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Feldsteinkirche in Kassuhn

 

 

Hellmut Müller: Die Strasse der Romanik in der Altmark (außer Salzwedel)

 

DIE STRASSE DER ROMANIK IN DER ALTMARK (außer Salzwedel).

 

Die romanische Baukunst manifestiert sich nicht nur in Burgen, Domen und Klosterkirchen, sondern auch in dörflichen Gotteshäusern. Es ist eine der besonderen Leistungen der niedersächsisch-mitteldeutschen Romanik, daß sie einen eigenen, künstlerisch hochrangigen Kleinkirchentyp hervorgebracht hat, bei dem West-Querturm, einschiffiger Saal, Chor und Apsis in wechselndem Verhältnis aufeinander bezogen sind. Sein bedeutendstes Verbreitungsgebiet ist die bis 1806 zur Mark Brandenburg gehörende Altmark. Hier sind auf relativ kleinem Raum so viele romanische Landkirchen erhalten, wie in keiner anderen Kunstlandschaft Mitteleuropas. Dabei ist jede einzelne Kirche unverwechselbar. Auch die Bauten ohne Apsis oder Chor und die ohne massiven Turm zeigen die wesentlichen Elemente dieses Grundtyps. Ob des materialbedingten Mangels an Ornament kommt die reine Architekturform besonders klar zum Ausdruck. In der westlichen Altmark, jenseits der B 71, sind es nur einige alte Pfarrkirchen, um die sich viele Dörfer mit spätgotischen Kapellen scharen. In der mittleren und östl. Altmark dagegen steht oft Dorf bei Dorf eine mehrteilige romanische Feld- oder manchmal auch Backsteinkirche, die im Mittelalter meist ihren eigenen Pfarrer hatte. Der Grund hierfür ist die unterschiedliche kirchliche Struktur der Frühzeit: altsächsische Großpfarreien im Westen, Kleinparochien mit entsprechender kirchlicher Selbständigkeit der Kolonistendörfer im östl. angrenzenden Gebiet. Es ist deshalb gut, daß die Straße der Romaník in der Altmark zunächst zu vier Dorfkirchen führt.

 

Wer es aber nicht so eilig hat und unterwegs in GARDELEGEN anhält, kann dort am Turm der Nikolaikirchen-Ruine und in der Marienkirche (die im übrigen bedeutende gotische Kunstschätze birgt) Friese, Kapitelle und Bogenstellungen sehen, die ihn auf die Begegnung mit der altmärkischen (und ostelbischen) Backstein-Romanik einstimmen mögen.

 

Die erste Etappe auf dem altmärkischen Abschnitt der Straße der Romanik ist Wiepke. Auf der Fahrt dorthin kommt man durch ESTEDT, wo ein Besuch der Feldsteinkirche lohnt. Sie liegt auf einem kleinen Hügel am alten Dorfrand und ist dreiteilig ohne Apsis, außen ca.10,50 m breit und fast 26 m lang. Der hochragende Querturm hat, wie meist in der Altmark, keinen Westeingang. Die beiden Bögen innen zwischen Turm und Schiff (statt sonst meist eines) scheinen einen gewissen Vorrang dieser

 

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Kirche anzuzeigen. Die Feldsteine sind sorgfältig bearbeitet und die Schichten ziemlich gleichmäßig eingehalten. Besonders gut sind die Ecksteine geglättet, bei denen oft beide Enden geradlinig zugerichtet sind. Das ist im altmärkischen Feldsteinbau relativ selten und kann hier ein Zeichen für höheres Alter der Kirche sein. Leider ist das Erscheinungsbild des Mauerwerks durch 1910 aufgetragene "Krampfaderfugen" beeinträchtigt. Die Fenster wurden alle später vergrößert: je drei in den Schiffswänden, je eines in Chorflanken und Ostwand. Die alten Portale lagen im N und S am Westende des Schiffes, dazu die Priesterpforte (die in der Altmark auch in den kleinsten romanischen Kirchen fast nie fehlt) an der Chor-S-Seite. Eine Estedter Besonderheit ist das Tympanon aus Findlingsgranit am vermauerten N-Eingang, während die altmärkischen Feld- wie Backsteinportale sonst in aller Regel tympanonlos sind. Erbaut wird die Kirche im letzten Drittel des 12. Jh. sein.

 

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Wiepke Dorfkirche von NO Wiepke Dorfkirche von SW

 

Im benachbarten WIEPKE hat das Gotteshaus den gleichen Grundriß wie das Estedter, aber ganz andere Proportionen. Der W-eingangslose Turm ist fast 2 m weniger breit und wird oben noch schmaler („Hüftturm“). In der W-O-Ausdehnung aber ist zwischen dem nur geringfügig kürzeren Turm und dem gegenüber Estedt noch etwas längeren Chor ein auffallend kurzes Schiff eingespannt. Innen ist der Turm durch zwei bis zur Saaldecke reichende Bögen mit dem Schiff verbunden, die auf einer unförmigen Feldstein-Mittelsäule ohne Kopfstück und zwei entspr. Halbsäulen an den Außenwänden ruhen. Das könnte u. U. auf eine alte Konkurrenz zur Estedter Pfarre und Kirche hinweisen. (Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß der Turm erst nachträglich – noch in romanischer oder frühgotischer Zeit - angefügt wurde.) Schiffs- und Chorportal lagen auf der N-Seite. Der dortige Anbau kann noch mittelalterlich sein. Die Fenster, je zwei an Schiff, Chorflanken und Ostwand, sind auch hier später vergrößert worden, wie dies bei den meisten Dorfkirchen geschah. Da die Mauertechnik weniger sorgfältig ist als in Estedt und die beiden o. e. Durchgänge schon leicht spitzbögig sind, kann die Kirche einige Jahrzehnte jünger sein. Im Inneren ist der alte Blockaltar mit Sepulcrum und Weihekreuzen, sowie ein gotischer Taufstein erhalten.

 

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Gr.-Engersen Dorfkirche von Westen Gr.-Engersen Dorfkirche Historie
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Gr.-Engersen Dorfkirche von SO Gr.-Engersen Dorfkirche von NO

 

Die Kirche im Nachbardorf GR. ENGERSEN gibt einige Rätsel auf. Der Chor schließt in ganzer Breite halbrund, was sonst bei vielen spät-und nachmittelalterlichen Kapellen der Fall ist, auch fehlen innen Chor- und Apsisbogen. Daher scheint der ganze Chor eine spätere Ergänzung zu sein, obwohl sein einiger-

 

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maßen regelmäßiges Mauerwerk noch romanisch sein könnte. Der W-Eingang im hohen Querturm ist in neuerer Zeit eingebrochen, auch der Choranbau mit Patronatsloge nachträglich zugefügt. Am (jetzt vermauerten) Schiffs-Südportal ist eine typische Schmuckform des Backsteinbaus, die Begleitung des Bogens durch einen Streifen aus flach verlegten Ziegelsteinen, im Feldsteinmaterial nachgeahmt.

 

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Kl.-Engersen Dorfkirche von SO Kl.-Engersen Dorfkirche von SW

 

In dem früheren Rundlingsdorf KL. ENGERSEN macht die Kirche einen recht urtümlichen Eindruck, obwohl der Querturm, außen erkennbar an seinen fensterlosen Flanken und dem Lichtschlitz im S, nicht über die Höhe der Schiffstraufe gedieh (oder sein Oberteil zerstört wurde) und heute auf dem W-Giebel nur ein Dachreiter sitzt. Das kurze Schiff hat jederseits zwei Fenster, die drei Chorseiten je eines. Schiffs- und Chorportal waren im S, der W-Eingang ist nicht ursprünglich. Das Mauerwerk ist vor allem am Chor sorgfältig ausgeführt mit schmalen Ausgleichschichten. In Kl. Engersen kann man besonders deutlich sehen, daß die altmärkischen Feldsteinbauten bunte Kirchen sind, mit einer schier unerschöpflichen Vielfalt der Farbnuancen. Im Inneren waren der später erweiterte Triumphbogen und der Durchgang zwischen Turm und Schiff gleich breit. Zur Ausstattung der Kirche gehören der Taufstein von 1514 und eine Bauernfahne von 1675.

 

So zeigten schon die ersten Stationen auf unserer Route: Der Reiz der altmärkischen Dorfkirchen besteht nicht zuletzt darin, daß es an ihnen noch viel zu rätseln und immer wieder Neues zu entdecken gibt.

 

Auf der Weiterfahrt nach Rohrberg sieht man in Schwiesau links eine dreiteilige spätromanische Feldsteinkirche liegen, den westlichsten Ausläufer der Estedter Gruppe. Kurz vor Beetzendorf kommt man durch JEEBEN, wo man unbedingt anhalten sollte, obwohl kein Schild mit dem Drei Bogen-Symbol auf die Kirche aufmerksam macht. Wahrscheinlich war dieses, Marktort und ländlicher Mittelpunkt, dem erst später das benachbarte Beetzendorf den Rang ablief.

 

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Jeeben Basilika von NW Jeeben Basilika von Süden
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Jeeben Basilika von Osten Jeeben Basilika Taufstein
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Jeeben Basilika vermauerte Nordarkaden Jeeben Basilika Priesterpforte

 

Deshalb steht hier eine so große Kirche, eine querschifflose Pfeilerbasilika. Die Seitenschiffe fehlen jetzt, und der W-Querturm, ehedem einer der größten in der ganzen Altmark, ist durch einen Dachreiter ersetzt. An Chor und Apsis ist die für die altmärkische Feldstein-Romanik typische steinsichtige Verputzung besonders gut erkennbar: der Putzmörtel ist über die Fugen hinaus abgestrichen, um alle Randunebenheiten der Steine zu überdecken, und in ihm sind dann, Quadermauerwerk imitierend, doppelte Fugenstriche eingeritzt. Am Langhaus ist zwischen Arkaden und Hochschiffs-

 

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fenstern das Feldsteinmaterial, da ursprünglich unter dem Seitenschiffsdach verborgen, weniger sorfältig bearbeitet und versetzt als in den übrigen, auf Sicht berechneten Partien. Nachlässigere Mauertechnik muß also in den Dorfkirchen nicht immer eine spätere Erbauung anzeigen. Der für eine Priesterpforte auffallend große Choreingang mit doppelt gestuftem Gewände aus gut geglätteten Granitsteinen ist sicherlich das beim Abriß der Seitenschiffe geborgene und hierher versetzte alte Hauptportal: eine denkmalpflegerische Maßnahme vor Jahrhunderten !

 

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Rohrberg Kirche von SW Rohrberg Kirche Storchennest von unten
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Rohrberg Kirche Querschiff von 1884 Nordseite Rohrberg Kirche Storchennest von oben
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Rohrberg Kirche Apsis Rohrberg Kirche Barockaltar und Kanzel
tl_files/Fotos/Altmark/Rohrberg-Feldsteinkirche-Sakramentshaeuschen-der-Patrone-von-der-Schulenburg-Wolfsburg-und-Beetzendorf-IMG-0955.jpg tl_files/Fotos/Altmark/Rohrberg-Feldsteinkirche-Familienwappen-der-von-der-Schulenburg-IMG-0959.jpg
Rohrberg Kirche Sakramentshäuschen der Patrone der von der Schulenburg Wolfsburg und Beetzendorf Rohrberg Kirche Familienwappen der von der Schulenburg
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Rohrberg Kirche romanischer Taufkessel Rohrberg Kirche Familienwappen der von Bartensleben
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Rohrberg Kirche Hauptschiff Westseite Rohrberg Kirche Wangentruhe 15. Jh.
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Rohrberg Kirche Bronzeglocke von 1337 Rohrberg Kirche vermauertes Fenster Nordseite

 

ROHRBERG ist eine der westaltmärkischen Urpfarreien. Die vermutlich der Heiligen Katharina geweihte Feldsteinkirche war vierteilig. An Stelle des Chores steht ein übergroßes Querhaus von 1884. Der fast 10 m breite Turm trägt statt des sonst üblichen quergerichteten Satteldachs einen Fachwerkaufsatz mit abgesetzter Spitze von 1752. Die Schallfenster des Turmes sind hier, wie bei vielen anderen altmärkischen Kirchen aus Backsteinen hergestellt. Am Zwischenpfeiler des nordöstlichen Schallfensters trägt ein Ziegelstein einen sternförmigen Stempel (oder Einritzung ?). Der romanische Taufstein ruht auf einem umgekehrten Würfelkapitell aus Sandstein, das, schon wegen des hier nicht vorkommenden Materials, aus einer anderen Kunstlandschaft stammen wird. Ist es in neuerer Zeit von einem Kirchenpatron erworben und nach Rohrberg gestiftet, oder könnte es gar schon zur Erbauungszeıt hierher gelangt sein und so unter Umständen einen Hinweis auf die Herkunft der Erbauer geben ? (Ein reiches romanisches Zungenblattkapitell, ebenfalls unbekannter Herkunft, dient in Köbbelitz bei Kusey als Taufsteinfuß).

Außerordentlichen Seltenheitswert besitzt eine gotische Glocke von 1337, die neben weiteren Ritzzeichnungen die Selbstdarstellung des Gießmeisters zeigt mit der Überschrift ego (sum?) hermannvs, zu jener Zeit wohl einmalig in Mittel-und N-Deutschland.

 

Literatur zur Rohrberger Glocke: KÜNNE, Hermann und Otto REICHMANN: Ego sum Hermannus; in: Lob der Heimat - Propsteibuch der Altmark. Berlin 1964 S. 27-30.

Literatur zu den altmärkischen Dorfkirchen:

EHL, H.: Norddeutsche Feldsteinkirchen. Braunschweig-Hamburg 1926.

v. ERFFA, W.: Die Dorfkirche als Wehrbau. Stuttgart 1937.

EIMER, M.: Entwicklung und Gestaltung der deutschen Dorfkirchtürme im Mittelalter. in: Zschr. f. württembergische Landesgeschichte II. 1. Stuttgart 1938 S.331-375.

MÖBIUS, F.: Die Dorfkirche im Zeitalter d. Kathedrale (13.Jh.). (Sitzungsber. d. Sächs. Ak. der Wissenschaften. Phil.-Hist. Kl. 128/3) Berlin 1988

SCHARFE, S.: Deutsche Dorfkirchen. Leipzig-Königstein 1934.

SCHOLKE, H.: Romanische Feldsteinkirchen in der Altmark. Dipl. Phil. (Mschr.).Greifswald 1958.

SCHMIDT, H. H. F.: Zwischen Ohre u.Elbe - Wanderungen zu Dorfkirchen in der Altmark. Berlin 1984.

SCHMIDT : Die Dorfkirchen romanischen Stils in der Altmark, vorzugsweise des Verdenschen Theils in: Jahresberichte des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte. XV.1865 S. 122-136.

ZAHN, Wilhelm: Die romanischen Bau- und Kunstdenkmäler der Altmark. ebd. XXVIII. 1901 S. 1-23.

SCHOLKE, Horst: Der sakrale Breitturm, ein Ausdruck der feudalen Macht- und Klassenkämpfe. Diss. phil. (Mschr.). Ha1le 1972.

SOEHNER, Halldor: Geschichte des Westeinturms im Abendland. Diss. phil. (Mschr.) München 1944

VOIGT, Renate : Der Breitturm im 12. und 13. Jh. in der Altmark und in Brandenburg. Dipl. phil. (Mschr.) Greifswald 1957.

SCHOLKE, Horst : Stille Schönheit. Romanische Feldsteinkirchen in der Altmark. Oschersleben 1993.

Hrg. Altmärkischer Heimatbund Stendal : Altmärkische Heimatblätter. I. 1. 1993 mit drei Beiträgen zum Thema von Wolfgang BOECK, Rolf NAUMANN und Alfred SCHIRGE.

 

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DIE STIFTSKIRCHE ZU DIESDORF.

 

(Geschichte:)

Ganz im Westen der Altmark liegt auf einem Ausläufer der Lüneburger Heide Diesdorf. Dort gründete Graf Hermann v. Lüchow 1161 in seiner Burg an einer Fernstraßenkreuzung das Stift Marienwerder, unweit der Grenze dreier alter Bistümer (Verden, Halberstadt, Hildesheim). Augustiner-Chorherren sollten hier die vorwiegend slawischen Bauern im christlichen Glauben unterweisen und zugleich den Grafen als eine "intellektuelle Elite" für vielfältige Aufgaben zu Diensten stehen, Diesdorf zum geistlichen und kulturellen Mittelpunkt des Herrschaftsbereiches machend. Später wurde der Konvent in ein Frauenkloster des gleichen Ordens und 1551 in ein evangelisches Damenstift umgewandelt und 1810 aufgehoben. Die Klostergebäude sind zumeist abgerissen, und unbekannt ist, wie die 1161 St. Maria und dem hl. Kreuz geweihte erste Kirche aussah. Der Neubau aber ist unversehrt erhalten. Er wurde im letzten Viertel des 12. Jh. begonnen und bis auf den erst 1872 nachgetragenen Turm gegen 1230 vollendet.

 

(Baugeschichte:)

Die Diesdorfer Stiftskirche ist eine im gebundenen System gewölbte Pfeilerbasilika über kreuzförmigem Grundriß mit W-Riegeln und drei östlichen Apsiden. Über einem niedrigen Feldsteinsockel ist sie ein reiner Ziegelbau. Der Grund wurde von einheimischen Werkleuten gelegt, die damals allenthalben in der Altmark Feldsteinkirchen errichteten und die oben erwähnte Fugenritzung anwandten, der Backsteinbau dagegen von „Spezialisten“ ausgeführt, die wahrscheinlich aus dem Jerichowgebiet stammten und von dort die Technik der mit einem schmalen Fugeisen geglätteten sogenannten „Dachfugen“ mitbrachten. Der erste Diesdorfer Baumeister war ein geistig beweglicher Mann, wohlvertraut mit der Architektur Niedersachsens und Mittel- und Norddeutschlands. Die etwa gleichzeitig entstandenen Bauten in Diesdorf u. Arendsee haben sich wahrscheinlich gegenseitig beeinflußt. Entscheidend aber für die Planung waren die vom Bauherrn bestimmten Vorbilder: die von seinem Lehnsherrn, Heinrich dem Löwen initiierten Dombauten zu Braunschweig (Naturstein) u. Ratzeburg (Backstein) und die kaiserliche Stiftskirche zu Altenburg, Thür. (Backstein). So fand in der Diesdorfer Stiftskirche das

 

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Selbständigkeitsstreben der Lüchower Grafen architektonischen Ausdruck; ein halbes Jh. lang konnte dieses kl.Grafengeschlecht sein ehrgeiziges Bauprogramm ohne wesentliche Abstriche durchhalten und solch aufwendigen Sakralbau fast vollständig fertigstellen.

 

(Außenbau:)

Die Diesdorfer Kirche läßt drei romanische Bauabschnitte erkennen: O-Teile, Langhaus, W-Riegel. An den Giebeln sieht man, daß die Dächer einst flacher waren. Die Hauptapsis ist, wie der Oberteil der Ratzeburser Domapsis, durch zwei Rundlisenen gegliedert, die kein Kapitell haben und über denen der Fries ohne Unterbrechung durchläuft. Hier es ein Kreuzbogenfries auf z. T. verzierten Konsolen und ein Zahnschnittband. An Chor und Querhaus ist der Kreuzbogenfries so unterschiedlich groß wie sonst nirgends im norddeutschen Ziegelbau. An der Querhaus-S-Front steht stattdessen ein gr. Zackenfries und an der Chor-N-Seite ein enger Gitterfries (wie in Eutin und variiert am Lübecker Dom). Am südl. Chorfries ist eine der sonst schmucklosen Konsolen als ein menschlicher Kopf gestaltet und wohl apotropäisch gemeint (=Abwehr böser Gewalten in der besonders gefährdeten Dachregion). Die wegen der Wölbung zusammengerückten Chor-S-Fenster sind später verlängert worden. Die Querhaus-S-Front enthält ein stark vorspringendes Giebelportal mit jederseits zwei Rundstäben im Gewände. Das Sockelprofil wechselt innerhalb der Portaltiefe seine Form, und zwar rechts und links im Gegensinn. Die drei Köpfe an den Rundstabkapitellenden und am Bogenscheitel symbolisieren vielleicht die Dreieinigkeit GOTTES. Die schmalen senkrechten Streifen in den Querhausgiebeln können von einer Rundstabgliederung nach dem Vorbild des Ratzeburger Domes stammen. Zur Vielfalt des Formenschatzes an den O-Teilen passen die verschiedenfarbige Bemalung der Fensterbogenlaibungen und hell und dunkelgefärbte Gesimssteine an der Chor-S-Wand (vgl. Lübeck-Dom). Das Langhaus dagegen mit seinen noch enger zusammengerückten Hochfenstern und dem Sockelumlaufportal zeigt die Handschrift eines anderen Meisters, der die Außenansicht zugunsten des reichgestalteten Kircheninneren schlicht hielt. Nur am Fenster über dem Portal ist wieder ein vielleicht auch apotropäisch gemeinter Kopf angebracht (landläufig „Mönchskopf“ genannt). Die Fenster neben dem Portal stammen vom Anfang des XX. Jh. Die nördl. Seitenschiffswand ist 1872 ganz erneuert worden. Nach Fertigstellung des Langhauses war die Kirche eine Zeitlang im W. provisorisch geschlossen. Als man dann die Turm-O-Wand auf dem schon früher gelegten Fundament hochzog, (siehe Baunähte neben den neben den Seitenschiffsecken!), „verschluckte“ diese die Ecklisene des Hoch-

 

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schiffs und den Friesanfang. Der W-Bau sollte ein ungeteilter Querturm werden (wie an den romanischen Basiliken in Jeeben, Osterburg und Werben), gedieh aber im Mittelalter nur bis zum ersten Obergeschoß. Die Fenstergewände haben eingelegten Rundstab, die Mauerecken sind nach Ratzeburger Vorbild abgerundet. In der Westfassade ist zwischen zwei breiten Wandlisenen der Haupteingang, eine nur wenig variierte Kopie des Ratzeburger Vorhallenportals, mit braunglasierten Steinen in jeder zweiten Schicht der Gewändesäulchen. Um den Sockelumlauf noch prächtiger gestalten zu können, ist das Profil des Mauersockels im mittleren Wandabschnitt um zwei weitere Glieder bereichert worden. Die Situation ist durch eine spätere Spitzbogenblende gestört, deren große Putzfläche vielleicht bemalt werden sollte. Die Turm-S-Wand ist durch regelmäßigen Wechsel von hellen Läufern und dunklen Bindern gemustert, was gegenüber dem lebendigen Erscheinungsbild der O-Teile etwas eintönig wirkt. Im ersten Obergeschoß der W-Wand ist eine jetzt vermauerte Außentür. Vielleicht führte hier eine Brücke zu einem damals noch stehenden Burggebäude (vgl. Braunschweig-Dom-Querhaus). Oben zeigt der Turm bereits frühgotische Formen, im W mit großer Drei-Fenstergruppe, an den Schmalseiten und im O mit hohen Lanzettfenstern.

 

(Kircheninneres:)

In der Diesdorfer Stiftskirche strömten an den Feiertagen Menschen aller Stände aus der ganzen Grafschaft zusammen. Auf die slawischen Landleute der Erbauungszeit, die sonst nur kleine Häuser aus Holz oder Fachwerk kannten, mußte der Anblick dieses großen und vielgestaltigen Gebäudes, das zudem aus einem ihnen unbekannten Material errichtet war, einen gewaltigen Eindruck gemacht haben. Um so wichtiger für sie, daß es keine Zwingburg war und kein nur den Angehörigen der herrschenden Klasse vorbehaltener Palast, sondern ein Gottes-Haus, in dem auch sie ihren mit Vorrang und Würde gestalteten Platz fanden. Das ist gerade im Diesdorfer Langhaus besonders eindrucksvoll erlebbar, und anders ist auch die weit über die Bedürfnisse eines Klosterkonvents hinausgehende Größe der Kirche kaum zu verstehen. Meister u. Werkleute schufen für sie einen Raum, der dem Menschen helfen soll, zu Stille und Einkehr, zu Gebet und lobpreisendem Bekenntnis zu finden.

Die Kreuzgewölbe der O-Teile mit leicht steigendem Stich stehen in niedersächsischer Tradition. Der Eigenwert der Vierung, die nur unter dem südlichen und dem W-Bogen Halbsäulenvorlagen mit Dreieckkapitellen hat (über der 1872 eingebauten Kanzel bis auf einen Stumpf entfernt), ist nicht besonders betont, und sie

 

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öffnet sich in dem großen Triumphbogen mit flacher Vorlage und abgefangenem Unterzug zum Altarraum als dem Ziel- und Höhepunkt der Kirche. Besonders in den Morgen- und Vormittagsstunden, in denen heute wie im Mittelalter die meisten der Gottesdienste stattfinden, strahlt die Lichtfülle der drei Apsis- und vier Chorfenster in das Langhaus hinein. Auch in der räumlichen Gestaltung ist das Schiff vom O-Bau her konzipiert, indem das opulente Rundvorlagensystem von dessen W- und S-Bogen nach dem Vorbild der Altenburger Stiftskirche auf das Langhaus übertragen ist mit kräftigen Halbsäulen für Gurtbogen- und Arkadenunterzüge. Auf der S-Seite des O-Jochs ist die östliche Arkade merklich breiter als die zweite, auf der N-Seite ist es umgekehrt. Warum das so ist, gehört zu den ungelösten Rätseln der interessanten Kirche. Außerdem dient dort auf der N-Seite als Zwischenstütze ausnahmsweise ein massiger Achteckpfeiler mit Schachbrettkämpfer. Das Mittelschiffsgewölbe ist eine Stichkappentonne Braunschweig-Ratzeburger Art, die aber ob ihres rundbogigen Querschnitte wohl ebenfalls in Altenburg ihre nächste Parallele hatte. Die Seitenschiffe haben entsprechende, auffallend hohe Gewölbe. Die Orgelempore im westl. Langhausjoch mit ihren Werksteinsäulen und reichen Kapitellen stammt aus dem 19.Jh. Im nördlichen Transeptarm war die Nonnenempore. Durch die jetzt vermauerte Tür in deren N-Wand kamen die Stiftsdamen vom Schlafsaal im anschließenden Klausur-O-Flügel zu den nächtlichen Gebetszeiten auf ihre Empore. Daneben ist eine interessante, vielleicht vom Braunschweiger Dom angeregte Reihe von ehemals fünf rundbogigen Nischen. Unter der Nonnenempore ist die sogenannte "Krypta", ein in dieser Art im ganzen norddeutschen romanischen Ziegelbau einmaliger niedriger Hallenraum, dessen Kreuzgratgewölbe auf nur etwa 6 x 6,40 m Grundfläche von sechs verschiedenartigen Backsteinstützen getragen wird: einem einfachen u. einem mit Eckrundstäben ausgestatteten quadratischen und einem achteckigen Pfeiler (mit vier kleinen Köpfen) und drei Säülen mit Würfel- und Trapezkapitellen. Da die beiden östlichen Säulen in der Öffnung der (1955 auf altem Fundament wiedererrichteten) Nebenapsis stehen und es auch bei dem vorher dort gelegenen spätromanischen Sakristeianbau entsprechend war, muß hier schon früher etwas verändert worden sein; es will aber nicht gelingen, einen "Urzustand" zu rekonstruieren, und so bleibt auch die Frage offen, ob die Nonnenempore mit der "Krypta" ursprünglich oder erst später zugefügt ist. Im Obergeschoß scheint der westliche

 

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anschließende spätgotische Mariensaal einen zur Nonnenempore offenen romanischen Vorgänger gehabt zu haben (vermauerter großer Rundbogen mit alten Kämpfern). Am O-Ende des N-Seitenschiffs wurde nachträglich eine Heilig Grab-Kapelle mit Vorraum eingebaut, in der sich jetzt eine gotische Schnitzfigur des toten Christus in sargartigem Holzschrein befindet. Beide Räume sind mit niedrigen romanischen Kreuzgratgewölben gedeckt, die eigentliche Grabkammer baldachinartig über massiven Eckstützen. Nördlich davon liegt im Zuge des ehemaligen Kreuzganges ein schmaler, ebenfalls zweigeteilter Raum, von dem aus man durch zwei niedrige Fenster in die Grabanlage sehen kann (vergleiche Gernrode). Noch in romanischer Zeit ist hier mehrmals etwas verändert worden. Das Untergeschoß des Turmes ist ungeteilt und war als einfache Vorhalle flach gedeckt. Erst in spätgotischer Zeit erhielt es sein Kreuzrippengewölbe mit schönen Schlußsteinen. Das Obergeschoß enthält einen ebenfalls die ganze Turmbreite einnehmenden kreuzgratgewölbten Saal von edlen Proportionen, der eine festlich profane Atmosphäre vermittelt.

Die vielen; oft dicht aufeinander folgenden Veränderungen an und in der Diesdorfer Kirche schon in der Frühzeit des Stiftes zeugen auch von einem regen geistigen und geistlichen Leben, das sich hier abspielte. Die Architektur der Klosterkirche wirkte sich außer in Salzwedel (St.Lorenz) vor allem im küstennahen N aus, auf der Insel Rügen (Schaprode), im Lauenburgischen und in Holstein (Mölln, Altenkrempe, Eutin, Lütjenburg).

An Ausstattungsstücken ist außer der Kreuzigungsgruppe (15. Jh.) im Triumphbogen der Grabstein Heinrichs, des letzten Grafen von Lüchow († 1272) zu nennen.

 

Literatur:

ADLER, Friedrich: Die Backsteinbauwerke des preußischen Staates. Bd. I. Berlin 1862. S. 49-52. mit Tafel 29.

HINTZE, Friedrich: Kloster und Kirche Diesdorf. Diesdorf 1911.

SCHMIDT, H. H. F. siehe bei Rohrberg S.93-105.

SEYFRIED, Peter: Die Klosterkirche zu Diesdorf. München-Berlin 1993 (Gr. Baudenkmäler Heft 463).

STIEHL, Otto: Der Backsteinbau romanischer Zeit, besonders in Ober-Italien und Norddeutschland. Leipzig 1898 S. 70

UNTERMANN, Matthias: Kirchenbauten der Prämonstratenser. (29.Veröffentlichung der Abt. Architektur der Universität zu Köln)1984.

MÜLLER, Hellmut: Beiträge zur Baugeschichte der Klosterkirche Arendsee in der Altmark. Diss. theol. (Mschr.) Halle 1972.

MÜLLER, Hellmut: Insula Sanctae Mariae - Zur Frühgeschichte des Augustiner-Chorfrauenstiftes Diesdorf. in: Aus der Altmark – 66. Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte Lübeck 1986 S. 127-150

 

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Dankensen Dorfkirche von SO Dankensen Dorfkirche Taufstein von 1649
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Dankensen Fresken kreuztragender Christus Dankensen Fresken Christophorus trägt Christuskind
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Dankensen Fresken Kreuzigungsszene Dankensen Fresken Detail Schiffsostwand
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Dankensen Fresken Kreuzigungsszene Dankensen Fresken Gregorsmesse

 

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Für die Weiterfahrt nach Salzwedel empfiehlt sich ein Umweg, auf dem man wieder etwas von der Vielfalt des altmärkischen Dorfkirchenbaus erleben kann : Siedengrieben - Winterfeld – Mahlsdorf.

 

 
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Siedengrieben Dorfkirche von NO Siedengrieben Dorfkirche von NW

Die auf drei Seiten dicht von Efeu umsponnene kleine Feldsteinkirche in SIEDENGRIEBEN bei Beetzendorf, dreiteilig mit Apsis und ohne massiven W-Turm, ist von der Restaurierungswelle des 19. Jh. verschont geblieben und daher in ihrem Erscheinungsbild so unverfälscht wie wenige in der Altmark. Bloß das Schiffsportal ist wegen des höher gewordenen Außenniveaus angehoben worden, so daß sein Bogen jetzt giebelförmig flach ist, und auch der Tympanonstein ist vielleicht nicht ursprünglich. Der Chor ist kreuzgratgewölbt.

 

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Beetzendorf Stadtwappen Kirche Beetzenburg - Grabstelle Adolph Friedrich von Schulenburg

 

tl_files/Fotos/Altmark/Winterfeld-Feldsteinkirche-von-SO-IMG-1401.jpg tl_files/Fotos/Altmark/Winterfeld-Feldsteinkirche-Priesterpforte-mit-Schild-und-Flammenschwert-IMG-1393.jpg
Winterfeld Feldsteinkirche von SO Winterfeld Feldsteinkirche Priesterpforte mit Schild und Flammenschwert
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Winterfeld Feldsteinkirche von NO Winterfeld Feldsteinkirche Chor und Apsis

 

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Mahlsdorf Friedhofsmauer und Feldsteinkirche Mahlsdorf Wehrkirche Details
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Mahlsdorf Feldsteinkirche von NO Mahlsdorf Feldsteinkirche von SO
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Mahlsdorf Feldsteinkirche von SO Mahlsdorf Feldsteinkirche von SW

 

 

An der Westgrenze des mittelaltmärkischen Kleinpfarreigebietes liegen nebeneinander die Dörfer WINTERFELD und MAHLSDORF an der B 71. Ihre romanischen Kirchen demonstrieren, wie unterschiedlich etwa gleichzeitis errichtete Feldsteinbauten desselben vierteiligen Typs mit Turm und Apsis in der Altmark sein können: langgestreckt und hochragend die eine, gedrungen und in sich geduckt die andere. An und in beiden gibt es viel Interessantes zu sehen, in Winterfeld z. B. romanische Eisenbeschläge an der Chortür und im Pfarrgarten ein gut erhaltenes Großsteingrab, in Mahlsdorf das vollständig eingewöbte Kircheninnere.

HM.

 

(SALZWEDEL ...)

Von Salzwedel bis Arendsee folgt die Straße der Romanik einem frühmittelalterlichen Heerweg, der am N-Rand der altmärkischen Hochfläche entlang nach O führt. Er wird begleitet von zwei Reihen alter Pfarrdörfer mit mehrteiligen, romanisch-frühgotischen Feldsteinkirchen, die oft einen W-Querturm haben (während jenseits der Grenzgrabenniederung im Hannoverschen Wendland meist nur jüngere kleine Kapellen stehen) : Ritze und Groß Chüden, die ihre Kirchtürme erst nachträglich erhielten, Riebau und das turmlose Klein Gartz, wo man den Kreuzbogenfries des Backsteinbaus durch Putzritzung nachahmte, Ritzleben mit Schießscharten in der Friedhofsmauer und einer ganz kleinen, bloß aus Turm und Schiff bestehenden Kirche, Mechau, wo nur noch der Turm alt erhalten ist, Binde, Kläden und das Arendseer Klosterdorf Kaulitz, dessen Gotteshaus in Feldstein erbaut wurde, als die große Backsteinkirche der Grund- und Patronsherrschaft wahrscheinlich schon lange fertig stand.

 

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HM.

 

abgeschlossen: Juli 1993

 

Dr. Hellmut Müller, Pfr. i. R.

Peter-und Paul-Str. Nr. 2

29320 Hermannsburg Krs.Celle

Tel. 05052-3914.

 

 

Hinweis: Die eingefügten Fotos stammen aus 2015.

 

 

DIE KLOSTERKIRCHE ZU ARENDSEE

 

(Geschichte:)

Zwischen den früher meist unpassierbaren Niederungen von Lüchower Grenzgraben und Elb-Urstromtal bildete der Arendseer Geestrücken die einzige natürliche Verbindung vom Wendland in die Altmark. Das war im 12. Jh. ein neuralgischer Punkt an der Grenze des askanischen Machtbereiches zu dem der Welfen. Markgraf Otto I. von Brandenburg, Albrecht des Bären ältester Sohn, war ein auf Frieden sinnender Herrscher, und er ließ an jener gefährdeten Stelle nicht eine Burg errichten, sondern gründete zu Weihnachten 1183 am hohen Südufer des Arendsee ein Benediktiner-Nonnenkloster. So entstand in dieser vorwiegend wendisch besiedelten Gegend, die bislang nur locker einer deutschen Herrschaft unterworfen und erst oberflächlich christianisiert war, unter markgräflicher Ägide ein religiöses u. kulturelles Zentrum zugleich als Schulstätte gedacht und als Mittelpunkt für den planmäßigen Landesausbau. 1540 wurde das Kloster in ein evangelisches Damenstift umgewandelt - in Fontanes Grete Minde ist davon die Rede - und 1812 aufgehoben.

 

(Baugeschichte:)

Von den im 19. Jh. abgetragenen Klausurgebäuden sind außer dem heute als Museum genutzten Krankenhaus nur noch Ruinen vorhanden. Das Herzstück der Anlage aber, die Kirche, ist vollständig erhalten geblieben als einer der ältesten und bedeutendsten Backstein-Großbauten westlich der Elbe. Auch die Arendseer Klosterkirche ist eine gewölbte Pfeilerbasilika über kreuzförmigem Grundriß mit ursprünglich drei östlichen Apsiden. Ein monumentaler Westbau war sicherlich vorgesehen, ist aber nicht ausgeführt worden. Drei große Bauabschnitte lassen sich unterscheiden: ca. 1185 bis 1208 O-Teile bis Fensterhöhe des Querhauses und östliches Mittelschiffsjoch, seit ca. 1215 Langhaus, bis ca. 1235/40 nachträgliche Einwölbung des Schiffes und Fertigstellung der Kirche. Die Propstkapelle zwischen Querhaus und S-Seitenschiff wurde um 1280 angebaut und ca. 200 Jahre später um ein Geschoß erhöht.

In Arendsee nahm der Bauherr noch entschiedener Einfluß auf das Baugeschenen als in Diesdorf. Denn offenbar geht hier nicht nur die Wahl der hochrangigen Vorbildbauten - Lübecker Dom und Altenburger Stiftskirche - auf das Votum des Markgrafen zurück, sondern er wünschte sich für Arendsee bedeutungsgeladene Bauformen, die auf seine sakral fundierte herrscherliche Stellung als unmittelbarer Vertreter des Kaisers in der Mark hinweisen sollten. In dem ersten Arendseer Baumeister fand er

 

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einen bedeutenden Architekten, der diese Intentionen überzeugend realisierte. Die Werkleute kamen auch hier aus dem Jerichowgebiet. Nach Ottos frühem Tod (1184) sorgte sein jüngerer Sohn Heinrich von Gardelegen dafür, daß in Arendsee im Geiste des Stifters gebaut wurde.

 

(Außenbau:)

Die exponierte Stellung der Kirche auf den Hochufer, kaum 100 m von dem fast 10 m tiefer gelegenen See entfernt, brachte erhebliche statische Probleme mit sich. Allein die Tatsache, daß dieser frühe Ziegel-Großbau mit seinen schweren Gewölben heute noch steht, zeugt von der Kunst des Architekten und dem Können der Werkleute.

Das Äußere der Arendseer Kirche ähnelt, besonders in den O-Teilen, sehr dem der Diesdorfer, aber beim näheren Hinsehen zeigt Arendsee doch ein wesentlich anderes Bild, auch in den Proportionen: Die Kirche ist länger und breiter als die von Diesdorf (ohne den dortigen Turmbau), aber etwas niedriger. Der Feldsteinsockel (sichtbar an der N-Seite) ist sorgfältiger ausgeführt. In der Ziegeltechnik hängen zwar die Unterschiede in Steinformat und -farbe stark von dem jeweils verfügbaren Rohmaterial ab, aber auch der Fugenschnitt ist anders (die vom Jerichowgebiet her bekannten „Dachfugen“ in Diesdorf, „Dellenfugen“ eigenständiger Prägung in Arendsee). Vor allem zeichnete den ersten Arendseer Meister ein sehr sensibles Formgefühl aus. Der bunten Vielfalt der Diesdorfer O-Teile war er abhold. Mit besonderer Sorgfalt in Technik und Gestaltung ist die Apsis behandelt, da in ihr der Hochaltar steht, der geistliche Mittelpunkt der Kirche. Die dortigen, halb-sechseckigen Wandlisenen, eine in der deutschen Romanik sehr seltene Form, schließen harmonisch an den Kreuzbogenfries an, dessen Konsolen oft mit abstrakten oder gegenständlichen Mustern (Kreuz, Stern, Rolle) geschmückt sind. Im südlichen Abschnitt tragen fast alle Konsolen solche Zier, im mittleren jede zweite, im nördlichen nur zwei (ähnlich ist es in Diesdorf). Diese im Mittelalter verbreitete Bevorzugung der S-Seite mag mit vorchristlich-mythischen Vorstellungen vom Süden als der Seite des Lichtes und Lebens zusammenhängen. Auch das runenartige Zeichen, mit dem der Arendseer Meister sein Werk unter Gottes Schutz stellte, brachte er im S-Feld der Apsis in Augenhöhe an (ähnliche Zeichen, oft auch kreuzförmig, an gleicher Stelle in Jerichow-S-Apsis, Schönhausen, Redekin, Verden - St. Andreas, auf Rügen in Bergen

 

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und Schaprode). Der O-Giebel mit seinen ein Jerichower Motiv aufnehmenden runden Putzblenden ist seit einem Dachstuhlbrand (Ende 14. Jh.) verstümmelt. Das Giebelportal an der Querhaus-S-Front unterscheidet sich von dem in Diesdorf auf charakteristische Weise. In seinem Gewände dominiert jederseits neben einem Rundstab eine stämmige Säule mit Würfelkapitell, deren hoher Fußblock den durchlaufenden Portalsockel unterbricht. Scheinbar zufällige Regelabweichungen wie die spannungsvoll ungleichmäßige Gewändestufung, der leicht überzogene Rundbogen und die deutliche Drehung des Portals nach Osten sind mit sicherem Gespür eingesetzte Gestaltungsmittel. Vorbildern in Jerichowgebiet, Dänemark und Schleswig entnahm der Meister Anregungen, die er zu einem eigenständigen, im deutschen romanischen Ziegelbau einzigartigen Werk verarbeitete. An der Querhaus-S-Front erscheint als neue Schmuckform der Rautenfries, der sich an der Langhaus-Hochwand fortsetzt, dort aus wulstigen Steinen gebildet. Das südliche Schiffsportal hat sein Vorbild in Schönhausen, das unvollendete nördliche fällt durch die gedrängte Fülle „weicher“ Spätformen auf. Die W-Fassade mit der Dreifenstergruppe entstammt in ihrer heutigen Erscheinung weithin dem 19. Jh. Doch war hier immer nur eine kleine Pforte. Alt sind der große Bogen, die seitlichen Fenster und die beiden zweigeteilten Blendarkaden im Giebel, die früher zusammen mit einer dritten Bogennische links und einer entsprechenden Dachtür rechts eine horizontale Reihe bildeten. Im letzten Bauabschnitt taucht auch im Backstein-Mauerwerk die vom Feldsteinbau her bekannte Fugenritzung auf (am besten sichtbar an einem in der Westwand des gotischen S-Anbaus vermauerten spätromanischen Strebepfeiler). Diese scheinbare Nebensächlichkeit zeigt an: Jetzt war der Ziegelbau voll in die allgemeine altmärkische Architektur integriert. Man brauchte für ihn nicht mehr landfremde „Spezialisten“, da die altmärkischen Werkleute, ursprünglich Steinmetzen, nun zu „Maurern“ geworden waren. Entsprechend erscheinen jetzt immer öfter Backstein-Einzelheiten in Feldsteinkirchen (schöne Beispiele in der Umgebung von Arendsee: Portale in Binde, Gagel, Heiligenfelde und Losse).

 

(Kircheninneres:)

Der architektonisch am reichsten ausgestaltete Teilraum der Arendseer Klosterkirche ist die Vierung. Nach Altenburger Vorbild sind allen vier Eckpfeilern an jeweils beiden freien Seiten Halbsäulen vorgelegt, die hier in Arendsee Dreieck- und Würfelkapitelle tragen. Die vielgliedrigen hohen Rundbasen heben

 

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sich vor dem glatten Hintergrund der Pfeilervorlagen wirkungsvoll ab, ein Motiv, das seit seiner Verwendung in Speyer eine ausgesprochene Hoheitsform ist, im norddeutschen Ziegelbau aber nur hier vorkommt. Damit gegenüber der so betonten Vierung der Chor als der liturgische Hauptort der Kirche hervorgehoben wird, sitzt der Kämpfer des Triumphbogens etwas höher als die der anderen drei Bögen, ein sonst sehr selten angewandter Kunstgriff. Das Chorgewölbe war von Anfang an vorgesehen, vielleicht sind die Eckdienste erst nachträglich zugefügt. Die Anregung zu der kuppligen Gewölbeform kam, direkt oder über Lübeck, aus Westfalen. Im nördlichen Querschiffsarm war die Nonnenempore, die, da vielleicht aus Holz errichtet, hier möglicherweise nur als Provisorium gedacht war und eigentlich in dem dann nicht mehr ausgeführten W-Bau untergebracht werden sollte. Die Tür zum Schlafsaal (Dormitirum) ist außen an der Querhauswand noch sichtbar. Unbekannt bleibt, warum der Bogen vom Querhaus zum nördlichen Seitenschiff höher und schmaler ist als der zum südlichen, und auch, welche Bedeutung der große Blendbogen in der N-Transept-Westwand hatte. Dem aufwendig gestalteten O-Bau steht das Schiff als ein schlichter Kastenraum mit glatten Wänden gegenüber, nach dem 1. Plan mit niedrigen Arkaden auf abwechselnd quadratischen und quer-rechteckigen Pfeilern, in vereinfachter Nachfolge des Lübecker Systems und vielleicht auch schon auf Wölbung berechnet. Die Dreier-Arkade auf der S-Seite des O-Jochs stammt von 1850. Ursprünglich waren hier zwei Hochfenster wie auf der N-Seite. So war das der Gemeinde vorbehaltene Mittelschiff ein Verweilraum ohne ausgeprägten Richtungszug.

Im 2. Bauabschnitt wurde der Stützenwechsel durch eine gleichförmige Reihe quadratischer Pfeiler ersetzt, wohl nach dem Vorbild der Jerichower W-Erweiterung. Das Langhans sollte nun sicherlich flach gedeckt werden. Durch diese Planänderung kam eine Richtungstendenz in den Raum. Damals oder wenig später baute man in der östlichen Arkade der N-Seite einen Unterzug ein, der auf halb-achteckigen Vorlagen ruht. Deren östliche ist mit in Ton geformten Palmetten geschmückt. Wahrscheinlich ist hier wie in Diesdorf nachträglich eine Heilig Grab-Kapelle eingerichtet worden. Im letzten Bauabschnitt wölbte dann ein aus Westfalen oder Holstein kommender Architekt die ganze Kirche ein, sichtlich an die Konzeption des ersten Arendseer Meisters anknüpfend. Durch die im ersten Planwechsel veränderte Stützenfolge bedingt mußten die beiden westlichen Gewölbejoche längsrck. und die östliche Gurtbogenvorlage abgefangen werden. Die „Backofen-

 

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gewölbe“ des Mittelschiffs sind noch fast 2 m höher als die des Chores. Die unterzuglosen Gurte und die Schildbögen verbinden die drei Joche trotz der Dissonanz in den Arkadenhöhen zu einem einheitlichen, in sich ruhenden Raum. Die Seitenschiffe sind mit Tonnengewölben gedeckt, in die von den Arkaden her Stichkappen einschneiden. Kanzel und Westempore stammen von 1850. An hervorragenden Ausstattungsstücken sind ein großes frühgotisches Kruzifix von hoher Qualität und der Schnitzaltar vom Ende des 14. Jh. zu nennen.

Die Klosterkirchen von Diesdorf und Arendsee lehren, wie zur gleichen Zeit und im gleichen Raum, unter gleichen historischen Voraussetzungen und äußeren Bedingungen und mit dem gleichen Baumaterial durch unterschiedliche Baumeister und unter der Ägide unterschiedlicher Bauherren zwei völlig verschiedene Bauten entstehen konnten.

Einflüsse der Arendseer Architektur auf andere Bauten sind in der Altmark außer in Seehausen, Stendal und Tangermünde auffallenderweise kaum zu spüren, deutlicher dagegen in Ostelbien (Redekin, Klein Wulkow und Treuenbrietzen) und vor allem auf Rügen (Bergen, Schaprode), auf den dänischen Inseln Lolland und Falster und in Holstein (Altenkrempe), evetuell auch im mittel- und süddeutschen Werksteinbau (Aken, Gelnhausen - St. Peter, Moosburg).

 

Literatur: ADLER siehe Diesdorf S. 47 ff.und Tafeln 26 ff.

Hrg.: HAETGE, Ernst: Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen. Bd. 4 Krs. Osterburg. Burg b. Magdeburg 1938 S. 26-50

HEINECKE, Otto: Chronik der Stadt Arendsee. Arendsee 1926

HEINZE: DAS BENEDICTINERKLOSTER Arendsee. In: Die Denkmalpflege. 2. Berlin 1900 S. 51 ff

NEUMANN, Helga: Die Klosterkirche zu Arendsee. Berlin 1988 (Das christliche Denkmal. Heft 134)

STIEHL siehe Diesdorf S. 69 f.

UNTERMANN, M. und MÜLLER, H. 1972 siehe Diesdorf.

 

Die Weiterfahrt nach Havelberg ist auf verschiedenen Routen möglich, an denen oder in deren Nähe es viele romanischeKirchen zu sehen gibt, etwa über Seehausen-Werben-Räbeler Fähre oder über Osterburg-Sandauer oder Räbeler Fähre. Daher seien hier nur einige hervorragende Beispiele genannt:

 

KREVESE an der Straße Arendsee-Osterburg: Kirche des Benediktiner-Nonnenklosters Marienhag. Hochinteressante querschifflose Basilika aus Feld- und Backstein, wohl letztes Drittel des 12. Jh. Westbau, der sich mit zwei Bögen zum Mittelschiff öfffnete, schon im Mittelalter zerstört. An der Apsis ruht der Backsteinfries auf lauter Kopfkonsolen. Innen hat sich der Stützenwechsel auf der N-Seite ____

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erhalten. In gotischer Zeit ist das S-Seitenschiff erhöht und das Mittelschiff eingewölbt. Auffallenderweise zeigt die Architektur der benachbarten, etwa gleichzeitigen Nonnenklosterkirchen desselben Ordens in Arendsee und Krevese keine erkennbare Verwandtschaft. Die Kreveser Kirche besitzt u. a. eine wertvolle Barockorgel in weithin originalem Zustand.

 

OSTERBURG, Nikolaikirche: Der 18,40 m breite Feldsteinturm ist der mächtigste der Altmark (3. Drittel des 12.Jh.). Von der romanischen Basilika sind außerdem die später erhöhten, in vielfältigen Formen gebildeten Pfeiler (quadratisch, kreuzförmig, rund, achteckig) des „malerischen Stützenwechsels“ erhalten, eines in der Mark gelegentlich vorkommenden, sonst aber recht seltenen südwestdeutschen Bautyps.

 

SEEHAUSEN/Altmark: Der zweitürmige Backstein-Westbau der sonst gotischen Petrikirche birgt das prächtigste romanische Portal der alten Mark Brandenburg. Giebelbau und Skelett des Tores mit vier gleichmäßigen Rücksprüngen bestehen aus Backstein, Sockel, Kämpfer, die jederseits vier eingestellten schlanken Säulen mit reichen Kelchblockkapitellen und die Archivoltenwulste aus Sandstein. Vorbilder waren wohl vor allem die Querhaus-S-Portale der Dome in Magdeburg und Naumburg, deren damals moderne Spitzbogenform hier in den bodenständigen Rundbogen rückübersetzt ist. Daneben wurden Einzelmotive aus Arendsee und vielleicht Veßra/Thür. verarbeitet, während der Backsteinschmuck des Portalgiebels (Ährenverband, auf kleinen Polygonalsäulchen ruhende Bogenblenden) aus dem dänischen Ziegelbau stammen. Umgekehrt scheint das Brautportal der Marienkirche in Visby auf Gotland u. a. auf das Seehausener Vorbild zurückzugehen.

 

Die querschifflose Basilika des Augustiner-Chorherrenstiftes St. Nikolai in GR. BEUSTER in der Wische, der weiten Elb-Niederung, ist ein Fremdling in der märkischen Backsteinbaukunst romanischer Zeit und erinnert besonders in der Außenansicht an elsässische Vorbilder.

 

In KÖNIGSMARK wo sich ein von Osterburg kommender Weg in die Richtungen Brandenburg und Havelberg teilte, war im späten 12. Jh. offenbar die Anlage eines Marktortes geplant. Daher baute man hier eine relativ große querschifflose Basilika. Da es in der Wische keine Natursteine gibt, ist die Kirche aus Backsteinen errichtet. Seit langem ohne Seitenschiffe, zeigt sie außen schöne Rauten- und A-Friese und am Chor ein Rahmenportal, im vorzüglich wiederhergestellten Inneren Arkaden mit Unterzug nach

 

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Havelberger Vorbild und Halbsäulen mit Trapezkapitellen dänischer Provenienz.

 

Das nur noch aus wenigen Häusern bestehende UCHTENHAGEN besitzt mit seiner vierteiligen, vollständig gewölbten Feldsteinkirche ein besonderes Kleinod. Der in Backstein weitergebaute West-Querturm hat an seinen Friesen vielfältige, z. T. mit Lehnin und Salzwedel-St.Marien verwandte Konsolmuster, darunter die schönste Maskenkonsole des märkischen romanischen Ziegelbaus (südlichste Frieskonsole an der W-Seite).

 

Stattliche romanische Feldstein-Dorfkirchen gibt es in der Umgebung von Osterburg und Seehausen außerdem u. a. in Dobbrun, Bertkow, Möllenberg, Gr.- und Kl. Schwechten, Erxleben, Polkau, Gr. Ballerstedt, Rochau, Krusemark, Kirchpolkritz, Hindenburg und Iden zu sehen, solche aus Backstein z.B. in Schönberg, Meseberg, Ferchlipp (Mischbau), Berge und Giesenslage.

 

Literatur: siehe bei Arendsee ( Haetge, Müller) und Rohrberg.

H. M.

 

abgeschlossen: Juli 1993

 

Dr. Hellmut Müller, Pfr. i. R.

Peter-und Paul-Str. Nr. 2

29320 Hermannsburg Krs.Celle

Tel. 05052-3914.

 

 

 

 

 

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Nahrstedt Friedhof Backsteintor Nahrstedt Feldsteinkirche von SO
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Nahrstedt Feldsteinkirche Westturm Nahrstedt Feldsteinkirche von SW
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Nahrstedt Feldsteinkirche Westturm Nahrstedt Feldsteinkirche Südwand
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Nahrstedt Feldsteinkirche - Date am Turm Nahrstedt Feldsteinkirche - Besuchsvariante
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Gr. Möhringen St. Leonhard von SO Gr. Möhringen St. Leonhard Westturm
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Gr. Möhringen St. Leonhard Backsteinportal Gr. Möhringen St. Leonhard Feldsteinkirchentour
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Dahlen Friedhofspforte Dahlen Feldsteinkirche
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Dahlen Feldsteinkirche von NO Dahlen Feldsteinkirche von SW
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Buchholz Feldsteinkirche Buchholz Feldsteinkirche
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Klein Schwarzlosen Feldsteinkirche von SO Klein Schwarzlosen Feldsteinkirche von SW
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Klein Schwarzlosen Vermauerung an der Südwand Klein Schwarzlosen Friedhofsmauer
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Bellingen Feldsteinkirche von Süden Bellingen Feldsteinkirche von SO
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Bellingen Feldsteinkirche von NW Bellingen Feldsteinkirche von NO
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Welle Feldsteinkirche von SO Welle Feldsteinkirche von NO
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Welle Feldsteinkirche von Osten Dahrenstedt Feldsteinkirche
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Windberge Feldsteinkirche  

 

 

 

 

Hellmut Müller: Die Strasse der Romanik im Kreis Osterburg. - ein Vorschlag.

DIE STRASSE DER ROMANIK IM KREIS OSTERBURG. - ein Vorschlag.

 

Wie die Straße der Romanik auf der Karte des Landes Sachsen-Anhalt eine überdimensionale 8 bildet, so durchzieht auch ihr altmärkischer Ableger unseren Kreis in den Bahnen eines doppelten Rundkurses. Er ist keine vorgeschriebene Strecke, die Station für Station abgefahren werden muß - nur wenige werden sich hintereinander 35 Kirchen ansehen wollen und noch dazu exklusiv unter einem bestimmten Aspekt ! Sondern er soll ein Reisevorschlag sein und einige Tips geben, wie man verborgene Schätze romanischer Kunst in der Altmark kennen lernen kann. So wird eine zusammenhängende Route angeboten, aus der man sich bei Gelegenheit dieses oder jenes Stück herausschneiden mag. Die Auswahl der Kirchen ist auch nach ihrer Erreichbarkeit auf solch einem Rundkurs getroffen und daher oft willkürlich, manches Schöne und Wichtige fehlt. Deshalb ist am Schluß eine Liste von romanisch-frühgotischen Kirchen im Kreis Osterburg beigegeben, die nicht auf unserer Route berücksichtigt sind und auch einen Besuch lohnen.

 

Und noch eine Vorbemerkung ist notwendig: An keiner unserer Kirchen steht dran, wann sie erbaut ist und natürlich auch nicht, warum gerade so und nicht anders. Daher müssen meine Deutungsversuche unsicher bleiben. Wo in den folgenden Ausführungen "ist-war-hat" steht, müßte es eigentlich immer heißen "vielleicht-möglicherweise-wahrscheinlich", und der Besucher ist zu eigenem kritischem Weiterdenken aufgefordert.

 

Die STRASSE DER ROMANIK IM KREIS OSTERBURG führt vor allem zu Dorfkirchen. Denn die romanische Baukunst manifestiert sich nicht nur in großen Domen und Burgen, sondern auch in ländlichen Sakralbauten. Eine altmärkische Dorfkirche aber ist keine Kloster-Basilika im Kleinformat und auch nicht ein um etliche Anhängsel erweitertes einfaches Haus. Sondern mit ihrer markanten Stufung von Apsis, Chor, Schiff und Turm im Grundriß wie als Baukörper und im Inneren ist sie ein eigenständiges Kunstwerk von hohem Rang. Auch die Bauten ohne Apsis oder Turm zeigen die wesentlichen Elemente dieses Grundtyps. Die meisten ländlichen Gotteshäuser unseres Kreises hatten ursprünglich keinen Westeingang und sind doppelpolig konzipiert: Das Schiff als der Gemeinschaftsraum des Dorfes ist eingespannt zwischen dem schmaleren und meist niedrigeren Chor (mit oder ohne Apsis) als Altarplatz

 

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im Osten und dem breiten und hohen Glockenturm im Westen. Gegenläufig zu der in Grund- und Aufriß ablesbaren Steigerung von Ost nach West wirken sich die Lichtverhältnisse aus; dem Hellraum des Chores mit drei bis sieben Fenstern steht der fensterlose, allenfalls mit einem oder zwei schmalen Lichtschlitzen ausgestattete Dunkelraum des Turmerdgeschosses gegenüber. Entsprechend ist der Bogen zwischen Turm und Schiff oft schmaler als der Triumphbogen zwischen Schiff und Chor, in einem einfachen Teilungsverhältnis zu diesem bemessen. Die charaktervolle Spannung, die unseren romanischen Dorfkirchen innewohnt, entsteht auch durch die Richtungsänderung der Kirchenachse im Westquerturm; denn die Trauf- und Firstlinie von Chor und Schiff winkelt im Turm um 90° ab, was durch dessen Giebel betont wird. Mit diesen Wesenszügen stehen die altmärkischen Dorkirchen in alter eigen-und reichskirchlicher Tradition, der es um Heiligung der menschlichen Gemeinschaft in Dorf, Burg und Stadt ging und in der sich noch viele Vorstellungen und Verhältnisse aus deutscher Vorzeit in christlicher Umformung erhalten hatten. Das bedeutendste Verbreitungsgebiet jenes Kleinkirchentyps ist die mittlere und östliche Altmark. Denn dort hatte schon im späten XII. und im XIII. Jh. fast jedes Dorf sein eigenes Gotteshaus, und von diesen sind so viele mehr oder weniger vollständig erhalten wie in keiner anderen Landschaft Mitteleuropas. Der Kreis Osterburg bildet den Nordosten jenes Gebietes. Hier gibt es 55 mehrteilige ländliche Sakralbauten aus romanisch-frühgotischer Zeit, dazu neun weitere, von denen nur der Turm oder ein anderer Bauteil alt erhalten blieb und vier einteilige Kapellen. Die meisten dieser Kirchen sind aus Feldsteingranit errichtet, den es auf der "Höhe", der Moränenlandschaft im Westen und Süden des Kreises reichlich gab. In der Wische, dem alten Elb-Urstromtal, wo es an natürlichem Steinmaterial mangelt, stehen acht Backsteinkirchen und fünf Mischbauten aus jener Zeit.

 

Die altmärkischen Dorfkirchen sind christliche Sakralbauten. In ihnen kamen und kommen Menschen zusammen, um ihre Hoffnungen , Ängste und Nöte im Gebet vor GOTT zu bringen, um in der Predigt Trost und Mahnung aus der Botschaft der Bibel zu hören und im Abendmahl die Vergebung ihrer Missetaten und die versöhnende Gemeinschaft mit ihren Mitmenschen zu erleben. Das drückt sich auch in der Bauart dieser Kirchen aus : Die starken Mauern sollten auf den zuverlässigen Schutz bei GOTT hinweisen, das Ost- oder Osterfenster, durch das am Gedenktag des btr. Kirchenheiligen der erste Strahl der aufgehenden Sonne fällt, auf die Auferstehung Jesu und das Ewige Leben. Der verborgene Mittelpunkt dieser Kirchen

 

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ist der Altar als der Platz der Messe, des Gebetes und des Segens. Sein künftiger Standort wurde als erstes bestimmt, und dort errichtete man noch vor der Grundsteinlegung ein Kreuz, von dem aus mit Hilfe von Meßseilen die wichtigsten Maße der Kirche konzipiert wurden. Die Grundstrecke war dabei wahrscheinlich die Entfernung von diesem Punkt, der späteren Altarvorderkante, zum Apsisscheitel, bei apsislosen Bauten zur Chorostwand (="Strecke a"). Es flossen aber auch vorchristliche religiöse Vorstellungen und uralte Traditionen menschlicher Weisheit mit in den ländlichen Kirchenbau ein. So ist die Kirche immer auf dem höchsten Punkt der alten Dorfanlage errichtet, und da man sich die Hölle und das Reich des Bösen in der Richtung der beginnenden Nacht lokalisiert dachte, wurde die Westwand der Kirche abweisend geschlossen, ohne Tür und Fenster. Deshalb sind unsere ländlichen Sakralbauten ihrem Wesen nach keine "Wehrkirchen". Doch hat man sie, da sie nun einmal da waren, natürlich auch zur Verteidigung benutzt, boten doch die dicken Mauern mit den kleinen hochliegenden Fenstern (Polkau!) willkommenen Schutzt und der hohe, von außen schwer zugängliche Glockenturm einen vorzüglichen Beobachtungspunkt, und man mag schon beim Bau diese mögliche Nebenfunktion mit einkalkuliert haben (hochliegender Einstieg an einer der Schmalseiten = "Luerlock", Turmgewölbe zum Schutz gegen Ausräuchern). Die wichtigste Rolle wird aber auch bei dieser Schutzaufgabe ein religiöses Moment, der Charakter von Kirche und Kirchhof als Asylort, gespielt haben.

 

Wann unsere Dorfkirchen erbaut wurden, ist nicht überliefert. Lediglich von den Kirchbauten in Flessau und Sahne ist das Weihedatum 1230 bekannt. Nicht wenige Kirchen zeigen gelegentlich oder durchgehend den Spitzbogen und mögen ganz oder z. T. frühgotisch sein, obwohl sie sich sonst kaum von den romanischen unterscheiden (Späningen!). Man kann daher als Erbauungszeit der hochmittelalterlichen Dorkirchen im Kreis Osterburg nur ganz grob schätzen: letztes Drittel XII. bis 2. Hälfte XIII. Jh.

 

Keiner dieser Bauten ist unverändert erhalten, meist wurden später mehr und größere Fenster eingebrochen, die ursprünglichen Eingänge verlegt, Stützpfeiler, Bahrschuppen und andere Anbauten zugefügt. Etliche Kirchen sind nachträglich erweitert oder verlängert worden, und oft setzte man dem Westquerturm einen Dachreiter mit Spitze auf. Wir müssen auch damit rechnen, daß schon in romanischer Zeit und erst recht im späteren Mittelalter an und in unseren Kirchen viel umgebaut und erneuert worden ist, was sich heute kaum mehr vom ursprünglichen Bestand unterscheiden

 

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läßt. So zeugen unsere Dorfkirchen auch von einer wechselvollen Geschichte und einem regen und bewegten geistigen und geistlichen Leben, das sich in ihnen und um sie herum abspielte. Es gehört zu ihrem besonderen Reiz, daß es an und in ihnen noch viel zu rätseln und hin und wieder auch etwas neu zu entdecken gibt.

 

Daneben sind im Kreis Osterburg vier hochinteressante romanische Basiliken sehr unterschiedlicher Baugestalt erhalten (Arendsee, Krevese, Königsmark und Gr. Beuster) und bedeutende Reste von drei weiteren (Seehausen, Osterburg, Werben).

 

S E E H A U S E N . Gleich am Beginn unserer Route steht ein besonderer Höhepunkt: In der St. Petrikirche verbirgt sich in einer spätgotischen Vorhalle das prächtigste romanische Portal der ganzen alten Mark Brandenburg, entstanden um 1230. Das breite Tor mit jederseits vier Gewändesäulen und skulpierten Kelchblock-Kapitellen Magdeburger und Naumburger Provenienz wirkt besonders festlich durch den Wechsel von hellem Sand- und dunkelrotem Backstein. Das Portal steht in einem eigenen Gehäuse, das ursprünglich stark vor der Wand vortrat (wie noch jetzt in Arendsee) und dessen Giebel mit zumeist aus Dänemark stammenden Schmuckmotiven reich gegliedert ist. Interessanterweise wurde hier der damals moderne Spitzbogen der mitteldeutschen Vorbilder in die traditionelle Rundbogenform rückübersetzt. Das Seehäuser Portal diente seinerseits den Erbauern der Marienkirche zu Visby auf Gotland als Vorbild.

 

Auf der Fahrt nach Genzien kommt man in L E P P I N an einer Feldsteinkirche vorbei, die schon im Mittelalter vielfach umgebaut wurde und heute spätgotische Portale besitzt, mit ihrem langgestreckten Chor aber wohl noch auf die Mitte des XIII. Jh. zurückgeht.

 

G E N Z I E N . Daß die altmärkischen Feldsteinbauten „bunte Kirchen“ sind, sieht man hier besonders schön. Ihre Steine bieten eine schier unerschöpfliche Vielfalt der Farbnuancen, wobei oftmals rötliche Töne dominieren. Die Genziener Kirche gehört zu den kleinsten mehrteiligen der ganzen Altmark und wurde wohl erst in der 2. Hälfte des XIII. Jh. erbaut. Außer dem ganz kleinen Ostfenster sind alle Öffnungen, zumeist nur in der Vermauerung erkennbar, spitzbogig, und an den beiden Portalen ist der Bogen aus Backstein gemauert. Auch liegt der Haupteingang auf der Westseite. Diese Neuerung, die dem Innenraum eine eindeutige Rich-

 

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tungstendenz eingab, kam wohl durch die kirchliche Reformbewegung in die altmärkische Sakralarchitektur und setzte sich in der Gotik vollends durch. Die kirchliche Reform war eine echte Re-Formation, sie wollte die Kirche reinigen von allem Fremden und sie auf ihre Ursprünge zurückführen. Auch im Kirchenbau wollte sie sich auf die Anfänge besinnen und ihn befreien von allem, was im Lauf der Jahrhunderte aus weltlichen und außerchristlichen Quellen in ihn eingedrungen war.

 

In Genzien ist an verschiedenen Stellen die für unsere Feldsteinkirchen typische steinsichtige Verputzung gut erkennbar: Der Putzmörtel ist über die Fugen hinaus abgestrichen, um alle Randunebenheiten der Steine zu überdecken, und in ihm sind dann, Quadermauerwerk imitierend, doppelte Fugenstriche eingeritzt. In Genzien waren diese "Scheinfugen" rot bemalt. An den Gebäudeecken sind die Sichtflächen der Feldsteine sorgfältig geglättet. Das Gewände des Osterfensters ist verputzt, in der Bogenlaibung sind rote und weiße Streifen aufgemalt (ursprünglich auch an der Bogenstirn). An der Südwand von Chor und Schiff ist unter der Dachtraufe durch Schrägstriche ein Friesband in den Putz geritzt, das, abwechselnd rot und weiß bemalt, vielleicht eine ornamentale Backsteinsetzung nachahmen sollte. Der Bogen zwischen Turm und Schiff ist spitzbogig und zeigt noch die Abdrücke der Schalbretter. Der Triumphbogen ist später erheblich verbreitert worden. Das Schiff ist leicht queroblong und kürzer als der Chor, der jetzt ein spätgotisches Backsteingewölbe hat. Das Glockengeschoß des Turmes ist 1692 (Inschrift!) in zweimal vorkragendem Fachwerk aufgesetzt. Es zeigt auf jeder der vier Seiten eine andere Konstruktion und ist, zumal profane Fachwerkbauten aus jener Zeit heute sehr selten geworden sind, ein besonders schönes Beispiel dieser Bauweise. Am nördlichen Giebel ist noch der Frontspieß („Wendenknüppel“) erhalten.

 

A R E N D S E E. Zu dieser Kirche kann ich mich kurz fassen, da sie als einzige unseres Kreises in die „große“ Straße der Romanik aufgenommen und entsprechend in der einschlägigen Literatur beschrieben ist, auch zwei gedruckte Führer zur Verfügung stehen. Die landschaftlich sehr schön am Hochufer des Sees gelegene Kirche des 1183 von Markgraf Otto I. von Brandenburg gegründeten Benediktiner-Nonnenklosters Arendsee wurde von ca. 1185 bis um 1240 in drei Bauabschnitten errichtet und ist der früheste vollständig gewölbte Backstein-Großbau westlich der Elbe. Glanzpunkte sind in dem von einem bedeutenden Meister entworfenen Ostbau die Apsis und das Hauptportal mit seiner sehr eigenwil-

 

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ligen und kraftvollen Gestaltung. Innen steht den architektonisch reich ausgestatteten Ostteilen mit der nach einem kaiserlichen Vorbild (Altenburg) allseits von Halbsäulen gerahmten Vierung der einfache Kastenraum des Langhauses mit glatten Wänden gegenüber. Die unterschiedliche Höhe der Mittelschiffsarkaden geht offenbar auf einen Planwechsel zurück. Die Drei Bogen-Gruppe im Ostteil der südlichen Hochwand stammt von 1850. Das Langhausgewölbe wurde erst im letzten Bauabschnitt eingezogen. Ein monumentaler Westbau mit einem oder zwei Türmen war sicherlich vorgesehen, wurde aber nicht ausgeführt.

 

H E I L I G E N F E L D E . Der Bogen des Chorportals ist aus Backsteinen gemauert, die von Arendsee als dem nächstgelegenen Ziegelbau stammen werden. Da sie das gleiche Format haben wie die im 2. Bauabschnitt der Klosterkirche, wird die dreiteilige Heiligenfelder Kirche nicht vor 1215 erbaut worden sein. Der Bogen des Osterfensters ist aus sorgfältig bearbeiteten keilförmigen Granitquadern gefügt, was an altmärkischen Dorfkirchen nur selten vorkommt. Bei den Ecksteinen, die oft 2 Schichten hoch sind, hat man sich im Südosten des Chores um einen regelmäßigen Farbwechsel bemüht. Die Giebelluke, die wie das Uhlenlock der Bauernhäuser den für die Bekämpfung der Holzschädlingen wichtigen Vögeln Einlaß zum Dachboden gewährte, ist hier und an den meisten anderen altmärkischen Dorfkirchen kreuzförmig, wohl um an dieser besonders gefährdeten Stelle böse Gewalten zu bannen. Das ursprüngliche Hauptportal scheint an der Südseite gewesen zu sein. Der Vergleich mit Genzien zeigt, daß bei den altmärkischen Dorfkirchen der Größenunterschied vor allem im Schiff liegt; denn während Turm und Chor hier nur wenig länger sind als dort, ist das Schiff innen bald doppelt so lang. Da der mittelalterliche Altar erhalten blieb, lassen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit verschiedene Maße feststellen, die von ihm als dem "heimlichen Mittelpunkt“ der Kirche her konzipiert sind. So mißt die Chorbreite ca.3 a, die Schiffsbreite ca. 4 a: Triumphbogen und Öffnung zwischen Schiff und Turm sind hier etwa gleich breit. Die Bögen der Schallfenster im Turm sind nach dem Vorbild der seitlichen Apsisfenster in Arendsee breiter als die Gewände (= „unechter Hufeisenbogen“).

 

K L E I N A U. Die wenig größere, ebenfalls im Osten platt geschlossene Kirche steht auf dem deutlich erhöhten Friedhof über dem Dorf und ist deshalb, besonders von Osten und Süden, weit sichtbar. Die Priestertür ist auch hier aus Backstein, das gestufte Schiffsportal dagegen aus sehr sorgfältig bearbeiteten Feldsteinquadern (außer dem überputzten inneren Backsteinbogen)

 

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mit profilierten Granitsockeln und Kämpfern. In der ursprünglich eingangslosen Westwand des Turmes wurde nachträglich ein frühgotisches Portal eingebrochen, dessen Spitzbogen - für die Altmark ganz ungewöhnlich - z. gr. T. aus Kalksteinen gefügt ist und dessen Scheitelstein als ausgesprochene Seltenheit im hiesigen Dorfkirchenbau eine Reliefmaske zeigt. Herkömmlich wird sie als „Bischofskopf“ bezeichnet, ist aber vielleicht apotropäisch gemeint (=zur Abwehr böser Gewalten). Offenbar bald darauf wurde das Portal wieder vermauert und durch 2 Lichtschlitze ersetzt (= „Schießscharten“?). Auch hier ist der mittelalterliche Altar erhalten; der Chor ist ca. 3 a lang und 8/3 a breit. Triumph- und Westbogen sind ungefähr gleich breit. Der Westquerturm hat besonders dicke Mauern, die nach oben hin stufenweise dünner werden (innen). Über dem hohen Erdgeschoß sind statt der sonst in der Altmark üblichen Quertonne 2 kupplige Gratgewölbe mit breitem Gurtbogen eingezogen, die durch eine Treppe in der Mauerstärke umgangen werden.

 

K O S S E B A U . An der von herrlichen alten Kastanien gesäumten, breiten Dorfstraße liegt der Friedhof mit seiner Feldsteinmauer und einem spätgotischen zinnengekrönten Backsteintor. Die mitten auf diesem Friedhof stehende St. Johanneskirche zeigt als erste auf unserem Kurs den „vollständigen“ vierteiligen Grundriß mit Apsis. Sie scheint der Leitbau einer von Gladigau bis Binde reichenden Gruppe von 9 Kirchen (darunter Heiligenfelde und Kleinau) zu sein, die alle im mittelalterlichen Bistum Verden lagen (die Grenze zum Bistum Halberstadt war die Biese) und die ähnliche Abmessungen und weitere Gemeinsamkeiten aufweisen. Die Apsis ist im Grundriß auffallend stark gestelzt. Sie wurde in späterer Zeit erhöht, nachdem man ihr Gewölbe und das des Chores abgerissen hatte. Die innere Apsislänge beträgt genau die Altarlänge + -breite, die Schiffsbreite ca. 2½ a. Auch hier ist der jetzige Westeingang wohl später eingebrochen worden, wozu man offenbar die gut bearbeiteten Gewändesteine des Schiffsportals wiederverwandte. Die Priestertür, deren Bogen außer dem Scheitelstein auch hier aus den sonst in der Altmark so seltenen Kalksteinen gefügt ist, wurde schon in spätgotischer Zeit vermauert. In ihrer inneren Nische ist ein interessanter, in sich verschachtelter Wandschrank eingebaut. Die Ostteile der Kirche sind aus besonders gut bearbeiteten Feldsteinen erbaut mit kleinsteinigen Zwischenschichten zum Ausgleich von Unebenheiten. Das Turmerdgeschoß war ursprünglich tonnengewölbt.

 

In L Ü C K S T E D T war die Dorfstraße früher ganz schmal zwischen Kirchhof und Häuserzeile eingezwängt. Als man diese Sitution in den 20er Jahren bereinigte, tat man wohl des Guten zu viel

 

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und führte die verbreiterte Straße dicht an der Kirche vorbei, deren Wirkung dadurch sehr beeinträchtigt wurde. Da diese nun nicht mehr der architektonische Mittel- und Höhepunkt des historisch gewachsenen Dorfes ist, sondern nur noch irgendein Gebäude an der Straße, hat der Ort ein gut Teil seines Gesichtes verloren. Der Vergleich der bisher genannten und der meisten anderen Orte unseres Kreises mit Lückstedt zeigt, wie sehr eine altmärkische Dorfkirche auch von ihrer Lage auf dem ummauerten Friedhof „lebt“. Die Lückstedter Kirche, wohl aus der 1. Hälfte des XIII. Jh., ist im Lauf der Zeit sehr stark verändert worden und hat heute keinen massiven Westturm mehr, aber noch ein schönes, jetzt vermauertes Feldsteinportal.

 

Die Kirche zu W O H L E N B E R G ist ein Beipiel für den allereinfachsten Typ einer altmärkischen Dorfkirche, die Kapelle ohne Turm und Chor. Das Feldsteinmauerwerk des jetzt durch große Fenster veränderten Baus ist weniger sorgfältig gearbeitet, statt des üblichen Ostfensters sind es hier deren zwei ganz kleine. Ursprünglich war die Glocke in einem höher gezogenen Maueraufsatz auf dem Westgiebel aufgehängt, an den in der Barockzeit ein Fachwerkturm angebaut wurde. Die Kirche wird um oder nach 1250 erbaut worden sein.

 

In S T A P E L weist die dreiteilige Kirche interessante Mauerwerksbefunde und 2 bemerkenswerte Portale auf: Am Haupteingang auf der Schiffssüdseite sitzt statt des Bogens ein großer, vorn und unten sauber geglätteter Feldstein als Sturz. Am Chorportal ist die Backstein-Bogenstirn dadurch belebt, daß zwischen den Läufern (=Langsteinen) in regelmäßigem Abstand 2 Binder mit Querfuge stehen.

Ehe man nach Krevese hineinfährt, sollte man auf der Höhe anhalten und aussteigen; denn dort bietet sich rechter Hand ein weiter Blick nach Süden und Südwesten über die Bieseniederung mit ihren Dörfern und Kirchtürmen hinweg bis zum Dolchauer Berg in der Ferne. Das ist eben auch ein Vorzug der Altmark wie wohl der ganzen norddeutschen Tiefebene: In dem flachen Land kann man oft schon von relativ niedrigen Anhöhen aus eindrucksvolle Fernblicke erleben.

 

In K R E V E S E gründeten im letzten Drittel des XII. Jh. die damals noch selbstständigen und mächtigen Grafen von Osterburg das Benediktiner-Nonnenkloster Marienhaag. In der alsbald erbauten Klosterkirche ist der Typ der querschifflosen Basilika in die schlichte Sprache der ländlichen Feldsteinarchitektur übersetzt; Einzelheiten sind aus Backstein. Der durch Grabung

 

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nachgewiesene, aber in seinem einstigen Aussehen unbekannte Westbau wurde schon im späteren Mittelalter abgerissen oder zerstört. Er öffnete sich mit 2 Bögen zum Mittelschiff. Die Apsis hat entgegen dem in Mark und Altmark vorherrschenden Brauch in Fenstersohlbankhöhe einen Absatz. Der untere Teil aus Feldstein schließt mit einem Backsteinfries ab, dessen Rundbögen nicht, wie sonst im Ziegelbau üblich, aus langen gebogenen Steinen zusammengesetzt, sondern aus den Steinen des fortlaufenden Verbandes ausgespart sind. Die Konsolen sind alle als menschliche Gesichter gebildet (einige ganz verwittert). Der Oberteil der Apsis ist zum großen Teil, ihr

massives Dach ganz aus Backsteinen gemauert. Einmalig im norddeutschen Ziegelbau ist auch der sehr flache, doppelt verschlungene Kreuzbogenfries an der Chornordseite. Die Seitenschiffe schlossen ebenfalls früher mit Apsiden. Der Innenraum ist trotz einiger Veränderungen in gotischer Zeit (Aufbruch der südlichen Arkadenwand, Rippengewölbe in Mittel- und Südseitenschiff) mit seinen kurzen, ungefüg-wuchtigen Säulen und Pfeilern ein seltenes Beispiel von mit den sparsamsten Mitteln erreichter Monumentalität. Im Nordseitenschiff hat sich z. T. noch das alte Tonnengewölbe erhalten. Auffallenderweise zeigt die Architektur der benachbarten etwa gleichzeitigen Nonnenklosterkirchen des gleichen Ordens in Arendsee und Krevese keine erkennbare Verwandtschaft. Vielleicht liegt das daran, daß diese Klöster von zwei miteinander konkurrierenden Dynastengeschlechtern gegründet waren, die für ihre Bauten unterschiedlich reiche Mittel zur Verfügung hatten, aber wohl auch bewußt auf unterschiedliche architektonische Vorbilder zurückgriffen. Für Krevese waren diese Vorbilder möglicherweise schon damals altertümliche querschifflose Basiliken im Oberelsaß (Surburg, Hattstadt, Feldbach).

Die Kreveser Kirche besitzt neben weiteren interessanten Ausstattungsstücken eine wertvolle barocke Orgel in weithin originalem Zustand.

 

O S T E R B U R G - N i k o l a i k i r c h e . Der wohl aus dem letzten Drittel des XII. Jh. stammende, fast 18½ m breite Feldsteinturm ist der mächtigste der Altmark. In die einganglose Westfront wurde um 1250 ein spitzbogiges Stufenportal aus Backstein eingefügt. Der Ziegelstein-Oberteil des Turmes ist spät- und nachmittelalterlich. Von der romanischen Feldstein-Basilika sind außerdem die später erhöhten, in vielfältigen Formen gebildeten Pfeiler (quadratisch, kreuzförmig, rund, achteckig) des „malerischen“ Stützenwechsels erhalten. Dieses in unseren Brei-

 

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ten recht seltene System stammt ursprünglich aus dem Elsaß (s .o. bei Krevese!) und Südwestdeutschland (Brackenheim, Gengenbach, Oberstenfeld, Weinsberg) und kommt gelegentlich östlich der Elbe vor (Schönhausen, Loburg). Allein in Osterburg ist es mit völlig freiem Wechsel der Stützenform zur letzten Konsequenz geführt.

Von der ihrer Gründung nach älteren MARTINSKIRCHE auf dem Friedhof sind der kreuzgratgewölbte Feldsteinchor und die auffallend niedrige, schmucklose Backsteinapsis erhalten.

 

Osterburg liegt nahe der Westgrenze der Wische, dem breiten Elb-Urstromtal, in dem es keine Natursteine gibt. Deshalb sind nur an und nahe ihren Rändern die Dorfkirchen aus Feldsteinen errichtet, während man im Inneren dieses Gebietes auf das Backsteinmaterial auswich, für das die hiesigen Tonvorkommen reichlich Rohstoff lieferten.

 

Auf der Fahrt nach Südosten kommt man durch D Ü S E D A U, dessen Martinskirche angeblich auf einer vorchristlichen Opferstätte errichtet ist. Der gedrungene und nicht sehr hohe Westquerturm, dessen Feldsteinmauerwerk sorgfältig geschichtet ist, bietet zusammen mit dem spätgotischen Friedhofstor ein eindrucksvolles Bild, von der übrigen, vielleicht ursprünglich vierteiligen Kirche ist nach dem radikalen Umbau von 1869 nur noch der Ansatz des Schiffes alt erhalten.

 

W A L S L E B E N war einst der Hauptort des Gaus Belxem, der südöstlichen Altmark, und hier wird schon im X. Jh. eine Kirche bezeugt. Da aber der Grundriß des jetzigen Walsleber Gotteshauses mit langem Schiff und kurzem queroblongem Chor für eine altmärkische Feldsteinkirche recht ungewöhnliche Proportionen aufweist und die Mauertechnik keine Hinweise auf eine besonders frühe Entstehung gibt, ist es nicht ausgeschlossen, daß hier die alte Holzkirche noch länger bestehen blieb und der massive Nachfolgebau dann genau auf ihrem Grundriß errichtet wurde, etwa so, wie es für Tostedt bei Hamburg erwiesen ist und für Klietz Kr. Havelberg vermutet wird. Hier in Walsleben geschah das vielleicht erst im fortgeschrittenen XIII. Jh. Wegen des engen Anschlusses an den hölzernen Vorgängerbau oder aus Kostengründen verzichtete man auf eine Apsis, sparte aber im Kircheninneren als Apsisandeutung eine breite flach rundbogige Nische in der Ostwand aus. Der Chor ist kreuzgratgewölbt.

 

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Von Walsleben aus ist ein kurzer, sehr lohnender Abstecher nach U C H T E N H A G E N erforderlich. Die dortige Burg hatte überregionale Bedeutung als östliches Endglied einer von Salzwedel her die Altmark durchquerenden Befestigungskette. Die Herren von Uchtenhagen sollen die Stammväter des Geschlechtes derer von Jagow gewesen sein. Heute besteht das idyllisch in stiller Einsamkeit gelegene Dorf nur noch aus wenigen Häusern. Die von hohen Bäumen umstandene, kleine vierteilige Kirche mit Apsis ist ein besonderes Kleinod. Als erste auf unserem Kurs zeigt sie noch unverfälscht die ursprüngliche Doppelpoligkeit mit geschlossener Turmwestwand und ist überhaupt bis auf die rechteckig vergrößerten Fenster kaum verändert. Das Feldsteinmauerwerk ist sorgfältig gearbeitet; die Ecksteine, die besonders am Chor oft quaderartig ebenmäßig sind, wurden auch hier z. T. in Farbwechsel versetzt. Die beiden Portale, das am Schiff mit kräftigen Kämpfern, sind ganz aus Findlingsgranit erbaut, ihre Bögen sind z. T. wie an gleichzeitigen Werksteinbauten aus gebogenen länglichen Steinen gefügt . Die Holztüren, am Schiffsportal mit alten Beschlägen, scheinen die ursprünglichen zu sein und können bei dendrochronologischen Untersuchungen möglicherweise wertvolle Aufschlüsse über die Erbauungszeit unserer Dorfkirchen bieten. Der Oberteil des Turmes ist aus Backsteinen errichtet und mit seinen unterschiedlichen Friesen und deren profilierten Konsolen ein wichtiges, in der Fachliteratur übersehenes Beispiel der norddeutschen romanischen Ziegelarchitektur. Die südlichste Konsole am Rundbogenfries der Westseite zeigt einen ungewöhnlich fein ausgearbeiteten bärtigen Kopf und ist die schönste romanische Maskenkonsole des ganzen märkischen Ziegelbaus. Im Inneren ist die Kirche vollständig gewölbt, Chor und Schiff mit leicht kuppligen Kreuzgratgewölben, das Turmerdgeschoß mit einer Quertonne, die durch die erst in Über- Mannshöhe beginnende Treppe in der Mauerstärke der Westwand umgangen wird.

 

Über Gethlingen, an dessen kleiner Kirche das schöne Fachwerk leider durch entstellenden Putz verdeckt ist, geht es weiter nach H I N D E N B U R G . Das dortige Gotteshaus scheint eines der ältesten im Kreis zu sein. Es bildet mit den Nachbarkirchen in Iden, Polkritz, Krusemark und Bertkow eine Gruppe von 5 relativ großen „vollständigen“, also mit einer Apsis ausgestatteten Feldsteinbauten am südlichen Wischerand. Die Hindenburger Kirche weist besonders gutes Feldsteinmauerwerk auf, die Steine sind sorgfältig nach der Größe sortiert, größere auf paßgerechte

 

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Quaderform behauen. Die beiden, jetzt vermauerten Stufenportale, sowie im Kircheninneren Apsis-und Triumphbogen haben profilierte Granitkämpfer. Der Chor ist leicht queroblong. Der Halbkreis des Apsisgrundrisses liegt im Kircheninneren, so daß sich die Konche außen nur etwas flacher vorwölbt. Das kann ebenfalls eine relativ frühe Entstehung des Gotteshauses, vielleicht noch im 3. Viertel des XII. Jh., anzeigen. Auch hatte die Apsis hier 3 Fenster, während sonst im altmärkischen Feldsteinbau nur eines üblich war. Der Charakter des tonnengewölbten Turmuntergeschosses als Dunkelraum muß hier vor dem Durchbruch des jetzigen Westeinganges (1911) besonders ausgeprägt gewesen sein, da er, wie der ganze Turm bis zum Glockengeschoß mit seinen Schallfenstern, gar keine Lichtöffnungen hat. Die Turmgiebel fehlen jetzt.

 

K R U S E M A R K . Die große Kirche liegt zusammen mit Pfarrhaus und ehemaliger Schule südöstlich des Doppeldorfes Hohenberg-Krusemark einsam im Felde. Die Schichten des Granitmauerwerks sind relativ gut eingehalten, die einzelnen Steine aber nur z. T. besser bearbeitet und an ihrer Ansichtsseite oft mehr oder weniger roh belassen. An der Apsis ist die steinsichtige Verputzung mit eingeritzten einfachen Fugen streckenweise gut sichtbar. Die Kirche war in der Barockzeit außer dem Turm ganz verputzt gewesen. Auch hier hat die Apsis drei Fenster. An dem nördlichen haben sich deutliche Reste der würfelförmigen Bemalung erhalten. Chor und Triumphbogen sind 1726 abgerissen und das Schiff in voller Breite bis an die stehen gebliebene Chorostwand heran verlängert worden. Das Schiff wird nach Osten zu geringfügig breiter. Die beiden Langhausportale liegen nicht genau einander gegenüber, das südliche ist gestuft und hat abgeschrägte Kämpfer, das nördliche ist weniger sorgfältig gearbeitet und sicherlich etwas jünger. Das Untergeschoß des Westquerturms hat noch sein altes, hochgelegenes Tonnengewölbe. Ob die relativ kleine spitzbogige Westtür mit innerem Backsteinbogen und in den Rücksprung eingelegtem Ziegelsteinwulst noch vom Ende der ersten Bauzeit stammt oder erst nachträglich eingebrochen wurde, ist ungewiß.

 

B E R T K O W . Wie die meisten Dorfkirchen des Kreises Osterburg steht auch die Bertkower inmitten des Friedhofes, der hier streckenweise noch von der alten Feldsteinmauer umgeben wird und dessen spätgotisches, zinnengekröntes Backsteintor erhalten ist. Die sich weit herauswölbende Apsis scheint ursprünglich nur ein Fenster gehabt zu haben. Das alt erhaltene Chornordfenster hat, was sonst bei Fenstern an Feldsteinkirchen

 

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selten vorkommt, eine Backsteinbogenstirn aus Läufern (oder ¾-Längen). Die Stelle der beiden, auch hier nicht genau in einer Achse gelegenen Schiffsportale zeichnet sich nur noch im Kircheninneren in schwachen Spuren ab. Ob der jetzige Westeingang ursprünglich ist oder in neuerer Zeit unter Verwendung der alten Schiffsportalquadern eingefügt wurde (wie z. B. in Kossebau und Gladigau) ist unbekannt. Während die Portale der altmärkischen Feldsteinkirchen (wie auch der romanischen Ziegelbauten) in aller Regel tympanonlos sind, ist die Bertkower Priestertür durch ein Granit-Bogenfeld ausgezeichnet, das früher getüncht und vielleicht mit einem Kreuz bemalt war (vgl. Flessau!). Diese Pforte hat zwei Rundbögen übereinander, deren wenig sorgfältig bearbeitete Steine stark deckend verputzt sind mit einfacher Fugenritzung. Der oberste Teil der Chorsüdwand war flächig angeputzt mit zwei eingeritzten Kreuzbogenfriesen übereinander. Am anschließenden Schiffsostwandstück setzt sich diese Zier vereinfacht fort. Auch solche Nachahmung einer typischen Backstein-Schmuckform scheint zu erweisen, daß die Bertkower Kirche erst einige Zeit nach dem Aufkommen des Ziegelbaus in unserer Gegend (letztes Drittel XII. Jh.) errichtet ist, also vielleicht um 1200. Das Tonnengewölbe des Turmerdgeschosses wird wiederum durch eine Mauertreppe umgangen, die hier aber in der Turmostwand liegt und deren Zugang vom Schiff her hoch oben unter der Decke nahe der Südecke sitzt.

 

Auf der Weiterfahrt ist von Goldbeck aus ein Abstecher nach M Ö L L E N D O R F möglich, dessen Gotteshaus ein schönes Beispiel für eine ursprünglich Turm- und apsislose Feldsteinkirche bietet. An den alten Westgiebel, in dem die Glocke hing (s. Wohlenberg!), wurde im XVIII. Jh. mit zwiefachem Rücksprung ein Fachwerkturm angebaut. Die Schichten des steinsichtig verputzten Mauerwerks sind relativ gut eingehalten. Der Haupteingang wurde 1863 von der Nord- auf die Westseite verlegt. Die Priesterpforte in der Chorsüdwand und das kleine Osterfenster sind in alter Form erhalten. Der Chor und das immerhin fast 9 m lange Schiff sind jeweils mit einem einzigen, flach-kuppligen Kreuzgratgewölbe aus Backstein überwölbt. Damit und in den Abmessungen ähnelte Möllendorf auffallend der ursprünglich turmlosen spätromanischen Backsteinkirche im 12 km entfernten Niedergörne a. d. Elbe, die unnützerweise 1976 anläßlich des KKW-Baus weggesprengt worden ist. Allerdings war dort das Schiff in zwei Jochen

 

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gewölbt. In der Möllendorfer Kirche sind umfangreiche Reste spätgotischer Wandmalerei erhalten.

 

K L . S C H W E C H T E N liegt am Nordrand eines den Stendaler Kreis bis nach Buchholz an der Letzlinger Heide hin durchziehenden Gebietes, in dem oft Dorf bei Dorf eine vierteilige Feldsteinkirche mit Apsis steht. Die dem St. Laurentius geweihte Kl. Schwechtener gehört zu den kleineren unter ihnen, aber sie ist durch einige Besonderheiten ausgezeichnet und damit einer der bedeutendsten und interessantesten Feldsteinbauten unseres Kreises. Als erstes fallen die beiden, wohl nach dem Vorbild der Stendaler Marienkirche gestalteten Spitzen auf, die seit dem XV. Jh. den Querturm statt des auch hier ursprünglich anzunehmenden Satteldachs krönen. Der Chor der Kirche ist ausgesprochen queroblong, und das erklärt sich wohl am ehesten durch einen frühen Zusammenhang mit dem Havelberger Dom. Dorthin scheint auch das Laurentiuspatrozinium zu weisen. Im XII. Jh. waren noch viele Vorstellungen und Traditionen aus vorchristlicher Zeit im Volk lebendig, und es ist gut denkbar, daß der mächtige Granit-Taufstein, eine einfache Kufe, einst ein heidnischer Opfer- oder Kultstein war, den man nun zwang, der christlichen Religion dienstbar zu werden. So wurde den noch in abergläubischen Ängsten befangenen Menschen sicht- und anfaßbar demonstriert, daß der in dieser Kirche verkündigte und verehrte Christus stärker ist als die alten Götzen und Dämonen der Vorzeit. Kl. Schwechten scheint dann eine gewisse Vorrangstellung, vielleicht als früher Erzpriestersitz, eingenommen zu haben. Darauf weist schon die in der Altmark seltene Verdoppelung des Bogens zwischen Schiff und Turm. Mit dem querrechteckigen Chor wurde Kl. Schwechten vorbildlich für die benachbarten Kirchen in Rindtorf, Linttorf, Beelitz und Baumgarten und die in dem etwas weiter entfernten Bindfelde (alle im Krs.Stendal). Das erwähnte Bogenpaar aber wurde im benachbarten Eichstedt nachgeahmt, dessen Kirche vielleicht in einer gewissen Konkurrenz zu Kl. Schwechten stand - in Eichstedt gab es eine alte Burg mit einem bedeutenderen Adelsgeschlecht - und wo noch im XVIII. Jh. zwei neue aufwendige Turmhauben errichtet wurden, wohl um Kl. Schwechten zu übertrumpfen. In dem portallosen Westturm ist der ausgesprochene Dunkelraum des Erdgeschosses ausnahmsweise nicht mit einer Quertonne, sondern mit 2 Kreuzgratgewölben gedeckt (wie in Kleinau).Hier sind auch noch die beiden nächsten Geschosse gewölbt, jeweils mit einer Quertonne aus Backstein. Das erste Obergeschoß hatte außer dem Zugang vom Schiff je ein „Luerlock“ im Westen und Norden, das zweite ebenfalls eines im Norden. Der Haupt-

 

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eingang aus Feldstein an der Schiffssüdseite besitzt eine große gotische Vorhalle mit reich gegliedertem Giebel, das schräg gegenüberliegende Nordportal mit Spitzbogen aus Backstein ist sicherlich erst später eingefügt worden. Im Inneren wird die Bretterdecke von Schiff und Chor von urtümlich wirkenden, axtbehauenen Balken (XVII. Jh.?) getragen. In der Apsis sind romanische Wandmalereien aus der Zeit um 1220 erhalten, in schlichter Manier mit schwärzlichen Konturen auf elfenbeinfarbenen Grund gezeichnet: an der Apsiskuppel der thronende Christus in einer Mandorla vor dem Hintergrund von Sonne, Mond und Sternen, umgeben von den vier Evangelistensymbolen (oder Engeln?), mit Maria und Johannes als Fürbittern. Die Malerei wird umrahmt von Ranken- und Palmettenfriesen. Unterhalb der Fensterzone war die Wand mit einer rundbogigen Arkatur und Klein- und Großquaderung bemalt. Unter zwei der Bögen ist das Martyrium des Hl. Laurentius erkennbar, unter dem dritten ein zu einer anderen Szene gehörender Engelskopf. Neben dem Fenster ist als Rest einer spätgotischen Übermalung das Bild einer gekrönten Frau erhalten.

 

In H Ä S E W I G war die spätromanische oder frühgotische Feldsteinkirche ursprünglich ein ganz einfacher kleiner Saal, vielleicht mit Apsis, die im XV. Jh. durch einen querschiffartig gestalteten, breiten Chor ersetzt wurde. Die alt erhaltene Holztür des jetzigen Haupteinganges, der früheren Priesterpforte, hat noch ihre schmiedeeisernen Beschlagbänder, die in Vogelköpfen enden und das Aufhacken erschweren sollten. Im Westen des Kirchenschiffs steht der pokalförmige Granittaufstein, offenbar auf dem ursprünglichen runden Backsteinsockel. Auch der Fußboden aus Ziegelsteinen und Katzenkopfpflaster wirkt sehr altertümlich. Von der Straßenkreuzung der F 189, wo unser Weg nach Norden abbiegt, sieht man in der Ferne die Kirche von Gr. Schwechten im Stendaler Kreis, die ebenfalls einen Besuch lohnen würde.

 

Über Ziegenhagen, dessen Kirchlosigkeit in der mittleren Altmark eine Ausnahme ist, geht es nach E R X L E B E N . Der Ortsname scheint in der Kolonisationszeit des XII. Jh. aus der Magdeburger Börde hierher übertragen worden zu sein, und die Siedler nannten auch die neue Kirche nach dem Heiligen ihres heimatlichen Gotteshauses, dem St. Godehard (falls nicht frühere Historiker die beiden Erxleben verwechselt haben !). Dieses Zusammentreffen ist sehr selten und daher für die Siedlungsgeschichte hochwertvoll. Der Westquerturm der vierteiligen Feldsteinkirche ist weithin im Land sichtbar. Ursprünglich war auch er im Westen geschlossen, und das

 

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tonnengewölbte Erdgeschoß hat keine seitlichen Lichtschlitze. Das Feldsteinmauerwerk ist in Steinbearbeitung und Schichtung recht sorgfältig, auffallenderweise auch am Turm bis in die Giebel hinein, obwohl die Schallfenster bereits spitzbogig und aus Backstein hergestellt sind. Unregelmäßigkeiten mögen von Ausbesserungen stammen. Das Schiffsnordportal und das hier einmal ziemlich genau gegenüberliegende, jetzt vermauerte südliche haben sauber gearbeitetes Granitgewände und Backsteinbögen aus übergroßen Spezialziegeln und mit Bogenbegleitschicht aus flach gelegten Läufern, das nördliche hat Granitkämpfer. Im Süden ist ein Choranbau (Sakristei oder Nebenkapelle?) abgerissen, der jetzige im Norden ist spät- oder nachmittelalterlich. Die romanische Apsis wurde im XV. Jh. durch eine größere polygonale ersetzt. Der Chor ist tonnengewölbt, und das war offenbar von Anfang an so geplant, da die Seitenwände als Widerlager ca. 2 m stark sind. Einen tonnengewölbten Chor hat sonst in der Altmark nur die ursprünglich turmlose Kirche in Jarchau bei Stendal (In Grobleben scheint das Chorgewölbe erst aus der Barockzeit zu stammen). Die Frage muß offen bleiben, woher die Anregung zu diesem außergewöhnlichen Chorgewölbe nach Erxleben kam : aus dem ostelbischen Backsteingebiet (Schönhausen, Jerichow-Nebenchöre), aus der mutmaßlichen Heimatlandschaft der Neusiedler (Kl. Bartensleben, Nebenchöre der Klosterkirchen zu Halberstadt-Liebfrauen, Hamersleben, Gröningen), aus Verden-St. Johannes (aber Erxleben gehörte zur Halberstädter Diözese) oder aus ganz anderen, uns unbekannten Quellen. Eine weitere Besonderheit in Erxleben sind Reste qualitätvoller romanischer Wandmalerei am stehen gebliebenen Ansatz der ursprünglichen Apsis. Dargestellt war wie in Kl. Schwechten in der Apsiskuppel Christus in der Mandorla, umgeben von den vier Evangelistensymbolen mit Maria und Johannes als Fürbittern.

 

In P O L K A U ist die altmarktypische breite Dorfstraße am östlichen Eingang (ursprünglich an beiden Enden) durch quer zur üblichen Traufrichtung stehende Gebäude eingeengt und so die traditionelle Bauart der mittelaltmärkischen Dörfer noch gut erkennbar. Nördlich der Straße liegt hinter der alten Feldsteinmauer der Friedhof, und auf ihm steht die Peter-Pauls-Kirche, ein ursprünglich zweiteiliger Bau, der erst in spätgotischer Zeit einen Westquerturm erhielt. Die Südwand des Turmes weicht etwas aus der Flucht ab, sein Feldsteinmauerwerk ist ziemlich amorph, und die Ecken sind aus Backsteinen aufgemauert. Bemerkenswerterweise

 

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hat auch dieser späte Turm kein Westportal (dgl. in früh- oder hochgotischer Zeit Gr. Rossau und Niedergörne). Doch wird dies nichts mehr zu tun haben mit doppelpoliger oder gerichteter Auffassung des Kirchengebäudes, gar mit der alten Auseinandersetzung zwischen eigen- und reformkirchlichen Ideen, sondern man folgte unreflektiert dem damals bereits seit Jahrhunderten geübten Brauch. Die Schiffsnordwand zeigt wie nur wenige Dorfkirchen unseres Kreises das alte Bild mit hochliegenden kleinen (nur durch neuzeitliche Putzrahmen etwas entstellten) Rundbogenfenstern über dem jetzt vermauerten Feldsteinportal mit Backsteinbogen und schönen Granitkämpfern in Karniesform (=glockenförmig geschwungen). An der geraden Chorostwand ist das Osterfenster verdoppelt.

 

G R . B A L L E R S T E D T. Die Margarethenkirche auf dem hochgelegenen Friedhof ist eine große vierteilige Feldsteinkirche, ursprünglich ohne Westeingang. Die fast 1,50 m dicken Wände in Schiff und Ostteilen hat sie in unserem Kreis nur mit der im nahen Flessau gemeinsam, während die Turmmauern, wie hier, auch sonst oft 2 - 2½ m stark sind. Die Apsis, deren Grundrißhalbkreis nach hochromanischem Brauch im Kircheninneren liegt, hat außen unter der Traufe einen nur in Resten erhaltenen Putzstreifen. Hier mag ein Fries eingeritzt oder aufgemalt gewesen sein, was noch näher untersucht werden müßte. Am Schiffsportal steht im inneren Gewände rechts ein pfostenartig langer Granitstein. Der äußere Bogen aber ist nicht aus Feldsteinmaterial, sondern aus Kalksteinquadern gefügt. Ob diese aus dem einzigen altmärkischen Kalksteinvorkommen bei Altmersleben stammen können oder aber von weiter her eingeführt sind, bedürfte fachmännischer Prüfung. Vielleicht kann man auf diesem Wege Aufschlüsse gewinnen über die noch immer unbekannte Herkunft der Erbauer unserer Dorfkirchen. Auch die Priesterpforte gibt ein Rätsel auf: Kann das kreisrunde Loch in dem mächtigen Sockelstein des linken Gewändes ein vorgeschichtliches „Näpfchen“ sein, so daß dieser Findling vielleicht schon in heidnischer Zeit eine kultische Bedeutung gehabt hätte? (Ein kleinerer Feldstein mit drei offenbar vorgeschichtlichen Näpfchen ist in der Schiffssüdwand in Jeetze Krs.Salzwedel eingemauert). Im Westteil des Kircheninneren steht, sicherlich am ursprünglichen Platz, der pokalförmige Taufstein, der hier nicht aus einem einzigen Naturstein gehauen, sondern (aus Backstein?) gemauert und dick mit Stuck verputzt ist. (dgl. in der spätgotischen Kapelle in Kl. Ballerstedt). Die Gr. Ballerstedter Kirche

 

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ähnelt in einigen Grundrißmaßen und weiteren Eigentümlichkeiten (z.B.: nur ein Schiffsportal) der im benachbarten Rochau Kr. Stendal, die vielleicht vom gleichen Meister und derselben Werkschar errichtet worden ist. Beide Dörfer gehörten damals wohl zum Allodialgut der Grafen v. Osterburg.

 

Auf der Weiterfahrt nach Meßdorf kommt man durch NATTERHEIDE, von dessen spätromanischer Feldsteinkirche nur noch der Westquerturm und der westliche Teil des Schiffes alt erhalten sind und durch S P Ä N I N G E N ,wo die frühgotische dreiteilige Feldsteinkirche mit zwei Fenstern in der Chorostwand in Grundriß und Aufbau noch alle Merkmale der romanischen Zeit aufweist und sogar ursprünglich zweipolig ohne Westeingang war. Es fällt auf, daß hier die Mauerstärke im Turm nur geringfügig größer ist als in Schiff und Chor. Leider ist jetzt von den noch vor 50 Jahren gut erkennbar gewesenen unterschiedlichen Putzfriesen an Chor und Schiff kaum mehr etwas erhalten.

 

In M E S S D O R F ist der Friedhof, der am Südabhang des Sandberges über dem Dorf liegt, sehr groß. Er ist von der alten Feldsteinmauer umgeben und durch 2 spätgotische Tore zugänglich. Die hiesige Gegend bildet die Südwestspitze einer „Insel“, die Milde, Biese und Markgraben aus der Stendal-Bismarker Hochfläche herausschneiden. So entstand hier eine bis nach Rönnebeck reichende Siedlungskammer, deren Vorort Meßdorf wurde (später Sitz einer von Bartenslebenschen Voigtei). Nach einer unsicheren Tradition soll das Dorf im XI. Jh. dem westphälischen Kloster Corvey a. d. Weser gehört haben. Auch kirchlich scheint Meßdorf hier an der Nordgrenze des Bistums Halberstadt eine Vorrangstellung eingenommen zu haben. Daher hatte sein Gotteshaus wahrscheinlich zwei Türme. Denn die beiden außen wie innen sichtbaren Nähte in der Ost- und der Westwand des Breitturmes legen die Annahme nahe, daß sich etwa in Höhe des Schiffsdachfirstes 2 schmale Einzeltürme aus dem Unterbau entwickelten. Die beiden ungeteilten Turmuntergeschosse waren tonnengewölbt. Die Anregung zu diesem Zwillingsturm scheint vom Stendaler Domstift zu stammen; denn die Backsteine in den alten Schallfenstern der vermuteten Türme wie am Bogen des Schiffsportals haben das gleiche Format wie die am Westbau des Domes, und man kann annehmen, daß sie von dort herangeschafft worden sind. Wie sparsam man mit dem wertvollen Material umging, zeigt die aus liegenden Bindern gebildete Bogenbegleitschicht des

 

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Portals, bei der bisweilen auch kürzere Bruchstücke mit vermauert und die dadurch entstandenen Unregelmäßigkeiten mit eingeritzten und aufgemalten „falschen“ Fugen verdeckt wurden. Da das Stendaler Domstift erst 1188 gegründet ist, wird die Meßdorfer Kirche nicht sehr lange vor 1200 erbaut worden sein. Stilistisch paßt zu dieser Datierung, daß die beiden schönen Granitkämpfer des Tores unterschiedlich profiliert sind, der rechte mit dem zeittypischen Karnies. Der heutige Westeingang stammt von 1881/82 aber ein darüber sich abzeichnender Feldsteinbogen scheint anzudeuten, daß hier schon ursprünglich ein großes Portal war. Damit hätte die Meßdorfer Kirche in reformkirchlicher Architekturtradition gestanden, die das Gotteshaus als wegartig auf den Altar hin ausgerichteten Raum auffaßte. Das Turmuntergeschoß war in solchen Kirchen nicht mehr jener geheimnisvolle Dunkelraum, von dem wir bis heute nicht wissen, was in ihm eigentlich geschah, sondern es diente nun als Vorhalle zum Schiff. Im Plan der Meßdorfer Kirche geht diese Bauidee vielleicht auf Stendaler Domherren zurück. Die relativ flach sich herauswölbende, aber recht breite Apsis hatte auch hier ursprünglich nur ein Fenster. Deutliche Verwandtschaft zeigt in einigen Grundrißmaßen, mit dem gleichen Backsteinformat und anderen Merkmalen die Kirche in dem 14 km südöstlich gelegenen Schinne, das von Anfang an dem Stendaler Domstift gehörte. Auch sie war ein Richtungsbau mit altem Westeingang, und auch dort scheint ein Turmpaar geplant gewesen zu sein, das aber nicht ausgeführt wurde. Die Kirchen zu Meßdorf und Schinne sind also vermutlich nach dem gleichen, aus Stendal stammenden Plan und von derselben Werkschar errichtet worden. Sehr lange aber hatten die Meßdorfer Zwillingstürme nicht Bestand, dann wurde die Lücke zwischen ihnen geschlossen und das jetzige Glockengeschoß aufgestockt. Das kann trotz der spitzbogigen Schallfenster (unter runden Überbögen) spätestens um 1250 geschehen sein; denn in den Schallfenstern und an deren Trennsäulen mit Ecknasenkapitellen sind die Backsteine (anderen Formats) noch in romanischer Manier geriffelt. Auch in Meßdorf war die Apsiskuppel in spätromanischer und dann wohl noch einmal in gotischer Zeit figürlich bemalt, wie zahlreiche kleine Bruchstücke des 1882 abgeschlagenen Putzes zeigen, die sich vor Jahren bei einer Grabung im Chor fanden. Die Meßdorfer Kirche war offenbar der Leitbau für die meisten der kleinen Dorfkirchen in der genannten Kleinlandschaft; denn die innere Schiffsbreite beträgt in Späningen, Natterheide, Schmersau und Schönebeck mit nur wenigen Zentimeter Differenz 3/4, in Biesenthal 2/3 der von Meßdorf,

 

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was kein Zufall sein dürfte. Der Triumphbogen ist 1882 erweitert und neu gemauert worden.

 

Auf der Rückfahrt nach Späningen hat man gleich hinter Meßdorf rechter Hand einen weiten Blick übers Land, bei dem die Westquertürme von Schönebeck, Möllenbeck und Dobberkau (die beiden letzten liegen im Krs. Stendal) die Akzente setzen. Hier wird deutlich, daß in der Altmark der Begriff „Kulturlandschaft“ in starkem Maße mit durch den romanischen Kleinkirchenbau geprägt ist.

 

Auch in F L E S S A U sind das gotische Backsteintor und z. T. die Feldsteinmauer des Friedhofs erhalten geblieben. Die 1230 geweihte St. Petrikirche ist ein dreiteiliger apsisloser Feldsteinbau, ursprünglich ohne Westeingang. Einmalig in unserem Kreis und wohl in der ganzen Altmark ist der mit einem erhabenen Kreuz geschmückte Findlingsstein über der Priesterpforte. Im Westquerturm sind zwei Tonnengewölbe übereinander. In das erste Turmobergeschoß gelangte man durch ein "Luerlock" in der Westwand und vom Schiff aus durch eine seitliche Schlupftür in Höhe der jetzigen Orgelempore. Die Schallfenster sind durch Säulen geteilt, deren Backsteine offenbar nachträglich mühsam auf die Rundform zugehauen sind. Der Chor ist in spätgotischer Zeit mit einem Kreuzrippengewölbe gedeckt. Da der alte Altar erhalten ist, lassen sich hier wieder interessante Maßverhältnisse feststellen. So beträgt im Chor die Breite 2 1/2 a und die Länge 3 1/3 a, im Schiff die Breite 4 a und die Länge 1 Fuß mehr als 6 a; die Breite des Westbogens verhält sich zu der des Triumphbogens etwa wie 3:4.

 

S T O R B E C K . Obwohl das Dorf noch in dem an Findlingsgranit reichen Moränengebiet der altmärkischen Höhe liegt, ist seine Kirche über einem ca. 2 m hohen Feldsteinteil in Backsteinen weitergebaut. Wie der Rundbogen an den Schiffsportalen und an dem Osterfenster der platten Ostwand anzuzeigen scheint, geschah das wohl noch in romanischer Zeit. Die Anregung zu dieser Änderung mag wie in dem nahegelegenen Gr. Rossau vom Kloster Krevese gekommen sein, zu dem offenbar schon früh Beziehungen bestanden. Für eine romanische Dorfkirche unseres Kreises singulär ist der sehr schmale, fast quadratische Westturm. Er weicht zudem etwas von der Kirchenachse nach Südwesten ab. Da sein Feldsteinmauerwerk nicht im Verband mit dem Schiff zu stehen scheint, wird er wohl erst nachträglich angefügt worden sein, aber noch vor dem Übergang zum Ziegelbau, da in dieser nächsten Periode Langhaus und Turm in einem Zug durchgemauert sind. Die Turmgiebel, die ihn dem Bild eines Westquerturms anzugleichen versuchen, bestehen

 

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wieder aus Feldsteinen. Der jetzige Westeingang stammt von 1891. So zeigt das Beispiel der Storbecker Kirche, wie schnell sich gerade in dieser Frühzeit verschiedene Bauideen ablösen konnten.

 

Über Osterburg geht es nun weiter nach Osten, wieder in die Wische. In M E S E B E R G steht die erste von Anfang an als Backsteinbau geplante Dorfkirche auf unserem Kurs. Leider hat sie in früheren Zeiten besonders viele Schäden erlitten. So fehlt außer den Ostgiebeln von Schiff und Chor wohl auch die ursprüngliche Mauerkrone der Apsis, und es ist daher nicht sicher, ob der sehr zurückhaltende Schmuck der Kirche - einfacher Konsolfries mit unverzierten Konsolen und Zahnschnittband - wirklich dem einstigen Bild entspricht. Baumeister und Werkleute kamen vermutlich aus Havelberg; denn dort wurde gegen 1200 bei der Errichtung des Glockengeschosses auf dem Domturm das gleiche ungewöhnlich dicke Backsteinformat verwendet wie hier und an der Königsmarker Apsis. Aus Havelberg, dessen Domstift wie das ihm eng verbundene Kloster Jerichow damals eine Hochburg des Reformordens der Prämonstratenser war, ist aber sicherlich nicht nur die Technik der Backsteinherstellung und der Ziegelbauweise vermittelt worden, sondern auch eine Reihe von neuen Bauideen. Die Proportionen sind bei den Backsteinkirchen durchweg gestreckter und oft auch steiler als bei den meisten Feldsteinbauten. Viele Kirchentüren sind offenbar eine Besonderheit der Prämonstratenser, die mit ihrem Charakter als Seelsorgeorden zusammenhängen wird - in Meseberg waren es ursprünglich 4 Eingänge, während die nicht sehr viel kleinere Feldsteinkirche in Gr. Ballerstedt anfänglich mit einem Schiffsportal und der Priesterpforte auskam. Vor allem ist das Westportal als Haupteingang und damit die konsequente Auffassung der Kirche als Richtungsbau in der Havelbergisch und Jerichowisch geprägten Ziegelarchitektur die Regel, die in deren ostelbischem Stammland ausnahmslos befolgt wurde. Auch der bei solch großem Bau verwunderliche Verzicht auf einen massiven Turm wird durch Vorbilder im Elb-Havel-Winkel angeregt sein, wo die wahrscheinlich einst turmlosen Kirchen in Melkow, Gr. Mangelsdorf und Gr. und Kl. Wulkow auch sonst einiges mit Meseberg Vergleichbare bieten; (in der Barockzeit wurde dann ein Fachwerkturm aufgesetzt.) Auch das Rahmenportal an der Schiffsnordseite (das in der Südwand wurde neuzeitlich verändert) ist eine typische Form in der ostelbischen Ziegelarchitektur. Schließlich fand auch noch eine backsteintechnische Einzelheit den Weg aus dem Jerichowgebiet nach Meseberg: die ährenförmige Riffelung mancher Steine. Natür-

 

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lich ist die Auseinandersetzung zwischen eigen-und reformkirchlichen Bauideen nicht so eindeutig abgelaufen, wie es in unserer heutigen, an systematisierende und schematisierende Begriffe gewohnten Sicht erscheinen möchte. Manches, hinter dem wir den Ausfluß prinzipieller Entscheidungen wittern, wird nur auf eine Zeitmode oder umgekehrt auf unreflektierten Konservativismus zurückgehen. Auch ist das Gegenüber jener beiden Richtungen in der romanischen Sakralarchitektur, das gerade im Kreis Osterburg das Bild des Dorfkirchenbaus bis heute mitbestimmt, wie alles menschliche Geschehen nicht frei von Widersprüchen und Inkonsequenzen, und notwendige Kompromisse haben oft die Konturen verwischt. So ist in Meseberg das Westportal, das den Erbauern besonders wichtig gewesen sein dürfte, vielleicht schon früh wieder geschlossen worden und heute von außen gar nicht mehr erkennbar. Auch darf nicht der Eindruck eines zeitlichen Nacheinanders von Feldstein- und Ziegelbau entstehen. Denn wenn auch mancherorts der Findlingsgranit vom Backstein abgelöst wurde (Uchtenhagen, Storbeck), so muß man doch grundsätzlich mit einer Gleichzeitigkeit beider Bauweisen rechnen. Es gibt keine altmärkische Feldsteinkirche, die nachweislich älter wäre als die Ziegelbauten in Arendsee, Diesdorf und Krevese; und in Jerichow wurde wahrscheinlich schon lange mit Backsteinen gebaut, ehe die ersten Feldsteinkirchen unseres Kreises entstanden.

 

In der Gegend von K Ö N I G S M A R K gabelte sich in alter Zeit der von Osterburg kommende Weg in die Richtungen Sandau-Brandenburg und Werben-Havelberg. Vermutlich sollte hier im letzten Viertel des XII. Jh. im Rahmen des planmäßigen Landesausbaus ein Marktort entstehen. So läßt sich einleuchtend erklären, warum in diesem kleinen Dorf solch eine große und aufwendig gestaltete Basilika steht. (Ähnlich war es wohl in Schönhausen/Elbe und Jeeben b. Beetzendorf). Sie ist ein querschiffloser Backsteinbau und wurde in mehreren Bauabschnitten errichtet (Baunaht zwischen Chor und Schiff!); die Seitenschiffe fehlen wohl schon seit dem 30jährigen Krieg. Das flachgedeckte Langhaus hat 5 Arkaden, halb so viele wie der Havelberger Dom, die längliche Kreuzform der westlichen Mittelschiffspfeiler wird ebenfalls von dort angeregt sein, und auch die ährenförmige Backsteinriffelung begegnet hier wieder. Im östlichen Schiffsteil stehen unter den Arkaden als Pfeilervorlagen Halbsäulen mit Trapezkapitellen dänischer Provenienz. Das Äußere zeigt am Hochschiff einen einfachen Konsolfries über schmalen Wandlisenen, am Chor einen großen Rautenfries im Süden und den

 

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A-Fries im Norden. Die durch barocken Putzüberzug und große Rechteckfenster veränderte Apsis ist jetzt ganz schmucklos. Die Priesterpforte ist ein schönes Rahmenportal Jerichower Art mit eingelegtem Rundstab im Rücksprung. Ob aber der mittelschiffsbreite Westquerturm ohne Eingang von außen ursprünglich ist oder erst nachträglich zugefügt wurde, muß noch untersucht werden. Das jetzige Glockengeschoß ist spätergotisch.

 

In IDEN , nahe dem Südrand der Wische, steht wieder eine große vierteilige Feldsteinkirche, deren Westportal erst von 1888 stammt. Damals wurde im Westen eine Vorhalle mit seitlichen Treppenhäusern angebaut und so kann man nicht mehr sehen, daß in Iden als dem einzigen Beispiel im Kreis Osterburg der Turm breiter ist als das Schiff. Das lag durchaus in der Konsequenz der Stufung unserer Dorfkirchen in Grund- und Aufriß, muß aber nicht unbedingt ein Zeichen für höheres Alter sein, da es eine zusätzliche Anzahl gut bearbeiteter, also teurer Ecksteine erforderte. Deshalb findet sich diese Eigenart im ostelbischen Backsteinbau, wo jener Hinderungsgrund ob der Einheitsform der Steine wegfällt, viel öfter. Der hohe Aufwand, den man sich beim Idener Kirchbau leistete, zeigt sich auch in der Qualität der Feldsteinbearbeitung, die am Schiff fast noch besser ist als an Chor und Apsis. Auffallenderweise haben aber beide Schiffsportale keine Kämpfer. Dafür ist bei ihnen der Bogen von einer Begleitschicht aus flachen Feldsteinen umgeben. Es muß offen bleiben, ob das die Nachahmung einer Ziegelbauform ist - in Bretsch und Dobbrun besteht diese Begleitschicht bei reinen Feldsteinportalen aus Backsteinläufern - oder auf mitteldeutsche Werksteinvorbilder zurückgeht (Fenster in Magdeburg-Liebfrauen und -St. Sebastian u. a. O.). Das Nordportal ist etwas weniger sorgfältig gearbeitet. Die alte Priesterpforte ist beim Umbau zerstört. Im Turm ist über dem sehr engen Untergeschoß das Tonnengewölbe erhalten, darüber ist in der Nordwand innen der Rest des alten Luerlock erkennbar. In der Apsis ist die romanische Wölbung durch eine gotische Rippenkuppel ersetzt.

 

Über das kirchlose Busch geht es zu dem Marschhufendorf G I E S E N S L A G E und seiner wenig veränderten Ziegelkirche. Diese zeigt mit ihren schlanken Proportionen, dem reich entwickelten Formenapparat, den schönen Rahmenportalen und dem Haupteingang im Westquerturm, sowie in der Materialbehandlung typische Merkmale des entwickelten Jerichower Backsteinbaus. Die Apsis ist

 

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durch rechteckige Wandlisenen in drei Felder geteilt und schließt oben mit Kreuzbogenfries und Zahnschnittband ab. Ihre seitlichen Fenster sind vor 25 Jahren rekonstruiert worden. In der Bogenlaibung des zuvor vermauert gewesenen mittleren entdeckte man damals eine schachbrettartige rot-weiße Bemalung. An der Chorsüdseite sind die z. T. beschädigten und daher nicht immer genau erkennbaren Konsolen des Kreuzbogenfrieses wohl alle verziert gewesen, z. B. mit Herz und „Diamant“. Mindestens drei von ihnen zeigen sehr verschieden aufgefaßte Köpfe. An der Chornordwand ist über den Spuren der abgerissenen Sakristei ein Rautenfries auf unverzierten konkaven und konvexen Konsolen, am Schiff im Süden ein Winkelfries und im Norden eine einfache Konsolreihe, darüber ein Zahnschnittband (an der Schiffsnordseite deren zwei). Am Westquerturm, dessen Glockengeschoß ohnehin erst aus dem XIV. Jh. zu stammen scheint, sind die alten Schmuckelemente mehrfach gestört und der merkwürdig ungefüge Spitzbogenfries an der Südseite wahrscheinlich eine spätere Zutat. Die Fenster der Schiffsnordseite haben zweifach abgetrepptes Gewände (romanisch?). Aber auch Giesenslage ist nicht einfach die Kopie einer ostelbischen Backsteinkirche. Einige Motive aus der inzwischen entwickelten eigenständig altmärkischen Bautradition haben sich auch hier behauptet, so der betonte und in dem neuen Material schön profilierbare Sockel, der im Havelberg-Jerichower Ziegelgebiet allenfalls an der Apsis geduldet wurde (Sandau), aber - mit unterschiedlicher Ausformung im einzelnen - z. B. in den altmärkischen Backsteinbasiliken in Arendsee, Diesdorf und Salzwedel erscheint. Und die relativ kleinen Fenster in Giesenslage erinnern eher an unsere Feldsteinkirchen als an Ziegelbauten im Elb-Havel-Winkel. Auch die Auffassung des Altars als maßstabsetzende verborgene Mitte des Kirchengebäudes wurde von den Prämonstratensern der sächsischen Zirkarie offenbar abgelehnt, erscheint aber hier in Giesenslage, wo die Chorbreite ziemlich genau 2 a beträgt. Der Chor ist mit einem kuppligen Kreuzgratgewölbe und das Turmerdgeschoß mit einer Quertonne gedeckt. Die Mauertreppe zum Turmobergeschoß ist ebenerdig vom Schiff aus zugänglich.

 

Von Giesenslage führt ein kleiner Abstecher nach B E R G E , das an den Resten eines vorzeitlichen Elblaufs liegt. Hier übereignete Markgraf Albrecht der Bär 1151 dem Havelberger Domstift eine Nikolaikirche. Die jetzige Dorfkirche, nächst Krüden (b. Seehausen) die größte im Kreis Osterburg, ist ein vierteiliger Backsteinbau

 

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aus der ersten Hälfte des XIII. Jh., der mit der Vierzahl der Eingänge und mit Kreuzbogen- und Winkelfriesen dem im Elb-Havelgebiet üblichen Brauch folgt. Besonders aber an den reich und unterschiedlich gestalteten Portalen sind Havelberg-Jerichower Motive spätzeitlich weiterentwickelt. So haben alle Portale außer dem am Chor eine breite und etwas flachere Bogenform; an den Schiffsportalen sind die Kapitelle gegenüber der Gewändeflucht in der Achse verdreht, am Westtor sind die Gewändesäulchen drei Schichten unterhalb des Kapitells abgekragt (alt?); am Südeingang ist der vorderste Rücksprung flach-giebelförmig um die anderen Archivolten herumgeführt (dgl. in Sommerstorf b. Waren/Mecklenburg und vergleichbar mit anderer Umlaufform in Neuenklitsche Kr. Genthin, Schobüll bei Husum und an der Möllner Chorpforte); an der Priestertür ist die gekehlte Eckabfasung verdoppelt, wobei am rechten Gewände der senkrechte Mittelgrat oben in einer verspielten Laune (? oder mit tieferer Bedeutung ?!) als Gesicht mit hängender Nase, Triefaugen und Hamsterbacken gebildet zu sein scheint. Daneben begegnen in Berge auch Bauformen, die aus anderen Quellen stammen müssen. Denn die Apsis ist entgegen dem Brauch im Jerichowgebiet durch einen leichten Rücksprung in Fenstersohlbankhöhe mit Taustabgesims horizontal geteilt, was an Krevese und Brandenburg-St. Nikolai erinnert. Die beiden Wandlisenen sind in der unteren Apsiszone rechteckig, in der oberen rund, in einer Technik versetzt, die sonst nur aus Diesdorf und Verden - St. Andreas bekannt ist. Der obere Apsiswandabschluß war wohl einmal zerstört und ist jetzt überputzt. Die Frieskonsolen sind fast alle mit - meist sehr simplen - Mustern verziert, haben hier aber ungewöhnlicherweise eine gewölbte (=konvexe) Grundform. Im Kirchengrundriß war der leicht queroblonge Chor vielleicht auch hier durch den Havelberger Dom angeregt. Die Westwand des sehr geräumigen Schiffes zeigt neben dem Durchgang zum Turm zwei gleichgroße Bogennischen. In deren südlicher beginnt die Mauertreppe, die wie in Giesenslage das Quertonnengewölbe des Turmerdgeschosses umgeht. Das Glockengeschoß des mächtigen Breitturmes stammt wohl erst aus der Zeit um oder nach 1250.

 

In W E R B E N ist von der Kirche, die Albrecht der Bär 1160 dem Johanniterorden übergab, auch nichts mehr erhalten, doch wurde sie in den folgenden Jahrzehnten durch eine stattliche Backstein-Basilika ersetzt, deren frühgotisch aufgestockter Westquerturm beim Neubau einer Hallenkirche im XV. Jh. stehen blieb. Auffallenderweise ist er im Westen portallos geschlos-

 

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sen. Vielleicht kam ja in diesem Fall die altmärkische Baugewohnheit den Intentionen der johannitischen Ordensritter entgegen, so daß hier - wie z. B. auch in Arendsee - nur das Baumaterial und der Formenschatz aus dem prämonstratensisch geprägten Jerichowgebiet übernommen wurden, nicht die damit verbundenen architektonischen Ideen. Innen ist in der nördlichen Laibung des Durchganges vom Turm zum Mittelschiff eine Bogennische für einen Nebenaltar ausgespart. Der Raum über dem tonnengewölbten Turmerdgeschoß wird durch ein großes Rundfenster erhellt, das außen von einem Zahnschnittband umgeben ist. Die jetzt vermauerten romanischen Schallfenster stehen wie Portale in rechteckigen Rahmen; unter ihnen ist ein nicht sehr sorgfältig versetzter Winkelfries, über ihnen an den Schmalseiten ein Kreuzbogenfries, beide mit begleitendem Zahnschnittband. Zum lebendigen Eindruck des Turmes tragen hier wie anderen Orts (Seehausen!) auch die vielen offen gebliebenen Rüstlöcher in der Mauerfläche bei. Von der Ausstattung und dem Schatz der Johanneskirche, die neben gotischen Glasmalereien und drei Altarschreinen weitere wertvolle und interessante Stücke aufweisen, ist vor allem der spätromanische Abendmahlskelch aus der Zeit um 1230/40 zu nennen, der an Fuß und Kuppa mit eingravierten biblischen Darstellungen geschmückt ist. Auf dem ehemaligen Komtureihof hat sich als einziges mittelalterliches Gebäude die spätromanische LAMBERTIKAPELLE erhalten, ein schlichter Rechtecksaal mit großem eingelassenem Putzkreuz in beiden Giebeln. Interessant ist vor allem, wie stark die Achse der Kapelle gegenüber der der Johanneskirche von der Ostrichtung nach Norden abweicht. Vom Gelände des Kindergartens aus ist das gut erkennbar.

 

Über WENDEMARK, dessen im Kern wohl frühgotische Ziegelkirche sehr stark verändert ist und LICHTERFELDE mit einem schönen gotischen Backsteinbau geht es nach F E R C H L I P P, das, abseits der Chaussee, aus meist vertreut liegenden Einzelhöfen besteht. Zunächst fällt auf, daß in dieser großräumigen Landschaft, in der sich die Dörfer oft kilometerlang hinziehen, die alten Pfarrkirchen von Lichterfelde und Ferchlipp kaum 500 m von einander entfernt sind; doch verlief zwischen ihnen die Grenze der Bistümer Halberstadt und Verden. Die Ferchlipper Kirche war ursprünglich dreiteilig ohne Turm und als Feldsteinbau begonnen worden, wofür man das Material von weither anfuhr. Die einzelnen, oft recht großen Steine sind wenig bearbeitet, aber sorgfältig mit Ausgleichschichten versetzt. Bereits nach etwas über 1 m

 

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Höhe ging man zum Backsteinbau über. Die sich flach vorwölbende, rel. schmale Apsis ist nach einem auch im Jerichowgebiet bei kleineren Kirchen geübten Brauch ungegliedert und hat oben einen breiten Putzstreifen mit eingeritztem Bogenfries (wie ehedem in Sydow Kr. Genthin), aber nur ein Fenster, dessen Bogenlaibung wohl ebenfalls bemalt gewesen war. Auf der Apsis liegt noch ein gotisches Mönch-Nonne-Dach. Der Chor hat im Süden als oberen Abschluß zwei in unterschiedlicher Weise versetzte Zahnschnittbänder, im Norden einen steilen Winkelfries mit offen gelassenen oberen Zwickeln und z. T. einfach profilierten Konsolen (sehr verwittert). Neben den Schiffsostecken - deutlich sichtbar besonders auf der Südseite - ist eine ausgeprägte Baunaht, westlich von ihr sind die Steine gleichmäßiger und härter. Merkwürdigerweise sind Süd- und Nordwand des Schiffes unterschiedlich gestaltet. Im Süden beginnen die breiten Ecklisenen erst weit oben, so daß die (heute meist vergrößerten) Fenster in einem einheitlichen, oben durch Zahnschnittfries abgeschlossenen vertieften Feld liegen. Auf der Nordseite steigen die Ecklisenen von unten auf, und aus dem großen, zweimal gestuften Portal, das bis 1885 niedriger war und in einem eckigen Rahmen lag, entwickelt sich eine breite Wandlisene. Übrigens ist hier im vorigen Jh. die eingreifende Veränderung (Abriß, Höherlegung und Neuaufbau des Portals) unter weitgehender Schonung des Bestandes und vielfach unter Wiederverwendung der ursprünglichen Backsteine so behutsam geschehen, daß man schon sehr genau hinsehen muß, um alt und neu unterscheiden zu können (ähnlich ist es z. T. in Arendsee). Oben schließt die Wand mit einem Konsolfries aus einfach abgeschrägten Steinen ab. Fraglich bleibt, ob das offenbar schon im Mittelalter wieder verschlossene spitzbogige Westportal ursprünglich oder erst später zugefügt war. In spätgotischer Zeit wurden über dem westlichen Schiffsabschnitt ein Breitturm errichtet und im Chor ein Rippengewölbe eingezogen. Aus einem Absatz in den inneren Chorseitenwänden hat man auf ein hier geplant oder gar ausgeführt gewesenes Längstonnengewölbe geschlossen (s. Erxleben!), doch spricht die „normale“ Mauerstärke im Chor eher gegen diese Vermutung. Die nördliche Schiffswand hat auch im Kircheninneren ein eingetieftes Wandfeld wie außen.

 

Im benachbarten F A L K E N B E R G , dessen Kirche St. Maria und Johannes geweiht ist, war der Bauverlauf ähnlich, doch sind hier Chor und Apsis ganz und auch noch der Anfang des Schiffes aus Feldsteinmaterial errichtet, z. B. an der Chornordwand in fast quaderartig perfekter Technik. Die im XIX. Jh. vorgenommenen

 

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Eingriffe waren aber so radikal, daß weder Fenster und Portale, noch Schmuckformen alt erhalten sind. Deshalb ist auch nicht erkennbar, ob der mächtige, in gotischer Zeit fertig gebaute Westquerturm schon ursprünglich einen Haupteingang hatte.

 

Dort, wo die Schleife an der 8 unseres Rundkurses ausläuft, liegt G R . B E U S T E R . Hier wurde im XII. Jh. ein Augustiner-Chorherrenstift St. Nikolai gegründet, über dessen Frühgeschichte wenig bekannt ist. Die Klausurgebäude sind verschwunden, die Stiftskirche aber ist wohlerhalten, wiederum eine querschifflose Basilika. Sie ist ein in der „großen“ Kunstgeschichte kaum beachteter, aber ob seiner in Mark und Altmark einmaligen Erscheinung hochbedeutsamer Bau. Auf den ersten flüchtigen Blick sieht man der Kirche mit ihren hell geputzten Wandflächen und dunkelroten Lisenen und Rundbogenfriesen gar nicht an, daß sie ein Backsteinbau ist. Das war wohl auch ursprünglich so gemeint, da die Fugen dieser Gliederungselemente rot eingefärbt waren, also möglichst unsichtbar bleiben sollten. Allerdings ist es fraglich, ob die Wandfelder schon von Anfang an hell gestrichen waren; die wohl ursprünglichen weißen Putzrahmen um die Fensterbögen sprechen eher dafür, daß die großen Flächen roh belassen oder mit einem anderen Rotton getüncht waren, von dem sich die Lisenen und Friese wirkungsvoll abheben konnten. Die Bogenlaibungen der Fenster waren streifenförmig bemalt (Spuren auf der Nordseite vor Jahren noch erkennbar). Die Kirche muß also ein recht lebhaftes Bild geboten haben. In gleicher Weise wie die Hochwände sind die Chorflanken gegliedert, aber zweigeschossig mit schmalen hohen Feldern in der unteren Zone (nach altem Muster zum großen Teil erneuert). Die Seitenschiffe sind heute ganz schmucklos, und auch romanische Portale haben sich nicht erhalten. Die auffallend niedrige Apsis - ihre Traufhöhe liegt etwa in Sohlbankhöhe der Chorfenster - ist horizontal geteilt und springt unter den sehr breiten (später vergrößerten?) Fenstern zurück. Nur die untere Zone ist mit vier rechteckigen Wandlisenen gegliedert, ein abschließender Fries ist nicht (mehr?) vorhanden. Nach undeutlichen Spuren im Dachboden der Seitenschiffe kann ein breiter ein- oder zweitürmiger Westbau geplant gewesen sein, der aber nicht ausgeführt wurde. Später baute man über dem westlichsten Teil des Mittelschiffs einen gotischen Breitturm. So hatte die Beustersche Stiftskirche in ihrem Äußeren nicht viel gemeinsam mit den anderen Basiliken unseres Kreises - vielleicht außer Krevese - , wie mit den Ziegelkirchen des Jerichowgebietes. Auch im Inneren wollte sie das Bild

 

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eines Hausteinbaus bieten. Denn während die anderen großen Backsteinkirchen der Altmark und der Mark unverputzte Innenwände hatten - nachgewiesen z. B. für Arendsee und erhalten u. a. in Diesdorf, Jerichow, Sandau und z. T. Lehnin -, kommen im Mittelschiff in Gr. Beuster unter dem abblätternden Putz Reste figürlicher (?) und auch architektonischer Malerei zu Tage. So hatten die Langhausarkaden eine Bogenstirn aus aufgemalten schwarzen Kleinquadern. Ansonsten gibt der Innenraum einige Rätsel auf, die noch der Lösung harren. Im Westen ragt die Substruktion des gotischen Turms in das Mittelschiff hinein, sie hat beiderseits die westlichste Langhausarkade, die übrigens etwas kürzer war als die folgenden, „verschluckt“, doch ist noch zu erkennen, daß die westlichste Stütze der Südreihe eine Säule ist, wie auch die vierte. Dieser „willkürliche Stützenwechsel“ ist vorerst unerklärlich. (In Sandau, das man zum Vergleich heranziehen könnte, ist das einzelne Säulenpaar in der südlichen Pfeilerreihe immerhin dadurch motiviert, daß das südliche Langhausportal auf die von jenen Rundstützen getragene Arkade zu führt.) Die sehr gedrungenen Säulen selber mit ihren nur mühsam in eine Form gebrachten niedrigen Trapezkapitellen erinnern an Krevese. Die Arkadenzahl stimmt im Norden und Süden nicht überein, und die Frage bleibt offen, ob die - wiederum etwas kürzere - sechste nördliche erst nachträglich eingebrochen oder umgekehrt im Süden eine alte Bogenstellung zugesetzt ist. Im XIV. Jh. wurden in Chor und Mittelschiff Rippengewölbe eingezogen. Im XIX. Jh. wurden die Vorlagen des Triumphbogens abgebrochen , und vor der Apsis zog man, wohl aus statischen Gründen, eine schmalere Bogenwand ein. Verschiedene in Gr. Beuster auffallende Eigentümlichkeiten finden sich in der um 1170 begonnenen Brandenburger Nikolaikirche wieder, die aber auch in Beuster Unbekanntes, vor allem Jerichower Provenienz zeigt. Deutlich ist zudem die Verwandtschaft mit Krevese und an der Apsis mit Berge. Die gemeinsamen Vorbilder für alle diese Bauten sind wohl im Elsaß zu suchen, und es ist noch nicht geklärt, welchem unter ihnen die Priorität in der Aufnahme jener Einflüsse gebührt. D. h. aber für Gr. Beuster: Bauherr und Meister können, aus welchen Gründen auch immer, die damals allgemein bekannten und gebrauchten architektonischen und Schmuckmotive des Havelbergischen und Jerichower Backsteinbaus bewußt ausgeschieden haben. Dann mag die hiesige Stiftskirche um oder nach 1200 erbaut sein. Oder aber

 

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diese Kirche wurde errichtet, ehe im letzten Drittel XII. Jh. die Einflüsse aus dem Elb-Havelgebiet in breiterem Strom in die Altmark eindrangen, und Beuster wäre demnach älter als alle anderen Ziegelkirchen der Wische und gar der ganzen Altmark. Um das entscheiden zu können, bedürfte es genauer Bauuntersuchungen in Gr. Beuster und den anderen Kirchen dieser Gruppe.

Im Chor steht ein achteckiger, spätromanischer Taufstein in Pokalform, der am oberen Rand einen zarten Rundbogenfries trägt. Der Taufstein kann ein Importstück aus Mitteldeutschland oder einer anderen Gegend sein.

 

Außer den auf dieser Route berührten und hier beschriebenen Bauten stehen in folgenden Orten unseres Kreises sehenswerte romanische oder frühgotische Kirchen: Altenzaun (romanisch?), Baben, Biesenthal, Bretsch, Calberwisch, Dequede, Dessau, Dobbrun, Drüsedau, Einwinkel, Gagel, Gladigau, Gr. Garz, Gr.- und Kl. Rossau, Höwisch, Jeggel, Käcklitz, Kläden, Krüden, Krumke, Losse, Neukirchen, Neulingen, Plätz, Kirchpolkritz, Rengerslage, Rönnebeck, Sanne, Schmersau, Schönebeck, Schönberg, Thielbeer, Vielbaum und Wollenrade. Auch viele der oben beschriebenen Kirchen bieten noch mehr an interessanten Baubefunden, als hier erwähnt werden konnte. Vor allem aber wäre es ein fragwürdiges Unterfangen, bei der Besichtigung einer Kirche, sei es auf der „Straße der Romanik“ oder bei irgend einer anderen Gelegenheit, sich allein auf den romanischen Bau zu beschränken und Kunstwerke anderer Zeiten unbeachtet zu lassen (wie es in den vorliegenden Zeilen geschehen mußte, aber nicht nachgeahmt werden sollte!).

 

Eine Bemerkung zum Schluß sei mir gestattet: Beim gelegentlichen Nachprüfen meiner ca. 30 Jahre alten Aufzeichnungen vor Ort mußte ich feststellen, daß manches damals Beschriebene jetzt kaum mehr erkennbar ist. So ist z. B. in Arendsee - dem industriefernen Luftkurort! - der Zustand der Klosterkirche stellenweise in erschreckendem Maß gefährdet. Am Hauptportal könnte man heute bereits manche Steine ohne viel Mühe zwischen Daumen und Zeigefinger zerkrümeln. Wenn der vorgeschlagene Rundkurs die Besucher an Ort und Stelle auch erleben läßt, daß es mindestens 10 vor 12h ist, war der Plan einer „Straße der Romanik im Kreis Osterburg“ vielleicht doch kein unnötiges Unterfangen.

 

 

Abgeschlossen: 30. August 1993

 

Dr. Hellmut Müller

Peter-Paul-Str. Nr. 2

29320 Hermannsburg

Tel. 05052-3914

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hellmut Müller: Zur Geschichte der Altmark im frühen und hohen Mittelalter

ZUR GESCHICHTE DER ALTMARK IM FRÜHEN UND HOHEN MITTELALTER.

 

Unser Wissen über die Geschichte der Altmark im frühen und hohen Mittelalter steht auf unsicheren Füßen. Was wir aus Chroniken und Urkunden erfahren oder aus Orts- und Flurnamen, Bodenfunden und anderen Sachzeugnissen erschließen, ist bruchstückhaft und oft widersprüchlich. Unter dem hier Berichteten wird weniges sein, was man nicht mit guten Gründen auch anders sehen kann. Dieses nur auf den ersten Blick unbefriedigende Ergebnis möchte den geschichtlich Interessierten zum Mitdenken und Weiterforschen animieren und zu stets neuem Überprüfen des Gelesenen und Gelernten.

 

Im Süden der norddeutschen Tiefebene ist das Gebiet, das man seit dem XIV. Jh. "Altmark" nennt, durch natürliche Gegebenheiten umgrenzt: im Osten und Süden durch Elbe und Ohre; im Westen durch den Drömling, den Oberlauf der Ohre und die Sumpfwasserscheide zwischen Ise, Ohre und Ilmenau und im Norden durch die Niederung von Bergener Dumme und Lüchower Landgraben und schließlich durch die großen Waldgebiete des Lomitzer, Harper und Gartower Forstes, bis nordöstlich des Arendsees wieder das Elb-Urstromtal erreicht wird. Nicht alle Abschnitte dieser natürlichen Grenze sind gleich deutlich ausgeprägt, und nicht überall wurde sie behauptet. Im Südwesten greift das seit langem altmärkische Land Öbisfelde über die Ohrelinie hinaus, gehört aber historisch zum Erzstift Magdeburg.

 

Der so umschlossene Raum ist weder in seiner Bodengestalt, noch in seiner geschichtlichen Entwicklung homogen. In spätgermanischer Zeit gehörte die nördliche Altmark zum Stammesgebiet der Langobarden dann der Sachsen, die südliche zu dem der Hermunduren und dem Thüringerreich. In der Völkerwanderung hatten sich viele Germanen aus unserem Gebiet dem Zug nach dem Süden angeschlossen, Restgruppen blieben hier. Als 531 das Thüringerreich unterging, die Kräfte der siegreichen Franken aber nicht ausreichten, jenes große Land ihrer Herrschaft ganz einzugliedern, wurde auch die heutige Altmark von diesem Machtvakuum betroffen. Zu unbekannter Zeit überschritten Slawen die Elbe, siedelten sich im Osten unserer Region an und errichteten hier eine eigenständige Herrschaft. Im Zusammenhang mit den Sachsenkriegen Karls des Großen wurde dann der altmärkische Raum endgültig ein Teil des Frankenreiches, nahm aber eine gewisse Sonderstellung ein. So konnten die Slawen, die seit dem IX. Jh. aus dem benachbarten Wendland einwanderten und im Westen und Norden der Altmark unter deutscher Oberherrschaft siedelten, viel von ihrer Eigenart bewahren. Ihre Sprache erhielt sich hier bis zum Ende des Mittelalters. Im Ostteil der Region wurden damals und später wahrscheinlich slawische Kriegsgefangene angesiedelt.

 

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In der karolingischen Epoche begann auch die christliche Mission unter den heidnischen Sachsen und Slawen der Altmark, die den Bistümern Verden und Halberstadt zugeteilt wurde. Mit der alten Religion verschwanden Menschenopfer‚ Polygamie und die bei vornehmen Wenden übliche Witwenverbrennung. Die Annahme des Christentums bedeutete aber auch einen erheblichen Fortschritt der sittlichen und intellektuellen Kultur auf breiter Ebene. Die Christianisierung der Altmark scheint vorwiegend auf friedlichen Wege geschehen zu sein, wenn auch obrigkeitlicher Druck oft nachgeholfen haben wird. Doch hielten sich unter dem Mantel eines nominellen Christentums noch lange Zeit heidnische Gebräuche und Anschauungen. Später wurde dann öfter renitenten Slawen die Vertreibung vom Hof angedroht.

 

Unter König Heinrich I. und besonders unter den ottonischen Kaisern erlangte der nördliche und östliche Teil unseres Gebietes im Gefüge der damals entstehenden sächsischen Nordmark mit den Reichsburgen Salzwedel, Werben, Walsleben, Arneburg‚ Tangermünde und Hildagsburg (bei Wolmirstedt) besondere Bedeutung. Die nach Osten offene Mark war kein Herrschaftsterritorium im späteren Sinn, sondern der Markgraf fungierte hier als Statthalter des deutschen Königs. In seinem Amtsbereich gab es auf dem Boden der heutigen Altmark unterschiedliche Gebiete, von denen nur noch der Gau Osterwalde‚ die marca Lipani und das Balsamland namentlich bekannt sind. Im X. Jh. wurden auch die ersten Klöster in unserer Region gegründet, Hillersleben, Kalbe und Arneburg, doch hatte bloß das erstgenannte dauernden Bestand. Während des ostelbischen Slawenaufstandes 983 und gelegentlich vorher und später drangen slawische Kriegsscharen tiefer in die Altmark ein, auf die Dauer aber wurde die Elbgrenze gehalten. Es ist eine Besonderheit unserer Region, die sie von der ostelbischen Mark und Mecklenburg unterscheidet, daß hier von Anfang an Slawen und Deutsche nebeneinander lebten und miteinander auskommen mußten, bis sie allmählich zum Neustamm der Altmärker zusammenwuchsen. So gibt es gerade in der Altmark etliche einst doppelnamige Orte, die z. T. schon sehr früh bezeugt sind: Wolmirstedt hieß auf slawisch Ustiure‚ Salzwedel Losdy‚ Arendsee Wlazdejske, das früher altmärkische Schnackenburg Godegord und Seehausen vielleicht Wunggörjungtij, während das wendische Kleinau auch den deutschen oder deutsch-lateinischen Namen Severowinkel trug.

 

Das Markgrafenamt hatten nach Gero und den Grafen v. Walbeck und v. Haldensleben bis zum ersten Drittel des XII. Jh. die Grafen v. Stade inne. In dieser langen Zeit erwarben in der Altmark niedersächsische Klöster und Stifte Besitz, die hier missionieren und vielleicht auch schon kolonisieren sollten. Die "Kolonisation" war ein jahrhundertelang währender Landesausbau, in dessen Frühphase die o. e. Wenden-Ansiedlung

 

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unter deutscher Ägide fiel. In ein neues Stadium trat die Kolonisation im XII. und XIII. Jh., als aus dem südlich und westlich angrenzenden sächsischen Altland, dem Mittelwesergebiet‚ Westphalen und den Niederlanden deutsche Bauern einwanderten, denen hier ein besseres Besitzrecht und andere Vorzüge zugestanden wurden. Sie rodeten Wald, machten Ödland urbar und legten die sumpfige Wische im Nordosten des Landes trocken. Dabei übertrugen die Neubauern und die mit ihnen einwandernden Ritter häufig den Namen ihres Herkunftsortes in die neue Heimat. Besonders die Markgrafen aus dem Hause der Askanier forcierten den Landesausbau, nachdem 1134 Albrecht der Bär mit diesem Amt belehnt worden war. Die einzigen, die in der Altmark kolonisierten, waren sie nicht. Denn inzwischen hatten sich hier unabhängige Herrschaften etabliert, so die der Grafen v. Osterburg‚ v. Gardelegen und v. Grieben, die der Burggrafen v. Arneburg und der Edlen v. Tangermünde, Salzwedel und Osterwohlee. Der Markgraf, dessen Eigen- und Lehngut sich um Salzwedel, Arendsee und Stendal, sowie in der Wische konzentrierte, war nur einer von vielen Herren in der Altmark, lediglich durch sein Amt hervorgehoben. Der Westen unseres Gebietes hatte anfänglich wohl nicht zum Bereich der nördlichen Markgrafen gehört. Hier hatten eher die benachbarten Welfen das Sagen und vor allem die von Heinrich dem Löwen lehnsabhängigen Grafen v. Lüchow und v. Dannenberg.

 

Sichtbare Zeugen der Kolonisationszeit sind in der Altmark die romanischen und frühgotischen Dorfkirchen aus Feld- und Backstein. Gerade als Kleinkirchenlandschaft zeigt die Altmark eine merkwürdige Zweiteilung, die nicht durch Naturgegebenheiten vorgezeichnet ist, und auch nichts mit der das Gebiet von Südwest nach Nordost durchziehenden Grenze zwischen den Bistümern Verden und Halberstadt zu tun hat. Zwischen Salzwedel und Gardelegen geht von Nord nach Süd eine unsichtbare Scheidelinie. Westlich davon gibt es relativ große Pfarrbezirke, wie sie ähnlich im angrenzenden Niedersachsen die Regel sind. Um wenige größere Pfarrkirchen scharen sich jeweils viele (ursprünglich kirchlose) kleine Dörfer mit spätgotischen Kapellen. In der mittleren und östlichen Altmark dagegen steht oft Dorf bei Dorf eine stattliche romanische Kirche. Die meisten von ihnen hatten im Mittelalter ihren eigenen Pfarrer. Zudem ist das westliche Drittel des Gebietes das klassische Land der kleinen altmärkischen Rundlinge, während weiter östlich eine spezifische Abart des Straßendorfes mit relativ einheitlicher Höfezahl dominiert. Im Westteil blieben also die alten Strukturen der Siedlung und sicherlich auch der Landwirtschaft zunächst weithin erhalten, und das Pfarrsystem wurde so belassen, wie es einst im Anschluß an das des sächsischen Altlandes organisiert worden war. Solche Kontinuität gab es in der mittleren und östlichen Altmark offenbar nicht, wo im XII. Jh. neue Formen des Zusammenlebens,

 

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der Wirtschaft und der Kultur entstanden. Dabei gehörte die Kleinparochie wohl zu den Vorrechten, die Kolonisten ins Land ziehen sollten. Denn ein Dorf wurde in seiner Selbständigkeit erheblich aufgewertet, wenn es sein eigenes geistliches Zentrum besaß, zumal im mittelalterlichen Asylwesen Gotteshaus und Kirchhof die Friedensinsel eines Ortes waren. Und gar der eigene Pfarrer im Dorf war als ein jederzeit erreichbarer schriftkundiger und in mancherlei Wissenszweigen gebildeter Mann unter den Bedingungen allgemeinen Analphabetentums von unschätzbarem Wert. Zudem war er in das Leben seiner Bauerngemeinde stärker integriert und sicherlich für ortsfremde weltliche und geistliche Herren schwerer disziplinierbar als ein am Ort des Herrenhofes ansässiger Priester.

 

Seit der zweiten Hälfte des XII. Jh. entstand in der Altmark eine Reihe von Klöstern und Stiftern, der heterogenen Struktur des Landes entsprechend von verschiedenen selbständigen Dynasten zum geistlichen und kulturellen Mittelpunkt ihres Territorium bestimmt. Die Askanier gründeten 1160 in Werben die erste und für lange Zeit bedeutendste Johanniterkomturei Norddeutschlands, 1183 das Benediktiner-Nonnenkloster Arendsee, 1188 das Domstift in Stendal, mit dem zuvor in Tangermünde der Plan eines eigenen altmärkischen Bistums verbunden gewesen sein soll, 1247 das Heilig Geist-Stift vor Salzwedel und 1255 das Seehausener Dominikanerkloster. Das später in ein Frauenkloster umgewandelte Augustiner-Chorherrenstift Diesdorf wurde 1161 von den Grafen v. Lüchow gegründet, das Benediktiner-Nonnenkloster in Krevese nach 1170 von den Osterburger und das des gleichen Ordens in Dambeck in der ersten Hälfte des XIII. Jh. von den Dannenberger Grafen. Unbekannt sind Stifter und Gründungszeit des Kanonikerstifts Beuster und des Zisterzienser-Nonnen-Klosters Neuendorf.

 

Das altmärkische Städtewesen dagegen scheint sich im wesentlichen unter der Ägide der askanischen Markgrafen entwickelt zu haben. Vielleicht hängt damit auch die auffallend ungleichmäßige Verteilung der bedeutenderen Städte in der Altmark zusammen: stadtlose Mitte (trotz der ländlichen Regionalzentren Bismark und Kalbe, die als immer in adliger Abhängigkeit gesehen waren), im Osten außer den alten Elbburg-Städten Wolmirstedt, Tangermünde, Arneburg und Werben die an einer Nord-Südstraße aufgereihten Städte Seehausen, Osterburg und Stendal, an der o. e. Nahtlinie zwischen westlicher und mittlerer Altmark die beiden Eckpfeiler Salzwedel und Gardelegen, wiederum städteloser Westen und Norden‚ wo sich die im Anschluß an eine Burg oder eine geistliche Stiftung entstandenen Flecken Klötze, Apenburg, Beetzendorf, Diesdorf und Arendsee im Mittelalter nicht zu landesherrlichen Städten entwickelten. Ganz in den Anfängen stecken geblieben sind die von mir vermuteten

 

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Stadtgründungen von Jeeben und Königsmark. Wirtschaftlich gehörten Salzwedel und sein Hinterland zum norddeutsch-lübischen Raum, Stendal und der Süden dagegen zum mitteldeutschen. So bietet die Altmark schon seit dem späten XII. Jh. das Bild einer interessanten und in sich differenzierten Städtelandschaft.

 

Wie allenthalben im Reich, so geschah auch in der Mark seit der zweiten Hälfte des XII. Jh. ein Umbau im gesellschaftlichen Gefüge durch das Aufkommen der landesherrlichen Dienstmannenschaft. Stammten anfangs die Funktionsträger und Mitarbeiter der Markgrafen in Militär und Verwaltung aus dem ihnen ebenbürtigen Stand der freien Edelleute, so wurden jetzt mit diesen Aufgaben ursprünglich unfreie Ministeriale betraut, die alles, was sie waren, ihrem Herrn verdankten. Aus ihnen erwuchs die märkische Ritterschaft; viele der bedeutenden preußischen Adelsfamilien stammten aus der Altmark.

 

Seit der Zeit Albrechts des Bären wandelte sich auch der Charakter der sächsischen Nordmark selber, und am Ende dieser Entwicklung war der Markgraf ein Landesfürst wie andere Dynasten. Zuvor aber mußte aus dem Bündel von über das Land verstreuten Lehn- und Eigengut und verschiedensten Gerechtsamen und Ansprüchen, das Albrecht bei seinem Tod hinterlassen hatte, ein geschlossenes Territorium werden. Harte Auseinandersetzungen mit den selbständigen Herren in der Region waren also vorprogrammiert. Da war es für die Altmark ein Segen, daß Albrechts ältester Sohn, Otto I. und der Enkel Heinrich v. Gardelegen, der mit seinem hauptsächlich in Ostelbien wirksamen Bruder gemeinsam belehnt war, ausgesprochen friedfertige Männer gewesen sind, die, wo irgend möglich, kriegerische Mittel vermieden. Ihrer Klugheit und Tatkraft vor allem ist es zu verdanken, daß die von ihrer frühen Geschichte her so heterogene Altmark innerlich zusammenwuchs und zu dem wurde, was sie heute ist. Unter ihren Nachfolgern ging es nicht immer so friedlich zu. Besonders die Mächtigsten unter den altmärkischen Edelherren, die Grafen v. Osterburg, ließen sich erst nach zähen Ringen aus dem Land verdrängen. Auch mit äußeren Feinden gab es später blutige Konflikte, die 1240 mit dem Einfall des Magdeburger Erzbischofs und des Bischofs von Halberstadt in die Altmark und dem Sieg Markgraf Johanns I. an der Biese einen Höhepunkt fanden. Nachdem Johann über 25 Jahre lang in wohl beispielloser Eintracht mit seinem Bruder Otto III. gemeinsam die Mark regiert hatte, wurde mit Rücksicht auf die Erben 1258 das Land geteilt. Dabei fiel der älteren oder johanneischen Linie die südliche Altmark zu, der jüngeren oder ottonischen die nördliche.

 

Mit deren Söhnen handelten die Ritter und Städte der Altmark 1280-82 im Interesse des Landes eine Steuerreform aus, nach der die zuvor immer öfter eingetriebene Bede auf bestimmte Fälle eingeschränkt

 

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und eine fixierte jährliche Abgabe eingeführt wurde.

 

1317 vereinigte der aus der älteren Linie stammende Markgraf Woldemar die gesamte Mark und damit auch die Altmark wieder in einer Hand. Damals hatte in unserem Land bereits eine folgenschwere Wüstungsperiode begonnen, die sich im XIV. und XV. Jh. fortsetzte. Sie wird verschiedene Gründe gehabt haben, war aber vor allem eine natürliche Reaktion auf die vorangegangene Kolonisationsepoche. Die Senkung des Grundwasserspiegels infolge umfangreicher Rodungen spielte dabei sicherlich eine primäre Rolle. Deshalb sind viele auf leichtem Boden gelegene Wendendörfer davon betroffen worden. Es fällt aber auf, daß im Besitz des Zisterzienserklosters Neuendorf ein unverhältnismäßig großer Teil der Siedlungen eingegangen ist. Es bleibt die Frage, ob hier die Verödung der in der Frühzeit ziemlich dicht besiedelten Letzlinger Heide etwa mit klösterlicher Wirtschaftspolitik zusammenhängt, indem Dörfer aufgelöst wurden, um Land für große Eigenwirtschaften zu gewinnen.

 

Noch kurz vor seinem Tod verpfändete der in viele Kriege verwickelte und von ständigen Geldnöten bedrängte Woldemar Burg und Stadt Wolmirstedt, die seit jeher der südöstliche Eckpfeiler der Altmark gewesen waren, an das Erzstift Magdeburg, bei dem sie auf die Dauer blieben.

 

Als 1319 mit Markgraf Woldemars Tod (bzw. im folgenden Jahr mit dem seines noch unmündigen Vetters Heinrich) die Familie der märkischen Askanier ausstarb, war die Altmark ein innerlich konsolidiertes Territorium, das trotz der nun folgenden langen Zeit schlimmer Wirren bis ins späte Mittelalter hinein der wichtigste Teil der Mark Brandenburg blieb.

 

 

Juli 1995

Hellmut Müller

 

 

 

Hellmut Müller: Die Klöster der Altmark und ihre geistigen Nachwirkungen

DIE KLÖSTER DER ALTMARK UND IHRE GEISTIGEN NACHWIRKUNGEN. x)

 

Wie in anderen Gebieten Norddeutschlands, so haben auch in der Altmark die mittelalterlichen Klöster und Stifter eine wichtige Rolle bei der Erschließung und Entwicklung des Landes gespielt. Heute künden von ihnen — im Gegensatz etwa zu den lüneburgischen Heideklöstern mit ihren idyllischen Höfen und Kreuzgängen — nur noch mehr oder weniger umfangreiche und oft ruinöse Reste der Klausuranlagen, aber einige bedeutende romanische und gotische Kirchenbauten.

 

Die zwischen Elbe, Ohre und hannoverschem Wendland gelegene Altmark bildet den nördlichsten Teil des Landes Sachsen-Anhalt, gehört jedoch historisch zur Mark Brandenburg. Erst 1806 wurde sie abgetrennt. Hier gab es im Mittelalter 22 Klöster und geistliche Stifter. Die Regula beati Benedicti befolgten zwei Mönchs- und drei oder vier Nonnenklöster, die Gewohnheiten der Augustiner fünf Chorherren- und drei Damenstifter, die alte Aachener Kanonikerregel nur das Stendaler Domstift. Werben war die älteste Johanniterkomturei Norddeutschlands; die Dominikaner hatten hier zwei Mönchsklöster, die Franziskaner zwei Klöster für Frauen und eines für Männer, die Zisterzienser ein Nonnenkloster. Zehn von diesen geistlichen Anstalten lagen in alten Städten. Drei Klöster waren bereits im X. Jh. gegründet worden: ganz im Süden Hillersleben an der Ohre sowie die beiden im Slawensturm von 983 wieder untergegangenen Stiftungen in Kalbe an der Milde und in Arneburg an der Elbe. Die jüngsten altmärkischen Klöster stammten aus dem XV. Jh. Eine Sonderstellung nahm Tangermünde ein, das Kaiser Karl IV. nächst Prag zum Zentrum des Reiches erkoren hatte, und wo er 1377 ein Domstift gründete.

 

Die zahlenmäßige Stärke der Konvente war unterschiedlich und schwankte auch bisweilen, bei manchen Klöstern ist sie unbekannt. Im allgemeinen hatten die männlichen Stiftsgemeinschaften weit weniger Mitglieder als die weiblichen. Das größte Männerkloster war das der Salzwedler Franziskaner mit zeitweilig 44 Mönchen, als kleinstes zählte das des gleichen Ordens in Stendal acht Mitglieder. Das kleinste Frauenkloster

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x) Dieser Aufsatz ist die etwas erweiterte Neufassung eines Vortrages auf der Jahrestagung der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte am 30. Mai 1994 in Uelzen.

Eine tabellarische Übersicht über die Klöster und Stifter der Altmark im Mittelalter befindet sich am Ende dieses Beitrages nebst Karte.

 

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war das Chorfrauenstift St. Annen in Salzwedel mit 39 Damen, während der Konvent in Krevese maximal 80, in Arendsee 71, in Diesdorf 65 und in Kloster Neuendorf 59 Nonnen umfaßte.

 

Keines der altmärkischen Klöster hat die Reformationszeit im katholischen Stand überlebt. Die Nonnenklöster Arendsee, Diesdorf, Dambeck, Krevese, Neuendorf und St. Annen und St. Katharinen in Stendal wurden damals in Damenstifter lutherischer Konfession umgewandelt, die teils schon im XVII. Jh.‚ teils 1810 ihr Ende fanden.

 

So bildet die mit zeitlichen Gütern nicht sonderlich reich gesegnete Altmark das Bild einer überraschend vielgestaltigen Klosterlandschaft. Sicherlich gab es hier im Mittelalter mehr geistliche Anstalten als etwa im benachbarten, mindestens doppelt so großen Fürstentum Lüneburg. Und dieses Bild trägt durchaus auch landschaftsspezifische Züge.

 

Vor allem fällt auf: Die in der brandenburgischen Geschichte so glanzvoll vertretenen Prämonstratenser fehlen bei uns ganz, und die für die Mark nicht minder wichtigen Zisterzienser hatten hier nur ein einziges Nonnenkloster. Das mag mit dem Zurücktreten beider Orden in den für die Altmark zuständigen Bistümern Halberstadt und Verden zusammenhängen.

 

Interessant ist auch, daß unsere altmärkischen Klöster mit Ausnahme von Stendal und Dambeck allesamt „Grenzklöster“ waren. D. h., sie lagen immer an oder nahe einer Bistumsgrenze (Tangermünde, Arneburg, Werben, Seehausen, Kalbe, Diesdorf, Neuendorf und Hillersleben) oder aber im historischen Grenzraum zum Machtbereich der Welfen (Arendsee, Salzwedel und Diesdorf). Natürlich kommt das auch anderswo oft vor, aber die extreme Häufung dieser Fälle in

der Altmark ist schon bemerkenswert.

 

Und noch eine altmärkische Eigenheit sei erwähnt: Die fernab der alten Städte auf dem flachen Land gegründeten Nonnenklöster Krevese, Arendsee, Dambeck, Diesdorf und Neuendorf werden in der Literatur unter dem Begriff "Feldklöster" zusammengefaßt. Sie spielten schon im Mittelalter eine besondere Rolle, und wenn in der Altmark von Klöstern die Rede ist, denkt man

 

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auch heute zuerst nicht an die Seehäuser Dominikaner oder die Stendaler Franziskanerinnen, noch nicht einmal an die kaiserliche Stiftung in Tangermünde, sondern an besagte Feldklöster. Und das erinnert nun wirklich an die Lüneburgischen Heideklöster.

 

Über das Wesen dieser kirchlichen Institute haben wir freilich mit solchen Aufzählungen noch nichts erfahren und erst recht nichts über die "geistigen Nachwirkungen", nach denen unser Thema fragte und mit denen ich mich - zugegebenermaßen! - beim Vorbereiten des Beitrages ziemlich schwer tat.

 

Nun gibt es neben der wissenschaftlichen Analyse noch einen anderen Weg‚ sich der historischen Wahrheit zu nähern, nämlich die dichterische Phantasie. Eines der altmärkischen Feldklöster ist in die Weltliteratur eingegangen. Das 16. Kapitel in Theodor Fontanes Novelle "Grete Minde" spielt im Kloster Arendsee, genauer gesagt im Damenstift der evangelischen Zeit, kurz vor dem dreißigjährigen Krieg. Der fahrende Puppenspieler Valtin ist in Arendsee gestorben, und der Pastor Roggenstroh, ein strammer Lutheraner, hat ihm ein christliches Begräbnis auf dem Ortsfriedhof verweigert, da man ja bei solchem Ziehvolk nie wissen konnte, welcher Religion sie in Wirklichkeit waren. Die mitleidige Wirtin rät der Titelheldin, sich an die Domina des Klosters, das uralte Frl. v. Jagow zu wenden, die würde ihr schon zu helfen wissen. Und Grete klopfte nicht umsonst im Kloster an. Die Domina hört ihr geduldig zu. Und dann sagt sie zu ihr: „Es soll keiner ungetröstet von unserer Schwelle gehen. So haben es die Arendseeschen von Anfang an gehalten, und so halten sie's noch“. Und so fand denn der heimatlose Puppenspieler sein christliches Begräbnis auf dem Arendseer Klosterfriedhof, inmitten der einstigen katholischen Nonnen und der evangelischen Stiftsdamen unter dem Segensspruch: „Unsre Schuld ist groß, unser Recht ist klein, die Gnade Gottes tut es allein.“ Und als dann Grete Minde zu neuer Reise aufbricht, sagt die Domina zu der um ihre Heimat Betrogenen: „Wisse, daß du hier eine Freistatt hast. Und eine Freistatt ist fast so gut wie eine Heimstatt.“ —— Da: alles ist Dichtung. Die Domina des Jahres 1617 war keine v. Jagow, und die Figur des

 

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unbarmherzigen Predigers ist mitsamt dem Namen Roggenstroh erfunden. So könnte man also einwenden, jenes 16. Kapitel in „Grete Minde“ sage mehr über Fontanes Stellung zu Kirche und Christentum als über das Kloster Arendsee und seine Bewohnerinnen. Und doch scheint mir diese Dichtung viel Wahrheit zu enthalten, und ich denke, dichterische Phantasie ist nicht die schlechteste

Weise, Wesen und Wirken unserer altmärkischen Klöster zu ergründen und das zu erspüren, was man nicht zählen und messen kann.

 

Ich habe leider keine literarische Ader, und deshalb muß ich zum nüchternen Bericht, zu Analyse und Vergleich zurückkehren. Auch möchte ich mich beschränken und wichtige Themen wie die wirtschaftliche Bedeutung der Klöster übergehen. Drei Aspekte seien am Beispiel der Feldklöster Arendsee und Diesdorf beleuchtet: 1) die geographischen Voraussetzungen und die damit zusammenhängenden historischen Konstellationen; 2) soziale Gesichtspunkte im hiesigen Klosterwesen und die Tätigkeit der Nonnen; 3) die Bedeutung unserer Klöster für Christianisierung und Kolonisation der Altmark. Man möge mir nachsehen, daß diese drei Abschnitte unterschiedlich lang und gründlich ausgefallen sind. Dabei nenne ich auch das Diesdorfer Chorfrauenstift der Einfachheit halber „Kloster“ und seine Insassen „Nonnen“, darin einem an sich unkorrekten, aber schon im im Mittelalter bezeugten Brauch folgend.

 

1) Geographische Voraussetzungen und damit zusammenhängende historische Konstellationen.

a) Beispiel Arendsee:

 

Im XII. Jh. schied die sumpfige Niederung von Dumme und Landgraben, die normalerweise unpassierbar war, die Altmark vom nördlich benachbarten hannoverschen Wendland. Im Osten schließt sich das Elburstromtal an, die damals nicht minder unzugängliche Wische. Im Norden dieses Grenzsaumes herrschten Heinrich der Löwe und seine Lehnsleute. Südlich davon waren Albrecht der Bär und seine Nachfolger bemüht, den askanischen Machtbereich weiter auszubauen. Die einzige Landbrücke, die zwischen Salzwedel und der Elbe die Altmark mit dem Nachbargebiet verband, war ein schmaler Geestrücken bei Arendsee. Ihn nutzte ein alter Heer- und Handelsweg, der von Süden nach Dannenberg und zum Lenzener Elbübergang

 

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führte. Bei Arendsee kreuzte er eine von Salzwedel nach Osten ziehende Straße. Daher hatte diese Gegend am See sicherlich eine wichtige Rolle gespielt, als seit dem VIII. Jh. slawische Bauern aus dem Wendland nach Süden zogen und in der damals nur dünn besiedelten späteren Altmark viele neue Dörfer anlegten. So gab es im XII. und XIII. Jh. rings um Arendsee fast nur Orte, die einen drawäno-polabischen Namen trugen oder deren Einwohner in den Urkunden als Wenden bezeichnet wurden. Arendsee selber hieß bei ihnen Wlazdejske, was wohl „Herrschaft“ bedeutet. 1) Möglicherweise hatte sich hier auch ein slawisches Kultzentrum befunden, dessen Tradition noch länger fortwirkte.

 

Es war also ein besonderer Platz, an dem Markgraf Otto I., Albrechts des Bären ältester Sohn, zu Weihnachten 1183 das Benediktiner-Nonnenkloster Arendsee gründete. Die askanische Herrschaft in der Altmark schien vor allem gefährdet durch die Nachbarschaft Heinrichs des Löwen. Dessen Übermacht hatte zwar 1181 einen entscheidenden Stoß erlitten, aber man hielt ihn offenbar für noch nicht endgültig gebändigt und sah seiner bevorstehenden Rückkehr aus dem englischen Exil mit Sorge entgegen. Die Landbrücke am Arendsee hätte sich für eine Ausdehnung des welfischen Einflusses nach Süden gut geeignet.

 

Dem wollte Markgraf Otto einen Riegel vorschieben. Er war aber ein ganz auf Frieden bedachter Herrscher, und es zeugt für seine Weitsicht, daß er an dieser von Natur aus für eine Sperrfestung prädestinierten Stelle keine Burg baute, sondern ein Kloster gründete. In jener Gegend, deren Bewohner bislang nur mehr oder weniger locker einer deutschen Herrschaft unterworfen und vielleicht auch erst oberflächlich christianisiert waren, entstand nun ein religiöses Zentrum, zugleich als Schulstätte gedacht und als Mittelpunkt für den planmäßigen Landesausbau. Die Verbindungen des Klosters zum fernen Bistumssitz in Verden und zu anderen geistlichen Institutionen sollten es zum Schnittpunkt kultureller Einflußströme machen, die dem ganzen Land zugute kamen.

 

Die seit 1184 errichtete Klosterkirche ist der älteste vollständig gewölbte Backsteinbau westlich der Elbe. Als Vorbilder

 

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1) BRÜCKNER, Alexander: Die slavischen Ansiedlungen in der Altmark und im Magdeburgischen. Leipzig 1879/1984 S. 24

 

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dienten die Kirche des von Kaiser Friedrich Barbarossa gegründeten Marienstifts zu Altenburg in Thüringen und der Dom Heinrichs des Löwen in Lübeck. In der Entscheidung zur architektonischen Nachfolge dieser hochrangigen Großbauten drückte sich ein Programm aus, das von den Zeitgenossen sicherlich verstanden wurde.

 

Ein machtpolitisches Programm natürlich. Da traut man sich kaum, nach geistigen Wirkungen des Klosters zu fragen. Das Schlüsselwort aber heißt „Frieden“; denn gerade dieses Stift verdankte seine Entstehung dem Bemühen, territorialpolitische Ziele auf friedlichem Weg zu erreichen. Später war es dann manches Mal Ort von Zusammenkünften, auf denen Konflikte beigelegt werden sollten, und seine Grenzlage kam ihm für diese Vermittlerrolle sehr zustatten.

 

Platz des Friedens war das Kloster aber auch als Asylort. Im Jahre 1381 bekam das inzwischen zum Städtchen herangewachsene Dorf Arendsee eine eigene Kirche, und als wichtigsten Grund für diese Neuerung nennt die btr. Urkunde, „daß die Leute sich in Kriegszeiten bei feindlichen Angriffen der kirchlichen Immunität erfreuen und sich und ihre Habe in der Kapelle und auf dem Friedhof in Sicherheit bringen können," da die Stadt nicht ummauert und der Weg zum Kloster weit war. 1a) Zuvor hatten zweihundert Jahre lang die Klosterkirche und der Laien Friedhof an ihrer Ostseite als Asylort für die Einwohner gedient. Fontane hatte es also nicht aus der Luft gegriffen, als er die Domina der heimatlosen Grete Minde im Kloster Asyl anbieten ließ. 1989 fanden, wie anderen Orts, auch in Arendsee Friedensgebete statt, und da wurden menschliche und gesellschaftliche Probleme angesprochen, die in der Öffentlichkeit nicht erörtert werden durften.

 

b) Beispiel Diesdorf:

 

Ganz im Westen des Landes liegt Diesdorf, wiederum auf einer Landbrücke, welche die Altmark mit einem Nachbargebiet

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1a) RIEDEL, A.F.: (Novus) Codex diplomaticus Brandenburgensis. Berlin 1838ff. A (=Reihe I) XXII S. 73 Nr. Arendsee 114: „...ut dictus populus tempore Gwerrarum propter hostiles insidias vel incursus eo, quod dictum oppidum non est muratum, ecclesiastica gaudere valeat immunitate, se et res suas in dicta Capella et ipsius cymiterio securius conservando...“

 

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verbindet. Zwischen der Sumpfwasserscheide von Ohre-Ise-Ilmenau und dem Oerreler und Großen Moor reicht die Lüneburger Heide mit einem hochwasserfreien Geländekeil in die Altmark hinein. Auch er wurde seit alters von einem West-Ostweg genutzt, der vom Bischofssitz Verden aus über Soltau-Wittingen-Apenburg-Osterburg zur Elbe zog. Bei Diesdorf kreuzte ihn eine Nord-Südstraße von Lüneburg über Uelzen-Bodenteich nach Gardelegen und Magdeburg. Beide Routen führten weitab an der markgräflichen Burg Salzwedel vorbei.

 

Die Grenzraumlage ist bei Diesdorf besonders interessant ausgeprägt. Einst trafen in dieser Gegend die sächsischen Gaue Osterwalde und Bardengau mit dem nordthüringischen Wittingau zusammen (beim ehemaligen Stöckener Teich), und die in karolingischer Zeit gegründeten Bistümer Hildesheim, Halberstadt und Verden stießem wiederum hier in der Nähe aneinander (im Rehmbruch zwischen Wittingen und Isenhagen). 2) Etwas weiter westlich reichte dann bei Eschede-Unterlüß das Bistum Minden mit einem Keil in diesen Raum hinein.

 

Zur Zeit der Klostergründung hatten in der Diesdorfer Gegend das Hochstift Verden, das Benediktinerkloster Oldenstadt und die Augustinerchorherrenstifter Hamersleben und Ebstorf Hufenbesitz und z. T. ganze Dörfer, und Welfen und Askanier, sowie eine Reihe sächsischer Edelleute besaßen hier Allodial- und Lehngüter. Dabei dominierten die Grafen von Warpke-Lüchow, die wohl von Heinrich dem Löwen als Grenzgrafen eingesetzt waren und hier neben Eigenbesitz einen größeren Güterkomplex vom Verdener Bischof zu Lehn trugen. In der zweiten Hälfte des XII. Jh. waren sie dabei, sich ein eigenes Territorium zu schaffen. In den Rahmen ihrer Selbständigkeitsbestrebungen gehörte die Stiftung eines Hausklosters 1161 in Diesdorf, auf dem Ostende des erwähnten Höhenrückens. Wie aus der Analyse der Stiftungsurkunde hervorgeht, war es zunächst ein Augustiner-Chorherrenstift,

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2) v. HODENBERG, W.: Verdener Geschichtsquellen II. 1857. S. 258. Der Gauname Osterwalde ist allerdings nur in zwei Urkunden überliefert, die im XII. Jh. auf das Jahr 1022 gefälscht wurden (DH II 260; Urkundenbuch Hochstift Hildesheim I 67), und es ist fraglich, ob er dort auf den echten Bestand eventueller Vorlagen zurückgeht. (SCHULZE, H. K.: Die Besiedlung der Altmark. In: Festschr. f. Walter Schlesinger. Bd. I. Mitteldeutsche Forschungen. 14. Köln-Wien 1973 S. 143).

 

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dessen Geistliche dem Grafen als Hofkapläne, Berater und Lehrer, als Rechtskundige, Skriptoren und Gesandte zur Verfügung stehen sollten. 3) Zu solch einem dem Grafenhaus aufs engste verbundenen kirchlichen und kulturellen Zentrum mochte sich ein eigenständiges, nur allgemein der Augustinerregel verpflichtetes Chorherrenstift besser eignen als ein in den festen Ordensverband eingefügtes Kloster. 4) Zu den genuinen Aufgaben speziell eines Augustinerstiftes gehörte die Pastorisation, und so betonte schon die Diesdorfer Gründungsurkunde die Pfarrkirchenfunktion des dortigen Gotteshauses. Mit einem großen Umkreis eingepfarrter und zunächst kirchloser Dörfer fügte es sich in das System sächsischer Großparochien, wie es in der Lüneburge Heide bekannt ist (z. B. Bergen bei Celle und Hermannsburg) und damals auch in der westlichen Altmark verbreitet war.

 

Die Einwohner waren auch hier z. gr. T. Wenden. Noch 80 Jahre später gab es in Diesdorfer Klosterdörfern bei Wittingen nicht wenige Leute, die nur nominell als Christen galten und noch gewisse heidnische Bräuche übten. 5) Über diese „Knesebecker Heiden“ ist viel gerätselt worden, und ich möchte mich mit Spekulationen zurückhalten; denn bei näherer Betrachtung der Quellen wird auch hier wieder deutlich, wie wenig wir im Grunde wissen. Was soll es z. B. bedeuten, wenn die Urkunde von 1161 sagt, daß die Dörfer der Diesdorfer Grundausstattung „bis jetzt“ von Slawen bewohnt waren? Ist das Wort „Slawen“ hier Synonym für „Heiden“? Oder sollte der Ausdruck „bisher“ etwa die Möglichkeit der Vertreibung wendischer Bauern andeuten? Eine gewaltsame „Aussiedlung“ von Slawen in größerem Umfang wird zwar in der Literatur trotz Helmolds einschlägigen Berichts 6) allgemein bestritten. 7) Örtlich aber

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3) Die Stiftungsurkunde ist im Original erhalten : Staatsarchiv Magdeburg Rep. U 21 Nr. 1. Drucke: Riedel wie Anm. 1 A XVI S. 394 und (mit Übersetzung und Abbildung des Originals) MÜLLER, Hellmut: Insula Sanctae Mariae. In: 66. Jahresbericht d. Altmärkischen Vereins f. vaterländische Geschichte. Lübeck 1986 S. 136-38. Zwei Verunechtungen des sonst sicherlich echten Originals auf Rasur betreffen offenbar nicht die Datierung und die Ausstattung‚ sondern am ehesten den ursprünglichen Charakter der Anstalt.

4) siehe hierzu MÜLLER wie Anm.3 S. 131 mit Anm. 45a und 46.

5) Hrg. SCHMIDT, Gustav: Urkundenbuch des Hochstiftes Halberstadt. Leipzig 1883 Bd. I Nr. 644 von 1235 und Bd. II Nr. 765 und 766 v. 1246.

6) Helmold von Bosau: Chronica Slavorum. Cap. 98 und 110; Freiherr v. Stein-Gedächtnisausgabe Bd. XIX. Berlin 1963 S.340 und 382.

 

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ist die beabsichtigte Ersetzung slawischer Bauern durch deutsche christliche Neusiedler mehrmals bezeugt. Und da einige der deutlichsten Belege die Diesdorfer Gegend betreffen, 8) dürfen wir jene peinliche Frage nicht stillschweigend übergehen, auch wenn wir sie nicht eindeutig mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten können. Denn noch 1246 drohten Bischof und Domkapitel von Halberstadt besagten wendischen Klosteruntertanen im Wittinger Gebiet damit, daß deutsche katholische Siedler an ihre Stelle gesetzt werden sollen wenn sie ihren heidnischen Bräuchen nicht abschwören würden. 5) Ob solche Drohungen in der Altmark wahr gemacht wurden, ist unbekannt.

 

Durch die Diesdorfer Stiftsgründung ergab sich in dieser Region eine merkwürdige Ballung geistlicher Zentren. Denn hier lagen nun auf einer West-Ostlinie in jeweils 10 km Entfernung voneinander der Hildesheimer Archidiakonatssitz Hankensbüttel, der Halberstädter Archidiakonatssitz Wittingen und das zum Verdener Sprengel gehörende Augustinerstift Diesdorf. Davon liegen Hankensbüttel und Wittingen am äußersten Ende ihrer Diözesen.

 

Vor oder um 1200 ist dann das Diesdorfer Chorherrenstift in ein Frauenstift des gleichen Ordens umgewandelt worden, also ähnlich wie in Hannover-Marienwerder, Ebstorf und Bergen auf Rügen, wo allerdings Benediktinerinnen an die Stelle der Chorherren traten. Hinter dem Diesdorfer Vorgang vermute ich als treibende Kraft den Verdener Bischof Rudolph (1188-1205), der, mit machtpolitischem Kalkül wohlvertraut, das Vorgehen der Lüchower Grafen argwöhnisch beobachtet haben wird. Denn die Papsturkunde von 1188, 9) die Diesdorf unter den Schutz des Heiligen Stuhls stellte, konnte den ersten Schritt in Richtung auf größere kirchliche Unabhängigkeit bedeuten. Die Umwandlung in ein Frauenstift, das für gewöhnlich dem Diözesanbischof weit enger verbunden blieb, schob solchen Bestrebungen einen wirksamen Riegel vor. Die Tradition des Kanonikerkonvents lebte

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7) DANNEIL, J. W.: Die Altmark von Wenden angebauet. In: wie Anm. 3 15. Jahresber. 1863 S. 81; KUPKA, P. L. B. in: Stendaler Beiträge VI. 4. 1934 S. 307 und: Die Altslaven in der Nord- d. h. der späteren Altmark. in: Jahrbuch Sachsen u. Anhalt 12. 1936 S. 49; VOGEL‚Werner: Der Verbleib d. wendischen Bevölkerung i. d. Mark Brandenburg. Berlin 1960; KARL, H. D.: Slawen und Deutsche i. d. brandenburgischen Geschichte des XII. Jh. Köln-Graz 1964 S. 386-92.

8) Außer dem in Anm. 5 genannten besonders: ZÖLLNER, Walter: Die Urkunden u. urbariellen Aufzeichnungen des Aug.-Chorherrenstiftes Hamersleben 1108-1462. Habil. phil. Halle 1962. Urkunde 19 von 1177

9) RIEDEL A XVI . S. 394 f.

 

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in der Priestergemeinschaft fort, die aber keine selbständige Bedeutung mehr hatte, sondern wie in anderen Nonnenklöstern auch, nur für den Meßdienst und die Verwaltung der Sakramente da war. Ein „Doppelkloster“ 10) ist Diesdorf darum nie gewesen.

 

Auch in Diesdorf ist die Kirche, die ca. 1185 bis um 1230 an Stelle des 1161 geweihten Vorgängers errichtete große Backsteinbasilika, ein wertvoller Sachzeuge für die Intentionen des Bauherrn. Denn auffallende Anklänge an die Dome Heinrichs des Löwen in Braunschweig und Ratzeburg und die kaiserliche Stiftskirche zu Altenburg sind sicherlich kein Zufall. Für die Grafen von Lüchow, immerhin nur ein kleines Edelherrengeschlecht am Rande des damaligen Reiches, bedeutete es in der Tat eine erstaunliche Leistung, daß unter ihrer Ägide solch anspruchsvoller monumentaler Gewölbebau geplant, organisiert, über Jahrzehnte hinweg ohne wesentliche Abstriche am ursprünglichen Programm durchgeführt und (bis auf den oberen Abschluß des Turmes) vollendet wurde.

 

Und wenn bleibende Nachwirkungen des Klosters Diesdorf erfragt werden - der Begriff „geistige Nachwirkungen“ wäre hier zu eng gefaßt - so fällt einem vor allem die verbindende Funktion in dieser Gegend ein. Die Grenzzone zu den welfischen Landen nahm die Gestalt einer festgelegten Linie erst an, als sich die Strukturen des Chorfrauenstifts Diesdorf längst stabilisiert hatten. Es wurde daher nie ein so typisch märkisches Kloster wie Arendsee. Der brandenburgische Kurfürst wie der Herzog von Braunschweig-Lüneburg nannten es später gelegentlich „unser Kloster“ 11) und beide Fürsten, sowie der Verdener Bischof hatten in Diesdorf das Recht der ersten Bitte, konnten also ohne die üblichen materiellen Leistungen und ungeacht der sonst geltenden Bedingungen eine Jungfrau im Kloster unterbringen 12) Die

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10) als welches es z. B. bei HAUCK, Albert: Kirchengeschichte Deutschlands. IV. 8. Aufl. Berlin-Leipzig 1954 S. 424 Anm. 5 erscheint.

11) RIEDEL A XVI S. 456 f.

12) So konnte z. B. 1422 die Tochter eines adligen Priestermörders in Diesdorf Chorfrau werden. RIEDEL A XXII S. 247. Siehe auch: GRÜNDLER, Konrad: Das Augustiner-Nonnenkloster Diesdorf und seine Insassen. In: Jahrbuch Sachsen u. Anhalt. I. 1925 S. 177, der allerdings irrtümlich aus dem presbyteriscida einen Priester macht.

 

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Diesdorfer Nonnen und Stiftsgeistlichen stammten aus altmärkischen wie aus niedersächsischen Adelsgeschlechtern und städtischen Bürgerfamilien, und weltliche und geistliche Herren aus beiden Landschaften verhandelten miteinander in unserem Kloster. Die Sonderstellung, die der „Hans-Jochenwinkel“ um Diesdorf und damit die ganze westliche Altmark durch diese Vermittlerfunktion des Stiftes gewann, spürt noch heute noch jeder, der von Osten her in jene Gegend kommt.

 

2) Soziale Aspekte des Klosterwesens in Arendsee und Diesdorf und die Tätigkeit der dortigen Nonnen.

 

Seit langem ist das Wissen um den engen Konnex der Klöster mit dem Feudaladel ein Gemeinplatz. 13) Ein Gemeinplatz, der vorzüglich in das marxistische Geschichtsbild paßte. Und so wurde er auch zu DDR-Zeiten eifrig kolportiert, oft vergröbert im Schulunterricht und im sogenannten „populärwissenschaftlichen“ Schrifttum. Da konnte das dann ungefähr so klingen: Mönche und Nonnen entstammten durchweg den Familien der Fürsten, Grafen und Ritter, also waren Burgen und Klöster nur zwei Seiten des gleichen feudalen Ausbeutungssystems, zu dem sich später noch die herrschende Klasse des städtischen Bürgertums, das wohlhabende Patriziat, gesellte. Kein Wunder, daß unter solchem Gesichtswinkel unsere altmärkischen Nonnenklöster als „Versorgungsanstalten sitzen gebliebener Adelstöchter“ erscheinen mochten und ihre Insassen als Drohnen, die auf dem Rücken der geknechteten Bauern unter dem Mantel einer scheinheiligen Frömmigkeit ein faules Schlemmerleben führten. 14) Leider waren es vor allem auch evangelische Pfarrer, die im XIX. Jh. und bis in unsere Tage hinein in Wort und Schrift Pinsel und Farbe für dieses Zerrbild lieferten und sich mit ihren oberflächlichen antimonastischen Vorurteilen auch noch in guter lutherischer Tradition wähnten.

 

Nun ist die Dominanz des Landadels auch in den altmärkischen Feldklöstern offensichtlich. Da die Grundherren-Familien in ihrem eigenen Interesse eine Zerstückelung des Besitzes durch Erbteilung vermeiden mußten und die nachgeborenen

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13) SCHULTE, Aloys: Der Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter. Studien z. Sozial- u. Rechtsgeschichte. 2. Stuttgart. 1922.

14) z. B. SALCHOW, Werner und Martin EHLIES: Arendsee und Altmarkland (Städte und Landschaften. H. 11).Leipzig. 1961 S. 18.

 

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Kinder im Erbfall oft leer ausgingen, schien im Blick auf die unverheiratbaren Töchter der Ausweg „Ab ins Kloster!“ eine naheliegende Lösung zu sein. Was bedeutete aber das „Ab ins Kloster!“, das die Exponenten der herrschenden Feudalklasse angeblich so selbstverständlich mit ihren Töchtern und Schwestern praktizierten ? Gerade einem marxistischen Wissenschaftler, dem Jenenser Kunsthistoriker Friedrich Möbius, verdanken wir eine besonders einfühlsame und gedankentiefe Analyse, in der er deutlich herausstellte: Der Eintritt einer Adligen ins Kloster war eine „dialektische Negation wesentlicher Züge der feudalen Herrscherklasse“, eine echte conversio morum, eine Umkehr der zuvor gültigen Lebensgewohnheiten und Wertvorstellungen, 15) und wir können den von Möbius aufgenommenen Faden noch etwas weiter fortspinnen: Wenn die Herren-Tochter ins Kloster eintritt, muß sie als erstes dienen und gehorchen lernen, im Zeitalter der höfischen Minne wechselt sie über in eine Atmosphäre der absoluten Verneinung von Eros und Sexus; in den Jahrhunderten des Raubrittertums, in denen sich in ihren Kreisen alles um die Mehrung von Macht und Gütern dreht, verschreibt sie sich dem Leitbild der Armut, in einer Welt, die nach Ruhm und Ehre strebt, dem Ideal der Demut. Die Sinnenfreuden des Hoflebens vertauscht sie mit monastischer Askese, den Genuß der Tafelrunde mit dem graduellen Dauerfasten der Klosterkost. Daß dieses hohe Ideal immer wieder zu verfallen drohte und sich oftmals auch im Nonnengewand die Edelfrau regen mochte, die gegen die harte Disziplin aufbegehrte, ist kein Wunder. Sicherlich gab es auch mannigfache Unterschiede zwischen den einzelnen geistlichen Anstalten der Altmark. So lebte im späteren Mittelalter in Diesdorf ein Teil der Chorfrauen jeweils zu zweit in separaten Häusern, was bei den Benediktinerinnen in Arendsee, Dambeck und Krevese und den Neuendorfer Zisterzienserinnen wohl undenkbar gewesen wäre. Denn in Arendsee wurde noch gegen Ende des XIV. Jh. das Dormitorium, also eine ausgesprochene Gemeinschaftseinrichtung, nach einem Brand neu errichtet, und es gab dort offenbar das ganze Mittelalter über nur einen einzigen heizbaren Aufenthaltsraum, das „meyne Fur“, 16) dessen Kamin noch heute in den Ruinen erkennbar ist.

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15) MÖBIUS, Friedrich: Die Chorpartie der westeuropäischen Klosterkirche zwischen 8. und 11. Jh. In: Hrg. MÖBIUS, Friedrich und Ernst SCHUBERT: Architektur des Mittelalters. Funktion und Gestalt. Weimar 1984, besonders S. 12-17.

16) Riedel A XXII Nr. Arendsee 118 S. 82

 

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Aufs Ganze gesehen kann man bei aller gebotenen Vorsicht sagen: In den altmärkischen Feldklöstern haben die aus der begüterten Oberschicht stammenden Nonnen die conversio morum in weitem Maße durchgehalten und im Ab und Auf von Niedergang und Reform immer wieder neu zurückgewonnen. Das ist wohl nur zu verstehen, wenn wir, der Mahnung des Diplomatikers Heinrich Fichtenau folgend, 17) die in den Klosterurkunden aufgeführten geistlichen Motive wirklich ernst nehmen. So sagt z. B. Markgraf Ottos Sohn Albrecht II. in der Bestätigungsurkunde für Kloster Arendsee, daß „ich Albrecht, von GOTTES Gnaden Markgraf der Brandenburger, unter den Fürsten der Erde nach Art der Blume , die da frühe blüht und des Abends welkt und in ihren Staub zurückkehrt, als einer, der seinen Stand in nichtigem Umgang hat – lateinisch viel prägnanter und eigentlich unübersetzbar: 'in vana conversacione constitutus'! - von ganzem Herzen glaube und mit meines Mundes Worten bekräftige, daß die himmlischen Interessen den irdischen, die ewigen den zeitlichen vorzuziehen seien.“ 18) In dieser wie in ungezählten anderen Urkundenformeln lebt ein ausgeprägter Ewigkeitsrealismus als eine der Triebfedern des mittelalterlichen Klosterwesens: Die Realität der jenseitigen Welt ist Stiftern und Nonnen nicht weniger klar als die des Todes, die Notwendigkeit der Sündenvergebung und der Versöhnung GOTTES nicht minder selbstverständlich als die der Sorge für das leibliche Wohl. Deshalb delegierten Ritter und Bürger eine Tochter ins Kloster, die stellvertretend das tat, woran die anderen durch die Sachzwänge des Alltags verhindert waren: ihr ganzes Leben GOTT zu weihen und Tag und Nacht zu beten für Lebende und Tote, für das Wohl der Familie und des Landes.

 

Und so war denn die vornehmste Aufgabe der Nonnen, ihr eigentlicher Lebensinhalt‚die immerwährende Anbetung und das Memorial- und Fürbittengebet. Adlige und Bürger, Weltliche und Kleriker verbanden sich den Konvent durch Schenkungen zur Abhaltung regelmäßiger Gedächtnismessen und Fürbitten. Das konkretisierte sich auch in den Gebetsverbrüderungen, die geistliche und säkulare

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17) FICHTENAU, Heinrich: Arenga. Spätantike u. Mittelalter im Spiegel der Urkundenformeln. In: Mitteilungen des Instituts f. österreichische Geschichtsforschung. Erg.-Bd. 18. Graz-Köln 1957.

18) RIEDEL A XVII S. 2 f., neu ediert und übersetzt in: MÜLLER‚ Hellmut: Beiträge z. Baugeschichte der Klosterkirche Arendsee i. d. Altmark. Diss. Theol. Halle (Mschr.) 1972 S. 305-308.

 

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Einzelpersonen und Korporationen aufnahmen. In Arendsee wuchs sich diese Fraternität, die Papst Bonifaz IX. 1392 mit besonderen Gnaden ausgestattet hatte, zu einem Institut mit körperschaftlichem Charakter aus, wie ihr noch wohlerhaltener Siegelstempel zeigt. Um 1395 traten ihr u. a. die Markgräfin Katharina v. Meißen mit ihren Söhnen, der Konvent des Klosters Medingen und der Rat der Stadt Minden bei. 19) Das Diesdorfer Stift hat in einem Einladungsschreiben zu seiner Gebetsbruderschaft die liturgischen Dienste aufgelistet, die dort im Tag- und Nachtofficium des Stundengebetes, in Psalmengesängen, Schriftlesungen und Fürbitten, in Vigilien und Messen vom Nonnenkonvent und von den Priestern absolviert wurden, und es ist dabei auch von täglichen Geißelungen und Bußübungen und vom Fasten die Rede. 20) Freilich wird hier wie in den urkundlichen Memorienstiftungen auch eine ausgeprägte Werkgerechtigkeit sichtbar, die durch die Tendenz zur Vervielfältigung der Leistungen oft stark materialistische Züge angenommen hat.

 

Außerhalb des Chordienstes waren die Nonnen durch die Pflichten ihrer speziellen Klosterämter beansprucht. Von den Textilarbeiten, die die Nonnen für ihre Kirche, vielleicht auch für auswärtige geistliche Auftraggeber anfertigten, haben sich nur Reste in Diesdorf und Neuendorf erhalten. 21) Über den eigenen Bereich hinaus wirkten die Klöster u. a. als Schul- und Erziehungsstätten. Es gab puellae oblatae, die auf ihren Eintritt in den Nonnenkonvent vorbereitet wurden und puellae saeculares, die später in die Welt zurückkehren sollten. In Diesdorf waren diese Mädchen den einzelnen Nonnen zur Erziehung übergeben. 22) Da in der Altmark keine Klosterbibliotheken erhalten sind, wissen wir nichts über Art und Inhalt dieses Unterrichts, wie allgemein über das geistige Leben in den Stiftern. Wenn aber die mittelalterlichen Klöster in der Altmark einen wichtigen Machtfaktor darstellten, so lag das - zumindest in der Frühzeit- auch an dem hier konzentrierten Bildungspotential.

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19) RIEDEL A XVII S. 8-12.

20) ebd. A XVI S. 430, auszugsweise übersetzt in: DIETERICHS‚Hermann u. Ludolf PARISIUS: Bilder aus der Altmark. I. Hamburg 1883 S. 240; überarbeitete Neuauflage. Königstein i. T. 1994.

21) In Diesdorf wird 1332 die sorror textrix und die Weberei im Hospital erwähnt.: RIEDEL A XXII S. 120.

22) GRÜNDLER wie Anm. 12 S. 128. Auch in Arendsee gab es puellae (Ungedrucktes Verzeichnis im Arendseer Kopiar. Staatsarchiv Magdeburg Cop. 1915b Nr. 2 Bl. 28v.). Für deren Unterrichtung wird die 1232 erwähnte scolastica Hildesuindis zuständig gewesen sein. (RIEDEL A V S. 34). Diese urkundliche Namensnennung ist m. E. überfordert, wenn CREUTZ daraus eine „bedeutende Klosterschule“ erschließt und HEINICKE gar die Hildesuindis mit einer „fahrenden Schule“ über

Land reisen sieht. (CREUTZ, Ursula: Bibliographie der ehem. Klöster u. Stifte im Bereich d. Bistums Berlin‚ ... Studien z. katholischen Bistums- u. Klostergeschichte. 26. Leipzig 1983 S. 273; HEINICKE, Otto: Chronik der Stadt Arendsee i. d. Altmark. Arendsee 1926 S. 95 f.).

 

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Eine Mitarbeit der Nonnen in der umfangreichen Eigenwirtschaft der Klöster ist zumindest in Arendsee und Diesdorf kaum anzunehmen, da schon das für beide Stifte überlieferte zahlreiche weltliche Personal dort nicht viel Platz für verantwortliche Tätigkeit lassen würde. In Diesdorf gab es aber auch einige Laienschwestern und -brüder, die in der Klosterwirtschaft leitende Posten versahen. 23)

 

Von Werken der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe ist in den Urkunden expressis verbis nur gelegentlich die Rede. So verfügte Graf Heinrich von Gardelegen, der Gründer des Stendaler Domstiftes, 1192, daß der Nachlaß verstorbener Kanoniker nach Abzug aller ausstehenden Verbindlichkeiten an die Bedürftigen verteilt werden solle, 24) und in Diesdorf gab es 1388 zwölf Arme, die z. B. am Gründonnerstag anläßlich der Zeremonie der Fußwaschung mit Spenden bedacht wurden. 25) Doch verbietet hier die mangelhafte Quellenlage voreilige Schlüsse positiver wie negativer Art.

 

Der Begriff "adlige Nonnen" ist noch zu differenzieren. Besonders in Arendsee läßt sich deutlich erkennen, daß in Konvent und Priesterschaft - vielleicht mit Ausnahme des ersten Propstes - die alte edelfreie Nobilität keine Rolle mehr spielte. Sondern alle Nonnen und Klostergeistlichen, deren Herkunft wir kennen, stammen aus dem Ministerialenstand. Das war offensichtlich bewußte Politik der märkischen Askanier. Denn die altfreien Grafen und Edelherren waren nur durch die Vasallentreue an ihren Lehnsherrn gebunden, und die mächtigsten unter ihnen standen, wie die Grafen von Veltheim-Osterburg, den Markgrafen an Reichtum und Einfluß nur wenig nach. Wie gefährlich ihre überkommene Stellung und ihr Selbstbewußtsein der sich gerade erst formierenden Zentralgewalt werden konnten, sah schon Markgraf Otto I. an seinem Bruder Bernhard. Der war nach dem Sturz Heinrichs des Löwen vom Kaiser mit dem - allerdings arg beschnittenen - Herzogtum Sachsen belehnt worden, vermochte sich aber gegenüber den auf ihre Selbständigkeit bedachten

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23) Ungedrucktes Verzeichnis s. Anm. 22; GRÜNDLER wie Anm. 12; WENTZ, Gottfried: Das Wirtschaftsleben des altmärkischen Klosters Diesdorf im ausgehenden Mittelalter. Diss. Phil. Berlin. Salzwedel o. J. S. 19-24.

24) RIEDEL A V S. 27 Nr. Dom Stendal 14.

25) WENTZ wie Anm. 23 S. 9. Ob man aus dem dort in Anm. 25 erwähnten Rechnungsposten mit diesem Autor die ständige Unterbringung jener Menschen im Kloster schließen kann, bedarf der Prüfung.

 

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Grenz- und Kolonisationsgrafen kaum durchzusetzen. Solcher Gefahr begegneten Otto und seine Nachfolger durch eine konsequente Förderung der Ministerialen. Denn die stammten aus unfreiem Stand und verdankten alles, was sie waren, dem Markgrafen. Aus diesem Dienstadel, der allmählich zur märkischen Ritterschaft wurde, wählte der Landesherr jetzt vornehmlich seine Beamten und Berater, seine Kapläne und die Priester der unter markgräflichem Patronat stehenden Pfarrkirchen. Daß die Gründungsurkunde des Nonnenklosters Arendsee im Testat eine der ersten separaten Ministerialenlisten in der Mark enthält, ist bezeichnend. Denn die Schaffung dieses geistlichen Institutes bedeutete für den altmärkischen Dienstadel einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Selbstfindung als neue Herrenschicht. Was für die edelfreie Nobilität der deutschen Altlande die dortigen traditionsreichen Klöster waren, das wurden Arendsee und weitere Stifter für den neuen märkischen Ritterstand.

 

Übrigens scheint in den altmärkischen Feldklöstern die Beschränkung der Nonnenkonvente auf die adligen und bürgerlichen Oberschichten doch nicht so exklusiv gewesen zu sein, wie allgemein angenommen wird. Immerhin war 1369 unter den Diesdorfer Chorfrauen die Tochter eines bäuerlichen Dorfschulzen (filia sculteti de Abbentorp). 26)

 

Zu den sozialen Aspekten des Klosterwesen in der Altmark gehört aber auch noch etwas anderes. Das Herz des Klosters als Institut wie als Gebäudekomplex war die Klosterkirche. Gerade die Kirchen unserer altmärkischen Feldklöster aber waren – wohl mit Ausnahme der Zisterze Neuendorf - nicht nur für die Nonnen selber da, sondern sie waren in hohem Maße „Feiertagspfarrkirchen“. 27) Hier strömten zuweilen Menschen aller Stände aus einem weiten Umkreis zusammen, winkte doch dem gläubigen Besucher an Hochfesten und bestimmten Heiligentagen besonderer Ablaß. Auf die slawischen Landleute der Erbauungszeit, die sonst nur mehr oder weniger ärmliche Holzhäuser kannten, muß vor allem in Diesdorf und Arendsee der

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26) GRÜNDLER wie Anm. 12 S. 129; RIEDEL A XVI S. 444 u. A XXII S. 187

27) Diesen Terminus entnehme ich dem - an sich in entgegengete Richtung zielenden! - Beitrag von Friedrich MÖBIUS: Das Langhaus der Klosterkirche als Festtagspfarrkirche In: MÖBIUS, Friedrich und Helga SCIURIE: Symbolwerte mittelalterlicher Kunst. Leipzig 1984 S.26-89‚ dem ich auch im Folgenden wieichtige Anregungen verdanke. Siehe auch SCHROEDTER, Almut: Studien zur Pfarrorganisation und zum Kirchenbau in den Prämonstratenserbistümern Brandenburg, Havelberg und Ratzeburg, Diss. Theol. Berlin-Ost (Mschr.) 1987 S. 132.

 

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Anblick dieses großen und vielgestaltigen Gebäudes, das zudem aus einem für sie neuen Material errichtet war, einen gewaltigen Eindruck gemacht haben. Umso wichtiger für sie, daß es keine Zwingburg war und kein nur den Angehörigen der herrschenden Klasse zugänglicher Palast, sondern ein Gottes-Haus, in dem auch sie ihren mit Vorrang und Würde gestalteten Platz fanden. Das ist im Diesdorfer Langhaus mit seiner aufwendigen Halbsäulengliederung besonders eindrucksvoll erlebbar, und anders ist auch die Größe jener Kirchen kaum zu verstehen, die weit über die Bedürfnisse eines Klosterkonvents hinausging. Meister und Werkleute hatten für die feiertäglichen Gottesdienstbesucher einen Raum geschaffen, der ihnen helfen sollte, zu Gebet und lobpreisendem Bekenntnis zu finden. Diese Kirchenarchitektur erfüllte also auch eine soziale Funktion. Für die im harten Kolonisationswerk eingespannten - wendischen wie deutschen - Bauern war solch ein Festtag in einem altmärkischen Feldkloster eine der seltenen Gelegenheiten, Menschen zu treffen, die weiter weg wohnten als im übernächsten Dorf. Vor allem aber konnten sie sich hier - etwa in den Prozessionen - selber als Gruppe erfahren in einem großen Zusammenhang, der nach festen Regeln geordnet war und allenthalben auf Höheres hinwies.

 

Wenn man so die altmärkischen Klöster von ihren Kirchen her versteht, liegen die „geistigen Nachwirkungen“ in die Gegenwart hinein auf der Hand. Denkt man nur an die heute so wichtigen Stichworte Stille, Einkehr, Selbstfindung, Meditation, Sammlung, Gruppe, klassenübergreifendes Gemeinschaftserlebnis, geistige Heimat und geistliche Mitte, so wird deutlich, welche Möglichkeiten diese Klosterkirchen gerade in der sich abzeichnenden Diasporasituation vieler christlicher Gemeinden in den östlichen Bundesländern bieten.

 

3) Die Bedeutung unserer Klöster für Christianisierung und Kolonisation der Altmark am Beispiel von Arendsee und Diesdorf.

Die Quellen schweigen dazu fast ganz. Das Problem der erst oberflächlich christianisierten Wenden im Raum Diesdorf - Wittingen wurde schon oben Bl.8 f. angesprochen. Ob, wo und wann die vom Halberstädter Bischof wiederholt angemahnte Wendenkirche dann tatsächlich gebaut wurde, ist unbekannt. Die

 

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genannten Dörfer haben bis heute kein eigenes Gotteshaus. Ob man dabei an die „altmärkisch“ anmutende spätromanische Feldsteinkirche im benachbarten Ohrdorf denken darf, bleibt offen. Noch weniger als Diesdorf scheint Arendsee das Prädikat „Missionskloster“ zu verdienen. Vor allem ist hier wie bei den anderen geistlichen Anstalten der Altmark nichts von wendischsprachigen Bemühungen der Klostergemeinschaft bekannt, die ja wohl die Voraussetzung für solche Aktivitäten gewesen wären. Wie wenig aber das Fehlen urkundlicher Zeugnisse besagen will, zeigt sich am Problem der Kolonisation. Denn auch darüber schweigen sich die Quellen aus. Doch legen hier die sichtbaren Fakten selber ein beredtes Zeugnis ab, deutlich erkennbar besonders am Beispiel Arendsee.

 

Markgraf Otto hatte das Kloster 1183 vor allem mit dem „deutschen Dorf Kaulitz“ mit einer Reihe namentlich nicht genannter slawischer Orte in der Umgebung des Sees und mit der nördlich anschließenden Heide ausgestattet. Auch Kaulitz war, wie der Name besagt, ursprünglich wendisch gewesen, aber der Ausdruck „villa teutonica“ zeigt an, daß hier bereits das ius teutonicum galt, das günstige Erbzinsrecht der deutschen Neusiedler mit relativ geringen Abgaben, ausgeprägter Selbständigkeit und voller Freizügigkeit der Bauern. 28) Auch war die Feldmark schon nach deutscher Weise in Hufen aufgeteilt. Die „slavicae villae“ waren dann also von der Kolonisation noch unberührte Wendenorte mit nur geringen landwirtschaftlich genutzten Fluren. Der Anreiz zur Kolonisation war für das Kloster mit der Hoffnung gegeben, daß durch Kultivierung der Heide, durch Umstrukturierung der slawischen Dörfer und ihrer Fluren nach deutscher Gewohnheit und vielleicht auch durch Ansetzung deutscher Neusiedler der Ertrag aus den geschenkten Liegenschaften erheblich gesteigert werden konnte. Der Markgraf hatte also dem Kloster seinen Grundbesitz geschenkt wie ein leeres Heft, auf dessen erster Seite bereits die Kolonisation des Dorfes Kaulitz eingetragen war, zum fleißigen

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28) MÜLLER-MERTENS, E.: Hufenbauern und Herrschaftsverhältnisse in Brandenburgischen Dörfern nach dem Landbuch Karls IV. v. 1375. In: Wissenschaftl. Zeitschr. d. Humboldt-Universität Berlin. Ges.- u. sprachwissenschaftl. Reihe. I. 1951/52 H. 1 S. 35; STORBECK, Ludwig: Die Kolonisation d. Altmark und die altmärkischen Bauern im Mittelalter. In: 58. Jahresbericht des Altm. Vereins f. vaterländ. Geschichte. Berlin 1965 S. 6

 

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Weiterschreiben ermunternd. Und das hat das Stift dann auch getan. Natürlicherweise wirkte es in diesem Sinne zunächst in der unmittelbaren Nachbarschaft. Denn 1208 erscheint in der Bestätigungsurkunde neben Kaulitz als von den slavicae villae deutlich unterschiedener, d. h. also kolonisierter Ort die villa Arnesse, die dem Diplom von 1183 noch unbekannt gewesen war. Bald darauf wurde die Altmark selbst zur Ausgangsbasis starker Siedlerströme, die allesamt nach Nordosten zielten, in die Prignitz, Mittel- und Uckermark, vereinzelt auch nach Mecklenburg und Pommern. Da wird es kein Zufall sein, daß in diesen fernen Gegenden fremde Dynasten dem Kloster Arendsee ansehnliche Landschenkungen machten: 1215 gab Herzog Kasimir von Pommern das Dorf Werkenthin mit dem halben Malchiner See, und 1232 schenkten die Brüder v. Plotho 42 Hufen in der Neuruppiner Gegend. 29) Die Kolonisationserfolge des Klosters in der Altmark hatten sich also weit herumgesprochen. Auch aus der Arendseer Gegend brachen nun Siedlerscharen nach dem Nordosten auf, und der Name unseres Klosterortes wurde in die neue Heimat übertragen; im Barnim, in der Uckermark und in Ostseenähe gibt es vier weitere “Arendsee“ genannte Dörfer. 30) Ich denke, wenn irgendein geistliches Stift, dann verdient Arendsee den Namen eines Kolonisationsklosters.

 

Sollen nun zum Schluß noch einmal die geistigen Nachwirkungen des altmärkischen Klosterwesens in den Blick kommen, so sei ein konkretes Beispiel aus unseren Tagen genannt: Seit 1992 leben in Dambeck zwei Mitglieder der evangelischen Josephsbruderschaft aus Belau(bei Bergen / Dumme) nach der Benediktinerregel, und weitere sollen dazu kommen. In der seit Jahren ungenutzten und zu DDR-Zeiten mutwillig verwüsteten Kirche halten sie das Stundengebet zu den kanonischen Zeiten. In den Klostergebäuden pflegen sie tschernobylkranke Ukrainer und planen den Aufbau einer ökologischen Landwirtschaft und einer Lehrwerkstatt für schwer vermittelbare Jugendliche.

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29) RIEDEL A XVII S. 3; Hrg. LISCH: Mecklenburgisches Urkundenbuch . Schwerin 1863 ff. Bd. I Nr. 219 S. 205 f., Übersetzung bei MÜLLER wie Anm. 18 S. 309 f.; RIEDEL A XVII S. 4.

30) 1. das frühere Ostseebad Arendsee bei Brunshaupten, heute Ortsteil von Kühlungsborn / Mecklenburg; 2. Dorf in der Parochie Schönermark bei Prenzlau; 3. kleiner, eingemeindeter Ortsteil bei Wandlitz Krs. Bernau; 4. Dorf Arendsee Kr. Grimmen b. Stralsund. Es gibt allerdings auch die Dörfer Gr.- u. Kl. Arentsee in d. Wilstermarsch (Kr. Itzehoe), die sicherlich nichts mit unserem Kloster zu tun haben, wie auch der Ahrendsee b. Rendsburg.

 

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"Geistige Nachwirkungen" - das könnte so klingen wie „Nachbeben“, letzter Ausklang einer Bewegung, die einmal lebendige Gegenwart war, aber nun längst zu Ende gegangen ist. Schließlich gehört es zu den bleibenden Früchten der Reformation, daß sie die mit dem mittelalterlichen Klosterwesen so eng verflochtene Werkgerechtigkeit als unbiblisch entlarvt hat. Und auch das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist längst vergangen, in dessen Rahmen sich die Klosterkonvente von dem zu einem Teil abgeschöpften Mehrwert aus der Arbeit abhängiger Bauern ernährten. 31).

 

Im Klostergedanken leben aber auch Motive, die über bald ein halbes Jahrtausend evangelischer Kirchengeschichte und über viele sozial- und geisteshistorische Veränderungen hinweg aktuell geblieben sind. Den mittelalterlichen Ewigkeitsrealismus möchte ich dazu rechnen und die innige Verbindung von GOTTES-Lob und Fürbitte mit den Diensten am Nächsten, den Gedanken des Friedens und der Freistatt für Heimatlose und Verfolgte, Arbeit für die Kultur des Landes und im christlichen Glauben gegründetes Wirken in Bildung, Kunst und Wissenschaft, auch die Funktion der Klosterkirche als zentraler Feiertagspfarrkirche, als Ort übergemeindlicher Kommunikation und klassenübergreifender Gemeinschaftserlebnisse.

 

In den hier und da angeführten Beispielen wurde sichtbar: „Geistige Nachwirkungen“ wurzeln zwar in der Geschichte, konkretisieren sich aber vor allem als Aufgaben für die Zukunft. Das gilt auch von dem ur-reformatorischen Bekenntnis, das Theodor Fontane in die Sprache seiner Zeit faßte und in die Arendseer Klostergemeinschaft projizierte: „Unsre Schuld ist groß, unser Recht ist klein, die Gnade GOTTES tut es allein.“

 

ÜBERSICHT ÜBER DIE MITTELALTERLICHEN KLÖSTER DER ALTMARK. 32)

 

 

ARENDSEE Kreis Stendal (bis 1994 Krs. Osterburg): Benediktiner-Nonnenkloster B.V. Maria, SS. Johannes Ev. und Nikolaus. Gegründet 1183 von Markgraf Otto I. v. Brandenburg; ab 1540 evangelisches Damenstift‚ 1812 aufgehoben.

Alte Diözese Verden.

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31) Daß dies nicht immer ohne Druck abging, zeigen z. B. in Diesdorf gelegentliche Pfändungen abgabesäumiger Bauern an Vieh, Korn und Hausrat. siehe bei WENTZ wie Anm. 23 S. 29 und 54.

32) im Wesentlichen nach CREUTZ wie Anm. 22 S. 273-335 und SCHWINEKÖIPER, Berent: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. 11. Band: Provinz Sachsen Anhalt. 2. Aufl. Stuttgart 1987 passim.

 

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ARNEBURG a. d. Elbe‚ Krs. Stendal; alte Diözese Halberstadt. :

1) Benediktiner-Abtei B. V. Maria und St. Thomas. Gegründet vor 978 von Graf Brun v. Arneburg, untergegangen 983 oder 997.

 

2) Augustiner-Chorherrenstift B. V. Maria SS. Maria Magdalena und Franziskus. Gegründet 1459 von Markgraf Friedrich d. J. bei der Burgkapelle, untergegangen in der Reformationszeit.

 

BEUSTER (Gr. Beuster) a. d. Elbe, Krs. Stendal (bisher Kr. Osterburg)‚ alte Diözese Verden:

Augustiner-Chorherrenstift St.Nikolaus. 33)

Gründungszeit und Gründer unbekannt, erstmalig erwähnt 1246‚ eingegangen 1541 vom Kurfürst eingezogen

 

DAMBECK Krs. Salzwedel; alte Diözese Verden:

Benediktiner-Nonnenkloster B.V. Maria und St. Kunigunde; Gegründet wohl zwischen 1220 und 1250 von den Grafen v. Dannenberg‚ erstmalig erwähnt 1283, ab 1541 evangelisches Damenstift, 1644 eingegangen.

 

DIESDORF Krs.Salzwedel, alte Diözese Verden:

Augustiner-Chorfrauenstift B. V. Maria und St. Crux. (St. Maria in insula, Marienwerder). Gegründet 1161 von Graf Hermann v. Lüchow wahrscheinlich als Chorherrenstift, wohl vor 1200 in ein Frauenstift umgewandelt, seit 1551 evangel. Damenstift, 1810 aufgehoben.

 

HILLERSLEBEN a. d. Ohre Krs. Haldensleben, alte Diözese Halberstadt:

Benediktiner-Nonnenkloster SS. Petrus, Laurentius und Stephan. Gegründet wohl um 960, Gründer unbekannt; im Slawenaufstand zerstört und die Nonnen entführt, 1022 Neugründung durch Erzbischof Gero von Magdeburg als Benediktiner-Mönchs-Kloster, nach langem Sträuben gegen die Reformation 1577 in evangelisches Männerstift umgewandelt, das 1687 aufgehoben wurde.

 

KALBE a. d. Milde‚ Krs. Salzwedel, alte Diözese Verden:

Benediktiner-Nonnenkloster (oder Chorfrauenstift?) St. Laurentius. Gegründet um 970 von einer Gräfin Oda, 983 zerstört, später nach Schöningen Krs. Helmstedt verlegt und in Chorherrenstift umgewandelt.

 

KLOSTER NEUENDORF Krs. Salzwedel (bisher Krs. Gardelegen), alte Diözese Halberstadt:

Zisterzienser-Nonnenkloster B. V. Maria. Gegründet um 1230, Ersterwähnung 1232, Gründer unbekannt (Markgraf Johann oder die Ministerialenfamilie v. Gardelegen?)‚ nach langem Widerstand der Nonnen gegen die Reformation ab 1578 evgl. Damenstift‚ 1810 aufgehoben.

 

KREVESE Krs. Stendal (bisher Kr. Osterburg)‚ alte Diözese Verden:

 

Benediktiner-Nonnenkloster B. V. Maria und St. Quirinus (Marienhaag, St. Maria in nemore). Gegründet zwischen 1170 und 1200 (Ersterwähnung) von den Grafen v. Osterburg‚ ab 1542 evgl. Damenstift, 1602 eingegangen.

 

SALZWEDEL alte Diözese Verden :

1) Augustiner-Chorherrenstift Hl. Geist in der Vorstadt Perver, verbunden mit Hospital. Gegründet 1247 von den Markgrafen Otto III. und Johann I.‚ 1540 eingegangen.

 

2) Augustiner-Chorfrauenstift St. Anna. Gegründet 1385 von einem Kanoniker und einer Lüneburger Bürgerin‚ zunächst beim Hl. Geist-Stift, 1488 in die Stadt verlegt, 1579 nach kurzer evangelischer Stiftszeit eingegangen und in Hospital verwandelt.

 

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3) Franziskanerkloster (fratres minores). Patrozinium, Gründungsjahr und Gründer unbekannt; erstmalig erwähnt 1260, 1552 eingegangen.

 

SEEHAUSEN Krs. Stendal (bisher Krs. Osterburg), alte Diözese Verden:

Dominikanerkloster St. Cyriakus. Gegründet 1253 von Markgraf Otto III., zunächst bei der Burg, 1262 in die jetzige (frühere Neu-)Stadt verlegt, 1541 aufgelöst, später in Hospital verwandelt.

 

STENDAL alte Diözese Halberstadt:

1) Kollegiatstift St. Nikolaus (Dom). Gegründet 1188 von Graf Heinrich v. Gardelegen und Markgraf Otto II. Das Stift war zuvor (um 1184) in Tangermünde bei der dortigen Stephankirche gegründet und sollte angeblich Sitz eines neuen Bistums werden, 1188 nach Stendal verlegt, in der zweiten Hälfte des XVI. Jh. eingegangen.

 

2) Franziskanerkloster (fratres minores). Patrozinium, Gründungsjahr und Gründer unbekannt, Ersterwähnung 1240, vor 1553 eingegangen.

 

3) Franziskaner-Nonnenkloster St. Anna. Gegründet 2. Hälfte XV. Jh., 1581 als evangelisches Damenstift bestätigt, wohl bald darauf eingegangen.

 

4) Augustiner-Chorfrauenstift St. Katharina. Gegründet 1456 von Kurfürst Friedrich II., seit 1539 evangelisches Damenstift, später eingegangen.

 

TANGERMÜNDE Krs. Stendal, alte Diözese Halberstadt.

(zu dem um 1184 gegründeten Kanonikerstift bei St. Stephan siehe bei Stendal Nr. 1).

 

1) Augustiner-Chorherren- und Domstift SS. Johannes bapt. und ev. auf der Burg. Gegründet 1377 von Kaiser Karl IV., um 1550 eingegangen.

 

2) Augustiner-Chorherrenstift St. Maria zur Klause. Gegründet 1459 von Markgraf Friedrich d. J. vor der Stadt an der Tangerbrücke, im XVI. Jh. eingegangen.

 

3) Dominikanerkloster Allerheiligen (Paulerkloster). Gegründet 1438 von Markgraf Friedrich d. J. vor dem Neustädter Tor, 1544 aufgelöst und in Hospital verwandelt.

 

WERBEN a. d. Elbe Krs. Stendal (bisher Krs. Osterburg), alte Diözese Halberstadt:

Johanniterkomturei B. V. Maria und St. Johannes bapt. Gegründet 1160 von Markgarf Albrecht dem Bär, seit 1540 evangelische Kommende bis 1810.

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33) CREUTZ (s. Anm. 22 S. 280) meint, wie viele Andere vor ihr, die Passage „Capella quattuor doctorum“ in einer Urkunde von 1542 besage, daß damals vier Chorherren im Stift Beuster gewesen seien. Gemeint ist aber an der btr. Stelle eine Kapelle der vier heiligen Kirchenlehrer (SS. Augustin, Gregor, Ambrosius und Hieronymus).

 

 

 

Abgeschlossen: 21. August 1994

 

Dr. Hellmut Müller, Peter-Paul-Str. Nr. 2

29320 Hermannsburg Kr. Celle

Tel. 05052-3914

 

 

 

 

Übersichtskarte zu Klöster und Stifter der Altmark im Mittelalter
Übersichtskarte zu Klöster und Stifter der Altmark im Mittelalter

Hellmut Müller: Der romanische Backsteinbau in der Altmark und seine Technik

Der romanische Backsteinbau in der Altmark und seine Technik.

 

Seit die innerdeutsche Grenze gefallen ist, kommen zahlreiche Besucher in die Altmark denen sie früher verschlossen war. Besonders als Dorfkirchenlandschaft findet dieses Gebiet großes Interesse; denn hier sind auf relativ kleinem Raum so viele ländliche Feldsteinbauten aus romanischer Zeit mehr oder minder vollständig erhalten, wie sonst kaum anderswo in Mitteleuropa. Aber auch die Backsteinarchitektur jener Epoche ist mit einer Anzahl hochberühmter und weniger bekannter Denkmäler vertreten, die für die wissenschaftliche Erforschung der Ziegelbauweise und ihrer Frühzeit in Norddeutschland wichtig sind. Daher sei zunächst anhand der beigehefteten Landkarte ein Überblick über die altmärkischen Backsteinbauten aus dem XII. und XIII. Jh. gegeben. 1)

 

Ich habe auf der Karte grundsätzlich alle Bauten berücksichtigt, an denen Ziegelsteine vorkommen. Denn wie in anderen norddeutschen Gegenden wurden auch in der Altmark nicht selten bei romanisch-frühgotischen Feldsteinkirchen Einzelheiten aus Backstein hergestellt. Etwa für einen oder zwei Türbögen aber brauchte man höchstens einige -zig Backsteine. Ein Extremfall ist der Kernbau der Bretscher Kirche (Kr. Osterburg), an dem lediglich die Flachschicht um die Bogenstirn des Chorportals aus Ziegeln besteht, und dafür reichten ganze sieben Steine. Daher lohnte sich bei solchen Bauten die Errichtung eines eigenen Ziegelofens nicht, und man holte sich die benötigte Stückzahl von einem „richtigen“ Backsteinbau. So aber lassen sich hier, vor allem durch den Vergleich der Steinformate, Zusammenhänge mit anderen Kirchen erkennen, die zwischen reinen Backsteinbauten nicht feststellbar sind; und die Ergebnisse solcher Vergleiche können unter günstigen Umständen Hinweise für die relative Datierung bieten. Für die „echten“ Ziegelkirchen dagegen wurden die Steine in der Regel vor Ort aus dort anstehendem Rohmaterial gebrannt, und das ergab notwendigerweise lokale Besonderheiten, so daß z. B. Steinformat und -farbe eines solchen

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1) Romanische Profanbauten sind mir in der Altmark nicht bekannt. Da der Übergang von der Romanik zur Gotik in der Altmark fließend ist und es zeitliche und stilistische Überschneidungen gibt (siehe z. B. bei Kloster Neuendorf unten Bl. 5!)‚ habe ich die frühgotischen Bauten mit berücksichtigt und die Grenze - gewiß willkürlich! - gegen Ende des XIII. Jh. gezogen.

 

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Baus nur unter starkem Vorbehalt mit denen anderer Kirchen verglichen werden dürfen.

 

Die romanisch-frühgotischen Backsteinbauten sind sehr ungleichmäßig in der Altmark verteilt. Im Osten gibt es relativ viele, im Westen nur wenige und im Süden zwischen Gardelegen und der weit jenseits des Kartenrandes gelegenen Ohre gar keine. Das hat naturgegebene und historischeGründe. Im Süden liegt die siedlungsabweisende Letzlinger Heide, und nordwestlich davon erstreckt sich bis weit nach Niedersachsen hinein das erst später kultivierte Sumpfgebiet des Drömling. Zu den historischen Voraussetzungen gehört eine Grenze in der Art der Pfarrorganisation, die etwa entlang der Linie Salzwedel - Gardelegen durch die Altmark geht und mit der Siedlungsgeschichte zusammenhängt. Im Westen des Landes scheint die Siedlungskontinuität von der sächsischen und slawischen Zeit her ziemlich ungebrochen weiterbestanden zu haben, und daher gibt es dort alte Großparochien wie im angrenzenden Niedersachsen, die in ihren Anfängen noch auf die Christianisierung im frühen Mittelalter zurückgehen mögen. D. h.: Um einen zentralen Pfarrort liegt jeweils ein Kranz von ursprünglich kirchlosen Dörfern, die hier in spätgotischer Zeit oft eine kleine Kapelle erhalten haben. Die mittlere und östliche Altmark dagegen ist von der Kolonisation durch deutsche Neusiedler im XII. und XIII. Jh. geprägt. Dort steht in der Regel Dorf bei Dorf eine stattliche romanische Kirche, und die meisten von ihnen hatten im Mittelalter ihren eigenen Pfarrer. Diese religiöse und kulturelle Selbständigkeit des einzelnen Dorfes gehörte offenbar zu den Vorrechten, die den deutschen Kolonisten gewährt worden waren. Mit der Diözesangrenze zwischen den Bistümern Verden und Halberstadt, die von Südwest nach Nordost durch die Altmark verläuft, hat das nichts zu tun. Die allermeisten unserer romanisch-frühgotischen Dorfkirchen sind aus Findlingsgranit errichtet, und viele verzichten ganz auf die Verwendung von Ziegelsteinen. In diesem historischen und architektonischen Kontext stellt sich der hochmittelalterliche Backsteinbau der Altmark mit seinen technischen Merkmalen dar.

 

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sind die Erstlinge des altmärkischen Ziegelbaus die Klosterkirchen zu Arendsee und Diesdorf, die - bei etwas früherem Beginn in Arendsee und schnellerer

 

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Vollendung in Diesdorf - wahrscheinlich von 1184 bis gegen 1240 als kreuzförmige romanische Basiliken errichtet wurden. Sie sind die ältesten vollständig gewölbten Backstein-Großkirchen im westelbischen Norddeutschland. Beide wurden auf einem Sockel aus Findlingsgranit in drei Abschnitten ganz aus Ziegeln erbaut, und man verzichtete bei ihnen konsequent auf Werkstein und Stuck als Material für Profile und Bauschmuck. Diese charakteristische Eigenschaft ist ein Proprium von Arendsee und Diesdorf, das sie von frühen wagrischen Backsteinbauten (Lübeck, Segeberg), wie von der Jerichower Klosterkirche unterscheidet, und damit wurden sie wegweisend für die weitere romanische Ziegelarchitektur in der Altmark. Backsteintechnik und Formenapparat wurden offenbar aus dem Jerichowgebiet übernommen, und von dort werden auch die Handwerker gekommen sein, wie Steinriffelung, Fugenschnitt und andere technische Besonderheiten zu zeigen scheinen. Einmalige Sonderformen sind in Arendsee die halb-sechseckigen Wandlisenen an der Apsis, die, sicherlich auf Arendseer Anregung hin, nur noch in Schaprode / Rügen vorkommen und der aus Wulststeinen gebildete Rautenfries der südlichen Hochschiffswand. Auffallende Unterschiede zwischen den nur auf den ersten Blick sehr ähnlichen Kirchen zu Arendsee und Diesdorf, erklären sich m. E. aus der Eigenart der jeweiligen Meister, aber auch aus Persönlichkeit und geschichtlicher Stellung der beiden Bauherren und aus ihren architekturbestimmenden Grundentscheidungen. So wählte Markgraf Otto I. v. Brandenburg als Vorbild für Arendsee wohl den Lübecker Dom und die kaiserliche Stiftskirche zu Altenburg / Thüringen, der Graf v. Lüchow dagegen für Diesdorf die Dome Heinrichs des Löwen in Braunschweig und Ratzeburg und wiederum Altenburg.

 

Zeitlich scheinen diesen beiden Kirchen am nächsten zu stehen die von Markgraf Ottos Sohn Heinrich v. Gardelegen initiierten Bauten zu Tangermünde - St.Stephan und Stendal - Dom. In Tangermünde ist aus dieser Zeit außer dem in den Maßen sehr an Arendsee erinnernden Querhaus-Grundriß nur die Transept-Nordwand erhalten. Die Bogenlaibungen der dortigen Fenster zeigten bei der letzten Renovierung interessante Befunde, die als eine primitivierende Weiterentwicklung der bekannten lombardischen Schalenkonstruktion in den Jerichower Apsisfenstern verstanden werden können, und auch die Mittellisene weist auf die dortige Klosterkirche als Vorbild.

 

Der 1188 gegründete Stendaler Dom war ebenfalls eine Backstein-Basilika auf Feldsteinsockel und wurde im XV. Jh. durch eine Hallenkirche ersetzt. Die dabei erhalten gebliebene alte Doppelturmfront

 

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mit deutlichen Anklängen an den Brandenburger Dom und die Jerichower Stiftskirche ist wohl der jüngste Bauteil des romanischen Gotteshauses. Die schon vor Langem abgerissene Johanneskapelle am Stendaler Markt war ein Zentralbau aus Backstein, von dem nichts Näheres bekannt ist. Die drei alten Pfarrkircnen der Stadt aber waren zunächst aus Feldstein erbaut.

 

Die kleine Kirche in Stendal-Wahrburg war ursprünglich ein frühgotischer Backsteinbau aus der zweiten Hälfte des XIII. Jh. und ist jetzt verputzt und sehr verändert.

 

Die Klosterkirche zu Krevese bei Osterburg, eine ursprünglich flachgedeckte querschifflose Basilika, ist ein Mischbau aus Feld- und Backstein in altertümlichen Formen, der mit quergeteilter Apsis und „malerischem“ Stützenwechsel an südwestdeutsche oder elsässische Vorbilder erinnert. Aus Backstein sind vor allem Fenster und Bogenumrahmungen und z. T. der obere Abschnitt der Apsis. Die Bögen des „versenkten“, also keinen Rücksprung vermittelnden und nicht an Ecklisenen gebundenen Apsisfrieses sind merkwürdigerweise aus den Ziegelsteinen herausgeschnitten; ein großer Teil der Frieskonsolen ist als Masken gebildet. Es fällt auf, daß die Architektur der benachbarten, etwa gleichzeitig errichteten Nonnenklosterkirchen desselben Ordens in Arendsee und Krevese keine erkennbare Verwandtschaft zeigen. Das mag an den unterschiedlich reichen Mitteln liegen, die für die beiden Kirchenbauten zur Verfügung standen. Vielleicht wollte aber der Graf von Osterburg durch die Wahl anderer Leitbilder für das Gotteshaus seines Familienklosters Krevese auch bewußt seine Selbständigkeit in der Sprache der Architektur demonstrieren.

 

Südöstlich von Krevese liegt an der Biese Gr.-Rossau und etwas weiter südlich Storbeck bei Osterburg. In beiden Orten steht ein romanischer Mischbau, der nach dem in der Altmark nicht seltenen turmlosen Typ in Feldstein begonnen und dann in Backstein weitergeführt wurde. In Storbeck fügte man noch während des Kirchbaus einen schmalen Westturm hinzu. In Gr.-Rossau dagegen wurde der ursprüngliche Plan zunächst unverändert ausgeführt und erst später, aber noch in spätromanisch-frühgotischer Zeit, ein Westquerturm angebaut, auffallenderweise wiederum in Findlingsgranit. Ich erkläre mir diesen zweimaligen Materialwechsel in Gr.-Rossau so : Die Anregung für den Übergang zur Ziegelbauweise ging sicherlich vom benachbarten Kloster Krevese aus, und von dort werden auch die Fachleute hierher vermittelt worden sein, die vor Ort einen Feldbrandofen

 

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errichteten und die benötigten Backsteine herstellten. 2) Als man sich dann Jahrzehnte später doch noch zum Turmbau entgchloß, standen keine Ziegelbrenner zur Verfügung, und man griff auf das reichlich vorhandene Feldsteinmaterial zurück.

Der Storbecker Ostgiebel zeigt die seltene Zierform des echten Strombandes, eines aus aufrecht stehenden Läufern zusammengesetzten Zahnschnitts.

 

In Gardelegen im mittleren Südwesten der Altmark war die im letzten Viertel des XII. Jh. errichtete Nikolaikirche, ursprünglich ein großer einschiffiger Backsteinbau mit Westquerturm, Chor und Apsis, ein „reinrassiger“ Vertreter der Jerichower Sakralarchitektur auf altmärkischem Boden. Vor dem spätgotischen Umbau muß sie dem etwas kleineren Gotteshaus in Redekin sehr ähnlich gesehen haben. Einen ganz anderen Charakter zeigt die dortige Marienkirche, eine um 1200 begonnene, flachgedeckte Backsteinbasilika, die knapp 50 Jahre später in fülligen spätestromanischen Formen zur Gewölbehalle umgebaut wurde und in der Spätgotik ihr heutige Aussehen erhielt. Die vielleicht noch eher begonnene, ungewölbte, einschiffige Kirche des Zisterzienserinnen-Klosters Neuendorf bei Gardelegen ist dagegen ein frühes Beispiel reiner Backsteingotik.

 

Salzwedel war einst ein besonderer Vorort des Ziegelbaus aus der Zeit der Spätromanik und des Übergangsstils und besaß früher sieben Kirchen dieses Materials aus dem XIII. Jh. Soweit sie nicht längst abgerissen wurden, sind von ihnen außer bei St. Lorenz und St. Georg nur noch mehr oder weniger spärliche Reste an und in den Neu- und Umbauten der Spätgotik erhalten. Diese Kirchen waren sehr verschieden in Anlage, Aufriß und Formenapparat:

 

In St. Marien wurde von ca. 1210 an ein Feldsteinsaal durch eine kreuzförmige gewölbte Backsteinbasilika mit plattem Chorschluß ersetzt. „Malerischer Stützenwechsel“ weist über Krevese und Schönhausen auf elsässische und süddeutsche Vorbilder zurück. Am Außenbau sind Reste ausgesprochen vielgestaltiger und z. T. seltener Schmuckformen erhalten, z. B. zwei Kreuzbogenfriese übereinander an der Chornordseite, sehr spezifische Frieskonsolformen am nördlichen Querhaus, die an Lehnin und Uchtenhagen erinnern, „versenkte“ Friese am Turm wie an der Kreveser Apsis und in Osterholz bei Bremen, verschiedene Fensterbogenumrahmungen u. a. In St. Lorenz ist der im 2. Viertel des XIII. Jh. begonnene Neubau eine weithin wohlerhaltene, von Anfang auf Gewölbe angelegte querschifflose Basilika mit

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2) Das Gr.-Rossauer Backsteinformat gleicht etwa dem an der Apsis in Krevese (ca. 28 x 9 x 12 cm).

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plattem Chorschluß und ursprünglich mit eingestelltem Westturm. Baugestalt und Formenapparat sind sehr eigentümlich mit Einflüssen aus Diesdorf, Mölln, Verden, Brandenburg - St. Nikolai und Magdeburg.

 

St. Nikolai im XVIII. Jh. abgerissen soll eine Kreuzkirche aus Backstein mit hohem Vierungsturm und plattem Chorschluß gewesen sein. 2a)

 

St. Katharinen war ursprünglich eine frühgotische Gewölbebasilika und zeigt in den Friesen des Turmes romanische Reminiszenzen.

 

Die Mönchskirche (Franziskaner) war anfänglich eine rechteckige Saalkirche, vielleicht aus dem dritten Viertel des XIII. Jh.

 

Die im XVIII. Jh. abgerissene Kirche des Chorherrenstifts zum Heiligen Geist war ein hochinteressanter frühgotischer gewölbter Rundbau mit breitem Umgang, Mittelturm und Apsischor. 2b)

 

Die Hospitalkirche St. Georg ist ein kleiner Apsissaal aus dem letzten Drittel des XIII. Jh.

 

Die Kirche des um 1240 gegründeten Benediktinerinnenklosters Dambeck südlich von Salzwedel ist ein großer, einschiffiger flachgedeckter Backsteinsaal mit Apsis in spätestromanischen und frühgotischen Formen. Auf der Südseite zeigt sie einen Kleeblattbogenfries aus Tonplatten, am Westgiebel Ährenverband zwischen schmalen Lisenen, vielleicht ratzeburgisch oder dänisch beeinflußt.

 

Westlich von Diesdorf liegt Wittingen, das politisch zu Niedersachsen, kunsthistorisch aber zum altmärkischen Bautenkreis gehört. Die Stadtkirche war ursprünglich eine spätromanische kreuzförmige Backsteinbasilika auf sichtbarem Feldsteinsockel und mit gewölbtem Mittelschiff, vielleicht eine vereinfachte Filiation von Diesdorf, die aber mit ihren länglichen Kreuzpfeilern auch ostelbische Anregungen (Havelberg - Brandenburg) aufnahm. 3)

 

Im Süden des altmärkischen Elbabschnitts liegt gegenüber von Jerichow eine kleine zusammenhängende Gruppe von dörflichen Backsteinbauten: In Buch steht eine relativ große, einschiffige romanische Kirche mit Turm, Chor und Apsis. Seit der Barockzeit verputzt, zeigt sie keine alten Schmuckformen. Der Turm soll etwas jünger sein und besteht innen aus Feldstein mit außen vorgeblendeter Backsteinhaut.

 

In Jerchel ist die Kirche ein turmloser Backsteinbau mit Chor und Apsis und wurde in der im Jerichowgebiet üblichen Art ohne sichtbaren

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2a) EBERHAGEN‚ A.: Ein Rückblick auf die ehemalige Nikolaikirche in der Salzwedeler Altstadt. In: 68. Jahresbericht des Altm. Geschichtsvereins.1990 S. 3-31.

2b) HARTLEB‚ Friedrich: Die Klosterkirche z. Hl. Geist vor Salzwedel. Ebd. 50. Jahresber.1936. S. 63-89.

3) WITT, Ernst: Zur Baugeschichte der St. Stephanskirche in Wittingen. In: Niedersächsische Denkmalpflege. Bd. 5. Hildesheim 1965 S. 57-64; SOMMER, Johannes: Anfänge des Kirchenbaus in Niedersachsen. In: Vorchristlich-christl. Vorgeschichte in Niedersachsen. Beiheft z. Jahrbuch d. Ges. f. nieders. Kirchengeschichte. Bd. 64. 1966 S. 99

 

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Feldsteinsockel gegliedert und geschmückt mit Ecklisenen, Zahnschnittbändern, Konsol-‚ Rund- und Spitzbogenfriesen.

 

Die im XIX. Jh. völlig veränderte Kirche zu Grieben war aus Feldsteinen errichtet, und ihr Feldsteinturm wurde als frühgotischer Backsteinbau mit Ecklisenen fortgeführt.

 

In Storkau an der Elbe, nördlich von Tangermünde, wurde an den alten Feldsteinchor später ein romanisches Backstein-Schiff mit niedriger (heute aufgestockter) Vorhalle ohne besondere Schmuckformen angebaut und aus dem gleichen Material ein Ostturm aufgesetzt.

 

Im Nordosten unserer Region liegt die altmärkische Wische mit ihren Randzonen, das hier sehr breite Elb-Urstromtal, wo es keine oder kaum Feldsteine, aber für den Ziegelbrand geeignete Lehm- und Tonvorkommen gibt. Hier bildete sich im letzten Drittel oder Viertel des XII. Jh. eine zusammenhängende Backsteinlandschaft heraus, die ihre entscheidenden Impulse wohl aus dem Elb-Havelgebiet erhielt, aber auch eigenständige Züge aufweist.

 

Am westlichen Talrand der Wische zur feldsteinreichen altmärkischen Höhe liegen die alten Städte Osterburg und Seehausen.

 

In dem ursprünglichen Suburbium neben der Osterburg war St. Martin ein turmloser romanischer Mischbau, von dem nur der über einem hohen Feldstein-Unterteil aus Backstein errichtete Chor und die ganz in dem neuen Material ausgeführte Apsis erhalten sind, beide ohne alle Schmuck- und Gliederungselemente. An der Apsis fällt die ungewöhnliche‚ graugelbliche Farbe der Ziegelsteine auf, die aber nicht so extrem hart sind wie die berühmten gleichfarbigen Steine am Ratzeburger Dom.

 

Nach der Stadtverlegung wurde die Nikolaikirche wohl um 1170 als Feldsteinbasilika errichtet. In den Westquerturm, den mächtigsten der ganzen Altmark, baute man um 1250 ein großes Stufenportal aus Backstein ein, das trotz seiner ausgeprägt spitzbogigen Form wegen der Riffelung seiner Steine noch zum romanischen Ziegelbau zu rechnen ist.

 

Auch im nördlich benachbarten Seehausen entstand die jetzige Pfarrkirche erst nach Verlegung der Stadt an einen handelsgünstigeren Platz. Die ihrem Patrozinium nach vielleicht wesentlich ältere, burgnahe Jakobikirche ist schon längst verschwunden. Ob die dort bezeugten

 

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und bisweilen noch im Boden gefundenen Backsteine aus romanischer Zeit oder von späteren Umbauten stammen, ist ungewiß.

 

Die spätgotische Halle der heutigen Stadtkirche St. Petri ersetzte im XV. Jh. eine Feldsteinbasilika, der um oder vor 1220 eine noch wohlerhaltene spätromanische Zwei-Turm-Fassade als reiner Backsteinbau auf sichtbarem Granitsockel angefügt worden war.

 

Sie enthält das prächtigste romanische Portal der alten Mark Brandenburg, in malerischem Wechsel aus Sand- und Backstein errichtet, mit Verwendung von Anregungen aus Arendsee, Magdeburg, Naumburg und Dänemark.

 

Von den vier, wohl allesamt flachgedeckt gewesenen romanischen Backsteinbasiliken der Wische sind drei relativ vollständig erhalten. In Königsmark, östlich von Osterburg sollte wahrscheinlich an der Gabelung der West-Ost-Straße nach Havelberg und Brandenburg eine Stadt entstehen, und deshalb wurde hier eine so ungewöhnlich große und aufwendige Kirche errichtet.Die landläufige Datierung in das Jahr 1164 geht auf den als ganz unzuverlässig geltenden Chronisten Chr. Entzelt zurück 4) und ist auch aus stilistischen Gründen unwahrscheinlich. Die querschifflose Basilika ist auf sichtbarem Feldsteinsockel ganz aus Backstein errichtet. Die Seitenschiffe fehlen seit dem 30jährigen Krieg. Fraglich bleibt, ob der mittelschiffbreite‚ portallose Westquerturm ursprünglich ist. Die in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen relativ seltene Fünfzahl der Langhausarkaden scheint mir auf den Havelberger Dom als Vorbild zu weisen, der doppelt so viele besitzt. Auch die längliche Kreuzform der Pfeiler wird von dort angeregt sein und vielleicht das ungewöhnlich dicke Ziegelformat an der Apsis, das ähnlich vor 1220 in der zweiten Basksteinbauphase des Domturmes (im alten Glockengeschoß) erscheint. Die Friese zeigen Formen aus dem Elb-Havelgebiet, während die Kapitelle der östlichen Langhauspfeiler eher dänischen Einfluß andeuten.

 

In Werben ist über Bauart und -material der Kirche, die Albrecht der Bär 1160 dem Johanniterorden schenkte, nichts bekannt. Von der im letzten Drittel des XII. Jh. neu errichteten Backsteinbasilika aber ist der Westturm erhalten mit Formenapparat der Jerichow-Havelberger Art ohne sichtbaren Feldsteinsockel, aber auch ohne Westportal.

 

Die spätromanische Lambertikapelle auf dem Komturhof ist ein schlichter Rechtecksaal aus Ziegeln, bei dem vor allem die Achsabweichung

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4) Christoph ENTZELT: Chronicon der Alten Marck. Magdeburg 1579, Photomechanischer Nachdruck Stendal 1925, unpaginiert, Bl. I II.

 

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von der Ostrichtung gegenüber der Johanneskirche auffällt.

 

Über die Gründungs- und Frühgeschichte des Augustiner-Chorherrenstiftes St.Nikolai zu Gr.-Beuster ist nichts bekannt. Die Klosterkirche, wiederum eine querschifflose Basilika, ist ein in der „großen“ Kunstgeschichte wenig beachteter, aber ob seiner in Mark und Altmark einmaligen Erscheinung hochbedeutsamer Backsteinbau. Statt des ursprünglich geplanten breiten Westbaus wurde später über dem Westjoch des Mittelschiffs ein gotischer Querturm errichtet. Das Ziegelmaterial ist hier in anderer Weise verwendet worden, als in Altmark und Ost-Elbien sonst üblich, und auf den ersten flüchtigen Blick mag man der Kirche den Backsteinbau gar nicht ansehen: Die Flächen sind jetzt und waren vielleicht auch schon früher hell verputzt, und an den Lisenen und Rundbogenfriesen sind die Fugen rot eingefärbt, so daß das Gebäude eher an rheinische Werksteinkirchen, als an Ziegelbauten der Altmark oder des Jerichowgebietes erinnern möchte. Auch im Innern wollte die Basilika das Bild eines Natursteinbaus bieten. Denn während die anderen großen Backsteinkirchen der Altmark und der Mark wahrscheinlich unverputzte Innenwände hatten - nachgewiesen z. B. für Arendsee und erhalten u. a. in Diesdorf, Jerichow, Sandau und z. T. Lehnin - kommen in Beuster im Mittelschiff unter dem abblätternden Putz Reste architektonischer Malerei zu Tage. Die Langhausarkaden hatten eine Bogenstirn aus aufgemalten schwarzen Quadern. 5) Das könnte u. U. auf eine besonders frühe Entstehung der Klosterkirche Beuster hinweisen, zu einer Zeit nämlich, als der spezifische Formenapparat des ostelbischen Backsteinbaus in der Altmark noch nicht bekannt war, also jedenfalls vor Arendsee / Diesdorf. Die Backsteintechnik in Beuster bietet jedoch keine Anhaltspunkte für eine solche Frühdatierung. Ich möchte daher, auch im Gedanken an die in manchem vergleichbare Kreveser Kirche, eher annehmen, daß hier, aus welchen Gründen auch immer, das Erscheinungsbild des von Jerichow-Havelberg geprägten Ziegelbaus bewußt vermieden wurde. Die Architekturformen scheinen auch hier auf das Elsaß und SW-Deutschland zu deuten.

 

Am nördlichen Ende des altmärkischen Elbabschnitts liegt das jetzt zu Niedersachsen gehörende, ursprünglich aber märkische Schnackenburg. Die Nikolaikirche ist eine, seit langem der Seitenschiffe beraubte, querschifflose‚ spätromanische Basilika mit plattem Chorschluß und gotischem Westquerturm, wiederum ein wenig bekannter

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5) Die romanische Herkunft dieser Bemalung müßte freilich noch geprüft werden. Urs BOECK (Innenräume des frühen Backsteinbaus im mittleren Niedersachsen. In: Niedersächsische Denkmalpflege. VI. 1970 S. 139-144) konstatiert ähnliche Befunde in Verden – St. Andreas, Osterholz (b. Bremen) und Barnstorf Krs. Grafschaft Diepholz. Zu Osterholz s. u. Anm. 32!

 

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Backsteinbau. Die fünf Langhausarkaden könnten u. U. auch hier auf Havelberg zurückverweisen, während die Friese wohl eine spätzeitliche Weiterentwicklung der in Altmark und Jerichowgebiet üblichen Formen darstellen.

 

Außer diesen Basiliken gibt es in der Wische und an ihrem Rand eine Anzahl einschiffiger Dorfkirchen, die in romanisch-frühgotischer Zeit ganz oder teilweise aus Ziegelsteinen errichtet worden sind.

 

Östlich von Osterburg liegen Meseberg, Calberwisch und Uchtenhagen. In Meseberg ist die relativ große turmlose Kirche mit Chor und Apsis ein reiner Backsteinbau der im Jerichowgebiet üblichen Art, aber auf sichtbarem Feldsteinsockel. Das dicke Ziegelformat (28-30 x 9-10 x 13-13½ cm) könnte, wie im benachbarten Königsmark, auf Havelberger Einfluß hinweisen. Da die Kirche in Kriegszeiten stark gelitten hat und Schiffs- und Chorgiebel wie die ursprüngliche Mauerkrone der Apsis fehlen, ist es nicht sicher, ob der zurückhaltende Bauschmuck - Konsolfries und Zahnschnittband - dem alten Bild entspricht. Wie meist im Elb-Havelwinkel hatte das Gotteshaus ursprünglich vier Portale mit Haupteingang im Westen(jetzt nur noch innen an Spuren erkennbar).

 

Für die Datierung der Calberwischer Kirche gilt das oben Bl. 8 zu Königsmark Gesagte. Sie ist ein dreiteiliger apsisloser Mischbau. Der Chorgiebel aus Backstein zeigt ährenförmigen Zierverband.

 

Der Mischbau in Uchtenhagen ist ein weithin unbekanntes Juwel unter den altmärkischen Dorfkirchen. Der Turm des vierteiligen Feldsteinbaus aus dem XII. Jh. wurde um 1200 in Backstein vollendet und ist mit seinen unterschiedlichen Friesen und deren profilierten Konsolen ein wichtiges, in der Fachliteratur übersehenes Beispiel der norddeutschen romanischen Ziegelarchitektur. Die südlichste Konsole an der Westseite zeigt einen ungewöhnlich fein modellierten, bärtigen Kopf und ist die schönste romanische Maskenkonsole des märkischen Backsteinbaus.

 

Südlich des Wischrandes lag auf dem Hochufer der Elbe bei Arneburg das Dorf Niedergörne, das vor fast 20 Jahren dem Kernkraftwerkbau weichen mußte. Das wegen eines Planungsfehlers unnötigerweise gesprengte Gotteshaus war die einzige vollständig gewölbte spätromanische Backstein-Kleinkirche der Altmark. Im XIV. oder XV. Jh.

 

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wurde ein quadratischer Feldsteinturm angefügt, der dann noch später wiederum in Ziegelsteinen vollendet worden ist. Ob der spätromanische Kernbau ein Westportal besaß, war nicht mehr feststellbar, das Schiff hatte im Norden u. Süden je einen Eingang. In einem vor der Sprengung geborgenen Backstein der Chornordwand 6) ist eine wellenbandverzierte slawische Scherbe eingebacken, die ursprünglich dunkelgrau gewesen sein muß. Beim Ziegelbrand wechselte der keramische Zwieback die Farbe und ist jetzt rostrot wie das umgebende Backsteinmaterial.

 

Nordwestlich von Niedergörne lag in der Wische das schon im Mittelalter wüst gewordene Dorf Käcklitz, dessen letzte Gehöfte nach dem II. Weltkrieg verlassen und abgerissen worden sind. Das Gotteshaus, eine aus verschiedenen frühgotischen Bauperioden stammende Backsteinkirche mit spätgotischem Chorpolygon, ist jetzt bis auf den noch unter Dach stehenden Turm Ruine. Die Kirche hatte besonders viele Portale: drei im Schiff und ungewöhnlicherweise zwei im Chor, aber offenbar keinen alten Westeingang.

 

In der Umgebung von Werben stehen die reinen Backsteinbauten zu Berge, Giesenslage, Rengerslage, Wendemark und Neukirchen. Das Gotteshaus zu Berge an der alten Elbe ist eine große vierteilige Kirche auf sichtbarem Feldsteinsockel mit vier Portalen bei dominierendem Westeingang. M. E. handelt es sich um einen Neubau aus der ersten Hälfte des XIII. Jh. an Stelle der schon 1151 erwähnten alten Kirche, über deren Gestalt und Material nichts bekannt ist. Für diese der gängigen Meinung 7) widersprechende Datierung scheinen mir vor allem die Portalgestaltung mit spätzeitlich weiterentwickelten Havelberg-Jerichower Motiven zu sprechen, vielleicht auch die zumeist auf konvexer Grundlage profilierten Frieskonsolen mit oft recht simplen Mustern. Der bestimmende Einfluß des Havelberger Domkapitels, das den Patronat über Berge innehatte, zeigte sich auch im queroblongen Chorgrundriß, während der taustabbesetzte Apsisabsatz von ferne an Brandenburg-St.Nikolai‚ Krevese und Beuster erinnert.

 

Auch die wohl im letzten Drittel des XII. Jh. erbaute Kirche im benachbarten Giesenslage ist ein großer vierteiliger Bau auf Feldsteinsockel, weist aber wesentlich schlankere Proportionen auf und hat „nur“ drei Portale bei westlichem Haupteingang. Die Kirche ist geschmückt in den entwickelten Formen der Jerichower Schule.

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6) jetzt im Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Halle a./S.

7) Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen. IV. Kreis Osterburg. Burg b. M. 1938 S. 55; G. DEHIO: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Neubearbeitung, Bezirk Magdeburg. Berlin 1974 S. 34.

 

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Die stark erneuerte Kirche zu Rengerslage bei Königsmark‚ die wohl gegen Ende des XIII. Jh. einen 1207 bezeugten Vorgängerbau ersetzte, ist ein langgestreckter frühgotischer Saal mit westportallosem Turm und früher zwei Eingängen. Ein Feldsteinsockel ist nur am Turm erkennbar. Das alte Hauptportal an der Südseite zeigt Spuren von gelber Steinglasur und rotgefärbten Fugen, die guterhaltere Ostwand mit Dreifenstergruppe eine in der Altmark einmalige, reich differenzierte Blendengliederung mit romanischen Reminiszenzen.

 

In Wendemark ist die frühgotische, ursprünglich dreiteilige Kirche mit drei Fenstern in der Chorostwand im XVII. bis XIX. Jh. bis zur Unkenntlichkeit verändert worden.

 

Das im XVIII. Jh. behutsam erweiterte Gotteshaus zu Neu-Kirchen ist ein ursprünglich zweiteiliger frühgotischer Bau ohne sichtbaren Feldsteinsockel und ohne massiven Westturm, einst wohl mit Westeingang und drei weiteren Portalen. Die Chorostwand hatte früher offenbar zwei kleine Fenster beiderseits einer sehr breiten Mittellisene. Rahmenportale, Zahnschnittbänder - hier merkwürdigerweise als Sockelandeutung am Mauerfuß angebracht - ‚ Rauten- und Winkelfriese gehören noch dem damals längst landesüblich gewordenen romanischen Formenapperat an, und sie wurden auch in der Barockzeit wiederum zur Angleichung an den Kernbau genutzt.

 

Östlich von Seehausen stehen in der Wische die romanischen Mischbauten zu Schönberg, Falkenberg und Ferchlipp, für die das zunächst verwendete Feldsteinmaterial von weiterher angefahren werden mußte. An der Kirche zu Schönberg waren der später durch einen Polygonalchor ersetzte Ostteil und der Beginn des geräumigen Schiffs in sorgfältig gefügtem, lagerhaftem Feldsteinmauerwerk erbaut. Das Backsteinschiff ist durch Lisenen und einfachsten Konsolfries gegliedert; der massige Westturm gedieh in romanischer Zeit nur bis über Portalhöhe. Ursprünglich waren vier Eingänge mit dominierendem Westportal vorhanden.

 

Auch in Falkenberg war der z. T. in vorzüglicher Feldsteintechnik errichtete und wohlerhaltene Chor mit Apsis bereits fertig und das Schiff begonnen, als man zum Ziegelbau überging. An Schiff und Turm aber sind durch rücksichtslose Restaurierung im XIX. Jh. die meisten originalen Befunde, besonders an den Öffnungen und im Bereich der Mauerkrone zerstört.

 

Dagegen ist die Kirche im benachbarten Ferchlipp 1887 unter möglichster Schonung des originalen Bestandes und so behutsam restauriert

 

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worden, daß man die damals vorgenommenen Eingriffe nur mit Mühe als solche erkennen kann. Sie ist ein reizvoller dreiteiliger Bau in bescheidenen Abmessungen, ursprünglich ohne Westturm. Schon als das in mittlerer Qualität aufgeführte Feldsteinmauerwerk von Chor und Apsis erst die Höhe von knapp einem Meter erreicht hatte, entschloß man sich zum Weiterbau im neuen Material. Dabei wurde an der Apsis der abschließende Bogenfries in ein breites Putzband eingeritzt, vielleicht aus Ersparnisgründen oder weil zunächst noch keine Formsteine zur Verfügung standen. Die Chor-Nordseite ist mit einem Winkelfries geschmückt, die anderen Außenwände mit einfachen Konsolreihen und Zahnschnittbändern. Die beiden Schiffsflanken sind unterschiedlich gegliedert, im Norden in üblicher Art mit Wandlisenen, im Süden außen und innen auf eine in Altmark und Elb-Havel-Gebiet ungewöhnliche Weise durch ein hochgelegenes vertieftes Wandfeld, das sich über fast die ganze Schiffslänge erstreckt. Ob eine gewisse Ähnlichkeit mit einigen nordseenahen Ziegel- und Tuffsteinkirchen (Nordenham-Blexen, Schortens, Hage Krs. Norden) Zufall ist, bedarf näherer Untersuchungen. Unbekannt ist auch, ob der jetzt wieder vermauerte Westeingang schon anfänglich geplant war. Außerdem waren nur zwei Portale vorhanden. In spätgotischer Zeit wurde auf dem Westteil des Schiffs ein Turm aufgebaut. Die Kirche mag aus dem Ende des XII. Jh. stammen und etwas jünger sein als Schönberg und Falkenberg.

 

Nordwestlich von Seehausen stehen am Wischrand zwei weitere romanische Backstein-Dorfkirchen. Die in Krüden ist – vielleicht mit Ausnahme von Gardelegen-St. Nikolai - der größte einschiffige Ziegelbau der Altmark und kann u. U. noch die 1208 in der Arendseer Bestätigungsurkunde genannte Kirche sein. Der portallose Turm besteht innen bis in 1½ m Höhe aus Feldsteinmauerwerk mit außen vorgeblendeter Backsteinhaut. Die gerade Chorostwand ist ganz erneuert. Die Schiffswände besitzen - ähnlich wie die südliche in Ferchlipp - je ein eingetieftes breites Feld, das erst in Höhe der Fenstersohlbänke beginnt. Auch hier ist der Schmuck sonst sehr zurückhaltend. Ursprünglich hatte die Kirche drei Eingänge.

 

Die anfänglich turmlose Kirche zu Gr. Garz mit auffallend kleinem Chor ist stark verändert und wegen der seit langem verputzten Wände schwer zu beurteilen.

 

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Von den romanisch-frühgotischen Feldsteinkirchen mit Backstein-Einzelheiten sind auf der Landkarte die meisten der Übersichtlichkeit wegen ohne Ortsnamen eingetragen. Sie seien deshalb hier namentlich aufgeführt, doch ist diese Liste sicherlich noch nicht vollständig.

 

Im bisherigen Kreis Stendal: Arensberg, Arneburg, Arnim, Baumgarten, Beelitz, Beesewege, Belkau, Bellingen, Bismark, Büste, Dahlen, Dahrenstedt, Döllnitz, Elversdorf, Gohre, Grassau, Grävenitz, Gr.-Möhringen, Gr.-Schwechten, Hämerten, Hassel, Insel, Jarchau, Kl.-Schwarzlosen‚ Möllenbeck, Nahrstedt, Querstedt, Rindtorf, Sanne, Schernikau, Schinne, Staffelde, Steinfeld, Welle, Windberge.

 

Im bisherigen Kreis Osterburg: Baben, Behrenitz, Bertkow, Bretsch, Dessau, Dobbrun, Düsedau, Einwinkel, Erxleben, Flessau, Gagel, Genzien, Häsewig, Heiligenfelde, Hindenburg, Jeggel, Kaulitz, Kirchpolkritz, Kleinau, Kl.-Schwechten, Kossebau, Krusemark, Losse, Meßdorf, Möllendorf, Neulingen, Plätz, Polkau, Schönebeck, Stapel, Thielbeer, Vielbaum, Wollenrade.

 

Im bisherigen Krs. Salzwedel: Binde, Brunau, Dambeck-Dorf, Gr.-Chüden, Henningen, Dankensen, Jeebel, Jeetze, Kl.-Gartz‚ Königstedt, Kuhfelde, Lüge, Packebusch, Rademin, Riebau, Ritze, Ritzleben‚Schernickau, Stappenbeck, Vahrholz, Vissum.

 

Im bisherigen Krs. Klötze: Peertz, Rohrberg.

 

Die Fülle der Möglichkeiten, die sich hierbei ergab, kann nur an einigen Beispielen kurz erläutert werden.:

 

An der einschiffigen Kreuzkirche zu Arneburg / Elbe zeigen die Querhausfronten je einen Rautenfries aus Backstein. Im benachbarten Jarchau erscheinen an der Chornordwand ein in primitiver Weise aus einfachen Backsteinbindern zusammengesetzter Rundbogenfries und im Osten und Süden des gleichen Bauteils Zahnschnittbänder. Besonders interessant ist der Befund in Hämerten bei Tangermünde. Dort ist an der Feldstein-Chorturmkirche über einem aus profilierten Ziegelsteinen gebildeten Absatz das Mittelfeld der Apsis mit dem Fenster aus Backsteinen aufgemauert und Halbrundstäben aus dem gleichen Material gerahmt. Auch der abschließende Kreuzbogenfries ist aus geformten Ziegelsteinen in der üblichen Art gebildet. Am Schiff dagegen ist dieser Fries wie in Ferchlipp in ein breites Putzband geritzt. Auch wenn um Portalbögen eine Flachschicht aus Backsteinen gelegt wurde, wie in Bretsch und Dobbrun, war das

 

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wohl ein reines Schmuckmotiv. In Gr.-Engersen ist das durch kleine Feldsteinplatten nachgeahmt, dgl. in Lüge am Chorportal, wo ein einzelner Ziegelstein zwischen diesen sitzt. 8)

 

Eine spezifische Eigenschaft des Backsteins, seine Formbarkeit im ungebrannten Zustand, wurde an Feldsteinkirchen nicht selten für ein weiteres schmückendes und auszeichnendes Bauelement genutzt, nämlich für die Herstellung von runden Teilungssäulen in Turm-Schallfenstern, so in Belkau, Büste, Dambeck, Erxleben, Flessau, Grassau, Gr.-Möhringen‚ Gr.-Rossau, Gr.-Schwechten‚ Hildenburg‚ Jeetze und Packebusch.

 

Die technischen Vorteile des Ziegelsteins wurden z.B. in Döllnitz, Rademin und Ritze genutzt zur Herstellung der schmalen Wandstücke zwischen eng stehenden Ostfenstern, in Dahlen und Rindtorf für Turm-Mauertreppen, für Turmgewölbe u. a. in Arnim, Beelitz, Kl.-Schwechten, Gr.-Ballerstedt, Nahrstedt und Querstedt.

 

Beide Momente - die ästhetischeWirkung durch das ebenmäßige und farblich hervorgehobene Erscheinungsbild, wie die rationelle Versetztechnik mit „genormtem“ Steinformat - werden eine Rolle gespielt haben für die Herstellung von Fenstern (z. B. in Bellingen, Bertkow, Jarchau Nahrstedt‚ Losse, Neuendorf am Speck und - besonders interessant - Wallstawe) und vor allem von Portalen aus Backstein. Dabei wurden diese Öffnungen bald ganz, bald nur im Bogen aus Ziegelsteinen gefügt. Dagegen verwandte man das neue Material im romanisch-frühgotischen Feldsteinbau m. W. selten für Großbögen, mir nur bekannt vom Triumphbogen in Döllnitz und Gagel und einer spitzbogigen Wandvorlage im Turm zu Gr.-Rossau.

 

Auf die Backsteinportale an Feldsteinkirchen muß etwas näher eingegangen werden: In Dankensen weisen die Backsteine am Schiffs-Nordportal das gleiche Format (ca. 27x8x12 cm) und die gleiche (hier noch flüchtiger ausgeführte) ährenförmige Riffelung auf wie am Diesdorfer Westbau. Da aber das Diesdorfer Westportal dem an der Ratzeburger Domvorhalle sehr ähnlich sieht und wahrscheinlich von einem dort mit tätigen Meister errichtet wurde, läßt sich auch das Dankensener Kirchenschiff mit Vorbehalt in das 3. Jahrzehnt des XIII. Jh. datieren.

 

Die Backsteine am Chorportal in Heiligenfelde sind etwa so groß

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8) Eine bogenbegleitende Flachschicht gibt es auch im mitteldeutschen Natursteinbau‚ z. B. in Magdeburg-Liebfrauen und St. Sebastian, Leitzkau-St. Marien, Klostermansfeld, Strinum, Dahlenwahrsleben u. a. O., doch scheint mir in der Altmark die Herleitung aus dem Backsteinbau näher zu liegen.

 

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wie die am Langhaus-Obergaden im nahen Arendsee (ca. 27x8x12 cm), so daß dieser älteste Bauteil der Dorfkirche auch nicht vor 1215 errichtet sein wird.

 

In Meßdorf fügt sich solch ein Backsteinvergleich m. E. in den Kontext weiterer architektonischer Beziehungen. Die dortige Kirche, die wohl eine gewisse Vorrangstellung in der näheren Umgebung einnahm, hatte wahrscheinlich zunächst einen Zwillingsturm, und die Anregung zu diesem Plan scheint vom Stendaler Domstift gekommen zu sein. Denn das Ziegelformat am Schiffsportal jener Landkirche und an ihren ursprünglichen Schallfenstern ist etwa das gleiche wie am Unterteil der Domtürme (ca. 28-29x8-9x12-13 cm). Wie sparsam man mit dem neuen Material umging, zeigt die aus liegenden Bindern gebildete Flachschicht um den Portalbogen; dort wurden bisweilen auch kürzere Bruchstücke vermauert und die dadurch entstandenen Unregelmäßigkeiten mit eingeritzten und aufgemalten „falschen“ Fugen verdeckt. Etwa gleichgroß sind aber auch die Backsteine der Turm-Schallfenster in dem drei Stunden von Meßdorf entfernten Schinne, das zur Grundausstattung des Stendaler Domstiftes gehörte. Das dortige Gotteshaus hat den gleichen Grundriß wie das Meßdorfer, ebenfalls einen ursprünglichen Westeingang - im altmärkischen Feldsteinbau sonst eher die Ausnahme - und fast die gleichen Proportionen im Schiff. Und auch hier war, nach Spuren in der Glockenstube zu urteilen, ein Turmpaar geplant, das allerdings nicht ausgeführt wurde. Die Kirchen zu Schinne und Meßdorf scheinen also nach dem gleichen, aus Stendal stammenden Entwurf von derselben Werkschar errichtet worden zu sein. Da aber der Chor in Schinne ganz andere Proportionen aufweist, war die Meßdorfer Kirche, an deren Priesterpforte auch noch keine Backsteine verwendet wurden, wohl zunächst nach einer eigenen, von Stendal unabhängigen Konzeption geplant worden. Wenn man annimmt, daß der Stendaler Dombau gleich nach der Stiftsgründung (1188) begonnen wurde und die Türme bei zügigem Bauverlauf an die zehn Jahre jünger sein werden, könnte man die Errichtung von Schiff und Turm in Meßdorf und Schinne vielleicht gegen 1200 und die des Meßdorfer Chores noch etwas früher ansetzen. Sehr lange hatten die Meßdorfer Zwillingstürme keinen Bestand, dann wurde die Lücke zwischen ihnen geschlossen, und der schon im Grundplan angelegte und nun einheitlich durchgeführte Breitturm um das jetzige Glockengeschoß erhöht. Das kann spätestens um 1250 geschehen sein; denn in den neuen Schallfenstern sind die Backsteine noch nach romanischer Manier geriffelt, ihr Format beträgt

 

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ca. 26-27 x 8 x 13 cm, wie in Luerlock und Schallfenstern des nachträglich angefügten Turms im benachbarten Schönebeck, der also auch aus dieser Zeit stammen wird.

 

Interessant ist auch der auf den ersten Blick eher negativ anmutende Befund in Dambeck. Denn dort ist in den Schallfenstern der Feldstein-Dorfkirche das Ziegelformat (ca. 30 x 9 x 14, „Säulentrommeln“ 10-11 cm dick) deutlich anders als im spätromanischen Ostteil der Klosterkirche. (ca. 27 x 9 x 13 cm). Das könnte ein Sachargument für das dem Augenschein nach ohnehin anzunehmende, aber sonst nicht beweisbare höhere Alter der dortigen Dorfkirche sein.

 

Bei Portalen werden diese Vergleichsmöglichkeiten allerdings eingeschränkt durch die Tatsache, daß für den Bogen nicht selten verkürzte Läufer benutzt wurden; auch ist wegen der keilförmigen Abnahme der Bogensteindicke bei voreiligen Schlüssen Vorsicht geboten.

 

Der Umfang der Ziegelsteinverwendung an Portalen ist unterschiedlich. Z. B. in Arensberg, Behrendt, Gagel, Henningen, Kaulitz, Lückstedt (Chor), Plätz und Stappenbeck ist auch das Gewände aus Backsteinen gefügt, sonst aber oft nur der Bogen, so in Arneburg (Chorportal),

Arnim, Baben, Baumgarten, Erxleben, Genzien, Heiligenfelde, Kirchpolkritz, Königstedt, Kossenbau, Meßdorf, Polkau, Riebau, Ritze, Stapel, Vielbaum und Welle. Öfter besteht nur der innere Bogen aus Ziegelsteinen, z. B. in Kleinau (Schiffsportal), Dobbrun (Südtor) und Krusemark. In Arensberg, Gagel, Heiligenfelde‚ Kirchpolkritz, Vielbaum u. a. O. zeigt der Bogen nur Läufer, wobei die strahlenförmig wirkenden Lagerfugen die Weite der Öffnung betonen, während die Bogenstirn mehr flächig erscheint, wenn in regelmäßigen Abständen Stoßfugen eingestreut sind, z. B. in Kl.-Gartz‚ Meßdorf und Stapel. Daß man dies nicht etwa dem Zufall überließ, zeigt die Sorgfalt, mit der die jeweils gewählte Variante eingehalten wurde. Über die Zeitstellung sagen die verschiedenen Arten der Portalkonstruktion offenbar nichts aus, da sie sowohl bei rund- als auch bei spitzbogigen Öffnungen vorkommen. Dagegen könnte die Herstellung der Bogenstirn aus Bindern (z. B. in Binde, Riebau-Nordportal, Schernikau b. Stendal und Stappenbeck) eher eine Spätform sein; denn sie begegnet relativ oft bei spitzbogigen Portalen (z. B. in Behrendt, Genzien, Königstedt und Plätz). Überhaupt muß die Verwendung von Backsteinen kein Zeichen für späte Entstehung sein; denn es gibt auch reine Feldsteinportale mit spitzem Bogen, z. B. in Bretsch, Erxleben (Westtor) und Kläden bei Arendsee. In Erxleben ist der äußere Bogen des Nordportals aus spezialformatigen Backsteinplatten von 25-26 x 8-10 x 21 cm hergestellt. Im Nordportal in Dequede bestehen allein die (profilierten) Kämpfer aus Ziegelmaterial.

 

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In Stappenbeck ist im Scheitel des Südportals eine Backsteinkonsole eingemauert, die in Form eines Kopfes mit langem Knebebart gebildet ist. Sie wird aus dem nahen Salzwedel stammen, wo es aber heute maskenverzierte Frieskonsolen nicht mehr gibt. Somit ist sie ein weiterer Zeuge für den einstigen großen Formenreichtum der spätromanischen Backsteinarchitektur in Salzwedel. In Rohrberg trägt am Zwischenpfeiler des nordöstlichen Turm-Schallfensters ein Ziegelstein einen sternförmigen Stempel. Die beiden letztgenannten, vielleicht reichlich nebensächlich erscheinenden Beispiele mögen zeigen, daß es sich lohnt, auch in altmärkischen Feldsteinkirchen nach unbekannten Befunden zu suchen, die das Bild des romanisch-frühgotischen Backsteinbaus, seiner Formenwelt und seiner Technik abrunden können.

 

Ein besonders interessantes Exempel dafür bietet Losse bei Seehausen. Am ursprünglich wohl stumpf-spitzbogigen Schiffsportal, das jetzt vermauert und durch einen späteren Fenstereinbruch gestört ist, wechseln am Bogen in regelmäßiger Folge ein hochkant gestellter Feldsteinquader und drei Backsteinläufer. Das ist einmalig im altmärkischen, vielleicht im ganzen norddeutschen Feldsteinbau. 9) Aus dem mittel- und norddeutschen romanischen Werksteinbau ist mir diese Erscheinung nur bekannt aus Altzella, Altenburg-Marienstiftskirche und Verden-St. Andreas, wo sie auf lombardische Vorbilder zurückgeführt wird und immer an rundbogigen und um viele Jahrzehnte älteren Portalen auftritt.

 

Setzt man die Herkunft der Losser Steine aus Arendsee oder Seehausen als den nächstgelegenen Ziegelgroßbauten voraus 10), so könnte das Auftreten des Materialwechsels im hiesigen Portalbogen darauf hinweisen, daß in den dort tätigen Werkstätten noch Motive aus der italienischen „Stammheimat“ der Backsteinarchitektur bekannt waren und griffbereit lagen, die in jenen beiden Basiliken selber nicht angewandt worden sind. 11) M. E. ist es aber auch möglich, daß diese Form hier ohne direkte Vorbilder selbständig entstanden ist. Denn das

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9) In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein müßte noch nach eventuellen Analogien gesucht werden.

10) Das Ziegelformat des Losser Portalbogens (ca. 27 x 7 cm) kommt in der allerletzten Arendseer Bauphase am dortigen Westgiebel vor, gelegentlich aber auch im Seehausener Westportal.

11) Wie lange gerade diese Form nachwirken konnte, zeigt die Kirche in Westen a. d. Aller, wo, wohl vom benachbarten Verden-St. Andreas angeregt, noch im XIV. Jh. solch ein Portal mit Wechsel von Backsteinen und Sandsteinquadern im Bogen gebaut wurde.

 

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Motiv des materialgegebenen Farbwechsels war dem Feldsteinbau in der Eckaufmauerung mancher romanischer Kirchen und auch der altmärkischen Ziegelarchitentur als Wandbelebungselement (z. B. in Diesdorf und Krüden) wohlbekannt.

 

Die unscheinbare Kirche im abgelegenen Dörfchen Losse könnte aber noch in anderer Beziehung für unsere Fragestellungen interessant sein. Das Vorherrschen des gedrückten Spitzbogens bei sorgfältiger Mauertechnik und kleinen Fensterabmessungen, wie die mögliche Herkunft der hiesigen Backsteine von der Arendseer Klosterkirche in deren letzter Bauzeit scheinen eine Datierung um 1240 nahezulegen. 12) Sollte das zutreffen, so hätte man in Arendsee - sicherlich ganz bewußt - noch zu einer Zeit alle Öffnungen rundbogig überwölbt, als man in einer kleinen Dorfkirche der gleichen Gegend bereits ungeniert den damals „modernen“ Spitzbogen anwandte. Gängige Klischees wie das von „konservativer“ oder gar der „Entwicklung“ nachhinkender Dorfkirchenarchitektur sollte man also neu überdenken. Aber wahrscheinlich führt ein an der Fiktion geradliniger Entwicklung orientiertes Denken ohnehin in die Irre.

 

Schließlich hinterließ die Backsteinbaukunst ihre Spuren an altmärkischen Feldsteinbauten auch noch indirekt in Putzritzungen, denen sie ihre Muster lieh, außer an den schon genannten Beispielen vor allem in Bertkow (an der Chorsüdwand zwei Kreuzbogenfriese übereinander!) Bismark, Kl.-Garz, Neuendorf am Speck und Riebau.

 

Als historische Landschaft ist die Altmark eine Übergangszone von West nach Ost, von Niedersacnsen nach der Mark Brandenburg, und es scheint nahezuliegen, auch ihren Backsteinbau lediglich als Ergebnis des Zusammentreffens von Einflüssen aus diesen Nachbargebieten

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12) Die Datierung im Inventurband (wie Anm. 7 S. 206) auf Anfang XIII. Jh. und die im Dehio Magdeburg (ebd. S. 256) gar in das späte XII. Jh. ist sicherlich zu früh.

13) An altmärkischen Feldsteinkirchen aus romanisch-frühgotischer Zeit gibt es auch andere Friesformen auf solchen Putzstreifen ‚ z. B. ein jetzt unkenntlich gewordener Zinnenfries in Späningen bei Meßdorf (Inventar Osterburg wie Anm. 7 S. 315), verschiedene geometrische Muster in Genzien‚ Grünenwulsch und Poritz und ein spätromanischer Blattfries an der Ostwand in Osterwohle.

 

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zu verstehen. Solche, allein an der geographischen Situation orientierte Betrachtungsweise würde jedoch wesentliche Momente übersehen. Denn anders als im Elb-Havel-Winkel gab es in der Altmark schon vor dem Aufkommen der Ziegelarchitektur massive Steinbauten, nämlich romanische Kirchen aus Feldsteingranit. In Salzwedel-St. Marien, Osterburg, Seehausen, Gr.-Rossau, Storbeck, Calberwisch, Uchtenhagen, Ferchlipp, Schönberg und Falkenberg löste der Ziegel den Feldstein ab. Die Anfänge des Granitbaus in unserer Region mögen bis in die erste Hälfte des XII. Jh. oder gar noch weiter zurückgehen, wie Ausgrabungen in Wittingen ergaben. 3)

 

Freilich dürfte sich aus dieser frühen Zeit - vielleicht außer den Schiffsmauern in Dähre - kaum etwas erhalten haben. Die ältesten überlieferten Baudaten sind wesentlich jünger. So ist die (im XIX. Jh. bis auf den Turm durch einen Neubau ersetzte) Feldsteinkirche zu Ristedt (Krs.Klötze) 1182 geweiht und die zu Sanne (Krs.Osterburg), Flessau, Hassel und Eichstedt erst 1230. Wie schon der Blick auf die vielen Feldsteinbauten mit Backsteineinzelheiten und auf die Putzstreifen mit eingezeichnetem Kreuzbogenfries nahelegt, werden die meisten der heute noch vorhandenen altmärkischen Granitkirchen zu einer Zeit errichtet worden sein, als hier bereits Ziegelbauten vorhanden waren, also kaum vor dem letzten Drittel des XII. Jh. Auch später verschwand der Feldstein nicht aus der altmärkischen Sakralarchitektur, sondern blieb bis zum Ende des Mittelalters bevorzugter Baustoff für ländliche Kirchen.

 

Wichtiger als die Materialfrage selber scheint mir zu sein, daß mit dem Natursteinbau schon eine bestimmte Architekturtradition in der Altmark heimisch war, und diese trug offensichtlich eigenkirchlichen Charakter. Gut zwei Drittel der altmärkischen Granitbauten hatten ursprünglich kein Westportal sondern sind doppelpolig konzipiert. In ihnen eignet dem Schiff kein ausgesprochener Richtungszug, es ist vielmehr die Spannungsmitte zwischen den beiden Polen Chor und Westturm. Dem Altarhaus steht es als Verweilraum gegenüber, war aber auch zum Turmerdgeschoß in eine Beziehung gesetzt. Die Raumproportionen erscheinen statisch und gelagert, im Schiff verhält sich die Breite zur Höhe meist wie 3:2 bis 4:3. Weiter ist die Eigenständigkeit des Langhauses dadurch betont, daß der Triumphbogen oft schmaler ist, als die halbe Schiffsbreite mißt, so daß der Chor relativ abgeschnürt war. Gegenläufig zur Höhenstaffelung wirkte sich die Lichtführung aus: Dem relativ am hellsten ausgeleuchteten

 

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Sanktuarium mit seinen bis zu sieben Fenstern stand der ausgesprochene Dunkelraum im Turmerdgeschoß gegenüber. Die Fenster selber waren recht klein (in neuerer Zeit durchweg vergrößert). Wo die Feldsteinportale aufwendiger gestaltet sind mit sorgfältig bearbeiteten Eckquadern und profilierten Kämpfern, haben sie meist auch einen eigenen betonten Sockel (z. B. in Arneburg, Bismark, Bretsch, Kleinau, Meßdorf und Steinfeld, bei weiteren wird er in dem allmählich angewachsenen Erdboden stecken). Mindestens zwölf einschiffige Feldsteinkirchen in der Altmark sind (bzw. waren) vollständig, also auch im Langhaus, gewölbt. Dabei nahm man m. W. nur in Möllendorf für das Schiffsgewölbe Ziegelsteine. 14)

 

Die Backsteinbauten des Elb-Havelgebietes dagegen haben alle ein großes Westportal, und ihnen ist ein klarer Richtungszug eigen. Ihr Turmuntergeschoß ist kein geheimnisvoller, uns in Funktion und Bedeutung rätselhafter Dunkelraum, sondern Vorhalle zum Schiff. Der Gemeinderaum selber hat steilere Proportionen (5:4 bis 1:1) und ist durch den großen Triumphbogen, dessen Weite immer mehr als die halbe Schiffsbreite mißt, inniger mit dem Altarhaus verbunden. Die Fenster waren schon ursprünglich größer als in den Feldsteinbauten, und das Langhaus hat meist mehr Lichtöffnungen als dort. Auch die einschiffigen Kirchen haben relativ viele - oft vier, bisweilen fünf - Eingänge. Charakteristisch für den Ziegelbau jener Gegend ist vor allem auch eine unstruktive Wandauffassung. Die Außenhaut einer solchen Kirche ist keine auferbaute Mauer mit vorspringendem, plastisch betontem Fuß und ausladender Krone, sondern der Sockel ist zu einer recht hohen und wenig tiefen unteren Rahmenleiste geworden, die mit Lisenen und Friesen in einer Ebene liegt; oben fehlt ein vortretendes Dachgesims. 15) Dementsprechend sitzt das Portal durchweg in einem flachen rechteckigen Rahmen ohne eigene Basis, der nahtlos aus dem Sockel herauswächst und an den manchmal auch eine Lisene fluchtgleich anschließt. Im Umkreis von Jerichow und Havelberg hat keine romanische Backstein-Kleinkirche Gewölbe im Schiff, und auch die Basiliken dieses Gebietes - Jerichow, Havelberger Dom, Sandau und Schönhausen sind (bzw. waren) im Langhaus alle flachgedeckt.

 

14) Es liegt auf der Hand, daß diesen altmärkischen Feldsteinkirchen zahlreiche symbolische Bezüge innewohnen, daß aber in ihnen auch manches vorchristliche Gedankengut fortlebte.

15) Zugeständnisse machte man am ehesten an der Apsis, so am Sockel‚ in Sandau und Schönhausen und am Gesims in Jerichow-Stiftskirche‚ Redekin und Gr. Mangelsdorf. Das stark plastisch gestaltete Dachgesims an der Schönhausener Apsis ist aber eine „stilwidrige“ Zutat des XIX. Jh., dgl. das in Gr.-Wülkow.

 

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Das Material ist also nur einer von vielen Faktoren, die den Backsteinbau des Elb-Havelwinkels von den altmärkischen Feldsteinkirchen unterscheiden. Die aufgezählten Besonderheiten aber stammen allesamt aus reformkirchlicher Architekturtradition. 16)

 

Als sich im vorletzten Jahrzehnt des XII. Saeculum zwei Dynasten unserer Region und ihre Architekten entschlossen, die Klosterkirchen zu Arendsee und Diesdorf in Backstein zu errichten, kamen die dafür notwendigen Fachleute - Ziegelbrenner und Maurer - aus dem Elb-Havelgebiet, und sie vermittelten mit der Technik auch den dort heimisch gewordenen Formenapparat nach der Altmark, Kapitelle, Kämpferprofile, Lisenen und Friese. Alles aber, was im ostelbischen Backsteingebiet spezifisch reformkirchlich geprägt war, wurde in Arendsee und Diesdorf eliminiert, und in den baubestimmenden Grundentscheidungen richtete man sich nach anderen Leitbildern, vor allem dem staufischen Altenburg und dem welfischen Lübeck, Ratzeburg und Braunschweig, daneben auch nach westphälischen und dänischen Beispielen (s. o. Bl. 3!). So wurde hier gleichsam mit denselben Farben und Pinseln ein ganz anderes Bild gemalt als jenseits der Elbe.

 

Der auffallendste Unterschied ist die Großwölbung, die offenbar von Anfang an für den ganzen Bau geplant war und (in Arendsee

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16) Diese reformkirchlichen Züge sind sicherlich durch die Prämonstratenser der sächsischen Zirkarie in das Elb-Havelgebiet vermittelt worden, ja man kann sich fragen, ob nicht die Wendung zum Backsteinbau selber in diesem Sinn zu verstehen ist als Wiederaufnahme des Baumaterials der Alten Kirche. In der Niederung von Elbe und unterer Havel wären die Voraussetzungen für eine solche Rezeption besonders günstig gewesen, da der Mangel an Naturstein ohnehin das Problem der Materialbeschaffung für große Kirchenbauten verschärfte und da hier andererseits eine bodenständige Architekturtradition fehlte, die der Wahl des neuen Baustoffs im Wege stehen konnte (siehe hierzu: MÜLLER, Hellmut: Beiträge zur Baugeschichte der Klosterkirche Arendsee in der Altmark. Diss. theol. Halle 1972 - Mschr. - S. 274-301. Ich würde die dort vorgetragenen Thesen allerdings heute vorsichtiger formulieren!). In der Jerichower Stiftskirche selber, dem mutmaßlichen Erstling der norddeutschen Ziegelbaukunst, waren jene reformkirchlichen Elemente zwar zunächst nur wenig zum Zuge gekommen; denn das Langhaus war dort nach dem ursprünglichen Plan bloß um höchstens zwei Mauerstärken länger als breit und scheint wenig von spezifischem „Reformgeist“ geatmet zu haben, und auch die erste eingreifende Änderung, der Kryptaeinbau, wurde durch andersartige, sicherlich über Magdeburg vermittelte sächsische Tradition geprägt. Spätestens aber seit der durch Havelberg angeregten Langhausverlängerung konnte sich der in den genannten reformkirchlichen Merkmalen evidente Impetus voll entfalten und wurde dann in allen Parallel- und Nachfolgebauten in großer Breite wirksam.

 

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nach zwei Planungsbrüchen) konsequent durchgeführt wurde. Im Jerichowgebiet kaum denkbar wäre aber auch das ungleichmäßig gestufte Arendseer Querschiffsportal, das um fast einen Meter aus der Mauerflucht vortritt und in dem drei alte Auszeichnungsformen, Giebel, hochgestellte Säule und durch leichte Überziehung betonter Bogen ein bedeutungsgeladenes Werk entstehen ließen 17) Ähnlich ist es bei der Vierung, die allseits von architektonisch hervorgehobenen Halbsäulen umgeben ist 18) und bei weiteren Motiven. 19) Zu der in eigenkirchlicher Tradition stehenden Arendsee-Diesdorfer Wandgestaltung mit betontem Sockel (letzteres z. B. auch in Dambeck) paßt der zwei Schichten hohe Natursteinsockel aus sauber bearbeitetem Findlingsgranit, der allerdings nahtlos in den profilierten Backsteinsockel übergehend, keinen weiteren Rücksprung vermittelt. 20)

Auch die Wandlisenen der Apsis, die das Bild jenes hervorragenden Bauteils mit prägen, sind in Jerichow und Arendsee nur auf den ersten Blick ob ihres polygonalen Querschnitte ähnlich. Denn die halbsechseckigen Lisenen der Arendseer Apsis sind fast doppelt so breit (27-28 cm) wie die halb-achteckigen Jerichower, obwohl die Konche selber hier um etwa einen Meter schmaler ist als dort. Daß sie in Arendsee deutlich aus der durch Fries und Ecklisenen bestimmten Ebene heraustreten und dadurch ein ausgesprochen plastisches Moment in das Bild der Wand bringen, ist keine Zufallsform; denn der Baumeister mußte deshalb für Lisenenfuß und -kopf eine eigene komplizierte Lösung ersinnen. In Diesdorf sind die halbrunden Apsislisenen ebenfalls breiter (ca. 25 cm) als z. B. die entsprechenden in Sandau (ca. 17 cm) und in einer Technik konstruiert,

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17) Entsprechend am Diesdorfer Transeptportal, wo aber vieles in Arendsee spannungsvoll Gestaltete nivelliert und „verharmlost“ ist.

18) Halbsäulenvorlagen an Vierungs-und Triumphbogenpfeilern gibt es auch in Jerichow und Sandau, in der weiteren Mark und in der Lausitz in Lehnin, Jüterbog und Doberlug. Als vollständiges System an allen Vierungspfeilern aber erscheinen sie im deutschen romanischen Ziegelbau sonst nur in Altenburg und – m. E. durch Arendsee angeregt - in Bergen auf Rügen.

19) Ob der ursprüngliche Plan für Arendsee und Diesdorf ein großes Westportal vorsah, bleibt ungewiß. Denn in Arendsee wurde kein monumentaler Westbau ausgeführt und ist die jetzige‚ westliche Querschnittsfacade mit ihrer kleinen Tür eine, immerhin architektonisch interessant gestaltete, Notlösung; in Diesdorf ist der Westbau mit seinem großen Portal erst nach einer längeren Bauunterbrechung (von einem Ratzeburger Meister) errichtet worden.

20) Einen sichtbaren Natursteinsockel haben auch die beiden Jerichower Kirchen - die Klosterkirche nur in den älteren Bauabschnitten mit Ausnahme des nördlichen Nebenchors vor der Langhausverlängerung - und in jener Region Klietznick und Schlagenthin was aber nichts an dem beschriebenen rahmenartigen Charakter der dortigen Wände ändert.

 

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die im engeren Jerichowgebiet nicht vorkommt und mir nur aus Sandau, Berge / Elbe, Verden-St. Andreas und Altenburg (Doppelturmfront) bekannt ist, im Prinzip aber mit an den polygonalen

Arendseer Wandlisenen angewandten übereinstimmt. 21)

 

So war es eine ausgesprochen selektive Aufnahme der ostelbischen Ziegelarchitektur, welche die vermuteten Anfänge der neuen Bauweise in der Altmark prägte. Denn an die Stelle der dort inzwischen heimisch gewordenen dezidiert reformerischen Elemente traten eigen- und reichskirchliche, die ihre aktuellen Impulse aus anderen Gegenden erhielten (Altenburg, Westphalen, Braunschweig, Backsteinbauten Heinrichs des Löwen), aber auch Anschluß an die hier bodenständige Tradition fanden. 22)

 

In dieser besonderen Ausformung verbreitete sich vom Ende des XII. Jh. an der Ziegelbau in der Altmark, repräsentiert durch die gewölbten Großkirchen in Salzwedel, Wittingen und Gardelegen-St. Marien in seiner spätromanischen Gestalt, aber auch durch die westeinganglose Basilika in Werben und das sehr aufwendig gestaltete Seehausener Westportal. Dabei ließen die unterschiedlichen Einflüsse jede einzelne Kirche zu einem nur sich selbst gleichen Bau werden. Über die Basiliken in Stendal-Dom und Tangermünde kann man ob des zu geringen Umfanges an erhaltenen Resten nichts Sicheres sagen

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21) Bei den genannten Bauten ist die Lisene aus gerundeten Steinen zusammengesetzt, und daneben entsteht beiderseits eine durchgehende Vertikalfuge, auch steht (außer in Verden und Altenburg) in jeder zweiten Schicht auf dem Lisenenrücken eine Stoßfuge. Sonst ist (z. B. Lehnin, Gr.-Mangelsdorf, Osterholz-Nordtranseptostwand und Ratzeburg-Apsis und Süd-Querhaus) das Lisenenrund an einem Ende der Läufer herausgearbeitet, die abwechselnd mit dem langen Stück rechts und links der Lisene vermauert sind und nur hin und wieder aus einem Binder.

22) Freilich ist die hier vorgetragene Deutung nur e i n e mögliche Sicht. Auch die romanische Kunst war einmal lebendiges Leben, d. h. voller Zufälle, Widersprüche und Unwägbarkeiten und daher in der historischen Rückschau auch bloß unvollständig erfaß- und rekonstruierbar. Das gilt erst recht, wenn wir wagen, die verwirrende Vielfalt der vorgefundenen Erscheinungen in eine ordnende, zusammenfassende und unterscheidende Sytematik zu bringen. So scheint es nicht zu der oben versuchten Deutung zu passen, daß in Diesdorf nicht nur das „Ratzeburgische“ Westportal, sondern auch die wohl noch einer früheren Bauperiode angehörende südliche Langhauspforte den echten rechteckigen Sockelumlauf zeigt, der mehrmals in der Havelberger Domklausur vorkommt. Dabei begegnet am Havelberger Kapitelsaaleingang eine interessante Übergangsform zwischen Sockelumlauf- und Rahmenportal: der senkrecht aufsteigende Sockelwulst reicht nur bis zum Portalkämpfer, während darüber der Bogen von einem einfachen rechteckigen Rahmen umfangen wird (jetzt durch die gotische Kreuzgangwölbung verunklärt).

 

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In der östlichen Altmark bis an den Rand der Wische wurden die städtischen Pfarrkirchen wie die in Bismark, Stendal, Osterburg und Seehausen offenbar noch länger in Feldsteinbauweise errichtet, 23) und auch im ländlichen Kirchenbau der Elbeniederung selber schaffte man das Granitmaterial zunächst von weiter heran, ehe man sich für den Backstein entschied. Das scheint auch noch zu einer Zeit geschehen zu sein, als der neue Baustoff hier bereits bekannt war, wie die gelegentliche Ziegelverwendung in dem Wischedorf Dobbrun bei Osterburg anzeigt (s. o. Bl. 14!). Es muß vorerst der Spekulation überlassen bleiben, ob damals noch keine Fachleute für den Ziegelbrand und für die Errichtung ganzer Backsteinbauten auf dem flachen Land zur Verfügung standen oder ob man hier etwa gewisse Ressentiments gegen den neuen Baustoff hegte, die ihn nur bei Schmuckformen und anderen Einzelheiten zuließen. 24) Da es keine verläßlichen Kriterien für die Datierung des Feldsteinbaus gibt, 25) läßt sich auch nichts darüber sagen,wann die ersten Backsteinkirchen in der Wische errichtet wurden und ob sie älter sind als Arendsee und Diesdorf oder jünger.

 

Wenn eine Kirche in Feldstein begonnen war, so lag auch ihr Grundplan bereits fest. In Calberwisch und Uchtenhagen z. B. änderte die Übernahme des neuen Materials nicht viel an dem architektonischen Charakter der Kirche. In Schönberg allerdings brachten die relativ vielen Eingänge mit großem Westportal und deren flach-rahmenartige Gestaltung einen stark überelbisch-reformerischen Einschlag in das als Feldsteinbau begonnene Gotteshaus. Bei den Pfarrkirchen, die von Anfang an als Backsteinbauten errichtet wurden, holte man

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23) Das betont (unter anderem Aspekt und z. T. mit anderen Schlußfolgerungen) auch Ernst BADSTÜBNER: Zu Nachwirkungen der Magdeburger Dombauten in der Architektur der Mark Brandenburg. In: Hrg. ULLMANN, Ernst : Der Magdeburger Dom - Ottonische Gründung und staufischer Neubau. Leipzig 1989 S. 218.

24) Über das Verhältnis des Aufwandes und der Kosten bei Feldstein- und bei Backsteinbauten in dieser frühen Zeit gibt es m. W. noch keine gründlichen Untersuchungen.

25) Seit Herausgabe der Inventarbände Stendal und Osterburg (s. Anm. 5 Krs. Osterburg 1938 S. 13f. und passim, dgl. Bd. 3 Krs. Stendal-Land. Burg b. M. 1933 passim) hält man meist den „vollständigen“ Grundriß aus Turm, Schiff, Chor und Apsis, sowie die sorgfältigste Mauertechnik für Zeichen besonderen Alters der btr. Kirchen. Größe und Grundriß aber, wie Mauerwerksqualität waren m. E. in hohem Maße abhängig von dem Aufwand, den sich die jeweiligen Bauherren leisten konnten oder wollten, sicherlich auch von den Fähigkeiten der ausführenden Bauleute. So vertratenen die vier 1230 geweihten Dorfkirchen (s. o. Bl. 20!) ursprünglich wohl drei verschiedene Grundrisse, und in Schönebeck b. Meßdorf zeigen die nördliche und die südliche Schiffswand deutliche Unterschiede in Ausführungsart und Mauerungsqualität.

 

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mit der neuen Technik auch reformkirchliche Baugewohnheiten über den Strom, so die schlankeren und steileren Proportionen in Meseberg und Giesenslage, das Westportal in Meseberg, Giesenslage, Berge und Neukirchen, die offenere Verbindung zwischen Schiff und Chor in Meseberg, Giesenslage, Berge und Niedergörne und die relativ vielen Portale in Meseberg, Berge‚ Neukirchen und Käcklitz. Dabei scheinen vor allem auch der Havelberger Dom an dessen Turmobergeschossen und Stiftsgebäuden man zum Backstein übergegangen war und dessen Filiationen als Vermittler gedient zu haben. 26) Das gilt ebenfalls in besonderer Weise für die Basiliken in Königsmark und Schnackenburg. Doch ist keine dieser Kirchen einfach ein ins westelbische Gebiet versetzter Vertreter des prämonstratensisch bestimmten Backsteinbaus jenseits des Stromes. Denn nur in einer einzigen Wischekirche (Meseberg) treten bzw. traten die meisten der für die romanische Ziegelarchitektur des Elb-Havelgebietes bezeichnenden Merkmale gemeinsam auf, und selbst diese hat - wie die Mehrzahl der anderen - den altmarktypischen sichtbaren Feldsteinsockel. So begegnen auch in den Ziegelbauten der Wische Elemente, die eher aus der altmärkischen Architekturtradition zu stammen scheinen, z. B. die relativ kleinen Fenster in Giesenslage und die ursprünglich portallos geschlossene Westwand in Werben, Krüden und Käcklitz und noch gegen 1300 in Rengerslage. Die rechteckigen Rahmenportale, eine Leitform des ostelbisch-prämonstratensischen Backsteinbaus, treten dort, an Sockel und Lisenen anschließend, um einen Stein vor die Wandebene, in Königsmark, Berge, Giesenslage und Niedergörne (in der westlichen Altmark in Salzwedel-St. Lorenz) dagegen um das Doppelte, was mir im Jerichowgebiet nur vom Westportal der spätzeitlichen Kirche zu Neuenklitsche bekannt ist. Entsprechend tief sind in Königsmark am Chor die östlichen Ecklisenen, die erst in Höhe des Fensterbögenansatzes auf die Friesebene zurückspringen. Jene nur auf den ersten Blick geringfügige Einzelheit verleiht dem Erscheinungsbild der btr. Kirchen stärker plastisches Gepräge und trägt dazu bei, daß auch die Backsteinarchitektur der Wische gegenüber den Bauten des Elb-Havelwinkels einen eigenständigen Charakter besitzt.

 

Daneben machen sich vor allem in Berge Einflüsse bemerkbar, die offenbar aus anderen Kunstprovinzen stammen, und die vorerst noch nicht einmal ungefähr datierbare Basilika in Gr.-Beuster ist unter den romanischen Ziegelbauten der ganzen Altmark ein ausgesprochener Fremdling.

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26) M. E. ist es notwendig, den Unterschied zwischen der eigentlichen Jerichowgruppe und dem speziell Havelberger Bautenkreis deutlicher herauszuarbeiten.

 

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Nach dieser Übersicht über die romanisch-frühgotische Ziegelarchitektur in der Altmark sei nun noch ein Querschnitt unter den technischen Aspekten des Backsteinbaus versucht.

 

SOCKEL UND FUNDAMENT.

 

Die meisten altmärkischen Ziegelbauten der uns interessierenden Epoche haben einen auf Sicht berechneten Feldsteinsockel, über dem die profilierte Backsteinbasis ohne Rücksprung aufsitzt. Er fehlt m. W. nur in Gardelegen-St. Nikolai‚ Buch, Jerchel, Krüden, Schnackenburg und Beuster. 27) Damit unterscheidet sich die Altmark nicht von dem gleichzeitig in Niedersachsen, Ostfriesland, Holstein, Mecklenburg und Dänemark üblichen Brauch. Im Elb-Havelgebiet dagegen ist solch ein sichtbarer Natursteinsockel die Ausnahme geblieben. 20) Die Feldsteine des Sockels sind quaderartig gut bearbeitet z. B. an Haupt- und Nordapsis in Arendsee, weniger sorgfältig bereits in Diesdorf. An beiden Bauten sind in den meist sehr breiten Lager- und Stoßfugen zwischen den Feldsteinen Spuren ursprünglicher Fugenritzung der Art erhalten, wie sie an den romanischen Feldsteinbauten üblich ist. Das erlaubt m. E. den Schluß, daß der Feldsteinsockel unserer Backsteinkirchen nicht von den auswärtigen Ziegelbauleuten angelegt wurde, die eine andere Fugentechnik übten (s. u. Bl. 44), sondern von den wohl einheimischen Handwerkern, die etwa gleichzeitig die vielen Findlingsgranitkirchen der Altmark errichteten.

 

Vielleicht traute man in den west- und nordelbischen Gebieten mit Naturstein-Bau-Tradition dem Feldsteinmaterial eine größere Druckfestigkeit und Härte zu, ist doch Granit auch um ¼ schwerer als Backstein. 28) Da dieses Material auch wesentlich weniger Wasser aufzunehmen vermag als der mehr oder minder poröse Ziegel, erwartete man von dem Feldsteinsockel möglicherweise eine gewisse Isolierfunktion gegen aufsteigende Nässe.

 

Wegen der Situation bei den Sockeln ist anzunehmen, daß auch das Fundament der altmärkischen Backsteinkirchen für gewöhnlich aus Feldstein bestand. Ohne Grabungen läßt sich hier nichts Sicheres sagen.

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27) Da häufig das Außenniveau im Lauf der Jahrhunderte angewachsen ist, steckt der Feldsteinsockel heute, wie z. B. in Arendsee an Hauptapsis und Chorsüdseite, häufig im Boden und ist daher im Einzelfall Nachprüfung notwendig.

28) Diesen Hinweis wie den auf die hygroskopischen Eigenschaften des Backsteins verdanke ich Herrn Dipl. Ing. Günter Rudhard in Magdeburg.

 

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GRÖSSE, AUSSEHEN UND BEARBEITUNG DER BACKSTEINE.

 

Format, Farbe und andere Eigenheiten des Backsteins sind weithin von den örtlichen Gegebenheiten abhängig, wie etwa von der Beschaffenheit des Rohmaterials und von der Temperatur, die sich beim Brand mit dem zur Verfügung stehenden Brennstoff erzielen ließ. Daher darf aus den genannten Merkmalen unserer romanischen Ziegelsteine nur in sehr beschränktem Umfang auf Verwandtschaft zwischen einzelnen Bauten oder Bautengruppen geschlossen werden. Eine zuverlässige Datierungshilfe sind sie also nicht, und auch bei der Folgerung von - gar allgemeingültigen - Entwicklungslinien sollte man sehr vorsichtig sein. 29) Dagegen können Format, Farbe und Struktur der Steine innerhalb e i n e s Baues wertvolle Hinweise auf Zusammenhänge wie auf unterschiedliche Bauperioden geben. Und wenn wir uns auf die Feststellung allgemeinerer Tendenzen, etwa der Vorliebe für besonders dicke Steine, beschränken und auf zentimetergenaue Abgrenzung verzichten, darf wohl auch nach übergreifenden Beziehungen gefragt werden. Denn erfahrene Werkleute werden beim Wechsel zu einer neuen Baustelle das einmal Gelernte und Bewährte nicht ohne Not aufgegeben haben, etwa den Brauch, Steine herzustellen, die sich gut mit einer Hand aufheben und versetzen lassen, oder aber umgekehrt die Gewohnheit, echte Zweihänder zu bevorzugen.

 

BACKSTEINFORMATE.

 

Bei Feststellung und Vergleich der Backsteinformate ist nach meinen Erfahrungen besondere Vorsicht geboten. Denn es gibt hier auch innerhalb der gleichen Wandabschnitte oft mehr oder weniger große Schwankungen , die auf Maßdifferenzen zwischen den einzelnen Formkästen zurückgehen mögen, aber sicherlich auch auf Besonderheiten des Feldbrandes (unterschiedliche Temperaturen in den äußeren und inneren Zonen des Ofens). Zudem muß man sich beim Messen meist auf die erreichbaren unteren Mauerpartien beschränken und übersieht aus der Entfernung kaum erkennbare, aber oft nicht unerhebliche Formatvarianten in den höheren Regionen. So ließ sich z. B. in Diesdorf kürzlich vom Gerüst aus feststellen, daß an der Nordtranseptostwand die alten Steine oberhalb des Frieses merklich größer sind (27-28x8-9x12 cm) als unten (26x7-8x11 cm). Unter diesen Umständen

 

29) so auch BINDING, Günther: Das Aufkommen von Backstein und Ziegel in Deutschland. In: Gebrannte Erde - Zeitschrift des Fachverbandes der Ziegelindustrie Baden-Württemberg. Stuttgart 1973 unpaginiert 8. Seite.

 

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scheint mir mein aus eigenen Messungen und aus Literaturangaben zusammengestellter Formatekatalog noch nicht auszureichen, um gültige Aussagen über die Backsteingrößen machen zu können.

 

Immerhin fällt auf, daß die Altmark im Steinformat ein anderes Bild zeigt als die benachbarten Ziegelbaugebiete im Elb-Havelwinkel, in Niedersachsen und im ostseenahen Norden. Denn hier stehen in den einzelnen Kirchen am Anfang oft ziemlich große Formate und sind erst die jüngeren Steine kleiner, und zwar in allen drei Dimensionen. So beträgt in Arendsee das Backsteinformat in den Ostteilen recht uneinheitlich 28-31x8-10x12-13 cm, im Langhaus 26-27x7-8x11-12 cm und am West- und Südgiebel als den wohl jüngsten Bauteilen ca. 27x7x12 cm. Ähnlich ist es an den Stendaler Domtürmen, in Werben-St. Johannes, Königsmark‚ Seehausen und Gr.-Beuster und an den Backsteinportalen und Turm-Schallfenstern der Feldsteinkirchen zu Meßdorf (Krs. Osterburg) und Schinne und Elversdorf (Krs. Stendal), weniger ausgeprägt z. B. in der Dambecker Klosterkirche, in Berge, Ferchlipp, Niedergörne und Schnackenburg. Gegenüber dem Befund im nur wenig älteren Arendseer Ostbau fallen am gleichen Bereich in Diesdorf die deutlich kürzeren Steine auf (26-27x8x11-12 cm), die aber im Langhaus auch niedriger und erst im Westbau wieder dicker sind. In Salzwedel-St. Marien stehen zwar am Anfang auch recht kurze Ziegelsteine (25-26x8-9x12-13 cm), aber das mit 27-29x8-9x12-13 cm mittelgroße Format im Langhaus wurde dann im Turm wieder reduziert, besonders in der Höhe (27-28x7-8x12cm). Wenn vielfach konstatiert wird, die romanisch-frühgotischen Backsteine hätten im Lauf der Zeit an Höhe zugenommen, 31) so läßt sich auch außerhalb der

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30) Daß, wie heute meist angenommen wird (s. nächste Anmerkung!), allein die Backsteinhöhe aussagekräftig sein soll, leuchtet mir nicht ganz ein. Allerdings ist am fertigen Stein die Dicke kaum reduzierbar die Länge dagegen relativ einfach‚ zu kürzen.

31) Zuerst wohl bei A. v. MINUTOLI: Denkmäler mittelalterlicher Kunst in den Brandenburgischen Marken. Berlin 1836 S. 13, weiter z. B. bei STIEHL, Otto: Zur Geschichte des romanischen Backsteinbaues. In: Zeitschrift für Geschichte der Architektur VIII. 1928 S.47; WACHTSMUTH, Friedrich: Der Backsteinbau, seine Entwicklung und seine Einzelbildungen im Morgen- und Abendland. Leipzig 1925 S. 62; HASAK, Maximilian: Einzelheiten des Kirchenbaues (Handbuch der Architektur Bd. IV. Heft 4) 2. Auf1. Leipzig 1927 S. 106; KADATZ, H. J.: Mittelalterlicher Backsteinbau in Obersachsen. Diss. Phil. (Mschr.) Leipzig 1965 S. 34; NEUMANN, Eberhard G.: Die Backsteintechnik in Niedersachsen während des Mittelalters. In: Lüneburger Blätter 1959 S. 26; NAUMANN, Rolf: Romanische Backsteinkirchen im Jerichower Land. 2. Aufl. Perleberg 1993. S. 11. Dagegen stellt Karl-Bernhard KRUSE für das romanische und nachromanische Lübeck ein allmähliches Dünnerwerden der Backsteine fest (Zu Untersuchungs- und Datierungsmethoden mittelalterlicher Backsteinbauten im Ostseeraum. In: Archäolog. Korrespondenzblatt. 12. 1982 S. 560).

 

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Altmark bisweilen das Gegenteil festzustellen, vereinzelt sogar im Jerichowgebiet, z. B. in Gr.-Wulkow, Klietznick und Schmetzdorf (Glockenstube im Vergleich zu den unteren Turmgeschossen), sonst z. B. in Lehnin (geringfügig) und in frühgotischer Zeit in Drakenburg a. d. Weser (Krs. Nienburg) 32)

 

Ansonsten sind die altmärkischen Ziegelformate sehr unterschiedlich und lassen sich nicht in eine systematische Ordnung bringen. Die längsten Steine (29,5-31 cm) finden sich in den Arendseer Ostteilen, in den unteren Partien der Stendaler Domtürme, im Werbener Kirchturm, in Salzwedel-Hl. Geist, Gardelegen-St. Marien (Südquerschiff mit Nebenapsis), Königsmark, Meseberg, Ferchlipp (Chor), Wendemark, Neukirchen, Krüden (Turm) und Gr.-Garz, an Feldsteinbauten in Dambeck-Dorf und Packebusch, die kürzesten mit 24 cm Länge am Schiffsportal der Granitkirchen zu Arnsberg (ursprünglich oder ältere Ausbesserung?) und Stappenbeck (noch romanisch?), sonst mit 25-26,5 cm in Diesdorf, wo sie neben längeren auch im Langhaus und Westbau erscheinen, Salzwedel-St. Marien (Chor) St. Georg und St.Lorenz, Seehausen (untere Wandpartien der Westtürme), Jerchel, Krüden (Chor-Nordseite und Schiff), Calberwisch, Falkenberg (Schiff), Ferchlipp (Schiff) und Dambeck-Klosterkirche, an Feldsteinbauten in Rindtorf, Häsewig, Schinne (spitzbogige Teilungen der älteren Schallfenster), Gr.-Chüden, Ritzleben, Wallstawe (Ostfenster), Vahrholz, Schönebeck, Polkau‚ Gagel (Chorportal), Stapel und Vielbaum. Am dünnsten sind die Backsteine mit 6-7 cm in den obersten romanischen Wandpartien der Stendaler Domtürme, in Tangermünde-St. Stephan, am Arendseer

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32) In der Literatur wird auch Osterholz bei Bremen als weiteres Beispiel für während der romanischen Bauzeit einer Kirche kleiner werdendes Steinformat angeführt (BOECK, Urs: Die ehemalige St. Marien-Klosterkirche zu Osterholz. In: Niedersächs. Denkmalpflege. VI. Hildesheim 1970 S. 96 f.). Zudem ist das dort genannte Backsteinformat (30x9x14 cm) das gleiche, das im Inventarband Osterburg (s. Anm. 7 S. 35) für den romanischen Bau in Arendsee angegeben ist. Das wäre für unsere Zusammenhänge besonders interessant, da das Benediktiner-Nonnenkloster Osterholz ein Jahr vor dem Arendseer von Erzbischof Siegfried v. Bremen gegründet wurde, einem Bruder des askanischen Markgrafen Ottos I., des Stifters von Kloster Arendsee. So wurde denn auch eine Verwandtschaft dieser Kirchen vermutet (a. a. O. S. 98). Beide erwähnten Formatangaben sind jedoch sehr ungenau, die für Osterholz betrifft in Wirklichkeit die gotische Chorerweiterung‚ und der romanische Bau ist dort aus relativ einheitlichen Backsteinen vom Format 27-28x8-9x12-13 cm errichtet. Abgesehen von dem gleichen Grundriß als kreuzförmige Basilika mit Chor und ursprünglich drei Apsiden und einigen im norddeutschen Backsteinbau allgemeingültigen Formen überwiegen im einzelnen die Unterschiede, angefangen von den viel bescheideneren Ausmaßen in Osterholz so daß diese Kirche wohl aus der Verwandtschaft von Arendsee und der Altmark zu streichen ist.

 

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West- und Südgiebel und am Diesdorfer Langhaus, bei Feldsteinbauten in Schinne (frühgotische Schallfensterteilungen), Elversdorf, Rindtorf und Gr.-Schwechten, am dicksten mit 9½-10 cm in Gr.-Beuster, Meseberg, Königsmark, Berge, Giesenslage‚ Neukircnen, Rengerslage und Gr.-Garz, in Feldsteinkirchen an Portalen in Arensberg, Dahrenstedt, Elversdorf, Erxleben, Stapel und in den Schallfenstern von Packebusch.

 

In Krüden haben die Backsteine der Chorsüdwand merkwürdigerweise ein ganz anderes Format (ca. 28x8-9x12 cm) als die auf der gegenüberliegenden Nordseite des gleichen Bauteils (ca. 25x7-8x12-13 cm), dgl. in Schnackenburg (im Süden 28x8-8,5x12-12,5 cm; im Norden 26-27x7-7‚5x12 cm). In Krüden setzt sich das Steinformat der Chor-Nordwand am Schiff unverändert fort (die Chorostwand ist dort vollständig erneuert); umgekehrt sind in Schnackenburg die Backsteine am Langhaus etwa so groß wie die an Chor-Süd- und -Ostwand.

 

Verschiedene Autoren konstatieren in anderen Ziegelbaugebieten für die Länge, Breite und Höhe der romanischen Backsteine ein Verhältnis von 1 : 1/2 : 1/3 (= 6:3:2). 33) Diese Relation läßt sich in der Altmark bei 16 von 34 mir ihren Backsteinformaten nach bekannten Ziegelkirchen und bei 14 von 50 dgl. Feldsteinbauten mit Backstein-Einzelheiten feststellen, aber oft recht knapp und nur, wenn man eine Stoßfuge von 1-2 cm Breite zurechnet. 34) Darunter sind Salzwedel-St. Marien (Langhaus-Obergaden) -St. Georg und -St. Lorenz, Seehausen (nur die untersten Wandpartien der Westtürme), Beuster (Apsis), Dambeck-Klosterkirche, Wittingen, Königsmark (Apsis), Meseberg, Berge (Chor) und mehrere frühgotische Kirchen. Die vermutlich relativ frühen Bauten in Arendsee, Diesdorf, Gardelegen, Stendal, Tangermünde und Osterburg-St. Martin fehlen in dieser Reihe, doch frage ich mich, ob jenes Ergebnis vielleicht ein Zufall ist und ob unsere Suche nach der Aufspürung solcher Verhältnisse nicht eher einem modernen intellektuellen Drang nach Systematisierung als dem mittelalterlichen Brauch entspricht.

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33) z.B.KAMPHAUSEN, Alfred: Die Baudenkmäler der deutschen Kolonisation in Ostholstein und die Anfänge der nordeuropäischen Backsteinarchitektur. Neumünster 1938 S. 220; SCHLOPSENIUS, Peter: Die romanischen Backsteinportale Nordwest-Mecklenburgs. In: Festschrift für E. E. Hempel. Dresden 1956/57. S. 461; KRUSE wie Anm. 31 S. 560 und NAUMANN ebd. S. 11.

34) KRUSE, Karl-Bernherd: Der Wandel der Backsteinmauertechnik in Lübeck vom Mittelalter zur Gegenwart, In: Die Heimat. Jgg. 89 H. 6/7. Neumünster 1982 S. 246.

 

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Außer den normallangen Steinen wurde ein gewisser Vorrat an Dreiviertellängen gebrannt, die besonders für die Verwendung in Lisenen und neben Öffnungen geeignet waren, z. B. in Arendsee, Diesdorf, Salzwedel-St.Georg‚ Seehausen, Werben, Königsmark, Falkenberg, Ferchlipp und Uchtenhagen. Übergroße Sonderanfertigungen finden sich im Arendseer Hauptportal als ca. 25-28 x bis zu 9 x 22 cm und ca. 29 x bis zu 8½ x 20 cm messende Keilsteine in einigen der Archivolten, ähnlich in Königsmark (Chorportal: ca. 27 x bis zu 9 x 16-20 cm) und als Tonplatten von 25-26 x 8 x 20-21 cm im Nordportal-Gewände der Feldsteinkirche zu Erxleben. Auch diese übergroßen Stücke halten sich also immer an die jeweils übliche Steinhöhe.

 

BACKSTEINFARBE.

 

Das Gesicht der Ziegelbauten wird vor allem durch die Farbe der Steine bestimmt 35) Diese möchte ich - logisch nicht ganz korrekt! - unter den technischen Aspekten abhandeln, da sie außer von natürlichen Voraussetzungen von der Aufbereitung des Rohmaterials und der Brenntechnik abhängt.

 

Aus dem gleichen Grund eignet sich die Ziegelfarbe grundsätzlich noch weniger als das Steinformat zum Vergleich verschiedener Bauten miteinander und als Datierungshilfe. Immerhin konstatiert R. NAUMANN für das Jerichowgebiet eine gleichmäßig dunkelrote Backsteinfarbe als Kennzeichen der Frühzeit und führt die größere Vielfalt an späteren Kirchen auf weniger sorgfältige Rohstoffauswahl und eine nachlässigere Brenntechnik zurück. Er hält wohl zu Recht die farbliche Schattierung für aussagekräftig bei der relativen Datierung verschiedener Teile des gleichen Baues. 36)

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35) Schon bei der vermuteten Rezeption des Backsteinbaus durch die kirchliche Reform in Deutschland (s. o. Anm. 16!) mag das Rot der Ziegel eine Rolle gespielt haben als Farbe des Leidens Jesu und der Märtyrer (SACHS, Hannelore, Ernst BADSTÜBNER und Helga NEUMANN: Christliche Ikonographie in Stichworten. 2. Aufl. Leipzig 1980 S. 131.), ebenso bei der Konterrezeption des gleichen Materials durch Kaiser Friedrich Barbarossa, Heinrich d. Löwen und andere Fürsten (MÜLLER wie Anm. 16 S. 284-97) als Farbe mittelalterlicher Königsidealität (MAGIRIUS, H.: Die Baugeschichte des Klosters Altzella. In: Abhandlungen der sächs. Akademie d. Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Kl. 53/2. Berlin 1962 S. 89; KRAUSE, H.-J.: Ein übersehener Backsteinbau d. Romanik in Mitteldeutschland. In: Festschrift f. J. Jahn Leipzig 1958 S. 89-99; ELLGER, D.: D. Ratzeburger Dom und die Frage d. Farbigkeit roman. Backsteinkirchen zw. Niedersachsen u. Seeland. In: Nordelbingen. 39. Heide i. H. 1970 S. 28 f.

Daß Bauherren und Architekten die farbliche Erscheinung ihrer Kirchen sehr wichtig war, zeigt am deutlichsten der Ratzeburger Dom, wo man sich in jedem der vielen Bauabschnitte neu bemühte, rote Steine herzustellen, die so hart sein sollten, wie die bewährten gelben. (s. a. ELLGER, D.: Bericht über neue Ergebnisse d. Bauforschung … In: Nordelbingen. 38. 1969. S. 196). In der Altmark wird dieses Moment in Diesdorf beim Übergang von den buntscheckigen Anfängen zu einem gleichmäßigeren Rot beim Weiterbau der Ostteile mitgespielt haben.

36) NAUMANN, R. 1993 wie Anm. 31. S. 10 f.

 

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Dagegen kann sich die Qualität des Materials u. U. im Farbton ausdrücken. So scheinen z. B. an der Arendseer Apsis, n den Ostteilen in Diesdorf und an den unteren Partien der Seehausener Türme fast schwarz gebrannte Steine besonders hart zu sein, und wohl deshalb hat man sie meist als Binder versetzt, um die Außenhaut möglichst fest mit dem Mauerkern zu verklammern. Als sicherlich unbeabsichtigter, aber willkommener ästhetischer Nebeneffekt ergab sich aus dieser regellosen Verteilung vieler dunkler kurzer Steine über die Handfläche eine starke Belebung des Erscheinungsbildes. Die Backsteine am Langhausobergaden sind in Arendsee durchweg heller und auch etwas mürber. Doch muß hellere Steinfarbe nicht automatisch eine schlechtere Qualität anzeigen. Die härtesten mir bekannten Ziegel sind die graugelben vom Ratzeburger Dom. 37) Und an der Schiffssüdwand in Ferchlipp sind westlich einer Baunaht die Steine wesentlich gleichmäßiger, glatter und fester als östlich davon, während die Materialfarbe in beiden Abschnitten ungefähr gleich ist.

 

Im allgemeinen aber geben sich Bauunterbrechungen beim Fehlen vertikaler Nähte durch horizontale Bauschatten zu erkennen, d. h. durch Veränderungen im Farbton der Mauerfläche. Solche Bauschatten sind besonders deutlich an der Stendaler und der Seehausener Doppelturmfacade zu sehen, am Käcklitzer Turm und am Ostgiebel in Salzwedel-St. Georg, weniger eindeutig z. B. am Chor in Königsmark. Sie können unter besonders günstigen Umständen helfen, die Entstehungsgeschichte der btr. Kirche zu erhellen. So sind in Diesdorf in den unteren ca. 14 Schichten von Haupt- und Südapsis, Chorsüdwand und südlichem Querschiff neben roten viele gelbliche und als Binder dienende dunkle Steine vermauert, die anzuzeigen scheinen, daß diese Bauteile in einem Zug begonnen wurden. 38) Umgekehrt muß die Obergrenze einer solchen Partie nicht immer eine Bauunterbrechung

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37) Graugelbe Steine zeigt in Ratzeburg auch die reformierte Stadtkirche, bei deren Neuerrichtung Ende des XVIII. Jh. in den unteren Schichten viele Steine des damals abgebrannten romanischen Baus wieder verwendet wurden.

38) Auf der Nordseite ist die Situation durch den Abriß der zweistöckigen Sakristei, die dadurch verursachten großflächigen Ausbesserungen und den modernen Wiederaufbau der Nordapsis verunklärt. Doch scheint das Mauerwerk des Transeptnordflügels nicht das erwähnte Bild gezeigt zu haben.

 

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markieren, sondern sie kann auch mit den wechselnden Ergebnissen des Feldbrandes zusammenhängen. Denn ich könnte mir vorstellen, daß je nach der witterungsbedingten Brenndauer und dem gerade zur Verfügung stehenden Heizmaterial die einzelnen Brände unterschiedliche Qualitäten ergaben, die sich in der Farbe ausdrückten.

 

Ansonsten zeigen die Steine altmärkischer Ziegelkirchen in romanisch-frühgotischer Zeit vorwiegend ein warmes Rostrot z. B. an den Arendseer Ostteilen, in Werben-St. Johannes und besonders -St. Lamberti, in Wittingen, Gardelegen-St. Nikolai, Königsmark, Berge, Schnackenburg, Seehausen, Neukirchen u. a. O. Noch etwas heller ist der Farbton z. B. im Arendseer Langhausobergaden, im Diesdorfer Schiff und im Krüdener Turm. Nach einem kühleren Weinrot tendiert er z. B. in den Diesdorfer Ost- und Westteilen, in Beuster, Königsmark, Rengerslage und der Dambecker Klosterkirche, ins Bräunliche z. B. an den Salzwedler Kirchen, in Ferchlipp und Uchtenhagen. Gelbliche Steine kommen außer in Diesdorf besonders an der Apsis in Osterburg-St. Martin vor, doch sind sie dort nicht so extrem hart wie in Ratzeburg.

 

In Krüden zeigen an der Chorsüdwand die drei Schichten unter dem abschließenden Zahnschnittband (von denen zwei als stehende Läufer vermauert sind) einen regelmäßigen Wechsel von hellen und dunklen Steinen. Der gleiche Effekt ist am Gesims der Diesdorfer Chorflanken durch Bemalung der Backsteine erreicht.

 

BACKSTEINGLASUR.

 

Glasierte Steine sind im altmärkischen romanischen Ziegelbau relativ selten. Sie begegnen, meist in dunkelbraunem oder -grünem Farbton, vor allem an der Wende zu Frühgotik, so am Ratzeburgisch geprägten Diesdorfer Westbau. In Salzwedel-St. Lorenz sind die dunkelglasierten Rundbogenfriese und Konsolen eng verwandt mit denen am Ostgiebel in Mölln, wobei die Frage der Priorität vorerst offen bleiben muß. Am Rengerslager Südportal waren in einzelnen Schichten die Backsteine gelb glasiert und die Fugen dazwischen rot gefärbt. 39)

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39) Backsteinglasur muß aber nicht immer ein Zeichen der Spätzeit sein. In Jerichow sind schon an Apsis (außen und innen) und Chorostwand der Klosterkirche einige Steine grün glasiert, dann aber erst wieder und systematisch in regelmäßigem Wechsel am Westportal als dem wahrscheinlich jüngsten romanischen Bauteil. Das sieht doch so aus, als habe man in der Zwischenzeit die grundsätzlich bekannte Backsteinglasur bewußt abgelehnt. Das kann auch für altmärkische Ziegelbauten wie Arendsee gelten.

 

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RIFFELUNG.

 

Im Gegensatz zu Format und Farbe kann die Backsteinriffelung m. E. etwas über kunstgeschichtliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bauten aussagen. Da sie in gotischer Zeit so nicht begegnet, eignet sie sich in begrenztem Umfang auch als Datierungshilfe.

 

Die Backsteine wurden wahrscheinlich mit einem Werkzeug geriffelt, das etwa der „Fläche“ des Steinmetzen entsprach, aber entsprechend kleiner war, 40) doch muß man m. E. gelegentlich auch mit anderen, uns noch unbekannten Techniken rechnen. 41) Ob die Steine vor oder nach dem Brand bearbeitet wurden, wird sich an einem über 800 Jahre lang der Witterung ausgesetzten Bau nur selten mit einiger Sicherheit feststellen lassen. Ich nehme für die Altmark beide Riffelungsarten nebeneinander an. In der Westwand der Arendseer Klosterkirche tragen bisweilen Backsteine, die nach Format und Farbe in die Bauzeit der Ostteile gehören, das dort noch unbekannte Ährenmuster (s. u. !). Vermutlich waren sie für die geplante, aber dann

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40) Dafür spricht die lebendige Unregelmäßigkeit in der Verteilung der Striche auf dem Stein. Beim Gebrauch des - im XII. Jh. ohnhin noch weithin unüblichen — Scharriermeißels, der am Stein bleibt und somit eine präzise Strichfolge ermöglicht, müßte sich zwischen oberer und unterer Scharrurbahn eine ungefähr gerade Naht ergeben. Das ist jedoch, soweit ich sehe, in der Altmark nicht der Fall, sondern die Strichlängen der Bahnen (meist sind es nicht genau zwei) verzahnen sich in ganz unregelmäßiger Folge miteinander, was wiederum typisch ist für den Gebrauch der Fläche, die nach jedem Hieb den Stein verläßt und daher auch bei sorgfältigster Handhabung keinen so genauen Anschluß von Strich an Strich ergibt wie das Scharriereisen. Siehe K. FRIEDERICHs Ausführungen über die Werksteinbearbeitung (:Die Steinbearbeitung in ihrer Entwicklung vom 11. bis zum 18. Jh. Augsburg 1932 S. 66-69).

Eberhard G. NEUMANN nahm aufgrund eigener Versuche für Niedersachsen und Holstein zwei verschiedene Techniken der Riffelung an (: Die frühe Baugeschichte der St. Osdagkirche zu Mandelsloh. Diss. Ing. Hannover 1958 Mschr. S. 158 ff. und: Die Backsteintechnik in Niedersachsen während des Mittelalters. In: Lüneburger Blätter 10. 1959. S. 30-36): In Ratzeburg, Wagrien und vereinzelt anderen Orts, verbreitet dann in der Spätzeit habe man die Rillen mit einem Spitzeisen in den ungebrannten Stein geritzt, ansonsten aber besonders in Niedersachsen den Rohling auf einer steinmetzmäßig bearbeiteten Werksteinunterlage gestaucht, wobei sich das Strichmuster der Matrize abdrückte. Dann aber müßten sich kleine Fehler im Negativmuster in allen Abdrucken auf den Steinen wiederholen, und das müßte bei genauer Untersuchung mit einer großen Lupe nachprüfbar sein. Vor allem aber müßten dann die Formkästen hochkant gewesen sein. Doch sprechen m. E. die oft sichtbaren Quetschfalten dafür, daß die Kästen schon damals breit waren.

41) In Ratzeburg sind einige Profilsteine an südlichen Sockel des Eingangs in den südlichen Nebenchor waagerecht geriffelt. Diese langen parallelen Riefen erinnern an den Kamm- oder Besenstrich vorgeschichtlicher Gefäße. Auch im Aufgehenden der gegenüberliegenden Vorlage können manche Steine vor dem Brand mit einem vielzinkigen Gerät bearbeitet worden sein.

 

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nicht ausgeführte Turmanlage bestimmt und lagerten schon seit dem Beginn der Arbeiten am Westende der Baustelle. Sollte das zutreffen, so wären die Steine hier und vielleicht auch anderen Orts in der Altmark nicht vom Ziegler im Zusammenhang mit der Herstellung, sondern erst vor dem Versetzen vom Maurer geriffelt worden. Doch kann dies nicht etwa nach dem Einbau in der Wand geschehen sein; denn die Schraffur geht allenthalben bis in die Mauerecken gleichmäßig durch, und in Arendsee ist ein gut geriffelter Backstein im Inneren der Altarkammer vermauert worden. 42)

 

In Arendsee und Diesdorf sind die Steine aller Ostteile schraffiert, in Berge, Giesenslage, Meseberg und Königsmark die der Apsis, sonst meist die an Lisenen, Portalen und Fensterbögen. In Diesdorf sind auch die Steine der Kreuzbogenfriese geriffelt. Gar keine Backsteinschraffur begegnet z. B. in Beuster, Kloster Dambeck, Ferchlipp, Werben-St. Lamberti und Niedergörne. In Arendsee und Diesdorf sind in der Regel bloß die Läufer geriffelt, was mir aus dem weiteren Jerichowgebiet lediglich von Hohengöhren bekannt ist. In Schaprode auf Rügen ist jene Eigentümlichkeit ein weiterer Hinweis auf die Erbauung der dortigen Kirche durch Arendsee-Diesdorfer Werkleute. Sonst sind Ecksteine meist an beiden freien Seiten schraffiert.

 

An der Querhaussüdfront in Arendsee sind die Steine der Ecklisenen bis oben hin geriffelt, die der Wandfläche aber nur bis zur 29. Schicht, d. h. soweit es von unten sichtbar war. Entsprechend, aber durch Anbauten und Ausbesserungen gestört, ist es an der Nordfacade, ähnlich, jedoch wegen stärkerer Verwitterung nicht so deutlich, auch an der nördlichen Querhauswand der Jerichower Klosterkirche. 43) Das ist

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42) Ob am Seehausener Westportal die Backsteine erst nach dem Versetzen geriffelt wurden, wie scheinbar mitschraffierte schmale Bruchsteine im rechten Türgewände (links oben) nahelegen möchten, bedarf eingehenderer Untersuchung. Hier ist durch rote Übertünchung im XIX. Jh. manches verunklärt. Damit nicht ohne weiteres vergleichbar ist es, wenn Backsteinkapitelle gelegentlich nach dem Versetzen geglättet wurden. So zeigen über die Fugen hinweggehende Meißelspuren am Trapezkapitell der südl. Chorbogenvorlage in Arendsee, daß man noch vom Baugerüst aus an der Rundung der Eckflächen gearbeitet hat. Ähnlich scheint es z. B. an den Schallfenstersäulen des Flessauer Turms zu sein.

43) Dieser Befund hat eine interessante Analogie im Ratzeburger Dom: Dort zeigen an der nördlichen Eingangsvorlage zum südl. Nebenchor die Backsteine nur bis zur 13. Schicht über dem ohnehin fast 90 cm hohen Sockel eine sehr sorgfältige engstrichige Riffelung. Darüber sind die Steine nur noch mit einem flüchtig eingehackten Ährenmuster bei weitem Strichabstand versehen. Hoch weiter oben hört auch diese Bearbeitungsweise auf. Bloß die Ecksteine mit den „Trommeln“ des Kantonierungsstabes sind in ganzer Höhe der Vorlage in der Art der unteren Wandpartien schraffiert.

 

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im Grunde wohl eine aus dem Natursteinbau übernommene Verfahrensweise, wo man bisweilen die aufwendige Quadertechnik der unteren Geschosse in höheren Regionen durch verputztes Bruchsteinmauerwerk ersetzte, wie z. B. an den Westtürmen der Magdeburger Liebfrauenkirche. Dieser Befund sagt m. E. auch etwas über den Sinn der Backsteinschraffur aus. Denn er macht es unwahrscheinlich, daß sie etwa als Haftgrund für eine Wandtünche dienen sollte, wie gelegentlich erwogen wird. Gegen solch eine Annahme spricht ja schon die Tatsache, daß bei zahlreichen Ziegelkirchen der Altmark und anderer Gegenden gerade die in dem behaupteten Fall am ehesten roh belassenen vorstehenden Gliederungen geriffelte Steine haben. 44) Vielmehr zeigt die Verwendungsart der Ziegelschraffur in der romanischen Epoche, daß sie in Anlehnung an die gleichzeitige Werksteinbearbeitung in auszeichnender Bedeutung ästhetisch gemeint war, indem sie besondere Bauteile oder -glieder hervorheben sollte. An den von mir vermuteten Erstlingsbauten der altmärkischen Ziegelarchitektur, Arendsee und Diesdorf ist der Strichabstand der Riffelung zunächst recht eng, aber z. B. auch in Wittingen, Gardelegen-St. Marien‚ Stendal-Dom, Werben, Krevese, Seehausen, Königsmark, Meseberg und noch spät am Westportal in Osterburg-St. Nikolai, auffallend weit ist er dagegen z. T. an der Arendseer Westwand und z. B. in Gardelegen-St. Nikolai, Berge, an den Königsmarker Obergadenfenstern und an den Backsteinportalen der Feldsteinkirchen zu Dankensen, Arensberg und Heiligenfelde. Doch muß, wie das in Anm. 43 erwähnte Ratzeburger Beispiel zeigt, besonders enge und sorgfältige Riffelung nicht immer ein Zeichen für höheres Alter sein, sondern kann auch mit dem geforderten oder möglichen Aufwand zusammenhängen.

 

Die Strichrichtung der Schraffur geht oft von rechts oben nach links unten, aber auch umgekehrt, z. B. an den oberen Abschnitten der Arendseer und der Diesdorfer Apsis, in Seehausen, Salzwedel-St. Marien und Seehausen. Fast senkrecht sind die Riefen z. B. am Arendseer Süd-Seitenschiff, und an Fensterbögen in Königsmark, Berge u. a. O. Daß die beiden Hälften eines Läufers in verschiedenen Richtungen geriffelt sind, was gelegentlich in Ratzeburg und in Westen bei Verden vorkommt, ist mir in der Altmark noch nicht begegnet.

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44) Man könnte deshalb fragen, ob es ein Zufall ist, daß gerade Beuster mit seinem möglicherweise schon ursprünglichen Flächenputz und seinen rot gefärbten Fugen in Lisenen und Friesen mit unter den Bauten ohne geriffelte Steine erscheint. Um das entscheiden zu können, müßte der Befund noch einmal systematisch untersucht werden.

 

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Dagegen sind Steine ähren- oder fischgrätenförmig geriffelt in Arendsee vom zweiten Bauabschnitt (Langhaus) an und in späteren Bauphasen in Diesdorf, sowie in Wittingen, Gardelegen-St. Nikolai, Königsmark, Meseberg, Berge, Schnackenburg und am Backsteinportal der Feldsteinkirche zu Dankensen. Solche Ährenschraffur scheint mir nicht etwa eine ausgesprochene Spätform zu sein, sondern sie ist m. E. in unserer Gegend eine Besonderheit des ostelbisch-prämonstratensischen Backsteinbaus. In der Jerichower Klosterkirche begegnet sie bereits an zwei Steinen des mittleren Kryptafensters, am Durchgang zum nördlichen Seitenchor, an beiden nördlichen Portalen und in den Stiftsbauten, dann auch an der dortigen Stadtkirche, in Bergzow, Gr.-Wulkow, Klietz, Neuenklitsche, Roßdorf und Schönhausen (ganz vereinzelt an der Apsis), sicherlich unter von dort kommendem Einfluß in Brandenburg an der Nikolaikirche und an den spitzbogigen Kryptafenstern des Domes, die mit ihrer Bogenlaibungskonstruktion ohnehin an die Jerichower Apsis erinnern. Unabhängig vom Elb-Havelgebiet entstanden, aber letztlich durch Vorbilder in der gleichen oberitalienischen Landschaft angeregt mögen Vorkommen von Ährenschraffur in Lübeck 45) und Osterholz bei Bremen sein. 46) Gebrochen bogen- oder s-förmige oder kreuzweise Riffelung bleiben ganz vereinzelte Ausnahmen (Arendsee-Obergadenfenster, Salzwedel-St. Lorenz-spitzbogige Westfenster, Berge).

 

FORMSTEINE.

 

Die Formsteine haben in der Altmark durchweg normale Schichthöhe. Sie wurden also offenbar aus normalen Rohlingen mit Messer oder Draht geschnitten. Als Vorbilder dienten Werksteinformen, die z. B. in Arendsee z. T. sehr differenziert waren und schon in Diesdorf teilweise vereinfacht wurden. Wenn die Formsteine bisweilen etwas zu dick geraten waren, wie an einigen Pfeilersockeln im Arendseer Kircheninneren, glich man das am Bau durch entsprechend dünnere Lagerfugen aus . Lediglich die 1½ Schichten hohen Kopfstücke der Arendseer Apsiswandlisenen und die aus großen Doppelklötzen geschnittenen Schachbrettkämpfer in der östlichsten Doppel-Arkade

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45) Davon berichtete S. HOLST in seinem Vortrag über Lübecker romanischen Backsteinbau am 7. VI. 1994 auf der 2. Fachtagung „Der Backstein“ in Jerichow.

46) Dagegen scheint mir nur bedingt vergleichbar zu sein das mit wenigen Strichen flüchtig eingehackte Ährenmuster in höher gelegenen Fenstern und Wandpartien im südl. Nebenchor in Ratzeburg (s. o. Anm. 43!) und in mehrzeiliger Wiederholung an etlichen Steinen der Flachbögen einiger Fenster in den Ostteilen der Mandelsloher Kirche, das dort vielleicht eigenständig entstanden ist aus dem Bemühen, die Schraffur der Rundung des Fensterbogens folgen zu lassen.

 

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des Diesdorfer Langhauses bilden Ausnahmen von dieser Regel. Umfangreichere Sockel- oder Kämpferformen wurden aus mehreren jeweils schichthohen Profilsteinen mit dünner Lagerfuge zusammengesetzt. Für die Friese stellte man zwar besondere, gebogene oder gerade Steine geringerer Stärke her, die Frieshöhe war jedoch so bemessen, daß sie sich in die Schichtenfolge einfügte. Konkave, konvexe und reicher profilierte Frieskonsolen wurden aus dem Kopfende normaler Steine geschnitten. Bei abstrakten oder gegenständlichen Schmuckformen sind die Frieskonsolen die Teile der romanischen Ziegelbauten, an denen am ehesten die individuelle Handschrift der btr. Werkleute zu erkennen ist. In Beuster, Niedergörne und am Schiff in Berge sind die Frieskonsolen wie normale, liegende Binder vermauert, was zumindest in Berge eine spätzeitliche Form sein kann - die stehenden Konsolen am Chor sind jeden Falls älter - ,

sonst im allgemeinen wie stehende Binder, und die Läufer an der Wand zwischen den Konsolen sind dann ebenfalls stehend versetzt; so ist es durchgehend auch im Jerichowgebiet (liegende Konsolen dort in Kl.-Wulkow).

 

Diese konsequente Bindung an die Schichthöhe als das struktive Grundmaß eines Backsteinbaus gehört ebenso zum spezifischen Gesicht der altmärkischen Ziegelarchitektur wie das strikt durchgehaltene Bemühen, alle auftretenden gestalterischen Probleme allein mit backsteinbaueigenen Mitteln zu lösen und nicht auf Fremdmaterialien auszuweichen (s. o. Bl. 3 und Anm. 42!). 48)

 

MAUER UND MAUERUNG.

 

MAUERSTRUKTUR UND MAUERSTÄRKE.

 

Aussagen zur Mauerstruktur sind nur in beschränktem Umfang und mit Vorbehalt möglich, da man lediglich bei größerflächigen Beschädigungen und Reparaturen der Außenhaut in das Mauerinnere hineinsehen kann, und die dadurch gegebenen Aufschlüsse immer den Charakter des Zufälligen tragen. In der Frühzeit des altmärkischen Ziegelbaus wurden die Wände vielfach ganz in Backstein durchgemauert, also im sog. Scheibenverband errichtet, nachweisbar z. B. in den Ostteilen der Klosterkirchen zu Arendsee und Dambeck, in Buch, Falkenberg, Ferchlipp, Krüden und Niedergörne. Diese Bauweise

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48) Das ist sicherlich auch primär durch das Fehlen von Werkstein und Gips bedingt.

 

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folgt dem im Jerichowgebiet üblichen Brauch. Bereits der Oberteil der Arendseer Querhauswände ist in Zweischalenmauerwerk erbaut, das sich u. a. auch im Westteil der Dambecker Klosterkirche, in Osterburg St. Martin und Gr.-Garz erkennen läßt. Die Füllung zwischen den beiden Backsteinhäuten besteht aus kleinen Feldsteinen und Ziegelbruch in reichlich Mörtelbettung. Nicht immer wurde die btr. Bauweise konsequent durchgehalten. So waren in den Chorwänden in Niedergörne im durchgemauerten Scheibenverband einzelne Backsteinschichten des Mauerinneren durch Lagen etwa gleichgroßer länglicher Feldsteine ersetzt.

 

Generell aber bedeutete für die altmärkische Sakralarchitektur der Übergang zur Ziegelbauweise und deren kleinformatigen und gleichförmigen, mit einer ebenmäßigen Lagerfläche ausgestatteten Bauelementen einen großen technischen Fortschritt. Friedrich MÖBIUS vermutet, daß im XIII. Jh. die Mauern der Feldsteinkirchen zwischen niedrigen Bretterverschalungen hochgezogen wurden, wobei der eingestampfte Mörtel durch die Hohlräume zwischen den Füllsteinen von innen nach außen gedrungen wäre. 49) M. E. sprechen - ganz abgesehen von den Kirchen mit quaderartig gut bearbeiteten Granitsteinen - schon die meist einigermaßen eingehaltene gradlinige Lagerung der Steine und die vieler Orts begegnenden dünnen Ausgleichschichten gegen eine Verallgemeinerung dieser These. An einigen Bauten, wie etwa dem Kirchturm zu Gagel könnten aber einzelne schräg liegende Feldsteine in der Außenhaut des Mauerwerks auf jenes Verfahren hinweisen. Sollte es tatsächlich in der Altmark in größerem Umfang angewandt

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49) MÖBIUS, Friedrich: Die Dorfkirche im Zeitalter der Kathedrale. In: Sitzungsberichte der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. Kl. 128/3 Berlin 1988 S. 27.

 

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wandt worden sein, so brachte die Backsteinaufmauerung, die eine solche umständliche Hilfskonstruktion überflüssig machte, eine erhebliche Vereinfachung und Rationalisierung in das Baugeschehen. 50).

 

Zur Mauerstärke waren mir bislang noch keine Messungen an den Backstein-Dorfkirchen möglich. Nach den Angaben in den Inventarbänden scheint sie sich mit ca. 0‚95—1‚30 m im Schiff und etwas geringeren Werten im Chor nicht sehr wesentlich von dem Bild zu unterscheiden, das in dieser Beziehung sowohl die altmärkischen Feldsteinbauten, als auch die Ziegelkirchen des Elb-Havelwinkels bieten. Umso mehr fällt die ganz ungewöhnliche Stärke der Schiffswände in Berge – ca. 2 m. - auf, 51) die auch im altmärkischen Feldsteinbau m. W. nie erreicht wird und umgekehrt die extrem geringe Mauerdicke von nur 67 cm im Storkauer Kirchenschiff. Die Türme haben auch in den Backsteinkirchen der Altmark meist stärkere Mauern.

 

Zu untersuchen wäre noch das Verhältnis von Mauerstruktur und Mauerstärke. Theoretisch ist die Wanddicke beim Zweischalenmauerwerk variabel, während sie beim Scheibenverband an das Steinformat gebunden ist. So betrug sie in Niedergörne im Chor gut vier, im Schiff ca. 4½ Steinlängen; (1,19 bzw. 1,29 m bei einem Backsteinformat von 27-28 x 7,5-8,5 x 12,5-13‚5 cm).

 

VERBAND

 

In der Altmark herrscht anfangs und noch längere Zeit hindurch der sog. „wilde Verband“ mit einer unregelmäßigen Folge von zwei bis sechs Läufern auf einen oder manchmal auch zwei nebeneinander gesetzte Binder vor, z. B. im Arendseer und Diesdorfer Langhaus, in Königsmark, Schönberg, Schnackenburg, Osterburg-St. Martin, Gr.-Rossau, Storbeck, Käcklitz-östlicher Schiffsteil. Oft geht dabei die Tendenz zum gotischen Verband, der auf einen Binder zwei Läufer folgen läßt, z. B. in den Arendseer Ostteilen, in Diesdorf, Salzwedel-St. Lorenz, Gardelegen-St. Nikolai, Meseberg, Niedergörne und Rengerslage. Doch scheint das zunächst weniger eine Frage der Entwicklung als der Sorgfalt zu sein. Denn z. B. an der Hauptapsis in Arendsee und Diesdorf und an der Chorostwand in Niedergörne sind (bzw. waren) die untersten Steinschichten, also die altarnahen

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50) Freilich erhebt sich dann die Frage, warum man die neue Bauweise mit ihren unübersehbaren Vorzügen durchaus nicht überall sofort mit offenen Armen aufnahm. In der Altmark bedienten sich ihrer als erste und bald allgemein die Klöster und Stifter, während sich die Bauherren der städtischen Pfarrkirchen mit Ausnahme von Salzwedel, Wittingen und Gardelegen noch längere Zeit reserviert verhielten. Und die Eigenkirchenherren bzw. Patrone auf dem flachen Land verharrten meist auf die Dauer bei dem alten Baustoff. Lediglich in der Wische wo das Problem der Materialbeschaffung diesen Schritt geradezu erzwang, nahm man schließlich auch im Dorfkirchenbau den Backstein noch in der romanischen Periode voll auf. Die schriftlichen Quellen schweigen hierzu. Ich glaube allerdings, daß man mit der Beobachtung der technischen Aspekte allein bei der Lösung dieser Frage nicht weiter kommt. Es scheint für viele Bauherren Beweggründe gegeben haben, die schwerer wogen, als der offenkundige technische Vorteil!

51) Diese Information verdanke ich Herrn Ulf Frommhagen in Lindstedt / Gardelegen. Es wäre zu prüfen, ob in Berge etwa ein Tonnengewöbe im Schiff geplant war.

 

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S. 42 fehlt!

 

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vom wilden. An den unteren Partien der Seehäuser Turmflanken und konsequent dann am Diesdorfer Westbau sind als Binder dunkelgebrannte Steine verwendet, die sich in der Wand zu einem dekorativen Muster ordnen. An der Ferchlipper Chorsüdwand, die sonst in wildem Verband gemauert ist, erscheint eine einzelne Schicht mit regelmäßigem Wechsel von Läufer und Binder. Einen merkwürdigen Befund zeigt die unterste Schicht der Falkenberger Schiffssüdwand: Sie beginnt im Osten mit wildem Verband und wenigen Bindern, geht dann nach Westen hin zum wendischen über und schließlich zu einer Reihe stehender Binder 53) Auch sonst sind bisweilen Ziegelsteine aufrecht vermauert, um in Bauverlauf entstandene Unregelmäßigkeiten auszugleichen, z. B. am westlichen Kapitell des nordöstlichen Vierungspfeilers in Arendsee und neben einer Baufuge in der Ferchlipper Schiffsnordwand.

 

Ährenförmigen Zierverband zeigen der Ostgiebel in Calberwisch, der Dambecker Westgiebel und der Portalgiebel in Seehausen.

 

In diesem Zusammenhang seien noch die offen gelassenen Rüstlöcher erwähnt, die, an sich einer technischen Funktion dienend, ein ausgesprochen belebend wirkendes Element in die Wandfläche bringen, so z. B. in Seehausen, Werben, Giesenslage, Berge-Turm, Krüden-Turm und Salzwedel-St. Marien-Turm. 54) In Arendsee, Stendal, Königsmark, Ferchlipp-Ostteile, Niedergörne, Dambeck u. a. O. sind sie wohl erst in nachmittelalterlicher Zeit zugesetzt worden. 55)

 

Offen bleiben muß die an sich grundlegende Frage nach der Beziehung der verschiedenen Backsteinverbände zu den beiden oben geschilderten Arten der Mauerstruktur.

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53) Wie das Jerichower und das Falkenberger Beispiel zeigen, ist die unterste Schicht manchmal anders gemauert als die folgenden. Einen interessanten Befund bietet im benachbarten Niedersachsen die Apsis der Kirche zu Mandelsloh. Hier sind in der ersten Ziegelschicht über dem hohen Werksteinsockel sehr viele Steine als Binder vermauert, bis zu sieben nebeneinander. Mit wachsender Wandhöhe kehrt sich das Verhältnis um. Bereits in Höhe der Fenster folgen bis zu sieben Läufer aufeinander, aber kaum mehr als zwei Binder aufeinander.

54) Daß die ästhetische Wirkung offener Rüstlöcher durchaus im Blick war, scheinen zwei vereinzelte auffallende Rüstlöcher im Chorgiebel der Kirchen zu Schönhausen und Gr.-Wulkow zu zeigen, die sich an den Stellen befinden, wo in der Ostwand der Jerichower Klosterkirche zwei Oculi und an der in Arendsee zwei runde Putzblenden sitzen.

55) Das Offenlassen der Rüstlöcher war sicherlich auch eine Frage des geringeren Aufwandes. An der Westwand der Altenburger Doppelturmfacade sind alle Rüstlöcher außen zugesetzt und die btr. Binder jeweils mit einem kleinen Kreuz bezeichnet. (Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Lenz in Altenburg). In der Altmark ist mir eine Analogie zu jenem Befund nicht bekannt.

 

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MÖRTEL UND FUGENSCHNITT.

 

Wenn der Beschaffenheit der Backsteine so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, wie es in der gegenwärtigen Diskussion geschieht, bedürfte auch der Mörtel, der die Steine im Verband hält, eingehender Prüfung. Wichtige Fragen für die Altmark wären etwa:

 

Wo wurde der Kalk für den Mörtel gewonnen und wie und von wem aufbereitet? 56) Unterscheidet sich der im altmärkischen Ziegelbau übliche Mörtel in irgendeiner Weise von dem, der bei den gleichzeitigen Feldsteinkirchen verwendet wurde? Leider kann ich nur auf die Notwendigkeit solcher Untersuchungen hinweisen, mich selber aber mangels eigener Fachkenntnisse nicht zu jenen Fragen äußern.

 

Die Lagerfugen sind in den romanisch-frühgotischen Backsteinbauten der Altmark zunächst meist um 2, später bis 4 cm stark. Sie noch schmaler, als ganz dünne gleichmäßige Streifen erscheinen zu lassen, war offenbar der Sinn der z. Z. in der Backsteinforschung vielbeachteten Dachfugen; denn nur deren geglätteter Teil oberhalb des „Dachfirstes“ war als helle Fuge sichtbar, während der untere, rauh gelassene rot gefärbt und so optisch zum darunter liegenden Stein gezogen wurde. 57) Die Stoßfugen haben keinen betonten Abstrich und sind meist noch schmaler als die echten Lagerfugen; besonders in der Frühzeit stehen die Backsteine nicht selten ganz dicht ‚ so bisweilen in den ersten Bauabschnitten der Klosterkirchen Arendsee und Diesdorf, in Stendal, Königsmark‚ Meseberg, Krevese, Schönberg und am Ostteil der Ferchlipper Kirche. Auch dieses Bemühen um möglichst schmale Lagerfugen hat der norddeutsche Ziegelbau offenbar aus der Werksteinarchitektur übernommen‚ wo er neben ästhetischen Aspekten auch rangerhöhende zu haben scheint und vielleicht auf die himmlische Vollkommenheit hinweisen soll. Im zeitgenössischen altmärkischen Granitkirchenbau war dagegen eine andere Fugentechnik gebräuchlich. Dort wurden in den auch die oft sehr unebenen Randzonen der Feldsteine überziehenden „steinsichtigen“ Putz einfache oder doppelte Fugenstriche eingeritzt, die den Eindruck eines Quaderverbandes erwecken sollten. Diese Fugenritzung des steinsichtigen Feldsteinmauerwerks

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56) Robert HABERMAYER (Mauerwerkstechnik und Steinbearbeitung der romanischen Zeit im ehemaligen Bistum Minden. Diss. Ing. Hannover 1983 S. 26) konstatiert, daß der Kalk damals jahrelang eingesumpft wurde. Robert NOAH (Zur Backsteintechnik des Mittelalters in Ostfriesland. In: Ostfriedland. Jgg. 1983 H. 3 S. 5 ff.) nimmt für das mittelalterliche Ostfriesland das Kalkbrennen in Schillfeuern auf freiem Feld an, Ulrich HAUER (in seinem Vortrag am 7. VI. 1994 in Jerichow. s. Anm. 45!) dagegen allgemein als Vor- oder Nachnutzung in Ziegel-Feldbrandöfen.

57) Naumann, Rolf 1993 wie Anm. 31 S. 12

 

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erscheint gelegentlich auch am Granitsockel altmärkischer Ziegelbauten, der daher offenbar von anderen Werkleuten angelegt wurde, als das aufgehende Backsteinmauerwerk (s. o. Bl. 27!). Ausgeprägte Dachfugen kommen in der Altmark vor an den Diesdorfer Ostteilen, in Seehausen, Werben (besonders im ersten Obergeschoß des Turmes), Krevese, Falkenberg (Schiffssüdseite), Ferchlipp (Schiff) ‚ Krüden (Turm und Altarstipes)und am Backsteinfenster in der Chorostwand der Feldsteinkirche zu Wallstawe, noch in frühgotischer Zeit am westlichen Klausurflügel in Dambeck und am Chor in Käcklitz. Eine vielleicht noch etwas ältere Abart ist die „Dellenfuge“, die durch einmaliges Überfahren mit einer etwa kleinfingerbreiten Fugenkelle entstanden sein mag und in Arendsee an Ostteilen und Langhausobergaden, am Chor in Ferchlipp und (recht undeutlich) an Arkadenpfeilern in Gr.-Beuster vorkommen. Im zweiten Turmobergeschoß in Werben sind nachlässiger abgestrichene Dachfugen praktisch zu Dellenfugen geworden. In Arendsee sind diese Dellenfugen an der Chornordwand im Profil flach gerundet, an der Transeptsüdfront rechteckig, was auf verschiedene Form der jeweils benutzten Fugenkelle schließen läßt.

 

An der Arendseer Chornordwand finden sich in den Fugendellen Spuren hell-cremefarbener Tünche; am Schiffsportal in Rengerslage scheinen die sonst nicht besonders behandelten Fugen zwischen den gelb glasierten Steinen rot eingefärbt gewesen zu sein.

 

Noch in romanischer Zeit wurde in Arendsee dieser backsteinspezifische Fugenstrich abgelöst von der echten Fugenritzung. Undeutliche Spuren finden sich an der Westfacade; denkbar jedoch ist der Befund an einem nachträglich, aber noch in der romanischen Bauzeit angefügten Strebepfeiler am südlichen Seitenschiff, der unverändert erhalten blieb, weil er schon ca. 50 Jahre später in die Außenmauer eines frühgotischen Anbaus einbezogen wurde. Ein wichtiger Unterschied zum bis dahin im Ziegelbau geübten Brauch ist, daß nun auch die Stoßfugen gleichwertig behandelt sind. Die Ritzung führt allseitig um den ganzen Stein, der so wie eingekastelt wirkt. Die Übernahme der Fugenritztechnik aus dem Feldsteinbau scheint mir die Integration der Backsteinbauweise in die allgemeine Sakralarchitektur in der Altmark zu bezeichnen. Das heißt: Jetzt hatten auch einheimische Werkleute das „Mauern“ mit Ziegelsteinen erlernt, das

 

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zuvor eine ihnen verschlossene Kunst auswärtiger Spezialisten gewesen war. Sie waren aus Steinsetzern zu „Maurern“ geworden, wandten aber bei der Fugenbehandlung die ihnen seit jeher gewohnte Technik auch in dem neuen Material an.

 

STATIK.

 

Untersuchungen zur Statik speziell der altmärkischen Backsteinbauten sind ein Desiderat. Daß ihre Probleme auch im Blick auf den einzelnen Stein durchaus gesehen wurden, zeigt z. B. die Gewohnheit , Ziegel mit Quetschfalten so zu versetzen, daß der Rücken des Bogens nach oben weist. So konsequent wie an der Jerichower Apsis ist dies aber in der Altmark nicht durchgehalten worden, sondern mehr sporadisch, z. B. in Arendsee, Diesdorf, Königsmark und an den Backsteinportalen der Gageler Feldsteinkirche.

 

Für die Statik der Ziegelkirchen selber werden vor allem die Salzwedler Bauten und die Arendseer Klosterkirche Problemfälle dargestellt haben. Denn in Salzwedel bestand der Untergrund aus einer einen halben bis 4 Meter starken Moorerdeschicht. 58) Die Arendseer Klosterkirche aber steht auf dem Rand der Hochfläche, die hier ziemlich steil zu dem nur knapp 100 m entfernten und gut 10 m tiefer gelegenen See abfällt. Es handelt sich dabei um einen Einbruchsee über Gips- und Salzlagerstätten; noch um 1680 ist ein beträchtliches Stück der südlichen Uferzone mitsamt einer Mühle abgebrochen und in den See gerutscht. Schon Einhards Jahrbücher des fränkischen Reiches wußten von der labilen Tektonik dieser Gegend zu berichten. 59) Allein die Tatsache, daß dieser frühe Backstein-Großbau mit seinen schweren Gewölben heute noch steht, zeugt von der Kunst der Architekten und dem Können der Werkleute!

 

NACHBEMERKUNG.

 

Die Altmark stellt sich somit als eine wichtige Landschaft des romanischen Backsteinbaus dar, die neben Beziehungen zu anderen Kunstprovinzen in Gestalt und Technik eigenständige Züge aufweist.

 

Dieser Aufsatz ist ein - wenn ich nicht irre, erster – Versuch, die altmärkische Ziegelarchitektur der romanisch-frühgotischen

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58) EBERHAGEN, Arndt: Einiges über die Anfänge Salzwedels und die mittelalterliche Verlegung des Dummelaufes. In: 65. Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte. Lübeck 1984 S. 79 f.

59) Monumente Germaniae historica - Scriptores I S. 208 ff. z. Jahr 822.

 

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Epoche im Zusammenhang vorzustellen. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß meine Kenntnis der einzelnen Bauten unterschiedlich intensiv ist. Der vorstehende Beitrag versteht sich deshalb als Anregung, auf diesem interessanten Gebiet weiter zu forschen, auf dem es manche Erkenntnisse und Hypothesen zu ergänzen und zu korrigieren gilt, auf dem es aber hin und wieder auch noch Neues zu entdecken gibt.

 

 

Abgeschlossen Anfang August 1994

 

 

Dr. Hellmut Müller.

Peter-Paul-Str. Nr. 2

29320 Hermannsburg

tel. 05052-3914

 

 

 

Hinweis zu weiterführender Literatur von Dr. Hellmut Müller:

 

Ernst Badstüber / Dirk Schumann (Hg.)

Backsteintechnologien in Mittelalter und Neuzeit

Studien zur Backsteinarchitektur Band 4 S. 53-97

Hellmut Müller: „Zur Technik des romanisch-frühgotischen Backsteinbaus in der Altmark“

Lukas-Verlag 2003.

Diese Veröffentlichung enthält umfangreiches Bildmaterial des Verfassers zu Details von Backsteinbauten der Altmark und Literaturverweise bis ins Jahr 1999.

 

 

Hellmut Müller / Rolf Neumann

Quetschfalten, Kreuzbogenfriese, Wendischer Verband

Fachbegriffe des Romanischen Backsteinbaus und der kirchlichen Baukunst in Altmark, Jerichower Land und Mark Brandenburg

Jerichow, November 1999

 

 

 

 

Übersichtskarte zu romanischem Backsteinbau in der Altmark
Übersichtskarte zu romanischem Backsteinbau in der Altmark