Die Süpplingenburg

Die Süpplingenburg – ehemalige Wasserburg

 

Stammsitz Kaiser Lothars III.

 

Vermutlich im 10. Jahrhundert errichteten die Grafen von Haldensleben in der Schunterniederung eine erste Burg. Sie fiel durch Heirat an den Grafen Gebhard, den Vater Kaiser Lothars III. von Süpplingenburg (1075-1137). Das Grafengeschlecht nannte sich nach seinem Stammsitz und Herrschaftszentrum „Grafen von Süpplingenburg“.

 

Die romanische Stiftskirche St. Johannis ist das einzige erhaltene Bauwerk der ehemaligen bedeutsamen Süpplingenburg. Ihr Baubeginn liegt um 1130.

 

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Am Kreuzungspunkt aller Verkehrswege

 

Die Süpplingenburg war auf einer leichten Anhöhe, die weit in die sumpfige Schunterniederung hineinragt, errichtet wurden. Es war ein Platz, der einer Burg auf natürliche Weise einen idealen Schutz bot. Wenig östlich führte einer der ältesten Süd-Nord-Verkehrswege, der alte „Salzweg“ an der Burg vorbei. Im 11. Jahrhundert wurde auch die wichtige West-Ost-Fernhandelsstraße von Braunschweig nach Magdeburg mitten über das Burggelände gelegt.

 

Die Süpplingenburg lag somit an einem wichtigen Kontrollpunkt für die Infrastruktur.

 

 

Stift, Kommende, Domäne

 

Vermutlich in der Zeit nach seiner Königserhebung gründete Lothar III. um 1130 auf der Burg ein Kollegiatstift, d. h. eine Gemeinschaft mehrerer Kleriker unter der Leitung eines Propstes, und ließ die St. Johanniskirche als Stiftskirche errichten. Ende des 12. Jahrhunderts, vermutlich unter Heinrich dem Löwen wurde das Stift an den Templerorden übergeben, der hier seine erste Komturei in Norddeutschland einrichtete. Nach Aufhebung der Templer übertrug der Braunschweiger Herzog die Süpplingenburg an die Johanniter, die sie 1357 bis 1820 als Kommende innehatten.

1820 wurde sie herzogliche Domäne, ab 1965 privatisiert und aufgesiedelt.

 

 

Kernburg, Wassergraben und Vorwerk

 

Die Süpplingenburg war vermuilich seit der Stiftsgründung im 12. Jahrhundert eine Wasserburg. Die ca. 70 x 70 m große, quadratische Kernburg war von Außenmauer, Wassergraben und Wall umgehen. Nach Norden schloss sich das Vorwerk mit dem Wirtschaftshof an. Zwischen Kern- und Vorburg verlief der Fernweg von Hildesheim nach Magdeburg.

 

Auf der Kernburg waren im 14. Jahrhundert neben der Kirche ein Kreuzgang, eine Kemenate (heizbares Wohngebäude) und ein Mosshaus (Wohnhaus mit Speisesaal und Küche) zu finden.

 

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Vom 16. bis 19. Jahrhundert lehnten sich an die Umfassungsmauer Herrschafts-‚ Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude, überwiegend in Fachwerkbauweise. Ende des 19. Jahrhunderts wurden bis auf die Kirche alle Gebäude der Kernburg abgerissen und der Burggraben zugeschüttet.

 

 

Westwerk der St. Johanniskirche

 

Die ehemalige Stiftskirche St. Johannis besaß im 12. Jahrhundert ein repräsentatives Westwerk, das sie als herrschaftliches Bauwerk auswies. Es wurde bereits im Mittelalter wieder abgebrochen. Archäologische Untersuchungen durch K. Hecht in den Jahren 1966-1968 legten die Fundamente des einstigen Westbaus der Kirche frei. Diese waren in dem sumpfigen Baugelände mit Bedacht in Form zweier Fundamentplatten angelegt worden, die nochmals auf einer Pfahlgründung ruhten.

 

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Ein Rekonstruktionsversuch des Westwerks durch K. Hecht zeigt eine zweitürmige Anlage, die als Querriegel im Westen vorgelagert war. Im Inneren befand sich eine zum Kirchenschiff geöffnete Herrscherempore, in der der König und spätere Kaiser auf die ihm zustehende Weise am Gottesdienst teilnehmen konnte.

 

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Quelle: Informationstafel vor St. Johannes Süpplingenburg

 

 

 

 

Gottesdienst der Templer

Gottesdienst der Templer "Cantores Minores" musizieren

Süpplingenburg. Ein feierlicher Gottesdienst in der Templerkirche St. Johannis zu Süpplingenburg bildet den Höhepunkt eines nationalen Konvents, das der deutsche Tempelritterorden in der Region Helmstedt ausrichtet. Rund 70 Mitglieder des Ordens aus Deutschland sowie Gäste aus Dänemark werden zu diesem Treffen erwartet. Gastgeber ist die Komturei Süpplingenburg.

Der öffentliche Gottesdienst beginnt am Sonnabend, 13. Oktober, um 16 Uhr.

Musikalisch gestaltet wird der Festgottesdienst vom Chor- und Instrurnentalensemble „Cantores minores“ aus Emmerstedt unter der Leitung von Ordenskantor Joachim Wahl.

Der Gottesdienst wird von Ordenskaplan Jürgen Beuchel geleitet. lm Rahmen der Zeremonie werden neue Mitglieder aus Konstanz, Stuttgart, Hannover, Landshut und Lüdenscheid mit dem Schwert zu Rittern geschlagen und in den Orden aufgenommen.

Der nationale Konvent beginnt am Freitag um 18 Uhr mit einem Eröffnungsgottesdienst in Süpplingenburg.

Die Predigt wird Ordenskaplan Diedrich Franke, Oberkirchenrat a. D. von Sachsen-Anhalt, halten. Auch dabei sind Gäste eingeladen. Im Anschluss versammeln sich die Ritter und Damen im Kloster St. Ludgeri in Helmstedt.

Ausgangspunkt des Konvents ist Königslutter, wo die Ordensmitglieder neben verschiedenen Besprechungen auch das Museum Mechanischer Musikinstrumente besuchen werden. In der Kirche St. Marien richten lädt der Orden am Sonnabend um 8.30 Uhr zur Laudes ein und feiert am Sonntag um 11 Uhr die Abschlussmesse.

Der Orden geht auf die Traditionen der historischen Tempelritter zurück.

Die moderne Tempelritter-Organisation OSMTH zählt weltweit rund 6.000 Mitglieder und hat als Hilfsorganisation einen beraten den Status bei den Vereinten Nationen. Abgesandte des Ordens sind an den UNO-Standorten New York, Wien und Genf vertreten. Hauptsitz des Templerordens ist Jerusalem.

 

Veröffentlicht in: Helmstedter Sonntag, Nr. 40 vom 07.10.2012, Seite 17

 

 

 

 

Auszug aus K. Schottmüllers "Der Untergang des Templer-Ordens"

DER UNTERGANG DES TEMPLER-ORDENS.

MIT URKUNDLICHEN UND KRITISCHEN BEITRÄGEN

 

VON Dr. KONRAD SCHOTTMÜLLER

PROFESSOR BEI DEM KÖNIGLICHEN CADETTEN-CORPS.

 

ERSTER BAND.

 

I. ABTHEILUNG: DARSTELLENDER THEIL

II. ABTHEILUNG: KRITISCHER THEIL.

 

BERLIN 1887.

ERNST SIEGFRIED MITTLER & SOHN

KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG KOCHSTRASSE 68 - 70.

 

 

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Mit Vorbehalt des Uebersetzungsrechts.

 

 

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DEM ERHABENEN BESCHÜTZER

FREIER FORSCHUNG

 

SEINER KAISERLICHEN UND KÖNIGLICHEN HOHEIT

 

DEM KRONPRINZEN DES DEUTSCHEN REICHES UND KRONPRINZEN VON PREUSSEN

 

WIDMET DIESES BUCH

IN TIEFSTER EHRFURCHT

 

DER VERFASSER.

 

 

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Vorwort.

 

Im Sommer des Jahres 1878 führten die Studien über die Umgestaltung des abendländischen Königthums im nationalen Sinne, wie sie sich gegen den Ausgang der Kreuzzüge vollzog, den Verfasser zum ersten Mal auf die Wahrnehmung, dass die allgemein gültige Anschauung betreffs der Aufhebung des Templerordens in den Quellen selbst fast gar keine Bestätigung findet. Die Hoffnung, dass diesem Mangel durch kritische Sichtung der Nachrichten in den bald darauf erscheinenden Werken abgeholfen werden würde, fand leider keine Erfüllung. Im Gegentheil zeigte gerade diese Litteratur, wie sehr bis jetzt fast alle Vorarbeiten für eine genügende Lösung der Jahrhunderte alten Streitfrage über die ketzerische Schuld jener Ritterschaft fehlen, ja dass überhaupt für eine Geschichte derselben auch nicht einmal die erste Vorbedingung, die statistische Ermittelung ihrer Zusammensetzung, erfüllt worden ist.

 

Noch im Zweifel, auf welche Weise dem erwähnten Mangel abgeholfen werden könne, veranlasste mich die Anregung meines verehrten Freundes, des Landschafts- und Architekturmalers Herrn F. Possart, im Winter 1880 nach Rom zu gehen, um durch eine Bereicherung der Quellen aus dem vaticanischen Archiv die Lösung zu erleichtern. Von so glücklichem Erfolge dieser Versuch begleitet war und zu der Ordnung und Zusammenfügung der zum Theil halb zerstörten und in ihrem Inhalt bis dahin kaum erkannten Pergamente geführt hat, so zeitigte doch das dortige sechsmonatliche Arbeiten die Erkenntniss, dass das recht umfangreiche, bereits veröffentlichte Material von den bisherigen Darstellern meist gar nicht gelesen, geschweige gar ausgenutzt worden ist. Es ward eine solche Fülle von Unmöglichkeiten in den bisherigen Annahmen blossgedeckt, dass der

 

 

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VI Vorwort.

 

Verfasser hinfort keine, auch nicht die bestbeglaubigte Ueberlieferung für richtig annehmen konnte, sondern selbst über die scheinbar unbedeutendsten Punkte Einzeluntersuchungen anstellen musste, wobei häufig wochen- und monatelanges Forschen ein negatives Ergebniss brachte, das sich auf zwei bis drei Zeilen zusammenfassen liess. Oft genug freilich stürzte auch ein ganzes, auf Hypothesen aufgebautes System mit der Beseitigung des unsicheren Grundsteines ganz in sich zusammen.

 

Erst nachdem in fünfjähriger ununterbrochener Arbeit diese Einzeluntersuchungen abgeschlossen waren, konnte eine nochmalige Durchforschung der vaticanischen Quellen Erfolg verheissen, und Seine Kaiserliche Hoheit der Deutsche Kronprinz hatten die Gnade, nicht nur den dazu nöthigen Urlaub auszuwirken, sondern auch durch sachkundige Winke und Hinweise die Lösung der Aufgabe wesentlich zu fördem.

 

Das Streben des Verfassers ging dahin, möglichst nur die Thatsachen, vielfach sogar die Originalquellen selbst reden zu lassen, um auf diese Weise jeder Voreingenommenheit für oder wider eine der bisher gültigen Ansichten vorzubeugen, sodann aber den Leser selbst die Schlüsse aus den Ereignissen ziehen zu lassen. Um jedem derselben die Prüfung des in der Darstellung Gebotenen zu ermöglichen, ist im kritischen Theil die bisher fehlende chronologische Reihenfolge der Ereignisse, wie sie sich aus meiner Forschung ergeben hat, zusammengestellt. Ebenso verfolgt die Gliederung des Stoffes in Darstellung, kritischen und Urkundentheil den Zweck, späteren Forschern einestheils die Benutzung des Materials zu erleichtern, anderntheils aber auch den Nachweis zu liefern, welche Lücken in Zukunft noch auszufüllen sind.

 

Die nachfolgende Schilderung wird Manchem eintönig erscheinen, da ihr die bisher geglaubten, hübsch zugespitzten Geschichten mit den romanhaften, subjectiven Zuthaten völlig mangeln; oft genug ist auch die Form zu Gunsten des Inhalts hintangesetzt worden. Dagegen erhebt die Arbeit den Anspruch nichts aufgenommen zu haben, was nicht quellenmässig beglaubigt ist.

 

Berlin, a. h. Pfingsttage 1887.

 

Konrad Schottmüller.

 

 

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Inhalt.

 

I. Abtheilung: Darstellender Theil. Seite

 

Einleitung . . . 3

 

Erstes Buch.

 

I. Capitel. Die Verhältnisse Frankreichs vor dem Templerprocess und der Charakter Philipps IV. . . . . . . . 11

II. Capitel. Die Beziehungen Philipps zur römischen Curie bis 1303 . . 21

Die Abmachungen zu Lyon. . . . 49

III. Capitel. Die Macht der Templer und ihre Beziehungen zu Frankreich . . 54

 

Zweites Buch.

 

IV. Capitel. Die Vorbereitung des entscheidenden Schlages 1306-1307 . . 84

V. Capitel. Die Ueberrumpelung der Templer und der Versuch Philipps, den Orden mit eigenen Machtmitteln zu vernichten . . 130

VI. Capitel. Die „Tage“ von Tours und Poitiers 1308 . . . 161

VII. Capitel. Die Verhöre zu Poitiers und Chinon . . . . . 183

VIII. Capitel. Die deutsche Frage und der Process gegen Bonifaz VIII. . . 205

 

Drittes Buch.

 

IX. Capitel. Verfahren und Gang der Untersuchung in Francien . . . 230

Einleitung . . 230

1. Die heimliche Voruntersuchung des Königs . . . 241

2. Das öffentliche Verhör zu Paris. (Veranstaltet durch Wilhelm Imbert vom 19. October bis 24. November 1307) . . . . . 243

3. Die Untersuchung durch die Diöcesanbischöfe 1307

und

4. Die peinliche Frage durch des Königs „Leute“ 1307 . . 252

5. Durch ebendieselben im Mai und Juni 1308 . . . 261

6. Das Verhör zu Poitiers 1308 . . . 261

 

 

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VIII Inhalt. Seite

 

7. Das Verhör des Grossmeisters und der Ordensoberen zu Chinon . . . 284

8. Der Process der Diöcesanbischöfe gegen die einzelnen Personen des Templerordens . . . 286

9. Die Voruntersuchung gegen den gesammten Orden innerhalb Franciens vor der päpstlichen Generalcommission zu Paris 1309-1311 . . 296

X. Capitel. Das Verfahren und der Gang der Untersuchung in den ausserfranzösischen Ländern . . . 365

Allgemeines . . 365

1. Der Process in England . . 368

2. Der Process in Italien . . .408

3. Der Process in Deutschland . . . 435

4. Der Process auf der pyrinäischen Halbinsel . . 447

5. Die Untersuchung auf Cypern . . . 457

 

Viertes Buch.

 

XI. Capitel. Das Concil zu Vienne 1311-1312 . . . 497

XII. Capitel. Der Ausgang des Ordens . . . 531

XIII. Capitel. Rückblick auf die Hauptactoren Philipp, Clemens, Molay . . 575

Schlussbetrachtung . . .624

 

 

II. Abtheilung: Kritischer Theil.

 

 

I. Chronologische Anordnung der Thatsachen . . 649

 

II. Die bisherigen Quellenveröffentlichungen . . . 671

Einleitung . . 671

a. Geschichtsschreiber . . 672

Die sechs Lebensbeschreibungen Clemens' V. bei Baluze . . . 674

Continuator Guillelmi Nangiaci . . 682

Villani . . . 684

b. Acten . . . 690

 

III. Nachweis und Verbleib der Actenstücke . . .695

Schicksal der Acten bis 1812 . . 703

Der Bestand an Templeracten zu Paris 1812 . . .706

Desgl. im Vatican 1886 . . .713

Templeracten in Pariser Archiven 1884 . . 716

Die liegenden Güter der Templer auf der Insel Cypern 1313 . . 719

 

Excurs 1.

Ueber die sogenannten „Verräter des Ordens“ . . .720

 

Excurs 2.

Ueber Bestand und Verbleib des Templerarchivs und die Ordensstatuten . . .731

 

Personen und Ortsverzeichnis . . .749“

 

 

. . . . .

 

 

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435 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

. . .

 

8. Der Process in Deutschland.

 

Völlig anders als in den bisher besprochenen Provinzen des Abendlandes lagen die Verhältnisse der Templerritterschaft in Deutschland. Wenn in jenen Ländern die Brüder mehr oder weniger auf den ruhigen Besitz oder die Sicherung und Ausnutzung der allmälig gewonnenen Güter angewiesen waren, und dementsprechend dort das in jener Zeit zur Verwaltung besser geeignete bürgerliche Element der Servienten zu einer bisher ungeahnten Zahl und Macht sich entfaltet hatte, so war dies in den, noch den Kampf gegen die Ungläubigen als Hauptzweck des Ordens verfolgenden Provinzen völlig anders, so namentlich in Deutschland.

 

Wenn auch für dieses Land die Klage erneuert werden muss, dass bei aller Anerkennung der Special- bezw. Localforschungen bis auf den heutigen Tag nichts für eine Feststellung der allernothwendigsten Vorbedingungen zur Geschichte des Ordens gegschehen ist, so ergeben doch die vorhandenen

 

 

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436 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

Besitzurkunden, dass die Zahl der Ritter die der Servienten bei Weitem übertroffen haben muss. Ebenso scheint es, dass trotz des in den Statuten enthaltenen Verbots, was in Frankreich nur ausnahmsweise bei missrathenen jungen Leuten übertreten wurde, 1) hier Söhne des Adels in die Servientenklasse oder auch als Capläne eingetreten sind, um nur überhaupt den Mantel zu erlangen. Es war also -- sit venia verbo -- der Ersatz der Brüderschaft ein völlig anderer als in den bisher behandelten Ordensprovinzen, wo die Zahl der „dienenden Brüder“, welche, zum Theil Unterbeamten, zum Theil Offiziersburschen ähnlich, fast naturgemäss den übrigen Brüdern nicht gleich geachtet werden konnten, sich ins Ungemessene vermehrt hatte. Im Gegensatz dazu machte sich in Deutschland und ebenso in Spanien und im Morgenland die Zusammengehörigkeit aller Glieder des Ordens zum Vortheil der Einzelnen wie des Ganzen in viel höherem Grade geltend; es blieb die Fühlung der dem ländlichen Ministerialadel wie dem städtischen Patriciat entstammenden Brüder mit dem hohen Adel, den späteren Reichsfürsten, viel lebendiger erhalten. Dazu kam noch die unabhängige Stellung, welche die hohen Kirchenfürsten sich auch als deutsche Landesherren fühlen liess; und so konnte selbstverständlich das Geschick der Templer in Deutschland bei dem Hereinbruch der Katastrophe von dem der bisher behandelten Länder ein völlig verschiedenes werden, obwohl es auch hier einen Erzbischof gab, welcher die Unterordnung unter den päpstlichen Stuhl glaubte ebensoweit treiben zu sollen, wie er es seine Collegen in Frankreich unter den Willen des Königs thun gab.

 

Der historische Verlauf lässt sich schon um deswillen nur bruchstückweise klarstellen, weil nicht einmal bei der Einleitung des Processes einheitlich vorgegangen ist, wozu in erster Linie die bei der Curie herrschende, fast unglaubliche Unkenntniss aller die Organisation des Ordens betreffenden Dinge sowie auch der politischen Verhältnisse Deutschlands selbst beigetragen hat. 2)

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1) Siehe Process zu Poitiers, Zeuge 18 Urk. Th. S. 45.

2) Die mangelhafte Kenntniss der Ordensverhältnisse documentirt die bis zur Aufhebungsbulle hinein zu verfolgende Verwechslung der wichtigsten Ordensoberen; die Ignoranz der deutschen Verhältnisse und namentlich der hervorragenden Stellung der deutschen erzbischöflichen Kurfürsten zeigt sich am deutlichsten vor der Wahl Heinrichs VII.

 

 

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437 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

In zweiter Linie mag dann die Ermordung Albrechts I., das Interregnum und der Zug Heinrichs VII. nach Italien die völlig ungleiche Behandlung der Templerangelegenheit im Reich verschuldet haben.

 

Den ersten Schritt gegen die deutschen Glieder des Ordens unternahm der Erzbischof von Magdeburg, Burchard III. (von Schrapelau), welcher nach Poitiers gereist war, um von Clemens V. das erzbischöfliche Pallium in Empfang zu nehmen. Im Mai 1308 von dort zurückgekehrt, hat er, vermuthlich einem mündlichen Befehle des Papstes oder der Anregung des französischen Königs folgend, die Verordnung ausgehen lassen, „an einem Tage alle Templer und deren Meister auf den vier in seinem Gebiet belegenen Curien aufzuheben“. 1)

 

Es war dies eine von ihm als Landesherrn und nicht als Vorsteher der Erzdiöcese erlassene Maassregel, denn die Zahl der in letzterer gelegenen Comthureien hat jene Zahl wenigstens um das Achtfache übertroffen. Die Wirkung seines Schrittes war eine doppelte. Diejenigen der Brüder, welche zufällig von den Höfen abwesend gewesen und deshalb der Verhaftung entgangen waren, warfen sich in das dem Erzbischof gehörende, feste Haus Beyer-Naumburg, wo dessen Vogt und andere Freunde der Templer ihnen Zuflucht gewährten; der Grosspräceptor aber von Niederdeutschland (per Alemanniam et Sclavoniam), Friedrich von Alvensleben, welcher nach dem Tode seines Amtsvorgängers Friedrich von Nigrip von seiner früheren Comthurei Suplingenburg nach dem wichtigeren Ordenshause Lagow bei Zielenzig übergesiedelt war, wendete sich an die weltlichen und geistlichen Fürsten Deutschlands gegen des Erzbischofs Vorgehen. Schliesslich aber nahm auch noch die Ritterschaft seines eigenen Erzstifts, welche mit dem Adel der umliegenden Länder eng zusammenhielt, und welche mit den übrigen klösterlichen Instituten auch den Templerorden mit zahlreichen Gütern ausgestattet hatte, um ihren jüngeren Söhnen und den Töchtern eine Versorgung zu sichern, eine so drohende Haltung an, dass Burchard wohl oder übel einlenken musste.

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1) Chron. Magdeb. ap. Meibom II, 255 . . . statim post idem tempus archiepiscopus fecit una die capi omnet Templarios et magistros eorum de quatuor curiis in terra sua jacentibus.

 

 

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438 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

Man glaubte eben damals im grösseren Theil der Bevölkerung, zumal bei dem Ausbleiben allgemeiner Anordnungen des Papstes, dass die in Frankreich geschehenen Schritte ausschliesslich auf die eigenützigen Absichten Philipps zurückzuführen seien; und es musste diese Ansicht verstärkt werden, als der Erzbischof von Magdeburg bei dem Versuche, die Feste Beyer-Naumburg einzunehmen, von dem Bischof von Halberstadt, wahrscheinlich auf Befehl von dessen Oberhirten, dem Erzbischof von Mainz, mit dem Bann belegt worden ist, 1) von dem er erst 1312 durch den Papst entbunden wurde. Die Menge kümmerte sich wenig um den „Grund“ für diese Maassregel, dass nämlich des Erzbischofs Mannen bei der Belagerung der genannten Burg eine zum Halberstädter Sprengel gehörige Capelle zu kriegerischen Zwecken verwendet hatten: sie vernahmen die Thatsache der Excommunication, und diese bestätigte scheinbar ihre Annahme, dass der Papst selbst jenen Schritten nicht zugestimmt habe. Da nun auch die benachbarten Fürsten, wie Waldemar von Brandenburg, Ottokar II. von Böhmen, Magnus von Braunschweig und der angesehenste Kirchenfürst von Deutschland, der Erzbischof von Mainz, dessen Gebiet von Strassburg und Augsburg bis Verden, und von Mainz bis Olmütz reichte, sich unzweideutig zu Gunsten der Templer erklärten, so blieb Burchard von Schrapelau trotz der inzwischen eingelaufenen päpstlichen Bullen vom 12. August 1308 nichts übrig, als die in seinem Landgebiet gefangenen Tempelbrüder am 19. November 1308 wieder frei zu lassen. Zuvor liess er sich von dem Stellvertreter des Meisters und den vier Commendatoren der erwähnten Curien, Günther von Cöthen, Bertram von Greifenberg, Heinrich von Bardeleben, Nicolaus von Andesleben und Thielecke von Warmsdorf und deren fünf Bürgen nach vorher eingeholter Zustimmung Friedrichs von Alvensleben in einer Urkunde versprechen, dass sie den Erzbischof und seine Freunde nicht schädigen wollten. Dafür sollten sie, wo sie wollten, im Erzstift sicher und ungehindert wohnen; die Höfe und Güter der Templer, welche auf Befehl des Papstes eingezogen seien, solle der Erzbischof verwalten. Dagegen versprachen die Ritter ihr Recht nur vor einem ordentlichen Gerichtshof oder beim

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1) Die Zeit dieser Excommunication liess sich nicht mit voller Sicherheit feststellen. Die Angaben schwanken zwischen 1308 und 1310.

 

 

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439 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

Papst zu suchen. Sollte dieser befehlen, dass man die Ritter und den „hoghe meyster weder gefange neme“, so sollte der Erzbischof den Rittern 14 Tage vorher es kundthun. 1)

 

Die Thatsache dieser Freilassung zeigt am deutlichsten, wie wenig begründet der Vorwurf einer allgemeinen Diffamation der Templer gewesen ist, und wie wenig auch die Bullen des Papstes vom 12. August 1308 in Deutschland Beachtung gefunden haben können. In diesen waren die vier Erzbischöfe, von Mainz, Cöln, Trier und Magdeburg, die Bischöfe von Constanz und Strassburg beauftragt, in Verbindung mit dem päpstlichen Delegaten, dem Abt von Coudace, die Untersuchung über den Orden zu führen. 2)

 

Wie man aber den päpstlichen Befehl zur Verhaftung der Templer unbeachtet gelassen hat, so scheint man sich auch um jenen Delegaten, der doch für die Einheitlichkeit des Verfahrens Sorge tragen sollte, innerhalb des Reichs gar nicht gekümmert zu haben; vielmehr werden die Leiter der einzelnen Erzstifter und der exemten Bisthümer, welche doch eine sehr viel selbstbewustere Stellung einnahmen, als ihre westlichen und südlichen Amtsgenossen, ganz auf eigene Hand vorgegangen sein, und werden ebenso wie in der Frage der Königswahl aller von Westen her versuchten Beeinflussung eine vornehme Zurückhaltung entgegengesetzt haben. Dementsprechend darf es nicht Wunder nehmen, wenn bei der rein sachlichen Prüfung der Templerinstitutionen in Bezug auf Ketzerei auch nicht der allergeringste Anhalt für die Wahrheit der erhobenen Beschuldigungen oder gar für die Berechtigung der von Philipp eingeschlagenen und aus Noth von Clemens gutgeheissenen Maassregeln sich ergeben hat.

 

Das uns erhaltene Material ist so gering, dass von einigen, selbst kirchenhistorischen Forschern die Meinung ausgesprochen worden ist, als habe die vom Papst verordnete Untersuchung innerhalb Deutschlands überhaupt nicht stattgefunden. Dieser Voraussetzung ist indessen nicht beizupflichten, wie das Folgende ergeben wird.

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1) Ledebur, Allgem. Archiv XVI, 251.

2) Hartzheim, Concilia Germaniae IV, 231. Es sind dies die schon oft citirten Bullen vom 12. August 1308, in welche aber für die verschiedenen Länder andere Namen eingefügt wurden.

 

 

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440 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

Der Papst Clemens V. hatte in den Bullen „regnans in coelis“ und „faciens misericordiam“ nicht nur das ökumenische Concil in Vienne angekündigt, sondern auch, damit dasselbe im Stande sei, wie er es 1308 noch wünschte, ein sachliches Urtheil zu fällen, angeordnet, dass in jeder Diöcese die Templer durch besondere Commissarien verhört, der definitive Urtheilsspruch aber auf den dieserhalb einzuberufenden Provinzialsynoden gefällt werden solle. Dies ist der Grund, weshalb in den Jahren 1310 in allen christlichen Kirchenprovinzen Concilien abgehalten worden sind. Selbstverständlich ist das auch in Deutschland geschehen, wenn auch über die Verhandlung in Bremen und Magdeburg in den Quellen keinerlei Andeutung gemacht wird, und die der Erzbisthümer Salzburgs, Cölns und Triers so bedeutende Lücken aufweisen, dass man vielfach auch für diese glaubte, ein Befassen mit der Templerangelegenheit in Abrede stellen zu sollen. Bürgt aber für Magdeburg die schon erwähnte Haltung seines Oberhirten, so beruft sich der Erzbischof Heinrich von Cöln in der Vorrede des Synodalprotocolls vom 9. März 1310 ganz ausdrücklich darauf, dass er die Synode nur auf den erwähnten Befehl des Papstes einberufen habe. Wenn nun trotzdem in den Protocollen derselben der Templer gar nicht Erwähnung geschieht, und der Historiker Binterim 1) deshalb vermuthet, dass die deutschen Erzbischöfe sich wohl zuvor verabredet hätten, auf diesen Provinzialconcilien nichts gegen den Orden vorzunehmen, so wird diese Ansicht dadurch widerlegt, dass von den zu Trier und Mainz vorgenommenen Verhandlungen, obwohl auch dort in den Concilsacten nichts darüber gesagt ist, noch 1812 die betreffenden, dem Papst eingesendeten Acten im vaticanischen Archiv vorhanden gewesen sind. Man wird deshalb in der Annahme kaum fehlgreifen, dass auch die in Bremen, Magdeburg, Salzburg und Cöln über die Templerverhöre angefertigten Protocolle nicht den übrigen Concilsactenstücken einverleibt, sondern besonders geschrieben zur Verwendung auf dem Concil zu Vienne an den Papst direct eingesendet und mit einem grossen Theil der übrigen, dieselbe Sache behandelnden Papiere bei wiederholtem Wechsel des Sitzes der Curie in Verlust gerathen sind.

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1) Deutsche Concilien, Band V, S. 125, eine Ansicht, welcher Hefele, Conciliengeschichte, Band VI, Seite 429, gefolgt ist.

 

 

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441 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

Für den Westen Deutschlands erscheint 1310 als Delegat des Papstes nicht der oben genannte Abt Coudace, sondern der Decan Robert von der Servatiuskirche in Utrecht, welcher in der Stadt, Diöcese und Provinz Trier in Verbindung mit dem Erzbischof eine Untersuchung angestellt hat, 1) und zwar, wie die Aufschrift der beiden eingesendeten Berichte darthut, sowohl über die einzelnen Personen, wie über den ganzen Orden. Damit der erwähnte päpstliche Delegat auch allen, das definitive Urtheil fällenden deutschen Provinzialsynoden anwohnen könne, war zwischen den einzelnen eine Pause von vier Wochen angesetzt; und so beginnt, während zu Cöln die Prälaten sich am 9. März versammelt hatten, die Synode zu Trier in der ersten Hälfte des April, die zu Mainz am 11. Mai 1310. Jedoch beschränkt in Bezug auf Trier Raynouard seine Angabe auf die Bemerkung, dass von den 17 vorgeführten Zeugen, welche insgesammt zu Gunsten der Ritterschaft ausgesagt haben, nur 3 Brüder derselben gewesen seien. 2)

 

Etwas ausführlicher sind wir über die die Templer betreffenden Vorgänge auf dem Provinzialconcil zu Mainz unterrichtet, indem eine auf demselben sich abspielende, dramatische Scene uns genauer geschildert ist. 3) Danach trat plötzlich mitten unter die, vermuthlich in der Kathedrale versammelten Prälaten der Wild- und Rheingraf Hugo, 4) welcher auf dem Schlosse Grumbach bei Meisenheim als Comthur der rheinischen Lande Hof hielt, mit 20 völlig gerüsteten Brüdern im Ordensgewande herein, und versetzte durch das unerwartete Erscheinen die versammelten Väter in grossen Schrecken. „Der Erzbischof Peter Aichspalter (oder richtiger Aspelt) sah sich die Männer an, und

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1) Raynouard l. c. 312 u. 315: Inquisitio facta in civitate, diocesi et provincia Trevirensibus per reverendum patrem dominum Balduinum, archiepiscopum Trevirensem, et Robertum, decanum ecclesiae Sancti Servasii Trajectensis, contra ordinem militiae Templi et magnum magistrum seu preceptorem Alamaniae.

2) Raynouard l. c. 270.

3) Serrarius de rebus Moguntiacis 1604, 4, S. 850 und nach derselben Quelle Hartzheim, concil. German. IV, 224, Gestützt auf ersteren, welcher vorgiebt, aus einer ungedruckten Handschrift seine Nachricht geschöpft zu haben, berichtet Mansi XXV, S. 295 dieselbe Sache mit unbedeutender Abweichung. Rayn. 124.

4) Die Behauptung Würdtweins, diplom. Mogunt. II, 33, dass dieser Hugo nicht Tempelherr, sondern Stiftsherr zu Mainz gewesen sei, ist bei der deutlichen Bezeichnung desselben bei Mansi „se suosque fratres intellexisse“ nicht haltbar.

 

 

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442 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

obwohl er sie einer Gewaltthat für fähig hielt, forderte er den Commendator verbindlich auf, sich zu setzen und sein Anliegen vorzutragen. Da sprach der Comthur furchtlos und mit heller Stimme, dass er und seine Brüder in Erfahrung gebracht hätten, wie diese Synode im Auftrag des römischen Bischofs hauptsächlich zu dem Zweck zusammengetreten sei, um ihren Orden zu vernichten. Man werfe ihm entsetzliche und mehr als heidnische Schandthaten vor, welche nicht in öffentlichen Actenstücken sondern nur privatim bezeichnet würden, so dass es ihnen sehr schwer, ja unmöglich sei, sie zu widerlegen. Am meisten aber beklagte er sich darüber, dass sie verurtheilt würden, ohne ordnungsmässig angehört, oder überführt zu sein. Deshalb appellire und provocire er in Gegenwart der versammelten Väter rechtsverbindlich an den zukünftigen Papst und dessen gesammten Clerus; 1) öffentlich protestire er auch für diejenigen, welche anderwärts dem Feuer überliefert und verbrannt seien, welche vorher standhaft geleugnet und für ihr derartiges Bekenntniss Folter und Tod erduldet hatten. Schliesslich sei aber auch durch ein ganz besonderes Wunder und Urtheil des höchsten, allmächtigen Gottes ihre Unschuld bestätigt worden, indem ihre weissen Mäntel mit den rothen Kreuzen vom Feuer nicht verzehrt werden konnten.“ 2) -- Der Erzbischof aber, nachdem er dies mit angehört hatte, nahm ihre Protestation als gültig an und erwiderte, dass er darüber sich mit dem Papste in Beziehung setzen werde, und dass sie dessentwegen beruhigt sein könnten. Mit diesem Bescheide wurden sie nach Haus entlassen.

 

Dies ebenso mannhafte wie hochherzige, nur aus dem Gefühl der Unschuld zu erklärende Auftreten fand bei den deutschen Männern, welche die Synode bildeten, volles Verständniss, und der Erzbischof Peter Aichspalter übermittelte die Protestation dem Papste.

 

Gleichwohl muss es als eine volksthümliche Legende

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1) In Wirklichkeit hat Papst Johann XXII. durch eine ganze Reihe Acte und Aussprüche seiner Ueberzeugung von der Unschuld der Templer Ausdruck gegeben.

2) Die Thatsache wird, obwohl nach Balut. I 17 den Hinzurichtenden erst die Mäntel heruntergerissen seien, sowohl bei dem Autadafe von Paris, wie von Senlis berichtet.

 

 

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443 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

bezeichnet werden, wenn die bisherigen Berichterstatter in Folge dieser Appellation Papst Clemens eine neue Untersuchung im Jahre 1311 allein für Mainz anordnen lassen: für Heldengrösse dieser Art hat, wie sich aus dem ähnlichen Vorgange zu Vienne ergiebt, dieser nur um die Existenz und die Unabhängigkeit der Kirche ringende Papst kein Verständniss gehabt. Die allerdings auch für Mainz angeordnete Neueinleitung des Verfahrens ist auf dieselben, auch für Deutschland maassgebend gewesenen Gründe zurückzuführen, wie sie gleichzeitig für England, Frankreich, Italien und Spanien herrschend waren, und entsprangen der dem Papst sich immer mehr aufdrängenden Einsicht, dass er auf Grund der bis zum Ende des Jahres 1310 erlangten Inquisitionsresultate niemals eine gerichtliche Verurtheilung des Ordens auf dem bevorstehenden ökumenischen Concil erreichen würde. So erging denn auch für Deutschland der mehrfach erwähnte, in alle christlichen Länder, auch über das Meer gesendete Befehl vom 18. März 1311, dass unter rücksichtsloser Anwendung der Folter die Untersuchung von Neuem aufzunehmen sei.

 

Es fehlt an bestimmten Nachrichten, wie der rechtliche Erzbischof von Mainz sich diesem Ansinnen gegenüber verhalten hat; aber die gleich nachher deutlich hervortretende Unzufriedenheit Clemens' macht es wahrscheinlich, dass Peter Aspelt seiner Ueberzeugung treu geblieben und auch die neue Untersuchung in legale Bahnen geleitet hat.

 

Zuerst erscheinen im Juni 1311 37 Templer und werden genau in derselben sorgfältigen Weige, wie es sonst geschah, über die einzelnen Artikel vernommen, wobei sie insgesammt unter Hinzufügung individuell interessanter Nebenumstände die Unschuld ihrer Genossenschaft erklären. 1) So erzählt Florian von Dulguan, wie er, 1302 aufgenommen, lange jenseit des Meeres, aber auch in Paris und anderer Orten als Templer geweilt habe, aber niemals auch die leiseste Andeutung von den abscheulichen Missbräuchen gehört habe. 2) Alberich von Vendingen, der 28 Jahre dem Orden

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1) Quod IX anni sunt elapsi vel circiter, quod fuit receptus in ordine et quod fuit ultra mare, Parisiis et in pluribus aliis locis, tanquam frater dicti ordinis, nec unquam aliquid de horrendis erroribus percipere potuit vel audire.

2) Die beiden erwähnten, von Raynouard noch gesehenen Protocolle hat auch Odericus Raynaldus für die ann. eccles. noch benutzt; er berichtet, was vielleicht zu ihrer Wiederauffindung dienen kann und jedenfalls einen Hinweis auf die frühere Anordnung des Archivs enthält, folgende Notiz: Judiciariaque acta edita Moguntiae hoc anno atque in memorato archeo palatii Avenionensis reperta consignata No. 68, referunt, quadraginta novem testes adductos nil adversus Templariorum ordinem de sceleribus ipsis impositis respondisse.

 

 

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444 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

angehört, ist zwölf Jahre Mitglied des Conventes gewesen, hat dort und in Paris, wie auch in andern Tempelhäusern den Capiteln der Brüder beigewohnt und ebenfalls auf keine Weise von den Irrthümern gehört.

 

Ein besonders hohes Interesse flösst aber der als Grosspräceptor Deutschlands am Rhein (in partibus Rheni) angeführte Graf Friedrich ein, in welchem vermuthlich derjenige Präceptor von Oberdeutschland zu erkennen ist, welcher, als Bruder des Grafen von Savoyen bezeichnet, den auf Cypern weilenden Balduin von Murrweiler in Gutenberg zum Orden aufgenommen hat. 1) Dieser erklärt sich bereit, auf jede Weise für die volle Unschuld seiner Brüder eintreten zu wollen, und erbietet sich zum Beweise dessen, es auf ein Gottesgericht ankommen lassen und selbst glühende Eigen tragen zu wollen. Er habe, so versichert dieser Zeuge, lange Zeit mit dem Grossmeister zusammengewohnt und sei in dem eingangs angedeuteten Sinne „Genosse“ desselben (compaignon oder socius) gewesen; mit ihm 1306 aus den überseeischen Ordenslanden zurückgekommen, habe er den Ordensmeister dort für einen guten Christen gehalten, und halte ihn noch heute für einen solchen, wie es überhaupt nur irgend einen guten Christen geben könne. 2)

 

Die übrigen zwölf Zeugen, unter denen drei Grafen und andere Personen von Rang, geistlichen und weltlichen Standes,

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1) Urkundentheil S. 197, 198. Bisher haben die Darsteller Würdtwein, Havemann, Wilcke, Falkenstein u. A. in wunderbaren Erklärungen den oben genannten Grafen Hugo und diesen Zeugen entweder identificirt, oder beide für Brüder erklärt, ohne dass bei dem völligen Fehlen eines Familiennamens bei dem letzteren eine Veranlassung vorläge, zwischen beiden ein Verwandtschaftsverhältniss anzunehmen. Beide aber waren nach dem klaren Ausdruck der Quellen unzweifelhaft Templer, und hat der letztere einen bedeutend höheren Rang als der erstere eingenommen.

2) Licet fuerit in partibus ultramarinis XII annis et amplius tanquam frater dicti ordinis, numquam tamen aliquid de horrendis erroribus scivit, audivit vel intellexit . . . Et super hoc paratus esset experientiam subire et ferrum ardens portare . . . . Conversatus fuit cum magno magistro ordinis ultra mare et fuit socius suus, et cum ipso reversus fuit de partibus ultramarinis; et tunc tenuit et adhuc tenet eum pro bono christiano, si aliquis honus christianus esse possit.

 

 

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445 X. Capitel. Verfahren u. Gang der Untersuchung in ausserfranz. Ländern.

 

waren, traten so übereinstimmend zu Gunsten der Unschuld der angeklagten Ritter ein, dass am 1. Juli 1311 deren völlige Freisprechung erfolgte.

 

Dieser Ausgang der von ihm unter genauer Vorschrift zur Anwendung der Folter angeordneten Untersuchung mag dann für Clemens die Veranlassung geboten haben, dass, wie er noch in Italien, um dem Erzbischof von Ravenna ein Paroli zu bieten, im September und October 1311 durch den Erzbischof von Pisa die erwähnte Inquisition zu Florenz vornehmen liess, er jetzt unter offenbarer Missachtung des als Kurfürst und Primas sehr viel höher stehenden Erzbischofs von Mainz den schon genannten Burchard von Magdeburg zum Beginn einer neuen Untersuchung autorisirte. Es heisst in der aus Avignon datirten Bulle, „dass, da die von ihm, dem Papst, zur Untersuchung ernannte Commission wegen der offenkundigen und notorischen Unsicherheit der Wege in Deutschland und namentlich im Erzstift Magdeburg nicht selber die Ausführung (executionem) vornehmen könne, und er wisse, welchen Eifer der Erzbischof in dieser Angelegenheit bisher an den Tag gelegt habe, so möge er allein nicht nur im Sprengel von Magdeburg, sondern auch in den Kirchenprovinzen Mainz, Trier und Cöln die Aburtheilung der Templer in die Hand nehmen, deren Verzögerung oder Aufschub zu grossem Nachtheil gereichen müsste“. 1)

 

Dass dieser Befehl von Burchard, der wegen seiner Grausamkeit und Härte schon 1314 von seinen eigenen Bürgern in einem hölzernen Käfig auf dem Johannisthurm gefangen gesetzt wurde, in irgend einer Weise in Vollzug gesetzt ist, unterliegt wohl keinem Zweifel, und ist in dessen Ausführung wohl der Grund zu den, in manchen volksthümlichen Chroniken vorkommenden Darstellungen von Niedermetzelung der Templer und Zerstörung Ihrer Capellen auch an Orten, die zum Erzstift Mainz gehören, 2)

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1) Dreyhaupt II, 930.

2) So berichtet Rathmann, Geschichte Magdeburgs II, 218, dass Burchard die ergriffenen Templer sämmtlich habe verbrennen lassen, und aus gemeinschaftlicher Quelle schöpfen wohl: s. Joh. Bange's Thüring. Chronik, Mühlhausen 1599. „Im Jahre 1311 wurden die Tempelherren in Sachsen alle an einem tag erschlagen und jhre Kirchen niedergerissen, ohn eine stehet zu Braunschweig.“ -- b. Bothos Chron. bei Leibnitz. Script. rer. Brunsv. II, 374. „In dussem jahre (1311) wart verstort de orden der Tempelheren van bodes wegen des Pauwes Clemens unde Konigh Philippus to Frankrike; me sacht de bose Geist hedde dem Pauwes Clemens den Hals to broken, wente be den sentencien gaff, öre gud to nemen, unde de closter, unde Kerken nedder to breken, dat geschach in Sassen Lande upp einen Dag, itlik Forste in synem Lande, sunder eine Capellen, de steyt bynnen Brunswick.“

 

 

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446 I. Abtheilung: Darstellender Theil.

 

auf die Erinnerung an die bei dieser neuen, beschleunigten und sicherlich unter Anwendung der anbefohlenen Marterqualen ausgeführten Weisung zu suchen. Dass bei dieser Gelegenheit die Templer nicht ruhig still gehalten haben, bezeugt die Erzählung, dass, wie sie sich 1308 bei Beyer-Naumburg so jetzt in ihrer Commende Gehringsdorf mit kriegerischer Hand widersetzt haben. 1)

 

Selbst wenn gegen die in die Hände des Erzbischofs gefallenen Tempelherren die Folter zur Anwendung gebracht worden ist, so kann auch hierdurch kein belastendes Zeugniss gewonnen sein, denn es gehen die Ueberlebenden theils in den Johanniterorden über, theils werden ihnen, die in voller Freiheit weiter lebten, so reiche Dotationen ausgesetzt, dass die Hospitaliter beim Papst wiederholt gegen die Höhe derselben vorstellig werden, und 1316 auch wirklich eine anderweite Regulirung durch Johann XXII. erreichen. 2)

 

Wenn diese Ergebnisse über die in dreien der sechs Erzbisthümer Deutschlands stattgehabten Untersuchungen recht mager genannt werden müssen, so fehlen sie über die Kirchenprovinzen Salzburg, Cöln und Bremen uns völlig. In Böhmen und Mähren, die damals noch zum Erzstift Mainz gehörten, und wo es wenigstens 35 feste Schlösser der Templer gab, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, während „in anderen Ländern die ritterliche und geistliche Miliz der Templer durch Ermordung fast ausgerottet worden ist, in Deutschland dieserhalb kein Blut geflossen sei, dieweil die Ritter mit den Grossen (magnatibus) verwandt waren“.

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1) Man müsste geneigt sein, bei der Uebereinstimmung der Nebenumstände die Belagerungen von Beyer-Naumburg und Gehringsdorf für dasselbe Ereigniss zu halten, wenn nicht die Verschiedenheit der Hauptnamen allzu auffallend wäre.

2) Wohlbrück, Geschichtl. Nachr. derer von Alvensleben I, 219.“

 

 

 

 

Quelle:

Auszug aus Konrad Schrottmüller: Der Untergang des Templer-Ordens. Erster Band. Berlin 1887. Ernst Siegfried Mittler & Sohn. S. I-VIII, 435-446.

 

Beide Bände dieser Arbeit aus der Kollektion americana der Harvard Universität wurden 2007 durch Google digitalisiert. Aus dem Wikipedia-Artikel zu Konrad Schottmüller (Stand 08.11.2020) können ggf. weitere Einzelheiten zu diesem deutschen Historiker und auch die Links zu den Digitalisaten dieser Arbeit auf archive.org entnommen werden.

 

 

 

 

 

 

Der Proceß der Tempelherren

Blätter für literarische Unterhaltung.

Dienstag, Nr. 40, 9. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren.

 

Geschichte des Ausgangs des Tempelherrenordens. Von Wilhelm Havemann. Stuttgart, Cotta. 1846. Gr. 8. 2 Thlr.

 

Es gibt keine heiligere Pflicht für den Geschichtsforscher als die Rettung Unschuldiger von dem Verdammungsurtheile ihrer Zeitgenossen wie der spätern Geschlechter. In diesem Sinne schrieb Lessing seine „Rettungen“. Aber es ist oft schwer, ja unmöglich, den Schleier zu lüften welcher eine einzelne That oder die Handlungsweise der Menschen unserm beschränkten Blicke verbirgt; sucht doch auch unsere Zeit noch immer vergeblich nach der besten Weise, den Thatbestand der Verbrechen an den Tag zu bringen, und welche Fortschritte uns Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des richterlichen Verfahrens in dieser Beziehung verheißen mögen, auch das Geschworenengericht ist nicht vor einer falschen Beurtheilung des Angeklagten gesichert, ja es liegt in den Bedingungen des endlichen Seins, daß auch der Unschuldige hier und da die Strafe des Verbrechers erduldet. Um wie viel schwieriger wird die Aufgabe, Schuld und Unschuld zu sondern, wenn die Thatsachen um die es sich dabei handelt durch lange Zeiträume der Geschichte von uns getrennt sind, wenn sie dunkeln Zeiten angehören, von denen wir nur höchst unvollständige Anschauungen haben, wenn die Sitte des richterlichen Verfahrens, weit entfernt den Thatbestand aufzuklären, denselben nur zu verwirren vermag, wenn Vorurtheil und Aberglaube, Servilität und Bigoterie, die Furcht vor einer nahen Gefahr oder das Streben nach einem erwünschten Besitz das Urteil der Zeitgenossen bestechen, und die Geschichtschreibung unverfälschter und unbefangener Quellenschriften entbehrt. Aber eben weil die Mitwelt und insbesondere in einer barbarischen Zeit oft einseitig urtheilt, ist es wol einer spätern aufgeklärtern oder doch unbetheiligten Periode vergönnt, eine größere Gerechtigkeit als jene zu üben; und die Forschung darf nie ruhen, neue Quellen aufzuspüren, die bisher bekannten zu vergleichen, den immer heller erkannten Geist der Zeit, eine immer richtigere Würdigung der Charaktere zu Rathe zu ziehen, wo es gilt die Ungerechtigkeit zu entlarven und der Unschuld zur Anerkennung zu verhelfen. Unsere Zeit hat auf diesem Felde Vieles geleistet, und Quellenforschung und Kritik ziehen immer mehre fast schon aufgegebene Untersuchungen in ihren Kreis.

 

Eine der interessantesten Fragen der bezeichneten Art betrifft unstreitig den schmählichen Ausgang des Tempelherrenordens, und eine Reihe von Monographien hat dieselbe auf die verschiedenste Weise beantwortet; aber auch für sie hat die neueste Zeit eine neue Untersuchung nöthig und eine entscheidendere Antwort möglich gemacht, und wir wissen es dem Verf. der obengenannten Geschichte Dank, daß er sich durch zwei erst neuerlich erschienene Quellenwerke („Règle et statuts des Templiers”, herausgegeben von Maillard de Chambure, Paris 1840, und „Procès des Templiers“ in der „Collection des documents inédits“, von Michelet, Paris 1841) aufgefodert fand, die mühsame Arbeit einer neuen Revision des Processes der Templer zu unternehmen und eine Darstellung des Ergebnisses zu veröffentlichen. Ref. hält es für kein undankbares Geschäft, ein größeres Publicum auf dieses Werk hinzuweisen; aber auch ein Auszug des Wichtigsten aus demselben, wie ihn der Zweck d. BI. fodert, wird nicht überflüssig sein, da der Verf. zur Vervollständigung seiner Darstellung Manches mitgeteilt hat was für den größern Leserkreis nicht in seiner ganzen Ausführlichkeit von Interesse ist. Auch muß Ref. gestehen, daß es Hrn. Havemann bei dieser Schrift nicht in dem Maße gelungen ist wie wir es von seinen frühern Werken gewohnt sind, durch die Art der Darstellung das Interesse der Leser von Anfang her Iebendig anzuregen und bis zum Schlusse festzuhalten. Wir finden hier meistens nur trockene Excerpte aus den Quellen ohne weitere Verarbeitung, Zusammenstellungen der für die Untersuchung allerdings wesentlichsten Punkte nach gewissen Rubriken, ohne daß wir dabei auf die Bedeutung derselben für die in Betracht kommenden Fragen von vornherein aufmerksam gemacht würden, und das Hauptinteresse, das aus der Zusammenhaltung der bis auf den heutigen Tag sehr verschiedenen Ansichten über den Templerproceß hervorgeht, wird erst in dem Schlußcapitel, wo der Verf. eine vergleichende Kritik derselben mit den Resultaten seiner eigenen Untersuchung verbindet, auf die rechte Weise angeregt.

 

Die nicht ganz kurze und doch nur skizzenhafte „Aeußere Geschichte des Tempelherrenordens“ im ersten

 

 

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Abschnitte läßt ziemlich kalt, wenn wir noch mit keinem Worte auf die Bedeutung derselben für die nachherige Anklage hingewiesen werden; die „Uebersicht der Grundgesetze und Statuten des Ordens“ im zweiten Abschnitte ist ihrer Natur nach trocken und gewinnt ihr Hauptinteresse erst durch die verschiedenen Ansichten der Kritik von derselben; was im dritten Abschnitte von dem „Grundbesitz und den Einkünften des Ordens, sowie von seiner Stellung zum päpstlichen Hofe und zu weltlichen und geistlichen Fürsten“ mitgetheilt wird, ist geeignet, zu bestimmtern Vermuthungen über die Motive zur Verfolgung des Ordens zu führen, erscheint aber, so lange von diesen noch gar nicht die Rede gewesen ist, der großen Menge der Leser dürr und unfruchtbar. Wir hätten gewünscht, es wäre in einer Einleitung, die hier gänzlich fehlt, etwas weiter ausgeführt was in der „Vorrede” nur angedeutet wird: worin die Hauptanklage gegen den Orden bestand (die wir ausführlich erst im vierten und fünften Abschnitt kennen lernen), und wie verschieden die Schuld desselben bis auf die neueste Zeit beurtheilt ist. Der Verf. würde dann ein weit dankbareres Publicum finden, und die Spannung die in der That erst bei dem vierten Abschnitte: „Verhaftung und erste Verhöre des Ordens“, rege wird, und in dem Schlußcapitel ihre Höhe erreicht, würde uns schon von Anfang an begleiten und dem trockenen Studium der ersten Abschnitte, durch die man sich nur mit Mühe hindurcharbeitet, wenigstens einigen höhern Reiz verleihen.

 

Diese Rügen werden Diejenigen nicht von der Lesung des Werkes zurückschrecken welchen es um genauere Kenntniß des behandelten Stoffe zu thun ist; auch soll durch dieselben das große Verdienst nicht geschmälert werden welches sich der Verf. durch sorgfältiges und umfangreiches Studium der Quellenschriften erworben hat. Wie weit wir seinen Resultaten beistimmen können, werden die folgenden Mittheilungen lehren.

 

Es war in dem Todesjahre König Balduin’s I. von Jerusalem, des Bruders und Nachfolgers von Gottfried von Bouillon (1118), daß neun gottesfürchtige Männer ritterlichen Standes aus Frankreich in Jerusalem zusammentraten, um mit den Gelübden der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams, die sie in die Hände des Patriarchen ablegten, zugleich den Schwur zu verbinden, sie wollten Straßen beschützen, Wallfahrtsbrüder zu den heiligen Stätten geleiten und zur Beschirmung des Gelobten Landes wider die Ungläubigen ritterlich ihr Leben daransetzen. Dies war der erste Anfang des ritterlichen Mönchsordens der, da ihm König Balduin II. einen Theil seines an den sogenannten Tempel Salomon’s stoßenden Palastes einräumte, den Namen der Templer bekam und nach zehnjährigen Bestehen, währenddessen die Zahl seiner Mitglieder noch nicht erweitert war, von dem Concilium zu Troyes 1128 unter Papst Honorius II. die Bestätigung und seine wahrscheinlich unter dem Einflusse des heiligen Bernhard von Clairvaux entstandene Regel erhielt. Die zeitgemäße Bestimmung des neuen Ordens führte nun ein rasches Aufblühen desselben herbei, und nachdem er bis zum Ende der Kreuzzüge den ihm ursprünglich vorgezeichneten Zwecken gedient, dafür von Päpsten und Fürsten viele Vergünstigungen und im den verschiedensten Ländern große Schenkungen an Grund und Boden gewonnen hatte, die Zahl seiner Mitglieder auf 15,000, oder nach andern Angaben gar auf 30,000 gestiegen war, erfolgte höchst unerwartet eine Verhaftung der sämmtlichen Ordensritter in Frankreich unter König Philipp IV. dem Schönen, auf dessen Betrieb nicht lange darauf Papst Clemens V. auf dem Concilium zu Vienne 1312 die Aufhebung des Ordens aus päpstlicher Machtvollkommenheit aussprach.

 

Die Hauptanklagepunkte sind nach der zugleich mit dem Befehle zur Verhaftung der Templer an den Seneschall von Beaucaire für die Untersuchung in Languedoc übersandten Anweisung (S. 208) folgende:

 

Der Receptor führe den Aufzunehmenden heimlich hinter den Altar oder in die Sacristei, lasse ihn hier drei mal Christum verleugnen und das vorgehaltene Crucifix anspeien, entkleide ihn alsdann, küsse ihn auf den Rückgrath, auf den Nabel und auf den Mund, erkläre, daß die Befriedigung der Wollust mit dem Manne erlaubt sei, und überreiche ihm eine zuvor mit einem Götzenkopfe in Verbindung gebrachte Schnur. In den Provinzialcapiteln werde, was freilich nur die ältesten Ordensbrüder wüßten, ein Idol in Form eines menschlichen Hauptes angebetet. *) Wegen der Anklage, daß beim Meßopfer die Worte der Consecration ausgelassen werden, soll vorzugsweise bei Priesterbrüdern inquirirt werden.

 

Später erscheint diese Anklage vor der päpstlichen Untersuchungscommission (s. unten) in einer erweiterten Form, die jedoch nach dem noch in Paris befindlichen Brouillon auch von dem königlichen Hofe ausgegangen war. Die Hauptzusätze derselben sind (S. 239 — 240):

 

Dem Aufzunehmenden wird gesagt, daß Christus nicht der wahrhaftige Gott sei, sondern ein falscher Prophet, der um seiner Sünde willen den Tod gelitten habe. Bei der Aufnahme küssen sich Receptor und Recipient auch wol in virga virili, Sodomiterei wird dabei nicht nur erlaubt, sondern selbst anbefohlen, sodaß ein Unterlassen derselben als Sünde gilt. Der Templer betet eine Katze an, glaubt nicht an das Sacrament des Altars und darf nur bei seinem Ordenspriester beichten. Den Orden auf alle Weise, selbst durch Unrecht zu bereichern, was für keine Sünde gilt, muß der Aufzunehmende beschwören. Capitel und Aufnahme finden in der höchsten Heimlichkeit statt.

 

Wir werden erst später gehörig beurtheilen können, wie weit diese Anklagen durch die Untersuchung bestätigt wurden; genug, der Orden wurde in Frankreich schuldig befunden und durch den Papst gänzlich aufgehoben, obgleich die Untersuchung in andern Ländern andere Resultate ergab. Aber bis in die neueste Zeit haben angesehene Gelehrte trotz wiederholter Vertheidigungen des Ordens das über denselben gefällte Urtheil durch nähere Nachweise über die erhobenen Beschuldigungen zu rechtfertigen gesucht. Mit Uebergehung von Nicolai’s und seines Gegners Anton hierher gehörigen Schriften (1782)

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*) Dasselbe führt angeblich den Namen Bassomet; welcher so viel als Mohammed bedeuten soll, und befindet sich vielleicht nur an einer Kapsel, die Manche für ein Reliquienkasten erklären.

 

 

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werde hier nur an die gewichtigen Stimmen von Joseph v. Hammer, Wilcke und Michelet erinnert. J. v. Hammer (in den „Fundgruben des Orients”, Th. 6, „Mysterium Baphometis revelatum” *)) gibt zu, daß von den „an und für sich gerechten Beschuldigungen“ nicht alle Templer getroffen werden; weil aber in dem Orden als solchem geheime, schuldvolle Lehren Geltung gefunden hätten, so habe derselbe verdammt werden müssen. Er fügt Dem ohne weitern Beweis, und „mit einer wahrhaft überraschenden Unkenntniß der gewichtigen Quellenschriften” hinzu, daß schon die ersten Mitglieder eine Geheimlehre gehabt, die sie hinter der vom heiligen Bernhard erhaltenen Regel versteckt hätten. Bei Entzifferung der (angeblichen) zahlreichen Templeridole (dergleichen sich in der Antiquitätensammlung zu Wien und an andern Orten finden) entfaltet er eine Gelehrsamkeit die sich in die Uranfänge der Mythen des Orients und Occidents verliert. Hammer ist durch mehre französische Schriftsteller widerlegt. Wilde („Geschichte des Tempelherrenordens“, Leipzig 1826) glaubt gleichfalls an eine Geheimlehre der Templer, und macht demgemäß die Ritter und dienenden Brüder nur zur Form, die Kleriker zum Wesen des Ordens, ohne allen Beweis. Der ursprüngliche Hauptzweck des Ordens, meint er, mochte noch lange bei den meisten Laiengliedern als solcher gelten, Obere und auserwählte Ritter und Servienten schoben den einer geheimen Lehre und geheimen Politik unter; die Geheimlehre entstand, seitdem der Orden (1162) eigene Geistliche erhielt u. s. w. - Wilcke zweifelt nicht an der Existenz des Idols und sieht die Schuld und Strafwürdigkeit des Ordens als gewiß an. Selbst Michelet, der die Quellenschriften über den Templerproceß an das Licht gezogen (1841), erklärt sich für Mysterien im Orden, erkennt in denselben jedoch ursprünglich zarte sinnige Embleme, deren tiefere Bedeutung dem Orden selbst später verloren gegangen sei. Der Aufzunehmende, sagt er, erscheint anfangs als Sünder, als Abtrünniger, der gleich Petrus verleugnet, auf daß er hinterdrein um so höher gehoben werde. Als das Gelobte Land verloren war, reißt die Sünde in dem Orden ein; weil der Templer den Frauen entsagt, verfällt er in unnatürliche Laster; weil er die Priester entbehren zu können glaubt (?), entsagt er Gott und greift zur Magie Arabiens; man spottet eines Gottes der seinem Kreuze keinen Sieg verliehen hat. Havemann glaubt nicht an eine Geheimlehre und hält den Orden für unschuldig.

(Die Fortsetzung folgt.)

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*) Vergl. „Memoires sur deux coffrets guostiques du moyen age“, von J. v. Hammer (Paris 1832)

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Mittwoch, Nr. 41. 10. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 40.)

 

Die Verschiedenheit der Ansichten, auch bei den tüchtigsten Forschern, findet ihren Grund allerdings auch in der Verschiedenheit der bei dem Processe selbst gemachten Aussagen, und in dem Grade von Glaubwürdigkeit welchen man bald den einen, bald den andern derselben beimessen zu müssen meint. Und in der That, es ist nicht so leicht, eine Reihe der übereinstimmendsten Zeugnisse ohne Weiteres zu verwerfen; und indem man sich ebenso wenig entschließen kann, die Richter der schreiendsten Ungerechtigkeit gegen Unschuldige als die Verurtheilten der schmählichsten Verbrechen schuldig zu glauben, sieht man sich nach irgend einem erklärenden und versöhnenden Mittelwege um, welcher das menschliche Gemüth nicht allzu sehr empört. Doch wir wollen die Sache mit Unbefangenheit von vornherein betrachten.

 

Erhebt sich in dem gewöhnlichen Leben eine Anklage gegen einen Menschen von dem man bisher nichts Böses wußte, da fragen wir zunächst nach seinem frühern Leben, ob sein Wandel die Unthat deren er bezüchtigt wird glaublich mache. Aus diesem Gesichtspunkte gewinnt die „Aeußere Geschichte des Templerordens“ im ersten Abschnitt eine besondere Bedeutung für unsere Untersuchung.

 

Aus einer Menge von einzelnen Kämpfen, die Hr. Havemann nach seiner Weise mit kurzen kräftigen Zügen schildert, ergibt sich als Hauptresultat, daß, so lange die Christenheit überhaupt den Kampf um das Gelobte Land nicht aufgab, bis zu dem endlichen Verlust vom J. 1291, auch der Orden der Templer seiner ursprünglichen Bestimmung, gegen die Ungläubigen zu fechten, obgleich unter mancherlei Wechseln, getreu blieb. In Palästina wie in Aegypten gab er jene ganze Zeit hindurch das Beispiel der heldenmüthigsten Tapferkeit, erfocht wiederholentlich die glänzendsten Siege, und viele Ritter erlitten in der Gefangenschaft, treu ihren Gelübden, den Märtyrertod. Beispiele hiervon finden sich nicht blos in der frühern Zeit, sondern noch kurz vor dem Ende der Kreuzzüge (s. unten). Allerdings brachte der Orden auch schon früh der menschlichen Schwäche sein Tribut; Eifersucht zwischen den Templern und Johannitern lähmte manche Erfolge und wurde mühsam von den Päpsten ausgeglichen, doch blieben trotzdem die drei geistlichen Ritterorden die Hauptvorfechter im Gelobten Lande. Während die übrigen Kreuzfahrer schon durch die erste Eroberung von Jerusalem ihre Aufgabe gelöst glaubten und bald durch Vermischung mit den syrischen Christen in Verderbniß versanken, erhielt sich in den Rittern vom Tempel und St.-Johann die Thatkraft für umfangreichere Bestrebungen. Seit dem Verluste von Jerusalem an den großen Saladin (1187) war längere Zeit Akkon der Mittelpunkt der Templer, Sitz des Großmeisters und der Generalcapitel. Aber der bunte Verkehr, der Reichthum und die Ueppigkeit dieser Stadt drohten auch auf die geistlichen Ritter den verderblichsten Einfluß zu üben. Eine Verlegung des Ordens an einen Ort wo die Versuchung weniger lockte, die Stimme der Pflicht stärker mahnte, schien dem Großmeister Wilhelm von Chartres (1217) ein dringendes Bedürfniß. Er wählte das Schloß Détroit (Districtum — das Pilgerschloß) auf dem Vorsprunge des Karmels gegen das Meer. Die Einsamkeit und die militairische Wichtigkeit des Vorgebirges in der Nähe von Akkon schien der doppelten Aufgabe des Ordens, Verzicht auf die Genüsse des Lebens und Schirm der Christenheit gegen die Feinde des Kreuzes, vorzugsweise zu entsprechen.

 

Im Verlaufe der Zeit wiederholten sich übrigens verschiedene harte Vorwürfe gegen den Orden, die jedoch mehrmals glänzend widerlegt wurden. Nachden man ihn schon länger der Habsucht bezüchtigt, wurde eine Anklage, er habe die ihm und dem Johanniterorden übertragene Sammlung für den Orient zu Unterschleifen benutzt; von einer päpstlichen Untersuchungscommission (um 1221) ungerecht befunden, und dieselbe erklärte, daß beide Orden fortwährend ihren Gelübden gemäß Blut und Habe für die Christenheit eingesetzt hätten. Als schon früherhin ein englischer Templer von St.-Alban zu Saladin übertrat und nach Verleugnung seines Glaubens die Umgegend von Jerusalem verheerte, erhob das erbitterte Volk der Christen die Beschuldigung des Verraths wider den ganzen Orden; bald darauf reinigten sich jedoch die Templer durch die glänzendste Tapferkeit von diesem Verdachte, obgleich es ihnen damals nicht gelang, Jerusalem durch dieselbe zu retten. Die Treulosigkeit,

 

 

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welche Templer wie Hospitaliter gegen Kaiser Friedrich II. übten, indem sie sogar den Sultan Malek al Hamel in Kenntniß setzten, als der Kaiser eine Wallfahrt an den Jordan unternehmen wollte, bewog den Fürsten der Ungläubigen zu dem Ausruf: „Sehet, Das ist Christentreue!” Doch handelten die Orden hierbei nur ihrem Verhältnis zum Papst gemäß, der bekanntlich die Erfolge Friedrich’s als eines Gebannten durch die Christen in Palästina selbst untergraben ließ. (Schon Papst Alexander III. hatte den Templerorden 1171 unmittelbar unter die Hoheit des päpstlichen Stuhls gestellt.) Als Friedrich II. sich durch Vertrag in Besitz von Jerusalem brachte; und ein vielfacher Verkehr der Christen mit den Ungläubigen eintrat, setzten Templer und Johanniter, unbekümmert um einen ohne ihre Zustimmung eingegangenen Frieden, ihre Kämpfe gegen die Feinde des Kreuzes fort.

 

Allmälig wichen indeß die Grundsätze des Ordens in der That in manchen Stücken den herrschenden Leidenschaften und der Macht der Verhältnisse, und bei dem zunehmenden Uebergewichte der Ungläubigen mußten sie sich zu mehren Concessionen gegen dieselben verstehen. Wir sehen Templer und Johanniter Bündnisse mit den allerdings auch unter sich zerfallenen Mohammedanern gegen deren Glaubensgenossen schließen; ja bald stieg der Haß der nebenbuhlerischen Orden gegeneinander zugleich mit dem Sinken der allgemeinen Begeisterung für den heiligen Krieg zu einer solchen Höhe, daß sie sich gegenseitig mit Hülfe der Ungläubigen befehdeten. Unter diesen Verhältnissen fiel Jerufalem 1244 in die Hände türkischer Scharen, welche die Verwirrung benutzend aus den Gegenden des Euphrat heranzogen. Gegen diese verbanden sich nun zwar die drei christlichen Ritterorden mit den mohammedanischen Beherrschern des übrigen Palästina, doch vermochten sie Jerusalem nicht wiederzugewinnen.

 

Um dieselbe Zeit drohte der Sultan Ejub von Aegypten die Christen gänzlich aus dem Gelobten Lande zu verdrängen; noch einmal erschien Hülfe aus dem Abendlande unter dem mit wahrer Begeisterung für seinen Glauben kämpfenden Ludwig IX. dem Heiligen von Frankreich. Rasch gewann er Damiette, dann zog er gen Kairo; als vielerfahrene Kämpfer bildeten die Templer die Vorhut seines Heeres; doch zogen sie sich, indem sie von Eifersucht getrieben dem Bruder des Königs den Vorstreit in der Schlacht nicht gönnten, den Verdacht verrätherischer Absichten zu. Eine Folge dieser Zwistigkeiten war die Gefangenschaft des Königs Ludwig. Seit seiner Rückkehr nach dem Abendlande blieben die Orden der Templer und Johanniter der einzige noch übrige Schutz des Gelobten Landes. „Beider Tapferkeit blieb dieselbe wie in den Glanztagen des Glücks, aber gegenseitige Eifersucht gestattete kein gemeinsames Handeln.” Unter neuen Kämpfen mit den Ungläubigen sah sich der Templerorden zum ersten male (1260) durch Noth gedrungen, mit Verletzung der Statuten seine Gefangenen frei zu kaufen.

 

Bald schien eine völlige Umwälzung der politischen Verhältnisse in den Morgenländern bevorzustehen. Wie die Christen von den Sultanen von Aegypten und Damaskus, so wurden diese von den Mongolenhorden bedrängt, die 1258 Bagdad gewonnen und dem Khalifat ein Ende gemacht hatten. Doch litten die Templer und Johanniter vor Allem von den Angriffen der Sultane Aegyptens; die Ungläubigen spotteten dieser Gegner, „die in den Augenblicken der dringendsten Noth den kleinlichen Hader untereinander nicht vergessen konnten“; auch jetzt noch bringen indeß 150 Templer, denen in der Gefangenschaft die Wahl zwischen Tod und Annahme des Koran gelassen wird, ihr Leben freudig für den wahren Glauben zum Opfer. Im J. 1285 verloren die Hospitaliter ihre Ietzte Burg Marcab; 1289 versuchten die Templer vergeblich die Vertheidigung von Tripolis. Fast nur Akkon blieb noch in den Händen der Christen, und die Päpste boten noch einmal Scharen von Kreuzfahrern zur Rettung dieses Bollwerks der Christenheit im Morgenlande auf.

 

Fast alle Berichterstatter stimmen in ihrer Schilderung über die grenzenlose Verderbtheit überein die seit geraumer Zeit unter den Christen Palästinas herrschte. „Wie die weltlichen Ritter, so vergaßen die geistlichen nur zu häufig in dem Reichthum ihres Ordens und dem Verlangen diesen zu mehren ihre harten Gelübde.” Der Habsucht fröhnte unleugbar auch der Orden der Templer, obgleich er von früh her vorzüglich den Vorwurf des Stolzes auf sich geladen hatte. Am entschiedensten trat das Sittenverderben unter den Bewohnern Akkons hervor, wo ein Zusammenfluß der verschiedensten Völker jeder Sitte und Ordnung hindernd in den Weg trat. Als 1291 Males al Aschraf die Belagerung Akkons begann, führte der Großmeister der Templer, Wilhelm von Beaujeu, den Oberbefehl über die ganze Stadt; noch einmal kämpften unter ihm die drei Orden „durch glänzende Tapferkeit des heiligen Zeichens würdig”. Als die Gefahr wuchs, löste sich in der eingeschlossenen Stadt Zucht und Ordnung mehr und mehr; Wilhelm von Beaujeu unterhandelte mit dem Sultan und ward dafür des Verraths bezüchtigt; tapfer kämpfend tilgte er diese Schmach mit seinem Blute. Noch vertheidigten 300 Templer die hart am Strande gelegene Tempelburg, aber ihr Muth zu siegen war mit dem Tode des Meisters gebrochen. Bei wiederholten Stürmen opferten sie jedoch ihr Leben, bis die tapfere Schar auf zehn Ritter zusammengeschmolzen war. *) Diese traten noch einmal zur Wahl eines Großmeisters zusammen; dem Ernannten, Theobald, Präceptor von Akkon, blieb Nichts übrig als gleich den Großmeistern der Hospitaliter und Deutschritter sich unter dem Brande des erstürmten Akkon mit dem kleinen Reste des Ordens über das Meer zu retten. Auch Sidon und das Pilgerschloß, die noch von den Templern besetzt waren, mußten nun geräumt werden.

 

In Cypem fanden sich die geretteten Templer und Johanniter zusammen; doch wurden sie auch hier sogleich

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*) Im Ganzen waren bei der Vertheiigung der Stadt 490 Templer gefallen.

 

 

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in neue Zwistigkeiten verwickelt, da die Cyprioten ebenso entschieden an der griechischen Kirche hingen wie die Orden an dem Heiligen Vater in Rom. Jacques de Molay, hier 1298 (oder 1299) zum Großmeister des Ordens erkoren, „ein kühner, sittenreiner Mann, der unter Beaujeu mehr als ein mal dem Tode getrotzt hatte“, fand jetzt sein Verdienst darin, eine Steuer, welche der König von Cypern dem Orden auferlegen wollte, abzuwehren. Bald sollte er seinen Geist in härterm Kampfe bewähren.

 

Unser Verf., der sich im ersten Abschnitte mit Darstellung dieser Thatsachen in mancherlei weiter ausgeführten Einzelheiten begnügt, benutzt dieselben erst in dem Schlußcapitel zur Bekämpfung der Ansicht von einer Geheimlehre in dem Orden. Er sagt (S. 371):

 

Die Richtung des Ordens ist unverkennbar (auch) in der spätern Zeit zunächst eine kriegerische, sodaß die geistliche fast nur als accessorisch zu betrachten ist. Es war eine aristokratische Gemeinde, in welcher die Ritterschaft vorwaltete . . . Diese Männer die, wenn sie das Kreuz geschlagen und ihre Seele der Heiligen Jungfrau empfohlen halten, in den Kampf stürzten, deren Großmeister sich bei dem Verhör damit entschuldigt, er sei nur simplex miles, nur vir illiteratus und verstehe die Sprache vor Gericht nicht, — — sie sollen in speculativer Mystik einer Geheimlehre angehört haben zu welcher nur Grübeln in mußereicher Einsamkeit führen konnte!

 

Gewiß, jenes durch die Geschichte begründete Resultat verträgt sich wenig mit Wilcke’s Ansicht, nach welcher „die Geheimlehre die Ritter und dienenden Brüder nur zur Form, die Kleriker aber zum Wesen des Ordens machen mußte!” Wir fügen Dem noch hinzu, daß zwar nach der gegebenen geschichtlichen Skizze eine mehrfache Entartung des Ordens in der spätern Zeit unleugbar ist, daß mit dem Erlöschen der allgemeinen Begeisterung für den Heiligen Krieg einseitige Anhänglichkeit an das Papstthum (bei Friedrich's II. Kreuzzug) und kleinliche Eifersucht auf die Ordensvorrechte (im Kampf mit den Johannitern und bei Gelegenheit von Ludwig's des Heiligen Unternehmen auf Aegypten) die höhern Zwecke der Beschirmung des Gelobten Landes in Vergessenheit brachten, daß der Orden in der Noth der Umstände sich zu früher verschmähten Unterhandlungen und Bündnissen mit den Ungläubigen herbeiließ, daß er sich von Stolz und von Habsucht und wol auch von Ueppigkeit, die bei den Christen des Morgenlandes im Schwange ging, nicht frei erhielt; daß aber alle diese Vorwürfe kaum in geringerem Grade doch auch die Johanniter und Deutschritter treffen, und aus dem Zugeständnisse derselben wenigstens nicht auf die Wahrheit der von den Anhängern des Ordens erhobenen Hauptbeschuldigungen geschlossen werden darf.

 

(Die Fortsetzung folgt.)

 

 

 

Blätter für literarische Unterhaltung.

Donnerstag, — N. 42. — 11. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 41.)

 

Versuchen wir nun aus Dem was wir von den „Statuten des Ordens“ im zweiten Abschnitte erfahren uns Licht über die angebliche Schuld desselben zu verschaffen, was um so nöthiger ist, da die äußere Geschichte höchstens auf die Verschuldung der einzelnen Glieder des Ordens schließen läßt, bei der Anklage aber das ganze Gewicht darauf gelegt wurde, der Orden als solcher habe sich mit seiner wahrhaft christlichen Bestimmung durch Förderung ganz entgegengesetzter Verkehrtheiten in Widerspruch gesetzt.

 

Die unter dem Einflusse des heiligen Bernhard entstandenen „Statuten von Troyes“ sind uns in ihrem ursprünglichen Wesen nicht aufbewahrt. In der zuerst von Lemire veröffentlichten (lateinischen) „Regula“ lassen sich indeß mehre allgemeine Vorschriften mit einiger Sicherheit als Satzungen von Troyes erkennen. Dem Bedürfnisse der Fortbildung der Regel entsprach die dem Großmeister und Capitel vom Papste Alexander III. zugebilligten Autonomie. Die 1794 zuerst bekannt gewordenen französischen Statuten sind wahrscheinlich eine von 1247 — 66 vorgenommene Redaction der erweiterten Ordensregel, und es wird in derselben kein wesentlicher Punkt der „Regula“ übergangen. Während die Iateinische Regel sich indeß mehr mit den Pflichten des Einzelnen beschäftigt, erörtert das französische Statut besonders die Corporationsaufgabe des Ordens; nur jene scheint allen Ordensbrüdern, die letztere nur den Obern mitgetheilt zu sein.

 

Was insonderheit die Art der Aufnahme betrifft (bekanntlich ist diese ein Hauptpunkt der Anklage!), so sind die Vorschriften über dieselbe in den Statuten durchaus dem ursprünglichen Zweck des Ordens gemäß, und zufolge vieler Aussagen bei dem Processe fand sie wirklich (es kommt ein Beispiel noch vom J. 1298 vor) nach den hier gegebenen Bestimmungen statt.

 

Nicht ohne Bedeutung für die gegen den Orden gerichtete Anklage ist auch die Gliederung desselben, wie wir sie aus den Statuten kennen lernen. An der Spitze des Ordens steht der Großmeister, dessen Wahl durch das Capitel erfolgt; die Wahl geschieht unter christlichen Gebräuchen. Seine Macht ist durch das Capitel mehrfach beschränkt. *) Andere hohe Ordensämter sind die des Seneschall, Marschall, der drei Großpräceptoren im Morgenlande (von Jerusalem, Tripolis und Antiochien), desgleichen in den europäischen Ländern, der Comthure u. s. w. Alle diese Aemter werden aus der Classe der Ritter besetzt; neben diesen gibt es Capellaine, welche „dasselbe Gelübde leisten wie die übrigen Brüder”. Eine dritte Classe sind die dienenden Brüder (sergens, servans), welche schwarze Röcke mit rothen Kreuzen tragen; der weiße Mantel mit rothem Kreuz gebührt nur dem Ritter (auch den Capellainen nicht). Nach ihren Beschäftigungen zerfallen die Dienenden in servans d’office (Handwerker, Hirten, Feldbauern) und in servans d’armes, welche dem Ritter in den Kampf folgen. Zu den fünf Hauptämtern die aus ihnen besetzt werden gehören die des Untermarschalls, des Ordensschmieds, der Meier; öfter stehen sie auch Tempelhäusern als Präceptoren oder Comthure vor. Insbesondere erhellt noch daraus, „daß z. B. ein Servient das überaus wichtige Amt eines Schatzmeisters im Temple zu Paris inne hatte, zur Genüge, daß der Stand des Servienten keineswegs ein so untergeordneter war wie gewöhnlich angenommen wird“. Gleich den Hospitalitern und Deutschrittern besaß auch der Tempelorden seine Affiliirten, „Männer aus den Ständen der Ritterschaft, Geistlichkeit und Bürger“, welche durch Uebernahme gewisser Verpflichtungen für den Orden Gottes Gnade oder weltlichen Schutz zu erwerben gedachten. Unter diesen werden auch Verheirathete geduldet.

 

Es gibt Generalcapitel, welche der Großmeister ausschreibt; Provinzialcapitel, welche der Großpräceptor einer Provinz hält, Capitel der Comthureien, welche deren Vorsteher beruft. Die Capitel werden unter christlichen Gebräuchen gehalten. Die Verhandlungen sind geheim, selbst für diejenigen Ordensglieder welche der Sitzung gerade nicht beiwohnen. Jeder der sich eines Vergehens bewußt ist beichtet vor versammeltem Capitel, worauf er sich der von diesem auferlegten Buße unterwirft. S. 128:

 

Durch alle Statuten zieht sich die Hinweisung auf Gott

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*) In einem Schreiben des Capitels an den Großmeister heißt es bei Auffoderung desselben zur Rückkehr aus Frankreich nach dem Orient (1149): „Venite et nolite tardare; sic enim volumus, monemus et postulamus.“

 

 

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und die menschliche Sündhaftigkeit, die Aufgabe, durch Gebet und treues inniges Nachleben der religiösen Vorschriften den Himmel zu erringen.

 

S. 130— 134:

 

Es ziemt sich, sagt die Regel, daß Ritter welche Christum über Alles lieben dem Großmeister unbedingten Gehorsam leisten. — — Alte und schwache Brüder sollen mit Liebe getragen und geehrt werden; für kranke Brüder ist die höchste Sorgfalt anzuwenden. Jeder soll in seinem Bette für sich schlafen, so lange nicht gebieterische Umstände das Gegentheil erheischen.

 

Auf zehn Arten von Vergehungen setzen die Statuten unerbittlich die Strafe der Ausstoßung aus dem Orden: 1) Simonie (Aufnahme in den Orden durch Bestechung); 2) Mittheilung des im Capitel Verhandelten (s. oben); 3) Mord; 4) Uebergang zu den Ungläubigen; 5) Verlassen des Banners aus Furcht vor den Ungläubigen; 6) Ketzerei, Abweichen von den Glaubensartikeln der römischen Kirche; 7) Sodomiterei u. s. w. Die härteste Strafe nächst der Ausstoßung ist Abnahme des Ordenskleides (dont Dieu gart [garde] chascun frere); sie steht auf 17 Arten von Vergehen. Geringere Verbrechen werden durch verschiedene Arten von Ponitenzen gebüßt. Ohne Erlaubniß die Genossenschaft zu verlassen, um in einen andern Orden einzutreten, ist verboten; wer den Orden verlassen hat und in denselben zurückzutreten wünscht, kann durch Beschluß des Capitels nach einer Büßung wieder aufgenommen werden.

 

Wir sehen schon aus dem mitgetheilten Auszuge der Statuten, daß sie sich durchaus der ursprünglichen ehrenwerthen Bestimmung des Ordens anschließen; andere kennen wir nicht. Eine Hauptfrage würde sich auch durch vollständige Mittheilung der bekannten Statuten nicht erledigen, die man für die Untersuchung der Schuld des Ordens für sehr wichtig gehalten hat: „Ob geheime Statuten vorhanden gewesen seien?" Doch verliert diese Frage in der That ihre Bedeutung dadurch, dass die Geltung der bekannten Statuten bis zur Aufhebung des Ordens nicht hinweggeleugnet werden kann, folglich nichts diesen Widersprechendes in den geheimen Statuten angenommen werden darf. Außerdem zeigt sich aber bei dem Processe keine Spur von geheimen Statuten. Wilcke meint nun zwar: „Hatte der Orden Schuld, so hatte er gewiß bei seiner Verhaftung die meisten Papiere verbrannt“; doch widerlegt sich diese Annahme durch die ganz unvorhergesehene Verhaftung der Templer (s. unten). Allerdings ist die Voraussetzung geheimer Statuten auf den ersten Blick ein leichtes Mittel, die verschiedenen Aussagen der Ordensmitglieder bei dem Untersuchungsprocesse zu erklären, zumal wenn man wie Nicolai „eine Mittheilung der Geheimlehren in minderm und größerm Umfange nach drei Abstufungen in welche die Brüder zerfallen seien” annimmt. An eine historische Begründung dieser Ansicht ist indeß nicht zu denken, und unser Verf. bemerkt dagegen (S. 369) mit Recht noch Folgendes:

 

Daß, da die umfassenden Geständnisse der Schuld des Ordens größtentheils von niedrig (?) stehenden Servienten (Hirten und Handwerkern) abgelegt wurden, diesen nach der Annahme Nicolai's die höchsten Weihen zu Theil geworden sein müßten.

 

Doch es ist Zeit, näher auf die Art des Verfahrens welches bei Aufhebung der Templer beobachtet wurde einzugehen; denn nur aus dieser werden wir eine bestimmtere Ansicht zu gewinnen vermögen, ob und wie weit die gegen den Orden erhobenen Beschuldigungen in der Wahrheit begründet waren.

 

Von den frühen Verhältnissen Philipp’s des Schönen zu dem Templerorden soll späterhin die Rede sein, wenn es gilt, die wahren Motive zu entdecken die ihn zur Verfolgung derselben bestimmten. Vernehmen wir zunächst das Thatsächliche von der „Verhaftung und den ersten Verhören des Ordens“ im vierten Abschnitte. Schon bei der Einleitung des ganzen Verfahrens finden wir indeß auch den Papst Clemens V. thätig. Es ist bekannt, in welche Händel Philipp der Schöne mit Bonifaz VIII. verwickelt war, und wie unter demselben die päpstliche Macht von Frankreich aus, der königlichen gegenüber, einen bedeutenden Stoß erlitt. Nach Bonifaz’ unglücklichem Ende (1303) hatte Benedict XI. (nicht IX., wie es S. 189 heißt) den päpstlichen Stuhl nur auf acht Monate inne. Seitdem blieb das Pontificat fast ein Jahr lang vacant; während desselben kämpften die französische und italienische Partei über die Wahl eines Kirchenoberhaupts, bis nach einer Uebereinkunft zwischen ihnen Clemens V., ein Franzose, gewählt wurde (1305), den Philipp IV. nur unter mehren Bedingungen anerkannte welche den Sieg des Königs über das Pontificat entschieden. Eine derselben, die aber geheim blieb, soll „nach den meisten Berichterstattern“ das Versprechen der Aufhebung des Templerordens von Seiten des Papstes gewesen sein. Dieses beruht indeß wol nur auf Vermuthung; es liegt nicht minder nahe, bei jener Bedingung an die Verlegung des päpstlichen Stuhls nach Avignon zu denken, die freilich erst 1309 zu Stande kam. Clemens soll bei der ersten Anfoderung, den Templerorden zu vernichten, erstaunt gewesen sein. Philipp erklärte ihm indeß, er habe hinlängliche Beweise von abscheulichen Verbrechen desselben in Händen. Nach einer Erzählung die nicht wohl zu bezweifeln ist, gründete Philipp diese Versicherung von Anfang her nur auf die Aussagen von zwei auf den Tod sitzenden Verbrechern, oder von Templern die aus dem Orden gestoßen waren. Den größten Theil des Jahres 1306 verlebte Clemens V. in Bordeaux. Von hier aus lud er die Großmeister der Hospitaliter und Templer (Letzterer war Jaques de MoIay) zu einer persönlichen Besprechung ein, angeblich um über eine dem Könige von Armenien und Cypern zu leistende Hülfe zu berathen; dazu sollten Jene einige der verständigsten und erfahrensten ihrer Ordensbrüder mitbringen, ohne durch ein zahlreiches Gefolge die Orden im Orient zu schwächen; übrigens werde ihre Abwesenheit nur kurze Zeit dauern. Dieser Einladung kam der Meister der Hospitaliter, Wilhelm von Villaret, nicht nach, weil ihn die Besitznahme von Rhodus beschäftigte. Man meint, daß Dieses ihn und seinen Orden gerettet habe.

 

 

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Dagegen entsprach Jaques de Molay unverweilt dem Ruf des Heiligen Vaters. Am Königshofe zu Paris ward ihm die zuvorkommendste Aufnahme zu Theil; von dort ging er nach Poitiers, wo Clemens V. eben seinen Aufenthalt genommen hatte: Auch dieser empfing ihn mit der größten Freundlichkeit und legte nach einer allgemeinen Besprechung über die Mittel zur Befreiung des Gelobten Landes insonderheit einen Plan zur Vereinigung der Templer und Hospitaliter unter Einer Regel und Einem Großmeister vor. Das Gutachten Molay’s über den letztern ging kürzlich dahin: Die schon früher wiederholentlich gemachten Versuche einer solchen Vereinigung seien bei näherer Prüfung niemals zweckmäßig erschienen, doch sei er bereit, in einem zu berufenden Capitel die Meinung der Brüder über diesen Gegenstand zu vernehmen. Trotz der Heimlichkeit mit welcher Philipp und Clemens verfuhren, war doch ein Gerücht von der wider den Orden erhobenen Anklage grober Unsittlichkeit zu dem Großmeister gedrungen; Dieses bewog ihn, bei dem Papst inständigst um eine schleunige Untersuchung anzuhalten, wobei er sich erbot „als Gefangener zurückzubleiben, bis die Unschuld des Ordens erwiesen sei, und sein Leben zum Pfande zu setzen, daß auch die geringste Beschuldigung sich als unwahr ergeben werde“. Vom Papste beruhigt ging sodann Molay mit seinen Rittern nach Paris, während Philipp IV. sich, um Pfingsten 1307, bei dem Papste in Poitiers einfand. Es folgten längere Unterhandlungen zwischen dem König und dem Papste; im August meldet dieser dem Erstern in einem Schreiben seine Absicht, eine Untersuchung gegen den Orden einzuleiten, da er die gegen denselben erhobene Anklage nicht mehr so entschieden in Zweifel ziehen könne. Schon vorher hatte er an Philipp geschrieben: „Bei des Königs Sehnsucht, das Gelobte Land von Ungläubigen gereinigt zu wissen, werde sich derselbe freuen (!), wenn er ihm benachrichtige, daß, im Fall die Aufhebung der Templer notwendig werde, alle Güter und Einkünfte des Ordens lediglich für die Befreiung des heiligen Grabes verwandt werden sollten.” Der Papst scheint indeß noch geschwankt zu haben; plötzlich schritt jetzt Philipp selbst eigenmächtig gegen den Orden ein. Am Tage der Kreuzeserhöhung 1309 (14. Sept.) ertheilte der König an alle hohe Kronbeamten der Provinzen den Befehl, „am Abend des 12. Oct. wohlbewaffnet und mit rüstigem Gefolge versehen zu sein, und erst dann, bei Todesstrafe nicht eher, das beigeschlossene versiegelte Schreiben zu eröffnen“. Dieses Schreiben lautete im Wesentlichen dahin; in Uebereinstimmung mit dem Papste solle eine Untersuchung gegen die Templer eingeleitet und diese deshalb in der ersten Frühe des 13. Oct. mit Gewalt verhaftet und in gesonderten Gewahrsam gebracht werden. Wie befohlen war, geschah es; sorglos wurde auch Molay mit seinen Rittern im Temple zu Paris von Wilhelm von Nogaret ergriffen; zugleich fielen die daselbst aufgehäuften Schätze in des Königs Hände.

 

Staunen und Bestürzung ergriff das Volk *); jetzt erst, als Beamte den Anfang machten, für König und Papst ein Verzeichniß der Tempelgüter aufzunehmen, wurde die Anklage auf Ketzerei und widernatürliche Laster gegen den Orden veröffentlicht. Diese fand indeß wenig Glauben; man dachte daran, daß derselbe Wilhelm von Nogaret einst die Schätze von Bonifaz VIII. für den König geraubt, wie Philipp schon früher beabsichtigt hatte, die vereinigten Templer und Johanniter unter einen seiner Söhne zu stellen u. s. w. Der König suchte die Aufregung welche sich unter dem Volke zeigte zu beschwichtigen; am 14. Oct. wurden die Hauptklagepunkte einer Versammlung von Theologen, am 15. Oct. der nach Quartieren zusammenberufenen pariser Bürgerschaft näher auseinandergesetzt. Die öffentliche Stimme hielt indeß für unwahrscheinlich, daß die angeblichen schändlichen Mysterien des Ordens von keinem Einzigen der zahlreichen Templer einem Beichtvater mitgetheilt sein sollten, daß eine Genossenschaft die sich fortwährend den Kampf gegen die Ungläubigen zur Aufgabe gesetzt selbst in Unglauben verfallen wäre.

 

Wir können bei dieser Gelegenheit allerdings dem Verf. nicht beistimmen, wenn er (S. 341) urtheilt: „Man sieht, der König schmeichelt durch diese Mittheilungen (an Geistlichkeit und Bürgerschaft) einem Volke das er fürchtet“, und hierin einen Beweis zu finden scheint, daß die Anklage erfunden war. Denn der König that jedenfalls am besten, auch wenn er im Recht war, durch dasselbe Mittel die öffentliche Meinung zu gewinnen. Auf der andern Seite aber scheint es uns doch mit Hrn. Havemann von großer Bedeutung, daß die Anklage gegen den Orden keineswegs auf allgemein herrschende Ansicht von dessen Verderbniß gestützt war, vielmehr mit der unbefangenen öffentlichen Meinung in völligem Widerspruch stand. Gewiß ist Dieses ein starker Beweis, daß dem Orden in seiner Gesammtheit keine Entfremdung von seinem ursprünglichen Zwecke zur Last zu legen war.

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*) „De quorum captione totus mundus fuit admiratus“, heißt es in einer Vita Molay’s.

 

(Die Fortsetzung folgt.)

 

 

 

Blätter für literarische Unterhaltung.

Freitag, — N. 43. — 12. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 42.)

 

Unverzüglich nach der Verhaftung der Ordensglieder im Temple der Hauptstadt war eben daselbst unter der Leitung Nogaret's und des Generalinquisitors Wilhelm von Paris das erste Verhör begonnen, welchem wie den unmittelbar folgenden selbst der König zuweilen beiwohnte. Gleich anfangs erkannte der Großmeister Molay und einige andere Ordensbrüder in einer

 

Zusammenkunft von Magistern und Scholaren aller Facultäten die Wahrheit einzelner (welcher?) vorgehaltenen Artikel an. Einige erklärten, daß die Reception in der vorgeworfenen fluchwürdigen Weise seit etwa 40 Jahren erfolgt sei. — Vor einer zweiten Versammlung der Universität von Paris bekannten Molay, der Schatzmeister des Temple u. A. ohne weitern Vorbehalt, der Erstere im Namen des ganzen Ordens (pro toto ordine).

 

Die Meisten der im Temple Verhafteten, unter ihnen Molay selbst, wurden sodann nach andern Gefängnissen außerhalb Paris abgeführt; von den im Temple Zurückgebliebenen legten Mehre aus Verzweiflung Hand an sich. Der Großmeister ward erst nach dem Königsschlosse Corbeil gebracht, später finden wir ihn in Chinon (in der Touraine). Der Generalinquisitor betreibt sodann die Untersuchung auch in andern Provinzen. Schon bei den ersten Verhören erwähnen die gleichzeitigen Geschichtschreiber der Anwendung der Folter und bemerken, daß bei Vielen Geständnisse durch dieselbe erpreßt seien. Andere auch unter den härtesten Martern bis zum Tode bei Behauptung der Unschuld des Ordens beharrten. Nicht minder wurden auch Versprechungen angewandt, um Geständnisse zu erzielen *), und selbst Molay erklärte in seinen letzten Reden (s. unten), daß er durch solche zu seinen ersten Aussagen bewogen sei.

 

Von den Verhören im Temple fehlen die Protokolle; dagegen kennen wir die Actenstücke über die ersten Verhöre in Languedoc. In der zugleich mit dem Befehle zur Verhaftung der Templer an den dortigen Seneschall (von Beaucaire) übersandten Anweisung heißt es: „Man soll auf alle Weise die Wahrheit (!) erforschen, auch, wenn es Noth thut, vermöge der Folter; das Verhör soll mit der Bemerkung beginnen, daß Kirche und König durch glaubwürdige Zeugen aus der Mitte des Ordens von der Ketzerei bei der Aufnahme unterrichtet seien; man soll für ein sofortiges Geständniß Gnade zusagen“ u. s. w. Beiweitem die Meisten von den hier durch den Seneschall verhafteren 66 Templern sind Servienten. Die acht zuerst Verhörten, alle Servienten (S. 208)

 

gestehen, auf das genaueste miteinander übereinstimmend, durchaus den wörtlichen Gehalt einzelner Anklagepunkte; Alle fügen eidlich hinzu, nie Sodamiterei getrieben zu haben, noch je darum angegangen zu sein; die Verleugnung bei der Aufnahme, auf Androhung von Gefängniß oder Enthauptung, nur mit dem Munde, nicht mit dem Herzen (ore, non corde) gesprochen zu haben; endlich von einem Idol und der Auslassung der Worte am Altar Nichts zu wissen.

 

Ganz ähnlich sagen die Andern aus, oft „mit denselben Ausdrücken“; doch gesteht ein Priester, daß ihm bei der Aufnahme vorgeschrieben sei, eine nicht consecrirte Hostie zu reichen und die Einsetzungsworte auszulassen; er habe indessen die heiligen Worte wenigstens im Herzen gesprochen. Ein gewisser Bertrand Arnaud, der erst Alles geleugnet, sagt dann aus, er habe Christum verleugnet und das Kreuz angespien, der Receptor habe ihm erklärt, er dürfe nach den Statuten mit jedem Ordensbruder Sodomiterei treiben, doch habe er es nie gethan; die Messe werde untadelhaft gehalten, von einem Idol wisse er Nichts. Einzelne Andere geben jede Anschuldigung zu, selbst die Anbetung des Idols. Manche leugnen dagegen alle Anklagepunkte, z. B. in Clermont 29, während 40 ebendaselbst auf die Anschuldigungen eingehen. Jene fügen sogar hinzu, daß, wenn ihnen später durch die Folter ein Geständniß entrissen werden sollte, dieses unwahr sei; 25 Templer, welche der Bischof vom Elne (Perpignan) vernahm, leugneten mit dem Zusatz: „Wenn der Großmeister anders gesprochen, so habe er Solches in seinen Hals gelogen!“

 

Diese verwirrende Verschiedenheit der Aussagen zu erklären reicht die Annahme von verschiedenen Graden nicht aus, da die Servienten, die niedrigste Classe, am Meisten zugestehen. Es bleibt kaum eine andere Erklärung übrig als die vom Havemann gegebene, auch wie

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*) So heißt es: „Confessi sunt — — alii aquidem, ut videbatur, poenitentia ducti, alii autem diversis formentis quaestionati, alii blandis tracti promissionibus et illecti etc. — Multi tamen penitus omnia negaverunt et plures, qui confessi primo fuerunt, ad negationem postea reversi sunt, lu ea flualiter persistentes; quorum nonnulli inter ipsa supplicia perierunt.“

 

 

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wir sahen in den Quellen begründete, daß die Folter unbegründete Geständnisse erpreßte oder Verheißungen sie entlockten. Von einer andern Seite her gewinnen wir dasselbe Resultat, wenn wir hören, daß in den Ländern außerhalb Frankreich (s. unten), wo keine Folter angewendet wurde, auch keine Geständnisse erfolgen. Es ergibt sich übrigens ferner aus der oft wörtlichen Uebereinstimmung der Aussagen, daß dieselben durch die Fragen supponirt wurden, und wenn wir bei den meisten Geständnissen die Schuld immer auf den Orden werfen sehen, während die Geständigen ihre persönliche Unschuld behaupten, so erklärt sich Dieses wol am natürlichsten aus der Tendenz Philipp’s, den Orden zu vernichten, ohne allzu grausam gegen dessen Mitglieder zu verfahren.

 

Inzwischen trat (März 1308) die vom Könige zusammenberufene Sorbonne mit der Ansicht hervor, daß weltlicher Richter keine Untersuchung gegen Ketzerei anstellen könne, wenn nicht dringende Gefahr jeden Aufschub verbiete, sowie daß die Güter geistlicher Ritterorden nur zu ihrer ursprünglichen Bestimmung verwandt werden dürften. Schon hatte sich auch der Papst in verschiedenen Schreiben, an Philipp wie an die hohe Geistlichkeit, gegen das Verfahren des Königs erklärt. Wir können dem Urtheile Havemann's nicht beistimmen: „die Verhaftung der Templer habe den Papst nicht überraschen können, denn er sei unstreitig im voraus von derselben unterrichtet gewesen“; vielmehr läßt der oben erzählte Hergang bei der Verhaftung das Gegentheil glauben. Unzweifelhaft aber ist es des Papstes Ernst, wenn er es in einer Bulle vom 27. Oct. 1307 unerhört nennt, daß die Untersuchung über Geistliche durch Weltliche geführt werde. Philipp rief wegen dieser Differenz jetzt, wie einst unter seinen Händeln mit Bonifaz VIII., die Stände des Reichs zusammen, deren Mehrheit nach geschehener Vorlegung der niedergeschriebenen Aussagen der Verhafteten das Verfahren des Königs guthieß. An bloße Servilität dürfen wir dabei nicht denken; gewiß kam den Meisten in der Versammlung bei der Befangenheit jener Zeit kein Zweifel an der Wahrheit der durch die Tortur erpreßten Geständnisse, und in dem Kampfe zwischen weltlicher und geistlicher Macht war die öffentliche Meinung in Frankreich (zumal des mitberufenen Tiers-Etat), wie das Schicksal Bonifaz' VIII. bewiesen hatte, bereits auf Seiten der erstern. Der Papst behauptete dennoch, man habe in dieser wichtigen Sache nicht ohne sein Vorwissen handeln dürfen, und verlangte, daß die Gefangenen ihm überantwortet würden. Ferner erklärte er, daß die Einkünfte der Ordensgüter zum Besten des Gelobten Landes verwandt werden müßten.

 

Unter mancherlei Kämpfen, bei denen Philipp mit gewohnter Entschiedenheit auftrat, gab Clemens jedoch endlich (Mitte 1308?) so weit nach, daß die Tempelgüter bis zu einer Verfügung der Kirche über dieselben in Philipp's Händen bleiben, auch die Gefangenen vom Könige bis zu Eröffnung eines Concils bewacht werden sollten; der Papst behielt sich nur das Urtheil über den Großmeister und die ersten Ordensoffiziere, sowie die letzte Entscheidung mittels der Kirchenversammlung vor; diese ward vorläufig auf den October 1310 zu Vienne angesetzt.

 

Jetzt ließ der König 72 Templer, nach seiner Auswahl, aus verschiedenen Reichstheilen zu dem Papste nach Poitiers führen; diese wiederholten vor demselben ihre frühern Geständnisse. *) Hierdurch erst will Clemens von der Schuld des Ordens überzeugt worden sein. Gleichzeitig beauftragt der Papst drei Cardinäle, mit dem Großmeister und fünf andern Großwürdenträgern des Ordens in Chinon ein Verhör anzustellen. Nach dem darüber vorhandenen schriftlichen Berichte bekannten vier Großpräceptoren das Verleugnen des Herrn und das Anspeien des Kreuzes; der Großmeister nebst dem Visitator von Frankreich baten erst um vierundzwanzigstündige Frist, worauf Beide die Verleugnung Christi, einen unanständigen Kuß bei der Aufnahme und die Anbetung des Idols zugestanden. Hr. Havemann macht hier darauf aufmerksam, daß die genannten Männer nach der päpstlichen Bulle nicht nach Poitiers gebracht werden konnten, „quod equitare non poterant nec ad nostram presenciam quoquo mode adduci“, und leitet daraus her, daß sie schon bei den ersten Verhören durch die Folter in diesen jämmerlichen Zustand versetzt seien.

 

Nur auf diese Weise (in Verbindung mit Dem was wir von „Verheißungen“ des Königs hörten) wird allerdings das wiederholte Geständniß von Molay begreiflich, der später im Ungesichte des Todes seine und des Ordens Unschuld betheuerte und sich deshalb des Todes schuldig erklärt, weil er „sein Leben zu retten und dem Uebermaße der Martern zu entgehen, zugleich durch Schmeichelworte (Villani: per Iusinghe; Zantfliet: suasionibus) des Königs und des Papstes verlockt, gegen seinen Orden sich erhoben habe.“

 

Nach dem Berichte über jene Verhöre in Chinon schritt übrigens der Papst zur Ernennung einer kirchlichen Untersuchungscommmission, verfügte auch (Ende 1308) in einem Beschlusse, für den er die Beistimmung des Königs eingeholt hatte, „daß, da die königlichen Untersuchungsrichter, um den Gefangenen ein gewünschtes Geständniß zu entlocken, sich gewaltsamer und widerrechtlicher Mittel bedient hätten, in Folge deren Mancher im Kerker gestorben sei, die Untersuchung in den Provinzen den Diocesanbischöfen zustehen sollte“.

 

Wir kommen nun im fünften Abschnitte zur „Untersuchung vor der päpstlichen Commission des J. 1309“. Unser Verf. liefert einen Auszug aus den zuerst von Michelet (1841) vollständig bekannt gemachten Protokollen derselben, bei dem es in der That der sorgfältigsten Aufmerksamkeit auf die große Masse der Einzelheiten bedarf, um das Urtheil nicht völlig verwirren zu lassen. Ueberall die widersprechendsten Aussagen — hier ohne Anwendung der Folter —, über deren Glaubwürdigkeit

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*) Der Verf. geht wol zu weit, wenn er wegen der Nachricht bei Dubois („Historia ecclesiae Parisiensis“, Paris 1710), daß das Verhör vor fünf Cardinälen erfolgte, die Behauptung der päpstlichen Bulle bestreitet, daß der Papst die Templer erst allein, dann in Gegenwart des ganzen Cardinalscollegiums vernommen habe.

 

 

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um so schwerer zu urtheilen ist, da wir häufig nur die Zahl der auf gleiche Art Aussagenden erfahren, ohne daß uns irgend ein Anhaltepunkt zur Beurtheilung ihrer Individualitäten geboten würde. Was, auch nach Havemann's Bemerkung, am unzweideutigsten aus den mitgetheilten Thatsachen hervorgeht, ist, daß die Commissare das bisherige Verfahren des Königs nicht billigen, und die Untersuchung selbst auf eine ruhige und milde, übrigens auch sehr langsame Weise führen, das aber dabei der König auch jetzt auf vielfache Art in den Gang der Untersuchung eingreift und durch seinen Einfluß die Vernichtung des Ordens herbeizuführen strebt.

 

Dagegen wird man zur Erklärung der mannichfachen Widersprüche in den einzelnen Aussagen bei den Verhören schwerlich über Vermuthungen hinauskommen, die keine allgemeine Zustimmung in Anspruch nehmen können. Doch ist wol unleugbar schon die Verschiedenheit der Aussagen an und für sich, sowie der von vielen Verhörten erfolgte Widerruf der Geständnisse, namentlich im Angesichte des Todes *), ein starker Beweis, daß etwanige Ausartungen, die in dem Orden vorkommen, nicht statutenmäßig sind und nicht dem gesammten Orden zur Last fallen. Das Streben des Königs und seiner Untersuchungsrichter ging aber vom Anfang an dahin, den Orden als solchen schuldig zu finden und den Einzelnen solche Geständnisse abzupressen, bei denen ihre eigene Schuld gegen die des Ordens gering erschien. Das will indeß auch Hr. Havemann nicht leugnen, daß der Orden in der letzten Zeit seines Bestehens, wo das ganze Zeitalter nicht mehr von der frühern Begeisterung für den heiligen Krieg durchdrungen war, manche Unsittlichkeiten unter seinen Mitgliedern aufkeimen sah. Dennoch ist auch ein Vorherrschen derselben nicht wahrscheinlich, da alte Beschuldigungen der Art — abgesehen von der der Habsucht und des Ehrgeizes — sich erst nach der Anklage des Ordens unter dem Volke verbreitet zeigen. **)

 

Am wenigsten Glauben dürfen wir gerade der Aussage schenken, daß der Orden das Christenthum verleugnet habe, obgleich allerdings eine auffallende Menge von Verhörten die Verleugnung Christi und das Anspeien des Kreuzes zugestanden, wobei sie sich denn wieder dadurch von persönlicher Verschuldung zu befreien suchen, daß sie ore, non corde verleugnet, neben das Kreuz gespien u. s. w. Auf derartige Aussagen wurde aber vor Allem hingewirkt, weil man den Orden am leichten unter dem Vorwande der Ketzerei vernichten konnte, auch mit einer Verurteilung auf diesen Grund hin Einziehung des Vermögens verbunden war. Auch Michelet fühlt sich übrigens, wie wir wissen, gedrungen, eine Art Verspottung des Kreuzes u. s. w., ursprünglich in mystisch-allegorischem Sinne, anzunehmen. Vielleicht erklärt sich Alles am besten, wenn man annimmt, daß, da die Aufnahme keineswegs immer vor dem Generalcapitel durch den Großmeister, sondern selbst in Capiteln der Comthureien vor sehr wenigen Ordensgliedern erfolgte (vergl. die Beispiele S. 107— 110, 250, wo die eigentliche Reception nur von zwei Rittern besorgt wird), Einzelne der Aufnehmenden sich unter dem Schutze des Geheimnisses aus verschiedenen Motiven, z. B. zur Prüfung der Aufzunehmenden, eigenem Unglauben u. s. w. Misbräuche erlaubten (woraus auch die Erlaubniß der Sodomiterei, die öfter bei der Aufnahme erteilt sein soll, begreiflich würde)

(Die Fortsetzung folgt.)

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*) Um das Geständniß der Schuld aus dem Munde Eines Sterbenden zu entkräften, nimmt Havemann an, daß dieser zu welchem die Untersuchungscommission ausdrücklich berufen ward, von seinen Aufsehern besonders hierzu erwählt worden, weil ihn vielleicht die Furcht in ungeweihter Erde begraben zu werden beherrschte.

**) Das Sprüchwort „Trinken wie ein Templer” kommt vor dem Concil von Vienne nicht vor.

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Sonnabend, Nr. 44. 13. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 43)

 

Ueber die angebliche Verehrung eines Idols, eines Kopfes, der von verschiedenen Geständigen höchst verschieden geschildert wird, gibt offenbar die Auffindung des schönverzierten Kopfes einer der 11,000 Jungfrauen, welche bei Durchsuchung des Temple in Paris im Auftrage der päpstlichen Commission erfolgte, das beste Licht, zumal da trotz der schnellen Verhaftung der Ordensglieder nirgend ein „Götzenhaupt” gefunden wurde. Die Schnur die angeblich an den Götzenkopf geknüpft wurde, trugen die Templer nur zum Zeichen der Keuschheit. Zu Gewinnung eines Resultats über die Wahrheit der Anklage wird man übrigens bei der Unbekanntschaft mit dem Charakter der andern Verhörten vor Allen immer wieder auf die Aussagen des Großmeisters zurückkommen müssen, der ja auch nach seiner Stellung zum Orden wie nach seiner offen daliegenden Sinnesweise den meisten Glauben verdient. Sein Benehmen wie das Verfahren gegen ihn vor der päpstlichen Untersuchungscommission möge deshalb hier zunächst im Einzelnen berücksichtigt werden, während wir Denjenigen der sich zur Prüfung aller in Betracht kommenden Aussagen sämmtlicher Vernommenen gedrungen fühlt, noch lieber auf die gesammten Protokolle bei Michelet als auf Havemann's Auszüge, die ihrer Natur nach Immer etwas Ungenügendes behalten, verweisen möchten.

 

Sobald Jaques de Molay (erst Nov. 1309) die Auffoderung der päpstlichen Commission an Alle die zur Vertheidigung des Ordens bereit seien, sich vor derselben zu stellen, erfährt, spricht er es aus, daß er sich für einen Feigling halten müsse, wenn er für den Orden, dem er so Vieles verdanke, nicht das Wort nehme; doch sei Solches schwer, da er ein ungelehrter Mann (illiteratus), gefangen und ohne alle erfoderliche Geldmittel sei. Ihm wird entgegnet, daß man ihm gern längere Frist ertheile, doch werde in Ketzersachen weder Rath ertheilt noch Hülfe von Rechtsbeiständen zugelassen. Als ihm seine frühern Geständnisse (vor den drei Cardinälen) vorgelesen werden, geräth er in eine nach seiner ganzen Persönlichkeit gewiß nicht erkünstelte Entrüstung. Er bezeigt das höchste Erstaunen über den Inhalt des Verlesenen, und „was der Gefangene auf der Folter gesprochen haben soll, will der Ritter mit dem Schwert als erlogen erhärten“. Der Verf. sagt:

 

Es kann sein, daß der Unglückliche auf der Marterbank Aussagen that deren Inhalt, weil er auf Unwahrheit beruhte, ihm später entfallen war; näher (?) liegt es jedoch an eine Fälschung zu glauben.

 

Allerdings kommt ein Beispiel vor, wo eine Fälschung der Protokolle durch die königlichen Richter diesen ins Gesicht behauptet wurde. Inzwischen tritt ein Vertrauter des Königs in den Saal, der den Großmeister freundlich bereden will, „sich nicht ins Verderben zu stürzen“. Molay erklärt auf dessen Vorstellungen, „er sehe ein, daß er verloren sei, wenn er nicht vorsichtig verfahre”, und fodert Bedenkzeit. Als er nach einigen Tagen wieder erscheint, bittet er nur, baldmöglichst bei dem Heiligen Vater vorgelassen zu werden, da sich dieser den Spruch über ihn vorbehalten habe; doch müsse er zur Entlastung seines Gewissens hinzusetzen, er kenne keinen Orden, der mehr Almosen gebe und für Vertheidigung des christlichen Glaubens williger das Leben opfere. Das Alles, erwidert man ihm, komme nicht zum Seelenheile, wenn die Grundlage des katholischen Glaubens fehle. Der Großmeister betheuert hierauf, daß er wahrhaftig an Einen Gott glaube und an die Dreieinigkeit und die übrigen Satzungen der Kirche. Gerade jetzt trat Wilhelm von Nogaret ein und erinnerte, daß „nach einer Chronik” der Orden einst dem Saladin gehuldigt, und daß selbst dieser demselben Sodemiterei vorgeworfen habe. Der Großmeister war erstaunt über solche Vorwürfe, doch fügte er hinzu: Als Jüngling habe er auch getadelt, wenn der Orden Frieden mit den Ungläubigen gehalten, später habe er eingesehen, daß der Orden, wenn er seine Schlösser und Städte retten wolle, nicht anders handeln könne. Schließlich bat Molay, daß ihm verstattet werden möge, der Messe beizuwohnen. Das Protokoll sagt charakteristisch: „Man lobte seine Frömmigkeit die er vorgab.”

 

Inzwischen erklärten viele zum Verhöre gelassene TempIer, daß sie die Vertheidigung des Ordens nur mit Genehmigung und unter Beirath des Großmeisters unternehmen könnten; der Großmeister bleibt jedoch von ihnen abgesondert, und vier Monate nachher erklärte die Commission, der Großmeister und andere Großwürdenträger wollten in den Umständen in welchen sie wären (in statu in quo erant) die Vertheidigung des Ordens aufgeben.

 

 

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Schon aus dem in Bezug auf Molay Gesagten ergibt sich ein fortgesetzter Einfluß des Königs auf den Proceß. Nimmt man hierzu die Behandlung der übrigen Templer, welche die päpstliche Commission zur Vertheidigung aufgefodert hatte, so sieht man deutlich, wie der König die ganze Vertheidigung zu lähmen verstand. Sogleich nach Eröffnung ihrer Sitzungen (August 1309) erließ die päpstliche Commission eine Vorladung an sämmtliche Templer innerhalb des Königreichs, sich zur Führung der Vertheidigung bis zum 12. Nov. d. J. zu stellen. Bald fand die Commission nöthig, einen neuen Termin zu setzen, da man erfuhr, daß die Vorladung an vielen Orten gar nicht bekannt gemacht sei. Auch Molay ward erst nach Ablauf der ersten Frist davon in Kenntniß gesetzt.) Die meisten Templer die nun erschienen (im März 1310 langten noch 544 an) hielten sich, wie andere früher Angekommene, die zur Vertheidigung „bis zum Tode“ bereit waren, doch nicht für „gelehrt“ genug, um selbst das Wort vor der Commission zu führen, und sie verlangten insbesondere nach dem Beistande des ausgezeichneten Ordenspriesters Peter von Boulogne, glaubten aber auch, der Obedienz gemäß, nicht ohne den Großmeister handeln zu dürfen. Endlich wurde (April 1310) zufolge vielfach ausgesprochener Wünsche der Gefangenen von der Commission beschlossen, daß vier Männer, welche vorzugsweise für den Orden das Wort geführt, unter ihnen die beiden Geistlichen Peter von Boulogne und Renaud von Pruin, die Gerechtsame der Verhörten wahrnehmen sollten, ohne deshalb als Procuratoren zu gelten. Diese Männer reichen dann eine Klage über den allem Rechte Hohn sprechenden Proceßgang ein, insbesondere Beschwerden über die früher angewendete Folter, und die Bitte, vor Allem die letzten Worte sterbender Templer zu beachten, sowie ihnen selbst eine Abschrift der Vollmacht für die päpstliche Commission zuzustellen.

 

Inzwischen veranstaltet der Erzbischof von Sens ein Provinzialconcil, nach dessen Urtheil, obgleich die vier Vertheidiger des Ordens Einspruch gethan, 54 Templer, die sich zur Vertheidigung bereit erklärt hatten, als zurückgefallene Ketzer (nur weil sie die früher von der Folter erpreßten Geständnisse widerrufen) verbrannt wurden. Die päpstliche Commission machte nur schüchterne Vorstellungen dagegen; am 12. Mai 1310 wurden die Unglücklichen zum Scheiterhaufen geführt. An demselben Tage erscheinen vor der Commission die Vertheidiger ohne Peter von Boulogne mit der Klage, daß der Letztere ohne daß sie den Grund wüßten von ihnen abgesondert sei, wobei sie hinzufügten, daß sie ohne ihn die Vertheidigung nicht zu führen vermöchten. Dennoch hören wir von Peter erst wieder im December 1310. Damals erscheinen die beiden weltlichen Vertheidiger und erklären sich als ungelehrte Laien unfähig zur Fortsetzung der Vertheidigung. Ihnen wird erwidert, die beiden Priester Peter von Boulogne und Renaud von Pruin hätten ihr Geständniß abgelegt und auf die Vertheidigung förmlich verzichtet; überdies sei Peter aus der Haft entwichen und Renaud befinde sich, seitdem er durch den Erzbischof von Sens der Weihen beraubt sei, in einem Zustande, daß er nicht vorgelassen werden könne. (Havemann meint „durch die Folter“.) Unter diesen Umständen glaubten auch die Ritter auf die Verteidigung verzichten zu müssen.

 

Das Beispiel des Erzbischofs von Sens war übrigens auch in andern Diöcesen nachgeahmt; verschiedene Provinzialconcilien überlieferten solche Templer die ihre frühern Geständnisse widerrufen hatten dem Feuertode. Der König, den die Langsamkeit der päpstlichen Untersuchung verdroß, hatte den Erzbischöfen schon im Frühjahr 1310 geboten, das Geständniß mit der Folter zu erzwingen, falls gütliches Zureden nicht ausreiche.

 

Nach mehren Unterbrechungen der Verhöre fand die letzte Vernehmlassung vor der päpstlichen Commission am 26. Mai 1311 statt. Der Ansicht der Commission, daß die Untersuchung eine hinlängliche Reife gewonnen hätte, um auf den Grund derselben einen Spruch zu fällen, stimmte die päpstliche Curie bei. Nach einer Besprechung der Commissionsmitglieder mit Philipp IV. wurde die Untersuchung für geschlossen erklärt, und am 5. Juni 1311 ward das Protokoll dem Papste überbracht.

 

(Die Fortsetzung folgt.)

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

 

Sonntag, — Nr. 45. — 14. Februar 1847

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 44.)

 

Den deutlichsten Beweis von dem Einflusse welchen der König auf den Proceß der Templer übte, gibt uns endlich die „Verurteilung des Ordens“ durch den Papst im sechsten Abschnitte. Nach mehren Verzögerungen ward das anfänglich auf October 1310 bestimmmte Concil am 16. Oct. 1311 in Vienne eröffnet, nachdem Clemens V. zuvor das Verfahren Philipp's gegen Bonifaz VIII. für unverwerflich erklärt hatte. Doch sollte eben das Concil diese Streitfrage völlig beendigen, zugleich das Urtheil über die Templer fällen. Clemens V., der kein Bedenken trug die Ehre seines Vorgängers dem Könige aufzuopfern, zeigt sich auch in dem Templerprocesse zur größten Connivenz gegen Philipp's Wünsche bereit. Als auf eine feierliche Vorladung des Concils noch einige bisher flüchtige Templer die Vertheidigung des Ordens antreten wollen, läßt er diese in Eisen schlagen. Die Gegenvorstellungen der Väter des Concils gegen ein so heilloses Verfahren fruchten Nichts; der Papst verzögert eine neue Sitzung desselben den Winter hindurch, und da sich die einflußreichen Kirchenfürsten nicht zur Einwilligung in die Verletzung aller Rechtsformen verstehen wollen, erscheint der König selbst mit einem starken Gefolge von Bewaffneten in Vienne. Unter dem 2. März schreibt er dem Papst: „Eure Heiligkeit weiß, daß die Untersuchung eine solche Menge von Ketzereien und entsetzlichen Verbrechen der Templer aufgedeckt hat, daß der Orden unfehlbar aufgehoben werden muß.” Hierauf beruft Clemens V. ein geheimes Consistorium, in welchem er (22. März 1312) nicht auf dem Wege richterlicher Entscheidung, sondern „aus Fürsorge und päpstlicher Machtvollkommenheit“ die Aufhebung des Ordens ausspricht, dessen Mitglieder und Güter zur Verfügung der Kirche gestellt werden sollen. Erst am 3. April 1312 findet dann die zweite Sitzung des Concils statt, welcher der König mit seinen drei Söhnen, umgeben von Bewaffneten, beiwohnt. Hier verkündet der Papst, dem offen ausgesprochenen Dafürhalten des Concils zuwider, die Aufhebung des Ordens. Doch ihm und dem Könige gegenüber wagen die Prälaten keinen Einspruch. In der Ietzten Sitzung des Concils (6. Mai) wird die Aufhebungsbulle verlesen; in dieser heißt es: „Nicht ohne Schmerz und Kummer vernichten wir mit Beistimmung des heiligen Concils für ewige Zeiten Namen und Leben des Ordens, nicht durch schließlichen Richterspruch, da wir diesen nach dem Ergebniß der Untersuchung nicht zu fällen vermögen (cum eam non possemus ferre de jure), sondern kraft apostolischer Fürsorge und der uns zustehenden Machtvollkommenheit.“

 

Ueber die Güter des Ordens war durch dieselbe Bulle, „nach mehren schwierigen Berathungen“, wie sie selbst sagt, von dem Concil verfügt, daß dieselben (mit Ausnahme der spartanisch-portugiesischen Besitzungen, die zur Unterstützung des Kampfes gegen die Mauren dienen) den Hospitalitern überwiesen werden sollten. Die Vollziehung des Beschlusses ward einer Anzahl vom Papst ernannter Prälaten übertragen. Das weitere Verfahren gegen die Mitglieder des Ordens blieb den Provincialconcilien überlassen; Diejenigen welche gänzlich freigesprochen würden sollten ihrem Stande gemäß aus den Ordenseinkünften erhalten werden, gegen Widerrufende als relapsi müßte das Gesetz in seiner Strenge zur Anwendung kommen. Uebrigens würden alle Acten des Concils beseitigt; die Aufhebungsbulle selbst ist erst 1606 durch den Druck bekannt gemacht.

 

Ueber die vier höchsten Ordensoffiziere, insbesondere den Großmeister, hatte sich der Papst die letzte Entscheidung vorbehalten, doch wälzte er die Verantwortung durch Ernennung einer neuen Commission von sich ab, welche das Urtheil ewiger Gefangenschaft über die Vorgeladenen aussprach. Seit sechs Jahren in der strengsten Haft hatte der Großmeister auch die Ietzte Hoffnung, bei dem Papste persönlich Gerechtigkeit zu finden, aufgeben müssen; der alte tiefgebeugte Mann sollte jetzt selbst das Werkzeug abgeben, den letzten Glauben an die Unschuld des Ordens im Volke zu beseitigen, indem er bei Verkündung des Urtheils die Wahrheit der Anklage öffentlich bekräftige. Zu diesem Zwecke ward er mit den übrigen Großwürdenträgern auf ein Gerüst vor dem Portal Unserer Lieben Frau in Paris hinausgeführt; gegenüber war ein Scheiterhaufen aufgerichtet für die Widerrufenden. S. 291:

 

Da trat der Großmeister vor, und indem er laut um Gehör bat und im feierlicher erwartungsvoller Stille Richter und Volk auf ihn blickten, sprach er mit fester Stimme also: „Auf

 

 

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der Schwelle des Todes, wo auch die leiseste Lüge schwer wiegt, gestehe ich im Angesichte des Himmels und der Erde, daß ich große Sünde gegen mich und die Meinigen begangen, und mich des bittern Todes schuldig gemacht habe, weil ich, mein Leben zu retten und dem Uebermaße der Martern zu entgehen, zugleich durch Schmeichelworte des Könige und des Papstes verlockt, gegen meinen Orden mich erhoben habe. Jetzt aber, wiewol ich weiß, welches Loos meiner harrt, will ich keine neue Lüge zu der alten häufen, und indem ich erkläre, daß der Orden sich stets rechtgläubig und rein von Schandthaten erhalten hat, verzichte ich freudig auf mein Leben.“ Eine gleichlautende Erklärung gab der Großpräceptor der Normandie ab.

 

Ueberrascht, voll Mitleid sah das Volk auf die Gefesselten, die Cardinäle verließen in Zorn und Verlegenheit die Tribune; die Großwürdenträger wurden einstweilen in das Gefängniß zurückgeführt. S. 294:

 

Kaum war der König von dem Geschehenen in Kenntniß gesetzt, als er, ohne den Papst und dessen Commission zu berücksichtigen, unverweilt durch seine schleunig berufenen Räthe den Ordensmeister und den Großpräceptor der Normandie zum Feuertode verurtheilen ließ. Noch an dem nämlichen Tage, es war der 11. März 1313, wurde der Spruch vollzogen. Den Orden preisend, seine Reinheit betheuernd, die Gnade Gottes und die Fürsprache der Heiligen anrufend; gingen Beide aus dem Leben.

 

(Die Vorladung seiner Richter vor den Thron des Höchsten innerhalb 10 Tagen, die Molay auf dem Scheiterhaufen ausgesprochen haben soll, bezieht sich nach Einigen auf Clemens, nach Andern auf den König, nach noch Andern auf Wilhelm von Nogaret. Nach dem gleichzeitigen Gottfried von Paris drückt sich Molay nur ganz allgemein aus: „Dieu en vengera nostre mort“ u. s. w. Ein anderer gleichzeitiger Chronist legt die Vorladung des Papstes und Königs vor Gottes Richterstuhl binnen Jahr und Tag einem neapolitanischen Templer in den Mund.)

 

(Die Fortsetzung folgt. )

 

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Montag, — Nr. 46. — 15. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Fortsetzung aus Nr. 45.)

 

Einen sehr gewichtigen Beitrag zur Beurtheilung der Schuld oder Unschuld des Ordens gewährt „Die Untersuchung gegen den Orden außerhalb Frankreich” im siebenten Abschnitte. Philipp IV. hatte nicht lange nach der ersten Verhaftung der Templer eine Auffoderung an (den schwachen) Eduard II. von England zu einem ähnlichen Verfahren erlassen. Eduard war erstaunt und sprach sich in einem Schreiben vom 4. Dec. 1307 gegen die Könige von Portugal, Castilien, Aragon und Sicilien dahin aus, daß er es für unziemlich erachte, einen Orden der so Großes für die Christenheit geleistet ohne Untersuchung der Freiheit zu berauben, mit der Bitte, jene Fürsten möchten der Verleumdung kein Gehör geben. Doch erklärt er schon am 26. Dec. 1307, durch die Vorstellungen des Papstes und neues Andringen Philipp’s bestimmt, in einem Schreiben an den Letztern, er habe sich von der Schuld des Ordens überzeugt; und er ließ nun, auf ähnliche Art wie Philipp, im Januar 1308 die Templer in seinem Reiche heimlich überfallen und verhaften. Da hier die Angabe der Wahrheit nur auf strenge Vereidung, nicht durch die Folter gefodert ward — ein wichtiger Umstand! — stellen die bei der ersten Untersuchung (bis 18. März 1310) Befragten die sämmtlichen Beschuldigungen völlig in Abrede, behaupten auch, daß die Aufnahme in den Ordenshäusern aller Länder auf gleiche Weise, den bekannten Statuten gemäß, erfolgt sei.

 

Von der Wahrheit der letztern Aussage überzeugte sich auch eine seit Anfang d. J. 1310 in London eröffnete Untersuchungscommission, obgleich jetzt nach dem Rathe des Papstes gegen einige Angeklagte die Folter, jedoch nach ausdrücklicher Vorschrift „nicht bis zu unheilbarer Schwächung der Glieder oder heftigem Blutverlust angewandt war, und einige nicht dem Orden angehörige Zeugen vernommen waren. Gleichwol glaubte diese Commission auf einige isolirt stehende Aussagen, die mit Ausnahme einer einzigen von Nichttemplern abgegeben waren, Gewicht legen zu müssen, weil (!) dieselben eine Bestätigung der schwersten in Frankreich gegen den Orden erhobenen Anlagen enthielten. Diese beruhen übrigens fast nur auf Hörensagen, und es treten vorzüglich Minoriten als Zeugen gegen den Orden auf. *)

 

Ein besonderes Gewicht legte man auch, wie jetzt noch viele Gegner der Templer, auf die Aussagen eines abtrünnigen Templers, Stephan von Stapelbrugge, die deshalb von dem Verf. ziemlich vollständig mitgetheilt werden. Nach diesen gibt es im Orden zwei Arten von Professionen, eine gute, ehrbare und eine ketzerische; bei der Ietztern wird Christus verleugnet und das Kreuz angespien; ein Idol wird nicht in England, aber nach einem Gerüchte im Orient angebetet; Sodomiterei wird nicht für Sünde erachtet u. s. w. Manche englische Templer schwuren die Ketzerei ab, seit ihnen eröffnet war, sie würden als Ketzer behandelt wenn sie hartnäckig bei ihren Irrthümern verharrten. Ein Concil zu York bestimmte endlich (Juli 1311), daß die Templer, da sie sich von der Anklage nicht gereinigt hätten, zu beständiger Buße (pro perpetua poenitentia) in Klöstern unterhalten werden sollten.

 

Funfzehn irländische Templer weisen die Anklage sämmtlich mit Entschiedenheit zurück; in Schottland, wo es gerade sehr viele Templer gab, können auffallenderweise nur zwei zur Haft gebracht werden, welche Beide aussagen: Es habe allerdings die Heimlichkeit der Aufnahme an vielen Orten Verdacht gegen den Orden erregt, die Beschuldigungen wider denselben seien aber sämmtlich unwahr. Dennoch, wird über die Templer in Irland und Schottland wie über die englischen verfügt.

 

Auch in Castilien und Leon werden zufolge der von Frankreich erlassenen Auffoderung sämmtliche Templer verhaftet; doch betheuern Alle ohne Ausnahme die Unschuld des Ordens, und der Großpräceptor erklärte, er halte für unmöglich, daß irgend ein Templer die Anschuldigungen habe zugeben können, wenn er nicht durch die Folter dazu vermocht sei. Von drei dem Orden nicht angehörigen Priestern erklärte Einer: Ihm hätten viele Templer gebeichtet, er sei von dem katholischen Glauben aller Mitglieder des Ordens überzeugt.

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*) Unter Anderm sagt ein Minorit aus (S. 311): „Im habe eine Frau erzählt, sie habe von einem ehemaligen Diener eines Präceptors gehört, es habe sich ein Diener heimlich im Capitelsaal versteckt und gesehen, daß die Templer ein schwarzes Bild mit leuchtenden Augen geküßt, zugleich aber auf das Kreuz gespien” u. s. w.

 

 

 

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Ein ähnliches Resultat gaben die Untersuchungen vor dem Concil zu Salamanca für die Reiche Castilien, Leon und Portugal, sodaß hier die Erklärung erfolgte: Die spanische Zunge des Ordens erscheine von jedem Verdachte gereinigt. Der Papst zeigte sich über dieses Ergebniß sehr erbittert und mahnte, man möge nicht thörichterweise das Mittel der Tortur verabsäumen.

 

Im Aragonien und Catalonien hatten sich inzwischen gleich anfangs die Templer in ihre Ordensburgen zurückgezogen, bezeigten dann aber ihre Bereitwilligkeit, die Unschuld des Ordens vor dem Heiligen Stuhle zu verfechten. Auf Geheiß des Papstes stellten sie sich zur Untersuchung vor den Diöcesanbischöfen. Auch hier erfolgte auf einem Concil zu Saragossa die gänzliche Freisprechung des Ordens. Auf Befehl des Papstes bekamen die Mitglieder aus den Gütern des aufgehobenen Ordens einen anständigen Unterhalt.

 

Auch in Italien gab die Untersuchung kein für den Orden nachtheiliges Resultat. Ein Concil zu Ravenna unter dem Vorsitze des trefflichen Erzbischof Rainald, das sich gleich anfangs bei den Verhören gegen jede Anwendung der Folter erklärt hatte, verlangte, dass nur die erwiesen Schuldigen bestraft, die früher aus Furcht vor der Folter Geständigen, welche später widerrufen hätten, als unschuldig betrachtet werden sollten; das Tempelgut aber auf den Fall, daß der größere Theil der Templer unschuldig befunden würde, zu Gunsten derselben zu verwalten sei.

 

In Cypern leugneten nicht allein die 75 Verhafteten, sondern auch 35 nicht zum Orden gehörige Zeugen sprachen sich für die Nichtigkeit der Anklage aus. Und doch lebte hier der Orden in gespannten Verhältnissen mit dem Herrscherhause der Lusignan.

 

Im Deutschland endlich verfuhr man gegen die Tempelherren mit einer im Verhältniß zu andern Ländern ausgezeichneten Milde. Hier war durch eine päpstliche Bulle vom 12. Aug. 1308 eine Untersuchungscommission unter vier deutschen Erzbischöfen eingesetzt. Der Erzbischof Peter Aichspalter berief 1310 ein Provinzialconcil nach Mainz. Dort erschien unaufgefodert der Wild- und Rheingraf Hugo, nicht selbst in dem Orden, aber Bruder des Großpräceptors für Deutschland, in Begleitung eines Gefolges von 20 Templern mit der Betheuerung, der Orden sei unschuldig, und einer Appellation an den künftigen Papst und dessen gesammte Geistlichkeit. Auf die später veranstalteten Verhöre erfolgte die Freisprechung der Angeklagten. Wie der Sohn Albrecht's des Langen von Braunschweig-Wolfenbüttel, Otto, welcher der Templercomthurei Süpplingenburg vorstand, bis an das Ende seiner Tage im Besitz des Tempelhofes zu Braunschweig und seiner an die Johanniter überwiesenen Comthurei verblieb, so geschah Aehnliches hinsichtlich der Tempelgüter im Bereiche des Erzbisthums Magdeburg. Obgleich der treulose und ungerechte Erzbischof Heinrich von Magdeburg wegen seiner nahen Verbindung mit dem Papst alle Templer des Erzstifts an Einem Tage angreifen ließ, so sah er sich doch durch den Widerstand seiner Ritterschaft, die auch von dem Kurfürsten Waldemar unterstützt wurde, und da die Gefangenen alle wider sie gerichteten Beschuldigungen zurückwiesen, zur Nachgiebigkeit genöthigt. Wie in Böhmen kamen auch in den Marken viele Güter des Templerordens durch Verheirathung der bisherigen Ordensritter, die sich im Besitze derselben behaupteten, in die Hände adeliger Familien (Schulenburg, Jagow); ein großer Theil der märkischen Templer trat in den Orden der Johanniter über, dem wenigstens die meisten Güter der aufgehobenen Ritterschaft zufielen.

 

Es ist noch eine höchst interessante Untersuchung übrig, welche der Verf., so ausführlich seine sonstigen Mittheilungen über den Ausgang der Templer sind, allzu rasch beseitigt; es ist die über die Motive welche Philipp IV. zur Verfolgung des Ordens bestimmten. Ref. glaubt selbst nicht zu Viel zu sagen, wenn er behauptet, daß Dr. Havemann bei dieser Frage in der allerdings wohlbegründeten Ueberzeugung von der Unschuld des Templerordens und von der Schlechtigkeit ihrer Verfolger sich zu sehr von seiner Entrüstung gegen die Letztern fortreißen läßt, sodaß er bei Beurtheilung ihrer Handlungsweise gerade die gehässigsten Gründe zureichend findet, und nicht nur keine Milderungsgründe für das eingeschlagene Verfahren aufsucht, sondern selbst eine sorgsame psychologische Untersuchung versäumt, bei welcher auch die größten Unthaten wenigstens menschlich natürlich erscheinen. So ist es keineswegs vollständig erwiesen, wenn der Verf. (S. 333) sagt:

 

Es kann keiner Frage unterliegen, daß die Absicht Philipp's des Schönen ursprünglich auf den Erwerb des in Frankreich befindlichen Gesammtbesitzes des Ordens gerichtet war —

 

oder wenn er Habsucht die „Haupttriebfeder” seines Verfahrens gegen die Templer nennt. Auch die Ansicht der Zeitgenossen würde kein entscheidendes Urtheil über die Motive von Philipp’s Handlungsweise zu begründen vermögen, da gerade die Zeitgenossen oft nur nach dem äußern Anschein urtheilen; aber die (S. 187) angeführten Stellen gleichzeitiger Schriftsteller sprechen sich auch in der That nicht mit so völliger Bestimmtheit wie Hr. Havemann darüber aus, daß Philipp sich vor Allem von Habsucht Ieiten ließ. *) Der Verf. weist nun allerdings nach, daß der König seit Verhaftung der Templer die Einkünfte aus den meisten Gütern des Ordens bezog, während er auch den Papst an dem Raube Theil nehmen ließ; doch konnte der König endlich nicht umhin, „sich der unbeweglichen Güter des Ordens zu begeben“, und damals verblieben ihm nur die freilich auch nicht unbedeutenden beweglichen Güter desselben. Der beiweitem größte Theil der Ordensgüter in Frankreich, Deutschland, Italien und England wurde aber wirklich den Brüdern vom Hospital überwiesen.

 

Eine Uebersicht der Größe des Ordensbesitzthums gibt uns der Verf. in ziemlicher Ausführlichkeit im dritten

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*) S. 187, Anmerk. 1 u. 2, heißt es nur: „Fuisse, qui persuasum haberent, Philippum regem magis rapinae studio quam religionis quaestionem exercuisse“; und: „Arbitratum est etc.“

 

 

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Abschnitte, woraus wir hier nur die Angaben entnehmen, daß nach Matthäus Paris der gesammte Orden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderte über 9000 Höfe zu verfügen gehabt habe, und nach Maillard de Chambure's Berechnung die jährlichen Einkünfte des Ordens an 54 Millionen Francs betrugen. Es ist nun wol nach Philipps nicht unrichtig geschildertem Charakter glaublich, daß er mit Begierde seine Hände nach so großen Schätzen ausstreckte; aber wir erhalten nach Allem was wir von ihm wissen keineswegs die Ueberzeugung von einer solchen Verderbtheit seines Sinnes, daß er allein durch Habsucht bewogen sein sollte, wider besseres Wissen von der Unschuld des Ordens die entsetzlichste Verfolgung über denselben zu verhängen, zumal Philipp wohl wissen konnte, was der Erfolg wirklich lehrte, daß er nicht im Stande sein werde, den Grundbesitz des Ordens auf die Dauer in seine Hände zu bringen, ein großer Theil des beweglichen Vermögens der Templer aber nachweislich von den ungeheuern Kosten des Processes gegen dieselben verschlungen wurde. So lange daher noch ein anderes gewichtiges Motiv entdeckt werden kann, das den Entschluß Philipp's zu einer so furchtbaren Maßregel natürlicher erscheinen läßt, ist es nicht blos eine moralische, sondern auch eine psychologische Foderung, das Gewicht desselben nicht zu übersehen. Ein solches aber bietet sich nach den eigenen Mittheilungen des Verf. über die gesammte Stellung des Ordens, der königlichen Macht in Frankreich gegenüber, sehr ungesucht dar, und es ist deshalb von ältern wie von neuen Geschichtschreibern wiederholentlich das Urtheil gefällt, daß Philipp sich hauptsächlich durch politische Rücksichten, die in der Gefährlichkeit des Ordens für den Staat begründet waren, zur Verfolgung desselben bestimmen ließ. Unter Beachtung der allgemeinen Verhältnisse der Zeit werden wir durch die von Havemann mitgeheilten Data hierüber zu noch genauern Aufschlüssen gelangen.

 

Schon früh erlangte der Templerorden große Begünstigungen durch die Päpste, und durch eine Bulle Alexander's III. von 1172 wurde derselbe unmittelbar unter die Hoheit des päpstlichen Stuhls gestellt, dieses Privilegium aber von den spätern Päpsten mehrfach erneuert und näher bestimmt. Besondere Bevorzugungen erhielt der Orden bei Einsammlung von Almosen schon unter Eugen III., vor der Mitte des 12. Jahrhunderts, und noch Alexander IV. erklärte 1256: „Da andere Geistliche von Habsucht getrieben die Sammlungen der Templer mehrfach beeinträchtigten, so solle man vielmehr den zum Terminiren kommenden Templern freundlich die Kirchen öffnen.“ Derselbe Papst eifert im Allgemeinen gegen alle Eingriffe der Laien und Kleriker in die Güter und Rechte des Ordens. Wie Alexander III. in der angeführten Bulle dem Orden seine eigenen Priester und Bethäuser zugestanden hatte, die Niemand als dem Capitel unterworfen sind, so bestätigt er demselben das Recht, in Orten die mit dem Interdict belegt sind einmal im Jahre Messe zu halten. Kein Laie oder Kleriker darf nach demselben Erlasse von dem Großmeister oder dem Orden Lehnstreue fodern. Und die zuerst von Hadrian IV. gewährte Freiheit der Templer von Zehnten, Zöllen und Abgaben wird bestätigt. Auch Innocenz III., der größte aller Päpste, der selbst der Genossenschaft der Templer angehörte und sich besonders der Mitglieder dieses Ordens zu seinen Missionen an Fürstenhöfe bediente, erklärte, daß keinem Prälaten das Recht zustehe, ein Mitglied des Tempels zu excommuniciren oder eine Ordenskirche mit dem Interdict zu belegen; und Honorius III. sprach über Jeden den Fluch aus der einem Templer Gewalt anthue; widrigenfalls könne er nur in Rom Absolution erhalten.

(Der Beschluß folgt.)

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Dienstag, – Nr. 47. – 16. Februar 1847.

 

Der Proceß der Tempelherren. (Beschluß aus Nr. 46.)

 

So wurde der Orden von den Päpsten mit Vorrechten überschüttet, eben dadurch aber ein unausgesetzter Kampf der Kloster- und Weltgeistlichkeit *) gegen ihn hervorgerufen und derselbe vielfach in die Zwistigkeiten Roms mit weltlichen Machthabern verwickelt, bei welchen er immer unbedingt auf Seiten des Papstes stand; man denke nur an die Händel Friedrich's II. im Gelobten Lande!

 

Schon aus dem Gesagten ergibt sich, welche Gefahren dem Staate von einer Genossenschaft drohten die in noch höherm Maße als die engverbrüderte Weltgeistlichkeit einen Staat im Staate bildete, eine Miliz der Päpste, die sowol durch Reichtum und Waffenführung als durch ihre Verbindung mit der herrschenden Aristokratie gewiß nicht minder bedenkliche Mittel wider die Staatsgewalt in Händen hatte als jene Bettelorden, die allerdings durch ihren Einfluß auf die bewegliche Menge den Fürsten noch öfter gefährlich wurden. **) Als nun aber der Orden „mit Riesenarmen die ganze Iateinische Welt umspannte, in seinem Dienste ein Heer von Söldnern stand, bei Päpsten und Königen sein Wort galt, als er voll Stolz und Hochmuth selbst über das Maß von Bewilligungen hinausgriff das die Kirche ihm setzte“, da weckte er nicht blos das Gegenstreben der Geistlichkeit und der Städte wider die Ausbreitung seines Besitzthums und seiner Rechte (wobei selbst der hohe Patron der Templer, Innocenz IlI., sie vor Uebermuth zu warnen nöthig fand), sondern er gerieth auch in Conflicte mit der Staatsgewalt, insbesondere über Anmaßungen hinsichtlich der peinlichen Gerichtsbarkeit. Eine besondere Bedeutung für die weltliche Macht hatte der Orden ferner durch seine großartigen Geldgeschäfte, theils wegen des Vertrauens das er überhaupt genoß, theils wegen seines Reichthums selbst. So finden wir häufig große Geldsummen den Templern zur Verwahrung übergeben (z. B. die zwischen England und Frankreich stipulirten Gelder unter Ludwig IX. im Temple zu Paris, wie die Kronjuwelen Heinrich’s III. von England, und 10,000 Pf. St., welche der londoner Bürgerschaft gehörten, im dortigen Tempelhofe). Wir sehen den Orden als Bürgen bei Verträgen, als Vermittler von Anleihen zur Beseitigung von Geldverlegenheiten der Könige, als Darleiher bedeutender Vorschüsse bei politischen Unternehmungen (z. B. an Karl von Anjou, als dieser das ihm vom Papst übertragene Königreich beider Sicilien in Besitz nehmen wollte).

 

Wie hoch aber die factische Macht des Ordens zur Zeit Philipp's IV. in Frankreich gestiegen war, Das erkennen wir besonders an einem Vorgange, den Hr. Havemann auf folgende Weise erzählt, ohne denselben in irgend eine ursachliche Verbindung mit der nachherigen Verfolgung der Templer zu bringen, welche doch kaum zu verkennen sein möchte. S. 185:

 

Trotz der den Ständen gegebenen Zusicherung, die Münze nicht ferner zu verschlechtern, setzte Philipp diese durch eine 1306 erlassene Ordonnanz abermals herab. In Folge dessen griffen die Bürger von Paris zur Wehr, belagerten den König im Temple, wohin er sich geflüchtet hatte, und wurden nur durch die Tempelherren zum Niederlegen der Waffen bewogen. (Im Temple stand der Schatz des Königs unter doppeltem Verschluß, also daß der eine Schlüssel sich in den Händen des Herrschers befand, der andere von dem Vorsteher der festen Burg verwahrt wurde.)

 

Wie gefährlich mußte ein Orden einem Könige wie Philipp erscheinen, gerade weil derselbe dem auf seine Hoheit eifersüchtigen Monarchen in seiner Ohnmacht Beistand geleistet hatte!

 

Wir glauben nach Erwägung aller dieser Verhältnisse ein bedeutendes, ja das Hauptmotiv Philipp’s IV. bei Verfolgung der Templer eben in der politischen Stellung des Ordens zu finden; und diese Ansicht gewinnt wol um so mehr innere Wahrscheinlichkeit, wenn wir Philipp’s Charakter und sein ganzes in der Zeit selbst begründetes Streben zur Erhöhung der Staatsgewalt über das Papstthum und die Kirche in Betrachtung ziehen. Wahrlich der Sieg den Philipp unter großen Kämpfen, aber gestützt auf den in Frankreich schon rege gewordenen Nationalgeist soeben über das Papstthum erfochten hatte, konnte erst dann gesichert erscheinen, wenn auch die

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*) Vergl. oben die Aussagen der Minoriten In England

**) Nur in Portugal stand der Orden in einer eigenthümlichen Abhängigkeit von der Krone. Der dortige Großpräceptor durfte nicht ohne Genehmigung des Königs gewählt, nur in Gegenwart eines königlichen Bevollmächtigten konnten Ordenscapitel gehalten werden u. s. w.

 

 

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Ritterorden, die so eng mit dem Papstthum verbunden und so lange eine wesentliche Stütze desselben gewesen waren, ihren Untergang gefunden hatten. Der Gedanke einer Reaction des Papstthums zur Wiedererlangung seiner kaum gebeugten, nicht gebrochenen Macht lag nicht so gar fern, und auf Wen schien sich eine solche besser stützen zu können als auf jene mächtigen Corporationen, in denen sich das Interesse des Adels, dessen Ansehen Philipp gleichfalls durch seine Söldnerheere zu untergraben begonnen hatte, mit dem Interesse der Kirche, dem Staatsoberhaupte gegenüber, verschmolz! Und einen solchen, dem Streben Philipps so gefährlichen Orden durch Anweisung einer andern Stellung unschädlich zu machen, war für den französischen König wol nicht so leicht wie es Hr. Havemann ohne Weiteres voraussetzt. Der Deutsche Orden hatte glücklicherweise ein neues Feld seiner Wirksamkeit in Preußen gefunden, und schloß sich in Deutschland (späterhin wie schon zur Zeit Friedrich’s II.) eng an das Staatsoberhaupt, zumal da er durch das Schicksal des Templerordens gewarnt war. Von dem Johanniterorden schien freilich dem Könige von Frankreich eine ähnliche Gefahr zu drohen wie von den Templern; wir sahen aber, daß Philipp wahrscheinlich auf gleiche Weise auch dessen Untergang beschlossen hatte und daß nur das Ausweichen des Großmeisters ihn rettete. Seitdem aber war auch er gewarnt, und nun fand er allerdings einen der monarchischen Gewalt ungefährlichen Schauplatz seiner Tätigkeit in der Fortsetzung seines Kampfes gegen die Ungläubigen im Mittelmeere, der sich in der Folge, den veränderten Zeitverhältnissen gemäß, vor Allem gegen die dortigen Seeräuberstaaten richtete (Rhodiser, Malteser). Gerade die Templer aber, deren Macht sich besonders in Frankreich concentrirte, hätten wol auch in Frankreich wo irgend möglich ihren Einfluß zu üben versucht, und die Gefahr ihrer Verbindung mit dem Papstthum zur Wiederbegründung der Macht des Letztern konnte dem staatsklugen Philipp sehr dringend erscheinen. Daß der Papst selbst bei solchem Stande der Dinge zum Untergange des Ordens die Hand bieten mußte, wirft zwar auf Clemens V. ein nur noch schmachvolleres Licht; aber die Macht Philipp's lag so schwer auf diesem Gebeugten, daß er sich kaum sträuben konnte, das einzige mögliche Werkzeug zu seiner Rettung selbst zu vernichten!

 

Nur bei einer solchen Ansicht erscheint uns Philipps Verfahren wider den Orden, wenn auch immer noch entsetzlich, doch menschlich natürlich. Wir wissen, wie die Staatsraison bei Denen welchen die Lenkung der Staaten vertraut ist (wir denken nicht blos an Monarchen, sondern auch an ein Comité de salut public) das Gewissen und jedes sanftere Gefühl zu ersticken vermag, indem der Gedanke des öffentlichen Wohls, der Rettung des Staats, jede Gewaltthat gegen die theuersten Rechte der Einzelnen die sich mit derselben unverträglich zeigen, gerechtfertigt erscheinen läßt. Unzweifelhaft war auch Philipp in einer solchen Ansicht befangen; ja, wir fügen hinzu, in einer daraus natürlich hervorgehenden Selbsttäuschung konnte er sich von der Schuld des Ordens den er verfolgte und verdammen ließ überzeugt halten. War es doch offenbar ganz ähnlich mit seiner barbarischen Verfolgung der Juden! Zwar trieb ihn zu dieser sichtbar genug die Befriedigung seiner Habsucht, aber sollte er sich dabei nicht durch die ganze Ansicht der Zeit, die in jenem Volke nur die verworfenen Verfolger des Heiligen erkannte, gerechtfertigt geglaubt haben? Und ist es nicht wahrscheinlich genug, daß ihn, den Betheiligten, die Geständnisse vieler Templer, die selbst uns noch verwirren, an die Schuld des Ordens glauben lassen konnten, in einem Zeitalter dem der Unsinn des Folterinstituts noch lange nicht klar geworden war, und in welchem der Abscheu vor der Ketzerei jedem Verdachte derselben (wie ganz ähnlich bei den Hexenprocessen in noch viel spätern Zeiten) nur allzu leicht unbedingten Glauben verschaffte? Kalte Bösewichter welche sich selbst der niedrigen Absichten ihrer Vergehen klar bewußt sind wird der psychologische Forscher selten finden; die Leidenschaft ist es, welche meistens zum Frevel treibt, aber sie wird, eben weil das bessere Gefühl niemals völlig erstirbt, zunächst fast immer Selbsttäuschung erzeugen; diese kann jedoch insofern zum Maßstabe der moralischen Verschuldung dienen, als, je größer die Verblendung ist, ein desto höherer Grad selbstsüchtiger Leidenschaft vorausgesetzt werden darf.

 

Wir schließen diese Anzeige mit dem Urtheile eines ältern französischen Geschichtschreibers über den Templerproceß (Mézeray, „Abrégé chronologique de l’histoire de France", 2 Bde., Amsterdam 1755), durch dessen Vergleichung ebenso wol der Gewinn welchen wir der neuesten Kritik verdanken als die Verdienste der frühern besonnenen Forschung bestimmter vor die Seele treten werden:

 

On vit bientôt l’effet de la promesse secrete que le pape Clément avait faite au roi pour le venger des Templiers. Les trop grandes richesses de ces chevaliers, leur orgueil détestable, leur conduite avare et choquante envers les princes et seigneurs, qui passaient en la Terre-Sainte, le mépris qu’ils faisaient des puissances temporelles et spirituelles, par dessus tout cela leurs dissolutions et libertinages les avaient rendus fort odieux et donnaient un spécieux prétexte à la résolution que le roi avait prise de les exterminer.

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Quelle:

 

Blätter für literarische Unterhaltung. Erscheinungsort Leipzig. Digitalisat SLUB Dresden. URN: urn:nbn:de:bsz:14-db-id3909272524. Sammlungen Saxonica.

 

Vom 9. Februar 1847. S. 157-159.

Vom 10. Februar 1847. S. 161-163.

Vom 11. Februar 1847. S. 165-167.

Vom 12. Februar 1847. S. 169-171.

Vom 13. Februar 1847. S. 173-174.

Vom 14. Februar 1847. S. 177-178.

Vom 15. Februar 1847. S. 181-183.

Vom 16. Februar 1847. S. 185-186.

 

 

 

 

 

 

 

Geschichte der Hexenprocesse (Rezension 1844)

Blätter für literarische Unterhaltung.
Sonntag, Nr. 14. 14. Januar 1844.

Geschichte der Hexenprocesse. Aus den Quellen dargestellt von Wilhelm Gottlieb Soldan. Stuttgart, Cotta. 1843. Gr. 8. 2 Thlr. 7½ Ngr.

Wenige Erscheinungen in der Geschichte des Menschengeschlechts sind für dasselbe so demüthigend als jene unzähligen, unter den entsetzlichsten Greueln und Martern verübten Justizmorde an vermeintlichen Hexen und Teufelsbündlern. Das Demüthigende liegt besonders darin, daß die Hexenverfolgungen nicht ein kurzer Wahn, sondern eine fast fünfhundert Jahre währende Scheußlichkeit gewesen, ferner daß sie großentheils nicht von der dichten Finsterniß des Mittelalters umhüllt, sondern im Lichte der wiedererwachten Wissenschaften und der Reformation ihren Gipfelpunkt erreicht, und vor Allem -- daß wir vor ihrer Wiederkehr nicht sicher sind. Wenn diese Befürchtung übertrieben scheint, so wollen wir sie dahin beschränken, daß allerdings der „Malleus maleficarum“ keine Aussicht hat, in seiner ursprünglichen Gestalt wiederum Gesetzeskraft zu erlangen, d. h. alte Weiber werden von dem Criminalrichter wegen ihrer rothen Augen und ähnlicher Hexenindicien nicht mehr in der alten Form geängstigt und bestraft werden; davon glauben wir überzeugt sein zu dürfen. Gern möchten wir aber diese Beschränkung noch weiter ausdehnen und sagen: daß die vorgeschrittene Bildung des Jahrhunderts so mächtig Wurzel geschlagen, daß nur noch ein kleiner Theil des Pöbels oder einzelne Verrückte an Dämonen, Behexungen, Teufelsbesessene u. dgl. glauben könnten. Eine solche Annahme würde aber geradezu den Wahrnehmungen aus neuester Zeit widersprechen. Halten wir uns zunächst an einige specielle Thatsachen, ehe wir uns im Allgemeinen über herrschende retrograde Tendenzen aussprechen. Vor wenigen Monaten erschien eine Broschüre „Erzählung einer vom Bischof Laurent in Luxemburg bewirkten Teufelsaustreibung“. Der Bischof tritt in diesem Büchlein folgendermaßen redend auf: „Ich befragte ihn (den Teufel) um seinen Namen und er nannte mir ein Wort, welches ich nicht verstehen konnte; es lautete Ro! Ro! Ro!“ Seine bischöfliche Gnaden befahlen alsdann dem Teufel auszuziehen und sich in den Abgrund zu verfügen. Der Teufel versuchte zu capituliren, obgleich nicht recht abzusehen ist, warum er nicht Lust hatte, in seine Höllenresidenz zurückzukehren; aber er wollte nun einmal nicht gern dorthin und bat den Bischof um Erlaubniß, in den Leib eines Juden fahren zu dürfen. Es wird versichert, daß diese Broschüre außerordentlichen Absatz gefunden und den erbaulichsten Eindruck auf Diejenigen, für welche sie berechnet war, hervorgebracht hat. Das geschah in Belgien; aber in Berlin? Hier giebt der beliebte Prediger Goßner statt des Bibeltextes sauber lithographirte Bildchen, auf welchen, neben einigen Himmelsbewohnern, ein nackter Sünder, ein nackter Teufel und ein anderes Höllenungethüm vorgestellt sind , und hält über besagtes Bildchen Predigten, welche seine Kirche -- eine protestantische -- mit andächtigen, häufig gar vornehmen Zuhörern füllen. Brauchen wir noch an die wundersamen Geschichten der Besessenen in Süddeutschland zu erinnern? Justinus Kerner hat sich eines großen Publicums zu erfreuen gehabt, und zwar unter Männern und Frauen aus höhern Kreisen, die mit frommen Schauern seinen Erzählungen lauschten.

Nach Erwähnung dieser literarischen Vorarbeiten für die Wiederkehr des Hexenglaubens und der damit genau zusammenhängenden Hexenverfolgung könnten wir eine nicht unbedeutende Anzahl Criminaluntersuchungen anführen, welche in den letzten Jahren wegen roher Mishandlung unglücklicher „Hexen“ gegen allerlei Leute geführt worden, welche sämmtlich Religionsunterricht genossen und von denen manche sogar die Schule besucht hatten. Um nicht zu weitläufig zu werden, beschränken wir uns darauf, mit wenig Worten eines Falles zu gedenken, der sich vor einigen Jahren in der Nähe des Ref. zugetragen, und bei welchem fast ein ganzes Dorf zur Ermordung einer alten der Hexerei bezüchtigten Frau mitgewirkt hat. Auf der Halbinsel Hela bei Danzig hatte man zur Heilung eines Wassersüchtigen einen Quacksalber herbeigeholt; da dieser nicht zu helfen vermochte, bezeichnete er die einundfunfzigjährige Witwe Caynowa als Hexe, welche es dem Kranken angethan habe. Der Schulz ließ sämmtliche Bewohner des Ortes zusammenkommen; unter dem Beifall aller Anwesenden begann nun der Quacksalber das arme Weib zu mishandeln, schleppte sie in das Haus des Kranken und vermochte diesen, die „Hexe“ mit einem Knüttel blutig zu schlagen. In ihrer Angst versprach die Caynowa die Austreibung des Teufels bis


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zu einer bestimmten Stunde zu bewirken; als aber die Zeit erfolglos abgelaufen war, wurde sie von dem Quacksalber und mehren Einwohnern in ein Boot geworfen und in die See gefahren, um die Wasserprobe mit ihr vorzunehmen. Unglüclicherweise sank sie nicht unter; sie wurde aufs neue fast zu Tode gemartert und hierauf einer zweiten Wasserprobe unterworfen, bei welcher man ihr mit Messerstichen das Garaus machte. Bei der Untersuchung, welche vor dem Oberlandesgericht zu Marienwerder geführt wurde, hielt es schwer genug, die Thäter einigermaßen zu überzeugen, daß sie unsinnig und verbrecherisch gehandelt hatten. „Die Caynowa war ja eine Hexe!“ Auch wurde, eben in Berücksichtigung des im Volke noch stark verbreiteten Hexenglaubens, keiner der Schuldigen zum Tode verurtheilt. Dies ist keineswegs ein beispielloser Fall; authentische Berichte über ähnliche Vorkommnisse, ebenfalls aus der neuesten Zeit, liegen aus verschiedenen Gegenden des civilisirten Europas vor.

Wo aber der Pöbel auch nicht gerade zu so gewaltsamen Ausbrüchen der Brutalität schreitet, da hat er immerhin, selbst in Ländern, die sich eines guten Volksunterrichts rühmen dürfen, mehr oder weniger festgehalten an einem Glauben, den ihm ein früheres Zeitalter sogar zur Religionspflicht gemacht hat. Wer unser deutsches Landvolk aus eigener Beobachtung kennt, oder die Geistlichen befragen will, wird zahlreiche Belege finden. Manches rothäugige Weib wird noch heute im ganzen Dorf als Milchhexe gefürchtet, und unversöhnlicher Haß scheidet oft die nächsten Angehörigen, weil der Bruder den Bruder bezüchtigt, daß er ihm durch den Schornstein einfliege und den Wohlstand aus dem Hause hole. Walpurgiskreuze sieht man auf allen Thüren, und Kapuzinersegen werden auch da gesprochen, wo längst die Kutte verschwunden ist. Hier ist noch Vieles zu heilen. Geistlichkeit und Lehrstand wissen dies (oder sollten es wissen) und sind eifrig am Werk; aber gegen ihr Walten machen sich Strebungen geltend, die in ihrer Consequenz zur Rehabilitirung des Alten führen müßten. Man lasse die orthodoxe Reaction in weitern Kreisen ihre Dämonenlehre von den Kanzeln verkündigen, die schwäbischen Seherinnen und ihre philosophischen Patrone die Belege dazu aus dem Nachtgebiete der Natur zur Stelle schaffen , die Väter von Freiburg und Luxemburg durch ihre Exorcismen die Sache praktisch machen, und gebe dann das Ganze den Missionaren der Mucker zur weitern Verbreitung: -- was fehlt dann noch als das brachium saeculare? Wahrlich, dann kann Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Philosophie und Naturkunde und seine Criminalcodificationen gehabt haben, und in der zweiten kann es kommen, daß Pöbelhaufen die Obrigkeiten zwingen, nach der Carolina und dem Malleus Recht zu sprechen.

Die Befürchtung, daß die Dämonenlehre selbst auf den Schulkathedern wieder Raum gewinnen werde, ist nicht aus der Luft gegriffen. In einem Lande, dessen Schulwesen eine vorzügliche Berühmtheit genießt, werden seit ein paar Jahren auf höhern und niedern, nicht sowol katholischen als vielmehr protestantischen Lehranstalten vacante Stellen nur mit solchen Männern besetzt, welche unzweifelhafte Beweise der strengsten Orthodoxie gegeben; dazu gehört denn auch, daß sie nicht nur an den Teufel glauben, sondern auch, soweit ihnen der Religionsunterricht obliegt, die Lehre von dem persönlichen Teufel ihren Schülern ausführlich vortragen. Ein glaubwürdiger Mann versicherte dem Ref., daß er Zeuge gewesen, wie unlängst bei einer Abiturientenprüfung auf einem protestantischen Gymnasium der Religionslehrer die Examinanden befragte, welche Stelle der Höllenfürst unter den bösen Engeln einnehme, ob er mit dem Gesicht oder dem Rücken gegen den lieben Gott stehe, welche Functionen er zu verrichten habe u. s. w.

Bei diesem Stande der Dinge ist das vorliegende Werk in hohem Grade zeitgemäß; wir haben an demselben nicht nur die auf den gründlichsten Vorstudien beruhende, tief eingehende Behandlung des Gegenstandes zu rühmen, sondern auch ganz vorzüglich die lebendige und beredte Sprache, mit welcher der Verf. den mehrhundertjährigen Wahnsinn des Hexenglaubens in seiner Abscheulichkeit bloßlegt und die schmachvollen Umtriebe und Kunstgriffe, durch welche es der Geistlichkeit gelang, den Hexenproceß zu popularisiren, zur deutlichen Anschauung bringt. Jedenfalls ist es lehrreich, diese Schattenseite der Culturgeschichte genau kennen zu lernen. Der größte Nuten aber, den Soldan's Werk gewähren kann, würde dann erreicht sein, wenn alle Diejenigen, welche mittelbar oder unmittelbar durch Rede oder Schrift auf Schule und Volk einwirken, einen neuen Impuls zur eifrigsten Bekämpfung des Aberglaubens und der Verfolgungssucht aus diesem Buch gewinnen möchten.

Der Verf. entwickelt die Geschichte der Hexenprocesse aus ihrem Zusammenhange mit dem Zauberglauben der Heidenzeit. Wir können hier nur einen äußerst entfernten Zusammenhang erkennen und glauben, daß er in weiter nichts besteht als in der dem Menschen mehr oder weniger innewohnenden Neigung zum Übernatürlichen. Als historisches Factum nimmt der Hexenproceß eine unabhängige Stellung gegen alle frühern Erscheinungen des Zauberglaubens ein. Bereits im 13. Jahrhundert gelang es den zur Unterdrückung der albigensischen und waldensischen Ketzer ausgesandten Inquisitoren, aus der absichtlichen Vermischung der Ketzerei mit dem vermeintlichen Verbrechen der Zauberei jenes Monstrum zu erzeugen, welches mit dem Namen Hexerei bezeichnet wurde und von da an 500 Jahre lang zur Schande christlicher Priester und Richter die Marterkammern und Holzstöße gefüllt hat. Das traurige Verdienst, das Ketzer- und Zauberwesen zu dem Ganzen der Hexerei theoretisch vereinigt und die Hexenprocesse der neuern Zeit in Gang gebracht zu haben, gebührt den Inquisitoren und ihren gelehrten Schildträgern.

In dem Hexenproceß gewann der Inquisitor einen geschmeidigen und unerschöpflichen Criminalstoff, weit, wo die Natur des im Reiche der Einbildungen einheimischen Verbrechens dem Richter den Vorwand leiht, sich von der Erhebung des objectiven Thatbestands zu dispensiren, nirgend eine Grenze gezogen ist. Nicht minder gewann er an Popularität; denn er rechtfertigte die Grausamkeit seines Verfahrens durch die Größe der zu unterdrückenden Greuel und vertauschte die gehässige Rolle eines Verfolgers freierer Religionsansichten mit


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der dankenswerthen eines Wohlthäters, der die menschliche Gesellschaft von einer Rotte gemeingefährlicher Bösewichter befreit und dem Furchtsamen schon auf bloße Denunciation Schutz bietet, wo der weltliche Richter die förmliche Anklage mit allen Gefahren derselben auferlegt hätte.

Im Jahre 1390 wurde der Hexenproceß auf Beschluß des pariser Parlaments dem geistlichen Richter abgenommen und dem weltlichen zugewiesen; von da an verminderten sich in Frankreich die Verfolgungen und Hinrichtungen und das Übel fing nun an, sich über Deutschland zu verbreiten, wo es besonders seit der Hexenbulle Innocenz' VIII. und der Herausgabe des „Malleus maleficarum“ die entsetzlichsten Verwüstungen anrichtete. Die reformatorische Richtung des 15. Jahrhunderts spornte zur Schärfung der die Ketzerei unterdrückenden Maßregeln; da aber das Inquisitionstribunal in Deutschland keinen günstigen Boden finden wollte, so hatten die von Rom bestellten Glaubensrichter, besonders Heinrich Institoris und Jakob Sprenger in Oberdeutschland und am Rhein, für zweckmäßig erachtet, ihrem Geschäfte vorerst durch Verfolgung des Hexenwesens bei dem Volke Eingang zu verschaffen; und da sie auch hierbei auf Schwierigkeiten stießen, so wußten sie vom Papst Innocenz VIII. die Bulle Summis desiderantes vom 5. Dec. 1484 zu erwirken. Dieses merkwürdige Actenstück, zuweilen mit Unrecht als die ganze Quelle des Hexenprocesses betrachtet, ist deshalb von entschiedener Wichtigkeit, weil es der bisher ausgebildeten Lehre von der Häresie des Zauberwesens und dem Inquisitionsverfahren gegen dasselbe eine neue und für manche Punkte sogar die erste päpstliche Sanction ertheilt und somit die Verbreitung des Unwesens über ganz Europa wesentlich gefördert hat. Nach einer Ausführung über das Wesen der Hexerei klagt die Bulle, daß einige vorwitzige Cleriker und Laien den bestellten Inquisitoren die richterliche Competenz im Mainzischen, Kölnischen, Trierschen, Salzburgischen und Bremischen bestritten und dadurch zum großen Seelennachtheil der Betheiligten die wohlverdiente Bestrafung der bezeichneten Gräuel verhindert haben. Sodann wird diese Competenz ausdrücklich erklärt, der Bischof von Strasburg aufgefodert und ermächtigt, die Inquisitoren auf jede Weise zu schirmen und zu unterstützen, die Gegner dieser Maßregeln, wes Standes und Würden sie seien, mit Bann, Suspension und Interdict zu belegen, ja nöthigenfalls den weltlichen Arm gegen sie anzurufen. Den Inquisitoren aber soll es noch besonders obliegen, von den Kanzeln dem Volke die betreffenden Wahrheiten ans Herz zu legen.

Doch hatte der Papst sich in dieser Bulle nur allgemein ausgesprochen, sodaß den Gegnern der Inquisition noch immer ein weites Feld des Widerspruchs geöffnet blieb. Zur bessern Förderung des Geschäfts schritten daher Sprenger und Institoris zur Abfassung eines Werks, welches theils das Ganze der Zauberei in ihrer Wirklichkeit und der nothwendigen Beziehung ihrer einzeGeschichte-der-Hexenprocesselnen Theile aufeinander erweisen, theils die Grundsätze des gerichtlichen Verfahrens gegen dieselbe entwickeln sollte. Dies ist der berüchtigte „Malleus maleficarum“, größtentheils aus Sprenger's Feder geflossen, ein Werk so barbarisch an Sprache wie an Gesinnung, spitzfindig und unverständig in der Argumentation, originell nur in der Feierlichkeit, mit welcher die abgeschmacktesten Märchen als historische Belege vorgetragen werden. Im ersten Theile dieses „Hexrenhammer“ wird die Realität des Zauberwesens aus der heiligen Schrift, dem kanonischen und bürgerlichen Recht erwiesen und an der Spitze steht sogleich der Satz, daß das Leugnen dieser Wirklichkeit eine arge Ketzerei sei. Dann folgt die Lehre vom Pactum, von den Incuben und Succuben, die Erörterung, warum vorzugsweise das weibliche Geschlecht sich diesem Verderben hingebe u. s. w. Der zweite Theil berichtet über das Nähere, wie Zauberer aufgenommen werden, dem Teufel Huldigung leisten, durch die Luft fliegen, sich mit Dämonen vermischen, Krankheiten bewirken u. dgl. mehr. Ferner werden die kirchlichen Heilmittel gegen allerlei Zauberschäden angegeben; merkwürdig ist hierbei, Wilhelm Tell unter des Teufels Freischützen (Sagittarii) aufgeführt zu finden. Der dritte Theil behandelt das gerichtliche Verfahren; hier sticht besonders die Heimlichkeit des Processes und das Unwesen der Denunciation hervor. Das Inquisitionsverfahren wird übrigens dem weltlichen Richter in Zaubersachen nicht weniger empfohlen als dem geistlichen, und es ist wol nicht zu viel behauptet, wenn man annimmt, daß gerade die Hexenprocesse späterhin der allmäligen Verdrängung des Anklageverfahrens durch das inquisitorische in Deutschland einen besonders wirksamen Vorschub geleistet haben. Dies von einer päpstlichen Bulle und einem kaiserlichen Diplom unterstützte, fast zu kanonischem Ansehen gelangte Buch wurde die Richtschnur für das Verfahren gegen die vielen tausend Unglücklichen, welche in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, England und sogar in dem neu entdeckten Amerika dem Wahne und der Bosheit zum Opfer fielen. Bei der großen Auctorität, welche dem „Hexenhammer“ beigelegt wurde, und bei seiner allgemeinen Verbreitung darf es nicht Wunder nehmen, daß alle Hexenprocesse eine so große Ahnlichkeit miteinander haben. Der Richter hatte nur die Aufgabe, jeden Fall in das vom Gesetzbuch gegebene Schema einzupassen , für die in demselben namhaft gemachten Verbrechen Geständnisse zu erpressen und nach dessen Vorschrift das Bluturteil zu sprechen.

(Die Fortsetzung folgt.)



Blätter für literarische Unterhaltung.
Montag, Nr. 15. 15. Januar 1844.

Geschichte der Hexenprocesse. Aus den Quellen dargestellt von Wilhelm Gottlieb Soldan. (Fortsetzung aus Nr. 14.)

In einem besondern Capitel führt der Verf. diejenigen Handlungen an, welche den eigentlichen Gegenstand des Verbrechens der Hexerei ausmachen, und legt hierbei als concreten Fall die von Llorente gegebenen Mittheilungen über die 1610 zu Logrono verurtheilten Hexen zum Grunde. Wenn der Teufel die Menschen (wie z. B. den Doctor Faust) durch die Gewährung überschwänglicher Genüsse verführt, so ist der Übertritt zu ihm sehr erklärlich; daß aber die ekelhaften und erbärmlichen Vergnügungen des höllischen Hofstaats irgend Einen bewegen sollten, sich dem Teufel zu ergeben, ist schwer zu begreifen. Das einzige Reizmittel könnte hierzu nur die Wollust sein, hinsichtlich deren Befriedigung der Schwarze, nach Aussage aller torquirten Hexen, über große Fonds zu gebieten hat. Alle übrigen Ergötzlichkeiten des Hexensabbaths sind so abgeschmackt, daß ein halbwege vernünftiger Mensch unmöglich Verlangen danach tragen kann. So z. B. betet man den Teufel an, küßt ihm -- --, was er höflichst dadurch erwidert, daß er Gestank von sich gehen läßt, während ein Assistent ihm den Schweif aufhebt; er parodirt das Abendmahl; was er aber statt der Hostie austheilt, gleicht einer Schuhsohle, ist schwarz, herb und schwer zu kauen; bei Tafel gibt es oft sehr schlechtes Essen; Fische und Fleisch vom Geschmack faulen Holzes, ohne Salz; Wein wie Mistlachenwasser; oft werden die Speisen vom Schindanger geholt. Solcher und noch schlimmerer Unsinn wurde von der gelehrten und ungelehrten Christenheit für möglich und wirklich gehalten!

Die Zauberei war ein Crimen exceptum , d. h. der Richter war nicht verpflichtet, sich genau an die sonst geltenden Grundsätze und Formen des Verfahrens zu halten; sie ist auch (nach Carpzov) ein Crimen atrox und atrocissimum, denn in ihr vereinigen sich Ketzerei, Apostasie, Sacrilegium, Blasphemie, Mord und Sodomie; darum verjährt sie niemals, und die Untersuchung und Bestrafung kann selbst nach dem Tode stattfinden. Die Aussagen jedes Zeugen auch des mit Infamie belegten, hatten Gültigkeit; die Reinigung des Angeklagten mislang oft trotz des augenscheinlichsten Beweises der Unschuld. Fünf bis sechs Weiber zu Lindheim, erzählt Horst, wurden entsetzlich gemartert, um zu bekennen, ob sie nicht auf dem Kirchhofe des Orts ein vor kurzem daselbst verstorbenes Kind ausgegraben und zu einem Hexenbrei gekocht hätten. Sie gestanden es. Der Gatte von einer dieser Unglücklichen brachte es endlich dahin, daß das Grab in Gegenwart des Ortsgeistlichen und mehrer Zeugen geöffnet ward. Man fand das Kind unversehrt im Sarge. Der fanatische Inquisitor hielt den unversehrten Leichnam für eine teuflische Verblendung und bestand darauf, daß, weil sie es doch Alle eingestanden hätten, ihr Eingeständniß mehr gelten müsse als der Augenschein; man müsse sie „zur Ehre des dreieinigen Gottes“, der die Zauberer und Hexen auszurotten befohlen habe, verbrennen. Sie wurden in der That verbrannt. Nach dem „Malleus maleficarum“ und der spätern allgemeinen Praxis war der Richter auf bloße Denunciation, übeln Ruf und sonstige Indicien vorzuschreiten befugt. Kam der wandernde Inquisitor in eine Stadt, wo er thätig sein wollte, so foderte er durch einen Anschlag an den Thüren der Pfarrkirchen oder des Rathhauses unter Androhung von Kirchenbann und weltlichen Strafen auf, jede Person, von welcher man etwas Zauberisches oder auf Zauberei Hindeutendes wisse, oder von welcher man selbst nur gehört habe, daß sie in üblem Rufe stehe, binnen zwölf Tagen anzuzeigen. Der Denunciant wurde mit geistlichem Segen und mit klingender Münze belohnt, sein Name auf Verlangen verschwiegen. In der Kirche fand man an manchen Orten Kästen mit einem Spalt im Deckel, um auch anonyme Denunciationen abzugeben. Wie in Einrichtung der Detentionsgefängnisse jener Zeit überhaupt die gewissenloseste Nachlässigkeit hervortritt, so zeigt sich in denen für die Hexen insbesondere noch eine höchst erfinderische Grausamkeit. Es gab eigens eingerichtete Hexenthürme und Drudenhäuser. Das vom Bischof Johann Georg II. (1622-33) zu Bamberg erbaute Malefizhaus hatte allerlei neu erfundene Vorrichtungen zur Tortur; über dem Portale stand das Bild der Themis mit der Umschrift: „Discite justitiam moniti et non temnere Divos!“ Bambergische Inquisitoren rühmen als ein äußerst wirksames Mittel, die Hexen


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zahm zu machen „das gefaltet Stüblein“, wahrscheinlich eine Art Lattenkammer.

Nach Vorschrift des „Malleus malesicarum“ wurde das Verhör der Gefangenen mit der Frage eröffnet: ob Inquisitin glaube, daß es Hexen gebe? Die meisien leugneten; das war aber schon hinreichend zu ihrer Verurtheilung als Ketzerinnen; denn, sagt der „Herxenhammer“, der Ketzereien größte ist, nicht an das Verbrechen der Zauberei zu glauben.

Erfolgen nun die gewünschten Geständnisse nicht, so wird die Unglückliche in den Kerker zurükgeführt, um daselbst von neuem bearbeitet zu werden. Alle Qualen des Mangels, des Schmerzes und Ekels umgeben sie; der Priester schreckt sie mit den Strafen der Hölle, wenn sie leugnet, verheißt die Rettung der armen Seele und Verwendung, wenn sie reuig bekennt; falsche Freunde treten hinzu und spiegeln die Hoffnung eines glücklichen Ausgangs vor; der Richter tritt ein und versichert, er werde Gnade angedeihen lassen, wobei er vermöge einer erlaubten Mentatreservation diese Gnade nicht der Gefangenen, sondern sich selbst oder dem gemeinen Besten zudenkt. Auch bleibt es seinem Ermessen überlassen, ob er nicht sagen will: „Gestehst du, so werde ich dich nicht zum Tode verurtheilen.“ Wenn es zum Spruche kam, konnte er dann abtreten und einen Andern das Urtheil verkünden lassen. Solche und viele andere Kniffe empfahl der „Malleus maleficarum“, um ein sogenanntes freiwilliges Bekenntniß zu erhalten, und er hatte recht, auf dasselbe einen hohen Werth zu legen, weil es, so lange die Doctrin des Hexenwesens noch nicht ganz allgemein geworden war, eine ungleich kräftigere Wirkung machen mußte als das durch die Folter erzwungene. Doch vererbten sich diese Mishandlungen auch auf die spätere Zeit. Geistliche lockten und schreckten, Büttel plagten und suggerirten, Richter logen und betrogen, wenn es auf andere Art nicht gehen wollte. Jeder hielt sich zu Allem gegen das Hexenvolk berechtigt, weil er entweder dem Himmel einen Dienst zu leisten glaubte oder sich selbst.

Der Hauptnerv aller Beweisführung blieb aber immer die Tortur; zu ihr schritt man auf die leisesten Indicien. Weil die Zauberei ein Crimen exceptum war, so erlaubte man sich in dem Grade, der Wiederholung und der Zeitdauer des Acts jede Freiheit. Drei- und vierstündige Tortur war nichts Ungewöhnliches. Ein der Lykantrophie Angeklagter in Westfalen wurde einst zwanzig Mal mit der Schärfe angegriffen; in Baden-Baden peinigte man ein Weib zwölf Mal und ließ sie nach dem letzten Act noch 52 Stunden auf dem sogenannten Hexenstuhle sitzen. Ein Weib in Düren, das in wiederholter Pein standhaft leugnete, die Krautgärten durch Hagelschlag verwüstet zu haben, blieb, mit ungeheuern Beingewichten beschwert, an der Schnur hängen, während der Vogt zum Zechen ging; als er wieder kam, hatte der Tod die Arme von allen Qualen erlöst. Diesem Vogte fehlte die Geistesstärke , mit welcher man sonst in solchen Fällen behauptete, daß der Teufel nur sein Opfer geholt habe; er ward wahnsinnig. Die meisten Hexenrichter waren indeß mit starken Gründen gegen alle Gefahr gewappnet, den Verstand bei Ausübung ihres blutigen Handwerks zu verlieren. Der edle Friedrich Spee erzählt:

Unlängst sagte mir ein Inquirent: „Ich weiß wohl, daß in diesem Wesen auch einige Unschuldige mit unterlaufen; aber deshalb mache ich mir kein Gewissen, sintemal mein Fürst, der doch ein sehr vorsichtiger, gewissenhafter Herr ist, mich treibt,daß ich in diesem Lande fortfahren solle; der wird wohl wissen, und sein Gewissen dabei in Acht nehmen, was er befiehlt; mir gebührt, daß ich demselbigen nachkomme.“ -- Ist das nicht (Gott erbarm's) eine lustige Sache? Fürsten und Herren legen alle Sorge von sich ab und hängen dieselbe auf ihre Amtleute und Räthe und deroselben Conscienz und Gewissen; diese thun dergleichen und werfen's auf ihrer Herrn Gewissen! Der Fürst sagt: Unsere Räthe mögen sehen, was sie zu thun haben; die Räthe sagen: Der Fürst möge sehen, daß er's verantworte. Ist das nicht ein schöner Circul? Welcher aber wird vor Gott verantworten müssen? Dann weil es Jener sehen soll und Dieser soll's sehn, geschieht's, daß es Niemand sieht oder achtet.

Eine Aufführung der zahllosen Torturmittel, von dem einfachen Aufziehen an der Chorde bis zum Abreißen der Fingernägel mit Schneidezangen, welches Jakob. I. üben ließ, würde zu widrig sein. Raffinirter war vielleicht keins als das sogenannte Tormentum insomniae, das besonders in England mit Erfolg angewendet wurde. Matthäus Hopkins, der berüchtigte General-Hexenfinder Englands, ließ die Gefangenen stets wach erhalten, damit sie keinen Zuspruch vom Teufel erhielten. Zu diesem Ende wurden sie im Kerker unaufhörlich herumgetrieben, bis sie wunde Füße hatten und zuletzt in einen Zustand vollkommener Verzweiflung und, Tollheit geriethen.

Sehr anschaulich zeigt der Verf., wie die Zustände und Tendenzen der Wissenschaften in jener Zeit den Greueln des Hexenprocesses förderlich waren und wie die theologische Färbung, sich auch den nicht- theologischen Wissenschaften und der Politik mittheilend, verdüsternd auf dieselben einwirkte. Trotz der Schroffheit, mit welcher Protestanten und Katholiken sich gegenüberstanden, in einem Punkte trafen sie wenigstens miteinander zusammen, in der Vorstellung von der Persönlichkeit und Macht des Teufels. In den Naturwissenschaften herrschte blinder Autoritätsglaube; die Philosophie blieb im Ganzen im Dienste der Theologie; selbst die besten Köpfe scheuten sich, Resultate auszusprechen, die mit der Orthodoxie in Conflict gerathen konnten. In der Jurisprudenz herrschte ein Geist engherziger Beschränktheit, philosophischer Betrachtungsweise bar und ledig, theils an den Satzungen des römischen und kanonischen Rechts haftend und in die müßigsten Spiele der Dialektik sich verirrend, theils in den theologischen Begriffen der Zeit befangen. Die Medicin endlich, ohne feste physiologische und pathologische Grundlage, klebte am Altüberlieferten und machte sich (sehr bequem) aus der Macht des Teufels einen Schild gegen alle Vorwürfe. Unter diesen Umständen wird es erklärlich, warum die Reformation Hexenglauben und Hexenprocesse nicht gestürzt hat. Sie ließ beide bestehen, weil sie den Glauben an den persönlichen Teufel bestehen ließ. In diesem Glauben erhitzte sich der Eifer gegen die Verbündeten des Teufels um so mehr, je weniger eine Religionsgenossenschaft der andern im Abscheu gegen das Diabolische nachstehen wollte, und so rasten. die verschiedenen Parteien der Protestanten untereinander selbst und mit den Katholiken um die


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Wette. Um Luther's Verhältniß zu den Hexenprocessen mit wenigen Worten auszusprechen, so stand er unmittelbar zu dem Gange derselben in gar keiner Beziehung, mittelbar aber allerdings dadurch,- daß er nicht noch weit durchgreifender reformirte als er wirklich gethan hat.

(Der Beschluß folgt.)

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Dienstag, Nr. 16. 16. Januar 1844.

Geschichte der Hexenprocesse. Aus den Quellen dargestellt von Wilhelm Gottlieb Soldan. (Beschluß aus Nr. 15.)

Eins der wirksamsten Motive zur Hexenverfolgung war die Habsucht. Es ist bekannt, wie sehr dieselbe in das Gerichtswesen des 16. Jahrhunderts überhaupt eingriff. „Die Gerichtsherren“, sagt Udalrich Zasius, „statt auf das gemeine Beste zu sehen, strafen nur, um ihre Einkünfte zu vermehren.“ Wie aber diese niederträchtige Triebfeder ganz besonders auf die Hexenprocesse wirkte, das erkannten schon unter den Zeitgenossen die Scharfsinnigern. Der Kanonikus Loos, dem die Freimüthigkeit, mit der er gegen solchen Unfug auftrat, mehrmals Kerkerstrafe zuzog, nannte diese Processe eine neu erfundene Alchymie, durch welche man aus Menschenblut Gold und Silber mache. Vierzig Jahre später sagte Friedrich Spee, daß Viele nach den Verurtheilungen der Zauberer hungerten „als den Brocken, davon sie fette Suppen essen wollten“. In Trier, wo unter dem schwachen Jesuitenfreunde Johann VI. das Übel auf den höchsten Grad stieg, waren zwar Äcker und Weinberge aus Mangel an Arbeitern verödet, aber Notarien, Actuarien und der Nachrichter waren reich geworden. Der Letztere ritt in Gold und Silber gekleidet auf einem stolzen Pferde; seine Frau wetteiferte in Kleiderpracht mit den vornehmsten Damen. Spee kannte einen Inquisitor, der sein Geschäft auf folgende Weise betrieb. Zuerst ließ er durch seine Leute das Landvolk bearbeiten, bis dieses sich vor lauter Hexenfurcht nicht mehr zu lassen wußte und den Schutz des Inquisitors anflehte. Nun nahm er die Miene an, als riefen ihn seine Geschäfte anders wohin, ließ sich jedoch durch eine zusammengeschossene reichliche Arrha bewegen, zu erscheinen, leitete auch die Untersuchung ein, redete abermals von seinen anderweitigen Obliegenheiten, sammelte wiederum Geld und begab sich dann in ein anderes Dorf, um dasselbe Spiel von vorn anzufangen. Die Stadt Fulda erinnert sich noch des Treibens eines gewissen Balthasar Voß, der sich durch niedrige Angeberkünste vom Schreiber zum Günstling des Abts und Criminalrichter emporgeschwungen hatte. Er zog im Ländchen umher, überfiel plötzlich Dörfer und Flecken, verhaftete die angesehensten, unbescholtensten Leute, besonders die Reichen, auf deren Vermögen er Absichten hatte, und nahm, wie er es nannte, „Brände“ vor. Er rühmte sich einst, über 700 Personen beiderlei Geschlechts zum Scheiterhaufen gebracht zu haben. Dieser Voß trieb sein Wesen 19 Jahre lang.

Nicht nur alte Weiber mußten wegen vermeintlicher Hexerei den Holzstoß besteigen; angesehene Männer, Jünglinge aus edeln Häusern, ja selbst kleine Kinder wurden wegen desselben Verbrechens gemartert und hingerichtet. Ein Verzeichniß „der Hexenleut, so zu Würzburg mit dem Schwert gerichtet und hernacher verbrannt worden“, zählt aus den Jahren 1627 bis zum Anfange von 1629 29 „Brände“ auf, bei welchen jedesmal mehre Personen, bisweilen acht auf einmal, hingerichtet wurden. Der Verf. theilt dies Verzeichniß wörtlich mit und wir finden darin unter Anderm Chorherren, Vicarien vom Domstift, Doctoren, Rathsherren, Bürgermeisterfrauen, den Steinmacher „einen gar reichen Mann“, „ein klein Mägdelein von neun oder zehn Jahren“, „des Fürsten Kochs zwei Söhne, einer von vierzehn, der andere von zehn Jahren aus der ersten Schule“, „NB. der Vogt im Brennerbacher Hof und ein Alumnus sind lebendig verbrannt worden“, „des Valkenbergers Töchterlein ist heimlich gerichtet und mit den Laden verbrannt worden“, „die dicke Edelfrau“ u. s. w.

Welche Wüste, welche Mördergrube war in jenen Jahren aus Deutschland geworden! In demselben Jahre, wo der Scharfrichter von Coesfeld solche Rechnungen stellen durfte (seine Liquidation vom Juli bis December 1631 betrifft lauter Hexenprocesse und beträgt 169 Thlr.), verbrannte Tilly Mag- deburg für die Wiederherstellung des alleinseligmachenden Cultus, und schlug ihn Gustav Adolf bei Leipzig für die Freiheit des protestantischen Bekenntnisses; wo aber blieb der Held, der Einsicht, Macht und Muth gehabt hätte, mit offenem Visier den Aberglauben und den Eigennutz für die Humanität zu schlagen? Nur eine einzige Stimme erhob sich in jenen Tagen: zwar laut, deutlich und beredt, aber aus dem Asile der Anonymität; zwar aus den innersten Tiefen eines bekümmerten Herzens hervordringend, aber in ihren Wirkungen nicht glücklicher als die Stimme des Predigers in der Wüste.

Es war der Jesuit Friedrich Spee, welcher in seiner „Cautio criminalis“ 1631 gegen den Hexenproceß auftrat; ein Gegenstück zu seinem Ordensbruder Delrio, der, so wie viele andere Jesuiten, zu den eifrigsten Beförderern der Hexenprocesse gehört hatte. Jarcke gibt


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sich zwar in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Zauberei“ (Hitzig's „Annalen“) Mühe darzuthun, daß der Jesuitenorden sich zuerst gegen jenes blutige Unwesen erklärt habe; unser Verf. widerlegt indeß mit historischem Beweise Jarcke's an sich schon verdächtige Behauptung, daß die Gesellschaft Jesu unter den Vorkämpfern der Aufklärung gestanden habe. Auch leuchtet es ein, daß die gute That, welche der Einzelne anonym und im Widerspruch mit dem Verfahren der Gesellschaft gethan hat, der letztern nicht zum Vortheil angerechnet werden kann.

Leider hatten Spee's Worte nur wenig gefruchtet und nur auf einem beschränkten Raume bewirkten sie einige Verminderung der Menschenbrände. Ein Unglück für Spee's Bemühungen war es, daß wenige Jahre nach ihm der jüngere Carpzov mit seinem „Peinlichen Recht“ hervortrat. Dieser starre, autoritätsgläubige und selbst wiederum zur Autorität gewordene Jurist war weit entfernt, ein Reformator der Criminalrechtswissenschaft geworden zu sein, wie sein allgemeines fast legislatorisches Ansehen schließen lassen sollte. Was den Glauben an die Hexengreuel betrifft, so bekannte er sich ganz zur strickesten Observanz. Die ärgsten Verfolger, z. B. Delrio, waren seine Gewährsleute und durch Carpzov's Ansehen hatte der Hexenproceß nur noch festere Wurzel gefaßt.

Endlich 1691 trat Balthasar Bekker mit einem Werke auf, welches dem Ungethüm des Hexenwesens den ersten tödtlichen Streich versezte. Bekker war der Erste, der die Nichtigkeit des Zauberglaubens in seiner Totalität erkannt und demzufolge nicht mehr den einzelnen Erscheinungen desselben, sondern dem Princip selbst den Krieg erklärte. Dieses Princip aber liegt in der Dämonologie, insbesondere in der Lehre vom Teufel. Die durch Bekker's Werk veranlaßte Bewegung war außerordentlich. In zwei Monaten waren 4000 Exemplare verkauft und fast in allen Sprachen Europas erschienen Übersetzungen desselben. Wiewol sich die Welt zwischen Beifall und Anfeindung theilte und die Entbehrlichkeit des Teufels nur von wenigen Theologen zugegeben wurde, so war Bekker's Buch „doch eine riesenhafte Vorarbeit für den letzten entscheidenden Kampf, aus welchem Christian Thomasius gegen die Anhänger des Hexenglaubens und der Hexenprocesse siegreich hervorging.

In seinen frühern Jahren war Thomasius selbst von der Rechtmäßigkeit der Hexenprocesse noch so fest überzeugt, daß er einst als Berichterstatter in der Juristenfacultät auf die Torquirung einer Angeklagten antrug. Es ward ihm die Beschämung, von seinen Collegen, die in diesem concreten Falle anders dachten, überstimmt zu werden, und dies gab ihm den ersten Anstoß zu tieferer Prüfung des ganzen Gegenstandes und zur offenen Bestreitung desselben, sobald die bessere Überzeugung gewonnen war. Vom Teufelsglauben. selbst hat sich Thomasius nicht losgemacht und steht hierin hinter Bekker zurück; er verwahrte sich vielmehr gegen die falsche Beschuldigung, als glaube er an keinen Teufel.

Ich glaube nicht allein -- sagt er in seinen „Kurzen Lehrsätzen von dem Laster der Zauberei“ (1701) --, sondern verstehe auch einigermaßen, daß der Teufel der Herr der Finsterniß und der Fürst der Luft, d. i. ein geistliches (geistiges) oder unsichtbares Wesen sei, welches auf eine geistliche oder unsichtbare Weise mittels der Luft oder auch wässeriger oder auch irdener Körperchen in den gottlosen Menschen seine Wirkung hat.

Hiermit bekennt sich also Thomasius zu dem Wahne seiner Zeitgenossen und würde also schwerlich zu dessen Ausrottung beigetragen haben, wenn er nicht seinem Teufelsglauben folgende Beschränkung hinzugefügt und deren Geltendmachung zur Aufgabe seines Lebens gestellt hätte.

Ich leugne aber hinwiederum -- erklärt er nämlich --, daß Hexen und Zauberer gewisse Verträge mit dem Teufel aufrichten sollten, und bin vielmehr versichert, daß Alles, was diesfalls geglaubt wird, nichts anders als eine Fabel sei, so aus dem Juden-, Heiden- und Papstthum zusammengelesen, durch höchst unbillige Hexenprocesse aber, die sogar bei den Protestirenden eine Zeithero gebräuchlich gewesen, bestätigt worden.

Hiernächst werden in seiner Schrift die von Juristen und Theologen für die Existenz der Zauberei vorgebrachten Gründe durchgemustert und ins Absurde geführt. Auch gegen Thomasius brach der Sturm los; er hatte Juristen und Theologen beleidigt und sie vergalten es ihm mit harten Ausfällen und verketzernden Declamationen.

Als der berühmte Herr Thomasius -- schreibt einer seiner Anhänger im J. 1803. -- sich dem protestantischen Papstthum und denen Pedanten eifrigst widersetzt, so hat man ihn für den ärgsten Atheisten, Quaker, Socinianer, und ich weiß nicht für was, in der ganzen Welt ausgeschrien; sogar daß die Meisten noch jetzo seine raisonnablen Lehren für seelenschädliche Irrthümer auszugeben sich nicht scheuen. Sonderlich hat die neulich unter ihm gehaltene Disputation wider das Laster der Zauberei von neuem in das Wespennest gestöret, weil die Antistites regni tenebrarum wohl gesehen, daß hiermit zugleich viele falsche Einbildungen vom Teufel als ihrem Knecht Ruprecht vor die Hunde gehen würden.

Die ersten erfreulichen Wirkungen seiner Thätigkeit sah Thomasius zuerst im preußischen Staat. Friedrich I. zog schon 1701 einen märkischen Gerichtsherrn wegen einer Hinrichtung zur Rechenschaft und beschränkte 1706 die Hexenprocesse in Pommern. Acht Jahre später that sein zwar ungelehrter, aber frommer und praktisch verständiger Sohn einen noch entschiedenern Schritt. Kaum hatte er nämlich den Thron bestiegen, so verkündete ein Mandat vom 13. Dec. 1714, daß Friedrich Wilhelm, überzeugt von der Verwerflichkeit des bisherigen Verfahrens in Hexensachen, dasselbe zu verbessern beschlossen habe und daß inzwischen alle auf Tortur oder Tod gehenden Urtheile dem Könige zur Bestätigung vorzulegen seien. Zugleich wurden die Brandpfähle weggenommen. Friedrich Wilhelm hat ein solches Urtheil nie bestätigt. Vielmehr sprach er, als 1721 der Magistrat zu Nauen einen Hexenproceß einleitete, die Abolition aus und ließ der Behörde einen Verweis geben mit dem Zusatze, daß der König alle Hexenprocesse durchgehends verboten habe. Dem Beispiele Preußens ahmte auch das übrige protestantische Deutschland mehr oder weniger bereitwillig nach. In dem katholischen


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Süddeutschland loderten indeß noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Hexenscheiterhaufen. Besonders in Baiern währte der Unfug noch lange fort; noch unter Karl Theodor's Regierung hatte fast jedes Kloster seinen sogenannten Hexenpater, bei welchem man sich Rath und Schutzmittel zu holen pflegte, z. B. Agnus Dei und Lucaszettel. Eine Bäuerin aus dem Gerichte Pfatter bei Straubing, deren Kühe keine Milch gaben, fiel in die Schlingen eines solchen Hexenpaters, des Franciscaners Benno, der sie im Kloster trunken machte, dann unter dem Vorwande der Entzauberungsceremonie schändete und zuletzt zum Todtschlage an der neunzigjährigen Großmutter ihres Mannes veranlaßte. Als das Gericht nach langem Zögern die Verhaftung des Buben beschloß, mußte es die Auslieferung desselben durch militairische Execution vom Kloster erzwingen, und als derselbe endlich degradirt und zu lebenslanger Festungsarbeit verurtheilt war, legte sich Rom ins Mittel und bewirkte Begnadigung, sodaß der Hexenpater mit zehnjähriger Suspension und ebenso langem Klosterarrest durchkam.

Seht Leute -- sagt der Berichterstatter, von welchem diese Nachricht entnommen ist -- , so geht's bei uns in Baiern zu; die Pfaffen lachen über uns und mästen sich von unserm Schweiß. Wär's nicht eine von den nothwendigsten Neuerungen, daß bei uns die Bettelmönche, sowie die andern privilegirten Tagediebe aufgehoben, oder wenigstens ihr Wirkungskreis beschränkt würde?

Über die Hexenpatres in Frankreich schreibt Garinet:

Il n'y pas encore cinquante ans, que le père Apollinaire (surnommé par la populace le père Apothicaire) fut surpris au lit, chassant le diable des parties inférieures de la servante d'Henriet, curé de St.-Humiers. Ce charitable capucin se vanta humblement d'avoir reçu, durant cette bonne oeuvre, un coup de pied de la patte d'Astaroth, démon de l'impudicité, qui se mit à beugler, disait-il, contre son séraphique père Saint-François, dès l'instant qu'il lui avait fait sentir son cordon.

In Würzburg wurde 1749 Maria, Renata Seegerin, Subpriorin des Klosters Unterzell, verbrannt, während am Scheiterhaufen der Jesuit Georg Gaar eine salbungsvolle Rede an die versammelte Menge hielt. Von da an sind die gerichtlichen Verfolgungen wegen Zauberei immer seltener geworden; der letzte Justizmord dieser Art wurde zu Glarus in der Schweiz 1782 verübt.

Daß aber mit dem Schlusse der Hexenprocesse noch keineswegs auch der Teufels- und Hexenglaube seine Endschaft erreicht hat, daß er noch jetzt in roher Nacktheit hin und wieder den Pöbel zu Unthaten treibt, während er sich im Nebelduft der Poesie bei den höhern Kreisen einschleicht und im gelehrten Gewande wieder festes Terrain auf Katheder und Kanzel zu gewinnen sucht, dafür sprechen die Eingangs dieser Mittheilung erwähnten Thatsachen. Darum ist es ganz an der Zeit, die Erinnerung an jene Geisteskrankheit vergangener Jahrhunderte wach zu erhalten, ihre gräßlichen Berirrungen in das Licht der Wahrheit zu setzen und der Reaction auch von dieser Seite vorzuhalten, wohin sie führen kann und, consequent, führen muß. Daß der Verf. Sich diese Aufgabe gestellt, daß er sie in so gründlicher Weise und mit so warmem Eifer gegen Aberglauben und Verfinsterung gelöst hat, verdient die aufrichtigste Anerkennung und erregt den lebhaften Wunsch, daß Soldan's Buch eine recht vielfache Benutzung finden möge.   28.



Quelle:
Rezension zum Buch Wilhelm Gottlieb Soldan: Geschichte der Hexenprocesse. Aus den Quellen dargestellt von Wilhelm Gottlieb Soldan. Stuttgart, Cotta. 1843.
veröffentlicht in:
Blätter für literarische Unterhaltung.
vom 14. Januar 1844. S. 53-55
vom 15. Januar 1844. S. 57-59
vom 16. Januar 1844. S. 61-63
Verlag F. A. Brockhaus in Leipzig 1844.




Der religiöse Wahnsinn (Rezension 1848)

Blätter für literarische Unterhaltung.

Freitag, Nr. 315, 10. November 1848.

 

Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Von Karl Wilhelm Ideler. Halle, Schwetschke u. Sohn. 1847. 8. 1 Thlr. 5 Ngr.

 

Die Schrift welche uns hier zu besprechen vorliegt ist nur der Vorläufer, die thatsächliche Einleitung zu einer andern, später zu erscheinenden, welche des Verf. Theorie des religiösen Wahnsinns enthalten soll, und besteht größtentheils aus einer Sammlung eigener, dem Verf. vermöge seiner Stellung als dirigirendem Arzte einer größern Irrenheilanstalt sich darbietenden Beobachtungen. Sie nimmt schon als bloße Sammlung mehrer zum Theil sehr ausgezeichneter Fälle insbesondere das Interesse des Arztes und Psychologen in Anspruch, bietet aber noch eine andere Seite dar, die sie für jeden gebildeten, die Entwickelung des geistigen Lebens beachtenden Menschen wichtig macht, wir meinen nämlich ihre Beziehung zum religiösen Bewußtsein überhaupt und namentlich zu den religiösen Wirren unserer Zeit. Daß in einer solchen Zeit, wo sich religiöse Parteien feindlich gegenüberstehen, wo sich im Kampfe entgegengesetzter Meinungen Leidenschaften entzünden, und manches sonst ruhige Gemüth im Glaubenseifer das rechte Maß überschreitet, die Erinnerung an Das was der Mensch aus solcher Stufe fanatischer Erregung werden kann nicht überflüssig sei und die ernstlichste Beachtung verdiene, ist wol keinem Zweifel unterworfen. Es thut noth daran zu mahnen, daß schon der Zustand in welchem sich das religiöse Bewußtsein bis zur Leidenschaft steigert, und in solchem Grade übermächtig wird, daß es alle übrigen Neigungen und Lebensinteressen überwächst, gleich allen übrigen leidenschaftlichen Zuständen, an der Grenze steht welche den gesunden Seelenzustand von dem kranken scheidet, daß es aber nur noch weniger günstiger Momente bedarf, um in einen Zustand des wirklichen Wahnsinns überzuschlagen, ein Zustand der jedes menschliche Gemüth mit Grauen erfüllt.

 

Es erscheint befremdend, daß der höchste Beruf des Menschen, sein Streben nach Erkenntniß eines höchsten Wesens, und nach einer aus dieser Erkenntniß hervorgehenden und göttlichen Gesetzen sich anschließenden sittlichen Vervollkommnung, sich in einem Grade verwirren kann, daß daraus jene Vergiftung und Ertödtung des geistigen Lebens entsteht, wie sie uns so gespensterhaft in dem religiösen Wahnsinn vor Augen tritt. Betrachten wir unbefangen das ganze Leben Dessen dem wir die klarste Vorstellung jenes höchsten Wesens und die verständigste, fruchtbringendste Anwendung auf menschliches Thun und Lassen verdanken, betrachten wir seine einfache, reine Lehre, so liegt darin auch kein Funke zu leidenschaftlicher Aufregung, keine Spur die zu Extremen führen könnte wie der religiöse Wahnsinn eines ist. Vielmehr machen Friede des Menschen mit sich selbst und seinen Mitmenschen, Liebe, Duldung, Harmonie geistiger und physischer Kräfte die Grundsäulen dieser Lehre aus. Woher also die Entzweiung gerade über diese Lehre? Woher der immer wieder sich erneuernde, zu Entzündung der heftigsten Leidenschaften, zu Haß und Zwietracht führende Meinungskampf? Es ist eben nicht die Sache um welche sie streiten, denn diese ist über jeden Streit erhaben, sondern das Wort, und eben daß sie um dieses streiten, liefert den deutlichsten Beweis, daß sie die Sache nicht haben. Hätten sie diese, sie müßten längst eingesehen haben, daß aller Streit über Aeußerlichkeiten der Gottesverehrung und über die Verschiedenartigkeit der Begriffe die sich Jeder über die Mysterien der Religion bildet null und nichtig ist; daß der Glaube an ein höchstes Wesen und die Befolgung seiner Gebote, wie sie nicht nur in den heiligen Büchern, sondern in jedes Herz unauslöschlich eingeschrieben sind, die Uebereinstimmung des religiösen Bewußtseins mit Leben und Wandel und das Streben nach immer höherer sittlicher Vervollkommnung die wahre und einzige Religion sei, möge Der welcher sich zu ihr bekennt Christ oder Jude oder Heide heißen.

 

Indessen bis man einmal dahin gekommen sein wird diese wahre Religion von dem todten Buchstaben zu trennen, den Menschen nach der Sittlichkeit seiner Handlungen und nicht nach der äußerlichen Form seiner Gottesverehrung zu taxiren, und Liebe und Duldung unter den Menschen aller Religionsparteien heimisch werden, können noch Jahrhunderte vergehen. Der Streit um Worte, um das Unwesentliche an der Sache wird nie ruhen, so lange es Menschen mit Leidenschaften gibt.

 

Aber der Kampf selbst den die Menschen um die

 

 

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wahre Gottesverehrung führen ist ein nothwendiger, ein in ihrer geistigen Natur und in dem Bestreben nach freier Entwickelung des religiösen Bewußtseins tief begründeter. Denn streiten sie auch um Worte, um äußere Formen, so thun sie es doch in der Ueberzeugung um die Sache zu streiten, und glauben diese zu verlieren, wenn sie jene gefährdet wähnen. Der Verf. bemerkt sehr richtig:

 

In diesem Sinne erlangen daher auch die religiösen Leidenschaften eine edlere Bedeutung, da nur in dem Zusammenstoß der schroffsten Gegensätze die Gemüthskräfte zu ihrer höchsten Energie sich steigern, und somit ein wirklich schöpferisches Vermögen gewinnen können, um eine neue Ordnung der Dinge hervorzurufen und zu begründen, während die laue, ja indifferente Gesinnung, welche nur mit den Gegensätzen ein loses Spiel treibt, dasselbe bald überdrüssig wird, da aus ihm nichts Bleibendes hervorgehen kann. Je mehr also die Geister aufeinander platzen, je heißer der Kampf zwischen den Parteien entbrennt, um so mehr legen sie das Zeugniß ihres heiligen Ernstes ab, und wenn es ihnen auch nicht immer beschieden ist die Früchte davon zu ernten, so hatten sie doch wenigstens auf dem nothwendigen Entwickelungsgange der Menschheit eine höhere Stufe erreicht, welche den Weg zu weitern Fortschritten bezeichnet.

 

Ja, daß der Weg durch Streit und Kampf auch derjenige sei der zur Wahrheit führt, Dies lehren nicht nur alle geschichtlichen Urkunden über die kirchlichen Angelegenheiten aller Zeiten, es lehrt es auch die Geschichte aller Wissenschaften, und selbst die friedliche Astronomie ist nicht ohne heftige Anfechtung geblieben, und hat sich erst durch schwere Kämpfe zum Lichte durcharbeiten müssen, wie uns Galilei’s trauriges Schicksal beweist.

 

So beklagenswerth es nun ist, das da, wo es sich um die höchsten Angelegenheiten des Menschen handelt, da, wo die Liebe nur der Maßstab sein sollte an welchem man gegenseitig die Vorzüge seines Glaubens und seines religiösen Standpunkts zu messen berufen wäre, die Wahrheit sich erst durch vielfältigen Kampf Bahn brechen muß, ebenso gewiß ist es, daß alle Bemühungen einen solchen Kampf willkürlich hemmen, alle Versuche den Menschen durch weltliche Macht zu Dem zwingen zu wollen was er glauben und nicht glauben soll fruchtlos sind, ja, nur Oel ins Feuer gießen, das glimmende Feuer der Leidenschaften erst zur hellen Flamme anblasen. Der Mensch, wie er gegenwärtig ist, hält wie an seinem Glauben, so auch an den Formen fest die er am geeignetsten für seine Gottesverehrung betrachtet; beide verbunden sind sein inneres unantastbares Eigenthum, und eher läßt er sich jede andern Eingriffe in seine persönliche Freiheit gefallen als einen solchen in seine religiöse Ueberzeugung.

 

So lange daher die Glaubensartikel irgend einer religiösen Partei im Staate nicht einer geläuterten Moral widersprechen, kann man sie immer gewähren lassen, und jeder die Berechtigung gestatten ihrem Gott auf ihre Weise zu dienen oder, wie Friedrich der Große sagte, Jeden auf seine Manier selig werden lassen. Daß dabei der Staat Nichts verliert, und das öffentliche Wohl dadurch nicht gefährdet wird, sehen wir an dem Beispiel Amerikas, wo jede religiöse Sekte, selbst die allerwidersinnigste, gleiche Duldung genießt, und bei allen Streitigkeiten unter den einzelnen derselben die Entwickelung des jungen Staats ruhig ihren gemessenen Gang fortgeht.

 

Was im Gegentheil die Einmischung der Staatsbehörden in die religiösen Streitigkeiten, die Hemmung der freien Entwickelung des religiösen Bewußtseins und das starre Festhalten an herkömmlichen, zum Theil veralteten religiösen Satzungen zu bewirken vermögen, Das lehrt die Geschichte aller Religionskriege, Das lehrt auch die Geschichte der religiösen Wirren unserer Tage. Was aber jetzt noch als unenthüllte Knospe im Volke liegt, es wird sich zur Blüte entfalten; Diejenigen die bisher noch sich für keine religiöse Partei entschieden hatten, sie werden Partei nehmen; Diejenigen welche bis jetzt sich in ihrem Glauben nicht gefährdet glaubten, sie werden nun, da ihnen die Regierungen hemmend entgegentreten, sich zum Kampfe rüsten; Diejenigen denen die Glaubensangelegenheiten nur Nebensache waren, sie werden sich mit in die Reihen der Kämpfenden stellen, und aus den lauen Gottesverehrern werden Fanatiker werden. Mit Einem Worte, die Einmischung und der Zwang von oben ist das rechte Mittel den vorhandenen Zündstoff zur Flamme anzublasen, und da wo die Glaubensverschiedenheiten noch keine Leidenschaften und fanatischen Auswüchse erzeugt haben sie hervorzurufen. Je härter dabei der Druck und die Beschränkung von Seite der Staatsgewalt, desto stärker die Reaction, desto fester das Zusammenhalten der einzelnen Glieder der unterdrückten Partei, desto günstiger zur Erweckung des Fanatismus mittels geheimer Zusammenkünfte und Conventikel.

 

Dergleichen Hemmungen der freien Entwickelung des religiösen Bewußtseins sind nun auch die Keimstätte jenes traurigen Auswuchses wie er als religiöser Wahnsinn in die Erscheinung tritt, jenes Auswuchses der menschlichen Seele von dem man oft nicht weiß gehört er noch innerhalb die Grenzen der gesunden Vernunft oder in die des Wahnsinns, ist er ein bloßes Erzeugniß der übermächtigen Leidenschaft oder des Irrseins. Denn was waren jene Anachoreten, jene Geißler, was sind jene Verblendeten die auch noch in unsern Zeiten Weib und Kinder zur Ehre Gottes hinschlachten? Sind es nur Verirrte, vom religiösen Wahn Verblendete oder wirklich Wahnsinnige?

 

Doch Dem sei wie ihm wolle, so viel steht fest, daß Beschränkungen der Religions- und Gewissensfreiheit nebst andern nachtheiligen Resultaten auch den Wahnsinn in ihrem Gefolge haben, ja die Geschichte aller Zeiten, insbesondere aber die der ersten Christen, die unter dem härtesten Druck der religiösen Verfolgung seufzten, lehrt es, daß, je mehr die Religionsfreiheit beschränkt wird, desto leichter artet der religiöse Fanatismus in wirklichen Wahnsinn aus. Der Grund dieser Erscheinung liegt aber so nahe, daß es kaum nöthig scheint darauf näher einzugehen. Der Druck erzeugt Widerstand, engeres Aneinanderschließen Gleichgesinnter, Erhitzung und leidenschaftliche Aufwallung, ausschließliches Hingeben

 

 

 

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an die zur Herzensangelegenheit gewordene Sache oder stilles Verarbeiten und Brüten über dieselbe, Intoleranz, Haß und Verfolgung Andersgesinnter, ja oft der nächsten Verwandten und Freunde, Vernachlässigung aller andern Lebensinteressen, Müßiggang, Verarmung u. s. w., Alles Momente welche allmälig zur Heranbildung eines psychischen Krankheitsprocesses ein nicht geringes Gewicht in die Wagschale legen. Indessen wollen wir hierbei nicht in Abrede stellen, daß es auch noch andere Wege gibt auf denen sich der religiöse Wahnsinn entwickeln kann, wie denn namentlich ein angeborener Hang zu theosophischen Grübeleien, eine fehlerhafte, diesen Hang besonders begünstigende Erziehung, ein sich in sinnlichen Genüssen erschöpfendes, keine Befriedigung mehr findendes Leben, ein durch zelotische Religionslehrer aufgeregtes und erhitztes Gemüth u. s. w. hier vorzugsweise genannt zu werden verdienen. Aber alle diese verschiedenen Einwirkungen gewinnen dann erst einen kräftigen Impuls, wenn die Beschränkung der Religionsfreiheit überhaupt den religiösen Interessen eine allgemeinere Theilnahme zuwendet.

 

Indessen kehren wir nach dieser uns in der jetzigen Zeit wol des Nachdenkens würdigen Abschweifung wieder zu unserm Buche zurück. Der Verf. hat demselben einige leitende Ideen vorangeschickt, die nicht weniger einer allgemeinern Beachtung werth sind, und deren wir daher noch in einigen Worten gedenken müssen.

 

Das religiöse Bewußtsein, in welchem die übersinnliche Welt zur deutlichen Vorstellung gelangen soll, muß als der aus dem innersten Wesen entspringende Urtrieb, als die Grundbedingung seines Denkens und Wollens, als das Gesetz angesehen werden durch dessen Erfüllung allein seine Gesammtthätigkeit das Ziel ihrer Bestimmung erreichen kann. Es ist die Quelle aller Pflichtbegriffe, nämlich der nothwendigen Vorschriften, durch deren treue Befolgung er allein des durch die Religion ihm feierlich verheißenen höchsten Gutes theilhaftig werden und sonach mit den Foderungen seiner geistigen Natur in Uebereinstimmung treten kann. Indeß gelangt der Mensch wegen beschränkten Einrichtung seines Denkvermögens im religiösen Bewußtsein nicht zu einer unmittelbaren Anschauung des Unendlichen und nicht zu einer deutlichen Erkenntniß desselben, welche er mit Hülfe streng wissenschaftlicher Beweise Andern aufdringen könnte; sondern jenes Bewußtsein gestaltet sich in jedem Einzelnen ganz nach der geistigen Eigenthümlichkeit desselben, daher denn die individuellen Verschiedenheiten in den mannichfaltigen Denkweisen mit denen die Menschen das Göttliche auffassen, daher die vielfältigen Verunstaltungen des religiösen Bewußtseins, der Verirrungen u. s. w., zu denen auch der religiöse Wahnsinn gehört.

 

Den Aerzten in den Irrenanstalten liegt es vorzugsweise ob die Erscheinungen dieses Wahnsinns einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen, um Rechenschaft von seinen Ursachen und Entwickelungsgesetzen zu geben, und dadurch den Beweis zu führen, daß seine gründliche Kenntniß tief in die heiligsten Angelegenheiten der Völker eingreift.

 

Nicht ganz klar ist uns geworden, welchen Begriff der Verf. mit dem Wesen des Wahnsinns überhaupt verbindet. Er behauptet, daß auch in ihm das innere und ursprüngliche Gesetz der Seele noch in seiner ganzen wesentlichen Bedeutung walte, daß. nach demselben ihre schöpferische Kraft rastlos thätig sei, und daß sie nur, von einigen nothwendigen Bedingungen ihres Wirkens abweiche, und deshalb mit sich selbst in Widerspruch gerathe, dessen Erscheinung, weit entfernt einen auf Selbstzerstörung hinarbeitenden Geist zu verrathen, vielmehr sein stetiges Streben nach unredlicher Entwickelung des Bewußtseins, wenn auch unter mannichfacher Hemmung und Verkümmerung, zu erkennen gebe. Einmal begreifen wir nicht wie sich das Bewußtsein, wie wir uns eine solche Entwickelung desselben nach einem gesunden Typus und nach vernünftigen Gesetzen des Denkens vorstellen, unter einer solchen Hemmung entwickeln soll; zweitens scheint uns in Dem was der Verf. hier sagt ein Widerspruch zu liegen mit dem Vorhergehenden. Er bestreitet nämlich dort die Meinung mancher Aerzte, nach denen der Geist bei den Verirrungen und Zerrüttungen des Bewußtseins im Wahnsinn unmittelbar gar nicht betheiligt, sondern dieselben nur Wirkungen körperlicher Leiden sein sollen, welche in Nervenfiebern, Entzündungen, Krämpfen u. dgl. oft genug das Irrereden als die dem Wahnsinn zunächst verwandte Erscheinung hervorrufen, und nach ihrem Ablauf das geregelte Wirken der Seele ohne den geringsten Abbruch wieder hervortreten lassen. Hier drängt sich nun die Frage auf: Wenn es Hemmungen des freien Bewußtseins gibt, wie sie ja der Verf. selbst einräumt, sollen sie nicht auch vom Körper ausgehen können? Oder stellt der Verf. jede körperliche Mitwirkung zur Erzeugung des Wahnsinns in Abrede? Dann mußte er sie auch für alle und jede geistige Function urgiren, was ihm schwer zu erweisen sein würde. Selbst bei der Entstehung des religiösen Wahnsinns möchten wir eine in der körperlichen Organisation liegende Disposition zu dieser Form von psychischer Krankheit nicht ableugnen. Es gibt religiöse Schwärmer, Fanatiker, denen der Hang zu dieser Art von Exaltation schon auf der Stirne geschrieben steht, und wenn wir auch nicht mit den Kranioskopen ein eigenes Organ der Theosophie für sie vindiciren möchten, so liegt doch in der Behauptung etwas Wahres, daß sie sich namentlich häufig durch eine eigene Schädelbildung auszeichnen, die dann auch auf Physiognomie, Haltung u. s. w. zurückwirkt. Wir sind dabei nicht gemeint allen und jeden Antheil des Geistes an der Erkrankung beim Wahnsinn auszuschließen, wie so viele Psychologen thun, nur dem Körper wollten wir gleichfalls seinen Antheil daran nicht verkümmern lassen, wie wir denn überhaupt an irgend eine Scheidung des Geistigen und Körperlichen nicht glauben können.

 

Den religiösen Wahnsinn stellt der Verf. als die Wirkung einer so grenzenlosen Sehnsucht nach dem Göttlichen dar,

 

 

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daß dieselbe jede andere Neigung sich unterordnet oder geradezu unterdrückt. Derselbe verkündet mit furchtbarem Ernste die strenge Wahrheit, daß der Mensch auch in seinem heiligsten Interesse Maß halten soll, daß er ungeachtet der Ueberschwenglichkeit seines Wesens an einen allmälig fortschreitenden Entwickelungsgang gebunden ist, den er nicht im eigenmächtigen Ungestüm überspringen darf, und daß er sich daher das gemessene Walten der Natur zum Muster nehmen muß, welche ihre Welten erzeugende Schöpferkraft nie aus den Schranken des Gesetzes heraustreten läßt, und gerade ihre Vollkommenheit in der unbedingtesten Uebereinstimmung mit sich selbst offenbart.

 

(Der Beschluß folgt.)

 

 

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Blätter für literarische Unterhaltung.

Sonnabend, —— Nr. 316. —— 11. November 1848.

 

 

Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Von Karl Wilhelm Ideler.

 

(Beschluß aus Nr. 315.)

 

Was wir oben über die Beschränkung der Religionsfreiheit durch den Staat vorausschickten, findet seine vollkommene Bestätigung in den schönen Worten des Verf.:

 

Jede Epoche allgemein verbreiteter religiöser Aufregung muß als eine höhere Entwickelungsstufe des Volksthums angesehen werden, welches in seiner durchfortschreitende Civilisation erweiterten Lebensanschauung zu dem Bewußtsein der Nothwendigkeit ihrer tiefern Begründung durch eine geläuterte und veredelte religiöse Denkweise zu gelangen strebt. Denn es gibt keinen verderblichern Widerspruch in der innersten Grundlage des Volkslebens, als wenn letzteres in allen übrigen Angelegenheiten eine größere Ausbildung gewonnen hat, aber mit seinen Glaubensformen auf der Stufe früherer Jahrhunderte stehen geblieben ist, zu deren Zeit dieselben im völligsten Einklange mit einer auf die rohen Anfänge beschränkten Cultur standen, deren geringe Bedürfnisse in schlichtern socialen Verhältnissen auch in einem wenig entwickelten religiösen Bewußtsein volle Befriedigung finden konnten. Soll die Religion zur Wahrheit werden, so setzt Dies nothwendig voraus, daß sie als höchstes Lebensprincip alle menschlichen Angelegenheiten innig durchdringe, daß sie in der Wissenschaft, der Kunst und den praktischen Verhältnissen, als den nothwendigen Elementen menschlichen Strebens und Wirkens, die Widersprüche mit dem göttlichen Gesetz im unvermeidlichen Kampfe zuletzt überwinde. Eine Religion welche, in beharrlich festgehaltenen Formeln abgeschlossen, nicht in sich mehr jenes schöpferische Vermögen findet mit weldem sie sich, unbeschadet ihrer göttlichen Wahrheit, zu immer freiern Begriffen gestalten, und in ungehinderter Entwickelung derselben das rastlose Fortschreiten aller menschlichen Bestrebungen einholen, ja überflügeln kann, eine solche Religion muß eine Kirche außerhalb der wirklichen Welt stiften, und ihren mächtigen Einfluß auf die höchste Veredelung des Lebens um so gewisser einbüßen, je mehr letzteres durch, den riesenhaften Wetteifer zahlloser Interessen ein Kampfplatz titanischer Kräfte geworden ist. Wenn nun ein Volk darüber zur Erkenntniß gelangt ist, daß es die versäumte Entwickelung seines religiösen Bewußtseins nachholen müsse, um dasselbe in wahrhafte Uebereinstimmung mit seinen mächtigen Fortschritten in allen übrigen Culturzweigen zu bringen: so beurkundet es dadurch ebenso gewiß seine völlige Reife für eine veredelte und vervollkommnete Freiheit seines Gesammtlebens, seine Erhebung zu einer höhern Stufe der welthistorischen Bedeutung, als es durch das Gegentheil unfehlbar in die geistlose Roheit grob materieller Interessen versinkt, und unter ihrer despotischen Alleinherrschaft immer größern Abbruch an seinen geistig sittlichen Gütern erleidet, bis es des wahren Lebensprincips völlig beraubt in sich zu Grunde gehen muß.

 

Der Verf. zeigt ferner, daß, gleichwie das Sonnenlicht ein absolut nothwendiges Lebenselement aller organischen Geschöpfe sei, welche dem heilsamen Einflusse desselben entzogen zu Misgestalten entarten, ebenso müsse auch das Licht der Vernunft als die unerlaßliche Bedingung der geistigen Entwickelung angesehen werden, welche derselben beraubt nur noch Monstrositäten des Charakters erzeugen könne. In einem thatkräftigen, gesinnungstüchtigen Volke werde der religiöse Obscurantismus seine verderblichen Wirkungen nur in einem beschränkten Maße hervorbringen können; bemächtige sich derselbe aber schwacher Gemüther, denen jede Fähigkeit der freien Selbstbestimmung mangele, mit welcher sie sich einer ihnen gegebenen verderblichen Richtung eigenmächtig entreißen könnten, dann bringe es jene gänzliche Verdumpfung des religiösen Bewußtseins hervor, welche ebenso leicht einerseits in zerstörende Leidenschaften umschlagen als andererseits einen völligen Geistestod zur Folge haben könne.

 

Dem Verf. ist es nun zunächst darum zu thun nachzuweisen, inwiefern es das Geschäft der psychischen Aerzte ist die eigentlichen Bedingungen zu erforschen unter denen jene beklagenswerthen Verirrungen zu Tage kommen, und so an ihrem Theile eine psychologische Entwickelungsgeschichte derselben vorzubereiten. Dazu aber ist das Studium von Thatsachen erfoderlich. Da der religiöse Wahnsinn im kolossalen Maßstabe alle Misverhältnisse eines im falschen Glaubenseifer irregeleiteten Gemüths und alle daraus entspringenden verderblichen und zerrüttenden Folgen zur Anschauung bringt, so ist seine gründliche Kenntniß gleichsam das Mikroskop mit welchem der psychologische Forscher sich das zarte und innig verflochtene Grundgewebe der frommen Leidenschaften deutlich machen kann; sie hält uns einen riesenhaften Spiegel vor Augen in welchem das lebendigste und naturwahrste Bild alles unsaglichen Elends erscheint welches die Menschen im blinden Glaubenseifer über sich gebracht haben. Ja, der Verf. spricht sogar den Wunsch aus, man möge zelotische Eiferer nöthigen in Irrenhäusern die täglichen Augenzeugen all des unaussprechlichen Jammers und Wehes zu sein welches sie

 

 

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durch mystische Verdumpfung des Geistes in den von ihnen Bethörten hervorgebracht haben, um dann, wenn irgend noch menschliches Gefühl in ihnen sich regte, reuig an ihre Brust zu schlagen und von ihrer pharisäischen Selbstverblendung zurückzukommen.

 

Seit Jahren schon mit Vorliebe dem Studium des religiösen Wahnsinns ergeben, dessen hochwichtige Bedeutung ihm immer lebendiger entgegentrat, ging der Verf. lange mit sich darüber zu Rathe, in welcher Form er am schicklichsten die Ergebnisse desselben veröffentlichen könnte. Die zweckmäßigste Weise schien ihm nun die zu sein, zuvörderst eine Reihe von eigenen Beobachtungen mitzutheilen, weil die Psychologie als Erfahrungswissenschaft vor Allem den wesentlichen Thatbestand ermitteln und aus ihm auf inductivem Wege die wissenschaftlichen Begriffe entwickeln muß. Jener Thatbestand wird aber, so weit er den religiösen Wahnsinn betrifft, in der Kirchen- und Weltgeschichte nur bruchstückweise gegeben. Um ihn ganz kennen zu lernen, muß man sich völlig in ihn hineinleben, indem man sich so viel als möglich in das verdüsterte und zerrissene Bewußtsein seiner Opfer versetzt, um durch fortgesetzte Betrachtung seiner Misverhältnisse in ihnen die innere Nothwendigkeit seiner Entstehung zu erspähen. Erst nachdem sich das geistige Auge lange an die in der irren Seele herrschende Finsterniß gewöhnt hat, erblickt es in ihr das geheimnißvolle Walten ihrer unverbrüchlichen Gesetze, welche auch noch den chaotischen Träumen des Wahns eine tiefverhüllte Gestalt verleihen, und sie dadurch zum Gegenstande der Wissenschaft machen. Ist auf diese Weise der Schlüssel zur Deutung des Wahnsinns gefunden, dann werden auch die verstümmelten Thatsachen verständlich welche in den historischen Urkunden enthalten sind, und man darf alsdann hoffen aus ihnen eine vollständige Theorie zu entwickeln.

 

So hat denn der Verf. noch ein großes und schwer zu bewältigendes Stück Arbeit vor sich. Inzwischen dürfen wir, so weit uns wenigstens der Gehalt der kleinen Einleitung zu seinem Buche dazu berechtigt, die Hoffnung nähren, daß ihm dazu die Kräfte nicht mangeln, und daß er seine Aufgabe auf eine Weise lösen werde die ihm nicht allein die Wissenschaft zum Dank verpflichten, sondern auch das Interesse des denkenden und für Volkswohl nicht unempfindlichen Menschen befriedigen wird.

 

Was die Auswahl der einzelnen hier mitgetheilten Fälle betrifft, so kam es dem Verf. vorzüglich auf ihre Mannichfaltigkeit an, um die proteusartigen Formen zu schildern unter denen der religiöse Wahnsinn erscheint. Daher hat er auch mehre Beispiele aufgenommen, wo derselbe keineswegs aus einer im früheren Leben vorherrschenden mystischen Frömmigkeit sich entwickelte, sondern gerade im Widerspruch mit einer frivolen Gesinnung und zügellosen Ausschweifung entstand, ohne daß er deshalb seine wesentliche Bedeutung verleugnete. In eine nähere Betrachtung der einzelnen Fälle hier einzugehen liegt natürlich außerhalb der Grenzen d. Bl., obschon sowol das Gesammtbild welches sie in der Seele des Lesers zurücklassen, als das Charakteristische wodurch sich jeder einzelne Fall auszeichnet Stoff zu mannichfaltigen Bemerkungen darbieten würden. So, um nur eines Umstandes zu erwähnen, ist es uns aufgefallen, wie so oft gerade in der Seele des Armen, unter dem Drucke äußerer Verhältnisse Lebenden und mit mannichfacher Noth und Misgeschick Kämpfenden sich die Anhänglichkeit an das Ueberirdische auf eine merkwürdige Weise erhält und befestigt, und die religiösen Vorstellungen in dem reichsten Farbenschmuck der Phantasie hervortreten läßt, als suchte er darin Ersatz für den Druck der äußern Verhältnisse, als trachte das innere geistige Auge nach einem Gegensatze in den Träumen einer überirdischen Herrlichkeit, wie ihn das äußere Auge in den complementairen Farben hervorruft.

 

K. Hohnbaum.

 

 

 

Quelle:

 

Blätter für literarische Unterhaltung. Erscheinungsort Leipzig. Digitalisat SLUB Dresden. URN: urn:nbn:de:bsz:14-db-id390927252. Sammlungen Saxonica.

Vom 10. November 1848. S. 1257-1260.

Vom 11. November 1848. S. 1261-1262.

 

 

 

 

 

 

Meiboms Bericht von 1616 über die Comthurey zur Süpplingenburg

Warhafftiger und gründlicher bericht vom anfang und stifftung der Comthurey zur Süpplingenburg / S. Iohannis Ordens / aus warhafftigen Historien und brieflichen urkunden zusammen gebracht /
durch
HENRICVM MEIBOMIVM, Prof. Helmstad. A. 1616.


Süpplingburg ist anfänglich gewesen ein gräflich Schloß und Sitz der alten Säschsischen Grafen zu Süpplingburg. Als aber daßelbige geschlecht zeitlich abgegangen / ist gemeldete Grafschafft gekommen an die Edlen Grafen von Haldersleben. Von alters her hat zu der Grafschafft Süpplingburg auch gehöret das Amt Lutter / neben seinen Dörfern und sonsten andern gütern / umher belegen. Das Süpplingburgische gräfliche Wapen ist gewesen ein schwarz Hirschgeweihe in weißem Felde.

 

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Das Süpplingburgische gräfliche Wappen



Der Halderslebische stamm hat sich getheilet in zwo linien / deren eine zu Haldersleben / die andere zu Lutter ihre Residenz gehabt. Die linie / so zu Haldersleben gewohnet / hat noch floriret bey Zeiten Hencici des Löwen / Hertzogen zu Sachsen und Bayern: und werden in der Stederburgischen



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52 H. MEIBOMII

Chronick angezogen Dietrich und Heinrich, gebrüdere / Grafen zu Haldersleben / welche
dem Kloster Stederburg etliche güter vorenthalten: welche güter durch hochermeldeten Herzogen Heinrichs / als des Klosters Stederburg weltlichen Vogts / unterhandlung / auf den todesfall grafen Dietrichs / so keine männliche erben gehabt / mit bewilligung seines brudern Graf Heinrichs / dem Kloster gerichtlich verschrieben worden. Von der andern linie / so zu Lutterhof gehalten / find ich nur Graf Bernharden /welcher einenSohn verlassen / so auch Bernhard geheißen / und der lezte seiner linie gewesen. Dieser / als ein gottseliger Herr / hat aus christlicher andacht zu beforderung seiner Voreltern und Freundschafft / wie auch seiner eigenen seelen seligkeit / vor dem gehölz / der Elm genannt / am wäßerlein / mit namen die Lutter / ein Kloster geistlicher Jungfrauen S. Benedicti Ordens erbauet / und daßelbige mit nothdürfftigen gütern / und jährlichen einkommen nach Vermögen begabet. Wann aber / und in welchem jahre dis geschehen / ist nicht aufgezeichnet: sonst ist die alte Kirche nebst einem Thurm daselbst noch vorhanden. Demnach aber gemeldete Klosterpersonen sich in leichtfertigkeit und ärgerliches wesen begeben / ihre ordensreguln wenig geachtet / und deswegen verhaßet waren / sind sie etliche jahre hernach aus ihrem Kloster von Kayser Luter oder Lothario als Landesfürsten vertrieben / und genTrübke am Harz ins Kloster verwiesen worden.




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53 Bericht.

Nach tödlichem abgang wolgemeldten Grafen Bernharden des jüngern / ist die grafschafft Süpplingburg gekommen an Herrn Conrad / Marckgrafen zu Brandenburg und Soltwedel / Grafen zu Plozke. Derselbige hat seiner tochter Fräulein Gertrud / nachdem sie Herrn Friedrich von Barnbach / Burggrafen zu Nürnberg / vermählet worden / sie zu einem heyrahtgut und brautschatz mitgegeben. Dieses Edlen Herrn Friedrich von Barnbach (welcher aus einem adelichen geschlechte im land zu Bayern entsproßen gewesen) einige tochter / Fräulein Hedwig / hat gefreyet Herrn Gebharden / dieses namens dem andern / Edlen Herrn zu Quernfurt: und ist derselbe durch diese Heyrath ein erbherr der Grafschafft zu Süpplingburg worden / wiewohl nicht ohne einrede und anfechtung anderer Sächsischen Herren / so auch an dieser Grafschafft zuspruch und gerechtigkeit haben wolten. Es ist aber endlich wolgedachten Herrn Gebharden ältestem Sohne / Herrn Luter / oder Lothario, so hernach Herzog zu Sachsen / und endlich Römischer Kaiser worden / von der damahls regierenden Kaiserlichen Majestät / Heinrich dem fünfften / durch ein rechtmäßiges Urtheil / die herrschafft zu erkannt worden: wobey es dann / wie billig / verblieben. Höchstgedachter Kayser Lotharius , gebohrner Edler Herr zu Quernfurt / Herzog zu Sachsen und Graf zu Süpplingburg / nachdem Er im heiligen Römischen Reich einen beständigen frieden gemacht / die benachbahrte Könige / als den

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in Pohlen und Dennemarck / wie auch den Herzog in Böhmen / neben andern Wendischen Fürsten / zum schuldigen gehorsam gebracht / hat endlich / sich resolvirt / die ungezähmten und leichtfertigen Nonnen aus dem Kloster Lutter zu verweisen / und dem Orden S. Benedicti die Klostergüter zu untergeben. Der erste Abt des ortes ist gewesen Herr Eberhard / der zuvor im Kloster Bergen vor Magdeburg aufrichtig und gottselig gelebet / auch die Regul seines Ordens fleißig und steiff gehalten. Diesen hat Kayser Lotharius neben 10 München von dannen gefordert / ins Kloster Lutter sie eingeführt / ihnen das Kloster mit allem fleiß anbefohlen / zugleich mit neuen ansehnlichen gütern und einkommen aufs stattlichste begifftiget und begabet. Dis ist geschehen im jahr unsers lieben Herrn Christi 1135. zwey jahr vor Ihro K. M. tode. Das Kloster Lutter ist / von wegen dieser veränderungen und neuen fundation, Königs-Lutter genennet worden: hat auch an gütern und Klosterpersonen dergestalt zugenommen / daß Abt Eberhard / noch bey seinem leben / 80. Chorherren beyeinander gehabt.


Fünff jahr zuvor / anno 1130, da ein grosser Reichstag zu Braunschweig gehalten worden / hat höchstgemeldter Kayser Lotharius, zu beforderung christlicher religion, aus gottseligem eifer sein liebes Erbschloß Süpplingburg in ein Gotteshauß verwandelt / und den Herrn der Orden vom



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55 Bericht.

heiligen Tempel zu Jerusalem / so dahero Tempel-Herren genennet worden / mit etlichen zugehörigen gütern an Dorfschafften / Holzungen / Mühlen / Wiesen / Weyden / Aecker / Zinsen / als der Landesfürst / gnädig eingeraumet und zugeeignet. Durch diese gelegenheit hat der neue Tempel-Orden in diesem Fürstenthum / an einem sehr luftigen / wohnsamen und wohlgelegenen orte / einen bequemen siz einbekommen: dazumahl waren I. K. M. im 55. jahre ihres alters. Den anfang des Tempel-Orden setzen die Historici ins jahr Christi 1110; wiewohl etliche 10 / etliche 20 jahr hernach den anfang machen wollen. Die Stifter werden genennet Hugo de Paganis und Godofredus de S. Aldemaro, beyde ritterlichen standes. Ihren namen haben die Ordens-Herrn bekommen von dem Tempel zu Jerusalem / welcher auf die stette / da der HErr Christus gekreuziget ist / über viel jahr hernach erbauet worden. Bey selbigem Tempel haben sie ihre wohnung gehabt / und liessen sich dazu gebrauchen / daß sie die pilgrame / so von fremden theils weit abgelegenen orten gen Jerusalem wallfahrteten / oder auf andere weise zu schiffe ankamen / aufnahmen / hin und wieder führeten / begleiteten / auch die stadt Jerusalem gegen die Saracenen / als feinde christlicher religion , ritter- und männlich schützeten und bewahreten. Sie bekannten sich zu der Regul der regulirten Chorherren S. Augustini, und hatten, neben dem Commendatore oder Comter ihre
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56 H. MEIBOMII

Praepositos, Cellarios, und Priester / so den Gottesdienst verrichteten. Ums jahr 1122 soll Pabst
Honorius II. diesen Orden confirmiret / und den Rittern eine formulam, wie sie leben / und sich verhalten sollen / vorgeschrieben haben. Ihr habit war ein weisser Mantel / zur anzeigung / daß sie in ihrem ehelosen leben keusch und unbefleckt sich verhalten sollen. Pabst Eugenius III. hat ihnen das rohte Creuz zu führen anbefohlen / sie zu erinnern / daß sie täg- und stündlich in bereitschafft sizen sollen / da es noth seyn würde / für die ehre und Kirche Gottes / auch ihre mitchristen / ihr blut ritterlich zu vergiessen. In kurzer Zeit haben sie wunderlicher weise / sonderlich aber in die vornehmste Königreiche der ganzen christenheit / sich vertheilet / und sind von andächtigen frommen leuten mit übermäßigen landgütern angesehen und begabet worden. Dannenhero sie groß gehalten gewesen / und in alle Fürstl. und Gräffl. höfe / allen politischen sachen beyzuwohnen / sich eingeflochten haben. Es ist aufgezeichnet / daß sie einmahl gehabt haben 9000. residenz-häuser oder size / deren iedes einen Ritter im H. Lande / zu desselbigen beschüzung / ohne einige die geringste beschwehrung halten / und denselben mit allerley nohtdurfft gebührlich versorgen kunte. Alhie im lande zu Braunschweig haben sie folgende örter und häuser eingehabt / als Süpplingburg / Iünde / Göttingen / Braunschweig / Moringen / Bezenissen / Immundshausen / Witwater / Lutter / Rethem / Heinde / Bahren /



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57 Bericht

Weddi / Lohra und vielleicht viel andere / so mir unbewust. Dieser Orden hat ohngefehr 200. jahr floriret; aber als die Ritter oder Tempel-Herren von ihrer Vorfahren tugend / mannheit / ernst / ehrbarkeit / treu und glauben / und in summa von ihres Ordens gebrauch und verordneten statuten allzusehr abgeschlagen / haben die Potentaten der christenheit darauf bedacht seyn müssen / wie man dieser ungerahtenen müßiggänger ohne grossen aufstand und blutvergiessen los werden möchte. Pabst Clemens V. und Philippus, mit dem zunamen der Schöne / König in Franckreich / haben dieses handels einen anfang gemacht / sich dessen vereiniget / und mit wunderbahrer list ihre anschläge wider die Tempel-Herren getrieben / daß die sache (welches billig zu verwundern) in geheim gehalten worden biß auf den 22.ten tag des Merzens / an welchem die Tempel-Herren insgemein und zu- gleich auf einen bestimmten glockenschlag jämmerlicher weise hingerichtet worden. Also hat man in Franckreich mit diesem Orden haußgehalten / und ist solches geschehen im iahr Christi 1311 / da gleich der Pabst zu Clermont ein allgemein Concilium gehalten. In Teutschland / unangesehen daß sie wenig gunst mehr hatten / ist man so streng mit ihnen nicht umgesprungen; denn / nachdem sie sich über den Pabst zum höchsten beschwehret / und ihre unschuld zu beweisen sich anerbothen / sind sie /nach beschehener verhör / und gnugsamer aller sachen erkundigung / mit dem leben begnadet worden.



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Allein den alten hergebrachten namen / wie auch die Regul und gebräuche ihres Ordens haben sie gänzlich ablegen und verschweren müssen / damit also die ungerahtene zucht hinfort zu ewigen zeiten aus der menschen gedächtniß ausgetilget wäre / und bliebe. Des Ordens Güter sind in Welschland vom Pabst / in Franckreich vom König Philippo eingezogen /confisciret und zu Cammer-gütern gemacht worden; die teutsche Fürsten aber haben in ihren gebieten die erledigten güter theils den Klöstern zugewandt / und den meisten theil haben andere Ritter / zuvorderst der Orden S. Iohannis, oder Brüder des Hospitals zu Jerusalen / an sich gebracht. Dazumahl war Kayser Heinrich der VII, gebohrner Graf zu Lüzelburg. Es lässet sich ansehen / als wenn in Teutschland die abschaffung des Tempel-Ordens nicht auf eine zeit und zugleich in einem iahre geschehen sey: denn die historien melden / daß im Erz-Stifft Magdeburg dieser handel im 1318ten jahre getrieben sey: im land zu Braunschweig ist das spiel etwas später angangen. Man hat den Tempel-Herren schuld gegeben / daß sie greuliche und abscheuliche abgötterey / sünde und laster begangen und getrieben / in dem / daß sie steinerne und hölzeme bilder mit einer menschenhaut überzogen / denselben lebendige menschen zu ehren / gleich als ein opffer / verbrennet; daneben mit den feinden christlicher religion verbündniß und verstand gemacht / alles zu unterdrückung göttlicher ehre / und ganzen christenthums.


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59 Bericht.

Ferner wird auch angezogen ihre unleidliche hoffart / troziger übermuth / unflätige heydnische unzucht / und ungezähmter muhtwille.


Man hält aber davor / daß es ein gedichte sey: wie denn auch viele Scribenten disfals den Orden zum höchsten entschuldigen / was man von der abgötterey und veränderung der religion zumahl scheinlich vorgibt: denn damit hat man zweiffelsfrey bey dem gemeinen mann diese unthat beschönen wollen / daß man auf eine zeit so viel rittermäßige personen / ohne unterscheid / samt und sonders / jämmer- und erbärmlicher weise hinrichten und aufräumen lassen. Unglaublich ist es nicht / daß die vornehmste ursach dieser vertilgung gewesen sey / daß die Tempel-Herren allzugrosse macht und reichthum überkommen. Derowegen auch die hohen häupter der christenheit sich für ihnen / wegen allerley practiquen und gefährlicher anschläge / besorgen müssen / und dahero sie ferner nicht leiden können / oder wollen. Was dabei gemeldet wird von ihrer unzucht und unfläterey / kan etwas untergelauffen seyn; sintemahl bey solchem mächtigen überfluß zeitlicher güter und stetigem fraß und lediggang / da man Gottes und dessen ehre vergisset / und den bauch zum abgott machet / pflegen solche früchte nicht auszubleiben; wie dann bey andern Orden ein ebenmäßiges gespüret und gefunden worden. Wie es nun allenthalben in Teutschland mit den Tempel-Herren



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also und dergestalt zugegangen / ist auch bey der Comthurey Süpplingburg gleichfals änderung vorgefalIen. Daselbst war um diese zeit Commendator (welches wort so viel bedeutet / als einen Befehliger / dem ein Residenz-hauß des Ordens anbefohlen und eingethan ist:) Herr Otto / gebohrner Herzog zu Braunschweig und Lüneb. Herzog Abrechten des Grossen sohn / und Albrechten des Feisten leiblicher bruder. Dieser Fürst hatte zu einem Coadiutor und Successor erwehlet Herrn Herman von Wiere / adeliches geschlechts / und Meistern zu Süpplingburg / wie er sich selbst nennet in einem brieffe unterm dato 1297, in welchem er sich mit Herrn Arnoldo Priorn, und Herrn Siegfrieden Probsten S. Lüdgeri vor Helmstedt / wegen 6. hufen landes zu Rolstedt belegen / freundlich vergleichen thut. Demnach aber obgemeldter Hermann von Wiere diese welt gesegnet / ist höchstgedachter Herzog Otto albereit zu Süpplingburg beym Regiment gewesen / und haben folgendes iahres die Tempel-Herren zu Süpplingburg dem Edlen Herrn zu Warberg eine hufe landes zu Radepe oder Rebke belegen geschencket und übergeben. Hochgemeldtes Herzogen Otten gewöhnlicher titul ist gewesen: Otto Dei gratia Frater Domus militiae templi Hierosolymitani & Commendator in Supplinburg, das ist: Otto von G. gn. Bruder des Ordens vom Tempel zu Jerusalem / Comter zu Süpplingburg.



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61 Bericht

Wie diese unverhoffte und schleunige veränderung mit dem bis dahero hochgehaltenen Orden dermassen / wie erwehnet worden / sich begeben / sind die anwesende Herren zu Süpplingburg / nemlich der Herr Comter Herzog Otto zu Braunschw. Herr Luthard von Wenden / Herr Burchard von Ovesfelde / Herr Bartram von Sampleben / und Herr Borhart von Saustett / alle wohl verdiente und versuchte Ritter / auf ernstlichen befehl Herrn Albrechten / Bischoffen zu Halberstadt / als Dioecesani / unter welches Sprengel und geistlicher Iurisdiction das Gotteshauß Süpplingburg belegen / wie dann auch zugleich durch zwang des Landes-Fürsten / als executom der päpstl. Bullen / exauctoriret und entsetzet worden / haben ihren weissen Ordens-habit, den weissen Mantel mit dem rothen Creuz abgeleget / ihren namen / Regul / und was dem anhängig verschworen / des Stiffts güter und einkommen dem Landes-Fürsten / bis auf weitere anordnung / durch darreichung siegel und brieffe / und übergebung der schlüssel / unverzüglich eingeantwortet / und sind in aller traurigkeit / wie leicht zu gedencken / von dem hause abgezogen. Herzog Otto / der gewesene Comter hat sich gen Braunschweig begeben / und so viel erhalten / daß die alte Capelle im Tempelhof / auf dem Pollwege belegen / unbeschädigt geblieben: an welchem ort dieser Fürst seinen sitz gehabt / und von den dazu gehörigen und sonst S. F. G. zugeordneten renten und einkommen /



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so gut er gekont / sich beholffen. S. F. G. Ist noch im leben gewesen anno 1345. da wird derselbigen gedacht in einem brieffe Herrn Ernst und Herrn Magni, beyder Herzogen zu Braunschw. und Lüneburg / Gebrüdern / welche ihr väterlich erbe / das land zu Braunschw. damahls unter sich getheilet haben. In selbigem vertrags-brieffe wird erwehnet / daß hochgedachter Herzog Otto den Tempelhof / so lange S. F. Gnad. leben würden / behalten / aber nach Derselbigen tödlichen hintritt / an die beyde hochgemeldte I. F. G. Herren Vettern / Herzog Ernst und Herzog Magnum, und derselbigen Erben / wiederum verfallen solte. Nicht lange nach abzug der Tempel-Herren ist das hauß Süpplingburg den Ordens-Herren S. Iohannis des täuffers / welche man hernach Rhodiser / und zu unserer zeit Maltheser genennet / eingeräumet worden. Dieser Orden hatte albereit ein hauß oder hof in Braunschweig / vor der langen brücken an der Ocker belegen / welches anfänglich von andächtigen frommen leuten gestifftet / aber von Herrn Heinrich / Herzogen zu Sachsen und Pfalzgraffen bey Rhein / Heinrich des Löwen sohn / und Kayser Otten des IVten leiblichen bruder / als einem Erbherrn der Stadt Braunschweig / bestätiget worden im iahr Christi 1224. Es ist aber gemeldeter Orden S. Iohannis des täuffers oder Rhodiser Herren / unter alten Gottes-Rittern der erste und älteste; hat angefangen vorm iahr Christi 1100, bey Zeiten der Fränckischen Kayser Henrici IV.



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63 Bericht

oder V. Das iahr der Stifftung kan man nicht eigentlich wissen / dieweil die Historici der sachen nicht einig. Die Mutter Gottes Maria / neben S. Iohannes, ist ihr Patron; haben aber von S. Iohannes den namen behalten. Sie bekennen sich auch zur Regul des h. Augustini; haben in wenig iahren grosse güter an sich gebracht / absonderlich / nach dem schrecklichen untergang der Tempel-Herren. Wie sie aus Syrien / darin dieser Orden erstlich den anfang genommen / von den ungläubigen Saracenen vertrieben worden / haben sie die gewaltige und reiche Insul Rhodus eingenommen / daher man sie die Rhodiser Herren genennet. Dis ist geschehen im iahr Christi 1309 / drey iahr vor der Tempel-Herren untergang. Aus Rhodus sind sie vom erbfeinde christliches namens / dem Türcken / nach dem sie vergebens bey dem H. R. Reiche und andern Potentaten der christen um hülffe und beystand flehentlich angehalten / sich aber männlich gewehret / vertrieben worden / im iahr 1522 gerade am h. Christtage / nach dem sie ganzer 212 iahr diese berühmte herrliche Insul eingehabt hatten / auch zu vielen mahlen dieselbe wider ihre feinde ritterlich und männlich vertheidiget. Es hat ihnen aber endlich Kayser Carl der Vte anno 1529 die Insul Maltha auf gewisse masse und condition eingethan / welche sie bis anhero besessen / und im iahe 1565 gegen des großmüthigen feindes und tyrannen Solymanni, des türckischen Kaysers / grausames wüten



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und toben / erhalten und geschüzet haben. Der erst Comter zu Süpplingburg ist gewesen Herr Gebhard von Bordfeld. Seiner wird gedacht in einem brieffe anno 1328, und er hat noch gelebet im iahr 1339. Demselben ist in der Regierung nachgefolget Herr Herman von Warberg / hohes adels und herrliches ansehens / von person gerade und wohlgestalt / auch mit allen tugenden reichlich begabet. Sein vater war Herr Herman / Edler Herr von Warberg / die mutter aber eine gebohrne Gräfin von Werningeroda. Dieser tapffere held / nach dem er zum amte kommen / hat wohl hauß gehalten / des Stiffts güter und einkommen mächtig sehr erhöhet und verbessert / die Kirchengebäude erneuert / und den sitz nach seines Ordens manier und gewohnheit eingerichtet. Ist zu einem ansehnlichen alter gekommen / und als er im iahr Christi 1371 mit tode verblichen / in seines Gotteshauses Kirchen / mitten auf dem Chor / unter einem ausgehauenen gradstein / auf welchem folgendes Epitaphium zu finden / ehrlich und statlich begraben worden:

MCCC trimatus, numerusque per L situatus
Post XX duplatus subit I pariter situatus
Progenie natus Warberg moriens tumulatus
Hermannus satus, pollens sine felle reatus
Nobilis & gratus redolens



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65 Bericht.

In diesem lezten vers mangeln wenig wörter / welche der Steinmez / wegen enge des Steins unbesonnen ausgelassen. Sonst wird darinnen Herrn Hermann dem Comter ein gutes gezeugnis seines herkommens und verhaltens mitgetheilet. Dieser löbliche Herr wird angezogen / als ein Zeuge in einem brieffe Herrn Magni, Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg / in welchem S. F . G. dem Raht zu Braunschweig die Münze daselbst auf 3. iahr versezt / unterm dato 1360. Sein titul ist: Herr Hermann von Warberg / der hohe Meister des Ordens S. Iohannis. In einem andern brieffe sub dato 1367. wird er genennet Meister des Ordens S. Iohannis in Sachsen / Wendland / Pommern und Marck. Damahls war er neben seinem Vettern / Herrn Hermann / Thumprobsten des hohen Stiffts zu Magdeburg / vier junger Herren zu Warberg Vormund / welchen ihren Mündlingen diese beyde geistl. Herren von Heinrichen / Ludolphen und Baldewin / Herren Ludolphs von Wenden söhnen / vier Hufen Landen zu Redepe / und vier zu Detmerode belegen / mit 60. m. löhtigen silbers zum besten erkauffe haben. Sonst habe ich noch 2. alte brieffe gesehen / einen / so im iahr 1368 / den andern im iahr 1370. datiret / in welcher ersten er Hermann / Meister im S. Iohannis Orden genennet wird. Diesem Herrn von Warberg ist im regiment zu Süpplingburg nachgefolget Herr Albrecht / Edler Herr zu Warberg / dessen namen ich in einem brief unterm dato 1373. gefunden; kan



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66 H. MEIBOMII

aber nicht wissen / wie lange dieser Herr Comter gewesen sey / noch wer auf ihn gefolget; aber im iahr 1440. hat der Herr Curd von Rheden die Comterey zur Süpplingburg eingehabt. Bey zeiten Herrn Albrechts / Edlen Herrn zu Warberg und Comtur zu Süpplingburg / ist die Kirche zu Süpplingburg nebst 2. Capellen ganz und gar eingefallen. Damit nun die dieselbige wiederum erbauet werden möchte / hat der Bischoff zu Halberstadt Albrecht / eines ackermans Sohn von Rickmesdorff / allen frommen christen / so sich zu diesem gebäu mild und freygebig erzeigen würden / etliche iahr Ablaß verheissen. Es ist auch dis Gotteshauß in Kriegesläufften etliche mahl sehr beschädiget worden: erstlich anno 1300, als das ganze dorff Süpplingenburg von feinden jämmerlich verbrannt / und in asche geleget worden; im iahr 1432. in währenden kriege zwischen Herzog Wilhelm zu Braunschweig / ist das Städtlein Lutter neben dem Schloß angesteckt und zu grunde verbrandt / und hat man zu Süpplingburg ebener massen haußgehalten; zwanzig iahr hernach ist in der Kirche zu Süpplingburg / am tage Iacobi unter der Messe / Herr Hartwig von Utzem von einem vom Adel / des geschlechts der von Sarnpleden / erstochen worden: darüber man den Gotlesdienst daselbst geleget / und interdict gehalten / biß die sache verglichen / und die Kirche aufs neue geweihet worden. Dis und mehr nicht habe ich von diesem alten und löblichen Stifft und Gotteshause finden



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67 Bericht

können / ausserhalb der namen etlicher folgender Herren Commendatoren. Und ist hieraus zu mercken / daß die Comturey zu Süpplingburg / welche von einem Röm. Kayser / als damahligen dieser orten Erbherrn und Landesfürsten / ihren rühmlichen anfang gehabt / auch von Fürstl. Und Herren-Standes personen verwaltet worden / dabey zwar grosse und gefährliche veränderung gelitten und ausgestanden / sich aber mit Gottes des allmächtigen gnädiger hülffe wiederum erholet / und bis auf dis ietzige 1615. jahr in gutem wolstande geblieben / und also 485. iahr überbracht habe: wofür dem frommen GOtt zu dancken / sonderlich weil nunmehr in diesen leztern zeiten und ende der welt / durch des allmächtigen Vaters unaussprechliche güte und barmherzigkeit / auch beforderung des getreuen löblichen Landesfürsten / dieser alte Sitz und Comturey zu einem rechten Gotteshause / darinn Gotteswort lauter und rein geprediget / und die h. Sacramenta nach Christi ordnung administriret werden / gewidmet worden. Der liebe fromme GOtt wolle diesem orte / und seiner christlichen Kirche / so er ihm daselbst sammlet / neben der adelichen Obrigkeit / in ihrer wohlverantwortlichen haußhaltung gnädig seyn / und uns samt und sonders / nach verübeter in diesem leben christlichen Ritterschafft / in seinem ewigen Reich die unverwelckliche Crone der ehren aufsezen / um seines lieben Sohnes JEsu Christi willen / Amen.



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(68)

Verzeichnis etlicher Herren Comtern / so nach abschaffung des Tempel-Ordens / zu Süpplingburg haußgehalten.

1. Gebhard von Bordfeld / hat gelebet Anno 1328.
2. Hermann / Edler Herr zu Warberg / ist gestorben 1371.
3. Albrecht, Edler Herr zu Warberg / Anno 1373.

(Alhier wird ein / oder mehr Herren Comtern mangeln.)

4. Curd von Rheden / A. 1414. bis 1446.
5. Otrave von Bordfeld A. 1464 - 1475.
6. Mancke oder Meincke von der Schulenburg / vixit A. 1480 und 1505.
7. Friedrich von der Schulenburg / Werner des älteren Sohn / A. 1515-1520.
8. Matthies Dirick A. 1535 – 1543.



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(69)

9. Christoph von Bredau / gestorben A. 1577.

(Nach dessen Tode hat Herr Iulius H. zu B. u. L. die Comturey zu Süpplingburg einnehmen lassen)

10. Christoph Edler Herr zu Warberg / Herrn Antonii des ältern Sohn.
11. Antonius der Jüngere / Edler Herr zu Warberg / hat die Comturey eine zeitlang inne gehabt / aber wiederum abtretten müssen.
12. Nicolaus von Colwerdt / Freyherr auf Petersburg und Rabenstein / starb A. 1596. Dieser ist der erste alhier gewesen / so sich verehelichet.
13. Philipp Friedrich von Wiedensee.

Für jezo besitzet diese Commenturey
Der Durchleucht. Fürst und Herr /
Herr LUDWIG RUDOLPH /
Herzog zu Braunschweig und Lüneburg



Veröffentlicht in:

Johannis Letzneri (Seiten 51 - 69)
"Kurze und bißhero nicht in Druck gegeben Beschreibung Des im Wolffenbüttelschen Herzogthum gelegenen Kayserl. Stifftes Königs-Lutter.
Mit nöthigen Anmerckungen: Worinnen Letzneri und anderer Scribenten Fehler entdecket / und der alte und neue Zustand des besagten Stifftes gründlich vorgetragen und vorgestellet wird.
Samt HENR. MEIBOMII Bericht von der Comthurey zu Süpplingburg"
Wolfenbüttel / Bey Gottfried Freytag / Buchführern. A.C. MDCCXV



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Hinweis: Die eingefügten Fotos wurden 2012 und 2015 aufgenommen und sind im Druck nicht enthalten


Weitere Informationen über Süpplingenburg sind der Süpplingburger Dorfchronik zu entnehmen.

Sie wurde von Manfred Weber erstellt und 2002 von der Gemeinde Süpplingenburg herausgegeben (ISBN 3-83-11-4513-X).