergleichen, und zwar nur vier; dagegen sind die Fenster der äusseren Wände zahlreicher und grösser. Theils die Unsicherheit der Architekten, denen jene Oeffnungen gefährlich für die Solidität der Kuppeln erscheinen mochten, theils das nordische Bedürfniss grösserer Beleuchtung mochten diese Aenderung herbeiführen. Ferner fehlen die Säulengänge und Gallerien, welche in der venetianischen Kirche das Hauptschiff von den Kreuzarmen trennen, es sind jedoch Säulen als Schmuck an den Wänden angebracht. Auch schloss sich nach abendländischer Sitte ein Glockenthurm an die Kirche an, ohne jedoch den Plan des Gebäudes zu modificiren. Am Auffallendsten endlich ist die Verschiedenheit der Ornamentation. Auf die glänzende Ausstattung mit edlen Marmorarten oder antiken Säulenstämmen, welche die venetianischen Schiffe aus dem Orient brachten, musste der Meister von St. Front verzichten. Er war daher bei der Ausschmückung des Aeusseren auf die Formen des einheimischen Styls beschränkt, welche für diese grösseren und breiteren Mauern nicht ausreichten. So ist denn das Aeussere ebenso kahl und schwerfällig, als es am venetianischen Dome reich und prachtvoll ist; die hohen Wände sind ausser einer Gruppe einfacher Fenster nur durch Giebel mit breitem Gesimse verziert. Noch weniger haben die ornamentistischen Details eine Beziehung auf byzantinischen Styl; die Basis der Säulen ist die attische, die Kapitäle nähern sich den korinthischen, die Wände waren, wie man an schwachen Spuren sieht, im Innern mit farbigen Ornamenten versehen. Dennoch ist das Innere bedeutend reicher und belebter als das Aeussere; die Mauern zwischen den mächtigen Pfeilern geben Nischen, an welchen Säulen aufgestellt sind, so dass der ganze Raum, 20*

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308 Aquitanien.


St. Front, Inneres

wenn auch ohne die Vorzüge welche die Theilung in mehrere Schiffe gewährt, doch würdig und stattlich erscheint. Aber freilich ist die Wirkung, welche er durch seine schweren Pfeiler und breiten Gurtbögen, durch die mächtigen und einfachen Kuppeln hervorbringt, eine überaus fremdartige, welche mit den Kirchen der übrigen abendländischen Gegenden, selbst mit den gewölbten, wenig gemein hat, und mit dem schlichten und gefälligen Style

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309 St. Front in Périgueux.

der gleichzeitigen Basiliken, besonders der sächsischen, im stärksten Gegensatze steht. Fragen wir nach den Erbauern dieser Kirche, so ist zunächst soviel gewiss, dass sie die Marcuskirche genau gekannt haben, mochten sie nun Venetianer oder gar Griechen, die an der Marcuskirche gearbeitet, oder Franzosen sein, welche an derselben Studien gemacht hatten. Dass griechische Künstler in diese Gegend gekommen, wird nirgends berichtet. Man hat darauf Gewicht gelegt, dass der Begründer der Marcuskirche, der Doge Orseolo, sich im Jahre 978 in ein Kloster in den Pyrenäen zurückzog, und dass sich, wie wenigstens ziemlich vollständig erwiesen ist, im zehnten Jahrhundert, freilich nicht im Perigord, wohl aber nicht sehr weit davon in Limoges, Venetianer niedergelassen hatten. Allein eine Einwirkung jenes Dogen, der sich eben aus der Welt zurückziehen wollte und dessen Kloster sehr entfernt von Périgueux lag, oder jener Venetianer, deren Aufenthaltsort Limoges keinesweges venetianische Bauformen zeigt, ist durchaus unwahrscheinlich *), zumal fremde Baumeister sich nicht versagt haben würden, gerade in der Ornamentation ihren feineren Geschmack geltend zu machen. Man wird daher annehmen müssen, was allerdings eine für diese Epoche nicht minder merkwürdige Thatsache ist, dass Franzosen diese Studien an der Marcuskirche gemacht und hier zur Anwendung gebracht haben. Selbst die Entstehungszeit dieser, offenbar nach einem festen Plane durchgeführten Kirche ist zweifelhaft. Die bei dem bischöflichen Stifte von Périgueux nach dem Tode

*) Vgl. bei Fel. de Verneilh a. a. O. S. 129 das Nähere über diese venetianische Kolonie und die Widerlegung der von du Somerard l‘art au moyen age III, 146 und 321 mit Vorliebe ausgeführten Hypothese von der Einwirkung dieser Venetianer auf den Bau von St. Front.

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310 Aquitanien.

jedes Bischofs aufgesetzten Lebensbeschreibungen, welche wir bis zum Jahre 1182 besitzen, erwähnen, dass der Bischof Froterius, der von 976 bis 991 regierte, einen Neubau des Klosters von St. Front anfing. Von seinem im Jahre 1000 gestorbenen Nachfolger wird die Erbauung einer Kapelle erwähnt, im Jahre 1047 die Weihe dieser Kirche berichtet. Für die Frage, ob der gegenwärtig noch erhaltene Bau der in diesen Nachrichten bezeichnete sei, sind die an diese Kirche angränzenden und zum Teil als Vorhalle zu derselben benutzten, sehr interessanten Ueberreste einer dreischiffigen Basilika mit gerader Decke des Mittelschiffs wichtig. Aber Formen und Mauerwerk derselben sind in solchem Grade antik, oder doch einer noch der Antike näher stehenden Zeit entsprechend *), dass man sie einer früheren Zeit, als dem Ausgange des zehnten Jahrhunderts, zuschreiben muss. Sie stehen daher der Beziehung jener Daten auf den späteren Bau nicht entgegen, wohl aber machen andere Gründe eine solche sehr zweifelhaft. Die grossen Gurtbögen oder Tonnengewölbe in St. Front bilden nämlich einen entschiedenen, wenn auch niedrigen Spitzbogen, eine Form, die in der Marcuskirche nicht, und wenn auch im südlichen Frankreich früh, doch wohl in diesen Gegenden schwerlich schon im im zehnten Jahrhundert angewendet war. Dazu kommt, dass die Marcuskirche, welche Orseolo I. nach dem Brande vom Jahre 976, in dem einzigen Jahre seiner Herrschaft, aufzubauen begonnen hatte, im Jahre 984 oder selbst 991, wo nach jener Nachricht der Bau von St. Front angefangen sein soll, unmöglich so weit vorgeschritten sein konnte, um schon der Gegenstand einer Nachahmung zu werden. Nach den venetianischen Berichten wurde vielmehr der dortige

*) Abbildungen derselben, ausser bei Fel. de Verneilh a. a. O., bei Caumont, Hist. sommaire de l‘arch. Taf. V, Nro. 4.

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311 St. Front in Périgueux.

Bau erst von 1043 an lebhaft betrieben, und war erst um 1071 fast vollendet. Erst nach dieser Zeit, frühestens um die Mitte des Jahrhunderts, wird also der Bau von Périgueux begonnen sein *). Giebt so auf der einen Seite der Bau der Marcuskirche die chronologische Gränze der Zeit, vor welcher der Bau von Périgueux nicht entstanden sein kann, so können uns andererseits die weiter unten zu erwähnenden französischen Bauten, welche offenbar Nachbildungen von St. Front enthalten, zur Bestimmung dienen, bis zu welchem Zeitpunkte diese Mutterkirche vollendet gewesen sein musste. Indessen sind gerade hier wieder ähnliche Zweifel. Einige derselben haben nämlich in der That sehr frühe Daten der Stiftung oder Weihe, welche mit der Entstehung von St. Front im zehnten Jahrhundert übereinstimmen würden, namentlich zwei noch aus dem elften Jahrhundert, eine sogar aus dem ersten Anfange desselben. Allein auch hier sind die Formen so entwickelt, dass wir unmöglich jene früheren Daten auf die erhaltenen Bauten beziehen können **). Dagegen lässt allerdings die beträchtliche Zahl solcher Nachahmungen, von denen die spätesten um die Mitte, mehrere sehr wahrscheinlich in den

*) Felix de Verneilh (a. a. O. S. 123), der die Entstehung von St. Front dem Bischof Froterius zuschreibt, sucht auszuführen, dass die Marcuskirche um 984 wenigstens in ihrem Gerippe vollendet gewesen sein werde. Allein sowohl dies, als die Nachahmung eines rohen und unvollendeten Gebäudes ist unwahrscheinlich, und noch unwahrscheinlicher dass in Venedig ein vollkommenes Modell der zu erbauenden Kirche existirt, und ein französischer Baumeister dasselbe kopirt haben könne. **) F. de Verneilh bezieht sich besonders auf zwei Kirchen, die Abteikirche St. Astier (1001-1003) und die von St. Jean de Cole (1081-1099). Allein jene ist vielfach überbaut, so dass alle Schlüsse zweifelhaft werden; diese aber, ein höchst origineller Bau, eine Kuppel mit einem Kapellenkranz, hat den Spitzbogen auch an den äusseren Blendarcaden so entwickelt und consequent angewendet, dass man den Bau wohl nur in die Mitte des zwölften Jahrhunderts setzen kann.

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312 Aquitanien.

Anfang des zwölften Jahrhunderts fallen, auf ein höheres Alter der Mutterkirche schliessen, und man wird daher nicht umhin können, die Entstehung derselben einem in den erhaltenen Nachrichten nicht erwähnten Bau aus der zweiten Hälfte des elften oder dem Anfange des zwölften Jahrhunderts zuzuschreiben *). Von höchstem Interesse ist es nun, den Einfluss zu verfolgen, welchen dieser merkwürdige Bau auf die Baukunst in einem ziemlich weiten Umkreise ausübte. Eine völlige Nachahmung, eine gleiche Uebereinstimmung mit der Marcuskirche, die Anlage im griechischen Kreuze, kommt nicht weiter vor; alle hieher gehörigen Kirchen haben ein Langhaus, mit oder ohne Kreuzarme, oder eine andere, aber dem französischen Herkommen entsprechende Anlage. Allein sie unterscheiden sich, und zwar sehr wesentlich, dadurch von anderen französischen Bauten, dass

*) Die chronologische Frage wird noch durch die urkundliche Nachricht über einen im Jahre 1120 stattgehabten Brand complicirt. Anno MCXX - - similiter incensum est monasterium Scti Frontonis civitatis Petragoricae. Signa in clocario igne soluta sunt. Erat tunc temporis monasterium ligneis tabulis coopertum. (L‘abbé Nova Bibl. ms. Lat. II, p. 219.) Daniel Rameé (in dem unsere Kirche betreffenden Artikel in Gailhabaud‘s Denkmälern) folgert hieraus, dass die jetzige Kirche erst nach dem Brande entstanden sei. Es ist richtig, dass das Wort monasterium sehr oft eine Kirche, (selbst, wenn sie mit keinem Kloster verbunden war) andeutet, wie dies Ducange Gloss s. h. v. in einem eignen Paragraphen nachweist. Allein es kann ebensowohl das Kloster allein ohne Kirche gemeint sein, und darauf scheint der Umstand hinzudeuten, das der Chronist ausdrücklich des Schmelzens der Glocken im Glockenthurme erwähnt, was sich, wenn Kirche und Thurm abgebrannt wären, von selbst verstanden hätte. Man wird daher F. de Verneilh in der Annahme beistimmen müssen, dass bei diesem Brande die jetzige Kirche schon bestanden habe und, vermöge ihrer soliden Wölbung, ohne erhebliche Beschädigungen geblieben sei. Zu dieser Annahme bestimmt mich aber auch jene in den verwandten Kirchen wahrnehmbare Entwicklungsreihe, welche sich schwer erklären liesse, wenn St. Front selbst, das Vorbild, erst nach 1120 mit dem nothwendig grossen Zeitaufwande entstanden wäre.

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313 St. Front in Périgueux.

sie die breite, byzantinische Kuppel, die mächtigen, im Inneren vortretenden Zwischenpfeiler und die schweren spitzbogigen, über denselben aufsteigenden Tonnengewölbe nicht bloss aufgenommen, sondern als Hauptmotiv der Anlage benutzt haben. Daraus entsteht dann sofort eine Abänderung des ganzen Grundplanes und Charakters, indem diese Kirchen nur ein breites, von keinen Flügeln begleitetes, von zwei, drei oder vier Kuppeln gedecktes Schiff haben, und vermöge dieser vollen, schweren, weiten Form, vermöge der dadurch bedingten einfachen und massenhaften Erscheinung ihrer Aussenmauern noch immer, auch bei wachsender Annäherung an den einheimischen Styl, einen sehr fremdartigen, fast orientalischen Eindruck machen. Ueberdies haben sie sämmtlich, wie St. Front, an den Wänden zwischen den Pfeilern eine Reihe von Blendarcaden auf Säulen oder Pilastern, und erst oberhalb des dieses untere Stockwerk abschliessenden Gesimses eine Gruppe rundbogiger Fenster. Kirchen dieser Art finden sich in der näheren Umgegend von Périgueux sehr viele. Selbst kleinere Kirchen haben solche Kuppeln, wenn auch nur mit einer Gewölbespannung von 16 bis 18 Fuss; man hat im Périgord deren etwa sechzehn aufgezählt. Nach Süden zu hat sich dieser Styl nicht weit verbreitet; in der Diöcese von Cahors finden sich nur zwei, allerdings bedeutende Beispiele (die Kathedrale von Cahors, geweiht 1119, und die Abteikirche von Souillac *)), in der von Bordeaux, selbst in der näher gelegenen von Limoges nur je eines (dort St. Émilion, hier die Abteikirche von Solignac, geweiht 1143). Im Osten hat er gar keinen Anklang gefunden. Dagegen ist er nach Norden zu in den Diöcesen von Angoulême und von Saintes, wo die Kathedralen mit ihrem Beispiele vorangingen,

*) Voyage dans l‘ancienne France. Languedoc, pl. 74

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314 Aquitanien.

fast einheimisch geworden (man kennt hier zwölf bis dreizehn Kirchen dieser Art) und hat endlich mit Ueberspringung der sehr eigentümlichen Provinz Poitou *) an der Gränze derselben, im Kloster Fontévrault im Anjou, noch eine vereinzelte, aus manchen Gründen sehr wichtige Nachahmung erhalten, so dass man im Ganzen etwa vierzig Kirchen dieser Gruppe aufzählt. Auch in Beziehung auf die Form der Kuppel selbst weichen diese Nachbildungen einigermaassen von St. Front ab. Während die Steine der Kuppelbedeckung in der Kirche von Périgueux auf der Wölbung unmittelbar aufliegen und stufenförmig aufsteigen, ist hier stets ein senkrechter Tambour gebildet, welcher die Bedeckung trägt, und der oft durch vier an den Enden des Kreuzes der Axe angebrachte Fenster durchbrochen ist. Die grossen Pfeiler, welche die Gurtgewölbe tragen, gleichen noch weniger, als die von St. Front, dem venetianischen Vorbilde, sie sind ohne untere Durchgänge, dafür aber weniger massenhaft; später auch mit Halbsäulen bekleidet und so den Pfeilern des einheimischen Styles ähnlicher geworden. Im Aeusseren sind die Wände nicht so schmucklos, wie in St. Front, sondern durch Pilaster und Arcaden getheilt, so dass sie die Erinnerung an die Arcadenstellung der Pfeilerbasilika geben. Die Ornamentation endlich ist von aller Nachahmung von St. Front frei, und richtet sich in den verschiedenen Gegenden nach der Weise der jedesmaligen dortigen Schule. Eine Folge dieses Kuppelsystems war die Vereinfachung der Anlage; wie die Seitenschiffe stets fortblieben, verzichtete

*) Im Poitou selbst finden sich keine Kuppelbauten, die von St. Front abstammen. S. Hilaire in Poitiers, eine übrigens grossentheils zerstörte Kirche, scheint zwar Kuppeln gehabt zu haben, aber in ganz anderer Form, als in St. Front, ohne Zwickel und Gesims, wie sich ähnliche Kuppeln auch sonst auf romanischem Boden finden. F. de Verneilh a. a. O. S. 270.

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315 Die Schule von Périgueux.

man auch oft auf das Kreuzschiff und selbst auf eine eigenthümliche Gestaltung des Chores. So besteht die alte Kathedrale St. Etienne von Périgueux jetzt nur aus zwei quadraten, von Kuppeln gedeckten Räumen, von denen der höhere, um 1163 neu erbaute *) den Chor bildet, der andere ein Ueberrest des aber auch ursprünglich nur zwei Kuppeln enthaltenden Langhauses ist. Die Kathedrale von Cahors hat ebenfalls kein Kreuzschiff, sondern nur ein Langhaus von zwei Kuppeln, jede freilich mit der bedeutenden Spannung von etwa 48 Fuss, und eine halbkreisförmig geschlossene, gedehnte Chornische mit drei radianten Kapellen. Die Verbindung des Kapellenkranzes, den man bei Kathedralen und grösseren Abteien nicht entbehren wollte, mit der Kuppelform erregte augenscheinliche Schwierigkeiten, und brachte sonderbare Formbildungen hervor. So besteht die Abteikirche zu St. Jean de Cole im Périgord nur aus einer Kuppel von ziemlich bedeutender Spannung (etwa 40 Fuss), die aber innerhalb einer von drei radianten Kapellen begleiteten Chornische liegt, welche, um jene Kuppel zu fassen, allerdings nicht gerade die richtige Kreislinie hält, sondern sich mehr einem Quadrate mit abgerundeten Ecken nähert. Ohne Zweifel hat man die Hinzufügung eines Langhauses bezweckt, wodurch die ganze Gestalt der Kirche minder auffallend geworden wäre; indessen auch so war der Gedanke, eine bedeutende Kuppel mit einem halbkreisförmigen Umgange zu umgeben, eine Verirrung, die sich nur durch das Eindringen des fremdartigen Elementes der Kuppel in das einheimische System erklären lässt. Daher finden sich in den meisten anderen

*) Dies lässt sich wenigstens aus einer, die Osterberechnung vom Jahre 1163 an enthaltenden Tafel und aus dem Grabmal des im Jahre 1169 gestorbenen Bischofs vermuthen, die beide während des Baues daran angebracht zu sein scheinen. F. de Verneilh p. 176.

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316 Aquitanien.

Fällen die Kuppeln nur im Langhause, mit Einschluss der Vierung des Kreuzes, während die Kreuzarme und der Chor mit Tonnengewölben bedeckt sind. Häufig ist der Chorschluss rechtwinkelig, doch kommen mehrere Male einfache runde Chornischen vor; so namentlich in der Cistercienserkirche Boschaud (de Bosco cavo), welche, abweichend von den baulichen Traditionen dieses Ordens, im Langhause ebenfalls die Kuppelform angenommen, dagegen die runde Chornische und die zwei kleineren Nischen auf den Kreuzarmen beibehalten hat: Bei den grösseren Kirchen dieses Styles finden sich, wie an der schon erwähnten Kathedrale von Cahors, Kapellenkränze, theils von halbrunden, theils von polygonen Nischen; so hat die Abteikirche von Souliac drei, der Dom St. Pierre von Angoulême vier (diese beiden auch noch neben senkrechten Nischen der Kreuzarme), die Abteikirche von Solignac sogar fünf radiante Kapellen, allein überall ohne Umgang und mit Tonnen- und Halbkuppelgewölben des Chorraumes.

Angoulême St. Pierre Fassade

Die reichste Ausbildung unter diesen Kirchen hat die Kathedrale von Angoulême. Hier haben nämlich die Wandpfeiler auf der Stirnseite zwei, auf jeder der inneren Seiten eine Säule, die Gurten und Schildbögen sind zwar eckig profilirt, aber doch schon durch einen Unterfangsbogen gegliedert. Noch reicher ist diese Gliederung an den Wandarcaden, wo vor dem Wandpilaster unter einem gemeinsamen, reich verzierten Kapitäle eine Halbsäule steht, und die Bögen in entsprechender Weise getheilt und mit einer zierlich gebildeten und verzierten Archivolte bedeckt sind. Auch das Gesims ist hier, was in keiner anderen dieser Kirchen vorkommt, mit Ornamenten versehen, und die zwei Fenster des Bogenfeldes sind mit Säulchen besetzt. Die Façade endlich ist in der Weise, wie die später zu erwähnende von N. D. la grande in Poitiers und vielleicht

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317 Fontévrault

reicher und schöner, ganz mit Sculpturen bedeckt. Man kann schwerlich annehmen, dass von dem schon im Jahre 1017 geweihten Bau irgend etwas erhalten ist, selbst die einfachere, westliche Abtheilung wird erst aus der Zeit des Bischofs Gerhard (1101-1136), von dem ausdrücklich erzählt wird, dass er die Kirche zu bauen angefangen habe *), das Uebrige aus einer späteren, vielleicht sich daran anreihenden Zeit herstammen. An diese Kathedrale schliesst sich dann das vereinzelte, nördlich gelegene Glied dieser Reihe, die Kirche der grossen Abtei von Fontévrault, an, ehemals die Grabstätte der englischen Könige aus dem Hause Plantagenet, jetzt entweiht und zu einer Correctionsanstalt herabgesunken **). Die Stiftung einer Kirche fand hier schon im Jahre 1101, die Weihe 1119 statt; aber ohne Zweifel ist dies Gebäude nicht erhalten. Auf den Ruf des berühmten Busspredigers Robert von Arbrissel, der im Anfange dieses Jahrhunderts Frankreich durchzog, hatte sich hier eine Schaar von etwa 3000 Bussfertigen versammelt, die sich anfangs im Freien lagerte, und deren geordnete Unterbringung für lange Zeit die Arbeitskräfte in Anspruch nehmen musste. Jene Weihe, die überdies, wie so viele dieser Gegend, bei Gelegenheit der Durchreise des Papstes Calixtus II. ertheilt wurde, bezog sich daher gewiss auf eine provisorische Kirche, welcher später, vielleicht nicht allzulange darauf, als sich königliche

*) Die Chronikenstellen erwähnen seiner Beziehung zum Kirchenbau zwei Mal. Beim Jahr 1109 wird angeführt, dass er die Kirche a primo lapide aedificavit, bei seinem Todesjahr 1136 wird es beklagt, dass er unter schlechtem Steine extra ecclesiam quam ipse aedificavit ruhe (Inkersley a. a. O. S. 62). Beides nöthigt nur auf Erbauung eines Theiles der Kirche zu schliessen. **) Die Kirche selbst ist zum Theil zu Gefängnissen verbaut, und schwer zugänglich; F. de Verneilh, der sich auf gleiche Forschungen anderer Archäologen beruft, hat sie jedoch untersucht und giebt nähere Nachricht.

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318 Aquitanien.


Fontévrault

Gunst dem neuen Kloster zuwendete, der grössere, monumentale Bau folgte. Er besteht aus einem Langhause von vier Kuppeln, deren Anordnung und Dimensionen denen

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319 Fontévrault.

der Kathedrale von Angoulême so sehr gleichen, dass sie von dorther entlehnt sein müssen, aus Kreuzarmen mit einer Concha auf der Ostseite und einem grösseren Chore. In diesen östlichen, offenbar erst nach der Mitte des zwölften Jahrhunderts entstandenen Theilen macht sich nun aber ein anderes System geltend, als in den übrigen Kirchen dieser Gruppe. Der Chor hat nämlich nach der nun schon in Frankreich vorherrschenden Weise eine innere Säulenstellung, einen Umgang um dieselbe und drei radiante Kapellen *). Da dieser Chorraum aber geringere Breite hat, als das Langhaus, so sind, um dies zu vermitteln, den östlichen Pfeilern des Langhauses zwei andere Pfeiler vorgestellt, welche jenem inneren Chorraume entsprechen und mit den Säulen des Chores für die Ueberwölbung der Vierung ein kleineres Quadrat bilden, als das, auf welchem die Kuppeln des Langhauses angebracht sind. Dies mag denn eine veränderte Behandlung der Kuppel an dieser Stelle herbeigeführt haben. Sie ist nämlich nicht mehr, wie alle übrigen bisher erwähnten, nach dem Vorbilde der Marcuskirche mit einem Gesimse versehen, welches der oberen Halbkugel zur Stütze dient, sondern bildet mit den Zwickeln, die von einer in die Ecken der Pfeiler gestellten Halbsäule beginnen, ein ungetrenntes Ganzes. Hiedurch entsteht eine Kuppel, deren Diameter die Diagonale des Grundquadrats, nicht die Seite desselben ist, die aber nicht mehr eine Halbkugel sondern einen kleineren Theil der Kugelfläche darstellt, mithin, obgleich auf grösserem Durchmesser angelegt, flacher ist. Dieser Unterschied ist ein sehr wesentlicher. Eine solche Kuppel ist technisch leichter herzustellen, und giebt in ästhetischer Beziehung ganz andere

*) Eine Abbildung dieses noch sehr alterthümlichen, an St. Denis, den Chor von N. D. in Sens u. a. erinnernden Chores bei Godard-Faultrier, l‘Anjou et ses monumens Vol. I.

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320 Aquitanien.


Fontévrault.

Wirkungen. Das horizontale Gesims ist beseitigt, die Wölbung steigt unmittelbar von der Pfeilergliederung auf, der verticale Zusammenhang tritt deutlicher hervor. Das Fremdartige jenes Kuppelsystems ist daher hier verschwunden, das Mittel gefunden, es dem bereits vorwaltenden Bestreben nach einer verticalen Durchbildung anzupassen. Diese veränderte und dem einheimischen Systeme mehr zusagende Kuppelart finden wir denn auch sofort noch weiter nach Norden hin. Sie überschreitet die Loire und kommt auf der Vierung des Kreuzes in St. Martin zu Angers *) und in St. Laumer in Blois ganz wie in Fontévrault vor. War man so weit gekommen, so lag es nahe, sie mit der nunmehr, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, im nördlichen Frankreich schon allgemein gewordenen Rippenwölbung zu verbinden. Diese Kuppeln waren, eben weil sie flacher lagen, nicht so stark wie jene byzantinische Kuppel; sie konnten daher nur gewinnen, wenn man sie mit Rippen unterzog. So finden wir sie daher schon nicht lange darauf in der nur wenige Stunden von Fontévrault entfernten Kirche St. Pierre

*) Kreuz und Chor sind dem später zu erwähnenden älteren Theile der Kirche im zwölften Jahrhundert angebaut.

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321 Einfluss der Schule von Périgueux.


Saumur.

von Saumur und zwar nicht bloss mit den vier diagonalen, sondern zugleich mit vier anderen senkrecht von den Scheiteln der Schildbögen zum Schlusssteine geführten Rippen, also mit der deutlichen Absicht, die Kuppel durch dies starke Doppelkreuz zu sichern. Auch hier ist es noch eine wirkliche Kuppel, aus horizontalen Lagen gebildet. Dies führte aber bald noch einen Schritt weiter; man musste nun leicht bemerken, dass man dieselbe Höhe und Breite der Wölbung erlangen konnte, indem man in gewöhnlicher Weise die Zwischenfelder der Rippen, als Kappen, mit schrägen, auf diesen Rippen ruhenden Steinlagen bedeckte. Die Kuppel war dadurch mit dem beginnenden Systeme des gothischen Baues verschmolzen. Und so finden wir sie denn in der Kathedrale St. Maurice von Angers, deren Langhaus schon in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, das Kreuzschiff aber erst um 1236 entstanden ist. Die Anlage dieser Kirche gleicht noch der jener Kuppelkirchen. Das Langhaus hat nur ein Schiff, mit drei gewaltigen, vollständig quadraten, 50 Fuss breiten, aber kuppelförmig aufsteigenden Kreuzgewölben; die Pfeiler, welche die Last dieser Gewölbe tragen, treten zwar schon grossentheils im Aeusseren als wirkliche Strebepfeiler hervor, sind aber doch noch im Innern stärker gehalten, als im gothischen Style; die Zwischenwände sind, ganz wie dort, mit Arcaden, dem

IV. 2. 21

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322 Aquitanien.

Gesims und den höher gelegenen Fenstern versehen. Das Kreuzschiff besteht aus drei etwas kleiner gehaltenen Quadraten, der Chor wird durch ein gleiches Quadrat und einen halbrunden Schluss ohne Umgang und Kapellenkranz gebildet. Diese Gewölbe des Kreuzschiffes und Chores sind aber nun nicht mehr, wie die des Langhauses, viertheilig, sondern mit acht Rippen versehen. Eine ganz ähnliche Wölbungsart, nämlich mit achttheiligen kuppelförmigen Rippengewölben, finden wir denn auch ferner, jedoch ohne sonstige Aehnlichkeit mit jenen Kuppelkirchen, in dem dreischiffigen Krankensaal und in der Kapelle des Hospitals St. Jean, so wie in den Kirchen St. Serge und Ste. Trinité in Angers, und in mehreren anderen Kirchen des Uebergangsstyles in den Provinzen Maine, Touraine, Anjou und Poitou *). Sie geht indessen nicht über die Gränzen hinaus, und verliert sich bei der Annahme des entschiedenen gothischen Styles. Bei der Nähe jener wirklichen Kuppelbauten und bei der Aehnlichkeit mit denselben, welche die Kirchen von Fontévrault und St. Maurice in Angers auch in der Anlage zeigen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch diese Wölbungsart eine freilich sehr mittelbare und abgeleitete Folge des italienisch-byzantinischen Styles von St. Front sei. Ja wir können vielleicht noch weiter gehen. In den nordfranzösischen Kirchen des gothischen Styles sind die Kreuzgewölbe, obgleich viertheilig, meistens durch eine Ueberhöhung des Bogenansatzes der Diagonalrippen sehr stark ansteigend **), so dass sie in der Wirkung einigermaassen

*) Inkersley a. a. O. S. 175, 178, 180, 202. **) Wie dies Willis in seinem Aufsatze über die Construction der Gewölbe im Mittelalter (Transactions of the Institute of british Architects, Vol. I Part. II, p. 1 ff., London 1842, und übersetzt in César Daly‘s Révue de l‘Architecture 1843, p. 3-14, 289-304) und Viollet-Ie-Duc in den Annales archéol. Vol. VI, p. 194 nachgewiesen haben und in der That der Augenschein lehrt.

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323 Einfluss der Schule von Périgueux.

den Kuppeln gleichen. In den englischen Kirchen dagegen sind die Kreuzgewölbe flacher, aber meistens ausser den Diagonalrippen, mit vier Scheitelrippen versehen, also achttheilig, was freilich bei dieser Wölbungsanlage nur eine Decoration ohne wesentlichen Nutzen für die Festigkeit des Gewölbes bildet. Diese englische Wölbungsart findet sich schon in dem von Heinrich II. 1163 begonnenen Chore der Kathedrale von Poitiers, und es ist nicht unmöglich, dass sie von dieser damals unter englischer Herrschaft stehenden Gegend nach England selbst übergegangen ist. So würden sich beide Länder gewissermaassen in die Eigenschaften jenes achttheiligen, rippenförmigen, kuppelähnlichen Gewölbes getheilt haben, und auch dem späteren gothischen Style noch eine Frucht aus der, durch die Episode von St. Front gegebenen Anregung erwachsen sein. Allein freilich ist dies mehr eine Ueberwindung und Aneignung jenes fremden Systems, als eine Unterwerfung unter dasselbe. Ueberhaupt erscheint aber auch hier, in dem einzigen Falle, wo erweislich byzantinische Formen durch italienische Vermittelung in Frankreich Eingang fanden, diese Einwirkung als eine sehr schwache *). Schon in St. Front selbst war nur die Construction, nicht die Decoration aus der Fremde entlehnt, und in den nächsten davon abstammenden Gebäuden blieb nur die Form der byzantinischen Kuppel

*) Anderer Meinung ist Viollet-le-Duc, der in seinem Aufsatze l‘art de batir en France in César Daly‘s Révue de l‘Arch. Vol. X dieser byzantinisirenden Schule (deren Entstehung er freilich mit Felix de Verneilh in das zehnte Jahrhundert setzt) eine sehr grosse Wichtigkeit beilegt, und ihr einen durch ganz Frankreich fortwirkenden Anstoss auf Ueberwölbung ganzer Kirchen zuschreibt. Wenn, wie es mir scheint, jenes frühe Datum von St. Front ganz unhaltbar ist, so fällt diese auch ohnehin mit der Baugeschichte des südlichen Frankreichs unvereinbare Hypothese in sich zusammen.

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324 Aquitanien.

übrig. Dass diese aber in so vielen Fällen Eingang fand, erklärt sich dadurch, dass sie im Vergleich mit dem Tonnengewölbe, das hier allein bekannt war, sich als eine vollkommenere, für die Zwecke kirchlicher Anlagen besser geeignete Wölbungsart empfahl. Sie modificirte zwar auch die Anlage der Kirchen, indessen kam ihr auch da der Gebrauch einer Gegend, in welcher einschiffige Kirchen nicht selten waren, zu Statten, und sobald sie endlich mit der günstigeren Gewölbeform, mit dem Kreuzgewölbe, in Conflict kam, verlor sie sofort ihre Eigenthümlichkeit, und ging mehr und mehr in dasselbe über. Ausserhalb des bezeichneten Districtes und der genannten Fälle verschwinden die Spuren dieses byzantinischen Elementes völlig. Zwar finden sich in Frankreich noch andere Kuppelbauten. Ein solcher ist z. B. Die Abteikirche von Germigny-les-près im Gebiete von Orléans *), ein Gebäude, das sich byzantinischen Anlagen mehr, wie irgend eines im Abendlande, nähert; denn es besteht aus einem quadraten Hauptkörper, welcher im Westen in eine Vorhalle, auf den drei anderen Endpunkten des Kreuzes in Conchen ausladet, und in seiner Mitte von vier Pfeilern in neun Gewölbefelder getheilt ist, deren mittleres eine Kuppel trägt, um die sich im griechischen Kreuze Tonnengewölbe lagern. Aber dieses Gebäude stammt, nach glaubhaftesten aller Inschriften **), aus der karolingischen Zeit. Auch die Kathedrale von Puy im Velai und mehrere Kirchen dieser Diöcese sind durchweg mit einer Art von Kuppeln bedeckt; allein diese Kuppeln sind ganz anders gebildet, von dafür

*) Vgl. César Daly, Révue de l‘Arch. Vol. VIII, pl. X und XI, und p. 113. **) Sie befindet sich nämlich in dem Mosaik der Chornische (dem einzigen Werke dieser Technik in Frankreich), und nennt den Abt Theodulph (um 806) als den Erbauer. Annal. Archéol. VI, p. 229.

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325 Einfluss der Schule von Périgueux.

bestimmten Quermauern getragen, und gehören nur in die Reihe der mannigfaltigen Versuche, welche die südfranzösischen Architekten machten, um der Last und Dunkelheit der Tonnengewölbe auszuweichen, von denen wir noch andere Beispiele kennen lernen werden. Aehniches findet sich in St. Hilaire in Angers und in der Stiftskirche von Loches, aber auch hier ohne jede Spur byzantinischer Einwirkung.

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Nach dieser Episode gehe ich zur weiteren Betrachtung der westlichen Provinzen über, deren architektonische Eigenthümlichkeiten sich am deutlichsten in dem nördlichsten Theile des alten Aquitaniens im Poitou (mit den Departements Vendée, deux Sèvres, Vienne), Anjou (Maine und Loire) und Touraine (Indre und Loire) zeigen. Auch in diesen westlichen Küstenländern war, wie in den südlichen, das fränkische Element weniger durchgedrungen, die römischen Traditionen erhielten sich daher auch hier mehr, als im Osten und Norden von Frankreich. Allein sie wurden durch den keltischen Nationalcharakter, der sich ja in der benachbarten Bretagne fast in seiner Reinheit erhalten hat, und auch hier nicht, wie an den Küsten des Mittelmeeres, durch den römischen Einfluss überwunden war, bedeutend modificirt. Er äussert sich besonders an dem ästhetischen Theile der Bauten, an ihrem Schmuck, während die technische und constructive Behandlung mehr auf römische Vorbilder hinweist. Eine Reihe zwar nicht sicher datirter, aber jedenfalls uralter, dem frühesten Mittelalter angehörender Gebäude, St. Martin in Angers (um 819), St. Jean in Poitiers, die Kirchen von Savenières und St. Généroux *), gleichen noch in vielen

*) Abbildungen von St. Martin, St. Jean und St. Généroux bei Gailhaband Vol. II, in Caumont‘s Histoire sommaire u. a. a. O.

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326 Aquitanien.

Beziehungen altrömischen Bauten. Das Mauerwerk ist aus regelmässig behauenen kleinen Steinen, die oft mit Ziegellagen wechseln, gebildet, oder es hat stellenweise schräge, gegen einander gerichtete Lagen, die man mit Aehren oder Fischgräten verglichen hat (opus spicatum, en arrêtes de poisson, herringbone work). Der Keilschnitt mit Steinen von wechselnder Farbe und die polychromen Verzierungen der Mauer kommen öfter vor. Auch die Kirchen des elften und zwölften Jahrhunderts entfernen sich weniger, als die burgundischen, von der antiken Tradition, und gleichen mehr den provenzalischen Bauten *). Einschiffige Kirchen sind häufig, auch bei dreischiffigen fehlen der Chorumgang und die Gallerien; Balkendecken kommen zwar einige Male vor, gewöhnlich aber Tonnengewölbe in Haupt- und Seitenschiffen, und zwar sind diese letzten so hoch, dass ungenaue Berichterstatter alle drei Schiffe als gleicher Höhe schildern können. Oberlichter fehlen daher auch hier, oder sind doch nur so vorhanden, dass sie sich nach den Seitenschiffen hin öffnen, nicht ins Freie gehen. Die Pfeiler sind meistens viereckig, mit vier anliegenden Halbsäulen, indessen kommen auch starke Rundsäulen oder Bündelpfeiler von vier Säulenstämmen vor. Das Kreuzschiff fehlt hier häufig, selbst in den grossen Kirchen von St. Radegonde und N. D. la grande in Poitiers. Der Chor ist zuweilen, auch in frühen Bauten, wie in England geradlinig geschlossen **), häufiger aber rund, in St. Radegonde von Poitiers ausnahmsweise in dieser frühen Zeit

*) Eine erschöpfende und umfassende Schilderung des Styles dieser Gegenden existirt noch nicht. Ausser einzelnen Façaden in den Werken von Alex. de Laborde, Chapuy u. a. und einzelnen Details in Caumont‘s Bull. Monum. VI. p. 318 ff., sind wenig Abbildungen publicirt, und Mérimée‘s Notes d‘un voyage dans l‘Ouest, und sein Text zu den Peintures de St. Savin noch immer als Quelle zu betrachten. **) So in St. Serge in Angers, S. Pierre in Poitiers.

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327 Poitou.

polygonförmig, selten mit radianten Kapellen versehen *) oder von Nischen auf der Ostseite des Kreuzes flankirt. Der Grundriss ist daher durchweg überaus einfach und wenig entwickelt. Die Thürme, die im übrigen Frankreich an romanischen Bauten meist viereckig sind, werden hier oft rund **) oder achteckig gebildet; der Hauptthurm steht auf der Mitte des Kreuzes ***), während die Façade nur von kleinen Treppenthürmchen flankirt ist. Die Kapitäle sind weder antiker Art, noch würfelförmig, haben dagegen häufig die Gestalt eines umgekehrten, abgestumpften Kegels ohne andere Verzierung, als eine kleine Volute unter dem Abacus. Der kannellirte Pilaster, in Burgund so häufig, ist hier unbekannt. Sehr eigenthümlich ist der plastische Schmuck, mit dem die Gebäude, besonders im Poitou und in Saintonge verschwenderisch und häufig, in den nördlichen Provinzen Anjou und Touraine wenigstens ausnahmsweise, ausgestattet sind. Der Styl dieser Plastik schliesst sich ebensowenig an den der Normandie, wie an den provenzalischen an. Mit jenem hat er zwar eine gewisse Neigung zur phantastischen Ueberladung gemein; aber während die normannische Ornamentation fast nur geometrische Muster, spröde und eckige Formen giebt, ist hier neben linearen, aber doch anders gestalteten Verzierungen das Volle, Runde, Schwellende vorherrschend. Die Gegenstände der Darstellung sind zwar den Sculpturen der Provence einigermaassen verwandt; menschliche Gestalten kommen hier wie dort vor, aus der Antike entlehnte Rankengewinde und Blätter finden sich auch in diesen aquitanischen Gegenden. Aber die Behandlung, der Sinn, der

*) In St. Hilaire in Poitiers, in St. Savin. **) An der Façade von N. D. la grande in Poitiers. ***) So in N. D. zu Poitiers, in Charroux, Parthenay, Loches, Airvault, Civray.

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328 Aquitanien.

sich darin ausspricht, ist völlig verschieden. Die menschliche Gestalt, welche dort zwar strenge und ernst, aber doch sauber, geregelt, mit feierlichem Faltenwurf, fast zu schlank erscheint, ist hier kurz, schwerfällig, mit vollen Formen und derben Bewegungen gegeben; die Ornamente, auch wo sie denselben Ursprung haben, sind hier so dicht gedrängt und mit so starker Ausladung, dass sie einen

Ruffec


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329 Poitou.


N. D. la grande, Poitiers.

Poitiers Notre Dame la Grande

ganz anderen Eindruck machen. In jenen südlichen Bauten sind Reliefs und vollere Ornamente meistens, wie in Italien oder in der Antike an flachen leeren Stellen angebracht; die Bögen sind ohne bedeutsame Zier, nur durch zarte Rundstäbe, ähnlich wie der antike Architrav, getheilt. Hier sind vorzugsweise die ausladenden Theile, die Gesimse, die Archivolten mit schweren, auffallenden Ornamenten, und zwar nicht bloss, wie in der Normandie, von linearer Zeichnung, sondern von Pflanzen und thierischen Theilen bedeckt. In der Provence herrscht eine antike Mässigung und Klarheit; die reicher verzierten Stellen sind durch einfachere, die bedeutungsvolle Plastik ist durch architektonische gesondert und eingerahmt, das Auge findet Ruhepunkte. Hier ist die ganze Façade von oben bis unten mit

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330 Aquitanien.

geheimnissvoller Sculptur bedeckt, die in gehäuften, horizontalen Abtheilungen zwischen den Arcaden kurzer, stark verzierter Säulenstämme, oder in besonderen, nach dem Zwecke einzelner Reliefs gebildeten Nischen und Medaillons zusammengedrängt, die überkräftigen Gliederungen der Portale und Fenster umgiebt, und selbst die Archivolten bedeckt. Wenn an den späteren Portalen der gothischen Architektur die Höhlungen der Bögen zu Statuetten benutzt sind, die unter Baldachinen gleichsam geschützt stehen, müssen sich hier auch die menschlichen Gestalten der Krümmung gut oder übel fügen. Bei der Unverständlichkeit vieler Gestalten *) und der wilden Verbindung menschlicher und thierischer Formen macht diese Façadensculptur den Eindruck eines phantastischen, schauerlichen Mährchens. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass äussere Gründe diesen Geschmack beförderten; der weiche Sandstein dieser Gegend bot sich zu plastischer Behandlung dar, und die nach dem Gebrauche des Südens thurmlose und breite Vorderwand der fast gleichhohen Schiffe bildete eine der Verzierung bedürfende Fläche. Aber immer ist die Art der Benutzung dieser Umstände für die Richtung dieser Gegend bezeichnend. Wir erkennen darin die höchste Steigerung des phantastischen Elementes, das allen Ländern in dieser Epoche gemein war. Die Gestalten der antiken Mythologie

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*) Häufig, fast an den meisten bedeutenderen Façaden, kommt die Gestalt eines Reiters mit einer unter dem Pferde liegenden Figur vor,

St. Hilaire de Melle Der siegreiche Ritter

dessen Deutung in den Verhandlungen der französischen Archäologen vielfach erörtert ist, indem einige darin die Darstellung des Landesherrn nach einem (vorausgesetzten) Lehnsgebrauche finden wollen, während Andere mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen Heiligen (z. B. St. Martin) vermuthen. (Vgl. Bull. monum. VI, 335; XI, 497 ff.) Allerdings würde dann aber wohl nur die ritterliche Liebhaberei des Jahrhunderts die so oft wiederkehrende Gestalt erklären. - Beispiele solcher Reiterfiguren finden sich an den Portalen von Civray, Parthenay-le-vieux, Airvault u. a.

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331 Poitou.

sind noch nicht vergessen, aber sie sind zu Schreckensbildern der aufgeregten Phantasie geworden, und drängen sich auf die Oberfläche des Lebens hervor.

Aulnay St. Pierre Ansicht von Westen

Die eigentliche Heimath dieses Façadenstyls ist das Poitou, wo N. D. la grande und S. Radegonde in Poitiers, die Kirchen von Civray, Parthenay, Thomars, Airvault, Lusignan merkwürdige Beispiele geben; doch ist er südlich besonders in die am Meere gelegene Provinz Saintonge (S. Marie des Dames in Saintes, St. Pierre d‘Aulnay, Ruffec) und in Angoulême, eingedrungen, wo die Kathedrale dieselbe Figurenfülle zeigt, jedoch schon in mehr geregelter Vertheilung, so dass die ganze Fläche mit ihren mannigfaltigen, in Arcaden, Nischen und Medaillons angebrachten Gruppen eine zusammenhängende Darstellung des jüngsten Gerichts erkennen lässt *). Weiter südlich in der benachbarten Diöcese von Bordeaux **) und wiederum nördlich im Anjou finden sich ähnliche Façaden nicht mehr, obgleich an Kapitälen und Friesen vielfach eine verwandte Neigung zu reicher und phantastischer Sculptur zum Vorschein kommt ***).

Saint Pierre de La Lande de Fronsac

Die meisten dieser Façaden

*) Abbildungen dieser Façaden, namentlich der von N. D. la grande in Poitiers finden sich überaus häufig, in Chapuy‘s Gailhabaud‘s Sammelwerken u. a. a. O. Wahrscheinlich ist das grosse romanische Fenster in der Mitte dieser Façade, welches mit der Anordnung der Gallerien nicht harmonirt, erst bei einer Aenderung entstanden. Thiollet (Leçons d‘Architecture, 1847) giebt eine nicht unwahrscheinliche Restauration der ursprünglichen Anordnung, nach welcher an Stelle jenes Fensters ein kreisförmiges stand, wodurch denn die darunter befindliche Gallerie gerade Raum genug erhält, um nicht bloss wie jetzt acht Apostel, sondern Christus und die zwölf Apostel aufzunehmen. Die Façade des Doms zu Angoulême ist bei de Laborde, die von Lusignan bei Willemin abgebildet. **) Bull. monum. VIII, 309. ***) Besonders zeichnet sich dadurch das Kloster St. Aubin in Angers aus (vgl. eine Sammlung von Friesen, Basen und Säulenstämmen aus demselben im Bull. monum. VII, 522, und VIII, 309).

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332 Aquitanien.

gehören dem zwölften Jahrhundert an, einige, wie namentlich die von Civray, schon der Frühzeit desselben, so dass man dies eigenthümliche Ueberwiegen des Plastischen als ursprünglich in dieser Gegend betrachten kann. Es brachte dem gothischen Style ein ihm zusagendes Element, die Vorliebe für eine reiche Mannigfaltigkeit, aber in solcher Weise entgegen, dass es erst gemässigt und geregelt werden musste. - In der Bretagne, welche, obgleich ihrer Lage nach zum Norden gehörig, ich hier erwähnen will, weil in ihr das keltische Element sich vorzugsweise erhalten hat, gehören fast alle mittelalterlichen Bauten dem spät gothischen Style an; die wenigen romanischen Ueberreste, die man hier vorfindet, wie die Kirche St. Gildas-de-Rhuys, welche einen Chor mit Umgang und drei Kapellen hat  *), die weiter unten zu erwähnende Rotunde zu Quimperlé und die Kirche zu St. Aubin de Guérande, deren Inneres ungeachtet der spätgothischen Umgestaltung des Aeusseren romanisch ist, sind überaus roh. Dazu mochte allerdings die Härte des Granits, der einzigen Steinart dieser Gegend, beitragen, aber der Mangel an romanischen Gebäuden beweist doch, dass die Blüthezeit dieser rein keltischen Provinz erst spät eintrat, dass ihre Entwickelung lange zurückblieb. Bemerkenswerth ist nur, dass hier wie in England, in den früheren Bauten die Rundsäule vorherrscht, und dass ungeachtet der Härte des Materials, Sculpturen, wenn auch überall rohe, hier wie im Poitou häufig und beliebt sind, ein Umstand, der uns in der Meinung bestärkt, dass beides dem keltischen Geiste zusagte und aus diesem Grunde in den verschiedenen Gegenden, wo er vorwaltete, Anwendung fand.

*) Inkersley a. a. O. p. 138 und 45. Die Bauzeit fällt in die Jahre 1008-1038 und ein südfranzösischer Mönch war als Meister dorthin berufen. Wahrscheinlich ist indessen das jetzt vorhandene Gebäude neuer.

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333 Baptisterien und Grabmonumente.

Nachdem wir die Eigenthümlichkeiten dieser Provinzen betrachtet haben, will ich noch einiger Gebäude von ungewöhnlichem Grundplan erwähnen, welche gerade hier ziemlich häufig vorkommen, und die man wegen ihrer auffallenden Gestalt für römische oder druidische Tempel oder gar für Bauten der Araber gehalten hat. Sie sind keinesweges ausländischen Ursprungs, sondern dem gewöhnlichen Cultus angehörig, im elften oder zwölften Jahrhundert erbaut, und haben bald vermöge ihrer Bestimmung als Grabmonumente oder Baptisterien, bald in Berücksichtigung örtlicher Umstände oder durch eine Laune ihres Stifters die ungewöhnliche Form erhalten. Ich stelle um nicht darauf zurückzukommen, die bekanntesten dieser Monumente aus dem ganzen Frankreich zusammen, ohne mich ängstlich an die Gränzen dieser Epoche zu binden. In der Provence findet sich hoch im Gebirge in dem Departement der unteren Alpen das Kirchlein von Rietz, ein Rundbau auf acht antiken Säulen, in der Umfassungsmauer mit acht Nischen *), vielleicht eine Taufkirche wie das Baptisterium bei der Kirche St. Sauveur in Aix, das bei ähnlicher Anlage ebenfalls antike Säulen hat.

Aix St. Sauveur Kreuzgang

Aix St. Sauveur Kreuzgang

Bedeutender ist die zu der ehemaligen Abtei Montmajour bei Arles gehörige Kirche St. Croix, ein grosser Rundbau, einem römischen Mausoleum ähnlich, vermittelst dreier Apsiden und einer Vorhalle ein griechisches Kreuz bildend, übrigens schmucklos, nur von einem Gesimse mit einem Eierstabe bekrönt. Eine alte Inschrift im Inneren der Kirche schreibt ihre Gründung Karl dem Grossen zu und bringt sie mit einem Siege, den er hier über die Araber erfochten haben soll, in Verbindung; da diese Grossthat eine dem provenzalischen Sagenkreise angehörige Fabel, und das Kirchlein

*) Vgl. Millin Voy. dans les dép. du midi de la France, Vol. III, und Fourtoul, l‘Art en Allemagne III, 148.

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334 Südfrankreich.

nach den vorgefundenen Dokumenten im Jahre 1019 gegründet ist, so ist diese Inschrift nur als das Beispiel eines Betrugs der Mönche, die ihrem Kloster dadurch Ansehen verschaffen wollten, bemerkenswerth *). Eher könnte die Kirche von Rieux-Mérinville bei Carcassonne an karolingische Zeit erinnern, weil sie einigermaassen dem Münster zu Aachen gleicht. Sie besteht nämlich aus einer auf Pfeilern ruhenden Kuppel und einem mit halben Tonnengewölben sich daran anlehnenden Umgange. Ungewöhnlich ist nur, dass die Zahl der inneren Pfeiler nicht, wie in Aachen und bei anderen ähnlichen Polygonbauten, acht, sondern sieben, und die der Seiten des Umgangs nicht sechszehn, sondern vierzehn beträgt. Eigenthümlich ist ferner, dass nur vier dieser Pfeiler viereckig, drei rund sind, und auf achteckigem Sockel stehen. Die mittlere dieser inneren sieben Arcaden ist reicher geschmückt als die anderen und führt zu einer Nische, welche als Chor diente. Die überaus zierliche Arbeit der Kapitäle verräth den Styl des zwölften Jahrhunderts **). Noch eigenthümlicher ist die Kapelle von Pradès im Roussillon. Der Körper des Gebäudes ist nämlich ein gleichseitiges Dreieck, dem in der Mitte jeder Seite eine halbkreisförmige Nische angebaut ist, so dass äusserlich die drei Nischen und die drei Spitzen des Dreiecks hervortreten und sich nirgends eine Façade bildet. Der Eingang ist in einer dieser Spitzen und der Chor in der gegenüberliegenden Nische. In der Mitte über den Nischen und Ecken hebt sich ein Rundbau, der wieder mit einer Kuppel geschlossen ist ***). Die Sage schreibt das Gebäude, offenbar ohne

*) Mérimée, Notes d‘un voyage dans le midi. S. 280 ff. **) Mérimée a. a. O. p. 421. Der Durchmesser des ganzen Gebändes ist 54, der der Kuppel 27 Fuss. ***) Ein Grundriss der Kirche findet sich in der Voyage dans ancienne France, Languedoc.

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335 Baptisterien und Grabmonumente.

Grund, den Arabern zu, es ist vielmehr eine, aber allerdings auffallende geometrische Spielerei mit verschiedenen in einen Kreis eingezeichneten Figuren. Hierher gehört ferner eine kleine runde Kirche bei Chambon in der Auvergne, ein Kuppelbau auf sechs Säulen, und die Kirche St. Michel zu Entraigues bei Angoulême, welche eine durch ein Rippengewölbe gebildete Kuppel hat und deren Aussenmauer aus acht an einander gereihten Conchen besteht *).

Montmorillon Oktogone

Montmorillon Oktogone

Grössere Aufmerksamkeit als diese Bauten hat die kleine Kirche von Montmorillon im Poitou erregt; Montfaucon **) hielt sie für einen Druidentempel, was ihm von Vielen nachgesprochen wurde, sie ist aber offenbar eine Grabkirche aus dem zwölften Jahrhundert. Sie steht auf dem Kirchhofe eines Hospitals, und hat zwei Stockwerke; unter der Erde eine kreisförmige mit einer Kuppel gedeckte Gruft, oberhalb eine achteckige, von spitzbogigen Arcaden gebildete und mit einer achteckigen Kuppel gedeckte Halle, deren Boden sich in der Mitte öffnet. Ueber der Thüre sind mehrere Relieffiguren, unter denen man einen Engel, eine nackte Frau mit Schlangen, eine andere mit Kröten an der Brust erkennt, welche ohne Zweifel, wie an anderen Orten, z. B. in Moissac, gewisse Todsünden, und nicht wie man sonst meinte druidische Gottheiten darstellten. Auf den Kapitälen erkennt man überdies Adam und Eva, Abrahams Opfer, kämpfende Männer, bei denen man die Beischriften Caritas und Amaricia (ohne Zweifel für Avaritia) liest ***). Ebenfalls im Poitou liegt die eigenthümliche Kirche von

*) S. d. Grundriss in Caumont‘s Abécédaire d‘Archéologie, 1. Ausgabe, S. 62. **) Antiquité expliquée Suppl. Bd. II, p. 219. ***) Gailhabaud, Lief. 180.

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336 Südfrankreich.

Charroux, jetzt eine Ruine. Sie hatte ein dreischiffiges Langhaus, an das sich aber statt der Kreuzschiffe und des Chors eine grosse Rotunde mit fünf, auf der östlichen Hälfte angebauten Nischen anschloss. In der Mitte dieses Rundbaues tragen acht, aus vier Säulenstämmen zusammengesetzte Pfeiler einen Thurm, unter dem der Altar stand, während zwei Säulenkreise um denselben einen doppelten Umgang bilden. Die strengen Formen der Details dieser eigenthümlichen Anlage lassen auf eine frühe Entstehung schliessen *). Die Abtei besass ein Stück des Kreuzes Christi und dies hat wahrscheinlich zu der beschriebenen Anlage, als einer Nachahmung der Grabkirche zu Jerusalem geführt. Endlich hat auch die Bretagne noch zwei solcher Rundbauten aufzuweisen. Die Kirche von Lanleff, jetzt ebenfalls eine Ruine, besteht wieder aus einer und zwar hier auf zwölf viereckigen Pfeilern mit angelegter Halbsäule ruhenden Kuppel und einem Umgange von doppelter Seitenzahl mit Halbsäulen und kreisförmigen Fenstern. Die Bögen sind rund, die Kapitäle überaus roh in Gestalt eines umgekehrten Kegels mit Thierköpfen auf den Ecken versehen. Die harten und schweren Formen geben diesem Monumente ein sehr alterthümliches Ansehen; es kann indessen sein, dass die Unvollkommenheit der Ausführung nur durch die Härte des dazu verwendeten Granits hervorgebracht ist und das Monument dennoch von den Templern, die solche Anlagen liebten, und mithin, da diese erst 1140 Aufnahme in der Bretagne fanden, aus so später Zeit herstammt **).

*) Mérimée. Notes d‘un voy. dans l‘Ouest. p. 407. Grundriss bei Caumont, Hist sommaire etc., Taf. 1, Nro. 12, und in grösserer Dimension bei Albert Lenoir, Architecture monastique Vol. I, p. 386. Die Anlage der Rotunde hat einige Aehnlichkeit mit S. Stefano rotondo in Rom und mit dem früher erwähnten Anbau an St. Benigne in Dijon. **) Wie dies die Meinung des einsichtigen Localhistorikers de la Monneraye ist (Bull. mon. XVI, p. 435). Vgl. auch Mérimée a. a. O. S. 130

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337 Baptisterien und Grabmonumente.

Der zweite Rundbau dieser Provinz, die Kapelle von St. Croix bei Quimperlé, erinnert einigermaassen an die gleichnamige Kapelle bei Montmajour, nur dass er nicht den edlen Charakter antiker Einfachheit, sondern schwere rohe Formen, wie sie in der Bretagne einheimisch sind, zeigt. Die Kuppel ruht auf vier gewaltigen Pfeilern, mit je vier angelegten Halbsäulen, an dem Umgange sind aber vier Nischen als Eingang, Chor und Kreuzarme angebracht. Die Sculptur der phantastischen Blätter und Thiere an den Kapitälen und die reicher ausgebildeten Details lassen vermuthen, dass dieser Bau nicht, wie man früher angenommen, aus dem Jahre 1029, sondern erst aus dem Anfange des zwölften Jahrhunderts stammt *). An diese Rundbauten reihen sich dann einige Kirchen des Templerordens, welcher bekanntlich, offenbar in Erinnerung an die Grabeskirche zu Jerusalem, die runde Form der Kirchen und Kapellen vorzog. Dahin gehört die Templerkirche in Metz, ein unregelmässiges Achteck mit einem halbrunden Chor mit acht Nischen im Inneren, so dass das Ganze eine ovale Gestalt annimmt, und die Templerkirche in Laon, ebenfalls achteckig mit einer kleinen Vorhalle und einer halbrunden Apsis **). Beide können jedoch, da die Niederlassungen des Templerordens auch hier in das zweite Viertel des zwölften Jahrhunderts fallen, nicht früher entstanden sein; ihre Formen weisen sogar auf die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts hin. Endlich sind hier einige kleinere Gebäude zu erwähnen, die man besonders im westlichen Frankreich findet, die s. g.

*) Vgl. Mérimée a. a. O. p. 209, mit den Bemerkungen in Caumont‘s Bull. monum., Bd. XV. p. 527. **) Eine Ansicht des Aeusseren im Bulletin monumental von Caumont. Vol. XVII. p. 237.

IV. 2. 22

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338 Südfrankreich.

Todtenleuchten (Laternes des morts), kleine Thürme, welche man auf den Kirchhöfen erbaute, um sie aus einer ehrfurchtsvollen Rücksicht für die dort Ruhenden Nachts zu beleuchten *). Sie stehen auf Stufen, haben an ihren Fusse oft einen zu Todtenmessen gebrauchten Altar und pflegen ungefähr dreissig Fuss hoch zu sein. Sie sind rund oder viereckig, manchmal auch mit wirklichen Kapellen verbunden, von deren Dach dann erst das Leuchtthürmchen aufsteigt. Die berühmteste Kapelle dieser Art ist auf dem Kirchhofe zu Fontévrault **). Man sieht an diesem Beispiele, wie die mannigfachen kirchlichen Bedürfnisse einer frommerregten Zeit den baulichen Unternehmungsgeist zu neuen Erfindungen anregen und eine weitere Entwickelung der Baukunst vorbereiten konnten.

*) Ihre Bedeutung war nach Petrus venerabilis (ϯ 1156): ob reverentiam fidelium ibi quiescentum totis noctibus fulgore locum illum illustrare. Vergl. Caumont, Antiquités, Band VI. **) Abgebildet u. a. Bei Gailhabaud, Monumens anciens et moderned, und in Godard-Faultrier, l‘Anjou et ses monuments.




St. Hilaire de Melle

Saint Antonin Noble Val

Talmond Sur Girone Sainte Radegonde

Carennac St. Pierre Narthexportal

Abtei St. Martin du Canigou

Saint Michel de Cuixa Kreuzgang Nordostecke

Saint Michel de Cuixa

Sainte Marie de Fontfroide

Abbaye Sainte Marie d‘Arles sur Tech

Cathedrale Notre Dame de l‘Assomption de Lescar

Abbaye de Montmajour

Senanque Abbey

Silvacane Abbey

Moustiers Sainte Marie Notre Dame de l‘Assomption



Inhalt der zweiten Abtheilung des vierten Bandes. (Auszug) Viertes Kapitel

Romanische Schulen im südlichen und westlichen Frankreich S. 242 Provenzalen und Franken. 245. Gemeinsames der südfranzösischen Architektur. 249. Literatur der französischen Kunstgeschichte. 253. Provence. Umfang dieses Bezirks. S. 254. Allgemeine Charakteristik der Bauten. 255. Antike Ornamentation, N. D. des Domes in Avignon u. a. 258. St. Trophime in Arles und St. Gilles. 259. St. Paul trois-chateaux u. a. 261. Diöcese Lyon. 262. Die romanische Schweiz. Romainmotier. S. 263. Grandson. 264 Payerne. 265. N. D. de Valère. 266. Verwandtschaft der Ornamentation mit der im Elsass. 267. Auvergne. N. D. du Port zu Clermont-Ferrant. S. 268. Issoire, Orcival, Brioude u. a. 272. Einfluss des Styles der Auvergne in der Provence, Kathedrale von Valence. 275 Languedoc. Allgemeine Charakteristik des einheimischen Styles. S. 276. Abteikirche zu Conques. 277. St. Sernin *) zu Toulouse. 279. *) Ich benutze diese Gelegenheit, um nachzutragen, dass diese Kirche von Einigen auch St. Saturnin genannt wird. Mérimée, Midi, S. 429. Burgund. Antike Reminiscenzen, aber mit vorherrschend constructiver Tendenz. S. 282. St. Benigne in Dijon. 284. St. Philibert in Tournus, Beispiel transversaler Wölbung. 287. Paray-le-Monial und Vézelay. 290. Cluny. 293. Kathedrale von Autun. 296. Kathedrale von Langres u. a. 298. Aquitanien. Moissac. 303. St. Front zu Perigueux und andere byzantinisirende Kuppelbauten. 305. Kathedrale von Cahors u. a. 315. Boschaud und Kathedrale von Angoulême. 316. Fontévrault. 317. St. Pierre zu Saumur. Uebergang der Kuppel in das Kreuzgewölbe. 321. Poitou. Römische Technik. S. 325. Charakteristik des Styles. 326. N. D. la grande zu Poitiers u. a. 331. Bretagne. Seltenheit romanischer Kirchen. 332. Rund- und Polygonbauten in Frankreich, St. Croix zu Montmajour, u. a. S. 333. Rieux-Mérinville und Pradés u. a. 334. Montmorillon. 335. Charroux und Lanleff. 336. Templerkirchen 337. Lanternes des morts. 338.


Verzeichniss der Abbildungen der zweiten Abtheilung des vierten Bandes. (Auszug)

38. Querdurchschnitt von N. D. Du Prot in Clermont-Ferrand S. 251 u. 270 39. Kapitäl und gebälk von N. D. Des Domes in Avignon S. 259 40. Innenansicht von N. D. Du Prot in Clermont S. 271 41. Choransicht von St. Sernin in Toulouse S. 280 42. Grundriss der Rotunde von St. Benigne in Dijon S. 285 43 Durchschnitt von St. Philibert in Tournus S. 288 44. Grundriss der Klosterkirche von Cluny S. 294 45. Travée der Kathedrale zu Autun S. 297 46. Porte d‘Arroux zu Autun S. 298 47. Portal aus Sémur S. 301 48. u. 49. Aussenansicht und Grundriss von St. Front in Périgueux S. 305 50. Innenansicht derselben Kirche S. 308 51. Grundriss der Kirche von Fontévrault S. 318 52. Durchschnittsfragment dieser Kirche S. 320 53. Desgleichen von St. Pierre zu Saumur . 321 54. u. 55 Fragmente des Portals von Ruffec (Bitou) S. 328 56. Fragment der Façade von N. D. La grande in Poitiers S. 329



Quelle: Dr. Carl Schnaase. Geschichte der bildenden Künste. Vierter Band. Zweite Abteilung. Zweiter Band. Das eigentliche Mittelalter. Zweite Abtheilung. Düsseldorf. Verlagshandlung von Julius Buddeus 1854 S. 242 – 338

Die Quelle wurde durch Fotos von Studienreisen Otto Kruggels nach Frankreich ergänzt.




Gottfried von Lücken: Burgundische Skulpturen des XI. und XII. Jahrhunderts

BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

Mit 43 Abbildungen auf Tafel 27-47 Von GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

Während wir die Entwicklung der romanischen Malerei vom weichen plastischen Stil des ausgehenden 11. Jahrhunderts zum flächenhaft dekorativen der Mitte des 12. und von da an zum malerisch aufgelösten der Jahrhundertwende, dank des reichen Materials, das wir an Miniaturen besitzen, in vielen Schulen verfolgen können, sind wir in der Plastik nicht so glücklich. Hier taucht ein Stil meist auf, ohne daß wir uns über Vorstufen und Nachwirkungen klar zu werden vermöchten. Nur in drei Landschaften, in Sachsen, im südwestlichen Frankreich (in der Umgegend von Toulouse) und in Burgund haben wir genügend Denkmäler, um auch in der Plastik die Entwicklung in einer längeren Reihe verfolgen zu können.

 

Wenn im folgenden versucht wird, die Entwicklung der romanischen Plastik in Burgund zu schildern, so kann es sich dabei nur um eine Skizze handeln, denn zu einer abschließenden Darstellung, wie sie dem Verfasser vor Jahren vorschwebte, wäre ein langer Aufenthalt im Lande und nochmalige Untersuchung aller Denkmäler nötig, was heute unmöglich ist. 1)

 

I.

 

Der Beitrag Burgunds zur Kunst der karolingischen und ottonischen Zeit scheint sehr gering gewesen zu sein. Selbst als in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Architektur sich durch den Bau des Wilhelm von Volpiano in Dijon und durch die Kirchen von Tournus und Cluny zu einer gewissen Bedeutung erhob, bleibt die Plastik merkwürdig schwerfällig und befangen. Die Kapitelle der Krypta von St. Bénigne in Dijon, des einzigen Teils, der sich vom Bau des Wilhelm noch erhalten hat, zeigen in der Skulptur noch unentwickelte Formen. Bei den Blattkapitellen ist die Zeichnung meist nur eben eingeritzt, so daß die plastische Form kaum herauskommt (Congrès Archéologique de France 1907 S. 486 Tafel) und wo Figürliches behandelt ist, ist dieses in breiter ungefüger Formengebung herausgeholt, wie jenes absonderliche Ungeheuer, dessen Gestalt kaum zu deuten ist oder das Kapitell mit den breit und schön modellierten Vögeln (Congrès Archéologique 1907 S. 488 Tafel; Lasteyrie, Architecture romane Fig. 139f). Diese figürlichen Dinge sind von schwerem und schleppendem Charakter. Plump und massiv ist die ganze Formengebung und von harter Primitivität.

 

Bis in das letzte Drittel des Jahrhunderts bleiben diese Kapitelle von St. Bénigne der einzige uns erhaltene Versuch, Dinge in breiterer Körperlichkeit wiederzugeben. Überall sonst, in Tournus (Congrès Archéologique 1907, 486).

 

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1) Michel Histoire de l‘art I2 434. Lasteyrie, L‘architecture en France à l‘epoque romane 423, Deschamps, Gazette des beaux arts 1922 II 61. Kinsley Porter, Gazette des beaux arts 1920 II 73. Kinsley Porter, The romanesque sculptures of the pilgrinage Roads. Bd. II Burgundy and Terret, La sculpture bourguignonne waren dem Verfasser nicht zugänglich.

 

 

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104 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

Charlieu Kreuzgang (Thiollier, Art roman à Charlieu), Auxerre und Nevers (Viollet le Duc, Dictionnaire raisonné de l‘architecture II 284), Châtel Censoir (Lasteyrie, Architecture romane Fig. 629) und sogar noch in Souvigny finden wir eine ganz flächenhafte Kapitellornamentik.

 

Es ist hier in Burgund wie überall im 11. Iahrhundert. Trotz der starken plastischen Gesinnung, die die ottonische Kunst dort zeigt, wo sich Bronzeguß oder Malereien erhalten haben, kommt man in der Steinbildhauerei nicht über ganz primitive Gestaltungen hinweg. Man spürt ja bei einzelnen Kapitellen von St. Bénigne ganz deutlich den Willen zu körperhafter Formengebung wie bei dem unbeholfenen Körper des Ungeheuers mit seinen starken Rundungen. Aber es bleibt bei solchen ungefügen Arbeiten.

 

Erst aus dem Ende des Jahrhunderts, in dem der plastische Drang der ottonischen Zeit im allgemeinen zu flächenhafter Erstarrung übergeht, haben sich in Burgund auch größere Werke erhalten. In den Skulpturen des Chors und Querschiffs der Kirche von Anzy le Duc tritt uns ein ausgeprägt plastischer Sinn entgegen. Schon die korinthischen Kapitelle an den Vierungspfeilern (Abb. 7) und der Hauptapsis zeigen das.

 

Abb. 7

 

Jedes Blatt ist als Einzelkörper behandelt und tritt massiv aus dem Kern des Ganzen hervor. Die äußeren Umrisse sind jedesmal scharf markiert, die Innenzeichnung dagegen ist nur leicht angegeben. Infolgedessen legt sich das Blattwerk nicht mehr teppichartig über den Block des Kapitells. Die einzelnen Blätter, ebenso die einigemal vorkommenden Rosetten und Voluten, haben ihr eigenes Leben und schichten sich zu einem struktiven Aufbau. Und ähnlich ist es auch bei den figürlichen Kapitellen. Vor einer der Nebenapsiden haben wir ein Adlerkapitell: in jeder Ecke ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln, die Fänge auf den unteren Wulst aufgesetzt, den Leib mit schwacher Innenzeichnung sich weit vorwölbend. In gleicher Weise sind auch die Löwenkapitelle gebildet (Abb. 3).

 

Abb. 3

 

In ganz starker Plastik sind die Körper vorgetrieben. Von der glatten Oberfläche aus geht der Kontur in schroffem Übergang in die Tiefe. Dadurch erhalten die etwas unbeholfenen Figuren ein betontes Relief.

 

Die lebendige Wucht der körperlichen Wiedergabe tritt uns mit besonderer Intensität an einem Kapitelle mit menschlichen Gestalten entgegen (Abb. 2).

 

Abb. 2

 

In der Mitte breitet einer seine Arme zum Abbakus hin aus. An den Ecken sitzen Gestalten mit einem an das Bein angelegten und einem aufgestützten Arm. Bei diesen gedrungenen Figuren mit ihren übergroßen Köpfen und den nach vorn vordrängenden, runden Gliedmaßen tritt uns die ganze körperliche Ausdruckskraft dieses Stils entgegen. Sehr ähnlich behandelt finden wir noch ein Kapitell mit dem Kampf zweier Männer (Abb. 1) und ein anderes mit Flußgöttern (Abb. 5).

 

 

Abb. 1

Abb. 5

 

Überall die gleiche sehr schwere, massive Formgebung mit stärkster Herausarbeitung der Körperlichkeit.

 

Die weitere Entwicklung des Stils in Burgund können wir im Langhaus zu Anzy le Duc und einer Reihe verwandter Kirchen verfolgen. Die enge Verwandschaft der Ornamentik aller dieser Bauten -- es sind die Kirchen zu Charlieu, Mont St. Vincent, Gourdon, Toulon sur Arroux, Bois Ste. Marie,

 

 

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105 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

Issy I‘Evêque, St. Pierre le Moutier und Teile von La Charité und Vézelay – ist an anderer Stelle (Anfänge der burgundischen Schule 29ff.) nachgewiesen worden. Ebenda (25, 32) ist auch der Nachweis geführt, daß zwischen dem Querschiff und dem Langhaus von Anzy le Duc architekturgeschichtlich ein Schnitt liegt. Das gleiche lehrt auch eine Betrachtung des Stils der Kapelle. Vergleichen wir etwa 2 korinthische. Eine allgemeine Verwandschaft ist bei den groß und derb umrissenen einzelnen Blättern ja unverkennbar. Aber die Rippen der einzelnen Blätter sind im Langhaus nicht wie im Querschiff grob durch eingeritzte gleichartige Linien gegeben, sondern die Innenzeichnung der Blätter ist differenzierter geworden. Die Rippen liegen teilweise erhaben auf, teilweise sind sie eingeritzt, dazwischen sind Löcher eingebohrt. Die Behandlung der Oberfläche ist viel lebendiger. Das einzelne Blatt hebt sich nicht mehr so sehr gegen den Grund ab; eine gleichmäßige Plastik belebt das ganze Kapitell. Dadurch ist der Einzelform etwas von der plastischen Aufdringlichkeit genommen, die sie im Querschiff hatte.

 

Die starke plastische Wucht des Stiles der vorangehenden Epoche läßt überall nach. Neben den oben betrachteten Ringern der Ostteile von Anzy le Duc erscheint die gleiche Darstellung in St. Pierre le Moutier flächenhaft (Abb. 6).

 

Abb. 6

 

Man vergleiche vor allem die beiden linksstehenden Gestalten miteinander. Die Beine, die sich in Anzy le Duc hintereinander in die Tiefe abbauen, liegen in St. Pierre le Moutier in der vorderen Ebene. Ebenso ist der Oberkörper hier weit flächenhafter. Man hat in St. Pierre den Eindruck, als seien die ganzen Gestalten in eine Fläche geplättet.

 

Überall sehen wir bei diesen Kapitellen, wie die primitive Stärke plastischer Gestaltung sich etwas mildert. Die Gestalten auf den figürlichen Kapitellen haben eine Leichtigkeit und Schlankheit (Abb. 4), die in stärkstem Gegensatz steht zu der Derbheit und Gedrungenheit der früheren Zeit.

 

Abb. 4

 

Es ist eine Kunst von etwas dürrer und trockener Art. Die Köpfe und das Blattwerk bei einem Kapitell von Anzy le Duc, zu dem sich in fast allen Kirchen dieser Stufe Analogien finden (Anfänge der burgundischen Schule Taf. 13, 14), sind in einer merkwürdig geradlinigen und schematischen Weise wiedergegeben.

 

Größere Skulpturen haben wir bei den Kirchen unserer Gruppe an den Tympana von Charlieu, Anzy le Duc und Mont St. Vincent. Letzteres (Bulletin Monumental 1910, 290) ist jedoch so verwittert, daß es für eine künstlerische Betrachtung kaum mehr in Betracht kommt.

 

Das Tympanon der Kirche von Charlieu (Abb. 8), von einfachen Abtreppungen, ohne Wülste umrahmt, gibt im Hauptfeld einen auf einem Thron sitzenden Christus mit segnender Rechten und auf das Buch gestützter Linken, der in der Mandorla von 2 stehenden Engeln getragen wird. Auf dem Türsturz sind in Arkaden sitzend die 12 Apostel dargestellt.

 

Abb. 8

 

Stilistisch gehört dieses Tympanon ganz an den Anfang der hier behandelten Skulpturen. Die Kapitelle der Säulen, die die Archivolten tragen, weisen mit der groben, kräftigen Formung des Blattwerks noch in die Nähe der Vierungskapitelle von Anzy le Duc. Und auch die ganze Formengebung der Figuren des

 

 

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106 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

Tympanon, bei denen neben dem klar und derb gegebenen Umriß die innere Form etwas leer bleibt, erinnert an die Frühstufe, wenngleich die Unterschiede nicht zu übersehen sind. Das Überquellende, das wir bei der plastischen Gestaltung in den Ostteilen von Anzy le Duc verfolgen konnten, hat hier einer gewissen Glätte des Modellierens Platz gemacht. Die derben Proportionen sind schlanker geworden. Die Gewandfalten, dort etwas kräftig und dekorativ eingehauen, sind hier sorgsam beobachtet und legen sich in geplätteten Zügen. Die Säume verlaufen in regelmäßigen Treppenmustern. Die ganze Komposition ist behutsam in den vorhandenen Raum verteilt. Wir haben eine etwas mühsame, nüchterne Arbeit. Nicht ohne Stärke, aber ohne Schwung.

 

Das Tympanon des Westportals von Anzy le Duc (Abb. 9) zeigt auf der Rückseite den gleichen Blattfries wie das eben betrachtete (Anfänge der burgundischen Schule Taf. 7) in sehr ähnlicher Ausführung, so daß man fast an den gleichen Meister denken möchte.

 

Abb. 9

 

Dennoch sind im Tympanon die Unterschiede sehr groß. In gleicher Weise wie in Charlieu wird zwar ein in einer Mandorla thronender Christus von zwei Engeln getragen. Auf dem Türsturz dagegen finden wir nicht wie in Charlieu die Apostel in Arkaden sitzend, sondern zu beiden Seiten der Madonna stehend; Petrus am Schlüssel erkennbar, die übrigen mit Büchern in aufgeregten Haltungen, teilweise die Hände erhoben, wie bei den Himmelfahrtsdarstellungen üblich ist. Der auch in Charlieu vorkommende Typus des von Engeln getragenen thronenden Christus ist also hier mit einer Himmelfahrtsdarstellung vermischt.

 

Auch im Stil, besonders an den Falten, sehen wir, wie sich die harte Regelmäßigkeit der vorangehenden Epoche lockert. In überreicher Fülle schlängeln sich auf dem Türsturz die Gewandsäume der Gestalten, und vor allem bei der Maria zieht sich ein Gerinnsel dünner Falten über den ganzen Körper. Besonders nahe muß es natürlich liegen, die gleichen Darstellungen der beiden Hauptfelder miteinander zu vergleichen. Überall merken wir, wie Bewegung in die jüngere Darstellung kommt. Der Faltenwurf bei Christus hat nicht mehr das Schematische. Der Bausch zwischen den Knien legt sich freier, und vor allem haben die Falten um die Schultern ein ganz anderes Leben und legen sich in breiten unregelmäßigen Massen. Ähnlich ist es auch bei den Engeln; wir finden nicht mehr das etwas leblose Dastehen und Halten der Mandorla wie in Charlieu; sie scheinen sich gegen die Mandorla zu stemmen und wenden den Oberkörper rückwärts. Die ganze Faltengebung hat mehr Fluß. Die Gewänder liegen nicht mehr wie bei den Engeln in Charlieu leblos auf, sondern fallen in langem Zug.

 

Die Archivoltenfiguren, die das Tympanon umgeben, und die Kapitelle der Säulen zeigen einen weit vorgeschritteneren Stil und haben uns hier nicht zu beschäftigen.

 

Den gleichen Stil wie unser Tympanon hat auch die große Gerichtsdarstellung vom Hauptportal der Kathedrale von Mâcon 1).

 

Abb. 10

 

Das ganze Feld (Abb. 10) ist in 5 Streifen eingeteilt; in der Mitte der beiden obersten befindet sich Christus in

 

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1) Mémoires de la société Edouenne 1891, 213.

 

 

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107 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

der Mandorla von Engeln getragen. Auf beiden Seiten des Richters im obersten Streifen Seraphimen in Wolken, im 2. die 12 Apostel. Den 3. Streifen nehmen die 24 Ältesten ein, den nächsten die Auferstehenden, während auf dem untersten rechts Verdammte, von Michael in das Höllentor getrieben, andere den Richter anflehend, links die Seligen dargestellt sind.

 

Das korinthische Kapitell mit seinen derb gezeichneten Blättern erinnert sehr an gleiche Bildungen unserer Stufe. Auch der Stil der Falten hat manches Verwandte mit dem Tympanon von Anzy le Duc. Ähnlich wie beim Christus dort legen sich die Falten in dickem Bausch den sitzenden Figuren zwischen die Beine, und besonders läßt der Michael des untersten Streifens an die Mandorla tragenden Engel in Anzy le Duc denken. Wie die langzügigen Falten sich über das Knie und vom vorgestreckten Oberschenkel aus nach hinten ziehen, das ist das gleiche hier wie dort.

 

Von kleineren Skulpturen gehören noch die Tympana von Mars sur Allier und Meillers (Allier) und der Türsturz von Châteauneuf unserer Epoche an.

 

Zwei von den Bauten, die Skulpturen unseres Stils zeigen, sind datiert: die Kirche von La Charité sur Loire 1087–1107 1) und die Kirche von Charlieu 2) 1094 geweiht. Wenn die Quelle, die uns diese letzte Weihe überliefert, auch nicht ganz erstklassig ist, so stimmt der Stil des Tympanon von Charlieu doch so gut zum Ende des 11. Jahrhunderts, daß man dieses Datum gern annehmen möchte. Denn den gleichen plastischen Stil mit den weit vorgetriebenen Gesamtformen und der spärlichen Innenzeichnung finden wir auch sonst am Ende des 11. Jahrhunderts. Vergleichen wir beispielsweise die durch den Grabstein des Abtes Durandus 1072 oder 1073 und die Bauinschrift 1106 3) datierten Skulpturen von Moissac oder die ihnen verwandten vom Chorumgang der Kathedrale von Toulouse 4) mit unserem Relief, so wird ohne weiteres klar, wie stark sich der Zeitstil hier und dort ausprägt. Die spärlichen Falten, die sich etwas schematisch erstarrt und linienhaft über die breit vorgewölbten Körperformen legen und die ganze plastische Auffassung lassen die tolosaner und die burgundische Schule so verwandt erscheinen, wie das Werke der gleichen Zeit sein können, wenngleich die tolosaner Schule bei aller Schwere eine weit größere Stärke des Ausdrucks hat als die etwas nüchterne und befangene burgundische Weise. Im ganzen mutet uns neben der starken Prägekraft der tolosaner Kunst die burgundische Plastik der Jahrhundertwende etwas lahm und provinziell an.

 

II.

 

Das ändert sich im Laufe des 12. Iahrhunderts. Wenn wir von den eben betrachteten burgundischen Skulpturen aus vor das Haupttympanon der Kathedrale

 

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1) Gallia christiana XII 404, Labbe nova bibliotheca I 396, Bouquet Recueil XIV 72, 120.

2) Mémoire manuscrite des Bénédictins contre le moine Dupont 3. Zitiert bei Desevelignes, Histoire de Charlieu 21.

3) Mémoires de la société des Antiquaires de France 64 Taf. 10. Rupin, L‘abbaye et les cloîtres de Moissac. Lasteyrie, L‘architecture romane en France 640.

4) Lasteyrie, L‘architecture romane en France 640f.

 

 

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108 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

von Autun treten, so scheint sich eine ganz neue Welt aufzutun. Hier ist nichts mehr von der alten Schwerfälligkeit und Breite. An die Stelle der derben, nüchternen Formen treten die raffiniertesten und verfeinertsten Wirkungen. Eine ganz neue Kraft des Ausdrucks und der Gesten setzt hier ein (Abb. 18).

 

Abb. 18

 

Schon äußerlich haben wir hier Dimensionen, wie sie das romanische Relief nur selten erreicht hat 1). Das Portal dehnt sich so weit wie nur möglich über die ganze Breite des mächtigen Mittelschiffes aus, und die Öffnung ist so weit geworden, daß man die Mitte des Tympanon mit einem Pfeiler stützen mußte.

 

Christus in doppelter Lebensgröße thront mit nach unten ausgebreiteten Händen, wie das bei frühen Gerichtsdarstellungen üblich ist, die ganze Höhe des Hauptfeldes einnehmend in einer von 4 Engeln getragenen Mandorla. Über ihm Sonne und Mond. Mitten durch das Feld zieht sich eine Zwergarkatur, auf der rechts vom Richter die Madonna, links zwei Apostel sitzen. Darunter sehen wir links neben einer Heiligen den Erzengel Michael die Seelen wägend 2) Kleine Seelen klammern sich an seine Kleider, während der niedergehenden Wagschale 2 Seelen entsteigen. Bei der anderen hochschnellenden Schale greifen 2 Teufel mit gräßlichen Grimassen ihre Opfer, und einer von ihnen sucht die Schale herunterzuziehen. Hinter ihnen wirft ein Teufel Seelen in den Höllentrichter, während ein anderer aus dem Höllenrachen heraus einige Verdammte greift. Zur Rechten Christi sehen wir acht langgekleidete Gestalten, meist mit Heiligenscheinen und dahinter als Phantasiearchitektur in der Luft schwebend die Stadt der Seligen, aus deren Arkaden die Erwählten herabblicken, während einer von einem Engel in die Höhe gehoben, ein anderer von Petrus an die Hand gefaßt wird. Am Rande des unteren wie des oberen Frieses bläst je ein Engel in eine mächtige Posaune. Auf dem Türsturz ist die Auferstehung der Toten wiedergegeben. Neben einigen auf das jüngste Gericht bezüglichen leoninischen Versen trägt die Darstellung eine Künstlerinschrift: „Gislebertus hoc fecit“.

 

Neben der Ausdruckskraft des Tympanon von Autun scheinen die burgundischen Skulpturen der vorangehenden Epoche von fast bäurischer Schwere. Alle Körperlichkeit, die jenen Werken anhaftete, ist hier überwunden. Die Proportionen sind so gestreckt, daß jeder plastische Eigenwert der Gestalten aufhört. Die Falten legen sich so dicht wie ein Gewebe über den Körper. Sie schlingen alle Glieder, ihre Unterschiede verwischend, in ein gleichmäßiges rhythmisches Strömen ein. Über Knie und Schultern legen sich oft konzentrische Kreise, von denen aus sich die Falten langzügig strecken. An anderen Stellen schichten sie sich fächerförmig ineinander oder wirbeln an den Säumen in reichen Linien einher. Die Falte führt ihr eigenes Leben, ganz unabhängig von der dahinterliegenden Gestalt und dem Charakter des Stoffes. Die Körperform wird zur Nebensache. Es ist alles rhythmischer Ausdruck und Geste.

 

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1) Breite des Tympanon 7,35 m. Solche Dimensionen kommen in romanischer Zeit außer in Burgund nur in Südwestfrankreich vor.

2) Über die Seelenwägung: P. Jessen, Darstellung des Weltgerichts bis auf Michelangelo 16f. v. d. Mülbe, Darstellung des Jüngsten Gerichts a. d. rom. und got. Kirchenportalen Frankreichs 74.

 

 

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109 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

Durch die starke Höhensteigerung verlieren die Figuren alles Beharren in sich. Dafür erreicht die Gebärde unerhöte Ausdruckskraft. Die hochgetriebenen Gestalten scheinen nur in einer einzigen Geste zu existieren. Wie die Verdammten in angstvoll gekrümmter Kurve dargestellt sind, wie die Seligen mit aufwärts erhobenem Kopf nach oben streben, wie der Teufel in konvulsiver Haltung und mit verzerrten Fratzen die Verdammten mit knochigen langen Armen packen, oder wie die Engel seitwärts gewandt mit aller Macht in die Hörner blasen, das alles ist von höchster expressiver Wucht.

 

Bei diesen Gestalten mit der mächtigen Streckung der Leiber ist alles Bewegung. Die Freude an der beharrenden Gestalt, die die Kunst des ausgehenden 11. Jahrhunderts in Burgund beherrschte, ist überwunden. Hier ist alles Linienfluß und deklamatorische Geste. Die Körper und Gewänder sind völlig entmaterialisiert und zu Ausdruckswerten geprägt.

 

Welche Kluft zwischen der Kunst des Tympanon von Autun und der vorangehenden Stufe der burgundischen Plastik besteht, wird am besten bei einem Vergleich des Christus von Autun mit dem von Charlieu klar (Abb. 18, 8).

 

 

Abb. 18

Abb. 8

 

Ganz gedrungen und massiv ist die Gestalt in Charlieu, sie sitzt breit und mit auseinander genommenen Knien fest auf ihrem Sitz. Die Arme setzen sich schwer an die massiven Schultern an. Die Falten ziehen sich in formbezeichnenden Linien ruhig hin. Das Ganze wirkt in breit gelagerter plastischer Ruhe.

 

Von all dem ist in Autun nichts. In überspitzer Mandorla sitzt die hochgetriebene Gestalt des Richters auf reichem Thron, so unsicher, daß der Schwerpunkt kaum unterstützt ist. Der Haltung fehlt alles Beharrende. Nichts mehr von der Breite der Schultern und der Massigkeit des Rumpfes, die wir in Charlieu fanden. Die ganze Bildung ist spitz und dünn. Bei diesem überschlanken Körper liegt alle Kraft im Duktus des Konturs und die Linie zieht sich in steilem spitzigen Zug von den Beinen zum Körper hoch und klingt in den abwärts ausgebreiteten Armen milde aus.

 

Ähnliches können wir auch an den tragenden Engeln sehen. In Charlieu stehen sie in breiter Körperlichkeit etwas schlaff da. In Autun sind sie ganz Funktionsausdruck.

 

Neben diesem jüngsten Gericht erscheint die gleiche Darstellung der früheren Epoche in Mâcon (Abb. 10) monoton und schwer.

 

Abb. 10

 

Schon ikonographisch gibt es kaum Berührungspunkte. In Mâcon haben wir eine starke Vorliebe für Häufung gleicher Motive. In 2 langen übereinander befindlichen Reihen 36 gleiche Sitzfiguren. In Autun nur 3 in der Haltung differenzierte. Die Auferstehenden in Mâcon alle gleichartig im Profil und mit erhobenen Armen gegeben. In Autun kann sich der Künstler nicht genug tun an den mannigfachsten und drastischsten Stellungen und Haltungen, um zu schildern, wie die Sünder von Angst ergriffen auferstehen oder wie einer von übergroßen Händen aus dem Grabe gezogen wird, während die Seligen vertrauensvoll aufwärtsstreben. In Mâcon wiederholen sich die gleichen Motive bis zur Ermüdung, in Autun ist jede Haltung von der anderen differenziert und zu einer Geste von höchster Ausdruckskraft geprägt.

 

 

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110 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

In Mâcon teilt sich das ganze Bildfeld, wie das für das jüngste Gericht von alters her üblich war, in eine Reihe horizontaler Schichten, die in ihrem gleichmäßigen Übereinander eine zusammengefaßte Komposition gar nicht zulassen. In Autun geht ein Zug durch das Ganze. Nur wenige Themata sind in ausdrucksvoller Gestaltung vorgetragen. Das geometrische Gefüge der vielen Schichten, die wir in Mâcon hatten, ist in einen einheitlichen Fluß umgewandelt. Nirgends sondert sich die einzelne Gestalt körperlich heraus. Alles ist in einen Linien- und Bewegungsrhythmus eingesponnen. Das Ganze wirkt in seiner Zusammengefaßtheit fast wie eine einzige Vision.

 

Alles, was in Autun noch verhalten erscheint, ist am Haupttympanon der Kirche von Vézelay stürmische Bewegung (Abb. 19).

 

Abb. 19

 

Kann in Autun der Eindruck entstehen, als hielte die Formengebung mit der Wucht der Gebärden nicht ganz gleichen Schritt, als bliebe neben der ausdrucksstarken Geste der Stil der Falten und Formen von etwas befangener Strenge, so ist in Vézelay alles vom gleichen Bewegungsschwall ergriffen.

 

In der Mitte des Tympanon wie in Autun der thronende Christus. Aber während Autun ganz das alte Schema des Weltenrichters zeigt, streng frontal und mit abwärts gerichteten Händen in „starrer Erhabenheit“ (Dehio), scheint in Vézelay auch der Christus mit in den Taumel der Bewegung gezogen zu sein. Das ruhige, fast schwebende, das die Haltung der symmetrischen Gestalt in Autun hatte, ist aufgegeben. Sie sitzt höher auf ihrem Thron auf, und die Beine sind vom Gesäß an seitwärts gewandt. Dadurch ist die symmetrische Ruhe, die in Autun herrschte, durchbrochen, hart und spitz stechen die beiden nebeneinander liegenden Knie aus der Gesamtform heraus. Die Arme sind höher angezogen und die Hände stehen weit über die Mandorla vor. Die Umrißlinie hat das ruhig Fließende, Gehaltene, das sie in Autun hatte, verloren und wirkt zerrissen.

 

Vor allem aber ist der Stil der Falten von flackernder Bewegung. Hier herrscht eine ausgeprägte Lust an Kurven und gewaltsam hingerissenen Linien. Aus den sparsamen konzentrischen Kreisen an den Knien in Autun, von denen aus sich die Falten bis zur Mittellinie regelmäßig hinziehen, ist in Vézelay ein mächtiger Wirbel geworden, der den ganzen Rhythmus des Gewandes in seine Gesetze zieht. Hatte das Flattern der Gewandzipfel in Autun noch etwas sparsam Lineares und legten sich die Falten des unteren Gewandsaumes auf beide Seiten der Mandorla symmetrisch auf, so bauschen sich in Vézelay die Gewandenden wie gebläht in unregelmäßigem Hin und Her. Jede Falte ist tief eingerissen, so daß sich die Kontinuität der Oberfläche etwas lockert, während die nur eben angedeuteten Falten in Autun das Ganze mehr wie ein Gerinnsel überziehen. Man empfindet den Stoff in Vézelay wieder als eine eigene Schicht, während er sich in Autun dünn und substanzlos über den Körper legte. Das sich von der Gestalt lösende, wirbelnde Gewand scheint sein eigenes Leben zu führen und gibt im Verein mit der Haltung der ganzen Figur den Eindruck aufgeregtester Bewegtheit.

 

Um Christus herum sitzen die Apostel mit flatternden Gewändern und gleich aufgeregten Haltungen und zerrissenen Konturen, so daß ein Ganzes von

 

 

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111 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

ruheloser Energie der Formentfaltung entsteht. Aus dem betäubenden Schwall der hin und her flackernden Falten und Glieder hebt sich in ihrer Mandorla die übergroße Gestalt des Christus, in gleichem Rhythmus bewegt wie ihre Umgebung. Neben dieser Art der Zusammenfassung wirkt die Komposition in Autun noch zerstreut. Bei aller Unentwirrbarkeit des Einzelnen spürt man in Vézelay doch den einheitlichen Fluß, der das Ganze durchdringt.

 

Dargestellt ist die Ausgießung des heiligen Geistes 1) und wir können kaum eine packendere Schilderung des valde commoti sunt der Apostelgeschichte finden als diese konvulsiven Haltungen der Apostel. Auffallend ist ja das Fehlen der Maria bei einer Pfingstdarstellung aus dem vorgeschrittenen 12. Jahrhundert und das Vorhandensein Christi. Allein die von den Wolken auf die Apostel ausgehenden Strahlen und der auf dem Türsturz stehende Petrus, der sich Gestalten zuwendet, die als „gentes“ charakterisiert sind (Großohrige, Behaarte, Zwerge ohne Leib, vgl. auch die Kynokephalen in dem einen das Tympanon umrahmenden Feld), lassen kaum einen Zweifel aufkommen, daß es sich hier um das Pfingstfest handelt, wenngleich die meisten Szenen des Türsturzes und der umrahmenden Felder auch so nicht gedeutet werden können.

 

Das seltene Vorkommen Christi auf abendländischen Pfingstdarstellungen ist eine merkwürdige Erscheinung und zeigt uns das Übergewicht des Byzantinischen in der Ikonographie des Westens, selbst dort, wo das abendländische Dogma eine andere Formulierung zu fordern schien. Denn die Darstellung des Geistes aus einer Wolke oder Hand kommend entspricht dem byzantinischen Dogma (procedit a patre), wogegen die abendländische Kirche stets das Dogma verteidigt hat, er käme vom Vater und Sohne her (procedit a patre filioque) 2). So wäre denn das Tympanon von Vézelay eines der seltenen Beispiele 3), in denen das abendländische Dogma zur bildlichen Darstellung gekommen ist (vgl. Johannes 20).

 

Natürlich ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß man, bei den hier üblichen Majestas- und Gerichtsdarstellungen immer gewöhnt am Hauptportal einen Christus zu sehen, ihn in Vézelay in die an gleicher Stelle befindliche Pfingstdarstellung setzte. Immerhin spricht die Statue des Täufers auf dem Türpfeiler unter Christus für enge Beziehung zur Ausgießung des heiligen Geistes. „Ego quidem vos baptizo in aqua, qui autem post me venturus est ipse vos baptizabit in spiritu sancto et igni“ (Matthäus 2 11). Diese Stelle wird gerade in unserer Zeit in Burgund in der Pfingstpredigt des heiligen Odilo

 

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1) Michel, Histoire de l‘art I 2, 639, Sanoner, Revue de l‘art chrétien 1904, 448. Lefèvre. Revue de l‘art chrétien 1906, 253.

2) Harnack, Dogmengeschichte Grundriß 217, 314. Pichler, Geschichte der kirchlichen Trennung zwischen Orient und Okzident. Anselmus, de processione spiritus sancti: Miigne patrologia latina 158, 1286, Adam von St. Victor, œuvres poétiques (2. Auflage 56).

3) Vgl. Vatican 39. Seroux d'Agincourt, Sammlung der vorzüglichsten Denkmäler der Malerei Taf. 103, Lectionare von Cluny in der bibliothèque nationale, fonds latin; Nouvelles acquisitions 2246 fol. 113 vo, Delisle, Inventaire des manuscrits de la bibliothèque nationale fonds de Cluny 15. Altarschrein von St. Denis.

 

 

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112 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

von Cluny erwähnt. (Migne, patrologia latina 142, 1016. Vgl. auch Rupert Pictavensis, Migne. patr. lat. 167, 1594--5.)

 

Von gleichem Stil, wenn auch von etwas geringerer Hand sind die beiden Seitenportale in Vézelay. Auf dem nördlichen ist die Verkündigung, Begegnung, Verkündigung an die Hirten, Christi Geburt und Anbetung der Könige, auf dem südlichen die Jünger auf dem Weg nach Emmaus Christus begegnend, Emmaus, der Rückweg nach Jerusalem und die Himmelfahrt dargestellt.

 

Von den Kapitellen des Langhauses von Vézelay zeigen einige noch eine enge Verwandtschaft mit dem Stil von Autun. Man wird das Blattwerk bei einigen von ihnen unmittelbar neben ein Blattkapitell von Autun legen können, so nahe stehen sich hier und dort die spitzen, lanzettförmigen Blätter. Auch der Stil der hohen elancierten Gestalten weist bei vielen Kapitellen auf nahe Beziehungen zu Autun. Beispielsweise die Judith (Abb. 14), die gefolgt von einer Magd den Kopf des Holophernes vor sich trägt, bietet die nächsten Analogien.

 

Abb. 14

 

Nicht nur die schlanken hohen Proportionen, auch der noch etwas spärliche Stil der Falten und besonders die ganz knapp umgebrochenen Mantelsäume finden wir bei den bärtigen lang bekleideten Gestalten auf der rechten Seite des Christus zu Autun wieder, wenngleich manche Faltenmotive bei der Judith etwas entwickelter erscheinen. Dem Kopftypus bietet sich der liegende Adam von einem Seitenportal in Autun zum Vergleich dar (Michel, histoire de l‘art I, 2 Taf. 8). Hier und dort die gleiche dünne Bildung des Schädels, der kleine knapp eingerissene Mund, die schmalen, geschlitzten Augen, die spitzige Nase und die zurückspringende Form von Stirn und Kinn. Bei anderen Kapitellen nähert sich der Stil schon dem Haupttympanon von Vézelay. Das Kapitell mit der Mühlendarstellung (Abb. 15) zeigt den gleichen breiten Faltenstil, die gleichen Faltenwirbel und einen ähnlich schweren Kopftypus.

 

Abb. 15

 

Es ist in allem sehr der Pfingstdarstellung verwandt.

 

Ein entwickeltes Kapitell des Langhauses von Vézelay gibt das gleiche Thema wieder wie ein Kapitell der Kathedrale von Autun, einen Löwenkampf (Abb. 16, 17).

 

Abb. 16

Abb. 17

 

 

In Autun sitzt die hohe Gestalt fest aufrecht auf dem massiven Körper des Löwen und reißt ihm den Rachen auf. Die Geschichte ist wohl gegenständlich drastisch erzählt, aber die sperrige Umrißlinie des Tieres will mit der des Mannes nicht recht zusammenklingen, und das Ganze wirkt neben der Darstellung in Vézelay wenig zusammengefaßt. Bei dieser ist das Tier kleiner geworden, die Gestalt beugt sich vor, und das Gewand flattert, die Bewegung verstärkend, breit rückwärts. Ein einheitlicher Zug geht durch das Ganze und läßt die Komposition von Autun spröde und befangen erscheinen.

 

Alles, was in Autun noch primitiv gebunden erscheint, ist in Vézelay ausgeprägt und entfaltet geworden, so daß es schwer verständlich ist wie man für Vézelay so lange ein früheres Datum annehmen konnte als für Autun. Vielleicht wird man einwenden, man könne nie von vornherein sagen, der eine Stil sei entwickelter als der andere und daraus Folgerungen für die Chronologie ziehen; es sei ebensogut möglich, daß ein reifer und ausgeprägter Stil zu Bindung und Knappheit zurückkehre. Allein wenn wir im nächsten Abschnitt sehen

 

 

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113 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

werden, daß die spätere burgundische Entwicklung das, was in Vézelay über Autun hinausgeht, noch stärker ausprägt, werder wir kaum daran zweifeln, daß Autun die Frühstufe des Stils bedeutet.

 

Von der Kathedrale von Autun wissen wir, daß sie am Anfang des 12. Jahrhunderts begonnen wurde und 1146 noch nicht vollendet war 1).

 

Angesichts dieser Daten ist es unmöglich den Bau der Kirche zu Vézelay mit einem Weihedatuın vom Jahre 1104 2) zusammenzubringeund auch das Weihedatum von 1132 ist noch zu früh. Denn der Stil der Skulpturen zu Vézelay ist entwickelter als der von Autun.

 

Deshalb muß man auch bei der Frage nach dem Ursprung des burgundischen Stils, der im reifen 12. Jahrhundert herrscht, von Autun und nicht von Vézelay ausgehen. Wenn wir uns nach Monumenten umsehen die zwischen dem plastischen Stil der Jahrhundertwende und der zeichnerischen Art von Autun stehen, so sind es drei, die hier in Frage kommen könnten: die Tympana von Anzy le Duc und Neuilly en Donjon und ein rechteckiges Relief das sich heute über dem Portal der Kirche in Cervon (Nièvre) befindet.

 

Es ist ein merkwürdig reicher und komplizierter Gewandstil, den wir bei dem auf einem Regenbogen in der Mandorla thronenden und von Evangelistensymbolen umgebenen Christus in Cervon finden (Abb. 11).

 

Abb. 11

 

In regelmäßigem Duktus ziehen sich annähernd konzentrische Kreissysteme über Unterkörper und Arme hin. Von der Mittellinie des Obergewandes aus fallen nach beiden Seiten hin inFalten segmentförmig ab. Darüber hin laufen die Säume der Gewänder in Zickzacklinien, während nach rechts hin sich blähend ein Gewandzipfel flattert Es herrscht ein seltsam starres und dürres System in der ganzen Faltengebung, das auf den ersten Eindruck hin wohl an Autun erinnert, im Grunde aber etwas ganz anderes ist.

 

Bei dem Tympanon von Neuilly en Donjon (Abb. 13) sehen wir auf dem unteren Streifen die große Sünderin und den Sündenfall, im Hauptfeld auf 2 geflügelten Drachen die Madonna, der die 3 Könige ihre Gaben darbringen, dahinter ein Engel.

 

Abb. 13

 

Auf jeder Seite dieser Gruppe 2 Engel in mächtige Tuben blasend.

 

Der ganze bizarre Stil dieser Darstellung gemahnt in seiner starren Steilheit sehr an Autun. Es sind nicht nur die gestreckten Proportionen, auch die Gebärden und die Art, wie sich die zerstreute Vielheit dieser Komposition durch Reihung der straffen Horizontalen zusammenschließt, geben der Stimmung eine gewisse Ähnlichkeit. Auch die Ornamentik weist in gleiche Richtung. Die spitzen lanzettförmigen Blätter, die das Tympanon umgeben und der Eierstab, bei dem jedes Ei mit einer Leiste gerahmt ist, kommen in der entwickelten burgundischen Schule oft vor.

 

Aber sobald man den Stil im einzelnen betrachtet, wird einem klar, wie stark hier doch die Beziehungen zur vorangehenden Epoche sind. Die Faltengebung hat noch ganz die harte, nüchterne Fügung, wie wir sie für das Ende

 

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1) Fontenay und de Charmasse, Autun et ses Monuments 142, Charmasse, Cartulaire de l‘eglise d‘Autun I 5.

2) Porée, L‘Abbaye de Vézelay 14. Lasteyrie, L‘archtecture en France à l‘époque Romane 425

 

 

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114 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

des 11. Jahrhunderts bezeichnend fanden. Überall legen sich Falten und Säume klar und geradlinig übereinander und von der merkwürdigen Stilisierung von Autun, den kreisförmig wirbelnden und den dekorativ langzügigen Falten und den flatternden Gewandsäumen finden wir in Neuilly keine Spur.

 

Das Tympanon von Anzy le Duc (Abb. 12), an einer Mauer neben der Kirche befindlich, zeigt im Hauptfeld ähnlich wie das von Neuilly, jedoch nur eine Hälfte einnehmend, die Anbetung der Könige, wie dort im üblichen Schema: die Madonna unter einer von Säulen getragenen Arkade, der vorderste König im Begriff niederzuknien, die beiden anderen Geschenke tragend.

 

Abb. 12

 

In der anderen Hälfte finden wir den Sündenfall und Adam und Eva hinter einen Busch geduckt wiedergegeben. Die Hölle, die in Neuilly auf einem Kapitell dargestellt war, nimmt hier den ganzen Türsturz ein.

 

Die Gestalten haben die gleichen elancierten Proportionen wie in Neuilly. Der Faltenstil dagegen ist ein ganz anderer, gelockerterer. Es sind nicht mehr die schlichten geraden Falten, die wir dort fanden, sondern sie sind kraus und bauschen sich unregelmäßig, so daß sich die ganze Gewandmasse etwas auflöst. Zu der straff linearen Ordnung der Falten in Autun steht auch diese Gewandbehandlung in starkem Gegensatz.

 

Man kann also nirgends in Burgund eine Vorstufe zum Stil von Autun feststellen. Es handelt sich hier nicht um eine Umwandlung der vorangehenden Stufe, sondern es treten grundsätzlich neue Dinge in der Plastik auf.

 

Wieweit diese Dinge von der Malerei herkommen -- gerade die Burgund benachbarte Rheimser Schule liebte ja schon in karolingischer Zeit einen ähnlichen Faltenstil mit konzentrischen Kreisen und ähnlich stark ausdrucksbetonten Gesten - läßt sich schwer mit Sicherheit sagen 1). Immerhin ist es auffallend, daß die romanische Wandmalerei in Burgund (z. B. Anzy le Duc [Thiollier, Art roman à Charlieu] und Berzé-la-Ville [Congrès Archéologique 1913 92; Bulletin archéologique 1893 420]) keinerlei Verwandtschaft mit dem Stil von Autun zeigt.

 

Während es zum Stil von Autun nirgends Verwandtes gibt, hat der Stil den die Tympana von Vézelay zeigen, über das ganze burgundische Gebiet Verbreitung gefunden. Das hängt sicher damit zusammen, daß dieser Stil in der großen, jetzt zerstörten Kirche von Cluny herrschte. Zwar vom Hauptportal wissen wir nur noch, daß auf ihm die Majestas mit Engeln, das in Burgund beliebteste Motiv, dargestellt war 2). Aber die Kapitelle des Chorumganges, die heute im Musée Ochier in Cluny aufbewahrt werden (Abb. 20, 21) und Darstellungen der Jahreszeiten, der Paradiesesflüsse und der Töne zeigen 3), haben genau die gleiche Formengebung wie Vézelay.

 

Abb. 20

Abb. 21

 

 

Die flutenden Gewänder der breithingesetzte Stil der Falten macht das ohne weiteres deutlich. Bis in Einzelheiten hinein erstrecken sich die Analogien, worauf besonders Pouzet aufmerksam gemacht hat. Die Figur des Mannes mit dem Trichter finden

 

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1) Michel, Histoire de l‘art I, 2 639 erinnert an ein Evangeliar in Auxerre.

2) Mémoires de la société Edouenne 1891, 301

3) Revue de l‘art chrétien 1912, I, 104.

 

 

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115 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

wir genau ebenso auf einem Kapitell in Vézelay wieder (revue de l‘art chrétien 1912, 108, Fig. 18). Sogar die Stilisierung des Trichters mit der merkwürdig eingebeulten Innenzeichnung ist die gleiche hier wie dort.

 

Mit Recht haben Pouzet und Michel 1) auf die Unmöglichkeit hingewiesen, daß diese Kapitelle schon bei der Weihe von 1089 fertig gewesen seien, und das ist jetzt durch eine Beobachtung von Deschamps 2) noch bekräftigt worden: es gibt unter den Kapitellen, die aus der Abteikirche stammen, einige, die den befangenen Stil der Jahrhundertwende zeigen und über die unsere Kapitelle weit hinausgehen. Pouzet hat den vorgeschrittenen Stil der Kapitelle dadurch zu erklären versucht, daß sie erst später überarbeitet seien. Wenn aber auch die Kapitelle des Querhauses, die 20 m hoch liegen, einen vorgeschrittenen Stil zeigen und schon mit Kapitellen des rippengewölbten Chors von Langres zusammengehen 3), so wird man doch wohl sagen müssen, daß ein großer Teil der Arbeiten in Cluny erst in später Zeit ausgeführt worden ist.

 

Die Kirche von Perrecy les Forges hat eine Vorhalle, die sich in Anlage und Ornamentik nahe mit der von Vézelay berührt. Auch am Portal, das die Vorhalle mit der Kirche verbindet, stimmt der Stil der Darstellung des Türsturzes (Abb. 22) mit dem von Vézelay überein.

 

Abb. 22

 

Ein Problem bietet das Tympanon: Hier scheinen wir auf den ersten Blick eine Formengebung zu haben, die sich von der aufgeregten, faltenreichen Art des Türsturzes weit entfernt. Die großflächigen Formen, die wenigen Falten erinnern an Werke der Jahrhundertwende. Sollte hier etwa ein Tympanon früheren Stils wieder verwandt sein? In der Tat ist der Türsturz für das Tympanon etwas zu groß, so daß es nicht zu ihm paßt. Dennoch wird man bei näherer Betrachtung des Stils finden, daß es sich hier nicht um ein frühes Werk handeln kann. Vergleicht man unseren Christus mit dem von Charlieu (Abb. 22 mit Abb. 8), so wird einem die ganze Stildifferenz klar.

 

Abb. 22

Abb. 8

 

 

Die Schultern sind in Perrecy les Forges schmal, die Haltung ist leicht, die Falten sind in leicht schwingenden Linien gegeben. Neben der Schwere und Massivität des archaischen Werkes ist bei unserem Christus alles viel leichter und beweglicher. Die Faltensäume sind verglichen mit denen von Charlieu von flatterndem Schwung. Man spürt trotz des Strebens, einfach zu sein, doch überall die Hand durch, die über die Strenge der Frühzeit hinweg ist. Besonders der Kopftypus des Christus mit dem weichen, länglichen Gesicht, den kaum eingetieften Augen und dem zusammengezogenen kleinen Mund finden wir auf dem Türsturz mehrmals wieder.

 

Unter dem Tympanon ist auf einem langen Streifen der Anfang der Passion erzählt (Taf. 23-26). Ganz links der Ölberg. Christus und der Engel aufrecht, hinter ihnen die Jünger schlafend. Auf dem Türsturz die Jünger, vor ihnen Christus, dem sich der Verräter gebückt naht, dann Kriegsknechte Christus gefangen nehmend, einer mit wildem Haar den Fuß auf eine Laterne setzend; ferner Petrus dem Malchus die Hand abhauend und die Fortführung Christi.

 

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1) Histoire de l‘art I, 2, S. 638.

2) Gazette des beaux arts 1922, II, 74.

3) v. Lücken, Anfänge der Burgundischen Schule, 45. Taf. 15.

 

 

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116 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

Rechts vom Türsturz eine nicht gedeutete Szene mit Christus, vielleicht eine Geißelung.

 

Der Stil dieses Frieses geht auf das engste mit Vézelay zusammen.

 

Unter der großen Menge von Werken, die in Burgund den gleichen Stil zeigen, sollen hier nur noch zwei genannt werden, das Tympanon von Monceau l‘Etoile und der Sarkophag von St. Magnence. Letzterer zeigt auf einem Bilde der Schmalseiten so recht, welcher Ausdruckskraft dieser Stil fähig ist (Abb. 27).

 

Abb. 27

 

Wie die Heilige mit schwankenden Knien zum Grabe pilgert, das ist ein seltsam bewegliches und zartes Bild.

 

Wie stark jede Darstellung jetzt in neuem Geist erfaßt wird, das zeigt sich am besten, wenn man die Himmelfahrtsdarstellung von Anzy le Duc vom Anfange des Jahrhunderts neben die von Monceau l‘Etoile legt, die mit den breit flatternden Falten sofort an engste Beziehungen zu Cluny denken läßt (Abb. 28).

 

Abb. 28

 

Die Linie des Türsturzes, die bei dem älteren Werk Christus von den Jüngern trennte, ist unterdrückt, so daß eine einheitliche Bewegung das Ganze durchzieht. Die Engel stehen nicht mehr in Schrittstellung da, die Mandorla auf dem Rücken, tragen sie in flatternd hochstrebender Bewegung Christus der Höhe zu. Unten ein Chaos aufgeregter Gesten: 2 Engel nach oben weisend, rechts und links hinter ihnen die Madonna und die Jünger in dicht gedrängten Reihen und stärkster Bewegung. Sie fassen sich an Arme und Schultern oder zeigen mit hochgeworfenem Kopf nach oben. Standen sie in Ancy le Duc einzeln gleichmäßig über die ganze Fläche verteilt, so sind die Jünger hier an den Seiten zusammengeballt, während die Engel in der Mitte freier dastehen. Alles das gibt dieser Darstellung den Reiz leidenschaftlichster Bewegtheit.

 

Wollen wir den burgundischen Stil in seiner ganzen Eigenart erfassen, so wird es gut sein, ein etwa gleichwertiges Werk der provençalischen Schule zum Vergleich heranzuziehen. Wir wählen den heiligen Trophime von Arles (Abb. 29, 30) und setzen ihn neben einen Apostel vom Gewände in Vézelay.

 

Abb. 29

Abb. 30

 

 

Die Arler Figur steht fest und breit da, ruhig und beharrend in sich. Im festen Bau des Schädels, in den breiten Schultern, in der massiven Art des Faltenwurfs spüren wir überall eine gesunde Körperhaftigkeit durch. Hier herrscht noch antikes Erbe. Daneben scheint die Figur in Vézelay überhaupt keinen Leib mehr zu haben. In verrenkter Haltung und flatterndem Gewand ist sie nur Bewegungsausdruck, sie hat alles Beharren verloren und lebt nur in einer einzigen Geste. Man kann sich kaum einen stärkeren Gegensatz gegen die antikisierende provençalische Art denken als diese Gestalt.

 

III.

 

In einem Stadium, in dem die plastik in fast allen anderen Landschaften noch beharrende, schwere Formen zeigt, herrscht in Burgund aufgereteste Bewegung. Überall ist den Formen das Bleibende genommen. Die Falten fahren schroff und in harten Linien flatternd einher, die Gesten sind von jäher Aufdringlichkeit.

 

 

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117 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

Die Umrisse lieben seltsam zerrissene Linien. Die wirre Aufregung des Stils scheint eine Höhe erreicht zu haben, die kaum zu überbieten ist. Und doch trifft lauf diese wildbewegte Plastik am Ende des 12. Jahrhunderts die barocke Stilwelle, die wir überall im späten Romanismus finden und steigert hier alles zu fast explosiver Gewalt und Zerrissenheit.

 

Bis in die Mitte des Jahrhunderts fand in Burgund die wirre Bewegtheit der Skulptur ihren Widerhalt in der Strenge der Architektur. Der aufgeregte plastische Stil wird in der Kathedrale von Autun gefaßt von einer klassisch reinen Architektur, die in Anlehnung an die maßvollen Stadttore der frühen Kaiserzeit in dieser Stadt entstand und in ihrer klaren Ausgeglichenheit in wirksamen Kontrast tritt zum Überschwang der Plastik.

 

Jetzt geht auch in der Architektur alles aus den Fugen. Schon in der Kirche von Beaune, die sich im System noch eng an Autun anlehnt, laden die Profile in wuchtigem Karnies weit aus und stören die mauerhafte Gebundenheit des Baukörpers, die in Autun herrschte. Und noch weiter geht die Kathedrale von Langres. Der Raum hat nicht mehr das Strenge, straff Hochgetriebene, wie die früheren Bauten, sondern lagert sich breit und ist im Sinne des Malerischen bereichert. Nach der gleichen Richtung hin sind hier alle Einzelheiten behandelt. In Autun war die Kanellierung der Pilaster in antiker Art durch gleichmäßige runde Riefelungen gegeben. Jetzt wird sie malerisch durch breite Eintiefungen belebt, zwischen denen wie aufgesetzt breite Rundstäbe sitzen. Das Blattwerk legt sich nicht mehr schlicht über den Kern der Kapitelle, sondern die ganze Oberfläche ist in ein Geflimmer von Licht und Schatten aufgelöst 1).

 

Noch weiter in der Lockerung aller architektonischen Strenge geht die Vorhalle von Charlieu 2), jene bizarre unsymmetrische Anlage, die sich an den Bau des 11. Jahrhunderts legt. Wuchernd überzieht eine üppige Ornamentik mit fast à jour gearbeitetem Rankenwerk und merkwürdig perspektivisch behandelten Mäanderbändern, die beinahe frei zu liegen scheinen, das ganze Portalgewände. Davor stehen spielerisch dünne Säulen mit schwer ornamentierten Schaftringen und überreichen Blattkapitellen, deren ganzes Massiv aufgelockert ist. Der ganze Baukörper ist von sprühender Belebtheit.

 

Ein Kapitell in Charlieu erinnert im Motiv mit seinen eingerollten Blättern an ein ähnliches in Autun (Abb. 32, 33).

 

Abb. 32

Abb. 33

 

 

Aber die Bewegung des Blattwerks scheint bei dem frühen Beispiel hart, eckig und befangen neben dem einheitlich rollenden Fluß hier. An den runden, breiten Wirbel der Ranke mit dem tiefen Schatten in der Mitte schließen sich die kleinzackigen Blätter an. Ein großes Motiv beherrscht das Ganze in seiner üppigen Fülle, während in Autun das Ornament noch etwas zusammengestückt wirkt. Gleichzeitig entwickelt sich das Blattwerk in Charlieu in plastischer Rundung, während es dort noch an die Ebene gebunden war.

 

Bei den Skulpturen der Tympana finden wir das Gleiche. Alles ist aus dem Vollen gebildet. Die Mandorla, in der Christus thront, breit und reich

 

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1) Vgl. Kapitelle in Saulieu, Cluny, Querschiff und in der Vorhalle von Vézelay und Autun.

2) Thiollier, l‘art Roman à Charlieu; Congrès archéologique 1913. 242.

 

 

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118 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

ornamentiert, der Thron üppig (Abb. 34).

 

Abb. 34

 

Christus selbst hat alle schlichte Größe verloren. Die dreidimensionale Ausdehnung des Körpers ist fast aufdringlich betont. Ein weit überhängendes Gewandstück hüllt die ganze Gestalt so sehr ein, daß die Gebärde alle Kraft verliert. Die einzelnen Faltenmotive sind mit plastischer Treue wiedergegeben. An der rechten Hand und am Ellenbogen strafft der Stoff, dazwischen gibt es Stauungen. Der Zug der Falten hat nicht mehr die Verve wie in der vorangehenden Epoche. Sie hängen oft dem Gesetz der Schwere folgend, schlaff herab. Es kommen die verschiedenartigsten Motive auf. Überall geht die Absicht auf Bereicherung und Fülle.

 

Rings um die Mandorla herum ist an die Stelle der klaren Gliederung, die sonst bei Majestasdarstellungen herrscht, aufgeregte Verwirrtheit getreten. Zwischen den Evangelistensymbolen, auf Löwe und Ochse auftretend, 2 Engel mit merkwürdig verrenkten und hastigen Gesten nach außen strebend und die Mandorla haltend. Es entsteht ein sich drängender Reichtum. Die heftige Bewegung der Engel hat etwas Geballtes. Der aufgeregte Geist der alten burgundischen Plastik ist noch lebendig, aber in die Leidenschaftlichkeit der Bewegung klingt etwas Geschwollenes, Pomphaftes mit ein. Das lineare Gefüge der Falten lockert sich, die Kurven werden schwer und breit. Das Gewand wird aufgewühlt und tiefer gefurcht. Der Stoff wirkt schwer und massig. Die Leiber der Tiere und menschlichen Gestalten erhalten ein ganz neues Gewicht. Jede Einzelform bekommt selbständige Bedeutung, so daß der Zusammenhang aufhört fast ein Formenchaos entsteht.

 

Noch weiter geht die Verwirrung bei dem Nebentympanon. Alle Kontinuität der Fläche wird bei der Hochzeit von Kana im Hauptfeld im Hauptfeld aufgehoben, die Opferdarstellung darunter ist ein Gewimmel von lauter kleinen Formen. Die in der Archivolte gegebene Verklärungsdarstellung mit den zusammenhanglos hingesetzten und absonderlich verkürzten Figuren, die von überreichen Gewändern umflattert werden, zeigt am deutlichsten, wie stark sich der Stil gelockert hat.

 

Der Sinn für zusammenfassende Linienführung hat gänzlich aufgehört. Das sieht man am deutlichsten, wenn man eine Gewändefigur in Charlieu mit einer in Vézelay vergleicht (Abb. 30, 31).

 

Abb. 30

Abb. 31

 

 

In einheitlichem Zug sind in Vézelay Figur und Gewand erfaßt. Die Linien des Gewandes mit den langen Falten folgen dem gleichen Rhythmus, wie die Bewegung der Gestalt.

 

Daneben spricht die Figur in Charlieu ganz durch Kontraste. Sie ist in einen zu kleinen Rahmen eingeklemmt, aus dem die vollen, runden Gliedmaßen in gedunsener Plastizität herauszudrängen scheinen. Das Gewand, hinter dem Unterkörper als breite Schattenmasse gegeben, kräuselt sich und bäumt sich auf. Es dient so als Folie für die Gestalt. Das Ganze ist von überquellender Fülle.

 

Bei dem Tympanon von St. Julien de Joncy in der Nachbarschaft von Charlieu finden wir den gleichen üppigen Stil (Abb. 36).

 

Abb. 36

 

Im Hauptfeld der Christus in der Mandorla von Engeln getragen. Das alte Thema der burgundischen Plastik. Aber welche prunkhafte Aufmachung hat es hier erfahren.

 

 

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119 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

Der Christus, eine schwere massive Gestalt mit kräftigem Kopf thront in breitem Sitzen, den Körper von einer wuchernden schwülstigen Gewandmasse eingehüllt, in der seitwärts gedehnten Mandorla. Zwei weitausschreitende Engel tragen diese, in ausschweifenden Gesten vorwärtsstürmend mit krampfhaftem Kraftaufwand. Hier hat die Formgebung alles Maß verloren. Willkürlich beulen sich die Flügel, die Finger wirken wie Krallen, die aufgesetzten Füße sind ganz deformiert, und die Falten der Gewänder scheinen gewaltsam geschwellt und ungestüm gärend. Hier kräuseln sie sich, dort bäumen sie sich auf. Bald rollen sie in schweren Kurven dahin, bald hängen sie in jähem Bruch eckig herab. Die ganze Komposition hat etwas Überladenes und bei aller rauschenden Bewegtheit Zerrissenes. Sie ist ganz erfüllt von barocker Gewaltsamkeit.

 

Auf dem Türsturz finden wir eine Abendmahlsdarstellung und Fußwaschung von ähnlich schwelgender Üppigkeit des Stiles, in den Archivolten Perlstäbe und durchfurchtes Blattwerk, das mit weit ausladender Schwellung dem Ganzen eine tiefschattende, malerische Rahmung gibt.

 

Schon Deschamps 1) hat auf die Verwandtschaft hingewiesen, die inhaltlich zwischen den Kapitellen der Kathedrale zu Autun und denen von St. Andoche in Saulieu besteht, und dadurch ein Weihedatum von 1119 für letztere Kirche wahrscheinlich machen wollen. In Autun zeigen die Kapitelle alle den gleichen Stil wie das Tympanon (Abb. 35), die an die Fläche gebundene Art, die vor allem durch Linienführung wirkt.

 

Abb. 35

 

In Saulieu dagegen ist die Fläche durch Licht- und Schattengegensätze zerrissen, einzelne Körper treten abrupt aus dem Gefüge des Ganzen heraus. Der Vergleich der beiden Kapitelle mit der Flucht nach Ägypten 2) wird das am besten klar machen. Auf gleichmäßigen Kreisen reitet Maria in Autun dahin, die ganze Fläche ruhig füllend. In Saulieu sind die Kreise ganz unregelmäßig verteilt. Die Wohlabgewogenheit der Figuren in Autun hat einer bewegten Aufgeregtheit Platz gemacht, der ganze Grund ist mit Zweigwerk überwuchert, so daß es wie ein Geflacker von Licht und Schatten wirkt.

 

Näher stehen sich vielleicht in beiden Kirchen die Kapitelle mit dem noli me tangere (Gazette des beaux arts 1922, II, 70, 71. Abbildung). Beidemal steht der aufrechte Christus vor der in die Knie sinkenden Martha, aber während in Autun die beiden Gestalten in ein klares Verhältnis zueinander gebracht sind und homogen wirken, ist in Saulieu die Martha neben dem Christus übertrieben klein gebildet, so daß vor allem der Größenunterschied spricht. Besonders interessant ist der Vergleich der beiden Blattvoluten, die hier wie dort unter dem Abbakus sitzen. In Autun sind sie aus festen lappigen Blättern gebildet, in Saulieu aus kleinen, zackigen durchbrochenen Teilchen. Wir haben hier die gleichen Symptome der Stilauflösung, die wir in Charlieu fanden.

 

Mitten hinein in den Schwall und die Aufregung dieser sich lockernden

 

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1) Gazette des beaux arts 1922, II, 70, 74. Vgl. auch Kingsley Porter, Gazette des beaux arts 1920, II, 73; congrès archéologique 1907, 104.

2) Congrès archéologique 1907 Taf. S. 110

 

 

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120 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

Stils führen uns auch die Portale von St. Lazare in Avallon. Die Ornamentik der Archivolten des kleineren Portals ist beeinflußt von den Nebenprotalen des benachbarten Vézelay. Im Motiv sind der Rankenfries und die Rosetten beidemal gleich. In verhältnismäßig ruhigem Fluß ziehen sich die Ranken in Vézelay dahin und die Rosetten sind fast flächenhaft aneinander gereiht. In Avallon dagegen hat jede Rosette ihr plastisches Leben. Die Mitte ist stark eingetieft, der Zusammenhang der einzelnen Blütenblätter untereinander hat sich gelockert. Der Fries wirkt nicht mehr als etwas Einheitliches, sondern durch durch die Gegensätze von Licht und Schatten ist das Ganze eine Häufung reicher malerischer Formen. Und ähnlich hat auch der Rankenfries in Avallon das glatt Fließende verloren und zieht sich in heftigen, abrupten Bewegungen hin. Vor allem aber hat sich in Avallon die Zahl der Archivolten gegenüber der in Vézelay verdoppelt. Waren in Vézelay die einzelnen Reihen durch glatte, breite Bänder gesondert, so sind sie es in Avallon durch kleine ornamentierte Friese. Alles ist mit verschwenderischer Fülle bedacht und erweckt den Eindruck eines sprühenden, sprudelnden Reichtums. Ähnlich ist das ganze Portal mit den gewundenen Säulen und der über die Sockel ausgebreiteten Ornamentik behandelt. Im Stil der Figuren des Tympanons das gleiche: krause, üppige Faltenmotive, flatternde Gewänder und in dem Streben, Bereicherung zu geben, eine Verunklärung der ganzen Komposition.

 

Und nun gehören in das malerische Gewirr und Geflimmer dieses Portals straff tektonisch gebaute Figuren, die an die Säulen angelehnt standen. Dom Plancher in seiner Histoire de la Bourgogne (1739, I, 515) zeigt uns in einem Stich die Portale mit diesen Statuen und eine hat sich noch jetzt am Mittelportal erhalten (Abb. 38).

 

Abb. 38

 

Sie steht in enger Werkform steil hochgetrieben mit parallel und hart nebeneinander herlaufenden Falten als ein ganz regelmäßiges Gebilde in all dem malerischen Reichtum der Umgebung. Ein merkwürdiger Gegensatz. Im Gefüge dieses Portals wirkt die Statue wie ein Fremdkörper und läßt sich nur durch einen Einfluß von auswärts erklären.

 

In der Tat finden wir denn auch bei den Portalen der nordwestfranzösischen Schule – auch die in Richtung der Wölbung aneinander gereihten Archivoltenfiguren, die wir am Mittelportal haben, weisen ja nach Westen - die gleichen Säulenstatuen.

 

Wenn man unsere Figur mit Statuen vom Hauptportal in Chartres vergleicht (Monuments Piot VIII, Taf. 6), so wird man viele ähnliche Züge finden: die gestreckten Proportionen, die langzügigen Falten, die ganze Anlage der Figur mit der möglichsten Ausnutzung des Blockes durch das vorgehaltene Buch und die engangepreßten Arme, durch die sich die Statue von Avallon von der vorangehenden burgundischen Schule, etwa von den Gewändefiguren in Vézelay (Abb. 30) unterscheidet.

 

Abb. 30

 

Dennoch wird man wenn man sich in Chartres nach genauen Vorbildern umsieht, nicht allzuviel finden. Alles hat bei der burgundischen Gestalt eine malerische Haltung. Die Gewandbehandlung, in Chartres hart, fest und nüchtern, ist hier von viel fließenderem Vortrag und zusammenfassender Art. Neben den derbknochigen, robusten Köpfen dort scheint

 

 

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121 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

das Gesicht unserer Statue fein und sensibel. Neben der systematisch gewissenhaften Art der Chartreser hat die Statue von Avallon doch noch irgend etwas von Schwung und innerem Pathos und zeigt sich darin trotz des nordischen Einflusses als Nachkömmling der alten burgundischen Schule.

 

Noch nähere Verwandtschaft mit dem Westportal von Chartres 1) zeigt, worauf schon Vöge (Anfänge des Monumentalen Stils 96) hingewiesen hat, ein Tympanon im Musée archéologique in Dijon, das von der Refektoriumstür von St. Bénigne stammt und das Abendmahl wiedergibt. Hier läßt nicht nur der Faltenstil und die Proportionierung der Gestalten an enge Beziehungen denken, auch die Kopftypen zeigen große Analogien. Besonders die Apostel auf dem Türsturz des Mittelportals in Chartres bieten sich zum Vergleich (Houvet, La cathédrale de Chartres, Portail occidental, Taf. 40-43). Bei unserem Tympanon finden wir die gleichen, massiven kurzen Köpfe, den gleichen Schnitt der Augen und die gleiche Haarbehandlung die die Haare in einzelne körperliche Büschel zusammengefaßt auf die Stirn herabfallen läßt (Abb. 39).

 

Abb. 39

 

Es ist interessant, diese Abendmahlsdarstellung mit der gleichen Szene vom Türsturz von St. Julien de Joncy (Abb. 36) zu vergleichen, um zu sehen, wie sehr auch hier das Aufnehmen der nordfranzösischen Einflüsse zu einem Tektonisieren des malerischen Stils führt.

 

Abb. 36

 

Über den sich in die Tiefe schiebenden Tisch ist in St. Julien ein breites, tiefe Schatten werfendes Tuch gelegt, das fast die halbe Höhe des Frieses einnimmt. Dieses Tischtuch mit seinen breit malerischen Falten ist das Sprechende an dem ganzen Fries; darunter kommen aus schweren Schatten die sonderbar geformten Füße hervor und die Oberkörper darüber sind in starker Bewegung gegeneinander gewandt. Das Ganze ist beherrscht von einem Schwelgen in Licht- und Schattengegensätzen und überreichen Bewegungen.

 

Eine ganz andere Zucht herrscht auf dem Tympanon von Dijon. Das Tischtuch ist zu einem ganz schmalen Streifen geworden. Die fest nebeneinander gereihten Vertikalen des Christus und seiner Jünger, noch verschärft durch die divergierende Linie des Johannes, geben den Ton an. Es entsteht ein harter elementarer Rhythmus, der jeder Gestalt als plastischem Eigenwert ihr Gewicht zukommen und den malerischen Zusammenhang des Ganzen zurücktreten läßt.

 

Auf dem Tympanon befindet sich die Inschrift:

Cum rudis ante forem dedit hunc mihi Petrus honorem.

Mutans horrorem forma meliore priorum.

 

Wenn wir annähmen daß dieser Petrus ein Abt von St. Bénigne wäre, so hätten wir damit die Möglichkeit unser Tympanon zu datieren. Denn da nach den Forschungen von Lasteyrie und Lefèvre Pontalis 2) das Westportal von Chartres im dritten Viertel des Jahrhunderts entstanden ist, kommen von den 3 Äbten

 

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1) Vgl. auch die Archivoltenfiguren, die das Portal ursprünglich hatte. Dom Plancher, Histoire de la Bourgogne I, 520, Tafel.

2) Monuments Piot VIII 1f.; Congrès archéologique de France LXVII, 26f.

 

 

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122 GOTTFRIED VON LÜCKEN

 

von St. Bénigne im 12. Jahrhundert, die den Namen Petrus führten 1), die beiden ersten (1129--1142 und 1142-1145) nicht in Betracht; und es bleibt nur der dritte Petrus von Grancey 1188–1204 2).

 

Ein anderes Tympanon von St. Bénigne im gleichen Museum, das dem Portal angehörte, welches Kirche und Kreuzgang miteinander verband, nennt gleichfalls einen Petrus, und da die Form:

 

Reddidit amissum michi Petri cura decorem

Ed dedit antiqua formam multo meliorem.

 

so ähnlich ist, wird man kaum bezweifeln können, daß hier der gleiche Petrus gemeint sei (Abb. 40).

 

Abb. 40

 

Der Stil dieses Tympanon ist von dem des eben betrachteten so verschieden, daß an einen Künstler, der beide ausgeführt hat, nicht zu denken ist. Es kann also nur der Bauherr, in unserem Falle der Abt sein, auf den sich beide Inschriften beziehen. Hier haben wir nun das merkwürdige: zwei Werke, die am gleichen Ort und laut Inschrift annähernd zur gleichen Zeit entstanden sein müssen, haben einen durchaus verschiedenen Stil. Schon Vöge (Anfänge des Monumentalen Stils 99) hat dieses Werk als einen Abkömmling der alten burgundischen Schule bezeichnet. Aber die alte Verve und Ausdruckskraft hat nachgelassen. Zwar das Tympanon hat nicht den tektonischen Aufbau der eben betrachteten. Es ist noch immer etwas von der Unruhe und Bewegung des burgundischen Stils vorhanden. Doch die Falte ist schlaff und flau geworden. Der Körper tritt immer mehr durch und läßt sie nur noch eine begleitende Rolle spielen.

 

Zur gleichen Zeit muß dem Stil nach auch das Hauptportal von St. Bénigne in Dijon entstanden sein. Dom Plancher (I, 503) gibt uns eine Ansicht dieses in der Revolution zerstörten Portals mit Säulenstatuen, Archivoltenfiguren und einer Majestas im Hauptfelde des Tympanon, die natürlich über den Stil nicht viel Aufschluß gibt. Das noch erhaltene Gewände zeigt uns, daß wir auch hier in die Spätzeit kommen (Chomtons a. a. O. Taf. 15). Diese breiten mit Akanthus verzierten Schaftringe fanden wir ähnlich an der Vorhalle von Charlieu; die unregelmäßige Kanellierung der Pilaster mit dem zwischen die Riefelungen gesetzten Wulst und der herabgezogene Ansatz der Kanellierung erinnert an den Chorumgang von Langres.

 

Über den Stil der Figuren können wir uns nur noch nach einem erhaltenen Kopf (Chomton a. a. O. Taf. 17) eine Vorstellung machen. Dieser zeigt soweit man nach einem Fragment urteilen kann, daß hier wieder ein anderer Stil herrscht, als bei den beiden zuletzt betrachteten Skulpturen. Wir haben also die auffallende Tatsache, daß wir am Ende des 12. Jahrhunderts an einem Ort annähernd gleichzeitig drei verschiedene Stile haben. Das ist bezeichnend für diese Spätzeit überhaupt. Die bisher so stark vorhandene Stileinheit des ganzen Gebietes hört auf. Es setzt in Burgund eine Vielsprachigkeit des künstlerischen Ausdrucks ein, für die hier einige Beispiele genügen müssen.

 

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1) Chomton, Histoire de St. Bénigne 456.

2) André Michel, histoire de l‘art I, 2.

 

 

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123 BURGUNDISCHE SKULPTUREN DES XI. UND XII. JAHRHUNDERTS

 

Der Türsturz des im übrigen zerstörten Tympanon von Nantua (Ain), das im Hauptfeld eine Majestas umgeben von Archivoltenfiguren hatte, gibt wie das Refektoriumstympanon von St. Bénigne eine Abendmahlsdarstellung (Abb. 41).

 

Abb. 41

 

Aber es ist von ganz anderem Stil. Die tiefschattenden Falten, die gedrungenen Gestalten mit ihren heftigen Bewegungen zeigen, daß hier noch die gleichen Tendenzen vorhanden sind, die uns an der Abendmahlsdarstellung von St. Julien de Joncy entgegentraten, wenngleich auch hier eine gewisse Mäßigung eingesetzt hat.

 

An vielen Orten finden wir dieses Fortvegetieren der barocken Elemente des spätburgundischen Stils, während sich daneben schon andere Tendenzen geltend machen. In Til-Châtel (Cote d‘Or) haben wir zwei Tympana, deren eines laut Inschrift von einem Petrus hergestellt wurde. Bei dem größeren, einer Majestasdarstellung ist das Gewand noch in wuchernder, üppiger Fülle gegeben (Abb. 42).

 

Abb. 42

 

Es überwächst in mächtigem Bausch den ganzen unteren Teil des Christus. Aber in der Anordnung der Komposition hat wieder klare Nüchternheit gesiegt. Der Vergleich mit der Darstellung in Charlieu zeigt, wie sehr in Til-Châtel alles wieder in ein klares Schema gebracht ist. Auch die Ornamentik der Archivolten betont wieder klar den tektonischen Aufbau und läßt alle Rücksicht auf malerische Bereicherung fallen.

 

Auch das Tympanon von Donzy (Nièvre) (Abb. 43) hält noch an dem ausschweifenden Gewandstil fest, wenngleich wir in der Verteilung der Figuren hier gleichfalls das Nachlassen des barocken Schwulstes spüren.

 

Abb. 43

 

Zudem tritt auch hier das Körperliche der dargestellten Figuren so stark in den Vordergrund, daß die lineare Wirkung der Falte ganz aufhört und sie völlig in den Dienst plastischer Gestaltung tritt.

 

Überall merken wir, wie die suggestive Stärke der alten burgundischen Schule nachläßt. Von dem laut Inschrift unter dem Bischof Stephanus (1170 bis 1189) errichteten großen Grabmal des heiligen Lazarus in Autun 1) sind uns noch einige Statuen erhalten. Aber da ist wenig mehr von der alten Art vorhanden. Die Haltungen der Gestalten sind merkwürdig lahm, in matten, nüchternen Linien ziehen sich die Falten auch dort, wo sie noch in Kurven und Schwüngen gegeben sind, hin und die Parallelfalten sind nicht mehr in hartem Schnitt und festem Duktus gegeben wie in Avallon, sie haben etwas Weiches und Unbestimmtes (Abb. 37).

 

Abb. 37

 

Nirgends finden wir hier noch etwas von der hinreißenden Ausdruckskraft der älteren burgundischen Schule.

 

Wir haben am Schluß der romanischen Epoche das Phänomen eines Unsicherwerdens und einer Verunklärung des bisher in seiner Eigenart so scharf ausgeprägten burgundischen Stils. Die burgundische Schule, früher in einheitlicher Entwicklung dahinfließend, hat die innere Sicherheit verloren und verläuft sich in eine Reihe verschiedenartiger Strömungen, die untereinander nur noch

 

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1) Fontenay und de Charmasse, Epigraphie Autunoise. Lasteyrie. Monuments Piot VIII. Taf. 10. Architecture romane 676.

 

 

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geringe stilistische Verwandtschaft haben. Die Untersuchung dieser und ihrer Beziehungen zu den benachbarten Schulen könnte nur im Zusammenhang mit der Architektur zu sicheren Resultaten führen 1).

 

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1) Bis in die 20er Jahre des 13. Jahrhunderts haben wir in Burgund noch Romanisches. Der vom Abt Roland von Hainauld um 1220 vollendete Narthex der Abteikirche von Cluny war, obwohl er Rippengewölbe hatte, im Kern noch romanisch. Virey, Mémoires de la Société Édouenne 1891, 298. Bouché, Description historique et chronologique de la ville, abbaye et banlieue de Cluny (Bibliothèque nationale ms. 4363 fonds français des nouvelles acquisitions), 104.

 

 

 

 

Quelle:

 

Jahrbuch für Kunstwissenschaft. Herausgegeben von Ernst Pall

Sonderabdruck 1923. S. 103-124. Verlag Klinkhardt & Biermann Leipzig