Stillcke 1908: Kaiser Otto III. in Gnesen

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Kaiser Otto III. in Gnesen.

Von Friedrich Stillcke in Gnesen.

 

Eine der wichtigsten Grundlagen für die Pflege der Heimatliebe ist die Verbreitung der Kenntnis der Heimatgeschichte. Wenn wir auf demselben Grund und Boden, den wir bewohnen, unsre Väter ringen und schaffen sehen, wenn wir in dem Gewordenen, das wir ehren und genießen, die Frucht ihrer Taten und Leiden erblicken, dann festigt sich in uns das Gefühl, durch der Väter Schweiß und Blut mit der bewohnten Scholle eins zu sein, die Liebe zur Heimat, die auch ihre Heimat war. Zwar sind die Deutschen der Provinz Posen nur zum Teil Söhne jener Pioniere deutscher Kultur, aber wenn es auch nicht ihre leiblichen Vorfahren waren, die hier gewohnt und gewirkt haben: es waren Deutsche, die auf dem Boden der Ostmark in jahrhundertelanger, zäher Kulturarbeit die Keime zu dem legten und pflegten, was wir, ihre Erben, mit Stolz und Freude unser nennen. Das sollte uns Deutschen immer wieder aufs neue zum Bewußtsein kommen, damit wir uns nicht als Fremde fühlen auf dem Boden, der zwar politisch erst eine Spanne Zeit, kulturell aber seit mehr als tausend Jahren dem Deutschen gehört. Daher gilt es, bedeutsamere Ereignisse der deutschen Geschichte, die sich in der Vorzeit auf ostmärkischem Boden abspielten oder für die Entwicklung der deutschen Ostmark in Frage kommen, immer besser begreifen, wenigstens sie aber kennen zu lernen, und in einer Zeitschrift „Aus dem Posener Lande" darf die Geschichte nicht fehlen.

 

Eins der bedeutsamsten Ereignisse, durch welche das Deutschtum diesem Lande seinen Stempel aufzuprägen begann, war die von einem deutschen Kaiser vollzogene Gründung des Gnesener Erzbistums und die zwar von den Geschichtsforschern noch immer umstrittene Krönung eines Polenherzogs zum Könige. Mögen denn diese Ereignisse im folgenden einer Betrachtung unterzogen werden.

 

Die Frage, was einst Kaiser Otto zu der abenteuerlichen Fahrt in das kaum dem Christentum erschlossene 1) Polenland veranlaßte, läßt sich nur schwer erschöpfend beantworten. Vor allem war es die schwärmerische Liebe zu seinem in Gnesen beigesetzten, erschlagnen Freunde Adalbert. Seinem Bischossitze Prag entronnen, war Adalbert nach Rom gezogen, um dort, wo die Klöster des heiligen Bonifatius und Alexius auf dem Aventin den Geist schwärmerischer Mystik pflegten, sich inniger einem beschaulichen Glaubensleben hingeben zu können, als es daheim unter den zwar christlichen, aber doch noch wenig von dem Geiste des Christentums ergriffenen Böhmen möglich war, die ihn nicht verstanden und daher dauernd beunruhigten und bekämpften. Auf seinem ersten Römerzuge (996) war Kaiser Otto, damals ein sechzehnjähriger Jüngling, ihm nahe getreten. Dondorf (Kaiser Otto III.) schildert uns das sich alsbald anbahnende Freundschaftsverhältnis, das uns einen Schlüssel zu der Anhänglichkeit gibt, welche den Kaiser nach dem Tode des Freundes in den fernen Osten führte, mit folgenden Worten: „Ein inniges Band verknüpfte bald den Kaiser und den Mönch. Zum erstenmal ging ihm das Ideal einer Jugendfreundschaft, getragen von einer höheren Idee, mit ergreifender Gewalt auf. Otto ließ ihn bald nicht mehr von seiner Seite; Adalbert mußte sogar seine Schlafkammer mit ihm teilen. Wie manchmal mögen sie in den schattigen Laubengängen miteinander geweilt haben, zu ihren Füßen die ewige Stadt, über deren Ruinen die Schatten der Vergangenheit traumhaft schwebten, und weiterhin die stille Campagna, erfüllt von einer erhabnen Traurigkeit, die an dem begrenzenden blauen Gebirgsrande wie in sanfte Sehnsucht wohltuend sich auflöst! Dort saßen sie beide Hand in Hand; doch in den feuchten Blicken begegnete sich ein Glanz, worin Trauer und Sehnsucht gemischt war. Und Adalbert wurde nicht müde, das Herz des Kaisers zur Demut und Weltentsagung zu stimmen. Da bemächtigte sich des kaiserlichen Jünglings ein tiefes Gefühl von der Nichtigkeit und der Eitelkeit aller weltlichen Macht. Ebenso überschwenglich, wie er bisher die irdische Gewalt aufgefaßt hatte, ergriff er auch rückhaltlos die entgegengesetzte Idee, welche ihn, die Welt zu fliehen, trieb. Man sah ihn barfüßig zu den heiligen Stätten von Benevent und Gargano ziehen“ usf. Er war Mönch und Kaiser in einer Person. „Kaiser-Mönch“ nennt ihn Gregorius in „Kaiser Otto und Stephanie“ von Ad. Wilbrandt, IV. Akt., 10. Auftritt. Wohl nie hat auf ein empfänglicheres Gemüt eines Freundes Wort und Beispiel tiefer eingewirkt als auf den jungen Kaiser das Wort und das Beispiel seines Adalbert. Und dieser Freund hatte sich von ihm reißen und zu seinem Bischofssitze zurückkehren müssen, und dann war er hinausgezogen in das Land der heidnischen Preußen. Die Krone des Märtyrers war sein Los gewesen.

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1) Es wurde unter der Herrschaft Mieczyslaus’ I. (962—992), der sich mit Dombrowka, der Tochter des christlichen Böhmenherzogs Boleslaus I., vermählt hatte, 965 eingeführt, stieß aber bei dem Volk auf einen sehr lebhaften Widerstand, so daß polnische Chronisten noch lange nachher von der heidnischen Wildheit der Polen zu berichten wissen.

 

 

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Bei Tenkitten, wo 1831 die fromme Gräfin Wielopolska ihm zum Gedenken ein hohes eisernes Kreuz errichtete, durchbohrte der Spieß eines Heiden sein Herz, und mit seinem Haupte trieben Unholde ein scheußliches Spiel (997). Herzog Boleslaus wog den Heiden den Leichnam des treuen Glaubenszeugen mit Gold auf und brachte ihn nach Gnesen. Den Kaiser aber erfaßte die Sehnsucht, das Grab des Freundes aufzusuchen, hier zu beten und in tiefen, satten Zügen noch einmal jene Empfindungen durchzukosten, die Adalbert in ihm erweckt und genährt und nun, ein Streiter Gottes, mit seinem Tode besiegelt hatte. Zugleich wollte er ihm ein bleibendes Denkmal setzen. Gnesen, als Ruhestätte des heiligen Märtyrers geweiht, sollte, zum Erzbistum erhoben, Mittelpunkt des kirchlichen Lebens der östlichen Länder werden.

 

Die Errichtung des Erzbistums war, im Grunde genommen, keine kaiserliche Funktion. Sie kam dem Oberhaupte der Kirche, dem Papste, zu, und es ist nicht ganz erwiesen, ob Otto sich hier ein Recht nahm, das erst hernach vom römischen Stuhle bestätigt wurde, oder ob er vorher in Rom mit dem Papste die Angelegenheit erörtert hatte und von ihm ausdrücklich beauftragt worden war. Der letzteren Annahme scheint es zu widersprechen, daß die durch die neue Gründung in ihrem Sprengelrecht benachteiligten Bischofssitze zu Posen und Prag, jenes dem Erzbistum Magdeburg, dieses dem Erzbistum Mainz unterstellt, mit Ottos Vorgehen nicht einverstanden waren. Ja, der Bischof Unger von Posen versagte der kaiserlichen Gründung sogar ausdrücklich seine Zustimmung, obschon Gisiler, der Erzbischof von Magdeburg, weil derzeit seine Stellung erschüttert war, sich Schweigen auferlegen mußte. Giesebrecht (Geschichte der deutschen Kaiserzeit) schreibt: „Unwillig sah man in Deutschland, was hier geschah, und zweifelte laut an dem Rechte Ottos zu solchen Anordnungen“. Prutz (Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter) weist darauf hin, daß der Bischof Thietmar von Merseburg, ein Verwandter des Kaisers, in bitterm Unmut Ottos Politik tadelte, und daß gerade dessen Äußerung es beweise, „in welchen schroffen Gegensatz sich Otto III. zu dem deutschen Episkopat stellte“. Wilmans berichtet, daß Otto Gnesen ohne Wissen des Posener Bischofs zum Erzbistum erhoben habe, während doch Giesebrecht weiß, daß Bischof Unger seine Zustimmung versagt habe. Von Wilmans selbst wurde berichtet, daß dieser in Gnesen anwesend gewesen sei und den Kaiser empfangen und in die Kirche geleitet habe. Hier, dürfte also Wilmans irren; denn es ist doch undenkbar, daß der anwesende Bischof von einer Beschränkung seines Sprengelrechts nichts gewußt haben sollte. Für die Annahme, daß Otto mit Zustimmung und im Auftrage des Papstes handelte, spricht der Umstand, daß Gaudentius, der Bruder des heiligen Adalbert, den der Kaiser zum ersten Erzbischof von Gnesen erhob, sich schon in einer Urkunde aus Rom vom 2. Dezember 999 Archiepiscopus sancti Adalberti, d. i. Erzbischof des heiligen Adalbert, nannte. Jedenfalls steht hiernach fest, daß Otto schon in Rom sich über seine Absichten klar gewesen ist und mit Gaudentius im Einvernehmen gestanden hat. Eine Stelle der Hildesheimer Annalen, welche im übrigen Gnesen mit Prag verwechselt, berichtet, daß die Gründung des Erzbistums auf Grund von Bitten des Boleslaus, des Böhmenherzogs (des Polenherzogs?), „licentia Romani pontificis“, d. i. mit vom Papst gewährter Freiheit, erfolgte, mag dabei immerhin die erteilte Vollmacht von dem Kaiser in schwärmerischem Drange überschritten worden sein. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, daß der kluge Herrscher bei diesem Akte auch politische Zwecke im Auge hatte. Es war von jeher ein mit Glück befolgtes Prinzip der Könige aus dem sächsischen Geschlechte gewesen, die Kirche, wo immer angängig, zu stützen und zu bereichern, um sich jederzeit auf ihre Hilfe verlassen zu können. Reiche Schenkungen, Vermächtnisse und Zugeständnisse sind davon Zeugen. Wollte er vielleicht, daß ihm hier mitten im Lande eines unsichren, mit bedenklicher Macht ausgerüsteten Reichsvasallen in der Kirche eine Stütze erstehen sollte, deren er sich im Ernstfalle vielleicht im Kampfe mit diesem bedienen konnte? Seine persönliche Stellung zum Kirchentum mußte ihm eine solche Gründung noch bedeutsamer erscheinen lassen: galt es ihm doch, mit deutscher Kraft und römischem Kaiserglanz die Idee der christlichen Kirche aufs innigste zu vermählen. Wenn nun ein Vasall des Römischen Kaisers sich je seinen Plänen widersetzen sollte, dann mußte Deutschtum, Kaisertum und Kirche gemeinsam den Kampf gegen den Widerstrebenden führen, und gerade die Kirche war hier der mächtigste Bundesgenosse.

 

So mochte dieser „Papst-Kaiser“ vielleicht argumentieren. In Wahrheit beging er eine unheilvolle Tat, die das Reich und den Einfluß der Deutschen in den östlichen Marken dauernd beschränkte. Prutz (Staatengeschichte) urteilt: „Nicht bloß von den Traditionen seiner Heimat und seines Geschlechtes hatte der junge Kaiser sich gelöst; er hatte sich mit ganzer Seele in eine Richtung hineingelebt, die ihn zum Feinde der Interessen seines Stammlandes und seines Volkes und zum Gegner der Bestrebungen machte, die im Einklange mit dem wahren nationalen Interesse seine Vorgänger vor allem gepflegt und gefördert hatten. Jene phantastishe Erhebung über die Schranken nationalen Lebens, in der seine politischen Ideen wurzelten,

 

 

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machte Otto III. geradezu zum Feinde der nationalen Zukunst seines Volkes. Denn indem er in schwärmerischer Verblendung über dem Grabe seines böhmischen Freundes ein Erzbistum zu gründen unternahm, dem Suffraganbistümer in der mystischen Siebenzahl untergeordnet wurden, untergrub er des Großvaters herrliche Gründung an der Elbe, versperrte Magdeburg den Weg nach dem Osten, durchkreuzte die geplante Unterordnung der Slawenländer von der Elbe bis zur Weichsel und darüber hinaus unter die deutsche Kirche und gab der vielgeteilten und zerfahrenen Slawenwelt das, was ihr bis dahin vor allem gefehlt hatte, den geistigen Mittelpunkt, von dem aus sie zusammengefaßt und geleitet werden konnte, der sie befähigte, sich zur Nation zu einigen und, ohne die Vermittlung Deutschlands an den Segnungen der römisch-kirchlichen Kultur teilnehmend, sich dem Deutschen Reiche auf die Dauer zu entziehen.“ Der Papst mochte dies bei Errichtung des Gnesener Erzbistums voraussehen. Vielleicht war ihm, dem klugen Sylvester, der Wunsch des jungen Kaisers nur deshalb willkommen, weil er eine Schwächung der dem Papsttume zurzeit recht unbequemen deutschen Kirche bedeutete und zugleich einem mächtigen deutschen Vasallenstaate zugute kam, dessen sich Rom vielleicht, wenn es not tat, gegen den Kaiser bedienen konnte, wie sich der Usurpator Heinrich der Polen gegen das Reich bedient hatte.

 

Daß der Papst solche Bestrebungen verfolgte, darauf weist Prutz a. a. O. hin, wenn er ausführt: „Was man mit Polen erlebt hatte, das wiederholte sich ähnlich mit Ungarn. Indem Sylvester II. dem christenfreundlichen Stephan dem Heiligen die Königskrone als Gabe des heiligen Petrus verlieh und durch Errichtung des Erzbistums Gran die kirchliche Organisation Ungarns und seiner Dependenzen von der deutschen Kirche, insbesondre von Salzburg und Passau unabhängig machte, wurde der deutschen Kirche auch dort eine empfindliche Einbuße bereitet.“

 

Es ist dies ein Umstand, der bisher kaum genügende Würdigung gefunden hat. Ebensowenig eine andre Veranlassung, die Otto zu dem Zuge nach Gnesen führte: das Verhältnis zu Boleslaus I., dem damaligen Polenherzog.

 

Boleslaus I., mit dem Beinamen Chrobry, d. i. der Tapfre, Sohn Mieczyslaus’ I., — das Doppelbild beider Herrscher steht im Dome zu Posen — ist als der eigentliche Gründer der polnischen Macht anzusehen. Indem er fast alle nordwestlichen slawischen Länder unter seiner Herrschaft vereinte, Danzig und Pommerellen, Krakau, Schlesien und Mähren eroberte, im Osten bis Kiew vordrang und Rotrußland in seinen Besitz brachte, dehnte er die Grenzen seiner Herrschaft angeblich „von der Saale bis zum Dnjepr, von der Donau bis zur Ostsee“ aus. Er war und blieb bei alledem zwar ein Vasall des Deutschen Reiches, nicht anders als jene Herzöge der Nord- und Ostmark, die ebenfalls durch Kriege gegen die benachbarten heidnischen Slawenstämme ihre Herrschaft ausdehnten und somit zur Vergrößerung des Reiches beitrugen. Mieczyslaus, sein Vater, hatte auf dem Hoftage in Quedlinburg im Jahre 973 durch sein persönliches Erscheinen sich als Mitglied des Deutschen Reiches, als Dienstmann des Kaisers bekundet; der regelmäßig gezahlte Tribut ließ keinen Zweifel über seine Stellung zum Reiche aufkommen. Dennoch mußte mit dem Gedanken gerechnet werden, daß das polnische Herzogtum sich vom Reiche abwenden, dem Reiche im Osten unbequem werden konnte. Die fortwährenden Kämpfe mit den slawischen Völkern außerhalb Polens, welche die Markgrafen der Nordmark, der Ostmark und der Mark Meißen zu führen hatten, die Gegnerschaft Böhmens ließen eine slawische Gefahr nicht unwahrscheinlich erscheinen. Wollte nun Otto — und das war sein vornehmstes Streben — zunächst seine römische Kaisermacht fundieren, und mußte er somit den Schwerpunkt seiner Politik wenigstens vorläufig weit nach dem Süden verlegen, so kam alles darauf an, daß er sich des Friedens im Osten versicherte, daß er, wie er meinte, mit dem mächtig emporstrebenden polnischen Herzog in gutem Einvernehmen blieb. Es konnte also nicht bloß des Kaisers Absicht sein, wie Martinus Gallus und Kadlubek wohl irrtümlich berichten, den Polenherzog persönlich kennen zu lernen (dieser hatte den Hildesheimer Annalen zufolge schon 995 den Kaiser auf seinem Zuge gegen die Slawen begleitet); dem Kaiser kam es vielmehr darauf an, diesen Fürsten durch besondre Huld fest an sich zu schließen. Ob diese Politik richtig war? Wohl kaum. Bei dem slawischen Machthaber konnte durch erwiesene Gunst nur das ohnehin lebhafte Selbstbewußtsein gehoben werden; dies aber konnte nur die eine Folge haben, daß er, nach Selbständigkeit strebend, über kurz oder lang die Oberherrschaft des Reiches abzuschütteln versuchte.

(Fortsetzung folgt.)

 

 

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Kaiser Otto III. in Gnesen.

Von Friedrich Stillcke in Gnesen.

(Fortsetzung.)

 

Die Folge gab dieser Befürchtung Recht. Bald nach dem Tode Ottos fiel Boleslaus vom Reiche ab, überzog die Ostmarken Deutschlands mit einem Heere, und nur mit Mühe gelang es Heinrich II. in mehreren Feldzügen (1005, 1012 und 1015), seine Angriffe abzuschlagen. Die Lausitz mußte ihm als kaiserliches Lehen überlassen werden. Diese Gefahr haben die Zeitgenossen Ottos teilweise vorausgesehen. Thietmar von Merseburg schrieb wenig später: „Gott mag es dem Kaiser verzeihen, daß er dem Polenherzog, der bisher zinspflichtiger Mann war, zum Herrn machte und so hoch erhob, daß er bald die, welche ihm einst vorgesetzt waren, unter seine Herrschaft zu bringen und zu Knechten herabzudrücken suchte“. Solche Klagen waren nur zu begründet, und Prutz sagt ganz richtig: „Die Kosten hatte die deutsche Kirche, der deutsche Einfluß, der sächsische Edelmann, der deutsche Kolonist zu tragen“. Wie dem auch sei, der Kaiser versprach sich offenbar von der Erteilung besondrer Vergünstigungen eine nachhaltige Wirkung auf den Herzog, und diese politische Erwägung war es nicht zum mindesten, was ihn zu dem nur bei oberflächlicher Betrachtung rein phantastisch und abenteuerlich erscheinenden Zuge veranlaßte. Vielleicht hielt er eine Stärkung des Polenherzogs auch um deswillen für vorteilhaft, weil er in ihm den stärksten Gegner Böhmens unterstützte, eines Staates, der ihm um so gefährlicher schien, als er mit den weiter nördlich wohnenden Slawen gemeinsame Sache gegen das Reich gemacht hatte, und der durch große Ausdehnung schon an sich befähigt war, die Ostgrenze des Reiches stark zu beunruhigen. Leider zeigte die Zukunft, daß Otto nicht nur einen Feind Böhmens, sondern auch einen versteckten Gegner des Reiches gefördert hatte. Doch sehen wir, indem wir Ottos Aufenthalt in Gnesen und die von ihm vorgenommenen Handlungen in chronologischer Folge näher betrachten, zu welchen Maßnahmen ihn seine kaiserliche Milde veranlaßte!

 

Nach einem längeren Aufenthalt in Regensburg brach der Kaiser auf, um das Grab Adalberts zu besuchen. Durch den Nordgau nahm er, von Gisiler — dem seines Amtes enthobenen Erzbischof von Magdeburg — begleitet, seinen Weg nach Thüringen, dann über Zeitz und Meißen durch die Mark des tapfern Eckart bis nach Eilau am Bober, wo die Grenze der Polen war. Hier wartete Herzog Boleslaus schon des Kaisers und geleitete ihn mit großen Ehrenbezeugungen nach der Kirche zu Gnesen“. So erzählt Giesebrecht. Auch Wilmans berichtet, gestützt auf den Bericht Thietmars, daß Otto, nachdem er das Land der Milciener durchschritten, im Gau Diedessi von Boleslaus glänzend empfangen und nach Gnesen geführt worden sei, merkt aber an, daß das Quedlinburger Chronikon nur weiß, daß Boleslaus den Kaiser in Gnesen empfangen habe, indes Martinus Gallus über den Ort des Empfanges nichts berichte. Die Zeit dieses Zuges fällt in den Anfang des März, die Anwesenheit Ottos in die Mitte des Monats. Der Sonntag Palmarum des Jahres 1000, den Otto kurz nach dem Gnesener Aufenthalt in Magdeburg verlebte, fiel auf den 24. März, eine Angabe Giesebrechts, die sich als vollkommen richtig erweist. Rechnen wir nun, daß Otto, um von Gnesen nach Magdeburg zu gelangen, acht Tage nötig hatte, so mußte er um die Mitte des März in Gnesen gewesen sein, was Giesebrecht und Wilmans bestätigen. Hiermit stimmt es überein, daß eine Urkunde vorhanden ist, in der es heißt Idibus Martiis anno 1000 in Scavania (Slavania) in civitate Gaemi, ubi corpus Beati Martyris requiescit, d. h. am 15. März im Jahre 1000 im Slawenlande in der Stadt Gaemi, wo der Leib des seligen Märtyrers ruht.“ Liest man hier statt Scavania, was aus einem Schreibfehler beruhen könnte, Slavania, so ist Gaemi zweifellos Gnesen, weil nur hier in slawischen Landen ein Märtyrer beigesetzt war. Diese Urkunde datiert also aus Gnesen vom 15. März. Wilmans führt neben diesem Hinweise noch die Annalen Hildesheims an, welche die Wallfahrt in quadragesimae tempus, d. i. auf den 40. Tag vor Karfreitag, auf den Sonntag Invokavit setzen, wonach die Reise nach Gnesen in der Mitte des Februar angetreten wäre, was sehr wohl richtig sein kann, da Otto, selbst wenn er unterwegs nirgends verweilt haben mag, wie eine polnische Quelle berichtet, wohl dreißig Tage nötig hatte, um von Regensburg nach Gnesen zu gelangen. Auf dem Zuge begleiteten ihn mehrere vornehme Römer, wie der Kaiser später selber in einer zu Rom gehaltnen Ansprache mit folgenden Worten bekundete: „Euch habe ich in die entfernteren Teile unsers Kaiserreiches geführt, wohin eure Väter, als sie den Erdkreis beherrschten, niemals den Fuß gesetzt haben, damit ich euern Namen und Ruhm bis an die Grenzen des Erdkreises verbreite.“ (Dondorf.) Eine polnische Chronik nennt als Begleiter Ottos den Patrizier Jaggo mit dem Ablatinarius Robert und den Kardinälen. Sie sagt auch, daß der Zug mit außergewöhnlichem Prunk erfolgte, und daß Boleslaus ihm bis Ilwo (Eilau) entgegengeritten sei. Teilweise gestützt auf

 

 

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einen älteren Bericht des Martinus Gallus, fährt sie fort: „Erstaunliche Wunderdinge richtete Boleslaus zu Ehren des Kaisers aus. Zuerst hatte er in der weitläufigen Ebene die verschiednen Abteilungen der Ritter aufgestellt und, gesondert von ihnen, das Herrengefolge. Alle umspielte der mannigfaltige Glanz der Gewänder. Da war nicht eine gewöhnliche Mannigfaltigkeit des Putzes; vielmehr konnte man das Köstlichste, was sich bei irgend einem Volke findet, dort schauen. Wie denn zu den Seiten des Boleslaus jeder Ritter und jede Dame Seide statt Linnen oder Wolle trug. Selbst die Pelze, so kostbar sie auch waren, trug man an seinem Hofe nicht ohne seidene, golddurchwirkte Stoffe. Das Gold stand damals in so gemeinem Werte wie heute das Silber; Silber wurde wie Spreu geachtet. Inmitten dieser glänzenden Reihen gelangte Otto mit Boleslaus und seinem ganzen Hofgefolge in den großen Fasten in die Nähe von Gnesen.“ Es sei, ehe wir dem polnischen Chronisten, der uns am ausführlichsten über den Aufenthalt in Gnesen berichtet, weiter folgen, vorweg bemerkt, daß ihm nicht unbedingt zu trauen ist. „Die polnischen Chronisten“, so sagt Wilmans, „haben diesen Besuch Ottos in Gnesen sagenhaft ausgeschmückt“, und es muß zugestanden werden, daß nicht wenige Übertreibungen, besonders bezüglich des aufgewandten Prunkes, ganz den Eindruck einer märchenhaften Dichtung machen. Wie weit sonst jene Quellen das Richtige treffen, mag durch Vergleich mit andern Berichten dargetan werden.

 

Sobald der Kaiser sich Gnesen nahte, stieg er vom Pferde und betrat barfuß als Pilger die Stadt, genau so, wie er einst mit dem Freunde die heiligen Stätten bei Rom aufgesucht hatte. Daß er barfuß einzog, berichtet Thietmar und mit ihm übereinstimmend ein andrer Chronist; der polnische weiß noch, daß Boleslaus den ganzen Weg von der Stelle an, wo man die Stadt zuerst erblickte, mit Tüchern hatte belegen lassen. Es soll dies die Strecke vom Lendnitza-See bei Weißenburg bis zur Stadt gewesen sein, wie denn auch erzählt wird, daß der Kaiser die letzte Nacht auf der sogenannten Piasteninsel in diesem See zugebracht habe, wo damals ein Schloß gestanden haben soll. Es ist diese Annahme jedoch wenig wahrscheinlich. In Gnesen empfing den Kaiser der Bischof Unger von Posen und geleitete ihn zur Kirche, wo Otto unter Strömen von Tränen am Grabe des Märtyrers betete. Er flehte ihn an, ihm durch seine Fürbitte Gottes Gnade zu erwirken. Diese Kirche, äußerlich jedenfalls ein prunkloser Bau, vielleicht nach damaliger Sitte nur aus Holz ausgeführt, war der Gottesmutter geweiht. „Wie aber diese Kirche“, so fährt unser Gewährsmann fort, „einen wundertätigen Schatz der Heiligkeit bewahrte, so glänzte sie gleichermaßen durch irdische Schätze an Gold und Kleinodien, die in barbarischem Prunke aufgehäuft waren. Den Hochaltar, in welchem die heiligen Gebeine ruhten, stiftete Kaiser Otto selbst zum Gedächtnis seiner frommen Wallfahrt (?), und zur Seite dieses Altars strahlten die riesigen Weihgeschenke des Boleslaus, zuerst ein gewaltiges Standbild des Erlösers am Kreuze, ganz aus Gold, dreimal so viel wiegend wie unser großer und schwerer Boleslaus, der selbst auf diese Weise das Gewicht des Goldes für dieses Bild abgemessen hatte; weiter eine ungeheure Goldplatte, fünf Ellen lang und zehn Hände breit, reichlich mit Edelsteinen und Kristallzieraten besetzt, am Rande mit der Inschrift versehen: „Dreihundert Pfund Goldes sind zu diesem Werke abgewogen.“ . . .

 

Wir kommen nun zu einem Teile des Berichtes, dessen Richtigkeit lebhaft bestritten worden ist. Als nämlich Otto all den Prunk und die Macht und Reichtümer des Polenherzogs schaute, soll er erstaunt ausgerufen haben: „Bei meiner Kaiserkrone, ich sehe weit mehr, als mir der Ruhm verkündet hat,“ und soll dann, nachdem er sich zuvor mit seinen Großen beraten hatte, hinzugesetzt haben: „Nicht will es sich geziemen, einen so großen Mann Herzog oder Graf zu nennen wie der Fürsten einen, vielmehr ihn auf den Königsthron zu heben und mit dem Diadem zu schmücken“. Und er soll sein Diadem vom Haupte genommen haben und es Boleslaus „als Pfand der Freundschaft“ aufgesetzt haben. Giesebrecht bemerkt dazu: „Es scheint kaum zu bezweifeln, daß Otto dem Polenherzog den dem deutschen Reiche gezahlten Tribut erließ, glaublich scheint es auch, was spätere Quellen berichten, daß Otto dem Herzog die Ehrennamen eines Bruders und Mitarbeiters am Reiche, eines Freundes und Bundesgenossen des Römischen Volkes gegeben habe, da dies durchaus der Denkungsart und Ausdrucksweise des phantastischen Kaisers entspricht. Wenn aber in jenen Quellen weiter berichtet wird, daß Otto dem Herzog seine Krone auf das Haupt gesetzt, ihm königliche Rechte erteilt und ihn damit aus der Abhängigkeit vom Kaisertume völlig entlassen habe, so sind dies eitele Märchen.“ Wilmans äußert sich in demselben Sinne, wenn er sagt, daß die Angabe, daß Boleslaus zu dieser Zeit die Krone empfangen habe, ganz falsch sei. C. Wersche („Das staatsrechtliche Verhältnis Polens zum Deutschen Reiche im Mittelalter“, Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen) sagt ebenfalls, daß die Krönung sicherlich nicht stattgefunden habe.

 

Und dennoch ist es nicht ohne weiteres berechtigt, jene Berichte ganz zu verwerfen, zumal doch manches andre, was sie enthalten, als richtig erwiesen ist. Es steht allerdings fest, daß sich Boleslaus 1024, in dem Todesjahre Heinrichs II.,

 

 

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des letzten sächsischen Kaisers, die Königskrone aufsetzte, die ihm von der Geistlichkeit dargeboten wurde; es steht ferner fest, daß er, wie Wippo berichtet, sich königliche Rechte und den königlichen Titel beilegte und dadurch den König Konrad, den Nachfolger Heinrichs, verletzte. Aber dieser Bericht beweist nicht, wie Wilmans will, daß jene kaiserliche Handlung unterblieben ist. Wenn Petrus Damiani im „Leben des heiligen Romuald“ berichtet, daß Boleslaus unter Heinrich II. habe nach Rom schicken wollen, damit der Papst ihn kröne, so bezieht sich das, wie der Bericht Wippos, auf die spätere Krönung; daß aber eine vorläufige durch den Kaiser erfolgt ist, kann dadurch nicht als widerlegt gelten. Die ganze Auffassung Ottos von seiner Stellung zum Reiche war die, daß er sich nie als einen Deutschen König, sondern ausschließlich als Römischen Kaiser betrachtete; über allen Fürsten, auch über dem König von Deutschland stehend, konnte er sehr wohl einen andern, dem Römischen Reiche angehörenden Herzog mit der Königswürde begaben; war doch auch der dem Reiche tributpflichtige Däne im Besitz einer Königskrone. Damit war das Abhängigkeitsverhältnis keineswegs beschränkt. Auf einem noch in der Königlichen Bibliothek zu München aufbewahrten Widmungsbilde aus dem Evangeliarium Kaiser Ottos schreiten, in Gestalt von Frauen dargestellt, Slavia, Germania, Gallia und Roma Tribut bringend dem Kaiserthron entgegen, und es verdient jedenfalls volle Beachtung, daß Slavia (Polen) mit den andern Staaten, Deutschland, Frankreich und Italien, als gleichwertig dargestellt worden ist. Meine Ansicht teilt auch H. Herrig (Das Kaiserbuch. Acht Jahrhunderte deutscher Geschichte). Er schreibt: „Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß Otto in diesem allem (Erhebung Gnesens zum Erzbistum, Einsegung des Gaudentius) den Plänen Sylvesters diente; denn indem Gnesen und Polen einen eignen Erzbischof erhielten, war eigentlich das Königtum von selber gegeben und nur in der Ordnung, daß der Herzog Boleslaus von Polen den Kaiser bei seiner Ankunft glänzend empfing. Der Gedanke Sylvesters war eben nur, die bisherige Übermacht Deutschlands zu brechen; es sollte sich als ein gleichberechtigtes Glied in die europäische Staatenfamilie einfügen, an der Spitze derselben aber der Römische Kaiser stehen, der wieder vollständig in den Händen der Kirche ist.“ Der Römische Kaiser, nicht der Deutsche König war es, der den Polen zum König ernannte. Darum hieß er ihn einen Mitarbeiter am Reiche, nämlich am Römischen, und einen Freund und Bundesgenossen des Römischen Volkes. Gerade Otto, dessen Bildnis auf einer noch vorhandnen Bleibulle die Umschrift trägt „Renovatio imperii Romanorum“, unterschied seine Stellung als Römischer Kaiser sehr scharf von der eines deutschen Herrschers 1) und brachte jener, obschon sie ein ungesundes Phantom war, Kraft und Blüte Deutschlands willig zum Opfer. Auch soll nicht unerwähnt bleiben, daß Boleslaus zu Zeiten Heinrichs II. nicht mehr hinter den deutschen Fürsten aufgezählt wird, sondern vor ihnen. Nur der Herzog von Sachsen, der Inhaber des Stammlandes des Herrscherhauses, war hier genannt. Wenn Giesebrecht das Gerücht, daß Otto durch die Krönung den Polenherzog aus der Abhängigkeit vom Kaisertum entlassen habe, ein eitles Märchen nennt, so hat er Recht; denn es liegen Tatsachen genug vor, die es beweisen, daß das Verhältnis des Boleslaus zum Reiche tatsächlich das gleiche blieb. Er selber faßte es wohl damals auch nicht anders auf. Dondorf sagt: „Er leistete gern die herkömmliche Huldigung und gewährte dem Kaiser mit kriegerischem Gefolge bis Magdeburg das Geleit“, und Giesebrecht führt aus: „Otto nahm als Römischer Kaiser die Oberherrschaft über Polen und alle von Boleslaus eroberten Länder unfraglich in Anspruch, und dieser sah sich, welches auch sein Verhältnis zu Deutschland fortan sein mochte, nach wie vor als einen Vasall des Kaisers an. Er stellte ihm damals dreihundert geharnischte Ritter und folgte ihm selbst nach Magdeburg, wo er am Palmsonntag (am 24. März) am Hofe des Kaisers nicht anders auftrat als vordem sein Vater Miesko (Mieczyslaus) vor Otto I. und II.“ Durfte er deshalb nicht König sein? Ja, ehrte es den Römischen Kaiser nicht noch höher, wenn bei seinen Hoffesten Könige ihm aufwarteten? Wenn schon feststeht, daß Otto so weit ging, ihm den Tribut zu erlassen, das eigentliche Zeichen seiner Abhängigkeit, so kann die geringer zu bewertende Krönung ebenfalls Tatsache sein. (Schluß folgt.)

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1) Zur Zeit der Karolinger und bis auf Konrad II. nannten die Beherrscher Deutschlands als solche sich Könige der Franken, nachher aber entweder nur Könige oder Könige der Römer. Könige von Deutschland gab es offiziell nicht; doch bestand sachlich der Gegensatz zwischen dem Könige über die deutschen Stämme und dem Römischen Kaiser.

 

 

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Kaiser Otto III. in Gnesen.

Von Friedrich Stillcke in Gnesen.

(Schluß.)

 

Eben daß es der Kaiser war, der diese Krone verlieh, das mußte von Boleslaus als ein deutlicher Hinweis darauf aufgefaßt werden, daß er als König vom Kaiser abhing, nicht etwa ein selbständiger König neben ihm sei. Der Krönungsakt bedurfte allerdings noch einer kirchlichen Formalität, was Otto sehr wohl anerkennen mochte; aber es mußte dem Kaiser daraus ankommen, daß er selber, noch ehe der Polenherzog im Einvernehmen mit dem Papste sich die Krone selber aufsetzte; die Krönung vollzog. Hat doch Sylvester II. dem Herzog Stephan von Ungarn eben in demselben Jahre eine Königskrone gesandt und damit „das erste bald nachgeahmte Beispiel für die Verleihung von Fürstenkronen durch den Papst gegeben, welche vielmehr dem Kaiser, als dem unmittelbaren Oberherrn, zugestanden hätte (Dondorf).“ Eben durch die Verleihung der Königskrone bezeugte der Kaiser seine Obergewalt über den König. Boleslaus scheint das empfunden zu haben; er hat die kirchliche Weihe der Krone lange hinausgeschoben und nannte sich auch ferner Herzog. Vielleicht wollte er sich nicht König nennen, solange er dieses Königtum als eine Gabe des Deutschen Kaisers betrachten mußte. Er erschien auch auf dem 1002 abgehaltnen Reichstage zu Merseburg, dem König Heinrich zu huldigen, wie Wersche a. a. O., gestützt auf mehrere zuverlässige Quellen, anführt. Dann aber beginnt er, als ihm die Betätigung der widerrechtlichen Besetzung der Mark Meißen versagt wird, um seine Unabhängigkeit zu ringen. Erst nachdem er sich mit Heinrich in erbittertem Kampfe gemessen hatte, nahm er die Krone, und nun erst dachte er daran, diese Krone vom Papste bestätigen zu lassen; denn nun stand kein Imperator an der Spitze des Reiches, sondern ein deutscher König, dem er sich gleichstellen zu können glaubte. Sein Tod machte die Ausführung dieses Planes unmöglich; Mieczyslaus, sein Sohn, nannte sich zwar noch König, verlor aber sein Ansehen. Er wurde von Konrad II. wieder in das Abhängigkeitsverhältnis zum Reiche zurückgebracht und blieb, an Land und Macht geschmälert, seitdem, was seine Väter gewesen: Herzog von Polen.

 

Es war jedenfalls ein unglücklicher Schachzug Ottos, als er dem Polen die Krone aufsetzte, um so mehr, als er den bisher entrichteten, aber vielleicht von jetzt ab nur durch andre Pflichten aufgewognen Tribut ihm erließ. Beides zusammen erst ließ seine Handlungsweise so gefährlich erscheinen und berechtigte Thietmar zu den oben angeführten Klagen; ja, erst in Hinsicht auf den erlassenen Tribut und den Krönungsakt werden diese Klagen verständlich. Er sagt ausdrücklich, daß der Kaiser ihn zu einem Herrn machte und so hoch erhob, daß er einst ihm Vorgesetzte zu Knechten zu machen suchte. Das hätte keinen Sinn, wenn aus dem Herzog nicht ein im Range höher Stehender geworden wäre. Zudem berichtet auch eine im Königsberger Archiv befindliche Schrift über das Leben des heiligen Stanislaus die Krönung fast mit den gleichen Worten, und wenn Ademarus Cabanus, der übrigens Boleslaus rex nennt, erzählt, Otto habe Boleslaus den goldnen Thron Karls des Großen geschenkt, so ist das nur als Konsequenz jener Krönung aufzufassen. Unmöglich konnte Otto denThron Karls des Großen, jenes Fürsten, den er mit heiliger Scheu als Vorbild verehrte, in dessen Gruft zu Aachen er im selben Jahre eindrang, um ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, — unmöglich konnte er dessen Königsthron einem Herzog verehren. Ein solches Geschenk konnte auch nicht ohne Bedeutung und ohne Absicht verliehen werden. Die Überreichung eines Königsthrones sollte ohne Zweifel mehr sein als die bloße Einhändigung eines kostbaren Gegenstandes, und wenn ferner berichtet wird, daß Otto dem Polenherzog den Ehrennamen eines Bruders und Mitarbeiters am Reiche, eines Freundes und Bundesgenossen des Römischen Volkes gegeben hat, was von verschiedner Seite berichtet und auch von Giesebrecht als glaublich bezeichnet wird, so scheint mir eine solche Ehrung bei einem schlichten Herzoge nicht angebracht. Wenn diese Worte nach Giesebrecht

 

 

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aber nur eine Phrase gewesen sein sollten, wie sie „durchaus der Denkungsart und Ausdrucksweise des phantastischen Kaisers entspricht“, so dürfte dem gegenüber die Behauptung nicht unangebracht sein, daß gerade dieser Kaiser, der von der Bedeutung und Würde seines Imperiums so ganz durchdrungen war, nur einem im Range näher Stehenden solche Ehren erweisen konnte. Derselbe Kaiser, der alle Formalitäten seines Hofes nach des Kaisers Constantinus Porphyrogennetos umständlichem Werke über den Hofbrauch peinlich und kleinlich bis ins Einzelne hinein geordnet hatte, — derselbe Kaiser konnte so weit die kaiserliche Würde nicht verletzen, und wäre dabei auch nur eine Etikettenfrage ausschlaggebend gewesen. Oder wäre es möglich, daß solch ein Fürst, geblendet von den Schätzen des Boleslaus und dem äußerlichen Ansehen, das sich dieser polnische Fürst zu geben wußte, sich zu solchen Ausrufen hätte unbedachtsam hinreißen lassen? Nein, solche Worte sind nicht der unüberlegte Ausfluß augenblicklicher Verwunderung. Sehr bezeichnend sagt deshalb auch der polnische Chronist, daß Otto sich vor dem Entschluß, Boleslaus zu krönen, mit seinen Großen beraten und ihm erst dann das Diadem aufgesetzt habe. 1)

 

Nun wurden Geschenke ausgetauscht, und dann erst wird die Beilegung jener Ehrennamen berichtet. Martinus Gallus erzählt, daß der Kaiser dem Gekrönten einen Nagel vom Kreuze des Herrn und die Lanze des heiligen Moritz verehrte, wofür ihm dieser eine Hand des heiligen Adalbert übergab. „Und mit großer Liebe“, so fährt dann der polnische Erzähler Szajnocha fort, „verschwisterten sie sich an jenem Tage, daß der Kaiser den Boleslaus zum Bruder und Mitregenten einsetzte und ihn des römischen Volkes Freund und Bundesgenossen nannte. Überdies, was nur in Sachen der kirchlichen Würden, d. h. in der Errichtung der Erzbistümer und Bistümer dem Kaisertum zustand, dies alles übertrug er im ganzen polnischen Lande, wie auch in den andern bis dahin oder in Zukunft von ihm eroberten barbarischen Landen, auf Boleslaus und dessen Nachfolger, welche Übereinkunft auch Papst Sylvester II. durch ein Privilegium bestätigt hat“. Versteht man Mitregent im Sinne von „Mithelfer am Reich“, wie es oben wiedergegeben war, so läßt sich dieser Ausdruck trotz der immerhin darin steckenden, auf Rechnung des lebhaften Kaiserjünglings zu setzenden Übertreibung, nach voraufgegangner Krönung, wie oben ausgeführt, verstehen, wennschon der polnische Chronist mehr hineinzulegen sucht, als der Kaiser damit ausdrücken wollte. Was die kirchlichen Rechte anbetrifft, so übt der Kaiser sie durch Errichtung des Erzbistums selber ausdrücklich genug aus, so daß kein Zweifel darüber bleibt, daß dem Boleslaus nach dieser Seite hin zunächst noch keine zu weit gehenden Machtvollkommenheiten zugestanden worden sind. Die verhängnisvolle Tatsache bleibt allerdings bestehen, daß ein Erzbistum in polnischen Landen geschaffen wurde, daß also die polnischen Bistümer (ausgenommen Posen) in Zukunft nicht deutschen Erzbistümern unterstanden, sondern ihren eignen Kirchenfürsten hatten, und daß Sylvester dieses Erzbistum bestätigte.

 

Es sei nun der märchenhaft übertriebne Bericht Szajnochas weiter mitgeteilt: „Boleslaus, der vom Kaiser so glänzend zum Könige ausgerufen war, richtete während der drei Tage seiner Krönung königliche oder besser, kaiserliche Festlichkeiten aus. Am jedem Tage wechselte man alle Gefäße und das gesamte Tafelgerät und setzte andres, ganz verschiednes und noch weit kostbareres dafür auf. Nach beendigtem Festgelage aber befahl Boleslaus den Schenken und Truchsessen, alle die goldnen und silbernen Geschirre — denn hölzerne sah man dort gar nicht —, wie Schüsseln und Trinkschalen, Bratspieße, Messer, Trinkhörner und dgl., von all den Tischen, die in den drei Tagen hingestellt worden waren, abzunehmen, und alles zusammen übergab er dem Kaiser als Ehrengeschenk, jedoch nicht als Lehnsgebühr“. Der letztere Zusatz ist im Grunde belanglos; denn wenn sich der Chronist auch augenscheinlich bemüht, seines Fürsten Unabhängigkeit überall zu manifestieren, so gelingt ihm dies gegenüber den historischen Tatsachen nicht, und wenn hier wirklich freie Geschenke übergeben wurden — das Quedlinburger Chronikon berichtet, daß Otto zur Zeit nichts angenommen habe —, so beweist es nicht, daß Boleslaus jetzt überhaupt von allen Pflichten entbunden war. Der Bericht fährt fort: „Da befahl er desgleichen auch den Kämmerern, alle ausgebreiteten Tuche, Vorhänge und gewirkten Tapeten, Teppiche, Decken, Handtücher, und was sonst immer für den kaiserlichen Gebrauch und Dienst geliefert worden war, zusammenzupacken und zur kaiserlichen Kammer hinzutragen. Außerdem legte er dort noch vielfache andre Geschirre, goldne

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1) Zeißberg („Über die Zusammenkunft Kaiser Ottos III. mit Boleslaus I. von Polen“, Zeitschrift f. d. österr. Gymnasien) sucht zu beweisen, daß Boleslaus zum Patricius gekrönt worden sei, was spätere Berichterstatter mißverstanden hätten. In der Tat wurde von den Kaisern seit den Tagen Konstantins auch Fürsten (z. B. dem Odoakar, dem Theoderich) dieser Rang verliehen; doch war er seit 754 nur Eigentum der Schutzherren des päpstlichen Stuhles, Pipins, Karls des Großen und seiner Nachfolger gewesen und wird auch später noch von Heinrich IV. (1056—1106) beansprucht. Aber wenn Zeißberg Recht hat, so dürfte kaum ein einschneidender Unterschied zwischen dem Diadem eines Patricius und der Königskrone bestanden haben. Wersche hebt jedenfalls richtig hervor: „Von dem bei dieser Gelegenheit aufgesetzten goldnen Reif bis zur Krone war kein großer Sprung.“

 

 

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und silberne von unterschiedlicher Arbeit, Seidenstoffe, mannigfaltig an Farbe, Geräte von unbekannter Art, Edelsteine und ähnliche Dinge in so großem Überflusse nieder, daß dem Kaiser so freigebige Geschenke schier wie ein Wunder vorkamen. Endlich, bedachte Boleslaus auch die einzelnen Höflinge mit solcher Großmut, daß er fortan die eifrigsten Freunde unter ihnen hatte“. Die Freigebigkeit des wackern Polen in Ehren, — aber, der Leichtgläubigkeit des Lesers wird hier recht viel zugemutet. Wenn der Kaiser allein die 15 Kilometer Tuch, die vom Piastenschloß bis zum Gnesener Dome ausgebreitet waren, hätte nach Deutschland mitführen sollen, — man berechne, wieviel Wagen erforderlich gewesen wären, und dazu all das andre! Weiter können wir einem solchen Erzähler nicht folgen.

 

Wir verlassen also den Bericht Szajnochas, den wir einer Schrift des Gnesener Rektors Grotrian „Gnesen in Wort und Bild“ entnommen haben, und tragen noch nach, was von der Gründung des Erzbistums zu berichten bleibt. Der Veranlassung und einiger rechtlicher Seiten derselben haben wir schon im Eingange dieser Abhandlung gedacht. Otto berief noch vor der Krönungsfeierlichkeit schleunigst eine Synode, und durch sie wurde nach dem Willen des Kaisers und dem Wunsche des Herzogs Boleslaus Polen und das ihm unterworfne Ländergebiet kirchlich abgegrenzt. Sieben Bistümer wurden ihm unterstellt. „Von ihnen sollten Polen und die von Boleslaus eroberten Länder kirchliche Gesetze und christliche Ordnungen erhalten. Für Pommern, das bereits von Boleslaus abhängig war, wurde Colberg zum Bischofssitz erwählt und Reinbern zum ersten Bischof ernannt. Chrobatien hatte der Pole den Böhmen abgenommen; es erhielt jetzt in Krakau sein eignes Bistum und den ersten Bischof in Poppo. Für Schlesien, erst kurz vorher nach dem Tode Boleslaus’ II. den Böhmen entrissen, wurde eine bischöfliche Kirche in Breslau errichtet und fiel dem Johannes zu. Die vier andern Bistümer, deren Sprengel wohl in den östlichen Teilen Polens lagen, werden uns nicht näher bezeichnet“, (Giesebrecht.) Für die Christianisierung des Ostens, die bis dahin nicht einmal in der engsten Umgebung des Königs wirklich durchgeführt war, mußte diese Neugründung allerdings bedeutsam werden, und die Wahl des Gaudentius, des Bruders Adalberts, zum ersten Erzbischof ließ erwarten, daß dieser, den Spuren des Heimgegangenen mit Eifer folgend, alles daran setzen werde, den Osten für das Christentum — für seine Kirche zu gewinnen. Ein Kulturwerk war es, was Otto hier in Gnesen schuf, mag es sich politisch auch als falsch erwiesen haben.

 

Es ist hier noch eines weiteren Versuches Ottos, den polnischen Fürsten an sich und sein Haus zu fesseln, zu gedenken, der Verheiratung des polnischen Thronfolgers Mieczyslaus. Boguphal berichtet, daß Otto dem Miesko seine Schwester zur Frau gegeben habe. Das ist falsch, wie Voigt und Wilmans nachgewiesen haben. Es handelt sich vielmehr um eine Nichte des Kaisers, um Richsa, die Tochter seiner Schwester Mathilde und des Pfalzgrafen Ehrenfried (Ezzo). Da die Vermählung Mathildens mit Ezzo, wie Wilmans hervorhebt, erst gegen Ende der Regierung Ottos III. erfolgt zu sein scheint, so ist es allerdings zweifellos, das die Verheiratung ihrer Tochter nicht zu Ottos Zeiten stattgefunden haben kann, obschon es nicht ausgeschlossen ist, daß Otto die vielleicht erst vor kurzem geborene Richsa dem Miesko zur Frau bestimmt hat.

 

Daß der Kaiser sich in Gnesen nur drei Tage aufhielt, ist nicht anzunehmen. Eine solche Fülle von hochbedeutsamen Veranstaltungen ließ sich kaum in so kurzer Zeit erledigen, auch wenn sie gut vorbereitet waren. Letzteres ist zwar anzunehmen; denn schon eine Synode wäre, unvorbereitet, nicht schnell zu vereinigen gewesen.

 

Die Rückreise erfolgte, wie schon berichtet, unter Begleitung eines von Boleslaus gestellten Aufgebots von dreihundert geharnischten Rittern. Der Polenfürst selber gab dem Kaiser das Geleite, nicht etwa als Gastgeber dem Gastfreunde, sondern als Vasall, was seine Anwesenheit auf der Reichsversammlung in Quedlinburg beweist. Andernfalls wäre er an der Grenze umgekehrt. Den Stuhl Karls des Großen soll ihm Otto nach späteren Berichten erst nachher von Aachen aus gesandt und erst dafür die Reliquie des heiligen Adalbert erhalten haben. Der Stuhl soll 1038 von den plündernden Tschechen, die viele Kostbarkeiten aus Gnesen entführten, nach Prag gebracht worden sein.

 

Überblicken wir Ottos Aufenthalt in Gnesen, so müssen wir bekennen: er steht, mag auch eine der hier vollzognen Regierungshandlungen, die Krönung des Polenherzogs, noch umstritten sein und vielleicht auf immer strittig bleiben, als ein weltgeschichtliches Ereignis von höchster Bedeutung vor uns, als ein Höhepunkt der unseligen politischen Tätigkeit des früh verstorbnen Kaisers. Daß seine Maßnahmen sich in Zukunft als falsch erwiesen, bleibt zu beklagen. Heute ist ein starker, zielbewußter Deutscher, nicht Römischer Kaiser selber König eines Bruchteils dieses Volkes, der ganz dem Reiche gehört; aber die Unzuverlässigkeit und Undankbarkeit, wie sie uns einst in der Person des Boleslaus entgegengetreten ist, und wie sie seinem Volke nicht minder eigentümlich zu sein scheint, erfordert noch heute die aufmerksamste Berücksichtigung einer Politik, die, glücklicher als die Ottos, auch bestrebt ist, diesem Volke segensreich zu werden, aber Maßnahmen vermeidet, die dem deutschen Volke zum Nachteil gereichen könnten.

 

 

 

Quelle:

Aus dem Posener Lande: Blätter für Heimatkunde 1908 Jg 3 Maiheft 1 (S. 199-201), Maiheft 2 (S. 218-220), Juniheft 1 (S. 234-236)

Stillcke, Friedrich: Kaiser Otto III. in Gnesen.

 

Die Quelle ist digitallisiert in der Bibliothek der Universität Poznan unter folgenden Links zugänglich:

 

https://www.wbc.poznan.pl/dlibra/publication/140901/edition/150086/content?&ref=struct

https://www.wbc.poznan.pl/dlibra/publication/140902/edition/150087/content?&ref=struct

https://www.wbc.poznan.pl/dlibra/Publication/140903/edition/150088/content?&ref=struct

 

 

 

 

Ehrenberg 1889: Insel Ostrow im Lednicka-See

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444 Sitzungsberichte.

 

Sitzung vom 8. Januar 1889

 

Herr Archivar Dr. Ehrenberg berichtete über eine Reise, welche er im Juni bezw. Juli vorigen Jahres im Auftrage Sr. Exc. des Herrn Kultusministers von Goßler nach der Insel Ostrow im Lednica-See behufs Untersuchung der dortigen Ruinen ausgeführt hatte. Der See liegt zwischen Posen und Gnesen, etwa 32 Kilometer von ersterer und 14 Kilometer von letzterer Stadt entfernt; von den beiden Inseln, welche ihn in weiteren Kreisen bekannt gemacht, und zu welchen vormals Brücken geführt haben (wenigstens sollen die Pfähle derselben bei niedrigem Wasserstande noch deutlich sichtbar sein), ist die größere mit einem Flächeninhalt von etwa 5 Hektaren die wichtigere. Von Haus aus niedrig wird sie durch einen auf ihr aufgeschütteten Rundwall (die Angabe des Herrn von Zakrzewski im ersten Heft der Posener archäologischen Mittheilungen", Posen 1887, Seite 12, daß die Schanze quer über die Insel herübergehe, und die beigefügte Zeichnung sind unrichtig) fernhin kenntlich und sichtbar. Der Wall hat einen Umfang von etwa 300 Metern und eine Höhe von 4½-6 Metern; an zwei Stellen, die offenbar die Einlaßpforten bedeuten, senkt er sich erheblich; der Durchmesser beträgt 12-15 Meter. Im Innern, hart an seiner westlichen Seite, liegt die Ruine selbst, dicht umgeben von widrigem Brombeeren- und Distelgestrüpp, durch das man sich um so mühsamer hindurchwinden muß, als der ganze Erdboden mit wild durcheinander liegenden und aufeinander lagernden Steinen, den abgetragenen Resten des Gebäudes, bedeckt ist.

 

Das, was von dem Mauerwerk die Zerstörungsarbeit von Jahrhunderten überdauert hat, bildet in Kurzem folgendes Bild: Nur in etwa Manneshöhe stehen die Mauern noch und sind zum Theil so weit auch erst seit Mitte der siebziger Jahre, wo polnische Gelehrte die Insel genau untersucht haben, freigelegt worden. Den bemerkenswerthesten Theil bildet ein östlich gelegener Rundbau. In seiner Mitte stehen vier Pfeiler, die nach

 

 

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innen rechteckig, nach außen rund gestaltet sind; von Norden führt eine Thür hinein; im Osten läßt sich deutlich eine Altarnische wahrnehmen (Professor Sokolowski will hier auch eine Art Altar, lose zusammengefügte Steine, gefunden haben); im Süden sind die Reste von zwei Fenstern zu bemerken, und im Westen führt eine niedrige rundbogige Thür in einen kellerartigen Raum, dessen Tonnengewölbe erst in neuerer Zeit zum Schutze der zahlreichen dort niedergelegten Knochenfunde ausgeführt worden sein soll. Südlich von dieser Thür sind Treppenstufen vorhanden, an die sich rechts ein tiefer Brunnen, links eine Wendeltreppe anschließt; entsprechend soll an der Nordseite gleichfalls ein Brunnen vorhanden gewesen sein, der jedenfalls aber kleiner war. An diese ganze bauliche Anlage schließt sich nach Westen hin ein großer rechteckiger Raum von 30,40 Meter Länge und 12,93 Meter Breite an, der in seiner südöstlichen Ecke die Grundmauern mehrerer kleinerer Räume und in seinem durch eine Quermauer abgeschiedenen westlichen Theil zwei Pfeilerreste enthält. Die Art und Weise, in welcher alle diese Gebäudetheile hergestellt worden sind, ist eine durchaus verschiedene. Während der größere westliche Theil von roh zusammengefügten unregelmäßigen Steinen erbaut worden ist, weist der östliche Rundbau eine erheblich bessere Technik auf, indem hier die Steine, zum Theil regelrecht behauen, mit einem sehr harten Mörtel sorgfältig verputzt sind (Sokolowski unterscheidet schärfer drei verschiedene Arten).

 

Es ist wenig genug, was sich uns heute auf der Insel darbietet, jedenfalls zu wenig, um unanfechtbare Schlüsse und Folgerungen daraus zu ziehen. Leider lassen uns aber auch die Funde, die hier gemacht sind, sowie die Urkunden und Chroniken ziemlich im Stich, und nur mit Mühe lassen sich einige Anhaltspunkte über Alter und Bedeutung der Gebäude gewinnen.

 

Was die Funde anbetrifft, so ist man bei den Ausgrabungen nicht
immer mit der nöthigen Sorgfalt vorgegangen; wir haben keine genauen Fundbeschreibungen und wissen bei dem größten Theil der Gegenstände nicht, an welcher Stelle und unter welchen Umständen sie blosgelegt worden sind. Ihrer Entstehungszeit nach sind sie möglichst verschiedenartig, sie reichen bis in die Steinzeit hinauf und gehen bis in die geschichtliche Zeit hinab. Sie werden in dem reichhaltigen, mit großer Liebe gepflegten Museum des Grafen Wensierski-Kwilecki auf Wroblewo bei Wronke, des Besitzers der Insel, verwahrt. Eine Zusammenstellung bietet Sokolowski in seinem noch zu nennenden Buche; der des Polnischen unkundige

 

 

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Leser sei auf die noch ausführlichere Arbeit des Rechtsanwalts von Jadzewski in den „Posener archäologischen Mittheilungen" (Heft 3, Seite 32 f.) verwiesen,

 

Einfügung:
Link: https://rcin.org.pl/dlibra/doccontent?id=14288

 

dessen Ansichten über das von ihm abgebildete, angebliche Götzenbild allerdings, wie hier bemerkt sein mag, auch in polnischen Gelehrtenkreisen angezweifelt werden. Aus der Sammlung des Grafen Wensierski-Kwilecki ist sodann noch ein Stein zu erwähnen, der von der Ruine stammt, leidlich gut behauen ist, aber nichts besonderes und beweiskräftiges bietet.
Die weiteren Nachforschungen des Vortragenden in dem Alterthumsmuseum der „Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften“ zu Posen, in der nicht umfangreichen, aber auserlesen guten Privatsammlung des Rechtsanwalts von Jazdzewski und in dem Königlichen Museum vorgeschichtlicher Alterthümer zu Berlin führten zu keinem Ergebniß; das Gleiche gilt von Nachfragen nach einem Münzfund von Ostrow, der an das Königliche Münzkabinet zu Berlin gelangt sein sollte, und leider hatte auch ein Kapitäl, welches der verstorbene Konservator der Preußischen Kunst-Denkmäler, Herr von Quast, 1874 noch besaß, vorläufig nicht ermittelt werden können. Es gehörte wohl zu den sorgfältig gearbeiteten Ornamenten“, welche der Landrath von Graevenitz in einem Berichte an den Präsidenten von Schleinitz erwähnt, und zu den „Gesimsen griechischer Profilierung “, von denen der Baurath Crüger in seiner Schrift „Ueber die im Regierungsbezirk Bromberg (Alt -Burgund) aufgefundenen Alterthümer“ (1872, Seite 30) spricht, und war offenbar das einzige Ueberbleibsel, welches einigermaßen zur genaueren Altersbestimmung hätte verwandt werden können.

 

Einfügungen:

In der folgenden Arbeit von 1998 wird der vom Baurat Crüger 1872 erstellte Ruinenplan auf Ostrów Lednicki (Abb. 3 Tafel II) noch einmal abgebildet.

Jarmila Kaczmarek

Nieznana korespondencja Wilhelma

Schwartza w sprawie Ostrowa

Lednickiego

Studia Lednickie 5, 327-341

1998

Link: https://bazhum.muzhp.pl/media/files/Studia_Lednickie/Studia_Lednickie-r1998-t5/Studia_Lednickie-r1998-t5-s327-341/Studia_Lednickie-r1998-t5-s327-341.pdf

 

Originalquelle: Crüger A. W. 1872. Über die im Regierungs-Bezirk Bromberg aufgefundenen Alterthümer und die Wanderstraßen römischer, griechischer, gotischer und keltischer Heere nach dem Rheine, Mainz.

 

Auch sonst ist Manches, was 1847 und 1865 noch erwähnt wird, anscheinend verloren gegangen. Zu erwähnen dürfte im Anschlusse hieran noch sein, daß eine einfache eiserne Thür, welche sich in der Kirche zu Pudewitz befindet (abgebildet bei Sokolowski, Seite 43) , von der Insel herrühren, und daß ferner nach einer in der dortigen Gegend verbreiteten Ueberlieferung ein goldener Stuhl, der auf der Insel gestanden, im See versunken liegen und ebenso das Innere der Insel mannigfache Schätze in sich bergen soll.

 

Wenn demnach die Funde nur ein dürftiges Licht auf die Vergangenheit der Insel werfen, so ist auch die Ausbeute aus den Urkunden und Chroniken eine geringe, wobei sich die Schwierigkeit der Beurtheilung noch dadurch steigert, daß der Name Ostrow in Polen ein ziemlich häufiger ist, und die verschiedenen Ortschaften dieses Namens vielfach nicht auseinander gehalten werden können. Bevor indeß die einzelnen älteren Nachrichten durchgegangen werden, sei noch bemerkt, daß seit dem Jahre 1822, wo

 

 

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Mone in seiner „Geschichte des Heidenthums im nördlichen Europa“ zuerst auf die Ruine aufmerksam machte, recht viel über die Insel gesprochen und geschrieben ist, und das die mannigfachsten und abenteuerlichsten Deutungen der Ruine versucht worden sind. Die älteste Abbildung, die wir von ihr besitzen, findet sich in den Wspomnienia Wielkopolski des Grafen Eduard Kaczynski; der von ihm vermerkte Rundbogen ist heute nicht mehr vorhanden. Gerade in jenen Jahren litt das Gemäuer argen Schaden; der Königliche Pächter, Namens Johannes, trug die Steine behufs weiterer Verwendung ab, bis der Landrath des Gnesener Kreises, von Graevenitz, von dem auch der erwähnte Bericht an den Präsidenten von Schleinitz herrührt, dagegen einschritt. Auf ebendesselben Veranlassung wurde der Regierungsbaumeister Gadow mit der Untersuchung und Sicherung der Ruine beauftragt; nach polnischer Behauptung hat dieser aber seine Sache so schlecht als möglich gemacht und den Zustand eher noch verschlimmert. Nun ließ Graf Albin Wensierski, der Vater des jetzigen Besitzers, nachdem er die Insel 1856 bei ihrer Versteigerung erstanden hatte, 1858 Ausgrabungen vornehmen, über die Kasimir Szulc im Nadwislanin berichtete, wobei derselbe die Ruinen für die Reste eines altslavischen Heidentempels erklärte! 1860 deutete sie Lelewel als die Ueberbleibsel des Schlosses des Boleslaus Chrobry. 1862 kam Graf Alexander Przezdziecki im Auftrag der Krakauer Akademie nach der Insel und bestimmte deren Gebäude in einem später mehrfach abgedruckten Aufsatz als ehemalige christliche Kirche. Von deutscher Seite befaßte sich mit der Frage u. a . der Baurath Crüger, der auf einen antiken Marstempel rieth. Im Jahre 1876 kam es dann endlich zu zwei gründlicheren Untersuchungen. Die eine wurde im Auftrag und auf Kosten des Grafen Wensierski-Kwilecki von dem Geistlichen J. Polkowski ausgeführt; die andere, die sich durch große Gründlichkeit auszeichnet, mitunter allerdings zu weitgehend ist, wurde auf Veranlassung der Krakauer Akademie durch Wl. Luszezkiewicz und durch den bedeutendsten polnischen Kunsthistoriker, den Krakauer Professor M. Sokolowski, veranstaltet, die zuvor umfangreiche Nachgrabungen vorgenommen hatten (Pamiętniki akademii umiejętności w Krakowie, wydz. hist. fil. Bd. III. : Ruiny na Ostrowie jeziora Lednickiego. Krakau 1876; daselbst findet sich auch eine genauere Literaturzusammenstellung, die zum Theil hier benutzt worden ist). Seitdem hat die Frage im Wesentlichen geruht, bis sie im vorigen Jahre der Rechtsanwalt von Jazdzewski, der das Rechteck für ein Piastenschloß und den Rundbau für den Untertheil eines Thurmes erklärt, in den „Posener archäologischen Mittheilungen"

 

 

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wieder aufgenommen hat. Auf die Ansichten Sokolowski's, die, so wenig sie wirklich bewiesen sind, so doch noch am ehester das richtige getroffen haben dürften, wird im Verlauf der folgenden Darstellung noch näher eingegangen werden.

 

Die älteste urkundliche Erwähnung Ostrows erfolgt in einer Bulle des Papstes Innocenz II. vom 7. Juli 1136, in welcher er dem Gnesener Erzbisthum all seinen Besitz und seine Einkünfte, u. a. ... de Ostrov … plenarias decimationes bestätigt (Cod. dipl. Maj. Pol., Bd. I. Seite 10 ff.); nach der Reihenfolge, in welcher die Ortschaften genannt werden, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß hier unser Ostrow gemeint ist. Aber fast hundert Jahre später finden wir es erst wieder. In einem Vergleich, welchen Herzog Wladislaus von Polen mit dem Herzog Heinrich wegen Großpolen am 22. September 1234 abschließt (a. a. O. I. 144 f. Vgl. auch ebd. S. 149 f.), verpflichtet sich ersterer, für den Fall einer Uebertretung des Vertrags als Sühne die Burg (castrum) Ostrow mit allen Einkünften der Kathedrale von Gnesen abzutreten; gerade weil Ostrow an Gnesen fallen soll, so wird hier ebenfalls das unsere gemeint sein, dessen Besitz für die Erzbischöfe von besonderem Werthe sein mußte. Das Gleiche gilt von den folgenden beiden Urkunden, da die in ihnen genannten Dörfer Vehne und Geserce den heutigen, in der Umgegend von unserem Ostrow belegenen, Ortschaften Welna und Jeziercze zu entsprechen scheinen: am 28. Mai 1235 befreit Herzog Wladislaus Vehne von der Rechtsprechung Seitens des Kastellans von Ostrow (a. a. O. I. 156) und am 25. April 1257 verkauft Herzog Boleslaus dem Gnesener Kapitel „das im Bezirk der Kastellanei von Ostrow belegene Dorf Geserce" (a. a. O. I. 316). Außerdem werden Kastellane von Ostrow erwähnt, aber eben nur erwähnt in Urkunden aus den Jahren 1238, 1256, 1284, 1352, 1378, 1379, 1380 und 1397, ohne daß jedoch Ostrow mit voller Sicherheit als das unsere gekennzeichnet wäre. Der Codex diplomaticus Majoris Poloniae, aus dem diese Angaben zusammengestellt sind, enthält nur Urkunden bis zum Jahr 1400, doch ist dies nebensächlich, da um diese Zeit Ostrow bereits untergegangen sein muß. Das älteste Posener Grodbuch nämlich, welches die Jahre 1386—1399 umfaßt und welches eine Fülle von Orts- und Personenvermerken bringt (Publikationen aus den Königl. Preußischen Staatsarchiven, Band 31, Leipzig, 1887) erwähnt Ostrow nicht ein einziges Mal. Und das Gleiche beobachten wir in dem großen Werk des Erzbischofs Johann von Lasco „liber beneficiorum archidioecesis Gnesnensis“ (herausgegeben von Lukowski und Korytkowski,

 

 

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2 Bände. Gnesen 1880, 1881), das derselbe 1511-1523 ausarbeitete, um eine genaue Uebersicht über die sämmtlichen Einkünfte des Gnesener Erzbisthums und ähnliche kirchlich-statistische Angaben zu gewinnen.

 

Als das uns berührende Ergebnis dieser dürftigen Nachrichten dürfen wir demnach nur bezeichnen, daß im Mittelalter zu Ostrow ein castrum, eine königliche Burg, bestand und dieses der Sitz eines Kastellans, eines königlichen Beamten, war, daß also der Ort zweifellos eine hervorragende politische Bedeutung hatte, daß er dieselbe aber im 14., spätestens im 15. Jahrhundert bereits verlor.

 

Etwas ausgiebiger, dafür aber um so unzuverlässiger sind die geringen Nachrichten, die sich über Ostrow in Chroniken finden. Zum ersten Male (nur der Vollständigkeit halber sei die belanglose Nachricht des Bogusal und der großpolnischen Annalen zum Jahr 1249 genannt. Mon. Pol. Hist Band II. Lemberg 1872, Seite 566 und Band Ill. Lemberg 1878, Seite 15) finden wir den Namen Ostrow in zwei schlesischen Chroniken vom Ende des 13. bezw. vom 14. Jahrhundert (Vgl. Zeißberg, die polnische Geschichtsschreibung des Mittelalters, Seite 128 f.) in dem Chronicon Polono-Silesiacum und in der Chronica principum Poloniae, jedoch mit ausdrücklicher Beziehung auf den heute eine Vorstadt Posens bildenden Ort gleichen Namens. Hier soll Boleslaus Chrobry den deutschen Kaiser Otto III. auf seiner Pilgerfahrt nach Gnesen empfangen und bewirthet haben und von ihm zum König gekrönt worden sein (darüber, daß letzteres ein Märchen, vgl. Röpell, Geschichte Polens Bd. I. Seite 113 und Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit 5. Aufl. Bd I Seite 733) und von hier aus soll Otto die eigentliche Pilgerfahrt angetreten haben (Monumenta Poloniae historica, Band III, Lemberg 1878, Seite 439, 617. Ferner: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde Schlesiens, Band XII,2. Breslau 1875, Seite 457). Des Weiteren soll hier etwas später Kasimir Odnowiciel, als er in tiefster Bedrängniß vor dem Aufstand des Maslaus sich in die hier von der Königin Dombrowka gegründete Marienkirche geflüchtet hatte, einen wunderbaren Traum gehabt haben, dadurch mit neuem Muth erfüllt worden sein und sodann seine Feinde glänzend geschlagen haben (Mon. Pol. hist. III. 447, 622, 721; Zeitschrift a. a. O. Seite 458). Polnischerseits legt man daraufhin dem Orte Ostrow eine große nationale Bedeutung bei, indem hier das polnische Königthum gegründet und der polnische Staat aus schwerer Gefahr gerettet worden sei. Sokolowski u. a. suchen aber die Oertlichkeit nicht in dem Posenschen, sondern in unserm Ostrow . Obschon man nun

 

 

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freilich so viel späteren und so unzuverlässigen Quellen, wie die beiden schlesischen Chroniken es sind, nicht einen solchen Werth beimessen kann, wie es von polnischer Seite geschieht (man bedenke nur, daß etwa 300 Jahre seit dem Ereigniß, über des sie berichten, verstrichen waren), so erscheint es doch gewiß nicht unwahrscheinlich, daß unser Ostrow zum Mindesten der Ort des Empfanges des Kaisers Otto war; wenn die Einzelheiten, die uns über die Pilgerfahrt erzählt werden, richtig sind, das nämlich Otto von Ostrow bis Gnesen barfuß gegangen sei, und daß Boleslaus hierfür den ganzen Weg mit den kostbarsten Stoffen habe belegen lassen, so liegt es näher, an unser etwa 11 Kilometer von Gnesen entferntes Ostrow zu denken, als an das 46 Kilometer entfernte Posensche Ostrow.

 

Wichtig für die Baugeschichte erscheint dagegen unter allen Umständen eine Nachricht, die sich in dem großen Geschichtswerk des Dlugosch (herausgegeben von Przezdziecki, Krakau 1873, Bd. I. S. 31) findet: „Lyednycza, lacus magnus Majoris Poloniae penes oppidum Pobyedzyska situs, insulam non mediocrem in sui habens corpore, in qua Gnesnensis ecclesia metropolitana primum a veteribus memoratur magis quam scribitur (quod et murorum testantur ruinae et reliquiae) fundata fuisse et processu temporis propter difficultatem accessus Gnesuam translata; duo milliaria et amplius in longum conficit.“ Hier erfahren wir also, daß zur Zeit des Dlugosch, Ende des 15. Jahrhunderts, der Bau völlig in Trümmern lag (es stimmt dies mit dem oben festgestellten Verschwinden urkundlicher Nachrichten über Ostrow in dieser Zeit), und daß er damals, wo er zweifellos in einem viel besseren und erkennbareren Zustande war als heute, für eine ehemalige Kirche angesehen wurde. Weiter benutzt aber Sokolowski in seiner Abhandlung diese Nachricht zu einer anziehenden, wenngleich nicht durchaus bindenden Beweisführung über Alter und Bedeutung des Bauwerks überhaupt.

 

Nachdem er ausführlich nachgewiesen, daß es ein heidnischer Tempel nicht gewesen sein könne, was für jeden, der sich mit Baugeschichte befaßt hat, eigentlich selbstverständlich ist, legt er dar, daß bis in das 14. Jahrhundert alle weltlichen Gebäude noch von Holz errichtet worden seien, daß also ein Schloß bei der Deutung der Ruine nicht in Frage kommen könne, daß dieses vielmehr mit den zugehörigen Nebengebäuden den übrigen Innenraum des Rundwalles eingenommen habe, wodurch sich zugleich die seitliche Lage der Ruine zur Genüge erkläre. Es könne nur eine Kirche gewesen sein, die jedoch, wie sich aus dem Grundriß und aus der Verschiedenheit der Technik ohne Weiteres ergebe,

 

 

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nicht auf einmal erbaut worden sei. Der östliche Rundbau ist nun wohl unzweifelhaft der älteste Theil. Ueber das von ihm stammende, bereits oben erwähnte Kapitäl hat sich Herr von Quast in einem Schreiben vom 29. Oktober 1874 folgendermaßen ausgesprochen : „Ich kann nicht leugnen, daß mich die Profilierung jenes Kalksteins durch ihren eigenthümlichen Charakter, den ich mit keinem andern in Deutschland oder in andern Ländern zu vergleichen wußte, sehr frappirt hat. Auch seitdem habe ich nirgend Aehnliches gesehen." (Auch der Vortragende hat, wie er einschaltete, kein völlig entsprechendes Stück finden können; beiläufig sei bemerkt, daß Herr Museumsdirektor Dr. Voß in Berlin das Kapitäl gelegentlich umgekehrt für eine Base erklärte). „Will man sie der älteren Zeit, also etwa dem 11. Jahrhundert, zusprechen, so würde sie noch am meisten den Profilierungen der Stephanskapelle und den älteren Resten der Kirche S. Emmeram in Regensburg (Mitte des 11. Jahrhunderts) sich anschließen; doch ist die Verschiedenheit immer noch bedeutend genug.“ (Sokolowski, a. a . O. Seite 154). Sokolowski bringt nun den Umstand unzweifelhaft hohen Alters in Verbindung mit der oben erwähnten chronistischen Nachricht, daß die Herzogin Dombrowka in Ostrow eine Kirche zu Ehren der Heiligen Jungfrau errichtet habe, und erinnert ferner an eine Meldung des Martinus Gallus, daß Dombrowka, die Tochter des Böhmenherzogs Boleslaus, im Jahre 965 „cum magno secularis et ecclesiastice religionis apparatu Poloniam introivit“ (Mon. Pol. hist. I. 399), sowie endlich an eine gewisse Verwandtschaft unseres Rundbaues mit der Klemenskirche in Lewy Gradek bei Prag vom Anfang des 10. Jahrhunderts, der Peterskirche zu Budziecz vom Ende des 9. Jahrhunderts und der 935 erbauten Veitskirche auf dem Hradschin zu Prag in ihrer ältesten Form, von denen übrigens keine mehr erhalten ist. Er kommt demgemäß zu dem Schlusse, daß Dombrowka den Rundbau auf der Insel hat errichten lassen, und zwar in Anlehnung an die Kirchen ihrer Heimath. Wenn er dann weiter meint, dass für die ältesten böhmischen Kirchen ausschließlich byzantinischer Einfluß maßgebend gewesen sei, so hat er damit sicherlich Unrecht. Böhmen war vielmehr in der ältesten christlichen Zeit in kirchlicher Beziehung durchaus von Regensburg abhängig (Vgl. Neuwirth, Geschichte der christlichen Kunst in Böhmen. Prag 1888, Seite 8), und wir würden somit gerade eine Unterlage für die oben mitgetheilte Quast’sche Vermuthung erhalten. Wenn man also auch nie vergessen darf, daß unsere Quellen sehr späten Alters sind, und daß schlesische Chroniken gerade das Posensche Ostrow nennen,

 

 

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so wird man doch nicht leugnen können, daß die Annahmen Sokolowskis im Wesentlichen viel innere Wahrscheinlichkeit haben.

 

Auch den weiteren Bau knüpft Sokolowski an ein bestimmtes geschichtliches Ereignis. 1039 wurde die Gnesener Kathedrale bei einem Einfall des Böhmenherzogs Bretislaus zerstört, und Kasimir von Polen verlegte darauf nach der oben mitgetheilten Andeutung des allerdings vier Jahrhunderte späteren Geschichtsschreibers Dlugosch den Dom nach der Insel Ostrow, um ihn vor den fortdauernden Unruhen zu schützen. Für so bedeutende Zwecke reichte der kleine Rundbau, der für eine Schloßkapelle genügt hatte, nicht mehr aus, und es wurde das Rechteck im Westen angebaut. Der westliche Theil desselben war wohl, wie man aus den Pfeilerresten schließen muß, mit einer Empore versehen, wie eine solche ja in den gleichzeitigen Kirchen, namentlich in der Provinz Sachsen (z. B. in Hecklingen) öfters vorkommt.

 

 

 

Einfügung: Hecklingen-St-Georg-und-Pancratius-Mittelschiff-Nordseite

 

Da der Platz auf der Insel zu knapp war, so konnte die Sakristei und die Schatzkammer nicht außen an, sondern mußte innen (in der südöstlichen Ecke) eingebaut werden. Die Wendeltreppe, die sich, äußerlich betrachtet als rundes Thürmchen dem Gebäude anschloß, verband in der Sakristei ein oberes mit dem unteren Stockwerk. Der Rundbau wurde zu einer Art Krypta (vielleicht zu einer Doppelkapelle, ähnlich derjenigen in Goslar). Und was endlich die beiden Brunnen angeht, so dienten auch sie gottesdienstlichen Zwecken. Sokolowski erklärt sie für Räume zum Ausgießen des bei der Messe zum Händewaschen gebrauchten Wassers; indessen scheint hierfür, wie der Vortragende bemerkte, zum mindesten der südliche zu groß, vielmehr ein wirklicher Schöpfbrunnen gewesen zu sein (zahlreiche Beispiele bei Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie. 5. Auflage, Leipzig, 1883. Bd. I. Seite 362 f.)

 

Als später die Kathedrale wieder nach Gnesen verlegt wurde, und bei dem sich mehr und mehr entwickelnden Leben in Polen Ostrow , weil zu sehr abgelegen, in Vernachlässigung gerieth und an Bedeutung verlor, wurde das Rechteck zu Befestigungszwecken verwandt, wie dies damals in Polen öfters vorgekommen ist (Beispiele bei Sokolowski a. a. O. S. 128), und der Rundbau wurde wieder Schloßkapelle.

 

Auf diese Weise erklären sich die verschiedenen Funde am leichtesten, und auf diese Weise erklärt sich auch am besten die eigenthümliche Lage der hier gefundenen Skelette. Bei einem feindlichen Angriff, sehr wahrscheinlich von Seiten der Deutschordensritter, – die gefundenen Schädel sollen auf sie deuten, und Kämpfe des Ordens mit Polen haben ja häufig genug

 

 

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Stattgehabt – wurden die gesammten Gebäude in Brand gesteckt und unter den zusammenstürzenden Mauern die verzweifelt kämpfenden Mannen begraben und verschüttet.

 

Was den Rundwall betrifft, so ergiebt sich zumal Angesichts der vorgeschichtlichen Funde, daß derjelbe aus vorgeschichtlicher Zeit herrührt. Bereits vor Einführung des Christenthuns hatte Ostrow, vermuthlich als Hauptort eines Gaues (opola), eine große politische und religiöse Bedeutung, die sich dann in die christliche Zeit unter veränderten Verhältnissen fortpflanzte (Vgl. Posener archäologische Mittheilungen, Heft 1. Posen 1887, Seite 8). Wir haben wenige Meilen von Ostrow ein ganz ähnliches Beispiel an Giecz bei Schroda, wo gleichfalls eine romanische Kirche inmitten eines vorgeschichtlichen Rundwalls erbaut worden ist.

 

Die kleinere Insel wird im Volksmunde „Fürstliche Küche“ genannt wegen der zahlreichen, dort lagernden Thierknochen, wahrscheinlich haben wir aber auf ihr das eigentliche altheidnische Heiligthum mit der Opferstätte zu suchen, während die Insel Ostrow mit ihrer großen Befestigungsanlage ursprünglich nur zum Schutze diente und erst allmählich zu höherer Bedeutung gelangte, ein gegenseitiges Verhältniß, das öfters vorkommt.

 

Auch an den Ufern des Sees , z. B. bei Lednagora und bei Dziekanowice, sind vorgeschichtliche Funde gemacht worden, und etwas weiter in das Land hinein, ungefähr in westnordwestlicher Richtung, ziemlich genau in der Axe der beiden Inseln, liegt auf der Höhe eine sogenannte Schwedenschanze. Das polnische Museum in Posen besitzt eine einfache Bronzefibel und eine nur zur oberen Hälfte erhaltene, schwarze, geglättete, Anfangs der siebziger Jahre ausgegrabene Gesichtsurne, die beide von Lednagora stammen.

 

Schließlich erörtete der Vortragende die Frage, was zum Schutze der Ruinen geschehen könne, und empfahl, wenn man mit Rücksicht auf die Kosten von umfangreichen Ausgrabungen Abstand nehmen zu müssen glaube, dringend die Beseitigung des Gestrüpps, welches auf die Dauer das Mauerwerk mehr und mehr zerstören müsse, und überhaupt die Herstellung einer besseren Ordnung auf der Insel; es sei angezeigt, staatliche oder provinzielle Mittel hierfür aufzuwenden.

 

 

 

 

Quelle: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, zugleich Zeitschrift des Historischen Vereins für den Netzedistrikt zu Bromberg.

Herausgegeben von Dr. Rodgero Prümers. Vierter Jahrgang. Posen. 1889

Ehrenberg, Hermann: Sitzungsbericht der Sitzung vom 8. Januar 1889 S. 444-453 „Über die Insel Ostrow im Lednica-See“

 

 

Die Quelle liegt digitalisiert vor und ist über folgenden Link zugänglich

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Cohn 1867: Über den Ursprung des Polenkrieges von 1015

Ueber den Ursprung des Polenkrieges von 1015.

Beitrag zur Kritik Thietmars von Merseburg.

Von Adolf Cohn.

 

Die Wichtigkeit Thietmars von Merseburg als Quelle für die Geschichte Heinrichs II. ist hinlänglich bekannt. In neuerer Zeit ist aber mehrfach darauf hingewiesen worden, daß, so werthvoll seine Denkwürdigkeiten sich erweisen, sie doch mit Vorsicht zu benutzen sind; denn nicht an allen Stellen seines Werkes zeigt sich der Verfasser gleichmäßig unterrichtet; an manchen, wo seine genaue Kenntniß nicht zu bezweifeln, wird durch unvollständige Mittheilung der Thatsachen und die schlechte Anordnung des Stoffes leicht zu Irrthümern und Mißverständnissen Anlaß gegeben. Recht dankenswerth sind in dieser Hinsicht die Untersuchungen, welche neuerdings Usinger und Pabst angestellt haben 1. Als ein weiterer kleiner Beitrag zur Würdigung Thietmars möge der folgende Versuch, die Ereignisse, welche dem letzten Polenkriege Heinrichs II. vorausgingen, festzustellen, angesehen werden. Bei der Bearbeitung der Geschichte dieses Kaisers, welche in dem jüngst veröffentlichten 2 vierten Bande der „Erzählungen aus dem deutschen Mittelalter" enthalten ist, habe ich mich bemüht 3, das Dunkel, welches über diesen Ereignissen schwebte, in Etwas zu lichten. Meine von der bisherigen abweichende Darstellung will ich nun hier zu rechtfertigen versuchen.

 

Als Quellen kommen außer einer einzigen kurzen Angabe der hildesheimer Jahrbücher die Chronik Thietmars (VI, 56. VII, 5-9) und die quedlinburger Jahrbücher zu 1014 und 1015 in Betracht. Letztere sind – worauf schon Pabst 4 aufmerksam gemacht – gerade in diesen beiden Jahren nicht genau chronologisch abgefaßt, Thietmar aber ist äußerst verwirrt, wie ich gleich zeigen werde.

 

Die nächste Ursache zu erneuter Feindschaft Heinrichs II. gegen Boleslaw den Tapfern lag in dem Verhalten des Polen bei des deutschen Königs Römerzug. Als Boleslaw zu Pfingsten 1013 mit der Ober- und Niederlausitz belehnt wurde, versprach er eidlich, Heinrich mit einer Hülfsschaar nach Italien zu begleiten. Thietmar erwähnt es bei dem Bericht über jenen Friedens-Reichstag zwar nicht, es folgt aber aus seiner späteren Erzählung, nach welcher Boleslaw, an

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1 Bei der Herausgabe der Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich II. von Siegfried Hirsch. 2 Bde. Berlin 1862 u. 1864. Besonders II, 450 ff. 462 ff.

2 Halle, Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1867.

3 Seite 148-155.

4 a. a. O. II, 448.

 

 

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den versprochenen Zuzug gemahnt, ihn treulos geweigert habe 1. Ferner suchte er dann den Papst und die Italiener gegen Heinrich aufzuregen 2. Während dieser aber in Italien weilte, war Boleslaw auch im Rücken gegen ihn thätig. Er schickte seinen Sohn Mieczyslaw an den böhmischen Herzog Udalrich und verlangte 3, „ut memores mutuae consanguinitatis se invicem pacificarent et cunctis hostibus suis et maxime cesari pariter resisterent. Ille vero hoc omne in detrimentum sui esse compositum a veracibus accipiens etc.“ Also: Boleslaw fordert den Böhmen zu einem Freundschaftsbunde auf, jener erfährt aber von glaubwürdigen Leuten, daß der ganze Plan auf seinen Schaden abgesehen sei. D. h. somit: Boleslaws Vorschlag ist eine List, hinter der eine verborgene Absicht steckt, und zwar eine solche, die es auf Udalrichs Schaden abgesehen hat. Dies wird aber schwerlich eine andere gewesen sein – wenigstens liegt diese Annahme am Nächsten – als der Plan, Udalrich zu stürzen und Böhmen der polnischen Herrschaft zurückzugewinnen. Was that nun der Böhme darauf? In den bisherigen Darstellungen wird gesagt, daß er die Gesandtschaft, den jungen Mieczyslaw an der Spitze, gefangen gesetzt. Das ist aber nicht ganz richtig. Thietmar fährt nämlich so fort: hunc [d. h. Mieczyslaw] comprehendit, ex consociis ejus optimos quosque interficiens ac caeteros una cum seniore capto Boemiam reduxit ac in carcerem projecit. Die Stelle ist bezeichnend; denn sie veranschaulicht gut, wie flüchtig mitunter Thietmar seine Erzählung niederschrieb. Wenn Udalrich den jungen Mieczyslaw und einige seiner Begleiter nach Böhmen zurückgeführt hat 4, so folgt daraus Zweierlei mit Nothwendigkeit: 1) diese Polen sind in Böhmen gewesen und 2) sie hatten das Land bereits wieder verlassen. Die erste dieser beiden Thatsachen nun brauchte wol nicht besonders erwähnt zu werden; wenn der Geschichtschreiber meldet, es seien Gesandte zum Herzoge der Böhmen geschickt worden, so kann man, wenn nicht gerade das Gegentheil hervorgehoben wird, doch ohne Weiteres annehmen, daß sie ihn in seinem Lande, in Böhmen, aufsuchten. Dagegen durfte

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1 VI, 56 (SS. III, 833): Ad supplementum hujus itineris Bolizlavus antea invitatus nil aspiravit et in bene promissis more solito mendax apparuit. Vgl. VII, 5 (p. 837): [Imperator] Bolizlavi fidem et auxilium suis innotuit fidelibus, et ut ab eis ad excusationem aut indictae rei emendationem is vocaretur, unanimes poscit.

2 VI, 56: Insuper antea domino papae questus est per epistolae portitorem, ut non liceret sibi propter latentes regis insidias promissum principi apostolorum Petro solvere censum. Tunc vero missis illo nuntiis tacite rimatur, qualiter rex in hiis partibus haberetur, quoscunque potuit ab ejus gratia per hos amovere conatus.

3 VII, 7, p. 839.

4 Der etwa zu erhebende Einwand, Thietmar meine mit reducere nur ducere, läßt sich nicht begründen, auch müßte man dann annehmen (wozu wieder kein Grund vorliegt), Udalrich habe die Gesandtschaft außerhalb Böhmens empfangen.

 

 

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die zweite Thatsache, das Mittelglied, welches hier offenbar ausgefallen ist, nicht fehlen, ohne daß der Bericht unklar wurde. Auch begreift man nicht, warum einige von den Polen umgebracht, die andern eingekerkert wurden; wollte man durch die Letzteren vielleicht ein Lösegeld gewinnen, so wäre es doch viel zweckmäßiger gewesen, grade die optimos quosque am Leben zu lassen. Ich glaube die Schwierigkeiten zu beseitigen, indem ich Thietmars Darstellung folgendermaßen auffasse. Udalrich setzte der List Boleslaws ebenfalls List entgegen. Er nahm dessen Botschaft scheinbar gut auf und ließ die Gesandten mit günstigem Bescheide abziehen. Sowie die Polen aber die böhmische Gränze überschritten, werden sie feindlich überfallen worden sein, und man wird versucht haben, sich Mieczyslaws zu bemächtigen: die Tapfersten unter seinen Begleitern, die sich entschlossen dabei zur Wehr gesetzt, werden auf dem Platze geblieben, die übrigen mit Mieczyslaw nach Böhmen zurückgebracht und eingekerkert worden sein.

 

Um den weitern Verlauf der Dinge zu bestimmen, ist es nothwendig, die Reihenfolge der Ereignisse zu beachten, welche Thietmar in Kapitel 5 bis 9 des siebenten Buches anführt.

 

1) [Kap. 5] Imperator autem transcensis Alpibus caeterisque adjacentibus provinciis regendo decursis, natale domini celebravit in Palithi.

 

Danach war also Heinrich II. am 25. Dezb. 1014 in Pöhlde. Diese Angabe, welche urkundlich bestätigt ist 1, findet eine erwünschte Ergänzung in den hildesheimer Jahrbüchern. Dort 2 heißt es nämlich bei 1015: imperator nativitatem Christi Palidi egit. Et duces Oudalricum Boemorum et Bolizlavum Polianorum in pascha Mersburg ad se venturos determinavit. Udalrich sei dahin gekommen, Boleslaw aber nicht, fügt der Annalist hinzu.

 

2) Et post haec ad Merseburg veniens, Bolizlavi fidem et auxilium suis innotuit fidelibus, et ut ab eis ad excusationem aut indictae rei emendationem is vocaretur, unanimes poscit.

 

Nach Weihnachten 1014 also ist der Kaiser nach Merseburg gekommen und verlangte dort von den Fürsten, indem er sich über Boleslaw beklagt, daß sie ihn vorfordern. Wann wird dies geschehen sein? Jedenfalls Ostern 1015, da auf diese Zeit Boleslaw nach der obenerwähnten Angabe der hildesheimer Jahrbücher vorgeladen war, aber ausblieb. Daß die Worte „ad Merseburg veniens“ auf die Osterzeit zu beziehen sind, zeigt die unter Nr. 6 angeführte Stelle Thietmars. Zwischen Weihnachten und Anfang April noch einen andern Aufenthalt Heinrichs in Merseburg anzunehmen, sind wir nicht berechtigt, auch ermuthigen die freilich sehr spärlichen urkundlichen

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1 Urkunden vom 29. und 30. Dezb. 1014 (Stumpf, Regest. 1638. 1639).

2 SS. III, 94.

 

 

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Fingerzeige nicht dazu 1. Thietmar springt nun ohne den Gegenstand zu verfolgen, plötzlich ab und beginnt mit den Worten:

 

3) Interim nepos meus etc. die Erzählung von dem Ende des Markgrafen Werinhar von der Nordmark. Werinhar starb 11. Novb.

4) Vierzehn Tage später starb dessen Schwiegermutter 26. Novb.

5) [Kap. 6] Interim cesar in Alstidi populis jura dabat etc.

 

Heinrichs Aufenthalt zu Allstedt ist für den 20. November 1014 urkundlich nachgewiesen 2: in den November desselben Jahres sind auch die erwähnten Todesfälle zu sehen. Die nächste Notiz von dem am 7. Dezb. erfolgten Abscheiden des Priesters Rigmann ist ein später erfolgter Zusatz 3 und geht uns daher weiter nicht an.

 

6) Et inde exiens natale dominicum in Palithi coluit et in 4. feria ante pascha ad Mersburch venit.

 

Danach ging Heinrich von Allstedt nach Pöhlde, feierte Weihnachten daselbst und kam Mittwoch vor Ostern nach Merseburg. Schon durch die Anknüpfung an den Gerichtstag zu Allstedt ergibt sich, daß hier von Weihnachten 1014 die Rede ist, ebenso von Ostern 1015: außerdem wissen wir durch Thietmar selbst, daß Heinrich Weihnachten 1015 in Paderborn, Ostern 1016 in Bamberg beging. Thietmar führt also die beiden oben unter Nr. 1 und 2 erwähnten Hoftage zu Pöhlde und Merseburg abermals auf. Der ganze Abschnitt von „Interim nepos meus“ ist somit nur als eine Einschaltung zu betrachten, nach deren Beendung der Verfasser auf den Punkt, von dem er ausging, zurückkehrt, nämlich zur Erzählung der Ereignisse, welche zum vollständigen Bruche mit Boleslaw geführt haben. Thietmar erwähnt zunächst Einiges, was übergangen werden kann, und fährt dann fort:

 

7) In die sancto archiepiscopus Gero missam cantavit; et interim Othelricus Boemiorum dux advenit, et dies hos sollemnes duximus admodum hilares. Interea Hirimannus marchio pascha duxit cum socero, et inde vix solutus, ad imperatorem cum nuntio ejusdem Stoignewo diu exspectatus venit.

 

Die Osterfeiertage (10. u. 11. April) feiert der Kaiser zu Merseburg mit dem Böhmenherzog, der Markgraf Hermann von Meißen bei seinem Schwiegervater Boleslaw. Da nun im Folgenden gesagt wird, daß der Markgraf mit dem Polen „pacem firmare“ gewünscht habe, so glaubte ich 5 dies mit der oben unter Nr. 2 mitgetheilten

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1 Am 15. Jan. war er in Mühlhausen, am 26. in Frankfurt, am 5. Febr. ebendort, am 25. Febr. in Bonn (Stumpf, Regg. 1640-1647).

2 Stumpf, Regg. 1637.

3 Nach der Bemerkung von Lappenberg dazu S. 839.

4 VII, 19-20.

5 a. a. O. Seite 153.

 

 

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Angabe, daß der Kaiser bei seiner Ankunft in Merseburg von den Fürsten gefordert, sie sollten Boleslaw vorladen, verbinden zu dürfen. Es lag dann nah, daß der Markgraf als derjenige, dem am Meisten daran gelegen sein mußte einer Erneuerung des Krieges vorzubeugen, sich erbot, den polnischen Herzog abermals vorzufordern. Indeß ist diese Annahme doch nicht statthaft. Wenigstens ist 1 es sehr unwahrscheinlich, daß, wenn Hermann die Ostern bei Boleslaw feierte, er noch drei Tage vorher in Merseburg beim Kaiser verweilt haben sollte, auch deutet der Ausdruck „diu exspectatus“ bestimmt darauf hin, daß Hermann längere Zeit am polnischen Hofe verweilte. Da er aber bald nach den Feiertagen diesen verließ, und also etwa Mitte April oder wenig später in Merseburg wieder eintraf, so könnte, wenn er nicht viel über eine Woche fort war, kaum von einer langen Erwartung die Rede sein. Der Markgraf brachte einen polnischen Abgesandten Stoignew mit.

 

8) Idem legatus mentiri semper solitus ad cesarem in occidentali parte, plus ad perturbandum, quam, ut simulaverat, ad pacificandum, ab instabili seniore suo missus est. Quem cum consociis suimet imperator suis familiaribus committens, generos suos gratiam ejusdem nudis pedibus querentes misericorditer suscepit, et tunc demum nugigerulus ut haec cerneret presentari jussit et publice domino ejus respondit. Hic cum alia, quam cesar preceperit, domi retulisset, cum prefato comite pacem firmare cupienti jussu ducis infausti remittitur et in conspectu imperatoris et principum ejus fallax et invicem disturbans esse convincitur.

 

Der Gesandte, welchen der Markgraf nach Merseburg bringt, war vorher beim Kaiser in den westlichen Gegenden gewesen; daher fällt diese Botschaft in die zweite Hälfte Januar oder in den Februar 1015, wo Heinrich am Rhein verweilte 2. Thietmar ist hier wieder recht unklar. Er meldet, der Pole Stoignew sei, weil er Anderes, als ihm der Kaiser aufgetragen, zu Hause berichtet, der Lüge überführt worden: was dies Andere aber gewesen sei, darüber spricht er sich nicht aus, ebensowenig überliefert er hier den wirklichen Bescheid, welchen Heinrich ertheilte. Wir erfahren ihn allerdings an einer spätern Stelle 3, und was Stoignew seinem Herrn hinterbrachte, kann man, wie ich glaube, aus Thietmars eignen Worten erkennen. Der polnische Gesandte mit seinem Gefolge wurde nicht sofort nach seiner Ankunft vom Kaiser empfangen, sondern an den Hofstaat gewiesen; als aber die aufrührerischen Schwäger Heinrichs baarfuß und um

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1 Herr Prof. Waitz hatte die Güte, mich darauf aufmerksam zu machen.

2 S. oben S. 418 Anm. 1.

3 S. weiter unten Nr. 10.

 

 

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Verzeihung bittend vor ihm erschienen, befahl er den Polen vorzuführen, damit er Zeuge jenes Schauspiels wäre. Nachdem nun die Luxemburger sich vor dem Kaiser gedemüthigt hatten und wieder zu Gnaden aufgenommen waren, wurde die polnische Botschaft beantwortet. Stoignew aber zog wahrscheinlich die Nutzanwendung, die in der vor ihm sich abspielenden Scene lag, und wird dann seinem Herrn den Vorgang so dargestellt haben, daß dieser eine schwere Beleidigung darin sah.

 

9) Tunc iterum Bolizlavus, se ad excusandum vel inobedientiam ad emendandum a cesare vocatus, in presentiam ejus venire noluit, sed coram principibus suis haec fieri postulavit.

 

Da, wie wir vorher sahen, der Markgraf mit Stoignew ungefähr am 15. April oder an einem der nächsten Tage in Merseburg eintraf, so wird die abermalige Vorladung des Herzogs, welche bald darauf erging, diesem nach mehreren Tagen, also etwa am 20. April, zugekommen sein. Boleslaw weigert sich abermals nach Merseburg zu kommen, ist aber bereit mit den Großen seines Landes über eine dem Kaiser zu leistende Genugthuung zn berathen. Um Boleslaws Undankbarkeit zu zeigen, schaltet Thietmar nun in dem jetzt folgenden siebenten Kapitel die von mir schon oben erörterte Geschichte von der Gefangennahme Mieczyslaws in Böhmen und seine Auslieferung an den Kaiser ein. Dann fährt er fort:

 

10) Bolizlavus autem de erepcione filii supra modum gavisus, per internuntios suimet condignas cesari gratias egit; postulans, ut eum sibi ad honorem, inimicis autem suis ad dolorem remitteret et futuram utriusque remunerationem ipse veraciter agnosceret. Quod inperator tunc non posse fieri respondit, sed cum ad Merseburg veniret, cum communi principum consilio suorum voluntati suimet se tunc satisfacturum promisit. Hoc Bolizlavus ut audivit, non bene suscepit, qualiterque filium in suam redigeret potestatem, semper tacita mente et crebra legatione revolvit.

 

Hier wird einer Gesandtschaft Boleslaws an Heinrich II. gedacht, in welcher der Polenherzog den Kaiser um Freilassung seines Sohnes bittet. Wann dies geschah, wird nicht gesagt, doch die Antwort Heinrichs zeigt, daß diese Verhandlung zwischen der Vorladung Boleslaws nach Merseburg und dem in dieser Stadt abgehaltnen Reichstage, also zwischen Weihnachten 1014 und Ostern 1015 zu sehen ist. Dann ist es aber wahrscheinlich 1 eben jene Gesandtschaft des Stoignew, welche ja gerade in diese Zwischenzeit fiel. Nach

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1 Man könnte freilich auch dabei an Weihnachten 1014 denken und daß erst auf diese Gesandtschaft Heinrich mit der Vorladung nach Merseburg geantwortet; s. dagegen unten S. 423 Anm. 1. Ob die Worte „crebra legatione“ am Schluß „häufige Botschaften an den Kaiser“ bezeichnen sollen, ist mir zweifelhaft: es können damit Sendungen an die Fürsten gemeint sein, von denen wie Thietmar (VII, 8) sagt ein Theil durch Boleslaw bestochen wurde.

 

 

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dieser rückwärtsblickenden Abschweifung nimmt Thietmar die abgebrochene Erzählung wieder auf.

 

11) [Kap. 8] Ad condictum cesar ut venit locum, cunctos optimates, quid sibi de hac re esset faciendum, consuluit.

 

Der „condictus locus“ ist Merseburg, und es wird also hier zum dritten Male von dem Reichstag im April 1015 gesprochen. Die Verhandlung über die Frage, was mit Mieczyslaw geschehen solle, wird durch die Einwirkung der von Boleslaw Bestochenen zuletzt dahin entschieden, daß der Kaiser dem polnischen Herzoge seinen Sohn ohne Bedingung zurücksendet, vermuthlich in der Hoffnung, daß Boleslaw sich jetzt gefügiger zeigen werde. Die Fürsten, welche Mieczyslaw zu seinem Vater führten, hatten jedenfalls den Sachverhalt mit Stoignew darzulegen und Boleslaw abermals vorzuladen. Das Letztere ergibt sich aus der danach gegebenen Erklärung der Polen, „se in presenciam cesaris non venire affirmabant“. Daß die Rücksendung Mieczyslaws erst nach der Wiederkehr des Markgrafen erfolgt ist, zeigt der ganze Zusammenhang. Dann ist aber deutlich, daß die bei dieser Gelegenheit erfolgte Vorforderung Boleslaws dieselbe ist, deren schon oben unter Nr. 9 gedacht wurde, und es läßt sich auch bestimmen, wann 1 Heinrich II. die Antwort des Polen erhielt, nämlich in der lezten Woche des April. Aus den quedlinburger Jahrbüchern 2 ersieht man was Thietmar übergangen hat, daß Boleslaw durch Geschenke den schlimmen Eindruck seiner Botschaft vergebens zu mildern suchte. Sie sagen nämlich: Heinricus imperator Meresburgiae paschale festum peregit. Ibi Bolizlavo omnia munera, quae illi miserat, simul cum gratia perdidit, dum illum legatione superba infestum reddidit. Heinrich sah, daß das Entgegenkommen, welches er dem Polen bewiesen, auf diesen gar keine Wirkung geübt, und war deßhalb sehr aufgebracht. Diese Thatsache und die Aussage des Annalisten 3, der Kaiser habe die Botschaft in Merseburg erhalten, beweisen, daß weder an eine frühere noch spätere Botschaft hier zu denken ist. Damit stimmt auch vollständig Thietmar überein, wenn er die Bemerkung anknüpft:

 

12) Et verum est, quod vox evangelica testatur, excusationem aliquam hunc querere, qui ab amico

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1 Pabst a. a. O. II, 448 setzt die Rücksendung Mieczyslaws erst zu Anfang Mai: das ist etwas zu spät.

2 SS. III, 83.

3 Er berichtet dies zwar zum Jahre 1014, es ist aber unzweifelhaft auf 1015 zu beziehen; denn die Ostern des vorhergehenden Jahres verbrachte Heinrich in Italien. Auch die Vorgänge in Korvei und die Rücksendung Mieczyslaws, welche bestimmt 1015 erfolgten, werden hier irrig bei 1014 erzählt; vgl. Pabst a. a. O. II, 448.

 

 

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familiari meditatur discedere. Haec inperator agnoscens, a nobis discessit, et proximos rogationum dies in Capungun fuit, quo ipse curtem suam de civitate Cassalun dicta transtulit;

 

Danach wird Heinrich Ende April oder Anfang Mai „a nobis“, d. h. von Merseburg, aufgebrochen sein. Die Betwoche begann am 16. Mai, am 11. aber war der Kaiser bereits in Kaufungen 1: ein Zeitraum von zehn Tagen für den Weg von Merseburg bis Kaufungen ist völlig ausreichend 2. Der hier angestellten Berechnung scheint allerdings eine Urkunde zu widersprechen, welche Heinrich am 22. April 1015 zu Kaufungen ausgestellt haben soll. In keinem Fall läßt sie sich dann mit Thietmars Zeugniß vereinigen. Wenn der Markgraf von Meißen auch unmittelbar nach Ostern, also am 12. April, den polnischen Hof verließ, so konnte er selbst, falls Boleslaw die Festzeit in der Lausitz verbracht hätte, nicht vor dem 14. in Merseburg eintreffen. Wollten wir nun auch annehmen, daß Mieczyslaw schon am 15. entlassen, am 17. bei seinem Vater eingetroffen, daß dann die Gesandten des Herzogs sofort abgegangen und am 19. in Merseburg angelangt und daß der Kaiser unmittelbar darauf weitergezogen — lauter Annahmen, die sehr unwahrscheinlich sind — so könnte Heinrich doch kaum am 21. seinen Hof in Kassel, am 22. in Kaufungen gehabt haben. Da die Urkunde ächt zu sein scheint (wenigstens hat Stumpf, der die Urschrift einsah, kein Bedenken), so wird sie an eine andere Stelle gehören: an welche? ist nach den darin enthaltenen Zeitangaben nicht schwer zu bestimmen. Da die Jahreszahl MVX verschrieben ist, so muß man sich an die Jahre des Königthums und Kaiserthums halten. Nun ist die Urkunde a. reg. XVII., a. imp. V. ausgestellt. Das a. regn. weist auf den April 1019 und dahin wird die Urkunde in der That zu setzen sein, wie sie denn auch in die Reihe der Aufenthaltsorte paßt. Das a. imp. V. würde allerdings zu 1018 weisen, aber damals weilte Heinrich am Niederrhein, und überdies haben zwei andere Urkunden 4 für Kloster Kaufungen, die unbezweifelt zu 1019 gehören, ebenfalls imp. V. statt VI. –

 

Mit Boleslaws Erklärung war die weitere Entwicklung der Dinge schon gegeben, der Bruch mit dem Kaiser entschieden. Der polnische Herzog hatte sich bereit erklärt, nach Berathung mit den Seinen eine Genugthuung zu geben, wahrscheinlich eine Geldbuße, aber aufs Entschiedenste geweigert, sich in Person zu stellen: er wollte eben das Lehnsverhältniß nicht mehr anerkennen, sondern dem Kaiser

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1 Stumpf, Regg. 1651.

2 So z. B. war Heinrich am 28. Juli 1002 in Merseburg, am 4. Aug. in Grone, am 17. Okt. 1012 in Merseburg, am 1. Novb. in Frankfurt (Stumpf, Regg. 1314. 1315. 1565. 1566).

3 wie Stumpf Regg. 1649 annimmt.

4 vom 4. Mai (Stumpf, Regg. 1721. 1722).

 

 

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als gleichberechtigte Macht gegenübertreten. Der Kaiser dagegen sah in Boleslaw nur den aufrührerischen Vassallen und mußte daher auch wie gegen einen solchen verfahren. Da der Herzog auf die vermuthlich dreimal 1 wiederholte Ladung nicht erschienen war, um sich zu verantworten, so werden ihm die Lehen rechtlich aberkannt worden sein. Daß Boleslaw sich einem solchen Rechtsspruche fügen würde, wird Niemand angenommen haben, aber er mußte ihm angezeigt werden; weigerte er sich, ihm Folge zu leisten, so mußte er dazu gezwungen werden. So kam es dann zum Kampfe, ohne daß man nöthig gehabt, von der Form des Lehnsverhältnisses abzugehen und dem stolzen Herzoge wie einem ebenbürtigen Fürsten den Krieg zu erklären. Daß der Gang der Ereignisse ein solcher wirklich gewesen ist, können wir nur 2 aus den quedlinburger Jahrbüchern entnehmen. Sie berichten zu 1015: Addidit etiam imperator hoc anno legationem mittere ad Bolezlavum pro restituendis regionibus, quas abstulerat. Ille, ut solebat, superbe respondit, se non solum propria retinere velle, quin potius non sua diripere malle. Ad haec imperator merito indignatus bella parat. Daß bei dieser Botschaft nicht etwa an die von Thietmar erwähnte zu denken ist, zeigt ihr Inhalt deutlich. Es liegt ferner auf der Hand, daß der Kaiser nicht die Herausgabe der Reichslande, welche Boleslaw inne hatte, fordern konnte, wenn sie, mit denen der Pole feierlich belehnt war, ihm nicht zuvor durch Rechtsspruch aberkannt waren. Die Fällung dieses Urtheils, seine Mittheilung an den Herzog und dessen Antwort müssen im Laufe des Mai erfolgt sein. Wahrscheinlich wurde dann zu Pfingsten 5 angesagt, daß der Feldzug in sechs Wochen stattfinden solle. Kurze Zeit nach Johannis flehte Heinrich den h. Moritz in Magdeburg um seinen Beistand an. Am 8. Juli sammelte sich der Heerbann 6: bald darauf begann der Krieg.

 

Ich stelle nun am Schluß die Vorgänge der Zeit nach geordnet zusammen, wie sie sich vorstehender Erörterung gemäß an einander reihen.

 

1013 Mai 25

Herzog Boleslaw erhält in Merseburg die Ober- und Niederlausitz zu Lehn und verspricht eidlich Zuzug zu Heinrichs Romfahrt zu leisten.

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1 Die erste erfolgte zu Weihnachten 1014, die zweite wohl in der dem Stoignew ertheilten Antwort (s. oben S. 420) oder durch Vermittlung des Markgrafen von Meißen, die dritte bei der Rücksendung Mieczyslaws.

2 Thietmar schweigt, er berichtet aber auch Nichts von Ansagung des Feldzugs, die doch stattgefunden haben muß. Die hildesh. Jahrb. a. a. O. sagen allzukurz: Et hoc quia Bolizlavus neglexit [sc. expurgandum se praesentare], estatis illius tempore cum valida suorum manu Polianiam imperator intravit.

3 a. a. O. 83.

4 oben S. 420 unter Nr. 9.

5 Später kann es nicht gewesen sein, da an eben diesem Pfingstfest davon die Rede ist, daß Heinrich „post expeditionem“ nach Aachen kommen werde (Thietm. VII, 11).

6 Thietm. VII, 11.

 

 

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424

 

1013 Herbst. Boleslaw, um die versprochene Kriegsschaar gemahnt, sendet sie nicht und arbeitet Heinrich in Italien entgegen.

1014 Heinrichs II. Römerzug.

1014 Boleslaws Gesandtschaft an Udalrich.

1014 Mieczyslaw in böhmischer Gefangenschaft.

1014 Anfang Juni Heinrich kehrt aus Italien zurück.

1014 Juni 13 Heinrich feiert Pfingsten in Bamberg.

1014 Sommer Heinrich fordert Mieczyslaws Auslieferung.

Heinrich fordert sie abermals.

Mieczyslaw wird dem Kaiser ausgeliefert.

1014 Dezember 25 Heinrich feiert Weihnachten in Pöhlde und ladet die Herzöge Udalrich und Boleslaw auf Ostern nach Merseburg vor.

1015 zwischen Mitte Januar und Ende Februar. Heinrich ist im Westen des Reiches und empfängt Stoignew, einen Gesandten Boleslaws, welcher zugegen ist, als Heinrichs Schwäger sich vor ihm demüthigen.

1015 April 6 Heinrich kommt nach Merseburg.

1015 April 10+11 Heinrich feiert Ostern dort mit Herzog Udalrich von Böhmen. Boleslaw ist nicht erschienen.

1015 um 15.-20. April Der Markgraf Hermann von Meißen kommt von Boleslaw, bei dem er Ostern gefeiert, zurück und bringt Stoignew mit. Dieser wird der Lüge überführt.

1015 um 20.-23. April Mieczyslaw wird von einigen Fürsten seinem Vater wiedergebracht.

1015 gegen Ende April Die Fürsten kehren nach Merseburg zurück. Boleslaw erklärt, Genugthuung wolle er leisten nach Berathung mit seinen Fürsten, persönlich stellen aber werde er sich nicht.

1015 Ende April oder Anfang Mai Der Kaiser, von der feindseligen Gesinnung des Polen überzeugt, verläßt Merseburg und zieht über Kassel nach Kaufungen.

1015 Mai 11 Heinrich in Kaufungen. Dem Polen werden die Lehen aberkannt und ihm dies angezeigt. Er gibt eine trotzige Antwort.

1015 Mai 29 Heinrich feiert Pfingsten und sagt einen Feldzug nach Polen auf Mitte Juli an.

1015 Ende Juni oder Anfang Juli Heinrich in Magdeburg fleht den h. Moritz um Hülfe an.

1015 Juli 8 Der Heerbann versammelt sich.

1015 Mitte Juli Beginn des Feldzugs.

 

 

 

 

Quelle: Adolf Cohn: Ueber den Ursprung des Polenkrieges von 1015.

Beitrag zur Kritik Thietmars von Merseburg.

In Forschungen zur Deutschen Geschichte. Herausgegeben von der historischen Commission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 7 S. 413-424. Göttingen. Verlag der Dietrichschen Buchhandlung. 1867.

 

Dieser Artikel von Adolf Cohn ist in den Forschungen zur deutschen Geschichte (1867) in der Bayerischen Staatsbibliothek online unter folgendem Link verfügbar:

http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/6398233/ft/bsb10015663?page=423

Alternative Präsentation: urn:nbn:de:bvb:12-bsb10015663-7

 

 

 

 

Cohn 1867: Kaiser Heinrich II.

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561

 

Göttingische gelehrte Anzeigen

unter der Aufsicht der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

 

15. Stück. 10. April 1867.

 

Kaiser Heinrich der Zweite von Adolf Cohn. Halle. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. 1867. A.u.d.T.: Erzählungen aus dem deutschen Mittelalter herausgegeben von Otto Nasemann. 4. Band. XII u. 260 S. in Oktav.

 

Das vorliegende Buch über Kaiser Heinrich II., welches dem Andenken an die vor 600 J. erfolgte Gründung des Magdalenäums in Breslau gewidmet ist, verfolgt zwar keinen gelehrten Zweck; trotzdem glaubt der Verf. das Recht der Mitarbeiter an diesen Blättern, über ihre eignen wissenschaftlichen Schriften hier zu berichten, nicht zu missbrauchen, wenn er dies Werkchen mit einigen Worten erwähnt. Denn obwol es nicht mit dem Anspruch auftritt, durch gelehrte Forschungen eine wesentlich neue Darstellung des Gegenstandes zu bieten, so ist es doch aus Beschäftigung mit den Quellen hervorgegangen und im Einzelnen auch nicht ganz ohne wissenschaftlichen Gewinn geblieben: für Angaben, die von den bisherigen abweichen, ist in den

 

 

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562 Gött. gel. Anz. 1867. Stück 15.

 

Anmerkungen *) das Nöthige beigebracht: nur die Rechtfertigung meiner Darstellung der deutsch- polnischen Verwicklung 1014—15, zu der es an Raum gebrach, wird in den „Forsch. z. dtsch. Gesch.“ erscheinen. Erwähnung verdient vielleicht auch das Ergebniss für die Gesammtauffassung des Fürsten, der hier dargestellt wird, und seiner Regierung. Wenn man die hauptsächlichsten Quellen für die Geschichte einer Zeit mit Aufmerksamkeit und Unbefangenheit liest, so ergiebt sich ein ganz bestimmter Standpunkt für die Beurtheilung derselben. Nun ist in neuerer Zeit gerade Kaiser Heinrich II. und seine Stellung in der deutschen Geschichte mehrfach der Gegenstand wissenschaftlichen Streites geworden: das Urtheil ist gar verschieden ausgefallen und man kann nicht behaupten, dass die Akten schon geschlossen seien.

 

Früher war es allgemein üblich Heinr. II. dem von der Kirche ihm ertheilten Heiligenschein gemäss als Mönch auf dem Thron zu schildern. Dieser gäng und gäbe gewordenen ungeschichtlichen Auffassung zuerst entgegen getreten zu sein war das Verdienst Gfrörers. Indess schoss dieser Gelehrte, welcher in allen Schriften seine übermächtige Phantasie stets frei walten liess, über das Ziel hinaus und sprach er nur vom „glorreichen Regiment Heinrichs II.“ W. v. Giesebrecht führte zuerst diese Auffassung zwar im Ganzen auf ein verständiges Maass zurück, doch auch er trug mitunter etwas zu viel Licht auf. Mit v. Giesebrecht stimmt im Ganzen S. Hirsch überein, nur dass bei ihm vornehmlich eine kirchliche

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*) Auf S. 257 sind die Worte von „Dederich etc.“ bis „gemeint sein“ auf Z. 11 bis 18 v.o. noch zum 12. Abschnitt bezogen. Es ist vielmehr eine Anm. zu S. 190 und dem 13. Abschnitt.

 

 

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563 Cohn, Kaiser Heinrich der Zweite.

 

Gesinnung vorwaltet und er daher mit besonderem Vergnügen und ausführlich bei allen Kloster- und Heiligengeschichten verweilt und an den kirchlichen. Neigungen seines Helden grossen Geschmack findet. Einen ganz entgegengesetzten Standpunkt nimmt R. Usinger ein, der nachdem er den 1. Band von Hirsch herausgegeben und mit werthvollen Zusätzen versehen hat, in Sybels Ztschr. VIII, 372 ff. einen Aufsatz „Zur Beurtheilung Heinrichs des Zweiten“ veröffentlichte. Er sucht darin v. Giesebrechts Auffassung zu entkräften. Nun ist gewiss Manches in U.’s Abhandlung sehr treffend, Anderes ist es aber durchaus nicht und das Gesammtergebniss „(p. 423) Persönlich scheint mir H. schwach gewesen zu sein, stark die ihm anvertraute Regierunsgewalt“ halte ich in dem Umfang nicht für begründet. Dass in seinem Urtheile Widersprüche sind, hat v. Giesebrecht in der 3. Auflage s. Werkes II, 615 bereits gesagt. Usinger hat, wie mir scheint, einmal zu wenig berücksichtigt, dass wir trotz Thietmars behaglicher Breite doch mangelhaft unterrichtet sind. Ich finde es in der That kühn, heut zu sagen: dies hätte der Kaiser so oder so machen müssen. Oft erscheint uns etwas auffallend, weil wir nicht den Zusammenhang wissen, dann können wir leicht nach so langer Zeit behaupten: hier ist ein Fehler. Ferner ist Usinger in seinen Schlüssen etwas zu schnell. Wenn Heinrich II. des Widerstandes seiner Verwandten nicht Herr wurde, so folgt mir noch gar nicht das, was U. folgert. Die verwandtschaftlichen Rücksichten können den Kaiser bestimmt haben, nicht immer mit nachsichtsloser Strenge gegen die aufständischen Luxemburger einzuschreiten. Uebrigens hätte er sie schon im J. 1008 zur Unterwerfung

 

 

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564 Gött. gel. Anz. 1867. Stück 15.

 

genöthigt, wenn nicht der Herzog von Baiern durch List die drohende Gefahr abgewandt haben würde.

 

Unbillig finde ich U.’s Beurtheilung von Heinrichs Polenkriegen. Diese Unternehmungen scheiterten daran, dass die Deutschen die Bodenbeschaffenheit des feindlichen Landes nicht kannten und (wie U. selbst an einer anderen Stelle (S. 421) sagt) das Verpflegungswesen noch ganz daniederlag; mied der Pole offnen Kampf und zog sich zurück, so befand sich das deutsche Heer auf einem ihm unbekannten Gebiete, wurde durch Anstrengungen und Mangel an Lebensmitteln erschöpft und war versteckten Angriffen preisgegeben. Den Verrath und die Lauheit eines Theils der sächsischen Grossen sucht U. vergebens in Abrede zu stellen. Gunzelin, Ekkehard, Werinhar zeigen sich in einem mindestens sehr zweideutigen Lichte, Walthard scheint eben auch nicht grossen Eifer bewiesen zu haben und Erzb. Gero gehörte (wie schon H. Pabst II, 272 Anm. 1 treffend bemerkt hat) zu den Geistlichen, denen die kirchlichen Interessen über die des Reiches gingen. Bewies er ja auch grossen Eifer, den Polen Frieden zu schaffen, unbekümmert darum, dass es nur auf Kosten des Reiches geschehn konnte. Zu dieser Classe gehört auch Brun v. Querfurt. Völlig vergessend, was er dem Reiche, was er seinem König schulde, nimmt er Boleslaws Partei (vgl. meinen 8. Abschn.) – Wenn aber Boleslaw bei der Kriegsankündigung betheuert, dass sie gegen seinen Wunsch sei, so kann ich dies nicht mit Usinger als den Ausdruck der wahren Gesinnung des Polenherzogs ansehen: es ist meines Bedünkens nur die von denen, welche einen Krieg anstiften, so oft gegebene Versicherung, dass sie keine Schuld daran trügen.

 

 

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565 Cohn, Kaiser Heinrich der Zweite.

 

Auch was U. über die Gründung Bambergs sagt, kann ich nicht unterschreiben. Wenn Heinrich II. die abenteuerlichen Pläne Brun’s v. Querfurt nicht unterstützt, so schliesst U., dass Heinrich keinen Sinn für die Bekehrung hatte; folglich — so wird dann weiter geschlossen — hatte das Bisthum Bamberg Nichts mit Bekehrung zu schaffen. Dass dies der alleinige Gesichtspunkt nicht gewesen, ist gewiss richtig: wie oft wirken eben die verschiedensten Beweggründe zusammen! Das Bündniss mit den Liutizen schloss Heinrich doch gewiss nicht aus kirchlicher Gleichgültigkeit, sondern weil er mit ganz andern Schwierigkeiten zu kämpfen hatte: seine Stellvertreter waren in Italien geschlagen worden, es stand eine Empörung des Markgrafen Heinrich, ein Angriff des Polenherzogs bevor (S. 30). Dies hat schon Souchay Gesch. der deutschen Monarchie (1861) I, 557 richtig erkannt, mit dessen Endurtheil (575) „Die Wahrheit dürfte sein: unter schwierigen Umständen übernahm Heinrich die Regierung, er stellte sich eine grosse Aufgabe, er erreichte vieles durch eine aufopfernde Thätigkeit, aber er verfehlte auch vieles“ ich im Wesentlichen einverstanden bin.

Adolf Cohn.

 

 

 

Quelle:

Adolf Cohn: Kaiser Heinrich der Zweite. Halle. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. 1867.

Göttingische gelehrte Anzeigen 1867 15. Stück vom 10. April 1867 S. 561-565

 

 

Die Göttingischen gelehrten Anzeigen sind im digiPress der Bayerischen Staatsbibliothek unter folgendem Link verfügbar:

https://digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10538780_00567_u001/1

 

 

 

 

 

August von Kotzebue 1820: Switrigail - ein Beytrag zu den Geschichten von Litthauen, Rußland, Polen und Preussen

Switrigail: ein Beytrag zu den Geschichten von Litthauen, Rußland, Polen und Preussen.

 

Von August von Kotzebue,

 

Mitgliede der König. Preussischen Akademie der Wissenschaften, Correspondenten der Russisch-Kayserl. Academie der Wissenschaften, Mitgliede der Königl. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg, Doctor der Philosophie.

 

Leipzig, bey Paul Gotthelf Kummer 1820

 

 

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Vorbericht.

 

 

 

Einen großen Mann gegen sein Schicksal muthig kämpfen sehn, bleibe immer ein Schauspiel, welches Theilnahme und Bewunderung errege. Ein solcher Mann war Switrigail, der Großfürst von Litthauen und Beherrscher vieler russischen Provinzen. Mit dem Ruhme der Tapferkeit verband er den, eines Fürsten noch würdigern Ruhm unverbrüchlicher Treue seines Worts, wenn auch zu eigenem Nachtheil. Im Kriege war er schnell und kräftig, doch minder grausam als seine Zeitgenossen; er rächte sich bisweilen, verzieh aber öfter. Nie schlug Unglück ihn zu Boden, immer stand er fest im Sturme. Freunden blieb er stets ein warmer Freund, Argwohn verschmähte er nur zu leicht, wie große Seelen pflegen; darum ward er oft getäuscht, ihm nicht zur Unehre. Immer fand man ihn bereit, für unglückliche Gefangene zu sprechen, oder ihnen nach Vermögen beyzustehn. Während seiner kurzen Regierung hat er den Handel kräftig beschützt, und den großen Plan entworfen, die griechische Kirche mit der römischen zu vereinbaren.

 

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IV

 

Die Wahrheit dieser Schilderung beruht auf unverwerflichen Urkunden. Man kannte ihn bisher nur aus polnischen Geschichtschreibern und aus Kojalowicz, der von dem ältern Chroniken-Sammler Strykowsky einen Auszug geliefert, den wiederum Schlötzer im Auszug übersetzt hat. Hier erscheint Switrigail als ein verworfener Mensch, als ein wütiger Trunkenbold.

 

Mir schien es Pflicht, sein Andenken von der unverdienten Schmach zu retten und zu beweisen, daß die genannten Schriftsteller die Geschichte jener Zeit ebenso wenig kannten als den Charakter jenes Helden.

 

Als ich im Jahr 1813 nach Königsberg kam, fand ich den gelehrten Archivar daselbst, Doktor Hennig, noch beschäftigt, für die Ritterschaften von Cur-, Lief- und Ehstland, alle Urkunden des geheimen Archivs abschreiben zu lassen, die auf die Geschichte dieser Provinzen sich beziehen. Mit Bewunderung bemerkte ich jedoch, daß er viele derselben unabgeschrieben zurück legte, sobald sie mit Switrigail’s Geschichte in Verbindung standen, und auf mein Befragen eröffnete er mir, er habe, diesen Fürsten betreffend, so viel Neues und Wichtiges gefunden, daß er entschlossen sey, es der Welt in einer eigenen Abhandlung mitzutheilen, weshalb er die dahin gehörigen Urkunden und Briefschaften nicht früher bekannt machen wolle.

 

Der Tod verhinderte zwey Jahre später die Ausführung seines Vorhabens. Ich wandte mich sogleich

 

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V

 

an die preussische Regierung, erbat und erhielt die Erlaubniß‚ Hennig’s Sammlung zu copiren, und, da die Geschichte eines Fürsten, der mit Rußland in so engen Verhältnissen stand, dessen Mutter eine russische Fürstin war, mir der Aufmerksamkeit der kaiserl, Academie der Wissenschaften würdig schien, auch die mir, durch Ernennung zum Correspondenten derselben, erzeigte Ehre, mir die angenehme Pflicht auflegte, nach meinen Kräften mich dankbar zu beweisen, so gieng ich mit Eifer an die Arbeit, deren Frucht diese Bogen sind, die ich der Academie ehrerbietig vorlege.

 

Sie gründen sich auf mehr als hundert Original-Urkunden und Briefe (bisweilen gleichzeitige Abschriften) deren ich zwar nur acht im Anhange ganz geliefert, aus welchen allen ich aber mit gewissenhafter Treue dasjenige ausgezogen habe, was nur irgend zur Erläuterung dienen konnte. Von russischen Hülfsquellen habe ich benutzt: Die von Sr. Excellenz dem Herrn Reichskanzler Grafen Romanzow herausgegebene Собранїе Государственныхъ Грамотъ и Договоровъ, die Древняя Россїйская Библїоѳика, Tatitschew, Tscherbatow, Stritter, und einige russische Chroniken. — Levesque schien mir ganz unbrauchbar. —

 

Ewers hat eine, wenigstens für die Zeit die ich meyne, ganz irrige Ansicht aufgestellt, wenn er behauptet, die Russen und Litthauer wären gleichsam gebohrene Feinde gewesen. Die folgenden Blätter

 

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VI

 

werden das Gegenteil beweisen, und zugleich manchen eingeschlichenen Irrthum auch in der russischen Geschichte berichtigen. Doch konnte ich den Ursprung und die Fortschritte der Iitthauischen Herrschaft in Rußland größtenteils nur dem Kojalowicz nacherzählen‚ dessen Glaubwürdigkeit, für spätere Zeiten durch die gelieferten Urkunden entkräftet, nun auch für die früheren sehr zweydeutig geworden ist; zumal da zwischen seinen und den russischen Berichten so oft Widersprüche herrschen.

 

 

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Switrigail *).

 

Ein Beytrag zu den Geschichten von Litthauen, Rußland, Polen und Preußen.

 

 

I. Ursprung und Fortschritte der litthauischen Herrschaft in Rußland.

 

Es gab eine Zeit, im eilften Jahrhundert, wo der Dnepr mitten durch das Gebiet der Russen floß; aber es kam eine andere Zeit, im funfzehnten Jahrhundert, wo die Russen diesseits jenes Stroms, keinen Fußbreit Landes besaßen. Die Litthauer hatten mit den Schwerdte jene Länder sich unterworfen; biswellen gereizt, öfter aus Herrschgier, immer, wie Völker pflegen, das Recht in der Macht suchend.

 

An der Wilna war es, wo zum Erstenmale die Russen und Litthauer sich feindlich berührten **). Kiern,

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*) Dieser Name wird von Russen und Deutschen Swidrigail auch Swidrigall geschrieben. Ich habe geglaubt, ihn so schreiben zu müssen, wie dieser Großfürst selbst ihn eigenhändig über seine Briefe setzte.

**) Es möchte doch schon früher und oft geschehen seyn, denn Татищевъ in seiner Исторїя Россїисая II. p. 107. erwähnt schon bey dem Jahre 1038 eines Kriegszuges Jaroslaw I. gegen die Ятвяги (Jatwinger), die, nach Schlötzers Meinung, auch Litthauer waren, (auch Tatischtschew hält sie dafür in seinen Anmerkungen S. 401.) und im Jahr 1040 soll er nahmentlich die Litthauer unterworfen , 1044 sie abermals besiegt haben. Dann aber verschwinden sie ganz aus der russischen Geschichte bis zum Jahr 1130. Nur wird im Jahre 1102 wiederum eines Krieges gegen die Ятвяги kurz erwähnt, den der Polozker Boris Wselawitsch siegreich geführt und bey der Gelegenheit Borissow gegründet habe. Dasselbe Volk soll im Jahr 1112 abermals geschlagen, doch nur wenige gefangen worden seyn, weil keiner sich lebendig ergeben wollte und die Russen in die Wälder sie zu verfolgen sich scheuten. (ibid. p. 210.) Ein Beweiß, von der Litthauer Tapferkeit. Im Jahr 1130 soll der Großfürst Mstislaw aus einem Kriege gegen Litthauen. (welches hier seit fast hundert Jahren zum Erstenmal wieder genannt wird) viele Gefangene heim gebracht haben. Aber ein Jahr später hatte er weniger Glück. Zwar zündeten die Litthauer ihre eignen Häuser an und flohen mit ihren Vieh in die Wälder, (ibid. p. 242.). Plötzlich aber überfielen sie den sorglosen Mstislaw, schlugen ihn und nahmen sein Gepäck. Im Jahr 1173 (ibid. III. p. 182.) that Roman Rostislawitsch von Smolensk einen Streifzug nach Litthauen, von da er Gefangene mit zurück brachte, und sie in die Dörfer zur Feldarbeit vertheilte, woher das Sprüchwort entstanden seyn soll: Злҍ романе робишь, что литвиномҍ орещь. (Das Böse macht Roman zum Leibeignen, indem er mit Litthauern pflügt.) 1181 hatte sich Litthauen mit dem Fürsten von Polozk verbunden, (ibid. p. 241.). 1182 hörten die von Pskow viele Klagen der an Litthauen grenzenden Dörfer, das ihre Nachbarn oft aus den Wäldern hervorbrächen und sie plünderten. Da streiften die von Pskow nach Litthauen, und verwüsteten das Land, (ibid. p. 252.). 1192 bekriegte Jaroslaw Wladimirowitsch Fürst von Nowogorod die Litthauer, weil sie den versprochenen Tribut nicht entrichtet hatten, und kehrte mit vielem Vieh und Gefangenen heim, (ibid. 301.). 1196 zog Roman Mstislawitsch gegen die Jatwinger; eigentlich nur, weil er sein Heer nicht unnütz halten wollte. Sie flohen In die Preußischen Sümpfe und Wälder. (ibid. p. 324.).

 

Im Jahr 1200 hatten die Litthauer das Gebiet von Nowogorod überfallen, wurden aber verfolgt bis Tschernan (vielleicht Kiernow), wo sie an einem befestigten Orte Stand hielten, aber geschlagen und ihnen 80 Mann getödtet, auch Gefangene abgenommen wurden. Da jedoch auch 15 Nowogoroder an ihren Wunden starben, so sandte Nowogorod noch einmal seinen Feldhauptmann Nesdela Pochtschititsch, wiewohl mit weniger Mannschaft‚ gegen sie aus, der in befestigten Scheunen sie angriff, 40 tödtete, und einige hundert Weiber und Kinder mit sich fortführte, (ibid. 331.). Weit übler soll es ihnen noch im Jahr 1202 ergangen seyn, wo die Fürsten von Tschernigow, auf Bitten der Polozker, sie überfieJen. und in einem hitzigen Treffen ihrer 1700 erschlugen, (ibid. 338). Diese Niederlage scheint sie geschwächt zu haben, denn erst elf Jahre später (1213) wagten sie wieder Einfälle in das Gebiet von Pskow (ibid. 375.), und 1216 in Schelona, (ibid. 402.).

 

1223 zog der Posadnik von Staroi Rus. Feodor mit 1000 Mann gegen sie aus, wurde aber geschlagen und mußte sich mit großem Verlust durch Wälder und Sümpfe zurückziehn, (ibid. 431). Zum Erstenmale wird hier eingestanden, daß die Litthauer gesiegt haben, allein nur, wie hinzugefügt wird, weil Feodor von Nowogorod keine Hülfe begehrte. 1225 heerten und brannten 7000 Litthauer im Gebiet von Nowogorod und Toropezk. Da vereinten sich hier Jaroslaw Wsewoloditsch, die Fürsten von Rshew und Nowotorshky mit David, dem Fürsten von Toropezk, jagten und ereilten die Litthauer, tödteten deren 2000, verlohren aber selbst den Fürsten David u. s. w. (ibid. 443.), und in demselben Jahre ermahnte der Metropolit Kirilla den Großfürsten Jury zur Einigkeit mit den russischen Fürsten, besonders um den Tataren auf Einer Seite und den Litthauern auf der andern zu widerstehen, (ibid. 444.). — 1229 Streiferey der Litthauer gegen Nowogorod; 1234 gegen Staraja Rusa, wo sie unter andern ein Kloster plünderten und 4 Mönche erschlugen, allein von Jaroslaw verfolgt, bey der Dabrowna erreicht und geschlagen wurden. Damals verlohren sie 300 Rosse, ihre Waffen, und Gepäcke, (ibid. 462.) Die von Nowogorod nur 10 Mann. — Alle diese sogenannten Kriege wurden meistens nur von Räuberbanden geführt.

 

Es gab (wie auch Tatischtschew in seinen Anmerkungen S. 509 sagt) weder Litthauische Kriegsheere noch Litthauische Fürsten. Die Russen, besonders im Nowogorodischen Gebiete, wurden seit 1190 oft von diesen unruhigen Nachbarn überfallen, doch diese immer geschlagen, so bald die Russen sich gesammelt hatten und endlich gezwungen, Tribut zu zahlen. Die Unwahrheiten und Widersprüche in den Litthauischen Geschichtschreibern hat Tatischtschew S. 525 fleißig auseinander gesetzt. Allein sie sowohl als die Russischen Chroniken zu sichten und mit einander zu verbinden, muß einer größern Arbeit vorbehalten bleiben. Hier sollten blos litthauische Berichte als Eingang zu Switrigait’s Geschichte dienen.

 

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ein Fürst der letztern, hatte in der ersten Hälfte des eilften Jahrhunderts eine Kolonie dahin geführt und

 

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an den Ufern jenes Stromes ein festes Schloß, Kiernow, erbaut; ob aus Vergrößerungs-Sucht? Ob um

 

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die Einfälle der nahen Russen zu verhindern? Ist ungewiß: allein gewisser, dass diese Nachbarschaft, den Russen mißfallend, Feindseligkeiten veranlaßte. Rußland, bald darauf durch seine Schicksale im Innern zerrüttelt, bot wehrlos eine leichte Eroberung dar, und die Litthauer, nicht säumend die Gelegenheit zu ergreifen, überwältigten Oroslaw, verheerten mit Feuer

 

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und Schwerdt alle Wohnungen zwischen der Düna und Wilna.

 

Die Russen, von den Polen gedrängt, mußten auf Rache verzichten, ja sie waren schlau genug, die Litthauer in ihren Vortheil zu verweben, denn im Jahr 1082 kämpften sie, mit diesen vereint, gegen die Polen und drangen bis an die Weichsel vor *). Doch eine Freundschaft, nur auf Beutegier gegründet, Jöste schnell durch gleichen Grund sich auf, und Streifereyen, damals Krieg genannt, bereicherten die Litthauer oft mit russischer Beute.

 

Zwar demüthigte sie Roman‚ der tapfere Fürst von Halitsch und Wladimir, und ließ sogar die Ueberwundenen, dem Zugvieh gleich, vor Pflug und Wagen spannen; aber sein Tod zerbrach ihre Fesseln, und sie wurden, wie zuvor, räuberische Nachbarn, wenn gleich bisweilen von tapfern russischen Fürsten in ihre Wälder zurück gejagt.

 

Als nun die Tataren, im Anfange des dreyzehnten Jahrhunderts, Rußland zinsbar machten, da wuchs das Glück der Litthauer durch des Nachbarn Unglück. Sie rückten in das, durch die Mogolen verödete, Land, erbauten und befestigten Nowogorodek, unterwarfen ohne Schwerdtstreich Grodno, Brzesc und Drohyczyn, sammt den Bewohnern dieser Gegenden, die in den Trümmern ihrer zerstörten Schlösser, in den

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*) Die russischen Geschichtschreiber wissen nichts von diesem Kriege gegen Polen; wohl aber daß Großfürst Wsewolod, vom deutschen Kaiser Heinrich aufgefodert, im selben Jahre gegen die Ungarn sich gerüstet. (Tatischtschew II. 136.).

 

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Gräbern Ihrer erschlagenen Edlen keine Zuflucht fanden. Doch ist zu rühmen, daß die neuen Herren weder den Christen-Glauben, noch das Eigenthum antasteten, und durch ihren Schutz gegen die Tataren die Unterjochten zu gewinnen strebten, und gewannen. Erdiwil hieß der glückliche Fürst, dem durch Siege es gelang, dem Strome der Mogolen hier einen Damm zu setzen.

 

Daß auch Polozk bald darauf unter Litthauische Herrschaft fiel, hatte es selbst verschuldet. Denn — seiner Fürsten durch die Mogolen beraubt, zum Freystaat sich mit Uebermuth erhebend — griff es die gefährlichen Nachbarn an und büßte durch seine Freyheit.

 

Vergebens wagte der russische Fürst Mstislaw im Jahre 1120 den Versuch, die Litthauer aus Nowogorodek zu vertreiben; die Folge war, daß die Bedrohten durch neue Eroberungen Pinsk und Turow an sich rissen.

 

Auch der Mogolen mit den Waffen erneuertes Begehren, Tribut von den Litthauern zu empfangen, diente nur, die letztern als Sieger in Rußland mehr noch auszubreiten, denn, ihren stolzen Feind schon über den Dniepr verfolgend, entrissen sie ihm Mozyr, Starodub, Czernigow, Karaszow und ganz Sewerien.

 

Der erste litthauische Fürst, der zum Christenglauben sich bekannte, der erste, der mit einer russischen Fürstentochter von Twer sich vermählte, war Boris, Herr in Polozk, Erbauer von Borissow, weil die Beresina seinen Staat begrenzte. Ihn befehdeten die Russen von Smolensk und Pskow, allein nicht glücklich. Basilius, sein Nachfolger machte

 

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Pskow zinsbar, und Algimund, Fürst im neuen Litthauen, besiegte den russischen Fürsten David von Luzk.

 

Jedoch vereinte bisweilen gemeinschaftliche Gefahr die Sieger mit den Besiegten; denn als die Mogolen mit großer Macht noch einmal heran rückten, kämpften unter Litthauischen Fahnen auch die russischen Fürsten von Kiew, Druzk, Volhynien und Luzk. Zwey derselben erkauften den Sieg mit ihrem Blute.

 

Als Ringold, ein glücklicher Bösewicht, um das Jahr 1230 die Litthauischen Staaten unter seinen Scepter vereinte, seinen Stuhl nach Nowogorodek versetzte, und durch seine Macht wohl dazu berechtigt, der erste sich einen Großfürsten nannte, empörte der neue Titel die russischen Fürsten von Wladimir und Druzk; sie griffen ihn an, und büßten das Wagestück mit dem Verluste ihres ganzen Lagers *).

 

Mendog, seinem Vater Ringold folgend, entledigte durch Meuchelmord sich seiner Vettern; noch Iebten aber Neffen, die sein Argwohn traf. Um sie zu entfernen, rüstete er sie aus zu Streifereyen gegen die Russen. Allein sie thaten mehr als er begehrte, eroberten und gründeten sich Fürstenthümer in Druzk,

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*) Hingegen berichten um diese Zeit die Russen, ihr berühmter Fürst, Alexander Jaroslawitsch habe die Litthauer, die 1243 im Gebiet von Nowogorod eingefallen, geschlagen und die Gefangenen an Pferdeschweife gebunden. (Татищевъ IV. 12.) Dasselbe geschah 1245 (ibid. p. 13.) 1258 hingegen sollen sie viel Unheil angerichtet haben, dagegen ihr ganzes Land von den Tararen verwüstet seyn. (ibid. 29.).

 

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einen Theil von Smolensk, Witepsk, und dem, durch seines Herrn Güte, wieder frey gewordenen Polozk. Solches Glück den Neffen mißgönnend, bekriegte sie der Oheim. Ihm, dem Mächtigen, zu widerstehen, verbanden die Bedrängten sich mit dem deutschen Orden, und auch die russischen Fürsten, Daniel von Kiew und Wasili von Halicz traten eigennützig auf ihre Seite.

 

So geschah es, daß Mendog im Jahr 1245 den Frieden erkaufen mußte durch Rückgabe eines großen Theils von Rußland, ja durch Aufopferung seines Glaubens; denn, von den deutschen Rittern gedrängt, unterwarf er sich dem Pabste, der ihn taufen und zum Könige krönen ließ.

 

Doch als die Gefahr vorüber war, spottete er seines Eydes, opferte den Götzen, trug glückliche Waffen nach Polen, Preußen, Liefland, Kurland, und verband sich mit den Russen gegen die Polen im Jahr 1262. Ein Enkel des Großfürsten von Kiew, Suarmir genannt, war sein Begleiter auf einem Raubzuge nach Masovien, wo dieses Landes alter Herzog, ein Gefangener der Russen, von ihnen ermordet wurde.

 

Auch Mendog fiel, mit zweyen seiner Söhne, durch Meuchelmord eines Tochter-Mannes, der, nach kurzem Genuß der Früchte des Verbrechens, wiederum von einigen Kriegern der alten Leibwache im Bade erschlagen wurde.

 

Noch Iebte ein Sohn Mendog’s, dem Vater unähnlich; er hieß Wolstinik. Den Russen als Geisel überliefert, war auch er ein Christ geworden, und nicht, wie sein Vater, vom Glauben wieder abgefallen. In einem von ihm selbst erbauten Kloster bey Nowgorodek an der Memel, diente er eifrig dem erkannten Gott, als Mendog ermorder wurde. Nur gewöhnt das Rauchfaß zu schwingen, entfloh er dem blutdürstigen Schwager nach Pinsk und übertrug den Scepter, sammt des Vaters Rache, dem Fürsten Theophilus von Polozk, der aber, verrathen, die Herrschaft mit dem Leben verlor.

 

Durch eine Reihe von Verbrechen, durch innere Zwietracht und äußere Feinde, stand Litthauen jetzt an einem Abgrunde; doch schien es, daß die Russen dem aufgedrungenen Scepter schon ergeben waren; denn auch sie fanden sich zu Kiernow ein, als die vornehmsten des Landes zur Wahl des neuen Großfürsten sich dort versammelten. Die meisten Stimmen begehrten Wolstinik den Mönch. Weil aber andere, von ihm Rache fürchtend, ihn verwarfen, so schlugen die Russen vor, Einen ihrer Fürsten zu berufen, Daniels Sohn, oder dessen Neffen Suarmir, Fürsten von Luzk und Drohicz, der schon in Mendog’s Heer als tapferer Krieger sich bewiesen hatte. Die Litthauer widersprachen: aus russischen Provinzen hat sich des Staates größter Theil gebildet: sollen wir nun auch den Fürsten aus ihnen wählen, so mögten bald wir ihnen, nicht sie uns, unterworfen seyn. Die Russen gaben nach, Wolstinik ward Großfürst, fast wider seinen Willen; auch trug er über dem Fürstengewande stets die schwarze Mönchskutte. Des Vaters alter Freund, Suarmir, wurde sein Waffengefährte. Als aber beyde gegen die Polen unglücklich fochten, schien es plötzlich Wolstinik bequemer, Waffenruhm und Beute in dem zerrütteten Rußland zu erwerben. Ein unbekanntes Recht auf Wolhynien wollte er geltend machen,

 

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und bedrohte schon Wladimir, dessen Fürst, Leo, Nachgiebigkeit heuchelnd, ihn gastfreundlich lockte, und dem Unbewahrten, nach einem schwelgerischen Mahle, den Kopf spaltete. Die böse That blieb ungerochen. Zehn Jahre später (1280) fochten die Litthauer als erbetene Hülfstruppen gegen die Polen, unter den Fahnen des Großfürsten Leo von Kiew, und ein litthauischer Fürst, Doumand, befehligte um diese Zeit das Kriegsvolk der freyen Stadt Pskow, in, deren Fehden mit den Liwen. Später machte er sich zum Herrn von Polozk, durch Begünstigung der russischen Einwohner *).

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*) Von diesen Begebenheiten wissen auch die Russen. Sie erzählen: im Jahr 1264 sey großer Aufruhr in Litthauen gewesen, Mendog erschlagen, ein litthauischer Fürst in Polozk eingesetzt worden. Ein Sohn Mendog’s, den sie nicht Wolstinik, sondern Woshleg nennen, sey schon von seiner Mutter, seiner Twerschen Fürstentochter, im Christenglauben unterwiesen worden, (also nicht Geisel in Rußland gewesen) habe Alles verlassen und 10 Jahre auf dem Berge Sinai gehaust, bey seiner Zurückkunft alle Lockungen seiner Verwandten verschmäht, und sich nach Pinsk ins Kloster begeben, Nach seines Vaters Tode aber habe er Gott um Beystand angerufen, dessen Ermordung zu rächen, habe die Mönchskleidung ausgezogen und gelobt, sie nach drey Jahren wieder anzulegen, auch nimmermehr sein Klostergelübde zu verletzen, Dann habe er die Freunde seines Vaters gesammelt, viele Litthauer getauft, den Andre Danilowitsch zum Großfürsten ernannt, und sey selbst ins Kloster zurückgekehrt, wo er viel Gutes gethan und im hohen Alter verstorben sey. ( Татищевъ IV, p. 38. u. f). (Also völlig widersprechend den Litthauischen Berichten, die auch nichts davon wissen, daß 1266 der Litthauische Fürst Domant mit seiner Familie sich zu Pskow taufen lassen, den Nahmen Timofey empfangen, und mit Gottes Hilfe den Fürsten Gerden geschlagen: auch nichts von den Streifzügen, welche die Tataren in den Jahren 1275, 1279 und 1282 nach Litthauen gethan, (ibid. p. 47. 54. 60.) u. s. w.)

 

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In den Ietzten Jahren des dreyzehnten, und den ersten zwanzig Jahren des vierzehnten Jahrhunderts; während Litthauen immer fort blutige Kriege mit dem deutschen Orden führte, war die Zeit den Russen günstig ihre Fesseln abzuschütteln, und die meisten russischen Fürsten benutzten die Gelegenheit, wagten sogar Einfälle in das Gebiet von Nowogorodek. Doch Gedimin, der nunmehrige Großfürst von Litthauen gewann, durch einen Waffenstillstand mit dem Ordens, Frist den Russen neue Ketten zu schmieden. Seine erste Eroberung war Wolhyuien, dessen Fürst Wladimir, gleich dem letzten Soldaten focht, und nur mit dem Leben seine Hauptstadt verloren gab. Sie mußte vom Sieger Besatzung und Obrigkeit empfangen, das Volk ihm huldigen. Gleiches Schicksal traf Luzk, dessen Fürst Leo nach Sewerien entfloh. Drohiczin und Brzesc unterwarfen sich aufs neue. Zitomir fiel, obschon von zahlreichem russischen Adel vertheidigt. Gedimin rückte gegen Kiew.

 

Da ermannten sich die russischen Fürsten. Mit Unwillen eingedenk (so spricht die Chronik) der alten ruhmwürdigen Zeiten, wo dieses Volk (die Litthauer) den Russen zinsbar war, vereinten sich die meisten russischen Fürsten, vor allen die aus Sewerien, OIeg von Perejaslawl, Roman von Bransk, und

 

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der aus Luzk vertriebene Leo. Doch ihr Glück entsprach nicht ihrem Muthe, Sie wurden geschlagen, und Kiew, von seinen Bürgern tapfer vertheidigt, von seinen feigen Fürsten aber verlassen; öffnete dem Sieger die Thore. Alles huldigte dem neuen Großfürsten von Kiew und Rußland *).

 

Noch nicht gesättigt, trug er sein Schwerdt nach Sewerien. Bransk und Perejaslawl mußten sich ergeben, Statthalter in Kiew wurde Mindow, ein christlicher Fürst. Gedimin aber baute Wilna und Troki. Gegen die Dänen, die von Ehstland her das russische Gebiet verletzten, sandte er Hülfe denen von Pskow **).

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*) Statt aller dieser Heldenthaten Gedimin’s erwähnen die Russen die Litthauer um diese Zeit gar nicht, als nur um in zwey Zeilen eine ihrer gewöhnlichen Streifereyen 1323 zu berühren, die, gleichfalls wie gewöhnlich, von den Nowogorodern soll gezüchtigt worden seyn. (Татищевъ IV. 113). daß aber Nowogorod schon 18 Jahre früher den Litthauern nicht mehr gewachsen war, beweist eine Urkunde von 1305, (Собранїе Государственныхъ Грамотъ и Договоровъ I. 9), in welcher diese Stadt sich von dem Großfürsten von Twer, Michael Jaroslawitsch im Nothfall Beystand gegen die Litthauer ausbedingt. Eines förmlichen Friedens mit ihnen wird zum Erstenmale 1325 erwähnt. ( Татищевъ IV. 116.)

**) Im Jahr 1329 floh der Fürst Alexander Michailowitsch von Twer zu den Deutschen und Litthauern, um der Rache des Chans der Tataren zu entgehen. (ibid. 124.), es scheint daher daß engere Verhältnisse zwischen russischen und litthauischen Fürsten sich immer mehr gestalteten; besonders durch die Fürsten von Twer, die in der Folge oft ihre Töchter nach Litthauen vermählten. Soll doch schon Mendog’s Gemahlin eine Twersche Prinzssin gewesen seyn.

 

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In neuen Kriegen mit dem Orden befreyte endlich des kaum erfundenen Schießpulvers Wirkung die Welt von diesem Eroberer, der unklug seine Staaten unter sieben Söhne theilte; und so wurden fünf dieser Söhne russische Fürsten.

 

Olgerd, Großfürst von Litthauen, ist mit Ruhm zu nennen‚ denn er vertrieb im Jahr 1331 die Tataren Rußlands Peiniger, von den Ufern des Dniepr, bis nach Oczakow hinab, und ostwärts von Putiwl bis an die Mündung des Don. Auch Podolien ward von ihnen gesäubert, und vier Neffen Olgerds übergeben, indessen, fast gleichzeitig, die östlicher wohnenden Russen das tatarische Joch abgeworfen hatten *).

 

Das verdankten sie vor Allen dem Fürsten Dmitri von Moscau, der aber, stolz auf seine Siege, nach Alleinherrschaft strebte, und alle die Länder, die Litthauen an sich gerissen, ja selbst Tribut für das letztere, mit Uebermuth von Olgerd foderte. In Wilna, so

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*) Die russischen Chroniken wissen von alle dem nichts, sondern erzählen unter diesem Jahre, Gedimin (der längst nicht mehr lebte) habe einen Bischoff sammt dem Posadnik von Nowogorod gefangen und sie nicht eher los gelassen, bis ihm die Nowogorodischen Vorstädte (Пригороды), auch die kleinen Städte Ladoga, Orehow u. s. w. abgetreten worden. (IV. 128.) Dann lassen sie wieder Narimund, Gedimin’s. Sohn, taufen, und nennen, ihn Gleb. (130) Gedimin’s Tod setzen die Russen erst in das Jahr 1341, lassen auch Olgerd gleich auf ihn folgen, (148.)

 

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prahlten eine Gesandten, wolle ihr Herr mit Feuer und Schwerdt ihn heimsuchen. Olgerd aber kam ihm zuvor, einen raschen Zug nach Moscau unternehmend. Durch Wälder und Moräste mußten vor ihm her die Bauern Wege bahnen, doch schonte er des Landmannes. Plötzlich stand er vor Moscau. Der überraschte Großfürst war gezwungen, den Frieden theuer zu erkaufen. Das ganze Land, von Moshaisk bis Ugra, trat er ab, ersetzte die Kriegskosten, und beschwor einen ewigen Frieden sammt der Geistlichkeit und den Bojaren *).

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*) Hingegen erzählen die Russen, der Großfürst Iwan Danilowitsch habe 1335 die litthauischen Städte Otsetshen und Rösna verbrannt und unzählige Litthauer erschlagen, obgleich auch viele gute Leute von Nowgorod geblieben wären (133.). Aus diesen Widersprüchen scheint wenigstens so viel Gewisses hervorzugehen, daß um diese Zeit Litthauen wirklich mit Moscau gekriegt hat. OIgerds Erscheinen vor Moscau setzen die Russen in das Jahr 1341. (149). Ein Jahr später soll Olgerd denen von Pskow gegen die Deutschen beygestanden haben. Aus Dankbarkeit hätten sie ihn gebeten, sich taufen zu lassen, wogegen sie ihn zu ihrem Fürsten machen wollten. Er aber habe geantwortet: ich bin schon getauft und ein Christ und mag Euer Fürstenthum nicht. Hingegen habe er ihnen seinen Sohn gegeben, den sie getauft hätten (153.) 1345 habe er seine Brüder Narimund und Ewnuti vertrieben; der erstere sey zu den Tataren geflohen, der letztere nach Moscau, wo er sich taufen lassen und den Namen Johann empfangen. (157.) 1346 soll Olgerd gegen Nowogorod gestritten und dessen Posadnik umgebracht, (159.) 1347 durch die deutschen Ritter, in einer einzigen Schlacht 14000 Mann verloren, (163.) 1348 mehrere russische Fürsten sammt Olgerd’s eigenen Brüdern, sich gegen ihn verbunden haben, worauf er Hülfe bey den Tataren gesucht, die aber den Gesandten, seinen Bruder Kowiod, nach Moscau geschickt hätten; (164.) dort sey er nicht eher befreyt und heim entlassen worden, bis Olgerd durch eine mit Geschenken abgefertigte Gesandtschaft um Frieden gebeten habe. (168.) Vom Jahr 1352 wird ähnliches erzählt, (171.) 1356 sollen Aufrührer ihn nach Bransk berufen und er dasselbe seiner Bothmäßigkeit unterworfen, (1832.) 1363 Oreshwa genommen haben, (199.)

 

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Einige Jahre später machte Olgerd; einen treulosen Vasallen züchtigend, ganz Podolien zu einer Litthauischen Provinz. Doch als seine, durch den deutschen Orden geschwächte, Macht den Polen nicht mehr furchtbar schien, wurden sie laut im Jahr 1349, und ihr König, Casimir, ein Erbrecht vorgebend auf Länder, die Gedimin’s und Olgerd’s Schwerdt erobert hatten, zwang die Litthauer durch Waffengewalt, Wolhynien und Podolien ihm zu räumen. Lange blutige Fehden hatte dieser schmerzhafte Verlust zur Folge, und immer waren jene unglücklichen Länder der Schauplatz kriegerischer Greuel. Die Russen blieben abhängig *), Polnische Besatzungen bewahrten russische Städte und Schlösser; bis Casimir starb (1370) und Olgerd, noch vor seinem Tode (1381); einen litthauischen Fürsten in Wolhynien wieber herrschen sah **). Man will, er sey ein Christ

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*) Doch viele derselben behaupteten ihre Unabhängigkeit, unter andern der Fürst von Räsan, der um diese Zeit mit dem moscauischen Großfürsten Dmitri Joannowitsch und dessen Bruder sich verband, nur mit wechselseitiger Zustimmung Frieden mit Litthauen zu schließen. (Собранїе Гос. Гр. и Догов. p. 53.)

**) Die Russen erzählen noch von einem fürchterlichen Kriegszuge Olgerd’s nach Moscau im Jahr 1368, von dem die Litthauer nichts wissen. (IV. 212.) Der Großfürft von Twer nämlich, Michael Alexandrowitsch, den der Großfürst von Moscau, Dmitri Iwanowitsch, mit Krieg bedroht habe, sey zu Olgerd, seinem Schwager, nach Litthauen gegangen, ihn theils durch eigne Thränen, theils durch die seiner Schwester überredend, Moscau anzugreifen. Olgerd habe hierauf ein mächtiges Heer gesammelt und seine eigenen Söhne und alle Fürsten von Litthauen, und den Fürsten von Twer, und die bewaffnete Macht von Smolensk mit sich genommen. Ihm sey eigen gewesen, ein kriegerisches Vorhaben jederzeit so zu verheimlichen; daß weder die Seinen noch Fremde je erfahren hätten, was er eigentlich im Schilde führe, und auf solche Weise habe er viele Länder und Städte, nicht blos durch Gewalt, sondern durch List genommen und überall Furcht erregt. So habe auch diesesmal der Großfürst Dmitri nicht eher von dem anrückenden Feinde etwas erfahren, als bis derselbe schon an den Grenzen gestanden, und habe folglich, so überrascht, nicht schnell genug eine hinreichende Macht ihm entgegen stellen können; Olgerd habe die Grenzorte erobert, geplündert, verbrannt, am 21. November einen vollständigen Sieg erfochten, und sey vor Moscau gerückt, drey Tage vor dessen Mauern stehen geblieben, habe es zwar nicht eingenommen, aber viel Unheil dem Lande zugefügt, und eine zahllose Menge Gefangener und Vieh mit sich fortgeschleppt. Nie zuvor habe Moscau durch Litthauen so viel Böses erlitten. — Ein zweyter Kriegszug Olgerds wird bey dem Jahre 1371 erzählt, (ibid. 218.). Er soll abermals, und zwar am 6. December, vor Moscau sich gelagert und, die Umgebungen dieser Stadt verheerend, dieses Mal acht Tage verweilt haben. Unterdessen hätten sich mehrere russische Fürsten gegen ihn vereint, und als er dies vernommen, habe ersich zum Frieden geneigt; der durch eine Vermählung seiner Tochter mit den Fürsten Wlodimer Andrewitsch besiegelt worden sey.

1372 soll ein Litthauisches Heer Pereslawl, Torshek u. s. w. erobert haben, (ibid. 225.) Olgerd aber, 1337, als er, abermals auf Anstiften des Fürsten von Twer, gegen Moscau gezogen, geschlagen und der Friede erneuert worden seyn, (ibid. 227.) Allein zwey Jahre später habe Olgerd schon wieder seinem unruhigen Schwager von Twer Hilfe zugesagt, doch nicht Wort gehalten, und ihn dadurch gezwungen, den Frieden mit Moscau demüthig zu erbitten. (ibid. 235.) Dem widerspricht jedoch, die spätere Erzählung, daß Olgerd in demselben Jahre die von Smolensk hart gezüchtigt habe, weil sie gegen seinen Schwager die Waffen geführt. (ibid. 237.)

 

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gestorben, denn schon längst hatte seine Gattin Uliana, eine Fürstentochter von Witepsk, ihn dem

 

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Christenthum geneigt gemacht. Ueberhaupt schien er den Russen zugethan, denn auch seine zweyte Gemahlin, Marie, war eine Tochter des Fürsten von Twer.

 

Sechs Söhne hinterließ er aus erster Ehe, sie herrschten in Kiew, Podolien, Wolhynien, Wstislaw und Czernigow. Von ihnen stammen die noch heute blühenden Geschlechter der Trubezkoi, Czartorisky und Sangusko.

 

Sechs jüngere Söhne hatte Marie ihm gebohren, unter diesen Jagiel, Skirgail und Switrigail *)

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*) Die Russen setzen Olgerd’s Tod 4 Jahre früher, in das Jahr 1377 (ibid. 239.), und erzählen bey dieser Gelegenheit, er habe alle seine Brüder an Macht und Würde übertroffen, weil er weder Trunk noch Spiel geliebt, noch irgend, etwas, was einem Herrscher nicht gezieme. Sie nennen ihn verständig, Weisheit liebend, starken Geistes, wodurch es ihm gelungen, viele Länder, Städte und Fürstenthümer sich zu unterwerfen, und sein Großherzogthum so zu vergrößern, wie keiner seiner Vorfahren, auch nicht sein Vater Gedimin. Sie geben ihm 5 Söhne von der ersten Gattin, und 7 von der zweyten, die sie Uljana nennen; deren vierter Sohn Switrigail gewesen. Alle habe er mit Städten und Fürstenthümern begabt, den Jagiel am meisten geliebt, und ihn deshalb zu seinem Nachfolger bestimmt. Seine Tochter Feodora, auch ein Kind der zweyten Gemahlin, sey vermählt worden an den Fürsten Swätoslaw, einen Urenkel des seligen Märtyrers Michael, von Tschernigow u. s. w. Nach seinem Tode sey in Litthauen großes Elend und Verwirrung entstanden.

 

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Auch Olgerd’s mächtiger Bruder, Kirystut, sah von sechs tapfern Söhnen sich umringt, unter welchen das Schicksal Witold und Segemund. Für glänzende Rollen bestimmte.

 

Seinen Liebling, Jagiel, hatte der sterbende Vater zum Großfürsten bestimmt, und er behauptere sich sich in dieser Würde durch Verrath und Mord. Denn den alten tapfern Kirystut erwürgten Jagiel’s Trabanten, und Witold mußte vor den Dolchen seiner Mörder in Weiberkleidern entfliehen *). Als jedoch die deutschen Ritter mit gewaffneter Hand ihn schützten, fand Jagiel gerathener, mit seinem Vetter sich auszusöhnen. Zwischen beyden entstand eine warme Freundschaft, und Witold herrschte ruhig in Grodno, Wolkomisk und Brezk. **).

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*) diese Begebenheit setzt Татищевъ in das Jahr 1379 (p. 257.), nach Koialowicz trug sie sich im Jahr 1382 zu.

**) Die Russen berichten: (p. 258.) im Winter 1379 habe der Großfürst Dmitri Iwanowitsch einen glücklichen Kriegszug nach Litthauen unternommen, wobey auch Einer von Olgerd’s Söhnen, Andreas von Polozk sich befunden. Damals seyen Trubtschewsk und Starodub erobert worden. Ein anderer Sohn Olgerd’s Dmitri von Trubtschewsk, sey mit seiner Gemahlin und Kindern und seinen Bojaren dem Großfürsten demüthig as der Stadt entgegen gekommen, und ihm nach Moscau gefolgt, wo ihn derselbe mit großen Ehren und Liebe aufgenommen und ihm Pereslawl mit allen Einkünften gegeben.

 

Im Jahr 1380 sollen der Fürst Oleg von Rasan und Jagiel den, gegen Moscau gerüsteten, Chan der Tataren gebeten haben, das Großfürstenthum Moscau zwischen ihnen zu theilen (265.). Im folgenden Jahre standen, nach Angabe der Russen (274.), Jagiel’s Brüder, Andreas vom Polozk, und Dmitri, der hier der Bränskische genannt wird, unter Moscau’s Fahnen gegen die Tataren.

 

Im Jahr 1383 soll ein Litthauischer Fürst, Kowat, bey einem Aufstand in Moscau umgebracht worden seyn, (310.). Wer dieser Kowat gewesen läßt sich nicht errathen.

 

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Damals verkauften die Ungarn für eine hohe Geldsumme ihre Ansprüche auf Rußland an Jagiel’s Oheim, Lubart, der über Luzk, Wlodimir und ganz Wolhynien regierte.

 

Aus der Polnischen Geschichte ist zur Gnüge bekannt, daß um diese Zeit (1386) die Königin Hedwig gezwungen wurde, den heydnischen Großfürsten von Litthauen auf ihren christlichen Thron zu erheben; für Rußland, wie für Preußen, eine bedenkliche Begebenheit; denn die Macht beyder Staaten einig handelnd. konnte Rußland und Preußen verschlingen *).

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*) Auch schelnt in der That merkwürdig, daß die frey gebliebenen russischen Fürsten, und auch Nowogorod, ihn schon damals eine nähere Verbindung mit dem deutschen Orden gesucht haben, statt denselben in Liefland zu befehden. So lange Polen und Litthauen jene wie diesen bedrohten, waren Rußland und Preußen gebohrene Bundesgenossen.

 

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Jagiel erkaufte den Polnischen Scepter durch Verleuguung seiner Götzen, und empfing in der Taufe den Namen Wladislaw. Mit ihm zugleich wurden auch seine Brüder, seine Vettern Christen. Witold hieß nun Alexander, Skirgail Kasimir, und Switrigail Boleslaus. Der letztere, der hier zum Erstenmale öffentlich erscheint, mogte ein zarter Jüngling seyn, weil er sechs und sechzig Jahre später noch am Leben war.

 

Die deutschen Ritter in Preußen und Liefland waren die Ersten, welche den neuen König mit den Russen entzweyten; denn, auf Jener Hülfe verfrauend war Jagiel’s Bruder, Andreas Wigund, gegen ihn ausgezogen. Diesen Wigund liebten die Russen, weil er schon als Kind die griechische Religion angenommen. Nun lüstete ihm, mit deutschen und russischen Waffen ein litthauisches Fürstenthum sich zu erobern. Er streifte längs der Düna, bezwang das feste

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*) Die erste, von ihm noch übrige Urkunde ist ein lateinisches, sehr schlecht geschriebenes, Credenz-Schreiben ) für einen Abt, den er an den Bischof von Breslau sandte, ohne Datum ausgestellt zu Pathama und unterzeichnet: Swytrygaylo Alygerdowicz dux di Lytwama. Da er nach seiner Taufe sich nie anders als Boleslaus alias Switrigail unterschrieb, so ist wahrscheinlich, daß er damals noch ein Heyde war, daß aber vielleicht die Sendung des Abts auf seine Belehrung sich bezog.

) Geh. Arch.

 

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Schloß Lukoml, und Druja, Drissa, Polozk ergaben sich ihm fast freywillig. Auch Swätoslaw, Fürft von Smolensk, griff zu gleicher Zeit, vielleicht im Einverständniß, Witepsk und Orsha an und belagert Mstislaw.

 

Aber schleunig sandte Jagiel ein Heer. Unter Witold’s und Skirgail’s Befehlen! Swätoslaw fiel in der Schlacht. Sein gefangener Sohn, Georg, mußte sein Fürstenthum durch Unterwerfung retten. Polozk öffnete dem Sieger die Thore. Wigund schmachtete gefangen in einem festen Schlosse. Um die Ruhe in Rußland zu verbürgen, setzte Jagiel den Switrigail nach Polozk. Witold blieb in Grodno, Skirgail in Troki und zwey andere seiner Brüder in Mstislaw und Sewerien *).

 

Auch als König von Polen behielt Jagiel die Herrschaft über Litthauen; allein zum Großfürsten — eigentlich sollte der nur ein gehorsamer Statthalter seyn — ernannte er seinen Bruder Skirgail; einen wollüstigen Schwelger, dem Witold, seines überlegenen Geistes wie seiner Verdienste um den König sich bewußt, die Würde beneidete, und bald durch List bald durch Waffengewalt, ihn zu verdrängen suchte. Der König mußte (1390) auf Sewerien

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*) diese Begebenheiten setzen die Russen in das Jahr 1387, die Schlacht auf den 29. April und nennen Switrigail als den ersten Anführer der Litthauer. (Татищевъ IV. 321): Von Wigund aber wissen sie nichts. Im Jahr 1388 soll Semen Lugwen Olgerdowitsch, ein Bruder Jagiel’s, nach Nowogorod gekommen, mit Ehren empfangen worden seyn, und die Städte, die Narimund, Gedimin’s Sohn, besessen, inne gehabt haben. (326.)

 

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Russen gegen ihm aufbieten, die Grodno beIagerten. Witold floh nach Preußen, kehrte bald mit beutegierigen Kreufahrern zurück, und gewann eine Schlacht, in welcher vier russische Fürsten, unter ihnen der von Smolensk, den Tod fanden *). Doch sein großes Ziel erreichte er noch nicht, obgleich Jagiel den untauglichen und allen Litthauern verhaßten Skirgail nach Rußland verbannte, wo er, am seines vertriebenen Bruders Wladimir Statt, Fürst von Kiew wurde.

 

Indessen, da Witold, mit eigennütziger Hülfe der deutschen Ritter; seine Anfälle stets erneuerte, entschloß Jagiel sich endlich, mit Uebergehung seines würdigen Bruders Switrigail, dem gefürchteten Vetter Litthauen zu überlassen, wenn er dem Könige Treue gelobe, und in demselben Augenblicke die dem Orden geschworene Treue breche. Ohne Bedenken that Witold beydes und wurde Großfürst, im Jahr 1392 **).

 

 

II. Switrigail’s Kampf gegen Witold.

 

Es besteht kein Zweifel, daß Witold durch Geisteskraft, Erfahrung und Tapferkeit jener Ehre würdig war; denn er bewährte acht und dreyßig Jahre hindurch alle jene Eigenschaften in blutigen Kriegen, bald

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*) Im Jahr 1391 vermählte sich der Großfürst Wassili Dmitriwitsch mit Sophien, der Tochter Witold’s; und zwar soll diese Vermählung in Deutschland geschehen seyn (nämlich in Preußen), wohin Witold geflohen war (359.), von diesem letztern Umstand wissen die Preußischen Annalen nichts.

**) Die Russen sagen 1393 (374.).

 

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mit dem Orden, bald mit den Tataren, bald mit seinen Vettern, die in Rußland regierten, und seine Oberherrschaft über Kiew, Sewerien.und Podolien nicht erkennen wollten. Aus jedem Kampf ging er als Sieger hervor, und als er starb; reichte sein Scepter von der Ostsee bis zum schwarzen Meere, von Polens Grenzen bis tief in den Norden hinauf, und der deutsche Kaiser wollte zu einem Könige ihn krönen. Dennoch bleibt der Unwille gerecht, den Switrigail empfand, als sein eigner Bruder seines Vaters Erbe dem Vetter übergab. Ruhig hatte er auf Olgerd’s Fürstenstuhle, zuerst des Vaters Liebling Jagiel, dann den ältern Bruder Skirgail gesehn, wenn aber dieser, unwürdig erfunden, herabsteigen mußte, warum sollte Switrigail ihn nicht besteigen? — älter war Witold, auch Kriegserfahrner als er; doch diese Gründe konnten ihm sein Recht nicht schmälern. Nur in seiner Untauglichkeit hätte Jagiel den gerechten Vorwand finden mögen, und freylich hat Kojalowic ihn so geschildert: allein die aufgefundenen unverwerflichen Zeugnisse *) stellen ihn dar, als einen klugen, tapfern und redlichen Mann. daß er auch das letztere war, mag in der Geschichte, die fast immer nur glückliche Bösewichter bewundert, ihm den verdienten Nachruhm geraubt haben.

 

Im ersten Unwillen floh er nach Preußen (1393), hoffend, eine günstige Aufnahme bey den Rittern zu finden, die Witold so oft betrogen hatte. diese Hoffnung täuschte ihn nicht. Mit deutschem Kriegsvolke kehrte er zurück, verheerte Witold’s Güter,

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*) Das geheime Archiv zu Königsberg hat sie geliefert.

 

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eroberte mehrere Schlösser und machte 3000 Gefangene. Kein unrühmliches Auftreten eines Jünglings, dem man Feigheit aufzubürden gewagt.

 

Witold erfuhr im nächsten Jahre sogar die Demüthigung, seine Hauptstadt Wilna durch Witrigail belagert zu sehn. Vorliebe für die Russen und deren Religion (die, während seines ganzen Lebens, nicht ohne Grund ihm vorgeworfen wurde) soll damals ihn bestimmt haben, durch einen schlauen Unterhändler in der Stadt, eine Anzahl russischer Mönche zu bewegen, ihm die Eroberung, durch Anzünden zweyer hölzernen Schanzen zu erleichtern; doch einer dieser Mönche habe den Anschlag verrathen, wodurch Switrigail genöthigt worden, die Belagerung aufzuheben. Ist die Sage gegründet, so beweist sie, daß schon damals, in dem fast noch heydnischen Litthauen, dessen Fürsten kaum erst als römische Christen getauft waren, schon russische Klöster sich befanden.

 

Aufs neue bewies Switrigail, im Jahr 1396, daß es weder an Muth noch an Schlauheit ihm fehle. Von Liefland aus mit geringer Macht durch die Wälder von Polozk schleichend, überrumpelte er Witepsk, wo ein Höfling Jagiel’s regierte, der von den Mauern herabgestürzt wurde, die er so schlecht vertheidigt hatte. Nun bedurfte es kaum der Gewalt, Orsha und der festen Plätze noch Manche zwischen der Düna und dem Dniepr zu erobern, denn die Russen liebten Switrigail und unterwarfen sich freywillig.

 

Doch Witolds gesammelte Macht, dem jungen Helden zu überlegen, nahm schnell Orsha wieder und zwang die Fürsten von Druzk und Smolensk, dem

 

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Mächtigern sich anzuschließen *). Witepsk wurde hart belagert, und von Switrigail, an der Spitze der Liefländer, einen Monat lang hartnäckig verteidigt. Aber ein Feind, der alle Bande löst, der Hunger, empörte die fremden Söldner gegen den unglücklichen Fürsten; sie lieferten ihn aus und Witold sandte den Gefangenen seinem königlichen Vetter.

 

Hier schweigt der Litthauische Geschichtschreiber von den Schicksalen des Mannes, den seine Feder verfolgt.

 

Mit Verwunderung würde man bald nachher den Fürsten Switrigail in Freyheit und als Podoliens Beherrscher finden, (beydes hätte schwerlich der Sieger Großmuth ihm verliehen), wenn hier nicht handschriftliche Beweise

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*) Die Russen melden von diesem Jahre blos einen Kriegszug der Fürsten von Räsan, Smotenk u. s. w. gegen Litthauen, welches sie verheert hatten. (380.) Witold sey zwar gegen Räsan vorgerückt, doch bald darauf aus Furcht zurück gewichen. Aber in demselben Jahre habe Witold den Fürsten Iwan Michailowitsch von Smolensk mit dem Tode bestraft, sein Haus geplündert, seine Frau und Kinder weggeführt. (342.) 1398 soll Witold im Räsanischen das Blut wie Wasser vergossen und darauf seinen Schwiegersohn in Moscau besucht haben, der ihn mit Ehren und Geschenken überhäuft, (385.), aber auch Geschenke von ihm erhalten, denn in seinem Testamente vermachte er seinem Sohne unter andern ein großes Gefäß (Судно) von Stein, welches ihm Witold geschenkt. (Древняя Россїйская Библїоѳика Часть, I. p. 151). Im Jahr 1410 hatte Witold ihm unter andern Geschenken, zwey preußische kupferne Kanonen geschickt. (454.)

 

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schriftliche Beweise das Räthsel lösten *). Der Comthur zu Dünaborg meldete dem Hochmeister in Preußen: „es seyen zwey Herzoge mit Macht gekommen und haben Switrigail aus seiner Haft befreyt, Alles mordend was sich ihnen widersetzte. Witold liege zu Trakken schon zwölf Wochen sehr bekümmert, weil er Verrätherey besorge. Switrigail werde mit großer Macht wieder zu Felde ziehen. Der Schloßberg in Wilna sey eingestürzt. Ein ungarischer Herzog habe, mit 700 Pferden, Witolden seine Dienste angeboten.

 

Obgleich dieser Bericht ohne Tag und Jahreszahl ist, so paßt er doch zu gut auf jene Zeit, (auf keine andere,) als daß man zweifeln könnte, er sey im Jahr 1396 geschrieben. Denn die russischen Fürsten, welche Switrigail befreyten, waren vermuthlich die von Druzk und Smolensk (vielleicht auch der von Räsan, des Ietztern Schwiegervater), weil Kojalowicz meldet, Georg von Smolensk habe, gleich nach der Eroberung von Witepsk, das Gebiet von Orsha wiederum feindlich verheert, sey erst durch einen neuen Kriegszug Witolds vertrieben worden, und habe sein Land dem Fürsten Chleb, seinem Bruder, überlassen müssen. Ohne Zweifel war der befreyte Switrigail in Georgs Lager, und russische Hülfe die neue Macht; von welcher der Comthur berichtet. So wird auch klar, warum Jagiel dem feindlichen Bruder Podolien abgetreten, sammt großen Gütern in Polen und 1400 Polnischer Mark jährlicher Einkünfte aus den Salzwerken. Nicht seinem Gefangenen gab

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*) No 1. Geheimes Archiv zu Königsberg.

 

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er aus Großmuth die Freyheit und ein Fürstenthum, sondern von dem noch immer bewaffneten, durch die Anhänglichkeit der Russen noch immer gefährlichen Feinde erkaufte er den Frieden, der eben damals ihm unentbehrlich war, weil Witold die Tataren bekriegen wollte.

 

Toktamysh ein tatarischer Chan, von Timur verjagt, hatte zu Witold sich geflüchtet, der, ihm HüIfe zusagend ‚alle russische Fürsten leicht überredete, gegen den alten gemeinschaftlichen Feind mit ihm sich verbinden. An den Grenzen von Smolensk hielten alle einen Kriegsrath. Doch vor der Hand lag dem schlauen Witold weniger die Demüthigung der Tataren als die nächste Beute das Fürstenthum Smolensk am Herzen, da Chleb, der Witolds Waffen es verdankte, dennoch Fürst und nicht bloß Statthalter seyn wollte, Mehr kühn als klug hatte auch er sich im Kriegsrath eingefunden, und Witold, ihn höflich aufhaltend, ließ indessen durch sein Volk das Land besetzen. Mit Gütern wurde der Betrogene abgespeist, aber einer so unedel errungene Herrschaft mit Recht mißtrauend, blieb Witold in Smolensk, um neue Wälle aufzuwerfen, indessen sein Feldherr, Olgerd, sammt den Russen über den Don und die Wolga setzte, und in einer Schlacht, in der drey Chane blieben, die Tataren überwand. Auch soll damals der Fürst von Räsan , Witold immer thätiger Feind, durch Verheerung seines Gebiets bestraft worden seyn.

 

Allgemein hatte der glänzende Sieg die Fürsten ermuthigt, und auch Wassili, Großfürst von Moscau, trat jetzt um so lieber dem Bunde bey, da enge FamiIienbande, ihn als Tochtermann an Witold, das

 

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Haupt desselben, fesselten. Jetzt besuchte er seinen Schwiegersohn in Smolensk, und ein neuer Feldzug wurde im Jahr 1397 veranstaltet.

 

Von Kiew brach das Heer auf, gieng bey Assow über den Don, und schleppte ganze Horden der überraschten Tataren mit Weibern und Kindern in die Gefangenschaft. Aber noch war nichts entschieden. Ein im nächsten Jahre geliefertes Treffen raubte Witolden den einen Bruder. Dennoch fuhr er hartnäckig fort, des schrecklichen Timur Zorn zu reizen, bis er im Jahr 1399 durch dessen Feldherrn Ediga an der Worskla eine gänzliche Niederlage erlitt *), und seine eigene Rettung nur einem schnellen Rosse verdankte, indessen ein Bruder des Königs von Polen, Andreas Wigund, die Fürsten Iwan von Kiew, Chleb von Smolensk und mehrere von Witolds nahen Verwandten auf dem Schlachtfelde blieben; worauf die Tataren Sewerien und Wolhynien verwüsteten, und Kiew um 3000 Goldstücke brandschatzten **).

 

In dieser Schlacht soll auch Switrigail gefochten haben und, gleich seinem Vetter, nur durch ein schnelles Roß dem Tode entgangen seyn. Es ist möglich, aber zweifelhaft. Denn daß er wenigstens ein

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*) Die Russischen Chroniken beschuldigen Witold ungeheuerer Prahlereyen, durch die er vor der Schlacht die Tataren gereizt habe. Das ist unwahrscheinlich, (Татищевъ 395.), gleichwie die List, deren die Tataren sich bedienet haben sollen, ihn sicher zu machen.

**) Die Russen sagen, 3000 Rubel habe Kiew, und 300 das Petscherskische Kloster gegeben. 398.)

 

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Jahr früher noch Unzufriedenheit hegte, beweisen zwey an ihn gerichtete Schreiben des Hochmeisters in Preußen, der in dem ersten ihm sein Beyleid bezeugt und ihn an die Ordens-Gesandten verwies, die noch in Ungarn sich aufhielten *). Also war wohl Switrigail 1398 nach Ungarn geflohen **) und hatte von dort aus neue Verbindungen mit dem deutschen Orden angeknüpft. In dem zweyten meldet ihm der Hochmeister: der Comthur zu Rheden, Graf Kyburg, habe keine Vollmacht gehabt, mit ihm etwas abzuschließen. Guten Rath wisse man ihm nicht zu geben. Mit Witold sey noch kein Friede gemacht, sondern nur ein Tag zur Unterhandlung bestimmt. Also fürchtete der Orden sich mit ihm einzulassen, um das Friedenswerk mit Witold nicht zu stören. diese getäuschte Hoffnung mag damals Switrigail’n bewogen haben, Vergleichs-Vorschlägen Gehör zu geben, die ihn nach Podolien als Statthalter versetzten und vielleicht auch zum Mitkämpfer in dem ein Jahr später gelieferten unglücklichen Treffen machten.

 

Es scheint, er habe, in seiner untergeordneten Lage, ruhig bessere Zeiten abgewartet, um seine Rechte geltend zu machen. Denn auf die deutschen Ritter konnte er nur vertrauen, wenn deren eigener Vortheil sie mit Witold entzweyte, Schon damals versuchte

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*)Belege zu Kotzebue’s Preußischer Geschichte, III. Band. S. 288.

**) Auch Lindenblatt’s Chronik erwähnt seines Aufenthalts in Ungarn, und das geheime Archiv liefert ein lateinisches Beglaubigungsschreiben Switrigail’s für Czossistczo ausgestellt in Prespurk, Sabatho post festum Scte Dorothee, doch ohne Jahrzahl.

 

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Switrigail, auch den Pabst in seinen Vortheil zu ziehen; auf welche Weise, ist unbekannt; aber ein Schreiben des Ordens-Procurators zu Rom; Johann von Velde, berichtet am Tage St. Dominici 1402 (4. August) daß er für die Bullen, „die er vom Pabste für Herzog Switrigail erworben, 60 Duces ausgegeben habe *)." diese Bullen sind verlohren, was enthielten sie? vermuthlich eine Art von Urtheil oder Gutachten des Pabstes über Switrigail’s Rechte auf Litthauen. diese schlummerten jetzt. Nur im Jahre 1401 wird eine Kriegsthat von ihm erzählt, indem er den unruhigen Woywoden der Wallachen überwunden und gefangen. Wichtiger war für ihn, Herzen zu erobern, und daß ihm solches gelungen, bezeugt ein geachteter Chronikenschreiber **) mit den Worten: „und viele Russen und Polen warfen ihn zu einem Herrn auf.“

 

Das reizte natürlich Witolds Eifersucht, erregte auch wohl Furcht. Um Switrigails etwanigen Entwürfen vorzubeugen, beschloffen Witold und Jagiel die feyerliche Vereinigung Litthauens mit Polen, beriefen im Jahr 1401 ihre Edlen nach Wilna, und mit deren Zustimmung, erklärten sie den Beschluß: daß, nach Witolds Tode, Litthauen sammt allen seinen Provinzen an den König und das Reich zurückfallen und ohne gegenseitige Bewilligung Polen nie einen König, Litthauen nie einen Großfürsten wählen solle ***).

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*) Geh. Archiv.

**) Lindenblatt.

***) In dieses Jahr setzen die Russen einen Friedens- und Allianz-Tractat zwischen Witold, dem Großfürsten Wassili Dmitrewitsch und dem Fürsten Iwan Michailowitsch von Twer. (402.) Ferner ist hier einer Sage zu erwähnen, welche Lindenblatt’s mit Recht geachtete handschriftliche Chronik liefert: Witold habe in diesem Jahre Nowogorod belagert und gestürmt. Da hätten die Russen ein groß Wildgarn über die Mauer herausgehängt „und zogen die Leine zusammen und fiengen über 60 Mann gleich als Wild.“

 

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Beyde fühlten wohl, daß Switrigail, hintangesetzt einst durch seinen Widerspruch die Kraft des Vertrages schwächen könne. Darum lockten sie auch ihn nach Wina, und er war hochherzig oder gutmüthig genug zu erscheinen, Doch als er erfuhr, wovon die Rede sey, und in der Feinde Gewalt, die freye Willensäußerung seinem Leben gefährlich wurde, nahm er seine Zuflucht zur Verstellung, hieng, wie eine alte Chronik behauptet *) ‚ein falsches Insiegel an die Urkunde , zeigte sich fröhlich bereit einem Schmause beyzuwohnen, entfloh aber selb dritte, als Kaufmann verkleidet, nach Marienburg in Preußen, und vergebens suchte Jagiel durch freundliche Botschaft ihn zur Rückkehr zu bewegen. Seine Diener folgten ihm einzeln.

 

Daß er dem Orden ein willkommenes Werkzeug seyn werde, durfte er jetzt erwarten und fand sich nicht betrogen. Zwar hatten die Ritter, in einem ohnlängst mit Witold geschlossenen Frieden, seiner nicht erwähnt, sondern ihn unedelmüthig seinem Schicksal überlassen; aber nun hatte Witold diesen Frieden schon mannichfach gebrochen; durch verbreitete Wahrheiten an allen christlichen Höfen den Orden entlarvt, und eben weil er Wahrheit sprach, ihn um so mehr

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*) Lindenblatt.

 

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erbittert, vor Allem aber mußte ihm eine Vereinigung Litthauens mit Polen auf ewige Zeiten unleidlich seyn; denn so verlohr er das alte gewohnte Spiel‚ beyde Völker gegen einander zu verhetzen. Darum wurde Switrigail mit offnen Armen aufgenommen, ob wohl man Schutz und Beystand ihm theuer verkaufte. Versprechen mußte er, „wenn ihm Gott zu seinem väterlichen Gütern helfe,“ Alles treulich zu erfüllen, was Witold nur versprochen aber nicht gehalten hatte, auch „die Lande und Herrschaft der Russen zu „Pleskow," auf welche Weise sie genommen würden, dem Orden abzutreten *).

 

Zwey förmliche Urkunden wurden darüber ausgestellt **), und nun begann der Krieg, der den Großfürften jetzt um so unwillkommener überraschte, weil um eben diese Zeit der entsetzte Fürst Georg von Smolensk, mit Hülfe seines Schwiegervaters von Räsan sein Fürstenthum wieder erobert, und Witolds Besatzungen grausam gemißhandelt hatte. Zwar rächte Witold diesen Schimpf mit gewohnter Schnelligkeit, und vertrieb den beraubten, vergebens in Preußen um Hülfe flehenden Fürsten auf ewige Zeiten nach Ungarn ***); allein er fühlte sich doch durch diesen Kampf geschwächt, konnte Litthauens Verwüstung nicht hindern; und mußte Frieden suchen, wenigstens Zeit

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*) No. 2. Geh. Archiv zu Königsberg.

**) Eine derselben liefert der Anhang in extenso.

***) Ein Umstand, der zu bezweifeln seyn möchte, da, laut einer Urkunde vom Jahr.1402 (Собр. Гос. Гр. И Догов. p. 65.) der Fürst von Räsan durch den Großfürsten Wassili Dmitrewisch mit Withold wieder ausgesöhnt wurde.

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zu gewinnen. Denn wäre sein Gesuch schon im Jahr 1403 ihm Ernst gewesen, so würde er, bey der ersten prunkvollen Zusammenkunft mit dem Hochmeister, weniger Uebermuth gezeigt haben. Die Unterhandlung zerschlug sich. Auch Switrigail war gegenwärtig, und Witold klagte, daß man seinen ärgsten Feind ihm gegenüber gestellt, der, (wie der Kläger unerwiesen hinzu fügte) Mörder gegen ihn gedungen habe. Damals antwortete der Hochmeisters: „Er ist in Treue zu uns gekommen, die wir auch an ihm beweisen, und wollen noch mögen ihn von uns nicht Iassen, ihm widerfahre denn ein Mögliches.“

 

Trotz dieser schönen Worte war ein Jahr später, als der bedrängte Witold den Frieden wirklich unterzeichnen mußte, von Switrigails Ansprüchen weiter nicht die Rede. Der treulose Orden ließ das unnütz gewordene Werkzeug wieder fallen. Da mußte der unglückliche Fürst mit seinem Bruder Jagiel sich versöhnen. Nach allem was vorgegangen, mögte es scheinen, er habe nicht ohne Gefahr seines Lebens dem fühllosen Bruder sich in die Arme geworfen; allein ihn schützte wohl die argwöhnische Scheu, die den König stets wünschen ließ, daß Witold nicht zu mächtig werden, nicht ganz sorglos auf seinem Fürstenstuhle sitzen mögte, darum bewirkte er selbst, nicht allein kühle Versöhnung zwischen den grollenden Vettern, sondern — da während der letztern Begebenheiten die Polen, aufrührisch in Podolien, des abwesenden Switrigail Besatzungen verjagt und ein Gesetz gegeben hatten, daß künftig nur ein Pole dort befehlen solle, folglich Switrigail hier keine anständige Versorgung mehr finden konnte — so mußte Witold

 

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auch Jagiel’s befehlenden Wunsch erfüllen, die Fürstenthümer Bransk und Starodub ihm einzuräumen. Seinen Aufenthalt wieß er in Sewerien ihm an, um ihn leichter zu bewachen.

 

Doch ohne Waffengerassel gab es für Witold keinen Genuß, denn vom Kriege, wie vom Trunke, kann der Mensch sich schwer entwöhnen. Mit Preußen war Friede, der Nebenbuhler entwaffnet; so brach nun Witold eine Ursach vom Zaune (1406), den Großfürsten von Moscau, seinen eignen Schwiegersohn zu befehden. Den Vorwand lieh ein nicht geleisteter Schadenersatz für geplünderte Kaufleute. Eine persönliche Zusammenkunft an der Ugra söhnte jedoch scheinbar die verwandten Fürsten aus, nachdem Wassili, wie behauptet wird, sowohl der Kaufleute Verlust als Witolds Kriegskosten erstattet hatte *).

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*) Die Russen berichten vom Jahre 1403, Witold habe durch den Fürsten Lugwen Wäsma befriegt, woselbst die Fürsten Iwan Swätoslawitsch und Alexander Michailowitsch gefangen worden. (411.) 1404 habe Witold 7 Wochen vergebens vor Smolensk gelegen; Fürst Georg sey nach Moscau gegangen, um yon dessen Großfürsten Hülfe zu erflehen, die dieser jedoch verweigert, weil Witold sein Schwiegervater und mit ihm in Frieden sey. Georgs Abwesenheit benutzend, hätten die SmoIensker, die Witold mehr als ihn geliebt, dem ersten ihre Thore geöffnet, wo derselbe Georgs Gemahlin, Olga, eine Räsanische Fürstin, gefangen, mit vielen Bojaren nach Litthauen geführt, und Alle, die ihm nicht zugethan, ermordet habe. Georg aber sey nach Nowogorod entflohen. (S. 413 u. f.). - Von seiner Flucht nach Ungarn ist auch hier nicht die Rede, wohl aber wird bey dem Jahr erzählt 1413 erzählt (423.), als die Nowgoroder seinetwegen von Jagier und Witold bedroht worden, habe er, um Blutvergießen zu verhüten, sich für die so lange genossene Gastfreundschaft mit Thränen bedankt, und sey freywillig zu den Deutschen entwichen. — 1405 predigte Antonius, Bischoff von Turowa den griechischen Glauben in Litthauen, und bei dieser Gelegenheit wird behauptet, Witold sey vormals griechisch getauft, allein nachher, seinem Vetter Jagiel zu gefallen, zu der lateinischen Kirche übergetreten. (419.) Bey dem Jahre 1406 erwähnen die Russen freylich eine Unternehmung Witolds gegen das Gebiet von Pskow und gegen Woronesch, auch eines Zuges des Großfürsten Wassili Dmitriwitsch gegen Litthauen (421.); allein von den Begebenheiten an der Ugra wissen sie nichts. Hingegen soll der letztere 1407 mit einen großen Heere gegen Witold ausgezogen, auch mit tatarischen Hülfstruppen bis an die Plawa gekommen seyn, wo man Frieden gemacht, ohne sich zu schlagen. (423.)

 

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Diese erzwungene Nachgiebigkeit mogte den Großfürsten von Moscau bald gereuen; vielleicht suchte er deshalb des Feindes alten Feind zu wecken. Switrigail’s Groll schlummerte leise und sobald er einer neuen Stütze versichert war, brach er los, (1407) verbrannte selbst seine Schlösser von Bransk und Starodub, überlieferte Nowogorodek Sewerien’s Hauptstadt, dem Großfürsten Wassili und gieng nach Moscau; wo er mit großen Ehren empfangen wurde. Nicht als ein herum irrender Abentheurer erschien er dort, sondern begleitet von einem mächtigen Anhange; denn ihm folgten sechs russische Fürsten und eine Menge Bojaren. Ein glänzender Ruf war vor ihm hergegangen. Die russischen Geschichtschreiber nennen ihn einen tapfern, kriegserfahrnen Mann *) und

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*) Къ брани же устроенъ и храбръ и крепокъ на ополченїе. Рускїй Лђтописецъ Часть I. p. 221. Ради извѣстной его храбрости ипытности въ войнѣ. Истор. Росс. Государства ИВАНОМЪ СТРИТТЕРОМЪ. Часть III. p. 101. In der Zeitrechnung setzen die Russen Switrigails Ankunft in Moscau zwey Jahre später als Kojalowicz.

 

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keiner beschuldige ihn der Laster, die der Litthauer Kojalowicz ihm aufbürdet. Wassili empfing ihn mit großen Ehren, und gab ihm Wolodimir, Pereslawl, Jurjew Polskoy, Wolok Lamskoy, ganz Rshew und die Hälfte der Kolomna *).

 

In die nächsten Tage vor dieser Zeit gehört vermuthlich ein Schreiben des Obermarschalls an den Hochmeister vom 10. März, (Dienstag nach Reminiscere) sonst aber ohne Jahrzahl, berichtend, Herr Jacob, der Jungfrauen Kapellan zu Königsberg, sey aus Litthauen gekommen, und mündlich habe Switrigail ihm aufgetragen: „Der Hochmeister solle die Häuser an den russischen Grenzen, Narwa und Wiedau, fleißig hüten bey Tag und Nacht, und sich nicht verlassen auf den Frieden mit den Russen, denn ihnen sey nicht zu trauen. Er selbst werde jetzt mit dem russischen Metropoliten nach Rußland ziehen, und könne nun keine andere Botschaft an den Hochmeister bringen, als durch Russen nach Narwa und Wiedau. Dort solle der Hochmeister bestellen, daß es geheim gehalten und ihm gleich zugefertigt

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*) Истор. Росс. Описанная Татищевымъ. Часть IV. Стр. 438. u. a. m.

 

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werde. Er wolle nicht länger in Rußland verweilen, bis seine Sachen sich anders wenden.“ *)

 

Die Freygebigkeit des Großfürsten Wassili Dmitriew beweist, welchen hohen Werth Er darauf setzte, einen solchen Mann für sich gewonnen zu haben. Auf ihn vertrauend, brach er mit Witold **), der sogleich an der Spitze eines großen, bey Smolensk gemusterten Heeres gegen ihn aufbrach. Aber an der Ocka vertheidigte Switrigail einen engen Paß zwischen Morästen mit Russen und Tataren; aus Wäldern und Sümpfen brachen die Seinen plötzlich hervor, jagten und fiengen die streifenden Litthauer. Der Mangel riß in Witolds Heere ein, den Paß überwältigen konnte er nicht; um sich zu retten, mußte er ihn umgehen. Es gelang. Verwüstung im moscowischen Gebiete war die Folge, und ein erzwungener Friede, in welchem der Großfürst, um nur die alten Bedingungen zu erhalten, den neuen Freund aufgeben mußte ***).

 

*) Geh. Archiv.

**) Die Russen erwähnen dieses Krieges nur mit kurzen Worten (432-434.)

***) daß der Großfürst Wassili Dmitrewitsch seiner Gemahlin ihres Vaters hochfahrende Herrschsucht nicht entgelten ließ, und überhaupt mit Witold sich aufrichtig versöhnt hatte, beweist sein Testament, (Siehe des Grafen Romanzow Urkundenbuch S. 83.), in welchem er nicht nur seine Mutter, Sophia Witowtowna, reichlich bedenket, und seinem Sohne ernstlich befiehlt Чти матерь, и слушай своей матери въ мое мђсто своево отца, sondern sie auch (S. 35.), sammt Kindern, Gott und dem Großfürsten Witold empfahl.

 

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Die Litthauer berichten, Switrigail habe, beutegierig, das rückkehrende Heer durch Russen und Tataren in große Noth gebracht. Die Russen hingegen erzählen, er habe, nicht zufrieden, die Hälfte des moscowischen Gebietes zu besitzen, Serpuchow geplündert und verwüstet und sey mit großer Beute heim gezogen. Das erstere ist wahrscheinlich. Das letztere wäre unsinnig, wenn nicht der Großfürst selbst, Kraft des Friedens mit Witold und aus Furcht vor diesem, seinen Gast aus dem Lande getrieben hätte. Da mag Verzweiflung ihn ergriffen und er an Serpuchow seine Rache ausgelassen haben. Rachgier ist doch edler als Beutegier; zumal wenn, wie in diesem Falle, der Unglückliche, den Lockungen des neuen Freundes vertrauend, Alles geopfert, den Weg zur Rückkehr den Weg zur sich versperrt hatte und nun verstoßen wurde.

 

In der That war seine Lage jetzt verzweifelt. Mit Witold und Jagiel unversöhnlich entzweyt, von Wassili verrathen, in Preußen keine Zuflucht findend, so lange der Friede zwischen Witold und dem Orden bestand, wohin sollte er sich wenden? — Die Urkunden schweigen zehn Jahre lang von seinem Schicksale. Es scheint, er habe einen Versuch gemacht, sich in Litthauen zu behaupten, und sey, als der mißlungen, zu den Tataren geflüchtet. Beweise dieser Vermuthung liegen in zwey uns noch erhaltenen Briefen; der Eine, des Comthurs zu Brandenburg an den Marschall, geschrieben zu Mnynisken am Jacobstage, 1408, ( d. 25. July) berichtet, Switrigail sey weg und habe faste Lute (viele Leute) mit sich genommen. Der andere, von demselben Jahre, vom Hochmeister selbst an Witold gerichtet, bezeugt Abscheu vor

 

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Switrigail‘s (sogenannter), Verrätherey, besonders weil er sich zu Leuten gewandt habe, „wo er leichtlich ganz vom Christenglauben abfallen mögte.“ (Damit konnten nur die Tataren gemeynt seyn.) Der Kapellan, den Switrigail gesandt, sey ein Preußisches Landeskind und wollte auch nicht wieder zu ihm ziehen, weil er, so wenig als der Orden, ihm traue *).

 

Genug, der Unglückliche würde hier ganz aus der Geschichte verschwinden **), wenn nicht die russischen Annalen glaubwürdigen Aufschluß über sein Schicksal gäben. Er saß so 9 und ein halbes Jahr gefangen zu Kremmecz, vielleicht war er, in den Reihen der Tataren fechtend, seinem Gegner in die Hände gefallen. Aber große Männer behalten auch im Unglück thätige Freunde.

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*) Geh. Archiv. Die Russen erwähnen allerdings unter dem Jahre 1409 eines tatarischen Einfalls in Litthauen. (434.)

**) Während seiner Ahwesenheit soll Witold, nach den Berichten des Kojalowicz, im Jahr 1414 Pskow und Nowogorod (weil sie dem Orden in Liefland. beygestanden) erobert, mit einem Tribut an Geld, Pferden und Rauchwerk belegt und durch seine Statthalter sie regiert haben. Allein davon wissen die Russen nichts, auch werden Pskow und Nowogorod sonst nirgend als litthauische Besitzungen angeführt.

(Hingegen stimmen die Geschichtschreiber beyder Nationen darin überein, daß Witold 1415 (nach Tatischtschew 1414. IV. p. 464.) durch eine Kirchenversammlung der litthauischen Bischöffe einen eignen Meteopoliten für Kiew erwählen lassen. Ein Schreiben dieses Metropoliten (Zamblak) an die litthauischen Bischöffe, vom Jahr 1416, liefert die Древняя Библїоѳика Часть XIV. 122.

 

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Ein Schreiben de Comthurs zu Ragnit an den Marschall *), ausgestellt zu Tilsit am Georgen-Abend (23. April) 1418, erzählt: man habe durch Kaufleute, „die zu Königsberg wohnhaftig sind und zu Kauwen auf Kaufferschaft gelegen haben,“ erfahren, daß Switrigail „wohl mit 200 Pferden entritten sey, und Herzog Andreas, der Smolensk inne hält, ihm ausgeholfen hat, und auch mit ihm weg sey,“ wobey Conrad von Frewdenberg, der Befehlshaber in Kremmecz, erschlagen worden. „Das soll geschehen seyn in den Osterheiligentagen, und ein Theil sage, daß Switrigail die kleine Walachia inne habe, ein anderer, Podolien. Man habe ihm geschworen und gehuldigt. Darum halte Herzog Witold des Swtrigail Hausfrau in großer Huth, denn er besorge sich, wenn Switrigail seine Hausfrau wieder bekäme, würde sich das Land zu ihm schlagen **).“

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*) Geh. Archiv.

**) Tatischtschew IV. 482. erzählt die Begebenheit folgendergestalt: Der Fürst Dashko Fedor, Ostroschko’s Sohn, habe den Anschlag gemacht, Switrigail'n zu befreyen, und deshalb ein Paar Vertraute nach Kremmecz gesandt, die dem Befehlshaber daselbst ihre Dienste angeboten, auch freundlich anfgenommen worden. Nun sey in der heiligen Woche Fürst Dashko mit 500 Mann bey Nachtzeit vor der Stadt eingetroffen, habe sich durch Hülfe der vorausgesandten Männer der Fähre und der Brücke bemächtigt, sey in die Stadt gedrungen, Conrad, sammt den polnischen und litthauischen Befehlshabern, durch sein Schwerdt gefallen und Switrigail aus den Eisen, im welchen er 9½ Jahr geschmachtet, befreyt worden, worauf beyde Lutshesk (Luzk?) erobert hätten. Hieraus erhellt, dass die Königsberger Kaufleute wahrhafte Nachrichten eingezogen hatten und nur in dem Nahmen des russischen Fürsten irrten.

 

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Freylich war sie eine russische, vielleicht vom Volke geliebte Fürstin. Die Sage, daß man in der Walachey oder in Podolien Switrigail’n gehuldigt, bleibt unerwiesen; gewiß aber ist, dass er wieder auf den Schauplatz trat, in demselben Jahre (1418) wo Witold’s Waffenstillstand mit dem Orden ablief, und neue Feindseligkeiten ausbrachen; ferner, daß er den litthauischen Grenzen nahe geblieben *), großen Anhang gefunden und auf preussische Hülfe nur Rechnung gemacht. Denn so schreibt der oberste Hochmeister **), aus Königsberg am Dienstage, nach St. Dorotheen-Tag 1419 (6 Febr. ) „er rathe ihm, dem Herzog Switrigail wegen der Vlyher (Flüchtlinge, Auswanderer) zu antworten: daß er die Vlyher von Samayten und Litthauen, und sonderlich die rechtfertig seyen und Herzog Smitrigail’s Beyleger und Gönner, wolle aufnehmen, hegen und halten, oder auch ungehindert zu ihm ziehen lassen. Auch hatte Switrigail zu wissen begehrt, welcher Hülfe er sich vom Orden möge zu getrösten haben? Darauf solle der Hochmeister antworten so freundlich und tröstlich, als er vermöge,

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*) Zwar sagt Tatischtschew: er sey damals nach Ungarn entwichen und erst 1420 von da zurückgekehrt, um mit seinem Bruder sich zu versöhnen und in Litthauen zu leben; (IV. 483. 486.) allein die Urkunden beweisen, daß er in der Nähe blieb.

**) Geh. Arch.

 

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dass er seine Verbindung mit Switrigail treulich halten wolle.

 

Hieraus geht hervor, daß die Litthauer und Samayten, Witold hassend, Switrigail liebend, häufig ihrem Vaterlande den Rücken kehrten, und daß der Orden den alten Bund mit dem letztern erneuert hatte. Allein der Orden selbst befand sich damals in solcher Bedrängniß, daß er nur durch päbstliche Vermittlung einen Waffenstillstand mit Polen errang, und da hierdurch abermals Switrigails Hoffnungen getäuscht wurden, so floh er zum Kaiser Sigismund, und knüpfte nothgedrungen, durch diesen Unterhandlungen an, deren Folge Versöhnung mit Jagiel und Witold war; wobey der Besitz von Czernigow und mehreren ansehnlichen Ländereyen, ihm ausbedungen wurde. Denn das geheime Archiv bewahrt noch einen lateinischen Absage-Brief *) von ihm an den Orden gerichtet, geschrieben zu Borawo, terre masovie, im Jahr 1422; der Grund seiner feindlichen Erklärung: weil Witold und der König, fratres seniores nostri et domini gracioflissimi, im Streit mit dem Orden wären, quorum nos fumus subditus, fervitor et adjutor fidelis. Hier nennt er sich dux Lyttwanie et terrarum Czirncow, Bzwor et Trubeczen dominus.

 

Auch ein Bericht des Comthurs von Dünaburg, ausgestellt am Montage nach Quasimodogeniti 1421 **) (31. März) beweist, daß Switrigail, der eingegangenen Verbindung treu, schon damals für Witold

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*) Geh. Arch.
**) Geh. Arch.

 

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gefochten, denn es wird darin erzählt, daß die Tataren aus Litthauen weggezogen, daß Switrigail sie geschlagen und 30 Gefangene an Witold gesandt, der sie habe foltern und köpfen lassen *).

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*) Von Witholds letzten Feindseligkeiten gegen die Russen ist noch zu erwähnen: daß er (nach Kojalowicz) 1426 gegen, Pskow zog; weil aber ein heftiger Regen die Wege verdarb und die von Pskow ihm Geld boten, so kehrte er wieder heim.

 

Tatischtschew hingegen erzählt: Witold habe mit großer Macht vor Pskow gestanden, (497) und die Bürger hätten, als ihre Brücke ganz voll Feinde gewesen, durch Abschneiden der Stricke plötzlich die Brücke, und mit ihr die Feinde hinabgestürzt, wodurch viele umgekommen, viele gefangen worden. Da sey Witold ab- und vor Woronesh gezogen, wo ihn aber ein so heftiges Ungewitter überfallen, daß er selbst geschrieen: Herr erbarme dich! — Darauf habe der Großfürst von Moscau, Wassili Wassilewitsch, sein Enkel, ihn beschickt und ermahnt, dessen väterliches Erbe nicht zu verwüsten. Dem habe Witold sich gefügt. Zugleich hätten die von Pskow ihm 3000 Rubel gebracht, wovon er jedoch nur 1000 angenommen und wieder beim gezogen.

 

1428 soll er, nach Kojalowicz, Nowogorod. noch Einmal wegen Grenz-Streitigkeiten heimgesucht, die Stadt zur Unterwerfung gezwungen und den Tribut derselben vermehrt haben. Tatischtschew erwähnt, (IV. 499.) er habe auch Kanonen mitgeführt, unter andern eine sehr große, genannt Galka (der Feuerbrand), die von 40 Pferden geführt wurde. Sein Büchsenmeister, Nicolaus, habe sich vermessen, die Kirche des heil. Nicolaus in der Stadt durch diese Kanone zu zerstören, was ihm aber nicht gelungen; sondern die Kanone sey plötzlich gesprungen und habe den Woewoden von Polozk, den Büchsenmeister selbst und viel Volks zerschmettert. Indessen hätten die Häupter von Nowogorod, sammt dem Bischof, den Großfürsten durch Bitten und Thränen erweicht, wohl mehr noch durch ein Lösegeld von 10000 Rubeln (von Tribut ist nicht die Rede), und Witold habe als Ursach der Feindseligkeiten angegeben, daß man ihn einen Verräther und Schlemmer (Бражникъ) genannt habe.

 

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So scheint es nun, Switrigail habe, durch Erfahrung belehrt, daß dem Orden nie zu trauten sey und die Russen zu schwach oder zu getheilt waren, ihn wieder auf den väterlichen Thron zu setzen, klüglich Witolds Tod abgewartet, der in so hohem Alter nicht fern mehr seyn konnte. Dennoch starb er erst gegen Ende des Jahres 1430, Kojalowicz bestimmt den 27sten Oktober als seinen Sterbetag, Tatischtschew ‚den 24sten, ein Greis von achtzig Jahren. Ein gleichzeitiger Schriftsteller *) behauptet, er habe zuvor die Großen seines Landes versammelt, und Switrigail zum Erben erklärt, bereuend, daß er ihm so lange die Herrschaft vorenthalten. Ein späterer hingegen **) versichert, er habe sterbend das Großherzogthum dem Könige von Polen übertragen, der auch sammt Switrigail, seiner Leiche folgte.

 

 

III. Switrigail als Großherzog.

 

Als Mitbewerber um Litthauens Fürstenhut traten auf: Siegmund Fürst von Starodub, Witolds Bruder und zwey Neffen von Jagiel, deren Einer Alexander Fürst von Kiew. Aber einmüthig

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*) Cromer.

**) Dlugoff.

 

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wählten die Litthauer und Russen Switrigail *). Würden sie das gethan haben, wenn er, wie Kojalowicz behauptet, ein unsinniger Mensch und immer berauscht gewesen wäre?

 

Er soll die Polen verachtet, beschimpft, ihre Briefe erbrochen, zerrissen, den König beym Bart gezaust, ihm nur die Wahl zwischen Gefangenschaft oder Tod gelassen haben. Hingegen spricht die angeführte Urkunde ausdrücklich: „er ließ seinen Bruder ziehen und erzeigte ihm viel Ehre.“ Ohne Zweifel würde auch der bald folgende feindliche Briefwechsel zwischen ihm und Jagiel, zwischen Jagiel und dem Orden, Spuren davon enthalten, da in demselben alle Vorwürfe erschöpft wurden; allein nie klagt der König, daß sein Bruder ihn gemißhandelt habe.

 

Nur daß er ihn gewissermaßen als Gefangenen zurückgehalten, ergiebt sich aus einem Briefe des liefländischen Ordens-Meisters an den Hochmeister, geschrieben am Dienstage nach Vincenti (31. Januar) 1431 **). Hier erwähnt Jener, daß dieser ihm geschrieben, der neue Großfürst vom Litthauen habe den König von Polen gefangen und gehemmet, weshalb die Polen vom Orden Hülfe begehrt, die Litthauer desgleichen: mit wem er es nun halten solle? — Der kluge Ordens-Meister erwiedert: „der Hochmeister wolle sich eine Weile bequemlich enthalten zwischen beyden Partheyen, bis man sähe, wie es sich damit wollte verlaufen, doch solle er die Litthauer nicht ungetröstet in ihre Heimath

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*) Handschr. des geh. Arch. Buch C.
**) Geh. Arch.

 

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ziehen lassen, da dieser Großfürst von jeher des Ordens großer Gönner gewesen, und fände er jetzt keinen Trost bey dem Orden, so wäre zu befürchten, daß sie untereinander sich vereinigten‚ und den Orden büßen ließen, wo denn auch alle Russen gegen ihn seyn würden. An den Polen hingegen habe man nimmer festen Glauben noch stete Freundschaft befunden.“

 

Switrigail hatte wohl Grund, seinen Bruder fest zu halten, denn kaum war Witold todt, da zogen die Polen, die bey ihm waren, nach Podolien, bemächtigten sich des Landes und befestigten Kammetz. diese schöne Provinz wollte Switrigail nicht von Litthauen trennen lassen; darum ließ er den König nicht eher heim ziehen, bis er das Versprechen ihm abgenöthigt; ihm Kammetz wieder auszuliefern. In Verstellungs-Künsten wohl erfahren, fertigte Jagiel sogar Befehle an den Commandanten aus, ließ aber zugleich insgeheim ihn unterrichten, daß er diesen Befehlen nicht gehorchen sollte. In eine Wachs-Kerze hatte der Schlaue seine Doppelzüngigkeit versteckt. Und als er vollends, heimgekehrt, einen Reichstag zu Sendomir versammelte, wo erklärt wurde, man könne den neuen Großherzog nicht anerkennen, indem Litthauen dem Reiche Polen einverleibt sey; (ein Beschluß. zu dem Switrigail, Olgerd’s rechtmäßiger Erbe, nie seine Einwilligung gegeben) da warf, ohne sein Verschulden, die Zwietracht ihren Apfel aus. Beyde Theile griffen zu den Waffen.

 

Kojalowicz versichert, selbst der Pabst habe dem Großfürsten sein unsinniges Betragen verwiesen, ihn mit dem Banne bedroht. Wäre das geschehn, warum hätte Jagiel sich nimmer auf des Pabstes Zorn berufen? er,

 

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dessen Briefe sämmtlich darauf abzweckten, den Orden von Switrigail abzuziehen. Ganz Europa soll dieser Fürst gegen sich empört haben! - Dem widerspricht geradezu ein Schreiben des Hochmeisters an den Meister in Liefland *), aus Marienburg vom 18. Januar 1431. Hier wird gemeldet, der Comthur von Schlochau sey vom römischen Könige heim gekehrt und habe die Zeitung mitgebracht, der König wolle selbst nach Preussen kommen. Man gehe damit um, daß Switrigail die Krone empfahen solle. Das werde den Orden viel kosten, denn Alle, die den neuen König besuchen wollten, müßten durch Preussen ziehen und wenigstens verköstigt werden. „So sitzen wir nun in großer Fährlichkeit mit den Polen, die uns ernstlich anliegen, uns gegen Litthauen mit ihnen zu verbinden. Wir haben sie mit Glimpf abgewiesen, sind aber sehr bekümmert.“

 

Also weit entfernt, dem neuen Großherzog in fremden Staaten so zu würdigen, wie die Polen es wünschen mogten, war vielmehr schon damals der Kaiser entschlossen, den Mann, den er persönlich kannte, mit Königs-Krone zu beehren. Jagiel bot Alles auf, den Kaiser von seinem Bruder abwendig zu machen, unter andern durch das Vorgeben, daß Switrigail mit den Ketzern, den Hussiten, in Verbindung stehe. Das zu erweisen, sandte er zwey aufgefangene Briefe in böhmischer Sprache an den Kaiser, die der Großfürst an Sigmund Korybut und Prokop sollte geschrieben haben, vielleicht auch wirklich geschrieben hatte; denn da die Polen schon längst mit den Hussiten im Einverständniß waren, so handelte Switrigail

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*) Geh. Arch.

 

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klug, wenn er sie zu trennen suchte. Auch kümmerte sich der Kaiser so wenig darum, daß er vielmehr die (noch vorhandenen) Abschriften dem Hochmeister zusandte, mit den Worten: „Auch lieber Meister senden wir deiner Andacht hierin verschlossen eine Abschrift zweyer böhmischer Briefe, die uns der König von Polen gesandt hat, wie der Großfürst und die Ketzer an einander sollen geschrieben haben, und der König meynt, ihn damit gegen uns zu ergern (uns gegen ihn aufzubringen), des wir aber nicht achten, sondern wir haben solche Schrift dem Großfürsten zugesandt *)."

 

Es ist ferner Verläumdung, wenn die Polen erzählen, Switrigail habe, gleich nach seines Bruders Heimkehr, zu den Waffen gegriffen. Noch am 7. Jan. 1431 war der Krieg nicht ausgebrochen, denn an diesem Tage (Sonntag nach Simonis) schrieb Switrigail an den Hochmeister **): er habe für gewiß gehört, „wie daß der Puchala ken Polen uff sold rufe (werbe) so daß viele aus Reussen und Lamberg zu ihm reiten.“ Was sie damit mögen, wisse er nicht. Der Hochmeister solle sich vorsehen, würden sie ihn aber angreifen, „wir wollen Euch nicht abelossen, sondern mir vollkommlicher Treue beystehen. Gegeben zur Symmo an unserm Hofe.“

 

Die Polen hingegen erzählen, kaum sey Jagiel heim gekehrt, so habe Switrigail Podolien verheert, besonders das Land von Lwow und Trenbowl. Da habe der König ihm entbieten lassen, er solle alsobald jene Länder räumen, sich persönlich stellen und bitten,

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*) Geh. Arch.
**) Geh. Arch.

 

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daß er, nach altem Brauch, zum Großfürsten erklärt werde; wo nicht, so sey Krieg die Losung. Switrigail habe erwiedert, er fodere Podolien nur als sein Erbtheil, und werde nicht ruhen bis er es erlangt habe. Darauf hätten die Polen sich gerüstet, der gute König aber doch noch einen Friedensboten an ihn abgefertigt, der mit einer Ohrfeige zurückgekehrt sey. Nun wären die Polen bey HrodIo über den Bug gegangen, hätten in verschiedenen Scharmützeln Switrigail’n geschlagen und ihn gezwungen sich nach Luzk zu ziehen, weil er, nebst den besten seiner Leute, auch den russischen Fürsten Sjenk im Treffen verloren habe. Da sey Wladimir erobert, und, weil es sich vertheidigt, niedergebrannt worden. Zugleich habe Casimir, Fürst von Masovien, das Fürstenthum Betz gräßlich verwüstet. Hierauf habe Jagiel sein Heer vor Luzk geführt, Switrigail selbst die Stadt in Brand gesteckt, sich in das feste Schloß gezogen, aber auch dieses, einer starken Besatzung es vertrauend, als ein Flüchtling es verlassen; die Polen hätten seinen Nachtrab eingeholt, geschlagen und die berühmten Litthauer, Gastold und Rambowo zu Gefangenen gemacht. Dennoch habe der König Luzk nicht erobern können und die murrenden Polen hätten ihm vorgeworfen, er sey insgeheim auf seines Bruders Seite.

 

Indessen hatte Switrigail Wallachen und Tataren in Sold genommen, und, während er mit Jagiel um Frieden unterhandelt, das Chelmer Land überfallen, Ratnum erobert und die Gegend verheert, bis der Adel die Waffen ergriffen und ihn bey Chelmno und Kremmtz geschlagen. Die Belagerung von Luzk habe bis in den Winter gedauert, Menschen

 

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und Thiere sehr gelitten, und Alles nach Frieden geseufzt.

 

Weil aber Alexander, Fürst der Wallachen, eben damals Podolien und der Orden Dobryn angegriffen, so habe Switrigail den Frieden verschmäht, bis mehrere Niederlagen seiner Bundesgenossen zu einem Waffenstillstande ihn gezwungen, worauf beschlossen worden, am 25. Febr. zu Parczow über den endlichen Frieden zu unterhandeln.

 

So berichten Kojalowicz und Dlugoff die Begebenheiten des Jahres 1431. Aber noch vorhandene Urkunden des deutschen Ordens *) beweisen, daß Polen zuerst ein Kriegsheer an den russischen Grenzen sammelte, nachdem es der Königin durch glatte Worte nicht gelungen war, den Orden von ihrem Schwager abzuziehen. Ihr heuchlerischer Gemahl versuchte noch einmal seinen oft zu arglosen Bruder zu bethören, ihm schreibend, er möge kommen mit geringer Begleitung, sie wollten die Händel freundlich abthun. Switrigail mißtraute den gleisnerischen Worten, versprach zu erscheinen, beschloß aber, durch ein zahlreiches Gefolge sich zu decken. Allein noch vor dem angesetzten Tage, empfing er schon den Absagebrief der Polen, die zugleich in Rußland einfielen, das Städtlein Hrodlo zerstörten. (Jagiel’s Einladung, wie seine Kriegs-Erklärung, sind noch vorhanden.)

 

Nun rüttelte sich der Orden, von Switrigail aufgefodert. Das zu hintertreiben, brachte der Bischof von Leslau Friedens-Worte, und der König selbst schrieb an den Hochmeister in süßlichem Tone: „er

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*) Buch C. des geh. Archivs.

 

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wolle mit ganzer Macht gen Litthauen ziehen, bittend, daß Eure Liebe und Freundschaft sich dieweile lasse befohlen seyn, unsern höchsten Schatz den wir haben, unser Weib und Kind, die jungen Herrlein.“ Als aber die glatten Worte nicht in die Ohren der Ritter drangen, berannte er Luzk, noch immer hoffend, des Ordens Feindschaft sey nicht ernstlich gemeint. Allein der hatte, am Dienstage vor Johanni, ein förmliches Bündniß mit Switrigail geschlossen *), und rückte plötzlich mit Heeres-Macht ins feindliche Land. Diese Zwischenkunft war es, die den König bewog, einen Waffenstillstand zu genehmigen, bey welchem der redliche Switrigail dieselben Bundesgenossen nicht vergaß, die schon mehr als Einmal ihn vergessen hatten. In Lybicz sollten zwölf Prälaten und Räthe sich versammeln, Jagiel und Switrigail in der Nähe, jener in Partzow, dieser in Brzesc, die Unterhandlung leiten.

 

Der König versuchte abermals durch oft wiederholte süße Einladungen den Bruder ins Garn zu locken, allein vergebens. Switrigail schrieb an den Hochmeister: „meinen Marschall Rumpolt hält der König gefangen, will ihn nur auf das Vorwort meiner Unterthanen, der Litthauischen Herren befreyen, nicht auf das meinige. Wenn er ein so kleines uns nicht trauen will, was sollen wir ihm denn unseren eigenen Leib glauben und vertrauen **)?" Und am 7. April

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*) Es ist in den Belegen zu Kotzebue’s Preußischer Geschichte, III Bd. p. 468. abgedruckt.

**) Geh. Arch.

 

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(Montag nach Lätare) wiederholte er aus Traken *): der Bote, den er wegen Rompold und dem mit gefangenen liefländischen Marschall nach Polen gesandt, sey unverrichteter Sache zurück gekommen. Der König habe den Brief mit anhängendem Insiegel nicht angenommen. „So vernehmen wir offenbar aus dem, daß er die brüderliche Liebe zu uns nicht will tragen, als sich das gebührte. So haben wir ihm nun verschrieben, sintemal er die unsrigen nicht will geben, daß dann Er die Seinen uns stelle. (Die folglich Switrigail auf Bürgschaft unbedenklich los gelassen hatte.) Das schreiben wir Euch des Leidens klagende sam Jenem (als Einem) der in unserer Freude sich soll mit uns freuen und im Leiden Mitleidung haben.

 

Nun vermeynte Jagiel den Orden anzugreifen, vorwendend, dieser habe den Waffenstillstand gebrochen. Doch Switrigail erklärte: wenn dies geschähe, werde er unverzüglich an Polen Rache üben. Nicht einmal des Königs gleisnerisches Erbieten, ihn „zum Verweser und Regierer des ganzen Landes Polen zu ernennen,“ konnte den Redlichen erschüttern. „Ich werde nicht vom Orden scheiden,“ sprach er, „wenn du mir auch die ganze Welt versprächest.“

 

Endlich fertigte Jagiel einen Geleitsbrief aus für die zwölf Prälaten und Räthe, die den Frieden unterhandeln sollten, doch erwähnte er in demselben weder des Ordens noch der Wallachen, die auch für seinen Bruder gefochten hatten. Darum verwarf Switrigail das Geleite und die Räthe giengen auseinander.

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*) Geh. Ach.

 

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Diese Erzählung, die auf einer Seite so viel Arglist, auf der andern so viel Treue und Glauben zeigt, ist auf unverwerfliche Urkunden gestützt, und manche sind noch zurück, die der Polen falsche Angaben klärlich beweisen.

 

Switrigail, der, wie oben erwähnt, am 7. Januar „noch nicht wußte, was die Polen mit ihren Werbungen meynten,“ konnte auch, weder am 25. Januar noch am 5. Februar, in Podolien seyn; denn in dem ersten dieser Tage unterzeichnete er zu Wilna eine frledliche Vereinbarung mit Großnowogorod *), und am andern (Montag nach Maria Reinigung) schrieb von Wilna an den Ordens-Marschall ein Beglaubigungs-Schreiben für „den edlen Smolna, unsern Kämmerer, der da auch unsers Vorfahrers Liephaber (Günstling) ist gewesen **);“ eine Urkunde, die zugleich beweist, wie milde Switrigail mit seines Todfeindes, Witold, nächsten Freunden verfuhr. Auch am 16. März war er noch immer in Litthauen und hatte kein Kriegsvolk in Podolien, Denn an diesem Tage (Freytag vor Judica) schrieb er von Traken an den Ordens-Marschall Herrn Heynrichholt ***): die Polen wären von Kammetz weggeritten, nach

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*) Собранїе Государств. Грамотъ и Договоровъ p. 24. Schade daß von dieser interessanten Urkunde so wenig mehr zu lesen ist. Am Schluß derselben ist ausbedungen, daß, bey entstehender Feindschaft, ein Monat vor wirklichem Ausbruch der Feyde ein Absagebrief übersandt werden solle.

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**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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Podolien „zu unserer Stadt Braslaw, allwo sie großen Schaden gethan im Lande unsern Leuten, und Jammer und unermeßlich, das sich nicht ziemt Euch zu schreiben." Die Leute, die den Jammer an Weibern und Kindern gesehn, hätten sich nicht enthalten können, sondern wohl zwanzig nahmhaftige Ritter und Herren von Polen todt geschlagen.

 

Also war es nicht Switrigail, der Podolien verwüstete, sondern die Polen selbst machten der Greuel sich schuldig, die Kojalowicz Jenem andichtet.

 

Auch am 29sten April saß der Großfürst ruhig zu Nowogorodek, laut seines Schreibens an den Ordens-Marschall, geschrieben am Sonntage vor Philippi und Jacobi *). Dieser Brief ist in mehr als Einer Hinsicht merkwürdig, besonders weil er ein helles Licht auf die ihm angeschuldigte Verbindung mit den Hussiten wirft. Er habe, heißt es in demselben, eine stattliche Botschaft an den König, seinen Bruder, gesandt, nemlich den Herzog Wassili, Hewpt zur Witewsko, die Herren Kirsgal, Chodken und Südymunth, die seyen nun zurückgekommen. Der König wolle 14 Tage nach Pfingsten einen Tag mit ihm halten, er aber es verschieben bis Maria Magdalene. Der König drohe ihm und dem Orden mit den Hussiten, aber die wären nicht im Guten von ihm geschieden, und gerade die, auf die er am meisten baue, Procop und Herzog Siegmund (Korybut) hätten, sammt den ältesten der Hussiten, sich gegen Switrigail erboten, dessen Feinde oder Freunde als die ihrigen zu erkennen. Er aber wolle deshalb den römischen König beschicken, und ohne dessen

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*) Geh. Arch.

 

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Zustimmung sich auf nichts einlassen; auch dann um der Polen Hoffarth etwas zu demüthigen.

 

So erklären sich zur Gnüge die böhmischen Briefe, die, von Jagiel aufgefangen, dem römischen Könige hämisch zugesandt wurden, doch auf diesen keinen Eindruck machten.

 

Auch am 9ten May befand sich Switrigail zu Garthen (Grodno), von wo er, in vigilia ascensionis, schreibt *): er habe von seinem Bruder gefodert, daß er ihm die Schlösser Kammetz, Smotacz u. a. m. zu Podolien gehörig abtrete, noch vor der Zusammenkunft (er nennt sie Parlamenth) an dem bestimmten Tage, so wie der König mündlich und schriftlich oft versprochen habe. (Also hatte Switrigail doch ein gutes Recht, auf dieser Abtretung zu bestehen.)

 

Ferner wird vom ihm gemeldet; sein Bote, der strenge Ritter Peter, Hewpt zu Nowogorodek, sey vom tatarischen Kaiser zurückgekommen, und versichere, dass derselbe in wahrer Liebe und Freundschaft mit ihm leben wolle, wie mit seinen Vorfahren, und ihm beystehen, nicht nur mit seiner ganzen Macht, sondern auch mit seinem eignen Leibe, wann und wo das Noth wäre. Darauf habe er seine Handfeste gegeben, gleichwie die vorigen Kaiser sich Switrigail’s Vorfahren verschrieben haben, und um diese Freundschaft zu bekräftigen, schicke er vier seiner höchsten Fürsten, unter ihnen seinen frommen Vater. Auch habe der Kaiser ihm den Grehory Prothasy, Hewpt zu Mznsko, nebst mehreren Gefangenen, zurückgesandt.

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*) Geh. Arch.

 

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Dieser Brief ist ein Beweis von Switrigail’s Thätigkeit, wie von dem Ansehen in welchem er stand.

 

Auch am 15. Juny hielt er zu Kauen Hof und meldete von dort aus dem Hochmeister *), daß er am Freytage vor Johanni nach Kirsmemel kommen wolle, um ewige Freundschaft, „so Gott will" mit ihm zu schließen. Und am 22. Juny schrieb er aus Wilna **), er höre, daß der Hochmeister über das Haff gekommen ihn zu besuchen, und erwarte ihn mit Freuden. Den vorausgegangenen Ordens-Marschallsende er die Aeltesten des Rathes entgegen, nemlich die Herren Ostik und Gedigolt, Hewpter zur Willd, „die ihn lieplich aufnehmen sollen.“

 

Am 25. Juny (nach bereits geschlossenem Bündniß) berichtet er dem Hochmeister, abermals aus Wilna (Montag nachJohanni) ***), die Polen zögen von dreyen Enden auf seine Häuser, das Städtlein. Hrodlo hätten sie ausgeplündert; die Häupter daselbst, nebst andern russischen Leuten, hätten sich lange mit ihnen herum geschossen, „daraus mögtIhr wohl merken, wie sie den Frieden mit uns halten als verschrieben war.“

 

Noch enthält dieses Schreiben ganz besondere Umstände, die nicht mehr zu enträthseln seyn mögten. „Als denn Eure Liebe mit uns geredet hat von der Vröwlyn (Fräulein? wegen von Pommern, wisset daß wir anders sprochen seyn denn sie, und können uns nicht vornemen, jedoch gefüget es Gott, wenn wir mit

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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dem römischen Könige zusammen kommen; wollen seines Rathes darinnen gebrauchen, ob uns andirs solches darwider nicht vurkommt, als wir das auch dem römischen König verschrieben haben, auch vor der Sammlunge unseren Drope (sic) haben wir in seine Hände gelegt, daß seine Gnade selber den Tag und Stat soll verramen, als wir ihm das nun schreiben.“

 

Vielleicht hatte der Hochmeister ihm eine Trennung von seiner russischen Gattin und eine pommersche Fürstin zur Gemahlin vorgeschlagen.

 

Endlich am 3. July meldet er dem Ober-Marschall aus Nowogorodek, am Dienstage Nachts nach Visitationis Mariä *), ein schneller Bote habe ihm Briefe gebracht, dass die Polen mit Büchsen gegen seine Grenze ziehen, um ihn anzugreifen. Darum möge der Hochmeister flugs die Seinen aufbieten. Zögen die Polen nach Preussen, so wolle er in ihr Land fallen; zögen sie nach Litthauen, so solle der Orden Polen angreifen, auch solches dem römischen König berichten.

 

Bis hieher also nahm Switrigail weder persönlich Theil am Kriege, noch hatte er ein Heer im Felde, sondern Alles beschränkte sich auf Streifereyen der Polen. Von seiner Zusammenkunft mit dem Könige war weiter nicht die Rede. Also hub Jagiel die Belagerung von Luzk an, als erst zehn Tage vorher sein Bruder Kunde von dem feindlichen Einfall erhalten hatte. Nun griff auch er zu den Waffen, entfloh aber nicht aus Luzk, wie vorgegeben wird; denn eben aus diesem Schlosse **) und bald nachher aus seinem

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch. bey C.

 

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Feldlager (am Dienstage vor Mariä Geburt den 4ten Septbr.) *) schreibt er an den Hochmeister: er habe mit dem Könige einen Waffenstillstand abgeschlossen auf Ein Jahr, von Johanni bis wieder zu Johanni. Der König räume Lawczk und ziehe heim. Drum danke er für die empfangene Hülfe, die er dem Orden nie vergessen werde; jetzt aber bitte, er die Kriegs-Völker abzurufen.

 

Später, im Oktober, schickte Switrigail aus Worani wichtige, für den römischen König bestimmte, Briefe an den Hochmeister, mit der Bitte, sie durch Boten zu befördern **); ein neuer Beweis, theils von dem Vertrauen, welches er auf den Orden setzte, theils von seinem ununterbrochenen Einverständniß mit Kaiser Sigismund.

 

Am 7. November (Mittwoch vor Martini) theilt er aus Ramolz dem Hochmeister die Nachricht mit ***), daß sein Bruder ihm geschrieben, der Orden sammle sich stark und gehe über die Weichsel, Polen zu beschädigen. Allein er habe geantwortet: der Orden werde den Frieden nicht brechen, wenn Polen es nicht thäte, und geschähe das, so werde er seinen Bundesgenossen beystehn. Also wieder eine Spannung, an der die Ritter nicht unschuldig seyn mogten, wo aber Switrigail sie standhaft vertrat.

 

Er benutzte die kurze Ruhe, um den Handel seines Landes zu befördern; denn aus diesem Monat (Novbr.) finden sich drey Briefe von ihm ****), in deren Einem er um Geleit „für die vorsichtigen Hans Tscheir und

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

****) Geh. Arch.

 

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Niclas Sachse, dessen Schwager, unser Hofgesinde“ die in Geschäften nach Schlesien giengen; in dem andern für Bomann, Bürger vor Wilna, der in Handels-Angelegenheiten nach Danzig reise. Aus beyden erhellet zugleich, daß er viel und gern der Deutschen sich bediente. Das beweist auch der dritte, ein Beglaubigungs-Schreiben für Andres Mzus, Marschall seines Hauses, und Niclas Schellendorfer „aus der Slesic, Inewonere unsers Landes.“

 

Zwey Schreiben vom 20. und 23. Novbr., jenes aus Wilkomyre (Dienstag nach St. Elisabeth), dieses aus Pyniany (Freytag am Tage Clementi) *), lieferten dem Orden neue Merkmale, von Switrigail’s dankbarer Treue. Der Hochmeister hatte geklagt, daß die Polen an den Grenzen mancherley Unfug verübten; wogegen freylich die Polen einwanden (wie ein Schreiben des Königs aus Krakau vom 21. December, St. Thomas-Tag, beweist), es sey Alles nur quasi repellendo vim geschehn **). Switrigail meldete nicht nur, daß er deshalb sogleich seinen Schreiber an Jagiel gesandt, sondern ersuchte auch den Hochmeister; ihm einen seiner Gebietiger zu schicken, „uff unser lieben Frowen Tag als man Kerze weyht, uff den Tag der zwischen uns und den Polen verramt ist, der da bey. allen Teidingen zugegen sey und rathe.“ Was die Gefangenen betreffe, so vermuthe er, daß Jagiel „sie uff unsere Hand (Bürgschaft) geben werde.“

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Wahr ist also, was Kojalowicz erhlt, daß in einem Scharmützel bey Luzk vornehme Gefangene den Polen in die Hände gefallen, unter andern des Ordens Landmarschall aus Liefland. Das Schreiben aus Wilkomyre enthält die Nachricht, daß derstrenge Ritter Michel, Switrigail’s Marschall, von dem Könige in Polen sehr gut empfangen worden. Doch habe dieser Gesandte in Erfahrung gebracht, daß die Polen, nach Ablauf des Waffenstillstandes, zwar mit Litthauen, aber nicht mit dem Orden Frieden halten wollen. Wenn das geschähe, so wolle auch Switrigail brechen, „wenn wir sammt mit den unsern von Euch nie abtrünnig wollen werden.“ Einen gewissen Faschker (dessen Character Switrigail durchdie Worte bezeichnet: „der aller Zweiunge und Krieges zwischen uns und dem Könige Zuträger ist“), hätten die Polen nach Rom gesandt; der werde ohne Zweifel viele Unwahrheiten dem Pabste vorbringen, darum solle der Hochmeister seinen Procurator in Rom davon benachrichtigen.

 

Am 16. Decbr. (Sonntag nach Lucie) schrieb der Großherzog *), sein Schreiben sey zurückgekommen. Er hatte wegen des gefangenen Landmarschalls, auch wegen Rompold und Gastold, einen Bürgebrief „mit unsers und unserer Fürsten und Bojaren Ingesiegel“ nach Polen gesandt, und zur Antwort erhalten, daß ein gewisser Manßik, der schon unterwegs sey, ihm über Alles Auskunft geben werde. Was der nun bringe, wolle Switrigail sogleich durchseinen Diener Gabriel berichten. Er vermuthe, daß sie

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*) Geh. Arch.

 

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ihn nur vom Orden abziehen wollten. „Aber Ehrwürdiger Herr,“ fügte er hinzu, „habet guten Muth und zweifelt an uns in keinerley Weise, wenn keine Werlet (Welt) uns von Euch scheiden mag, sondern wollen Euch getreulich beystehen und fruntlichen mit varen, als Ihr uns des erzeigt habt. Hütet nur die Grenzen, daß sie in der Freden der Falschheyt und Untreue nicht beweisen, als uns vor Lautske beweiset haben.“

 

Der letzte Wink erregt die Vermuthung, daß jene Gefangene durch einen treulosen Ueberfall gemacht worden. Später meldete Switrigail *), die seinigen wären losgelassen, aber nicht der Landmarschall von Liefland. Es sey von keinem Nutzen, daß er ferner auch für diesen sich verwende, da seine Briefe in Polen gar nicht mehr angenommen würden; der Hochmeister möge künftig sie selbst bestellen.

 

Am 17. Decbr. (Montag vor St. Thomas) fertigte Switrigail in Wischnowo ein Beglaubigungsshreiben aus **), „für den tüchtigen Rostwitz seinen lieben Getreuen,“ der nach Böhmen zu Proop und Korybut zog. Der Orden wird ersucht, ihm zu rathen und zu helfen, auf daß er unversehrt an den Ort seiner Bestimmung gelangen mögte.

 

Endlich, am 31. Decbr. (Montag vor dem neuen Jahre), meldete Switrigail dem Hochmeister ***) aus Wilna, daß er, auf dessen Begehren, „den wohlgebohrnen und edlen Herrn Friedrich von Bebirstein,

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*) Buch C. p. 328, 336.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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zu seinem Hofgesinde und lieben Getreuen aufgenommen habe,“ und bat, dem Bruder dieses Mannes in Preussen gleiche Ehre zu erweisen.

 

Zu den brieflichen Urkunden dieses Jahres (1431) die Geschichte desselben erläuternd, gehören noch, zwey Schreiben *), das Eine von dem Hochmeister an den Ordens-Procurator in Rom; das Andere des letztern Antwort auf die Nachricht, daß der Orden sich mit Switrigail verbunden; beyde in vieler Rücksicht merkwürdig.

 

Der Hochmeister schreibt: er habe sich vormals hoch beeyfert, zwischen dem Könige von Polen und Herzog Witold seligen Gedächtnisses alle Zwietracht abzuthun, und hätte Witold nur noch eine Weile gelebt, so würde es auch gelungen seyn, Polen, Litthauen und Preussen dermaßen zu vereinen, daß die ganze Christenheit dadurch erfreut, und die böhmische Ketzerey ausgerottet worden wäre. „Die litthauischen Herren, mit Eintracht aller reussischen Herzogen und Herren, nach dem Verscheiden des vorbenannten Herzogen Witauds, dem erlauchten Fürsten Herrn Boleslaum anders Switrigail, des Königs in Polen rechten Bruder, der ein sunderlicher Gönner und Freund ist unsers Ordens, haben erwählt. Unter denselben zween Herren Gebrüdern es noch nicht steht allzufreundlich:" beyde hätten ihm Boten gesandt, beyde sein Bündniß nachgesucht. „Wir etlichermaßen in unserm Gemüth von denselben Sachen seyn bekümmert.“ Es scheine, daß die Polen sich zum Kriege gegen den Orden bereiten. Sie hätten

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*) Geh. Arch.

 

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zu Krakau einen Tag gehalten, wohin auch die Ketzer (nemlich in Böhmen) eine „merkliche Botschaft“ gesendet, und „ein gemein Gerücht ist, daß sie sich mit ihnen haben geeynet.” An der Grenze gegen Preussen haben sie zwey Hauptleute gesetzt, Herzog Siegmund (Witolds Bruder) auf Dobryn und Puchalen zu Bromberg. „Dieselben zweene gar schrecklich und große Ketzer seyn.“

 

Drey treffliche Botschaften habe der Orden ausgesandt, zum römischen Könige, nach Litthauen und nach Polen, allein die letztere sey unverrichterer Sache heimgekehrt, nachdem sie eine Woche vergebens auf Geleitsbriefe gewartet, was auch sehr bedenklich sey. Uebrigens leide Preussen auch durch großes Sterben an Menschen und Pferden und durch den Zwist des Königs von Dänemark mit den Seestädten. Zuletzt ermahnt er den Procurator, „daß Ihr, Euch mit Eure Zerunge, Staten, Pferden und Gesinden etlicher Maßen wollet meßigen, und setzet Eure Staten also, daß es zur alten Gewohnheit vor gehalten in etlicher Maße möge kommen.“

 

Der Procurator hingegen schreibt aus Rom vom 11. November: der Hochmeister habe ihm aufgetragen, das Bündniß mit Switrigail gegen den Pabst zu verantworten. Allein schon 20 Tage früher seyen die Zeitungen aus Polen zu Rom gewesen, und 15 Tage früher Briefe von Jagiel und dem Bischofe zu Krakau eingetroffen, „mit sampt der Pfaffheit daselbst klagende groß auf unsern Orden was Schande, Schade mit bornen (brennen), morden, Frauen und Jungfrauen Beschempniß und wie Ihr den Freden gebrochen hättet

 

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in der Abwesunge des Königs, und wie Ihr Euch mit den Heyden wider die Christen habet vereynet.“

 

Als der Pabst und die Kardinäle diese jämmerliche Klage vernommen; seyen sie dermaßen ergrimmt worden, daß sie ihn anfangs gar nicht hören wollen. Des Ordens Gönner seyen übel zufrieden, auch habe der Pabst „einen Unwillen an Ew. Gnaden, darum daß ihr ihm, nach Gewohnheit aller christlichen Fürsten, brieflich keinen Gehorsam gethan habt.“ Nun sey die Sache der Polen zweyen Kardinälen zur Untersuchung aufgetragen. „Gott gebe daß sie uns nicht also richten, als die Richter vor Zeiten thaten de carceribus. diese Sachen wollen haben eine kluge Verantwortung. Wollte Gott, daß wir die Vorklage hätten gethan. Einstweilen habe er hundert Ducaten geliehen, um sie dem Advocaten des Ordens zu geben. Ein Kardinal habe ihm insgeheim vertraut, daß der Pabst einen Legaten an den Hochmeister senden wolle, ihn zu ermahnen, daß er wider die Ketzer, und nicht wider einen christlichen Fürsten Krieg führe, der sich noch;obendrein erboten, „die Ketzerey in Böhmen zu tilgen, und sich selbst in des Pabstes Gehorsam und Beschirmunge zu übergeben.“

 

Vermuthlich geschah es auch auf päbstliches Verlangen, daß die baselische Kirchenversammlung ein Ermahnungs-Schreiben an den Orden ergehen ließ *).

 

Endlich muß auch hier noch eines Schreibens gedacht werden, im welchem der Hochmeister dem Meister von Liefland den mit Switrigail geschlossenen Bund

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*) Martene ampliss. collectio T. 8. p. 39.

 

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mittheilt *), ihn erinnernd, daß er schon vormals die Gründe dazu ihm auseinander gesetzt, wie auch, daß solches mit Rath des römischen Königes, etlicher Churfürsten und vieler andern Fürsten geschehen, auch „mit Eurer Aller Gutdünken.“ Man müsse daher sich kräftig rüsten, „synt Alle unsers Ordens und der Lande Gedeyhen daran steht." Nun habe zwar der Ordens-Meister ihm Undeutsche zu Hülfe gesandt, wofür er danke; man brauche aber Leute, die sich mit den Polen und Ketzern im Kriege schon versucht haben, „und ihren Uffsatz wissen, auch wohl geharnischt und beritten seyn, ohne die wir nichts geschaffen mögen.“ Darum solle der Ordens-Meister ihm lieber eine Summe Geldes schicken, wogegen er die Leute ihm zurücksenden wolle, weil sonst vielleicht die Russen ihn ungewarnt überfallen mögten.

 

Am Ende fügt er noch hinzu: „Sonderlich bitten wir Euch mit ganzem Fleisse, seyd ja lieber Herr Gebietiger darnach, daß Ihr mit den Russen einen Frieden macht und haltet also Ihr längste moget, damit Ihr uns sonderlich zu Danke seyd.“

 

Es ist noch übrig, die russischen Geschichtsschreiber von diesem Jahre zu Rathe zu ziehen, doch sie gewähren keine Aufklärung für die Geschichte Litthauens, obgleich zu jeder Zeit der russischen Fürsten so viele in jene Händel verwickelt waren. Kaum wird Switrigails Nahme genannt **).

 

Nunmehro sey vergönnt, aus sämmtlichen Urkunden

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*) Geh. Arch.

**) Стриттер. Истор. Часть III. p.159 Татищевъ. IV. p. 501.

 

 

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und Berichten ein Gemälde dieses Jahres mit wenigen Worten darzustellen. Einmüthig erwählten, nach Witold’s Tode, die Litthauer und Russen Switrigail’n zum Großfürsten, und beyde Nationen hiengen mit solcher Wärme an ihm, daß der Ordens-Meister von Liefland den Hochmeister erinnern mußte: wenn er Switrigail’n nicht beystünde, würden alle Russen gegen ihn seyn.

 

Den Polen war diese Wahl zuwider, weil der neue Großfürst Litthauens Vereinigung mit Polen nicht bestätigen, sondern, wie sein Vorfahrer, ein selbstständiger Fürst seyn, und auch Podolien, die Eroberung seiner Vorfahren, ihnen nicht überlassen wollte. Jagiel hatte seinem Bruder mündlich und schriftlich diese Bedingungen zugesagt, und die Polen selbst vermutheten, vielleicht nicht ohne Grund, daß er insgeheim, aus Vorliebe für sein Vaterland, Switrigail’s Ansprüche begünstige. Allein er durfte das nicht äussern, mußte den neuen Großfürsten, der noch unvorbereitet war, durch das Anerbieten einer freundlichen Zusammenkunft täuschen, aber noch vor dem bestimmten Tage ihn plötzlich überfallen, und, wenn die Verheerung feindlicher Länder ein wahrer Vortheil genannt werden kann, so hatten die Polen ihn erfochten. Doch Switrigail, Tücke ahnend, hatte nichts verabsäumt; was einem kräftigen Regenten gebührt; er hatte eilig mit dem Orden und mit dem Chan der Tataren einen festen Bund geschlossen, die Wallachen sich befreundet, den römischen König gewonnen, die Hussiten den Polen abwendig gemacht; er hatte in Schlesien und Pommern Verbindungen angeknüpft, die Liefländer aufgeboten, der Russen Zuneigung zu erhalten gestrebt, und in allen

 

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diesen Verhandlungen sprach er seinen redlichen Character so deutlich aus, daß keiner seiner Bundesgeossen jemals an seiner Treue zu zweifeln Ursach fand. Auch die Polen feyerten nicht, ihm entgegen zu arbeiten, aber auf ihre Weise. Dem, sonst mit Recht, von ihnen gehaßten Orden, schmeichelten sie fast kriechend; dem Pabste stellten sie Switrigail’s Unterhandlungen mit den Hussiten in dem gehässigsten Lichte dar, nachdem sie selbst schon seit Jahren mit diesen Ketzern innig befreundet gewesen. Nun versprachen sie, die Ketzerey zu vertilgen; nun schrieen sie laut, daß man sogar die Heyden gegen christliche Fürsten bewaffne.

 

Als aber die Belagerung von Luzk sich in die Länge zog; als Switrigail an der Spitze eines Heeres stand; der Orden, die Tataren, die Wallachen wirklich in Polen einbrachen, da bequemten sie sich zu einem Waffenstillstande, den sie sogar in ewigen Frieden verwandeln zu wollen vorgaben. Im Grunde wollten sie nur Zeit gewinnen, den Großfürsten einstweilen durch das Versprechen bethören, daß er Regent von ganz Polen werden solle, damit sie unterdessen seinen furchtbarsten Bundesgenossen, den Orden in Preussen besiegen, und hernach mit Litthauen nach Belieben schalten könnten. Darum wollten sie des Ordens Räthe von dem Friedens-Congreß entfernen.

 

Aber Switrigail zerriß das Gewebe dieser Künste, indem er alle ihm allein gebotenen Vortheile verschmähte, und, seinem Worte stets getreu, erklärte, daß er, ohne den Orden, sich auf nichts einlassen werde.

 

So standen die Sachen am Schluß des Jahres. Und nun möge wiederum Polens Lobredner, Kojalowicz, nach seiner Weise fortfahren.

 

 

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IV. Switrigail verraten.

 

Jagiel soll wirklich zu Parczow (1432) seinen Bruder vergebens erwartet, datob ergrimmt die Geduld verlohren, und Witold’s Bruder, Siegmund, Fürsten von Starodub, durch das Versprechen, ihm das Großherzogthum zu verleihen, gegen Switrigail verhetzt haben. Kaum sey die Grenze Litthauens von Siegmund berührt worden, als fast alle litthauische Große und sonst viel Volkes sich zu ihm gewandt; denn Switrigail habe sich durch Grausamkeit bey Allen verhaßt gemacht, sonderlich bey den alten litthauischen Geschlechtern, indem er aus Liebe zu seiner twerischen Gemahlin, blos Moscowiter und Russen hervorgezogen und zu den wichtigsten Aemtern befördert habe.

 

Durch angesponnenen Verrath habe Siegmund seinen Vetter in Oschmyana überfallen, fangen und nach Polen schicken wollen. Zwar sey Switrigail, durch den Woywoden von Troki noch zeitig gewarnt, der Gefahr entronnen, doch fast allein, selbst mit Zurücklassung seiner Gemahlin, als ein Flüchtling in Smolensk erschienen, worauf Kiew und Polozk ihn als ihren Fürsten anerkannt. Siegmund habe nun Litthauen ohne Schwerdtstreich erobert und sey, unter sehr erniedrigenden Bedingungen, von Jagiel zum Großfürsten ernannt worden, wobey man in der Kirche zu Wilna eine päbstliche Bulle vorgelesen, durch welche alle Litthauer von ihrem Switrigail’n geleisteten Ende entbunden worden. Die Ordens-Gesandten, als Spione gegenwärtig, hätten vergebens die Litthauer mit den Polen zu entzweyen versucht, ja sogar den Befehl erhalten, das Land zu verlassen.

 

Indessen habe Switrigail die Russen durch Bestechung

 

 

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gewonnen‚ und sey mächtig genug geworden, sowohl die Polen als den eingedrungenen Nachfolger zu bekriegen. Er selbst, mit einem Heere, sey nach Litthauen aufgebrochen, indessen Theodor, Fürst von Ostrog, Podolien schnell überwältigt, doch von den Polen am 30. November geschlagen worden.

 

Dasselbe Schicksal habe Switrigail’n betroffen, obgleich er mit einem Heere von nicht weniger als 50000 Mann bey Oschmyana Stand gehalten. Nicht blos das litthauische Rußland, Polozk, Smolensk, Mstislaw, Sewerien, Kiew und Wolhynien, hätten damals unter seinen Fahnen gefochten, sondern auch Moscau, Räsan und Twer, unter Anführung Jaroslaws, eines Bruders des Fürsten Boris von Twer. Dennoch habe Siegmund mit einem an Zahl weit geringern Heere ihn geschlagen, 10000 Feinde auf das Schlachtfeld gestreckt, 4000 Gefangene, unter ihnen die Häupter, und Switrigail selbst sey kümmerlich nach Kiew entronnen, worauf Siegmund gegen die Gefangenen grausam gewüthet und zu Oschmyana eine Kirche erbaut habe.

 

So beschließt Kojalowicz das Jahr 1432. Nun mögen die Urkunden sprechen.

 

Das neue Jahr schien friedlich anzuheben, denn am 5. Januar schrieb Switrigail von Wilna an den Hochmeister *): er habe einen Brief vom Könige empfangen, der Rompold und Gastold frey und ledig ihm auf die Hand gegeben. Er hoffe, bald ein gleiches vom Landmarschall und den übrigen Gefangenen ihm berichten zu können, denn sein Bote habe sie frey gesehen und sie hätten am Christtage „mit dem Könige zu

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*) Geh. Arch.

 

 

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Tisch gesessen.“ Also wußte Jagiel durch freundliche Nachgiebigkeit den sicher zu machen, den er verderben wollte.

 

Am Donnerstage nach den heiligen drey Königen (d. 10. Januar) ersuchte Switrigail den Erzbischof von Riga *), ein gleiches Bündniß wie der Orden mit ihm abzuschließen. Auch meldete der Ordensbote, Voigt zu Bratchen, von Trokeyn am Mittwoch vor Fabian Sebastian (den 16. Jan.), der Großfürst habe ihm „vorbracht und in Heimlichkeit gesagt, daß die Bischöfe zu Riga und Dörpt in der Sigillata nicht mit verschrieben wären,“ und wünsche, daß solches noch geschehen möge. Die Boten, die der Hochmeister zum Tage (zu der Friedens-Unterhandlung) senden wolle, werde Switrigail gütlich aufnehmen und zuvor Alles mit ihnen überlegen; so wie er überhaupt dem Orden günstig sey.

 

Die Wahrheit dieser letzteren Versicherung bewies noch mehr ein Zettel (cedula inclusa) von Switrigail’s eigner Hand, in welchem er die Ankunft seiner Gefangenen berichtet, und daß auch sie erzählen, wie die Polen stets darauf ausgiengen, ihn von dem Orden zu trennen, „gelobende uns mancherley große Dinge, nemlichen das ihr ganze Land in Polen, daß wir des Begerer und Verweser werden sulden.“ (Also Jagiel’s Nachfolger auf dem polnischen Throne, denn was könnte das Wort Begerer sonst bedeuten?) Rompold und Gastold hätten geantwortet, sie wären keine Boten und könnten sich darauf nicht einlassen. „Jo lieber Freund,“ fuhr der ehrliche Großfürst fort, „habt Ihr keinen Zweifel an uns, daß wir

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*) Geh. Arch.

 

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sollten von Euch, geschieden werden, wenn wäre es möglich, daß man uns gäbe die ganze Welt, wir thäten jo das in keinerley Weise, daß. wir von Euch abtrünnig wären oder werden sollten.“ Indessen wolle der König auch die gefangenen Liefländer ihm übergeben, „auf einen gewonlichen Tag zu stellen.“

 

Am 8. Februar (Freytag nach Dorotheen) schrieb Switrigail aus Wolkewiscz *), Jagiel habe

eklärt, der Tag sey aufgenommen vor Lawtzk alleyne mit ezlichen Personen aus Polen und mit ezlichen Personen von des Herrn Großfürsten wegen zu halten,“ weiter solle aber Niemand dabey gegenwärtig seyn. „Er gönne den Herrn des Ordens wohl den Weg, aber in seinen Rath sollen sie nimmer kommen.“ Switrigail habe geantwortet, daß in diesem Falle auch seine Bevollmächtigten, ohne das Werk zu beginnen, von dannen scheiden würden. Ohnehin habe der Hauptmann in Podolien (dessen Brief er beygelegt, und der sich Knycz (Knäs?), Fedor Koribitowitsch. (Korybut) nennt), ihn gewarnt, daß die Polen sich stark rüsten in drey Haufen.

 

Am 17. Februar (Montag vor Cathedra) erwähnt Switrigail in einem Schreiben aus Slonyen, daß der Hochmeister ihm geklagt, wie die Polen, während des Waffenstillstandes, „einem redlichen ihm lieben Manne seinen Hof und alles was darinnen ausgebrannt und ihn genzlich verderbet, wie auch in der Neumark Kaufleute beraubet haben.“ Switrigail begehrt, der Hochmeister solle ihm den Schaden aufgeben, so wolle er einen Boten an seinen Bruder senden, und ihn darob zur Rede stellen. Ferner dankt er für

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*) Geh. Arch.

 

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einen Brief des römischen Königs, aus welchem zu ersehen sey, daß derselbe eine Gesandtschaft sowohl aus Preussen als aus Litthauen erwarte. Auch habe Siwitrigail bereits „mit Rathe unserer Herren“ eine merkliche „Botschaft erwählt," die ihren Weg durch die Wallachey und Ungarn nehmen solle. Zugleich fragt er an, ob es nicht wohl gethan sey, ihre Sendeboten mit einander ziehen zu lassen? — Endlich meldet er, die Boten, die der Orden in die Wallachey gesandt, „der ehrsame Hans Reibenitz und der tüchtige Hans Fochs,“ wären gesund bey ihm angelangt und hätten erzählt: „wie daß der Woywode mit allen den Seinen sie freundlich und redlich aufgenommen, gnediglich verhört, lieblichen und wohl gehandelt, ihnen mancherley Ehrung und Gunst bezeigende, und ihnen auch, nach Eurem Wünschen und Begehren, gnediglich Antwort gegeben hat.“

 

Tages darauf, am 18. Februar (Montag vor Cathedra *), entließ Switrigail zu Slony den „ehrsamen Heinrich Hole, alten Marschall“ (nemlich des Ordens), „weil er unser Gelegenheit wohl weiß,“ und dem Hochmeister mündlich alles besser vortragen, als der Großfürst es schreiben könne. Unterdessen wolle er den Schwestersohn desselben, den ehrsamen Heinze, bey sich behalten, doch solle der Hochmeister, auf sein Begehren, ihm den Marschall wieder schicken, „wenn wir uns mit ihm wohl besprechen mögen und seine Sythen (Sitten) wohl wissen, und von ihm nicht anders wissen zu sagen, wenn daß er unser besonders lieber Freund und Bruder ist, und nach Eurem und unserm Gute, Ehren und Frommen mit seinem Rathe getreulich

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*) Geh. Archiv.

 

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bey uns steht, daß wir ihm vor Eurer Liebe großlichen und hoch danken müssen.“

 

Zwey Berichte des Voigts zu Bratchen *), der sich damals auch zu Slonyen aufhielt, bestätigen alle diese Nachrichten. Die Herren der Wallachey würden nächstens Botschaft an den Orden senden, auch wären Reibenitz und Fochs köstlich dort begabt worden, und, sobald der Großfürst sie beurlaube, würden sie heim ziehen, weshalb der Hochmeister Heu und Haber zwischen Ragnithen bestellen solle, „auf daß sie mit behaltener Habe zu Lande mögen kommen.“ (Wie anders wurde damals noch regiert, als man den Fürsten eines Landes noch ersuchen durfte, Heu und Haber zu bestellen.) In dem zweyten Schreiben berichtete der Voigt, angekommene Polen hätten dem Großfürsten vorgeworfen, seine Boten (zum Friedenswerke) wären wohl drey Tage zu spät gekommen und hätten den Tag versäumt; worauf Switrigail erwiedert habe: seine Räthe wären drey Tage früher angekommen als die des Königs; und dieser allein sey Schuld an der Versäumniß. Der Voigt bestätigt, daß die Polen den Orden und die Wallachen von der Verhandlung ausschließen wollen, und daß Switrigail erklärt habe, dann könne gar nichts daraus werden. — Endlich hatten auch die Polen den Orden beschuldigt, er sammle sich stark an ihren Grenzen, weshalb sie Schaden besorgten und den Großfürsten ermahnten, dem Friedebriefe genug zu thun. Hierauf habe Switrigail geantwortet: „Ihr seyd alle gereit (bereit) und liegt auch stets zu Felde, warum sollen wir, der Hochmeister

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*) Geh. Arch.

 

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und All die unsern auch nicht fertig und gereith uns machen? und mit allen sulchen schlechten Teydingen sind die Polen geschieden.“

 

Auch dieser Berichterstatter wiederhoft Switrigail’s Ansuchen, den Schaden aufzugeben, den die Polen während des Beyfriedens im Ordenslande verübt, weil er den Landmarschall Iösen und Gefangene um Gefangene geben wolle.

 

Noch am 18. März ahnte Switrigail nichts von seines Bruders angesponnener Verrätherey; denn an diesem Tage (Dienstag nach Reminiscere), schickte er dem Hochmeister einen Brief des Königs *), mit der Bemerkung, daß er aus solchem wohl erkennen werde, wie der König gesonnen sey, den Beyfrieden zu halten.

 

Am 3. April (Donnerstag vor Lätare) verkündigt Switrigail dem Hochmeister **): der König habe in einem freundlichen Antwortschreiben manche Klage des Ordens „beschweret etlicher Maßen, um des willen ob er uns mögte von Euch in einigerley Weise abziehen, das doch nach seinem Willen nie geschehen wird.“ Die (vom Hochmeister vorgeschlagene) Zusammenkunft nach den Osterfeyertagen sey er wohl zufrieden und wolle mit Vollmacht senden den „strengen Herrn Gedigolt, Woywoden zur Wille (Wilna).“ Was ihm der Hochmeister von den Polen melde, nemlich daß sie bey dem Pabste mancherley Lügen gegen ihn und den Orden vorbrächten, „Ihr moget wohl erkennen, daß sie thun das von langes her, wenn sie der Waffen wohl gewohnt seyn und ihnen das anhängt.“

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Am 6. April (Sonntag nach Lätare) fertigte Switrigail nicht allein den genannten Gedigolt ab *), sondern auch den strengen Ritter Bogusch, Sendeboten des großmächtigen Herrn Iliasch, Woywoden der Wallachen.

 

Gegen Ende des Aprils ( Sonntag infra octavas corporis Christi) meldete er dem Hochmeister **), daß die Herzoge von der Mosau ihm geschrieben, sie wollten mit ihm und dem Orden in eine ewige Verbindung treten, dazu habe er ihnen, heute über 4 Wochen, einen Tag in Garthen (Grodno) anberaumt, oder in Gonyandz, wenn jenes ihnen zu entlegen sey. Der Hochmeister möge auch einen Bevollmächtigten senden, den Vertrag zu unterzeichnen. „Ew. Ehrwürdigkeit fürder wir nicht verbergen wollen, daß die Großfürsten von Odoyow, Gebrüdere, seynd nu gestern zu uns kommen mit mannichfaltigen Gaben, begehrende und sunderlich bittende, daß wir ihr gnediger Herr und Beschirmer seyn geruhten, bey der Eyde gelobten, uns zu dienen zu ewigen Zeiten.“ — Bey diesem Schreiben lag noch ein Zettel, des Inhaltes, der Woywode aus der Wallachey habe gebeten, ihm seine Tataren zurückzusenden, weil er mit seinem Bruder und den Bessarabiern Krieg führe. Zwar, mit dem Ersten habe er sich nun vertragen, allein die Letztern wären mit 66 Schiffen in sein Land gefallen, wo er sie dermaßen empfangen, daß keiner entronnen sey. Eben so hätten die Ungarn beym eisernen Thor die Türken geschlagen. „Das schreiben wir Euch zu einer sonderlichen Trostunge,

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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indem es vom Gottes Gnaden den unsern überall wohl geht.“

 

Am 7. May (gegeben an der Methewoche Stanislai) *) that er dem Hochmeister zu wissen, daß er am Freytage nach Kowen und von da nach Kirsmemel ziehen, und den Hochmeister daselbst erwarten werde.

 

Hier nun wurde das Bündniß nochmals feyerlich erneuert, und es sind uns noch zwey gleichzeitig geschriebene Blätter übrig geblieben **), welche die Liste derer enthalten, die den Vertrag mit unterzeichnet haben. Von Seiten des Ordens alle Comthure; Vöigte, Pflegere, Gebietigere, Landrichter, Pannerführer und viele Ritter. Die merkwürdigsten darunter sind: Heinrich von Plauen; Voigt zu Dirschau; ein Patzkow (Bazko?), Ritter und Pannerführer des Gebietes Riesenburg; Hans v. Baysen, Ritter; und ein Gard Patkuld; sammt den Städten Culm, Thorn, Elbing, Königsberg, Danzig, Marienburg, Revel, Vellin, Pernau, Wenden und Woldemer (Wolmar), (Dörpt und Riga befinden sich nicht darunter, wohl aber ein Swedyr von Reve, Comthur zu Riga), die Alle ihre Siegel mit rechter Wissenschaft dem Briefe haben lassen anhängen am Donnerstage St. Sophie der heiligen Jungfrauen Tage (den 15. May).

 

Auf dem zweyten, sehr zerrissenen Blatte (eine Abschrift oder Entwurf), steht die Erklärung der Litthauer und Russen, „daß sie den, zwischen ihrem

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Herrn Großfürsten und dem Orden gemachten Vertrag; in allen Stücken, Punkten und Artikeln, als die in den versiegelten Hauptbriefen seyn ausgedrückt, kreftig, stete, feste und unverseret, ohne allerley arge List und Gefährde, zu ewigen Zeiten wollen halten,“ worauf die Nahmen folgen, aber freylich von einem deutschen Schreiber so geschrieben, daß viele derselben nicht zu enträthseln sind: Zuerst die Nahmen der Fürsten, deren sechs gewesen: Iwan Wladimirowicz, Andrey Wladimirowicz, Iwan Putata Semenowicz Wassili Semenowicz, Hlew Kniderowicz, Jetko Nyesweczky. Dann folgen die Nahmen der Städte: Wilna, Traken, Samayten, Kiew, Czernigow, Wladimer, Lauzk, Smolensk, Bransk, Witepsk, Plozk, Mzenska, Nowogrod, Brezlaw, Bresk, Kawen, Drohozyn. Endlich die Nahmen der Mannen, funfzig an der Zahl *).

 

Am 30. May (Freytag nach Ascensionis) schrieb aus Grodno Switrigail dem Hochmeister **), des Königs Sendeboten, „der Bischof von der Coye und Lorenz Saramba,“ wären bey ihm gewesen, und in Gegenwart der Ordensbrüder Heinrich Holt

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*) Im geh. Archiv befindet sich auch noch ein alter Zettel, der billig im Anhang unter No. 2. ganz mitgeteilt wird, weil er die Nahmen aller Städte und Gebiete enthält, über welche Switrigail herrschte. Es sind deren über achtzig. Der Zettel mag dienen zu beweisen, wie mächtig er war, und welch’ ein großer Theil von Rußland ihm gehorchte. Nur schade, daß so viele Nahmen, vermuthlich durch eine deutsche Feder, verstümmelt worden sind.

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**) Geh. Arch.

 

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und Hans Reibenig, sey viel vom ewigen Frieden, von den Gefangenen u. s. w., unterhandelt worden, doch zu keinem rechten Ende gekommen. Die Polen hätten stets gebeten, einen Tag mit ihrem Herrn zu verramen, und Switrigail, nachgebend, habe den nächsten Michaelistag zu Thorn bestimmt. Dort möge auch der Hochmeister sich einfinden, „sintemal das eine Parte ist,“ und der König möge zu Leslaw seyn oder zu Reczins, so sey zu hoffen daß es besser gehen werde.

 

In welchem Ansehn damals der Großfürst bey den Russen gestanden, geht deutlicher als irgendwo aus seinem Schreiben vom 7. May (in vigilia Pentecostes) hervor *). Hier meldet er dem Hochmeister, die auffallende Thatsache, daß Großnowogorod seines Bruders Sohn, den Herzog Jury Langwinowicz zum Herrn erkohren, und durch eine bittende Gesandtschaft seine Einwilligung begehrt habe. „Wir gaben ihnen denselben Herzog aus unserer Hand zu einem Herren,“ unter der Bedingung, daß er jederzeit ihm und seinen Freunden zu Diensten sey. Nun sey jedoch Großnowogorod in Feindschaft mit Schweden und Norwegen, und begehre Erlaubniß, dieser Feinde sich zu erwehren. Bevor er diese ertheile, wünsche er zu wissen, ob der Orden mit jenen Ländern in Freundschaft stehe.

 

Kojalowicz meldet bey dem Jahre 1389, es habe Jagiel seinem Bruder, dem Fürsten v. Mstislaw, Simeon Linguen, das Gebiet von Groß-Nowogorod verliehen. Von diesem Bruder folglich,

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*) Es wird im Anhang unter No. 1. ganz geliefert.

 

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den die Nowogoroder geliebt haben mogten, war der begehrte Fürst ein Sohn; aber auffallend scheint, daß hier nicht bloß von ihrem Gebiet die Rede ist, sondern daß sie selbst ihn zu ihrem Herrn heischen, und nicht einmal, ohne Switrigail’s Einwilligung, sich ihrer Feinde zu erwehren wagen.

 

Tages darauf, den 8. Juny (am Pfingsttage), meldet Switrigail aus Grodno dem Hochmeister *), daß der erlauchte Fürst, Herzog Wenzeslaw von Troppau, mit seinem Hofgesinde wieder heim ziehe durch das Ordensland, und bittet ihn zu geleiten, besonders durch die Neumark, von Schloß zu Schloß. In so freundlichen Beziehungen stand folglich der Großherzog mit den schlesischen Fürsten, daß sie ihn besuchten mit ihrem Hofgesinde.

 

Am 16ten Juny (Montag nach Trinitatis) war Switrigail zu Nowogorodek, und antwortete dem Hochmeister **), der zu wissen begehrt hatte, wo seine Boten ihn finden würden, er werde 14 Tage daselbst bleiben, dann seinen Zug fügen gen Wormy und Wowen, und einen Prystabeln ( Pristav) nach Grodno senden, um die Boten von seinem Aufenthalte zu unterrichten.

 

Am 20. July (Sonntag vor Maria Magdalene) schrieb Switrigail aus Grodno ***), er könne noch nicht glauben, was der Hochmeister ihm gemeldet, daß nemlich die Polen den Orden überfallen wollen, und auch die Ketzer an dessen Grenzen stehen.

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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Der König habe ja, durch den Bischof von der Coye und durch Zaramba, in Gegenwart des Comthurs von Elbing und des Voigts zu Bratchen, entboten, daß er den Beyfrieden halten wolle. Sollte er dennoch wortbrüchig werden, so habe Switrigail in allen seinen Landen es also bestellt, daß Jedermann schlagfertig sey, auch dem Woywoden der Wallachen aufgetragen, den Polen sogleich ins Land zu fallen. Indessen sende er eine Abschrift von dem Briefe, den er deshalb nach Polen geschrieben, worin er den König auch gebeten, seinem Boten zu erlauben, daß er gen Krakau reite, den gefangenen Landmarschall und die übrigen zu besuchen: „dem wir durch den semlichen unsern Boten etwas Zuzehrunge und von unserer Hausfrau von den weißen Kleidern, als Hemden, Leilach, Handtücher, Tischlaken und sonst anderes gesandt haben.“ (Wie menschenfreundlich!) Wolle der König aber den Ritt nach Krakau nicht vergönnen, so solle der Bote jene Sachen Niemanden anvertrauen, denn er habe vormals auch dergleichen an Rumpold und Gastold durch des Königs Diener gesandt, wovon sie nie etwas empfangen hätten. (Wie schaamlos!)

 

Am 22. July (am Feste Maria Magdalene) ließ Switrigail aus Grodno in lateinischer Sprache ein Schreiben an Jagiel ergehn *): er vernehme, daß die Böhmen und Thaboriten sammt mehreren Polen schon die Oder überschritten, um dem Orden ins Land zu fallen. Der König solle sich erinnern, wie Switrigail im vorigen Jahre die Tataren, die Polen verwüstet,

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*) Geh. Arch.

 

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ihm zu gefallen mit großen Kosten zurückgezogen; darum solle auch Er untergeordneten Personen nicht verstatten, den Beyfrieden zu brechen, quod putem non absque Vestro consensu esse; sonst werde er sammt den Walachen für einen Mann stehn. Auch bittet er nochmals, ihm die Gefangenen auf seine Bürgschaft auszuliefern. Wenn er ihm nicht traue, so seyen die Herzoge von Schlesien erbötig, sich mit zu verbürgen.

 

Gegen das Ende des July Monats hatte Switrigail eine mündliche Unterredung mit dem Hochmeister, denn am 28. (Montag nach Jacobi), berichtet er demselben *): „als wir nu gestern von Euch schieden, so haben wir den Herzog Pomassken unsern Schwestersohn begleitet, mancherley Rede mit ihm an dem Wege bewegende, also do wir uns von ihm scheiden wollten, do nahm er uns bey der Hand, und führt ein wenig bey Seite auf einen Plan, und in Gegenwärtigkeit unsers Rathes, deren wir fünf bey uns hatten, und vor seine zween ältesten sprach sam mit weinenden Augen also: „„lieber gnediger Herr, unser ältester, ich habe also lange geschwiegen und durfte Euch nicht zusprechen, dass ich an Euch vernommen habe und an den Euren, wie daß Ihr mir nicht genzlich habet zugetrawen, noch getrawet zu meynen dieser Zukunft, und vermuthet Euch nichts daß ich in der Sporunge (споръ ?) zu Euch kommen wäre.““ Switrigail bejahte das, ja fuhr er fort: „„lieber Herre, glaubet mir genzlich als Eurem Blute, daß ich in rechter Treue und Liebe zu Euch kommen bin und Euch mit Treue zu bewaren vor der Polen Uffsatze.““

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*) Geh. Arch.

 

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Die Polen hätten auf ihm und seinen Bruder Ungunst geworfen, und er wolle sich mit seinem Bruder besprechen, „und die Ehre an sie legen und je eher je lieber seinen ältesten Rath mit Vollmacht senden, um dem Bündniß zwischen Switrigail und dem Orden beyzutreten, „„wenn ich weiß wohl daß wir der Polen Uebermuth und Oas (?) auf die Länge nicht werden mögen leiden.““ Sobald er heim komme, wolle er zum Könige reiten, für Switrigail und den Orden sprechen und die Antwort melden.“

 

Auch wegen der Brücke über die Weichsel, (vermuthlich von den Polen geschlagen), habe er seinen Schwestersohn erforscht, dieser jedoch geschworen, daß er keine wüßte. Aber Schlösser würden auf der Weichsel angelegt, und wenn die würden broken (?) wolle er sogleich es melden.

 

Switrigail könne nicht anders merken, als daß er es ehrlich mit ihm und dem Orden meyne. Er solle auch mit dem Könige wegen des Tages der Zusammenkunft sprechen, wolle man den Orden dabey nicht zulassen, so solle auch nichts daraus werden.

 

Zuletzt meldet Switrigail noch, daß er den Diener, der den Orden gelästert, in Eisen schmieden lassen, und ihn seinem Herrn, dem Herzog Vetko zugesandt, „ihm ernstlich befehlende, daß er bey unserer Gnade den Buben also strafe, daß ihm die seine thörigte Rede und Blattunge sauer genug werde.“

 

Also gewarnt war Switrigail nun, und die Anstalten der Polen auf der Weichsel_verriethen zur Gnüge, was sie im Schilde führten. So auch Jagiel’s Unfreundlichkeit; denn, nach einem Schreiben des Großherzogs aus Worany vom 9. August

 

 

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(Montag vor Laurentii) *), hatte sein Bruder nicht erlaubt, daß Switrigail’s Bote den Gefangenen in Krakau die kleinen Geschenke brächte. Er selber wolle sie schicken, hatte er gesagt, der Bote aber dem nicht vertraut, weil (wie hier nochmals wiederholt wird) sie eben so wenig bekommen würden, als vormals Rumpold und Gastold.

 

Ein Schreiben vom 13ten August aus Traken (Mittwoch vor Assumptionis Marie) **), liefert einen neuen Beweis, sowohl von Switrigail’s traulichen Verhältnissen mit Schlesien, als auch von seiner Fürsorge für den Handel. „Wir haben,“ meldet er, „den ehrwürdigen Herrn Conrad, Bischof zu Breslau, unsern lieben Bruder, von uns abgelassen,“ der Hochmeister solle ihn geleiten bis Cüstrin, und auch bey dem Herzoge von Stolpe anfragen, „ob sich der eben benannte Herr von ihm und den Seinen besorgen oder nicht vorsehen solle?“ (Eine naive Anfrage). Ferner bittet Switrigail, den Einwohnern der Stadt Breslau Geleite durch das Ordens-Land zu geben, „mit ihrer Kaufferschaft frey und ungehindert, wenn sie uns viel Lipnisse bezeigen.“ Schlesien stand folglich damals in engen Handelsverbindungen mit Litthauen, und sogar seine Fürsten, seine Bischöfe, machten freundschaftliche Besuche am Hofe des Großfürsten.)

 

Am 14. August (am Laurentii-Tage) berichtete der Voigt zu Bratchen aus Lepumsken ***), Switrigail habe „seinen obristen Liephaber Andrike“

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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nach Polen gesandt, mit dem Auftrage, zu wiederholen, daß nur mit Zuziehung des Ordens, der Wallachen und Russen über den Frieden unterhandelt werden könne. Aus der Tatarey sey Nachricht eingelaufen, daß der Kaiser „wider seinen Feind hat gestritten, so daß er gesiegt hat wider den, er hat ihn gefangen und hat ihn dem Herrn Großfürsten gesandt, und will Sr. Herrlichkeit beystehen „mit ganzer Macht, wenn und wo er es begehren wird.“ „Die Pleskauer, anders benannt die Obscawiter, seyen bey dem Großfürsten gewesen, begehrende von ihm einen Hauptmann, und wollen ihm auch getreulich beystehn.“

 

Auch an den König von Ungarn habe Switrigail Botschaft senden wollen und den Voigt deshalb um Rath befragt. Allein die versprochene Botschaft der Moscauer sey noch nicht eingetroffen, „umb deswillen es wohl steht zu erkennen, daß sie mit Tuscherie und Uffsatz umgehn.“

 

Er hatte wohl Recht, Verrätherey zu ahnen, denn zwischen dem 14. und 28. August geschah der lange vorbereitete Schlag. Am letzten Tage (Dienstag nach Bartholomäi) berichtete derselbe Voigt dem Hochmeister *), Switrigail sey „von dem großfürstlichen Staate entsatzt und Herzog Segemund zu Litthauen und Reussen sey Großfürst geworden. Vereint mit Herzog Simon, Herzog Alexander, „denen er mechtiglich hat usgeholfen,“ und mit andern Woywoden und Hauptleuten, als „mit Herrn Petrasche, Woywoden zu Novegrotke, Herrn Gastold

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*) Geh. Arch.

 

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und vielen andern Herrn“ habe Segemund zu Oysmanne im Dorfe den Großfürsten Switrigail früh überfallen, so daß er kaum mit 14 Pferden davon gekommen. Das ganze Land wolle den Segemund gern aufnehmen, „um viel gebroches willen, den Switrigail in sich hat gehat, als die Woywoden und Hauptleute denn dem neuen Herrn Segemund eigentlich und muntlich haben erzählt, sonderlich daß er die Christenheit nicht gemehret habe, und mehr geschwecht, auch so habe er seine Frau nach ihrem eignen Willen lassen leben und unchristlich; er habe sie nicht zum Christenglauben gehalten. Sie gäbe Seiner Großrechtigkeit vor, daß Ew. Ehrwürdigkeit ihr ein Bild, als St. Jörgen hätte gegeben, damit hätte sie ihren Spott getrieben.“ Segemund habe die beyden Schlösser zu Traken und die Wille (Wilna) inne, indem er den Hauptmann von Traken durch das Versprechen bestochen, ihn auch zum Befehlshaber zu Wilna zu machen.

 

Alle Verbindungen, die Switrigail mit dem Orden gehabt, wolle auch Siegmund gern eingehen, und „wir können nicht anders erkennen, als, wenn der alte Herr Großfürste gutwillig zu der Eynung und Verschreibunge gewesen, dieser noch gut williger ist,“ wolle auch gern mit dem Hochmeister zusammen kommen, zu Memel oder anderswo. Indessen, (trotz all der schönen Worte) habe er auch eine Botschaft an den König von Polen gesandt, „was er damit meynt können wir nicht wissen. Auch will er uns die (Ordens-Gesandten) nicht ziehen lassen, er habe denn eine gütliche Antwort von Ew. Gnaden.“

 

 

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Am 3. September (am 5. Tage vor Mariä Geburt) schrieb Switrigail selbst aus Plozk an den Hochmeister *), Herzog Sigismund und Simon Herzog von Olschan, hätten ihn und seinen Hof in der Stadt Oschman überfallen, doch sey er mit den tatarischen Generalen glücklich nach Polozk entkommen, (nicht nach Smolensk entflohen, wie Kojalowicz fälschlich vorgiebt) und bitte um schleunige Hülfe.

 

Allein der Orden, der die heiligsten Verbindungen zu zerreißen gewohnt war, sobald sein Eigennutz es heischte, wendete sich schnell zu der aufgehenden Sonne. Ein Diener, Hans Balg, unter geringem Vorwand abgefertigt, berichtete schon am 8ten Septbr. aus Troki **), er sey am Dienstage vor Egidii (am 26. August) bey dem neuen Großfürsten angekommen (also wenig Tage nach jenem Üeberfall in Oschmyana). Siegmund habe sich verwundert, gute Worte von ihm zu hören, indessen die Liefländer in Litthauen sengten und brennten, ihm auch einen spöttischen Absagebrief zugesandt hätten. Wie das geschehen könne ohne des Hochmeisters Willen und Erlaubniß? Der Orden möge sich erklären, ob er Frieden halten wolle? Hans Balg bejahte das. „Du sagst nur was ich gern höre,“ meynte Siegmund, „auf daß ich dich nicht hier fest halte, aber ich werde dir thun, wie die Liefländer meinen Boten gethan haben, von welchen ich nicht weiß, ob

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*) Geh. Arch.

**) Belege zu Kotzebue’s Preußischer Geschichte, Band III. p. 488., wo dieser Bericht vollständig abgedruckt ist.

 

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sie lebendig oder todt sind.“ Hans Balg ergab sich darein und stellte sich beherzt, „sundern Gott weiß wohl was ich gedachte, ich were lieber daheme gewesen.“ Indessen baten die Räthe für ihn.

 

Ferner meldet er, er sey den Liefländern nicht zum Besten in Samayten ergangen, mehrere derselben seyen gefangen worden, Einen habe er selbst noch an in Pferd gebunden gesehn, aber nicht mit ihm reden dürfen. Der Großherzog sey sehr erbittert gegen die Liefländer und wolle sich an ihnen rächen; doch die Kaufleute mögten ungehindert hin und her ziehen. Mit dem Orden in Preussen wolle er Frieden halten, wenn der ihn nicht selbst bräche, aber von Switrigail nichts wissen, und mehrere vornehme Litthauer hätten ihm (dem Boten) gesagt: „wir willen Alle er (eher) in unserm Blute vertrinken.“ Siegmund gebe den Leuten, die väterliches Erbe besitzen, Handfesten nach Magdeburgischem Rechte, wie auch allen denen, die sein Bruder (Witold) vormals belehnt habe; „domethe machet er die Luthe willig und sie sprechen: sich (sieh) wy lip hot uns unser Herre, das tate Switrigalle nicht, vor den wille wir sterben.“

 

Nun sandte der Orden einen schlauen Unterhändler, den Comthur von Mewe, Ludwig Lanze, der aus Troki am 26. Septbr. (Freytag vor Michaelis) an den Meister in Liefland schrieb *): Siegmund habe sich erboten, das Bündniß mit dem Orden zu halten wie Switrigail es verbrieft, darum solle jener Meister nicht darauf achten, wenn der alte Großfürst ihn etwa beschicke.

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*) Geh. Arch.

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Allein der Ordens-Meister in Liefland, den allerdings Switrigail, durch den Russischen Herzog von Pleßkow, Wassili Iwanowicz, zu seinem Beystande aufgefodert hatte, äusserte andere Ansichten. Am 7. Oktober (Dienstag nach Francisci) schrieb er aus Wenden an den Hochmeister *): „sulden wir nu unsir Hulffe dem Herzog Switrigail gang entzihen unde abe sagen, das wolde uns sere vorkart (verkehrt) und zu keyner Treue noch Wissenheit gerechnet werden. Zunderlichen von unsirm allergnedigsten Herrn dem Romisschen Konighe, der en Orsprongh und Anbegynn unsir Vorreynunge und Vorschreibunge ist gewesen, und och dergleichen von andern Herrn und Fürsten. — Wurde Herzog Segmundt die obirhant behalten, so weren die Lande mit dem Königriche zu Polen ganz ens, was denne unserm Orden davon entsteen und kommen mochte, das mag Euer Gnade betrachten, wir konnen irkennen nicht gut. — Und wurden Switrigail’s Sachen zu besten irfolgen, was ungelymp und verdrisses unserm Orden von ihm entsteen und kommen mochte, mag Euer Gnade och betrachten, zumalen da die Russen und Tataren es mit ihm halten wollen.“

 

Am 15. Oktober (feria quinta beati Brunonis) schrieb Switrigail selbst in Iateinischer Sprache an den Hochmeister **): als er in Borissow angelangt, sey Herzog Wladimir mit vielen Bojaren aus Litthauen zu ihm gekommen, erzählend, daß bey

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*) Belege zu Kotzebu’s Preussischer Geschichte Band III. p. 486. , wo dieses Schreiben ganz abgedruckt ist.

**) Geh. Arch.

 

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seiner Annäherung, das Castrum Ojrusko seinen Getreuen sich ergeben, auch viele andere Schlösser, wobey seines Feindes, Herzog Iwan Wladimirs Gemahlin ihm in die Hände gefallen, Regine Polonie Germana cum pueris et Thilanko capti, ad nos sunt adducti, quod vobis in consolationem nunciamus specialem. Auch, aus der Wallachey sey ihm Zeitung gekommen, der Woywode habe die Polen geschlagen und rücke vor in deren Land. Lituani inter se sunt discordes, der Palatinus Trocensis decollatus. Fraudulentus dux Sigismundus sey auch in Nöthen et nullus Polonorum sibi in subsiduum venit ut auditur.

 

Früher schon, am 3. Oktober (Sonntag nach Dionysti) schrieb der Comthur von Osterrode aus Soldau an den Hochmeister *): ihm sey kund worden, daß die Polen sich mit den Litthauern vereinen wollen, daß der König selbst nach Litthauen kommen werde, „und sie damit umgehn, daß sie Herzog Switrigallen die Reussischen Lande einräumen wollen, auf daß sie ihn desto bequemlicher von der Herrschaft bringen und damit stillen; denn ohne Zweifel merken sie einigerley Hülfe und Macht die er hat.“ Der König „mit seiner Betrüglichkeit“ werde ihm wohl weiß machen, daß das Geschehene ihm leid sey, und daß er darum brüderlich ihm die Reussischen Lande übergeben wolle, „daß er drüber herrsche, auf daß er so ganz nicht unter werde gedrückt.“ Wenn aber Switrigail einwillige, meynt der Comthur, so werde solches dessen „gründliche Verderbniß“ seyn.

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*) Geh. Arch.

 

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Vermuthlich würden die Polen auch den Orden beschwatzen wollen, aber, nach ihrer Weise, nicht Wort halten. Der Hochmeister möge nur alle Chroniken Iesen, so würde er nirgend finden, daß die Polen „Wahrheit hätten gehalten.“ Drum solle er lieber den Großfürsten insgeheim warnen und trösten. Noch habe Switrigail die Russischen Lande inne, „Luzke halt sich noch feste, sunder (aber) Russisch Briszke haben sie ihm abgewonnen,“ mit Hülfe von 300 polnischen Pferden. Auch werbe Polen um Freundschaft in Dännemark, Stettin, Stolpe u. s. w., um dem Orden die Straßen zu verlegen.

 

Am 7. Novbr. (Freytag nach aller Heiligen) berichtet der Meister in Liefland aus Wenden *), er habe 80 Gewappnete, mit den Heerleuten zusammen bey 300 Pferde, Switrigail’n zu Hülfe gesandt; die in 14 Tagen zu Rossitten eintreffen und von da gen Plescow ziehen sollten; denn länger habe man mit der Hülfe nicht zögern können, da sogar Einer von Switrigail’s Boten, auf dessen ausdrücklichen Befehl, sein Gewerbe knieend angebracht habe. Von Segemund seyen Briefe von vier Verräthern aufgefangen worden, deren Schreiber er ins Gefängniß geworfen.

 

Also kehrten die Liefländer sich keinesweges an des Hochmeisters Verbot.

 

Am 10. Novbr. (am St. Martins-Abend) berichtet Hans Balg aus Braunsberg **): Euer armer Knecht, Euer kleinster Diener, hat erfahren, daß Switrigail

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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mit „mechtiger Heerfarth nur noch 14 Meilen von der Wille (Wilna) stehe, und gesonnen sey davor zu ziehen, und hat die Wilner und Trakener an ihren Eyd mahnen lassen.“ diese hätten alle ihre Güter auf die Häuser (festen Schlösser) flüchten müssen, „und das ganze Land schreyt über die Polen,“ und die Gemeinen sagen: „als sie sich ergeben haben, da haben sie nicht gewußt, daß Switrigail noch lebe, und viele Leute lassen Weib und Kinder sitzen und reiten zu Switrigail, und die Mähre ging also, daß ihm der tatarische Kayser hat gesandt 19000 Schurschen (?) zu Hülfe.“

 

Herzog Michel sey auf der Wille; dieses Haus und Traken wären allein bemannt. In Kauen werde

stark gebaut und jeder Bürger müsse ein Klet (Kleete, Vorrathshaus), im dortigen Schlosse bauen, also daß sie in dem Lande hoch betrübet seyn.“

 

Am 13. December (St. Lucientage) theilte der Gebietiger zu Liefland dem Hochmeister wichtige Nachrichten mit *), und zugleich eine deutsche Uebersetzung von einem russischen Briefe, den er von Switrigail empfangen. In diesem dankt der Großfürst für die gesandte Hülfe und ersucht den Meister, wenn derselbe, wie er versprochen, selbst kommen werde, ihm eine große Büchse mitzubringen, die Kosten wolle er tragen. Dann meldet er ihm: er sey, auf Bitten der russischen und litthauischen Herren und Bojaren, in sein väterliches Erbe nach Litthauen gezogen; wo viele Schlösser und Höfe sich freywillig ihm ergeben. Uebrigens möge man den mündlichen Berichten seines „getreuen

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*) Geh. Arch.

 

 

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Kammerjungen Juschka“ glauben, als ob er selbst spräche. Gegeben zu Woschemne den 30. November. Demzufolge meldete nun der Meister von Liefland: der Kaiser der Tatarey habe seinen Schwager mit 20000 Mann Switrigail’n zu Hülfe gesandt, dazu 50000 Wallachen und den Hauptmann von Kyarn mit 10000. Die sollten vereint die Polen schlagen. Der Großfürst selbst sey aus dem Hofe Woschemne ausgezogen, stehe 7 Meilen von Wilna, und den Comthuren von Ascherade und Dünaborgh, die mit ihren Haufen bis Pleßkow gekommen wären, habe er entboten zu ihm zu stoßen, und von dem letztern sey bereits der Bericht eingelaufen, daß die Besatzung von Kauen, bey Switrigail’s Erscheinen in der Gegend, sich freywillig ergeben habe.

 

Des Großfürsten Gemahlin habe einen jungen Sohn geboren. (Also war sie nicht gefangen.) Auf dem Schlosse, wo sie liege, wolle Switrigail seinen Schwager mit 10000 Mann lassen, „uff daß dor Nymand uff noch abe komme, und och kein Vinveth (?) an der Geburt geschehen möge.“

 

Herzog Segemund solle den Herzog Gastok nach Polen um Hülfe gesandt haben; ob dieser kommen werde, wisse man noch nicht. Indessen habe er, der Gebietiger, alle den Seinen ansagen lassen, sich bereit zu halten, und am nächsten Sonntag auf der Düna zu ihm zu stoßen, um den Zug nach Litthauen anzutreten.

 

Allerdings ist zu vermuthen, daß Switrigails getreuer Kammerjunge Juschka, um die Ritter anzuspornen, die Macht seines Herrn, die Hülfe der Tataren u. s. w., mag übertrieben haben; doch seines Zweckes hatte er nicht verfehlt. Denn bey dem ersten Anscheine,

 

 

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daß Switrigail doch wohl obsiegen könne, hatte der Orden, während er dem neuen Großfürsten die alten Verträge zusagte, heimlich seinen klugen Ludwig Lanze an Switrigail gesandt, von dessen Hoflager, Weitwischke, er am Thomas-Tage den 21. December schrieb *): Switrigail wolle auf Frauenberg Lichtmessen, oder acht Tage früher; nach Litthauen ziehen, mit Liefländern, Russen und Tataren, dasselbe werde das Heer aus der Wallachey mit seiner ganzen Macht thun. Hätte jedoch der Hochmeister nicht ihn, den Ludwig Lanze, geschickt, so würden die Sachen nun anders stehen und sich wohl bis künftigen Sommer verzogen haben, vielleicht auch gar nichts daraus geworden seyn, wenn jene Herren nicht Ernst bey dem Orden gesehn hätten. Nun aber waren die Russen dem Großfürsten wieder zugethan, darum solle der Hochmeister ihm nicht verdenken, daß er sich habe halten lassen, denn wäre er nicht zugegen, „Gott weiß, es würde ganz anders aussehen.“

 

Ob hier der Comthur seinen Diensten nicht einen zu hohen Werth beylegte, mag unentschieden bleiben. Allerdings mogte die Versicherung, daß der Orden seinen redlichen Bundes-Genossen im Unglück nicht verlassen werde, auf Switrigail’s Anhänger wirken. Ob diese Versicherung sich auch bethätigen würde, hieng bey dem Orden, der immer nur dem Glücklichen Wort hielt, einzig vom Erfolge ab. Schon das bloße Versprechen, dem Bunde treu zu bleiben, mußte Switrigail erkaufen, denn des Comthurs Schreiben schließt mit der Anzeige: der Großfürst habe dem

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*) Geh. Arch.

 

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Orden Polangen wieder gegeben zu bauen, mit einer Grenze von dry Meilen.

 

Daß solches auf ausdrückliches Verlangen des Ordens geschah, beweisen zwey spätere Schreiben desselben Lanze, vom 26. Decbr. (am Tage Stephani *), das eine an den Hochmeister, das andere an den Ordens-Marschall gerichter, beyde enthalten dieselbe Nachricht; in dem letztern wird ausdrücklich erwähnt, daß er den Auftrag gehabt um die Abtretung von Polangen zu bitten, „es zu bauen und zu besitzen,“ was denn auch bewilligt sey, „nebst drey Meilen in die Wildniß bis an die Grenzen.“ Darum solle nun der Hochmeister eilen, „daß er Polangen mit Macht einnehme, baue und befestige,“ damit sowohl er als der Großfürst ungehindert vom Strande fortkommen mögten; und die Boten sicher giengen. Diesen, in damaliger Lage der Dinge sehr scheinbaren Grund, hatte man dem Großfürsten vorgespiegelt.

 

In beyden Briefen berichtet Lanze ferner: es sey am Christabend ein Bote vom Herzog Vetko aus der Podolie gekommen, mit der Nachricht, daß derselbe mit Hülfe der Wallachen und Tataren, die Polen besiegt, deren wohl 12000 erschlagen; worunter bey 400 rittermäßigen Leuten. diese Nachricht bestätige sich von allen Seiten, „also so erkennt der Großfürst wohl, daß er desto bequemlicher habe zu thun.“

 

Indessen wurde um diese Zeit bey Oschmyana eine Schlacht geliefert, in welcher beyde Theile sich den Sieg zuschrieben **). Siegmund meldete dem

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch. Buch C. p. 348. 349.

 

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Hochmeister vom Schlachtfelde: Switrigail habe eine vollständige Niederlage erlitten, sey nur im Schutz der Nacht entronnen. Dieser hingegen versicherte, er habe nicht zwanzig guter Leute verlohren, der Feind möge prahlen wie er wolle; gegen Einen gebliebenen Russen zähle man sechs Litthauer. Indessen fügte er doch eine wehmüthige Bitte um Beystand hinzu, in der er, um sie noch beweglicher zu machen, den Hochmeister seinen lieben Vater nannte.

 

Die russischen Geschichtschreiber geben auch im diesem Jahre keine Kunde von den wichtigen, ihr Vaterland so nahe berührenden Begebenheiten in Litthauen.

 

Aus sämmtlichen Urkunden geht hervor, den patheyischen Kojalowicz fast in jeder Zeile widerlegend: daß einzig und allein Polens Hartnäckigkeit, den Orden von den Friedens-Unterhandlungen auszuschließen, und Switrigail’s unerschütterliche, seinem Bundes-Genossen bewiesene Treue, den Congreß hinderten, und daß sogar jenes verführerische Anerbieten, die Herrschaft über Polen und einst die Krone dieses Reiches ihm zuzuwenden, den edlen Großfürsten nicht wankend machte; daß eben so treu, wie er am Orden, die Russen an ihm gehalten, auch die Liefländer, Tataren und Wallachen ihn nicht verlassen haben. Aus allen seinen Handlungen und Briefen ergiebt sich, daß seine Seele den Argwohn verschmähte, und immer noch von den Polen glaubte, daß sie wenigstens mit ihm es redlich meynten. So war es leicht, den verrätherischen Ueberfall zu vollbringen. Er floh, doch seine Gemahlin ließ er nicht zurück. Auch waren die Litthauer nur überrascht, keinesweges

 

 

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seiner Herrschaft müde; denn was auch Segemund that um sie zu gewinnen, sie eilten haufenweis unter seine Fahnen, sobald sie wußten, daß er noch lebe; sie hatten ihn todt geglaubt.

 

Die päbstliche Bulle, die, in der Kirche zu Wilna verlesen, die Unterthanen ihres Eydes entbunden haben soll, kennt nur Kojalowicz, sie ist nirgend zu finden, ihrer wird sonst nirgend erwähnt. Wo sollte sie auch so schnell herkommen?

 

Der Hauptvorwurf, der ihm gemacht wird, ist seine Vorliebe für die Russen, und daß er diesen die wichtigsten Aemter anvertraut. Wenn sie ihm die meiste Treue bewiesen, so wäre er darum nicht zu tadeln. Freylich war er ein litthauischer Fürst, aber durch seine Mutter ein Russe, und die reussischen Länder, über die er herrschte, waren bey Weiten beträchtlicher, als sein litthauisches Erbe. Es mag auch wohl seyn, daß die russische Fürstin, seine geliebte Gattin, ihren Einfluß bisweilen mißbraucht. Indessen geht aus den Urkunden keinesweges hervor, daß er in seinen Geschäften besonders der Russen sich bedient habe. Rompold und Ganstold, für deren Befreyung er sich so herzlich verwandte, und deren Einer dennoch zum Verräther an ihm wurde, waren Litthauer. Heinrich Hole war ein Deutscher. Der Woywode zu Wilma, Gedigolt, war ein Litthauer, so auch der Commandant von Troki. Sein Günstling Andrike scheint kein Russe gewesen zu seyn. Witolds Günstling, den er nicht verstoßen, war auch ein Litthauer, und so kommt in allen Urkunden, außer seinem Kammerjungen Juschka, kein russischer Nahme vor, wie doch wahrscheinlich zu erwarten

 

 

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wäre, wenn er seine wichtigsten Geschäfte blos Russen übertragen hätte. Wenn seine griechische Gemahlin ihn gegen den katholischen Glauben etwas lau gemacht hatte, so ließ er wenigstens in keiner öffentlichen Verhandlung es merken, und sandte sogar einen Gevollmächtigten, den Ordens-Priester Pfaffendorff, an das Concilium zu Basel *). Aber auf Vereinigung der griechischen und katholischen Kirche dachte er ernstlich, wie in der Folge wird bewiesen werden.

 

Eine lächerliche Behauptung ist es, daß Switrigail die Russen durch Bestechung gewonnen habe. Seine Regierung über Litthauen war so kurz, und durch die Begebenheiten derselben so kostspielig, daß er ummöglich einen Schatz gesammelt haben konnte. Sein Schatz war allein die Liebe der Russen; nur durch diese, nur durch ungeschwächten Muth im Unglück, und rastlose Thätigkeit, wenn gleich Alles verlohren schien, wurde es ihm möglich in wenigen Monden ein Heer zu stellen, mit dem er seinem Gegner die Spitze biethen konnte, und hätte der Orden, wie es seine Pflicht war, ihn kräftig unterstützt, so würde Segemund die Verrätherey theuer gebüßt haben.

 

Switrigail gewann die Schlacht bey Oschmyana nicht, allein er wurde, wie die Berichte, und noch mehr die Folge beweisen, auch nicht geschlagen.

 

 

 

V. Switrigail’s fernere Anstrengungen.

 

Kojalowicz selbst gesteht, derselbe Mann, den, wenige Zeilen vorher, seine Feder vernichtet, habe

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*) Geh. Archiv enthält auf Pergament mit wohlerhaltenem Insiegel Switrigail’s Original-Vollmacht, ausgestellt in castro nostro Wytebsky am Sonntag Lätare 1433.

 

 

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während des Winters 1433, ein neues und weit größeres Heer in Rußland geworben, denn nun wären alle Verwandte und Freunde der, in der Schlacht, von Segemund Gefangenen und aus Rachgier des Lebens beraubten, zu Switrigail getreten, auch habe Segemund sich durch Geiz verhaßt gemacht, und polnische Hülfe sey ihm ausgeblieben.

 

(Der Vorwurf des Geizes kann dem neuen Großfürsten, nach oben gelieferten Berichten, schwerlich gemacht werden, wenigstens war er freygebig mit Handfesten und Belehnungen. Hülfe aus Polen wurde ihm allerdings, indem die polnischen Waffen, mit denen der Hussiten vereint, den deutschen Orden schwächten, der sonst ihm lästig und gefährlich werden konnte.)

 

Switrigail soll mit drey Heeren den Feldzug eröffnet, er selbst Litthauen verwüstet, seine Feldherren, Korybut, Ostrog und Noß, Podolien und Wolhynien ohne Schwerdtstreich eingenommen, Siegmund, den Litthauern mißtrauend, nicht gewagt haben, persönlich im Felde aufzutreten. Sein Feldherr habe eine Schlacht verlohren, worauf er selbst mit Weib und Sohn und wenigen Getreuen, in dicke Wälder sich verstecken müssen, während der wüthende Switrigail Wilna, Troki, Grodno, Lida, Meretz und alle Dörfer der ganzen Gegend verbrannt habe. Dann sey er nach Witepsk gezogen, habe unterwegs den Fürsten Michael Iwanowicz ersäufen lassen, und, nachdem sich Witepsk ergeben, den Fürsten Simon v. Olscha oder Holsa (denselben der den Ueberfall in Oschmyana leitete) von einem hohen Berge in die Düna gestürzt, auch einen Schwärmer, Gerasim, den Flammen übergeben, weil er sich einen russischen

 

 

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Pabst genannt und römische Christen zur griechischen Kirche bekehrt habe. (Das widerspräche ja geradezu dem Vorwurfe der Lauigkeit in Religions-Sachen.)

 

Switrigail habe nun in Rußland eine Herrschaft sich gegründet (die längst gegründet war) und seine Feldherren wären bis in Polesien eingedrungen, hätten schon Brezk belagert, es fast durch Hunger bezwungen, bis die masovischen Fürsten sie genöthigt, die Belagerung aufzuheben.

 

Viele Tataren, von Switrigail theuer gemiethet, hätten ihn verlassen und verflucht, sobald sie vernommen, er sey ein Rebell, und auf dem Rückzuge wäre von ihnen Kiew und Czernigow geplündert worden. Doch erst im Herbst habe Siegmund aus den Wäldern sich hervor gewagt, Switrigail’s Gebiet verwüstet und Mstislaw erobert.

 

Das ist alles, was Kojalowicz von dem Jahre 1433 zu erzählen weiß. Wie unbefriedigend es sey, springt in die Augen. Switrigail, der blos um den Besitz von Litthauen kämpfte, soll, nachdem er seinen Feind geschlagen und in die Wälder gejagt, nachdem er das ganze Land und dessen Hauptstädte eingenommen, sich die Zeit damit vertrieben haben, sie zu verbrennen, und dann heim zu ziehen, seinem vertriebenen Nebenbuhler das Feld freywillig räumend!

 

Hier können abermals nur die Urkunden Licht in diese Dämmerung bringen.

 

Die erste ist ein Schreiben des Obermarschalls an den Hochmeister vom 1. Januar 1433 (am Tage circumcisionis ) *), aus welchem erhellt, daß der Hochmeister über mehrere Herren des Ordens Beschwerde

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*) Geh. Arch.

 

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geführt; weil sie mit Siegmund unterhandelt hatten. Denn also veranwortet sich der Obermarschall: „als Ew. Gnade berührt von Vochsen, deme wir als von ihm selbst haben mitgegeben zu werben und mit Herzog Segemunde zu reden. Gnediger lieber Herr Hochmeister, was wir mit sammt dem von Brandenburg gesucht haben, und obirwegen, das ist alles um des besten willen geschehn und erkannt uff die Zeit. Aber die Gespenster verwandeln sich von Tage zu Tage, als Ihr uns denn schreibt, wer kann also gerathen eigentlich in die Sachen. Auch wird Herr Reibnitz Ew. Gnaden wohl erzählen, wie's eine Gestalt hat mit Herzog Switrigail und den Seinen.“

 

Dieses Schreiben ist dunkel, aber es scheint doch zu beweisen, daß nicht allein der Hochmeister, sondern auch seine Gebietiger, in steter Unentschlossenheit schwankten, daß aber Jener damals mehr zu Switrigail’n sich neigte.

 

Am 6. Januar (am Tage Epiphanie) sandte Ludwig Lanze aus Withwisk *) die deutsche Uebersetzung eines tatarischen kaiserlichen Schreibens, die jedoch, wahrscheinlich aus Unkunde des Uebersetzers, fast unverständlich ist. Nur so viel läßt sich errathen, daß der Kaiser Machmet dem Großfürsten selbst zu Hülfe kommen, oder doch viele seiner Herren und Freunde senden wolle. Er möge nur risch sagen was er bedürfe, so werde Machmet bereit seyn mit ganzer Macht „uffzusitzen uff die Pferde.“ Auch habe er den Herzog Michel von Kywen (Kiew?) zu sich entboten.

 

Derselbe schreibt am 11. Februar (Mittwoch vor Valentini) aus Lukelin **) klagend, daß der Hochmeister

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*) Geh. Ach.

**) Geh. Arch.

 

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seine Meynung geändert. Er, der Comthur, sey doch von Elbing abgefertigt worden in Gegenwart der Prälaten, Gebietiger und des ganzen Landes, mit dem Auftrage, Switrigail’n zu versichern, daß Hochmeister getreulich bey ihm halten wolle, so wie er es verschrieben und beschworen. Das und nicht mehr habe er ausgerichtet, worauf der Großfürst, und auch der Meister in Liefland, sich verlassen und dazu geschickt haben. Der tararische Kaiser sende fünf Alaen (?) seinem nächsten Freunde mit 10000 Bogen, mit welchen Switrigail noch diesen Winter einen Zug nach Litthauen unternehmen wolle. Nun lasse ihn der Hochmeister durch Herrn Reibenitz wissen, er solle den Großfürsten verlassen, „daß er jedoch mit keinerley Redlichkeit und Ehre bisher thun mogte.“ In acht oder zehn Tagen wolle er gehorchen, doch schien es ihm viel besser, noch einige Zeit zu verharren. Segemund wolle in keinen Vergleich sich einlassen, sondern habe Switrigail’s Friedensboten fahen und ersäufen Jassen. Dennoch, habe dieser Segemunds Boten gütlich wiederum entlassen; als sie aber heim kamen, ließ Segemund sie auf den Straßen schleifen und ersäufen.“

 

Andere Boten, die Switrigail an den König von Polen gesandt, habe dieser an Segemund ausgeliefert, der sie köpfen lassen. Schließlich wiederholt er noch einmal den Rath, bey Switrigail’n auszuharren.

 

(Ein wichtiger Bericht, indem er theils die erbärmliche Unzuverlässigkeit des Hochmeisters, theils den großen Unterschied zwischen Switrigail’s und Segemunds Charakter beweist.)

 

 

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Am 12. Februar (am Donnerstag vor St. Scolastiken) schrieb der Obermarschall aus Königsberg *), die Samayten sagen aus, daß, wenn der Orden oder Switrigail nichts (etwas) dazu thun wolle, sie das ganze Land ohne große Arbeit und Mühe einnehmen würden. Es bedürfe dazu keines Heeres, man solle ihnen nur heimlich einige Paniere von Switrigail schicken, so wollen sie den Kämmerer und Alle, die es mit Segemund halten, fangen und ausliefern. Das übrige zu lesen, macht ein großes, vom Zahn der Zeit eingefressenes Loch unmöglich. Vom Schnee ist die Rede, der jetzt einen Zug hindere. Zuletzt werden die Kämmerer genannt: Gawdikke zu Kalthyneiten, Thule zu Kalthyneiten, Gotz Eybithenske zu Medwyken, Charebe zu Rossyeyn, und Kneppe zu Mygynythen.

 

Also hieng so sehr der größere Theil der Schamayten an Switrigail, daß sie sich vermaßen, auch ohne bewaffnete Hülfe, das ganze Land aufs neue ihm zu unterwerfen.

 

Indessen heuchelte Jagiel eine Friedens-Nelgung, denn es findet sich ein Schreiben in Iateinischer Sprache, des polnischen Oberfeldherrn, Castellan von Krakau, Nicolaus de Michalow, der am 22. Februar (am Sonntage vor Matthie) *) den Hochmeister um Geleit ersucht für einen Friedensboten des Königs, Strennum Nicolaum, hier ist ein Loch in der Urkunde) Awzewsky, cubicularem suum,

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*) Geh. Arch.

**) geh. Arch.

 

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der erst zu Segemund und von diesem zu Switrigailn reisen solle, eine treuga zu unterhandeln, auf welche hoffentlich pax perpetua folgen werde.

 

Am 25sten Februar (Mittwoch nach Fastnacht) sandte der Ordens-Meister aus Liefland einen Bericht von seinem Kriegszuge *). Er habe mehrere Ortschaften verbrannt und verheert, auch wohl 3000 Gefangene, jung und alt, mit sich geführt, sey eilf Nächte in Feindes Land gewesen. Als aber Switrigail ihn wissen lassen, er habe sein Volk noch nicht ganz beysammen, habe der Ordens-Meister sich zurückgezogen. Switrigail erwarte 12000 Tataren, den Hauptmann von der Podolie, die Moscowiter und den Herzog von Orvern (Twer), „ohne die andern Russen und seine Macht die er bey sich hat.“

 

Am 23sten April (am Tage Georgi) schreibt der Comthur von Osterrode aus Ylau **): "wahrhaftige Zeitung sey ihm gekommen von Herrn John Swynchen, daß Switrigail Luzk mit allen Zubehörungen wieder inne habe; Herzog Rossik habe es ihm geräumt, weil Switrigail ihm Alles vergeben, und dieser Rossik und Herzog Vetko sollten seine Heergrafen (Heeführer) seyn. Fast wäre auch Brißke mit dem ganzen Lande ihm wieder zugefallen. Auch ziehe das Volk aus Litthauen über die Maßen wieder zu ihm, worüber die Polen sehr erschrocken seyen, und Segemund von Sinnen gekommen, und man besorge, daß die Polen „ihn werden lassen über ein Bein fallen.“

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Die Böhmen hätten sich untereinander veruneinigt und geschlagen, so daß die Weisen die Taborer niedergelegt.

 

Jagiel habe an Herzog Symke geschrieben, ihm werde keine Hülfe von den Böhmen. Auch habe er einen Hort Tataren und einen Bruder aus der Wallachey gefangen, und „mit sussen Worten zu ihm gezogen; darum so wäre es wohl Herrn Joans Rath, daß Ew. Gnaden schreibe Herzog Switrigail’n und ihn daran warnet, daß er dieselbigen, ob er mogte, zu ihm zöge und nähme; wenn nun die auch den Polen entzogen würden, so fühlen sie von duwssen (aussen) keine Beysteuer oder Hülfe. Auch so solle der König gesprochen haben zu seinen Obristen: Ich habe Euch gebeten und auch geboten, daß Ihr keinen Zugriff solltet thun, und das habt Ihr dorüber nicht gelassen, und wollet kriegen ohne meinen Willen, nun kann ich Euch fort mehr nicht helfen, noch Rath schaffen.“

 

Die Herren von der Masau hätten sich entzweyt, weil Herzog Symke den Herzog Wladimir nicht mit zum Hochmeister genommen, „und waren so herrlich mit Worten zusammen kommen, und hätten die Räthe (nicht) gethan, sie mogten sich untereinander geärgert haben.“ Nun wollten sie das Land theilen, so daß Herzog Wladimir das Land diesseitsder Weichsel nehmen, und sich in des Ordens Beschirmung geben wolle. Auch sey zu der alten und jungen Herzogin geschickt worden, „daß sie sich binnen kurzem wollen zusammen fügen.“

 

Der Comthur zu Straßburg habe gefangen Herrn Jokisch von der Stregen, einen Ketzer, den solle

 

 

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man nicht allzu hart halten, „wenn er woll mogte nutze werden.“ Auch meyne Herr Jon, „da sich die Dinge von Gottes Gnaden nun also fügen,“ so solle der Hochmeister die Polen angreifen, „weil es nun die beste Zeit sey, und daß man fortan keinen Frieden mit ihnen mache, da sie genzlich machtlos wären.“

 

Am Freytag vor Antonti (vermuthlich im May) schreibt der Obermarschall aus Königsberg *), der Comthur von Memel habe von losen Leuten vernommen, daß die Samayten sich gar nicht in die Händel zwischen Switrigail und Segemund mischen wollen. Auch sey keyn Samayte dem letztern zugezogen, als er gegen Switrigail seine Heerfahrt angetreten.

 

Uebrigens ist aus diesem Schreiben zu ersehen, dass der Hochmeister abermals um Rath gefragt, welche Parthey er ergreifen solle. Der Marschall verweist ihn an die Prälaten, Gebietiger, Räthe und andere von den Landen, die ihr nutze dazu werdet erkennen.“

 

Am 25. May (am Tage nach Dominica) meldet der Comthur von Osterrode aus Soldau **). Das Gerücht, daß die Herzöge Rosske und Vetko sammt den Wallachen sich mit den Polen sollen vereint haben, sey erlogen. Ein Paar geistliche Personen, seine Spione, hätten berichtet, daß die Brücke bey Nacht durchbohrt und durchlöchert worden, so daß sie unbrauchbar sey, „und hoffe, der ein solches gethan hat, von Ew. Gnaden und dem Orden ein Liephaber gewest ist.“ Der Geistliche wolle auf die Coye kommen gen Leslau, doch zuvor erspähen, „wie es steht im Lande zu Dobryn,

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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ob auch Volk da ist, und ob sich Jemand über die Weichsel will setzen und auch was sie vorhaben zu thun.“ Der Geistliche meyne, man solle das Land zu Dobryn einnehmen je eher je besser, beyde zu Lande und zu Wasser. Wollten die Polen hier oder bey Ploczk eine Brücke über die Weichsel schlagen, die sollten die Schiffkinder zerstören, unbekümmert wenn vom Hause zu Plozk auf sie geschossen würde, „wenn es ist also bestellt uff dem Hawse, dass man also wird schießen, dass es ihnen nicht wird schaden.“

 

Switrigail und Segemund sollen beyde stark zu Felde liegen, und einander geschrieben haben, dass sie um St. Bartholomäi einander ein Treffen liefern wollen.

 

Am 15. May (Freytag vor Himmelfahrt) berichtet der Ordens-Meister aus Liefland *), daß er sich auf Himmelfahrt mit Switrigail zu Plozk vereinigen werde, um in Litthauen einzufallen.

 

Am 7. Juny (Sonnabend vor Pfingsten) schrieb Switrigail selbst von Kriczow an den Hochmeister **), ihm dankend für erhaltene Warnung. Dann meldet er: „der Herzog von der Masau, Wladislaus, unser Schwestersohn, erbeut sich uns zu Diensten mit aller seiner Macht wider den Verretter Siegmund von Litthauen, und wider alle unsere Feinde, und daß wir ihm die Güter, die Herzog Witold genommen und entfremdet hat seinen Ahnherren, daruff

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*) Geh. Archiv

**) Geh Archiv. Bey der Jahreszahl ist ein Loch, so daß nur XXX zu Iesen ist, doch gehört das Schreiben wahrscheinlich in das Jahr 1433.

 

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sie Briefe haben, wieder geben.“ Switrigail will es thun, wenn Wladislaus mit ihm und dem Orden sich treulich verbinde, und er (nemlich der Herzog von Masau) „meynt die Güter selber zu gewinnen an den Sigmund“ (nemlich ohne Switrigail’s Hülfe.)

 

Ein anderer Herr, Stromylo, der ein Schloß an der masauischen Grenze habe, kriegt jetzt mit Sigmund wegen „unbezahlten Soldes und habe Switrigail’n gebeten, daß er ihm den Zorn vergebe als er bei Sigmunden, wider uns gewest ist, und erbeut sich uns mit seinem Bruder zu dienen.“ Dem habe er geantwortet wie seinem Neffen. Ein dritter, Rogale, Kammerherr zur Masau, wolle in Switrigail’s Sold treten „auf 200 Spieße, das ist 600 Pferde, 5 Schock Groschen auf jeden Spieß den Monat, das bringt 1000 Schock.“ Er habe das Erbieten angenommen, den Boten jedoch, der alles dieses verkündet hat, zurück behalten, bis Antwort aus der Masau eintreffen werde, um zu sehen ob sie es auch mit rechter Treue meynen.“

 

Am 3. July (Freytag nach der Feyer unser lieben Frauen Visitationis) hatte Switrigail bereits von Ludwig Lanze vernommen, daß die Polen sammt den Ketzern den Orden in der Neumark angegriffen, daß aber auch viele Gäste (Söldner und Kampflustige) nach Preussen gekommen wären, worüber er dem Hochmeister seine Freude bezeigte *) und versprach, „da Segemund sich mechtig sammle, sein höchstes Vermögen und Fleiß daran zu setzen, mit den Liefländern

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*) Geh. Archiv.

 

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und den Tataren von der Orda am Sonntage nach Margarethe in Litthauen einzufallen.“

 

Zugleich mit diesem Schreiben des Großfürsten, traf auch Eines von dem Ordens-Gesandten Ludwig Lanze ein *), der sich eines lieblichen Empfanges von Switrigail rühmte, versichernd, daß er den Auftrag‚ den Großfürsten zu bearbeiten, sich möglichst angelegen seyn lasse. Dann bestätigt er die Nachricht, daß um die gemeldete Zeit der Einbruch in Litthauen geschehn werde. Daß aber die von Großnowogorod dem Großfürsten: 100000 Schock böhmischer Groschen sollten gegeben haben, sey nicht wahr. Wenn er etwas Geld bey Switrigail merken sollte, so werde er den Hochmeister nicht vergessen. (Also hatte Herr Ludwig Lanze unter andern den schändlichen Auftrag, einen vertriebenen Fürsten Geld abzuzwacken.)

 

Herzog Alexander, fuhr er fort, habe die Polen zu Simpur geschlagen und wohl 500 Pferde erbeutet; Herzog Vetko sey nicht dabey gewesen, habe sich aber nun nebst 4000 Tataren, mit Alexander vereinigt und so wären beyde wieder ausgezogen; was da geschehn, wisse man noch nicht. Die Tataren aus der Orda würden nicht durch Podolien ziehen, sondern hier in der Nähe zum Herrn kommen und mit ihm gegen Litthauen ziehen; was doch nicht geschehen wäre, wenn die Liefländer sich besser gesputet hätten.

 

Am 24. July (am Abend Jacobi Apostoli) schrieb der Pfleger zu Lochstedt von Königsberg an den Hochmeister **): es wären sechs Russen nach Königsberg gekommen,

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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deren Einer Switrigail’s Schreiber, und, seit dessen Vertreibung, bey Segemund gefangen gewesen. Der Hauptmann Manowit von Garthen (Grodno) habe sie los gebeten und zu sich genommen. Bei dem wären sie gewesen, als er mit 1500 Pferden zu Insterburg einbrechen wollen. Zwey lety Luthe (ledige Leute?) aus Insterburg hätten die Litthauer gefangen und sie ausgefragt, wie es an den Grenzen bestellt wäre? Die hätten klug geantwortet: das ganze Hinterland sey mechtig auf den Beinen, worauf sie sich zurück gezogen, um sich zu verstärken. Bey dieser Gelegenheit wären die Russen entwischt, und erzählen: daß Switrigail eine große Macht gesammelt habe, man wisse aber nicht, ob er gegen Polen oder Litthauen sich wenden werde. Er, der Pfleger, sey gesonnen, sich auf drey Wochen auszurichten (rüsten) und landwärts zu Iogen (Iugen, spioniren). Die Russen werde er dem Hochmeister schicken, der sie vertheilen möge nach Gefallen.

 

Der Comthur zu Memel berichtet am 25sten July (am Tage Jacobi) *), daß, der Aussage dreyer Samayten zufolge, die besten Barone und Reisigen aus Samayten zu Herzog Segemund, hingegen der Comthur von Goldingen mit den Curländern gegen Ragnit gezogen seyn, wohin die Samayten Weib, Kind und Gut geflüchtet haben; übrigens könne er die Wahrheit dieser Aussage nicht verbürgen.

 

Am 10. September (am Donnerstage nach der Geburt Mariä) berichtet der Comthur von Ragnit aus Königsberg **): Switrigail solle jetzt in Litthauen

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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stark heeren und brennen, bis auf zwey Meilen von Kauen, und habe den Herzog Michel gefangen, auch sonst viele Leute und Bojaren aus Litthauen, und die noch bey Segemund geblieben, seyen auch allzumal zu Switrigail gezogen, und wollen Segemund, der in die Wälder geflohen sey, nicht mehr beystehn. So haben auch die Samayten ihm den Dienst aufgesagt, seyen heim gezogen und wollen blos ihr Land vertheidigen. Aber auch Switrigail habe sich bis an die Grenze mit den Gefangenen zurückgezogen, wolle diese nach Rußland schicken und dann wiederkehren. In Litthauen habe er ein Haus gewonnen, Nahmens Cranwe, welches er dem Meister von Liefland gegeben. Die Polen auf dem Hause zu Kauen wären alle todt geschlagen, und da sey jetzt Niemand. Alles das habe er von drey Blasern (Pfeifern), die von Traken gekommen, erfahren.

 

Aus diesem Berichte scheint es klar zu werden, warum Switrigail sich zurückzog. Er hatte zwar das platte Land erobert, doch nur ein einziges festes Schloß (Haus) Cranwe, nicht einmal eines der Berühmtern; auch der Gefangenen so viele gemacht, daß er, um Gefahr zu vermeiden, sich ihrer erst entledigen mußte, ehe er weitere Entwürfe ausführen konnte: Er schloß daher einen Waffenstillstand mit Segemund. Zwang ihn die Nothwendigkeit, so zu handeln, so mußte er auch erwarten, daß sein Feind schnell aus den Wäldern wieder hervorbrechen werde, und so geschah es. Denn am 28. Oktober (am Tage Simonis) schrieb der Comthur

 

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zu Thorn dem Hochmeister *), Segemund wolle den Beyfrieden (Waffenstillstand) nicht halten, sondern spreche öffentlich, daß er keines Friedens bedürfe. Ob die Polen ihm das gerathen, wisse der Comthur nicht, melde aber, daß der Rath zu Thorn ihm das Begehren der Handwerker vorgetragen, die zu Martini auf den Jahrmarkt nach Plozk ziehen und wissen wollen, ob solches ohne Gefahr geschehen könne, auch um sicheres Geleit und um ein Schreiben an den Fürsten in der Masau bitten.

 

Zwey Schreiben Switrigail's, ohne Datum, scheinen noch in diesen Winter zu gehören **). Das Erste ist lateinisch, und nicht allein an den Hochmeister, sondern auch an den Marschall, den Groß-Comthur, die Comthure, Vöigte, Gebietiger und alle Beamte des Ordens gerichtet, und durch seinen familiarem, Joskoni mikowio, übersandt. Es enthält blos die Anzeige, daß einige polnische Magnaten ihm Freundschaft und Beystand zugesagt, und die Bitte, daß der Orden ihm gleichfalls Rath und Hülfe nicht versagen möge; übrigens beruft er sich auf des Boten mündliches Anbringen, dem man, als ihm selbst, vertrauen, und ihn nicht lange aufhalten solle.

 

Das Zweyte ist geschrieben aus dem Schlosse Simczislaw am Sonnabend nach Michaelis, und erzählt: Herzog Jürge Langwendeson sey mit 14 guten Leuten aus dem Gefängnisse entkommen. Segemund sammle sich mächtig, führe Büchsen mit sich und ziehe wider sein Land gegen Russen. Auch

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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die Polen hätten sich gesammelt und wollten Luzk umlegen; so falle es ihm schwer, seinen Feinden auf allen Seiten zu begegnen, und darum bitte er den Hochmeister, „als wir hochste mogen,“ sie anzugreifen.

 

Ferner gehört hieher das Schreiben der Kirchenversammlung zu Basel an Switrigail *), ihn väterlich ermahnend, sich mit Polen zu versöhnen. Er war zu Allem willig, doch nur gegen Räumung von Litthauen. Diesen Stein des Anstoßes konnten die Väter in Basel nicht auf die Seite wälzen. Auch Switrigail’s Bevollmächtigter, Andreas Pfaffendorff, schrieb von Basel an den Hochmeister am allerheiligen Abend (31. Oktbr.) **), und meynte, der Orden könne Switrigail nicht aufgeben, „es wäre denn, dass Ihr Euch all Eurer Ehren wollt begeben und meyneidig vor der Welt geheissen werden.“

 

Alle, diese Ermahnungen der ehrlichen Männer im Orden fruchteten nichts.

 

Sämmtliche Urkunden beweisen, daß Switrigail im Jahre 1433 durch Hülfe der Russen und Tataren (von deren Rückzuge und ausgesprochenem Fluche nirgend etwas erwähnt wird), seinem Feinde überlegen war; daß die Litthauer und Samayten ihm haufenweis zuströmten; daß die Liefländer und Wallachen treulich an ihm hielten; daß der Hochmeister immerfort eine zweydeutige Rolle spielte, und daß die Polen öffentlich

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*) Martene ampliss. collectio T. 8. p. 582.

**) Geh. Archiv. Dieses Schreiben wird, als in weiterer Hinsicht merkwürdig, im Anhang unter No. 3. ganz geliefert.

 

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einen Waffenstillstand vermittelten, heimlich aber Segemund verhetzten; denn wie hätte er sonst wagen mögen, am Ende des Jahres den Beyfrieden zu brechen? er, der den Litthauern nicht trauen, und keiner andern Hülfe als polnischer gewärtig seyn durfte.

 

Nun erzählt Kojalowicz ferner, unter dem Jahre 1434, Jagiel sey gestorben, sein Sohn Wladislaw ihm gefolgt, der kranke Siegmund nicht auf dem Reichstage erschienen, doch habe er durch Abgeordnete in seinem und seiner Stände Nahmen die alten Bünde daselbst erneuert; bey welcher Gelegenheit der russische und podolische Adel dem polnischen völlig gleich gesetzt und die russischen Fürsten von der bisherigen Abgabe an Getrayde, wie von der Verpflichtung auf eigene Kosten im Felde zu dienen, befreyt worden wären. (Über welche russische Fürsten? sie hielten ja fast Alle es mit Switrigail? wollte man dadurch vielleicht sie von ihm abziehen?)

 

Switrigail habe, von Polozk aus, einen Zug gegen das Broslawische Gebiet unternommen, sey aber durch häufigen Regen, Sümpfe und angeschwollene Seen genöthigt worden, abzulassen. Die Liefländer wären in Schamayten durch einen Hinterhalt fast ganz vertilgt worden, und kaum habe der Meister Sancius (der nie existiert hat) durch die Flucht sein Leben gerettet.

 

Die Podolier hätten Theodor Korybut, den Switrigail verhaften Iassen, mit Gewalt befreyt, und, mit Hülfe der Buczaker, Switrigail’s Truppen geschlagen, worauf Theodor, zu den Polen übergehend, die Schlösser Braslaw und Kremmetz ihnen eingeräumt.

 

 

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Switrigail, nimmer muthlos, habe für das folgende Jahr nicht blos die Russen bewaffnet, sondern auch durch Gold und Bündnisse fremde Kriegsvölker sich zu verschaffen gewußt: Liefländer, Moscowiter, kasanische Tataren, Böhmen und Schlesier; wogegen der neue König 8000 PoIen nach Litthauen gesandt habe.

 

Die Urkunden vom Jahre 1434 sind folgende:

 

Am 7. April (Mittwoch nach St. Ambrosii) meldet Switrigail dem Hochmeister aus Wezma *): Er sey am heiligen Osterabend an die Grenze des Landes Moskwa kommen; „in des ist uns viel Iipliche und fröliche Botschaft worden, daß sich geschlagen haben im Felde mit aller ihrer Macht, mit großen Heere und mächtigen Streite Herzog Jürge der Großfürste zu Moskwa mit Wassili, Großfürsten, seines Bruders Sohne. Da hat Gott Herzog Jürgen geholfen, daß er seinen Feind den Wassili und alle seine Heere niedergelegt und geschlagen hat, und Häuser und Dörfer und ganzen Landes sich unterwunden hat; und die alte Großfürstin und Wassili’s Hausfrau und alle andere, die wider ihn gewest seyn, gefangen hat, und Wassili aus dem Lande getrieben, und Herzog Jürge ist von langen Zeiten guter und auch gebohrner Freund uns und hat entboten, er wolle uns helfen und seinen Sohn zu uns senden.“

 

(Russische Chroniken setzen die Einnahme von Moskwa auf den 15. April in der Osterwoche, allein das wäre schon deshalb unrichtig, weil Ostern im Jahr 1434 am 28. März gefeyert wurde. Switrigail’s

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*) Geh. Arch.

 

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Bericht vom 7. April hebt vollends allen Zweifel. Die Schlacht muß vor Ostern geliefert worden seyn, und so mag allerdings Moskwa in der Osterwoche seine Thore geöffnet haben. Switrigail erwähnt *) eines Bündnisses zwischen dem Großfürsten Georg und dem von Räsan, wodurch ersterer sich anheischig machte, ohne des letztern Zustimmung in keine Art von Verbindung mit Switrigail zu treten. Dennoch muß es geschehen seyn, da Switrigail ausdrücklich das Versprechen seines Beystandes verkündet, und auch Kojalowicz die Moscowiter unter Switrigails Truppen zählt.)

 

Vier Tage später, am 11. April (Sonntag vor Tiburcii) schrieb Switrigail abermals aus Wezma Wiäsma) **). Ein Bote vom tatarischen Kaiser, Nahmens Tolmacz, „den wir uff das Kayserthum gesatzt haben,“ sey nach Wezma gekommen, und berichte, der Kaiser sey nun wirklich aufgebrochen; in der Gegend von Kywen Switrigail’s Bestimmung erwartend, wohin er sich wenden solle.

 

Zwey niedergelegte Zettel begleiten dieses Schreiben, in dem Einen die von Herzog Vetko aus Podolien übersandte Nachricht, daß die Polen in jenes Land eingerückt, eine Stadt, Zwarasko, geplündert und dann heim gezogen wären. Aber Vetko habe rasch seine Leute gesammelt, ihnen nachgesetzt bis in die Heymath, sie Alle gefangen sammt dem Geraubten und fort geführt. Auf dem Hinwege sey ihm verrathen worden, daß Frau Skarwken in

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*) III. p. 169

**) Geh. Arch.

 

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der Nähe sey, „deren Mann großer Landherr ist im Lande Lewen” (Liven). Diese Frau sey erst kürzlich bey Jagiel gewesen, „deme und auch der Königinne sie gar heimlich ist.“ Die habe er auch gefangen sammt ihrer Schwester, ihrem Bruder und zwey reichen Landleuten, nachden er die verfolgenden Polen zurück geschlagen. Die Frau Skarwken versichere, dass, zu großem Schrecken der Polen, der römische König dem von Polen entsagt habe. Den erstern habe Switrigail auch um ein Schreiben an den Woywoden der Wallachey gebeten, auf daß er ihm und nicht den Polen helfen solle.

 

Der zweyte Zettel berichtet: als Switrigail schon von Wezma nach Smolensk fortgezogen, habe er bey Drohobuz (Dorogobusch), Herzog Andres Stadt, abermals Boten vom tatarischen Kaiser angetroffen, die alles schon Gemeldete bestätigten, „und haben uns auch Gift und Gabe gebracht zu Gedächtniß, und dazu seine Großfürsten und ganzer Rath haben uns sunderlich ihre Botschaft gethan und sich gegen uns hoch erboten mit sammt ihrem Herren dem Kayser, daß sie uns wollen zu unserm väterlichen Erbe und Großfürstenthum helfen, und daß sie ganz bereit seyn und ihre Pferde satt sind, und der Kaiser danket ihnen sehr der Fürsten, daß sie ihn hoch in Würden haben, und er begehrt und bittet uns, daß wir ihnen das ihm zu Ehren und auch ihnen in unserm Briefe Danksamkeit schreiben wollen.“

 

(Das letztere ist dunkel, wenn es nicht auf Switrigail’s Ausdruck bezogen wird: den wir uff

 

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das Kayserthum gesazt haben; Er also hatte den Tataren einen Kaiser gegeben.)

 

Am 25. April (am Tage St. Philippi Jacobi) schrieb Switrigail aus Smolensk *): Gute und getreue heimliche Freunde in Polen und Litthauen und auch seine Diener an der Grenze haben ihm entboten, daß die Polen auf Pfingsten seine Schlösser Lawzk und Kremmetz berennen; gewinnen oder aushungern, und dann mit den Litthauern in seine Lande ziehen wollen. Sein Marschall, Herr Remyza, Hauptmann von Branske, sey vom tatarischen Kaiser Sedachmet gekommen, und mit ihm desselben Kaisers Großfürst Bato, wie auch dessen oberster Marschall. Die sagen, daß der Kaiser wohl gerüstet im Anzug sey mit allen seinen Fürsten, und seine Bestimmung erwarte. Darum habe Switrigail nun, mit Rathe seiner Fürsten und Herren, den Ywaschka Menywidowicz zu Sedachmet gesandt, daß er ziehen solle auf die polnische Grenze, die Schlösser und Häuser zu bewahren, während Switrigail selbst mit seinen Helfern nach Litthauen aufbrechen werde. Der Großfürst, Herzog Jerige von Moskwa, habe seinen Sohn geschickt mit großer Macht, und auch der Großfürst zu Tfer (Twer) und die Fürsten von Odoyow, „welche unsere Vorfahren nie mogten zu Hülfe gehaben. Auch hat uns dieselben Fürsten von Odoyow und ihre Lande der Kayser gegeben und verschrieben aus seinen Händen.“ Darum solle nun der Orden auch zuschlagen, auf daß die Polen ihre Macht theilen

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*) Geh. Arch.

 

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müßten, „Wenn so wir also einander helfen werden, als wir uns gelobet und geschworen haben mit unsern Landen, so werden wir mit Gottes Hülfe allen unsern Feinden stark genug seyn.“

 

Ferner meldet Switrigail, die Polen hätten öfter ihm Frieden angeboten, wenn er den Orden lassen wolle; allein dazu werde er sich nie verstehen. Auch der römische König habe ihn ermahnt, treulich bey dem Orden zu halten, „das haben wir allezeit gethan und thun es, und fürbaß thun wollen, und unsere Eyde und Gelübde treulich halten unverrückt." Dasselbe hoffe er aber auch vom Hochmeister; darum sende er den edlen Gabriel Zerla, seinen heimlichen Schreiber, der das Weitere ihm mündlich sagen werde.

 

Der redliche Großfürst ahnte nicht, daß der Orden ihn bereits verrathen hatte. Noch am 27. Juny (am Sonntage vor Petri Pauli) wiederholte er aus Smolensk *) fast alle obige Nachrichten, Bitten und Ermahnungen. Leider ist dieses Schreiben sehr zerrissen und zerfressen.

 

Am 6. Juny (Sonntag nach Bonifacii) meldete der Comthur zu Riga dem Hochmeister **): Segemund sey ausgezogen mit zwey Heeren, auch Switrigail stark gerüstet, die Tataren bey ihm zahlreich. Segemund's Sohn soll dem Vater entritten, wohl mit 200 Pferden und 60 Bojaren zu Switrigail’n übergegangen seyn. Auch der Polen Haupt, Stromyt, sey mit Weib und Kinden von Siegemund heimlich entwichen.

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Während Switrigail auf des römischen Königs Wort und auf des Ordens Treue baute, hatte dieser längst mit seinen Feinden sich verbunden; denn schon am 28. Februar, schrieb Kaiser Sigismund aus Basel einen donnernden Brief an den Hochmeister *), ihm vorwerfend, daß ein dem Frieden mit Polen des verbündeten Großfürsten nicht gedacht; ihn erinnernd, daß seine, des Kaisers Ehre, dadurch nicht minder angetastet sey; daß Switrigail, auch in größter Bedrängniß, den Orden nie verlassen habe; daß der geschlossene Friede dem Orden selbst am Ende verderblich seyn werde; ihn bedrohend, dem Orden das ganze Land, das er so lüderlich verwalte, zu entziehen; ihn ermahnend und ihm befehlend, bey Verlust aller Würdigkeit, Ehren, Gnaden ‚ Privilegien und Freyheiten, die der Orden vom heiligen römischen Reiche habe, alsobald jenen unbilligen und unredlichen Frieden zu brechen und den Großfürsten mit aller Macht beyzustehn.

 

Auch daran kehrte der Orden sich nicht. Nur einen schwachen Versuch machte er Ehrenhalber, den Großfürsten Siegmund bittend, daß er seinem Vetter wenigstens „etliche Winkel des Landes einräumen solle, davon er sich enthalten möchte;“ und als das mißlang, schloß er unbedenklich einen zwölfjährigen Waffenstillstand, in dem er ausdrücklich versprach, dem Bündniß mit Switrigail zu entsagen, auch an des Kaisers oder des Pabstes Mißbiligung sich nicht zu kehren. (Die Erwähnung des Pabstes beweist abermals, daß dessen zu Wilna verlesene Bulle ein

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*) Geh. Arch. Es wird im Anhange No. 4 ganz geliefert.

 

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Mährchen war, denn wie hätte man sonst von dieser Seite Mißbilligung befürchten können?)

 

Auch im Orden selbst gab es der Redlichen viele, die des Hochmeisters Treubruch laut mißbilligten, und es bleibt besonders merkwürdig, daß der Meister von Liefland ihm sogar den Gehorsam versagte; denn am 19ten April (Montag nach Jubilare) schrieb er aus Wolmar sehr freymüthig *): er habe mit seinen Gebietigern, Rittern und Knechten den Frieden, der in Preussen gemacht worden, zwischen Polen und dem Orden wohl erwogen, „keinen Nutzen daraus erkannt,“ und daher beschlossen, ihn nicht zu halten. 14 Tage nach Pfingsten wolle er gegen Litthauen aufbrechen, um zu hindern, daß man dort nichts gegen Switrigail unternehme.

 

Schade nur, daß sein redliches Vorhaben einen so üblen Ausgang hatte, denn am 1. September (am Tage Egidii) schrieb der Comthur zu Goldingen aus Schrunden an den Comthur zu Memel **), er habe 800 Mann zu Fuß und zu Pferde nach Samayten geschickt, „und die sind allzumal, daß Gott erbarms, todt geschlagen und gefangen und nicht Ein Pferd ist zurück gekommen und alle unsere Armbrüste und Harnische sind dort geblieben. Nur das Landvolk kommt bey 6 und 7 zurück, aber von den Herren und Dienern keiner.“

 

So meldet auch der Landmarschall von Liefland am 18. Oktober (St. Lucas-Tag) aus Riga ***),

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

***) Geh. Arch.

 

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man wisse noch nicht genau, wer gefangen oder erschlagen sey. „Ein Theil Hofleute, allhier zu Lande gesessen, und auch ein Theil Diener und Undeusche kommen zurück, bey zwey und drey, wie sie aus den Gefängnissen brechen, allein vom Orden ist noch Niemand zurück. Des Meisters Bruder, Berthold Kirschkorff, Heinrich Rodenberg und des Marschalls Schwager sollen gefangen, Reynold Rutenberg soll todt seyn.“ Die Litthauer lägen vor Witepsk, und Switrigail sammle gegen sie Tataren und Russen. Die Pleskauer habe Segemund aufgefodert sich ihm zu unterwerfen, allein sie haben erklärt, daß sie Leib und Seele bey Switrigail lassen wollen,“ begehren jedoch Hilfe, die er ihnen auch zugesagt.

 

Indessen scheint es fast, der abgeschlossene Waffenstillstand sey so heimlich gehalten worden, daß Switrigail nichts davon erfahren (wie auch der Kaiser in seinem Schreiben vermuthet), denn noch am 6ten December (St. Nicolaus-Tag) bat er den Hochmeister aus Smolensk, des römischen, Königs Boten, der bey ihm gewesen, sicher durch Preussen zu geleiten *).

 

Es mag hier der Ort seyn, von ein Paar gleichzeitigen, doch mit keinem Darum versehenen, beyde in lateinischer Sprache abgefaßten Friedens-Entwürfen Erwähnung zu thun **). Der erste setzt im 3ten Artikel fest; quod illustris princeps. Boleslaus alias Swidrigal, magnus dux Lithuanie et Russie, frater

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*) Geh. Ach.

**) Geh. Arch.

 

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carnalis domini regis Polonie, qui natalis est etiam heres magni ducatus Lithuanie (der durch die Baronen und Edlen mit Einwilligung Jagiel’s erwählt worden sey,) subordinatione prefati dni regis spoliatus, juris ordine praetermisso, in pristinum statum et pacificam possessionem herzustellen sey.

 

Der andre trägt die Ueberschrift: „Antwort des römischen Königs auf die Anträge, welche Sigismund Roth, Switrigail’s Abgeordneter, gemacht hat.“

 

Erstens auf den Antrag, ein Bündniß mit ihm und dem Orden zu schließen; der Kaiser sey das wohl zufrieden.

 

Zweytens: um Verleihung der Königs-Krone? wogegen Switrigail sein getreuer Sohn zu seyn versprach. Der Kaiser bewilligt solches, und will sogar, trotz vieler Geschäfte, selbst kommen und die Krönung vollziehen. Switrigail solle nur dem Hochmeister ungesäumt schreiben, an welchem Orte es geschehen solle.

 

Drittens: daß Switrigail gesonnen sey, sich mit der Tochter des Woywoden von der Moldau zu vermählen, um ihn dadurch von den Türken und Polen abzuziehn. Auch das billigt der Kaiser und dankt für das Erbieten, ihm gegen die Türken beyzustehn; er werde das nie vergessen und bey Gelegenheit brüderlich vergelten. Das Blast ist unterzeichnet Casper etc. (des Kaisers Kanzler hieß Caspar Schlick.)

 

Obgleich beyde Entwürfe beysammen liegen, so scheint es doch, der letztere sey schon zwey Jahre früher gemacht. Nur bleibt unbegreiflich, wie Switrigail

 

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sich habe erbieten können, eine andere Gemahlin zu ehlichen, da er doch schon längst mit einer Twerschen Fürstentochter vermählt war. Ueberhaupt ist über das Schicksal seiner Gattin viel Dunkelheit verbreiter. Kojalowicz läßt gleich anfangs im Oschmyana sie in Gefangenschaft gerathen, weIches irrig seyn muß, da sie bald nachher auf einem von Switrigails Schlössern im Kindbett lag. (Der Sohn, den sie damals gebahr, muß jedoch gestorben seyn, denn Switrigail gieng kinderlos aus der Welt.) Allein gefangen wurde sie doch wirklich (wann und wo ist unbekannt), und vielleicht als eine kostbare Geisel, von Siegmund bewahrt; das ist zu ersehen aus einer Bulle des Pabst Eugen an diesen Großfürsten, aus Florenz vom 13. Novbr. *), worin der Pabst ihn nicht allein zum Frieden ermahnt, sondern ihn auch auffodert, Switrigail’s Gemahlin Sophie zurück zu geben, die von den Seinigen in einem gewissen Schlosse, zugleich mit diesem Schlosse genommen worden sey, und die er immer noch zurück halte, welches dem Pabste unmenschlich scheint. Es habe heydnische Helden gegeben, schreibt Eugen, die, wenn sie Städte eingenommen, die Weiber mit Ehren nach Hause geschickt; um so mehr zieme solches einem christlichen Fürsten. Weiber müssen am Kriege keinen Theil nehmen, und, wenn Siegmund Frieden begehre, so solle er die Fürstin Sophie, als des Friedens Erstlinge, ihrem Gemahl zurück senden.

 

Es ist nirgend zu finden, daß diese Ermahnung gewirkt. Da der Pabst von einem eroberten Schlosse

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*) Geh. Archiv. Es wird im Anhange No. 5. ganz geliefert.

 

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spricht, in welchem Sophie sich befunden; so ist fast zu vermuthen, daß jenes wohl verwahrte Schloß, in welchem sie ihre Niederkunft abwarten sollte, dennoch, trotz der starken Besatzung , von Sigmund erobert, vielleicht überrumpelt worden; nur bleibt es stets ein Räthsel, daß in keinem Briefe des Großfürsten; in keinem Berichte der Ordens-Beamten, dieser Begebenheit erwähnt wird.

 

Es gehören in dieses Jahr noch drey andere Bullen desselben Pabstes von demselben Datum *), die nicht minder merkwürdig sind. Die erste ist an Switrigail gerichtet. Eugen, heißt es, habe erfahren, daß Switrigail mit dem russischen Metropoliten Gerasim einverstanden sey, die griechische Kirche mit der römischen zu vereinigen, und daß Gerasim selbst deshalb zum heiligen Stuhle wallfahrten wolle, welches ihm, dem Pabste, sehr angenehm zu hören gewesen. Wenn Switrigail dieses Werk zu Stande bringe, so werde solches allein hinreichen zu beweisen, daß er seinen Völkern von Gott gegeben sey. Vor allen Dingen müsse aber der Metropolit ein Provincial-Concilium von russischen Geistlichen versammeln und sich von diesem zu der Handlung bevollmächtigen lassen; dann werde er ihn mit großen Freuden und Ehren bey sich aufnehmen. Uebrigens ermahnt er auch Switrigail’n zum Frieden, gleichwie er Sigmunden ermahnt hatte.

 

Die zweyte Bulle desselben Inhalts ist an Gerasimus selbst gerichtet. Die dritte an die Bischöfe von

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*) Geh. Archiv. Sie werden alle drey im Anhange No. 6. 7. 8. ganz geliefert.

 

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Wilna und Camin, enthält den Auftrag, zwischen Sigismund und Switrigail Frieden zu stiften.

 

Von demselben Jahre ist auch noch ein lateinischer sehr unleserlicher Entwurf vorhanden von einem Schreiben, in welchem der Hochmeister Jon Milesdorf dem Pabste empfiehlt, weil er in den Geschäften gebraucht sey, die Rückkehr der Russen in den Schoos der Kirche betreffend; datirt Marienburg den 22. July.

 

Durch obige Bullen wird nun nicht allein gänzlich sowohl der Vorwurf entkräftet, daß Switrigail lau in der Religion gewesen, als auch der, daß er sich mehr zu dem griechischen, als zu dem katholischen Glauben hingeneigt habe; er wünschte vielmehr eine Vereinigung beyder, hatte sie wirklich mit dem Metropoliten verabredet, und, hätte das Unglück ihn nicht verfolgt, wäre er nicht machtlos geworden, so mögte es wohl gelungen seyn und der ganze Norden dadurch eine andere Gestalt gewonnen haben. Die Politik konnte schwerlich diesen seinen Wunsch veranlassen, denn für seine weltlichen Angelegenheiten konnte es nicht vortheilhaft seyn, wenn Russen und Polen eines Glaubens waren. Also mag es wohl seine fromme Ueberzeugung gewesen seyn.

 

Allein wer war Gerasim? — Die russischen Chroniken nennen Isidor; auch reiste wirklich Isidor in diesen Angelegenheiten zum Pabste, und wir besitzen noch das Tagebuch seiner Reise *), die er im September 1436 angetreten. Also wäre diese Reise als eine

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*) Древняя Россїйская Библїоѳика. Часть. VI. p. 27

 

 

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Folge jener Bulle zu betrachten. Allein er kam erst 1441 zurück. Unterdessen lassen russische Geschichtschreiber *) ihn erst 1437 aus Constantinopel in Moskwa anlangen, später ihm zum Pabste abfertigen, 1438 aber noch die Fürstin Eupraxia begraben, dann abermals die Reise antreten und schon in Dorpat Beweise seiner Vorliebe für den katholischen Ritus geben, wovon jedoch das Tagebuch seiner Reise nichts enthält. Es ist hier nicht der Ort, diese Widersprüche zu vereinigen. Nur wie Gerasim mit Isidor verwechselt worden, ist zu untersuchen. Dieser Gerasim war Metropolit zu Smolensk (woraus sich auch Switrigail’s trauliches Verhältniß. zu ihm erklärt), er war schon 1434 am 26. May zu Nowogorod bestimmt worden, Metropolit in Moskwa zu werden, allein Photius, der Metropolit von ganz Rußland; der zu Kiew seinen Sitz hatte, widersetzte sich dieser Ernennung und sie unterblieb **). Das hatte ohne Zweifel Switrigail nicht vermuthet; er hatte bereits dem Pabste seinen Gerasim als den Mann dargestellt, der, vermittelst seiner Würde, die Vereinigung beyder Kirchen bewirken könne, und so richtete Eugen seine Bulle an ihn. Indessen fand Switrigail in Isidor ein eben so willfähriges Werkzeug, und so gieng die Sache ihren bekannten Gang.

 

Vom Jahre 1435 erzählt Kojalowicz: durch Sigmunds Sohn, Michael; einen tapfern Jüngling, habe Switrigail an der Swjonta die blutigste Niederlage erlitten, in welcher auch der Meister

 

*) Татищевъ V. 517, 519, 520, 522.

**) Татищевъ V. 512.

 

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von Liefland mit seinen besten Rittern geblieben wäre. Die Anführer der Böhmen und Schlesier, wie auch die meisten russischen, habe Michael seinem Vater als Gefangene zugesandt, seinen Sieg verfolgt, allein die Schlösser vor Polozk und Witepsk nicht bezwingen können. Sigmund habe die Gefangenen ersäufen, vergiften und auf allerley Weise ermorden lassen, unter andern auch den Fürsten von Mstislaw, Jaroslaw Lingum. Da wären der römische König und der Hochmeister geschmeidiger geworden, und hätten 1436 Frieden gemacht.

 

Der letztere that weiter nichts, als was er längst beschlossen und eingefädelt hatte, den Treubruch gegen Switrigail in einem langen Schreiben an den Deutschmeister *), damit entschuldigend, daß der Großfürst, alle Warnungen verschmähend, 1431 den Frieden von Luzk gemacht. Verrätherey sey gegen ihn angesponnen worden; „man warnte ihn abermals, er glaubte es nicht, bis ihm der Glaube in die Hände kam. Durch den Frieden von Luzk hat er sein eignes Unglück geschmiedet, daraus ist aller Jammer entsprossen.

 

Von der großen verlohrnen Schlacht an bei Swjonta sind im geheimen Archiv zwar viele Spuren, doch keine umständlichen Berichte zu finden. Der Hochmeister meldete dem römischen Könige, Switrigail sey, mit seines Bruders Sohn; Herzog Jürge von Rußland, entkommen. Die Schlacht muß im Winter geliefert worden seyn. Ein lateinisches Schreiben Switrigail’s vom 26. Februar 1435 (Sonnabend

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*) Geh. Arch. Registrande.

 

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nach Matthäus Evangelist) *) beweist, daß er sich in Witepsk geworfen, denn von Vithewsko ist dasselbe datirt. Er meldet dem Hochmeister sehr betrübt, dass er, sammt dem Meister von Liefland, durch Gottes Zulassung und Uebermacht der Feinde geschlagen, mehrere getödtet, viele gefangen worden, mahnte an das alte Bündniß, bat um Rath und Hülfe, und daß der Orden den Polen aligua damna zufügen wolle. Zugleich sandte er einen Boten an den römischen König, um dessen Beförderung er den Hochmeister ersuchte.

 

Also noch immer vertraute er dem Orden, und der Hochmeister hatte wohl Recht, ihm vorzurücken: daß sein Gemüth zu arglos sey und jede Warnung verschmähe. Nur scheint der Grund seines Unglücks weniger in dem Frieden von Luzk zu liegen, als in dem zweydeutigen Schwanken und Zögern des Ordens, als Sigmund den Großfürsten in Oschmyana überfallen hatte. Wäre der Hochmeister damals gleich in Litthauen eingerückt, so konnte die Verrätherey, die nur von wenigen angesponnen war, dem Verräther keine Frucht tragen.

 

Nur noch Ein Schreiben findet sich von diesem Jahre, obwohl ohne Datum. Es ist von dem Grafen von Temeswar de Rozgon an Switrigail gerichtet: **), und meldet ihm, der Kaiser sey ihm nach, wie vor ergeben und werde Alles für ihn thun.

 

Am bewundernswürdigsten erscheint Switrigail im Unglücke, nie den Muth verlierend, immer neue Hülfsmittel in seinem Geiste, seiner Thätigkeit, und der Treue seiner Russen findend.

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*) Geh.. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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Kojalowicz irrt sehr, wenn er vorgiebt, die Schlacht an der Swjenta habe den römischen König von Switrigail abwendig gemacht. Dem widerspricht gradezu ein Schreiben Sigismunds vom 1. Februar 1436. (Die Lune ante festum purificationis. virginis gloriose), ausgestellt in Alba regali. Regnorum nostrorum Anno Hungarie XIX., Romanorum XXVI., Bohemie XVI. et Imperii. tertio *), unterzeichnet ad mandatum domini Imperatoris Caspar Slitzk miles cancellarius. Hier meldet der Kaiser magno duci Litwanie, fratri et consanguineo nostro carissimo, er habe dessen familiarem Watzlawsko gütig aufgenommen, auch Alles wohl verstanden, und, ob er gleich mit Schmerzen vernommen, percepto. conflictu inter Vestram fraternitatem et adversarios vestros habito, so sey doch nun wieder erfreut und getröstet, da dieser Watzlawsko, der gegenwärtig gewesen, und dessen Erzählung er völlig traue, ihn berichtet habe, Switrigail’s Heer sey nicht so arg beschädigt worden, als anfangs das Gerücht verbreitet.

 

Dann schreibt er die Schuld seines eigenen Zögerns, auf die Hoffnung einer allgemeinen treuga, durch welche die Polen ihn getäuscht, indem sie zugleich versprochen hätten, dem Herzog Siegmund keine Hülfe zu leisten. Sed speramus in deum omnipotentem ista omnia debite et magnifice ad honorem vestrum et commodum nostro auxilio restaurare. Er werde nun nach Böhmen gehn, quo fiet, quod rebus nostris atque vestris multo melius

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*) Geh. Arch.

 

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poterimus consulere et sic indubie frater carissime faciemus.

 

Der König von Polen habe oratorem suum Grotkonem zu ihm gesandt, mutuam convencionem et treugas mit ihm und dem Orden zu schließen, sed quia de vestra fraternitate non fiebat mentio refutavimus illam convencionem atque treugas, nolens sine vestra fraternitate aliquid cum polonis inire. Das habe er dem Grotko in Gegenwart der Legaten, des Concilii und der Böhmen erklärt. Auf nächste Pfingsten sollen der König von Polen und Herzog Sigmund Bevollmächtigte nach Prag senden: dasselbe erwarte er von Switrigail und dem Orden, et ibi per medium legatorum sacri concilii siliorum regni Bohemie speraremus quod omnes discordie inter partes per dei gratiam feliciter tollerentur. Ipsi enim legati super hoc haberent commissionem a sancto concilio et Boemi se ad hoc etiam juxta mandata nostra promptissimos offerebant et hoc in presentia ipsius Grotkonis factum est, quem legati et Boemi similiter ad hoc sunt adhortati. Grotko habe auch sogleich einen salvum conductum für die Oratores mitgenommen. Es mogten aber die Widersacher erscheinen oder nicht, so sollten doch Switrigail und der Orden nicht ausbleiben, um das nöthige zu verhandeln: nemlich wenn die Eintracht nicht zu Stande komme, quo modo et forma nos effectualiter adjuvare et temeritati adversantium obviare poterimus. Sit ergo vestra fraternitas robusta animi et consoletur in domino, et principes, Barones, terras el subditos vestros confortet atque certificet de nostro adjutorio atque

 

 

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auxilio, quo vestram fraternitatem nullatenus deseremus, commodosiusque hoc fieri poterit ex quo omnipotens deus nobis bellicossissimum regnum nostrum Boemie dignatus est restituere.

 

Nun gehe er nach Buda, von da nach Waradein, und dann ad Cassoviam, um die Grenzen gegen Polen zu disponiren, ut tempore suo, si opus fuerit, ad guerram sint parati, et tamen festinabimus celeriter, ut dietam Sti Georgii cum Boemis non negligamus.

 

Mündlich werde der Großfürst mehr erfahren durch die Strenui et fideles ac dilecti familiares Martynko de Baworow und Nicolaus Brzezinka, (für welche am selben Tage ein Credenzbrief ausgefertigt worden) *), auch durch Watzkow, Switrigail’s eignen Boten.

 

Alle diese Zusicherungen wiederholte der Kaiser am 3. August aus Brünn **), wo er die Nachricht bereits erhalten, daß Switrigail sich seinem Willen in Allem fügen werdes. Arrestatio Maroscallis vestri, fügt er hinzu, et nunciorum vestrorum in Moldavia, multa nobis dedit impedimenta, quod in preparationibus nostris, non potuimus nec scivimus nos bene regere. Auch sey Grotko abermals mit Clymko, einem familiaris des Königs, zu ihm gekommen, um Frieden zu unterhandeln, der doch nur in Gemeinschaft abgeschlossen werden solle. Geschähe das nicht, immediate veloces nuncios ad vos mittemus und Switrigail solle versichert seyn,

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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quod invasione regni Polonie auxilia nostra praestabimus.

 

Daß der Großfürst solchen ernstlichen und oft wiederholten Versicherungen eines römischen Kaisers traute, kann ihm wohl nicht verargt werden. Auch ist noch eine Art von Erklärung vorhanden *), welche beweisen mag, daß der Kaiser wenigstens einen Unterhändler sandte, Johann Richard, kaiserlichen Notar, der am 29. Februar (ohne Jahrzahl) in Alba regali bezeugte, er sey an den Hochmeister geschickt, um zu verhindern, daß derselbe nicht zu Thorn cum polonis de et super quatuor articulis sich vereinbaren mögte. Das sey geschehen auf des Kaisers Befehl und auf die Bitte von Switrigails Marschall Watzko: deo teste cum quanta solicitudine laboribus et vigiliis dietam concordiam impedivi quantum vires sufficiebant; wie denn auch Watzko wohl wisse, der ein dominus magne prudentie et claritalis sey.

 

Switrigails Briefe an den Hochmeister wurden von nun an in lateinischer Sprache geschrieben, und er bat auch um lateinische Antworten, weil er jetzt Niemanden habe‚ der im lingwagio theutonica schreiben könne.

 

Am 24. Febr. 1436 (am Tage St. Mattheus) meldete er aus Kiew **), die Polen wollten Frieden unterhandeln, darum habe er den Bischof von Kiew und den Ritter Masko Vlewicz hingesandt; es hieße, sie würden als Gefangene behandelt, weil

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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die Tataren und Litthauer durch Streifereyen in Polen Schaden angerichtet. Er wiederholt die Versicherung, nichts ohne den Orden einzugehen, und, wenn etwa der Hochmeister es anders erführe, so solle er dem keinen Glauben beymessen.

 

Smolensk und Starodub wären von ihm abgefallen, doch haben Nemyra und der Palatinus von Kiew, Gyrso, das letztere schon wieder erobert mit vielen Districten, auch 170 gefangene Litthauer dort gefunden nebst vielen andern Gefangenen. Die Unterwerfung von Smolensk hoffe er auch bald berichten zu können. Der tatarische Kaiser komme selbst, und liege schon in seinem Lande nahe bey dem Schlosse Kyow.

 

Am 16. März (feria quinta post beati Gregorii pape et confessoris gloriosi) wiederholt Switrigail aus Kiew die letztern Nachrichten *) und klagt, daß er keine Antwort auf seine Briefe erhalte. Man habe ihn todt gesagt, weshalb der Palatinus des Schlosses Msczensko, Gregorius alias Prothasy, und einige andere Schlösser von ihm abgefallen. Allein Gregorius sey bereits zu der alten Treue zurückgekehrt, und die andern Schlösser, außer Smolensk, habe er wieder erobert.

 

Während die Tataren gegen Litthauen zögen, solle der Orden die Polen angreifen. Also noch immer zählte er auf des Ordens Hülfe, und wurde nicht müde, die alten Versicherungen und Ermahnungen zu wiederholen.

 

Endlich, am 1. April (Palmsonntag), schreibt er

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*) Geh. Arch.

 

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von Kyow *), nun habe er vernommen, daß der Orden mit Siegmund Frieden gemacht, sed nos hoc factum fore non credimus, da auch Er, usque ad finem vite nostre dem Bunde treu bleiben wolle. Uebrigens gehe es ihm in seinen Angelegenheiten wohl, nam omnia castra, civitates, districtus, et quevis tenula in omnibus terris Russie, que per inductionem et commocionem ipsorum Gregorii alias Prothasy et Georgii olim Capitanei Smolncii (Smolenskii) a nobis recesserunt et alienata erant, cum dei adjutorio acquisivimus et possidemus universa, excepto dumptaxat Castro Smolensko, de quo etiam providebimus meliori. Ceterumque castrum Crczemienez in terra podolie et ipsam terram podolie quasi totam in manibus nostris et in potestate nostra possidemus. Den Ywasko Moniwidowicz habe er daselbst zum Statthalter ernannt. Ferner meldet er: sein Freund, der Woywode von der Moldau, Stezka, habe seinen Bruder überwunden und aus der Moldau gejagt, doch, wie man sage, wären die Einwohner noch zwistig untereinander. Der Kürze wegen übergehe er noch vieles Gute mit Stillschweigen, bitte jedoch, dem römischen Könige Alles zu wissen zu thun, da seine eigene Boten nicht zu ihm gelangen könnten.

 

Noch am 29. November (in vigilia beati Andree) wiederholte er aus Luczsko **), daß es ihm wohl gehe und er alle ihm veruntreute Schlösser mit ihren Gebieten wieder inne habe, allein noch immer

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*) Geh. Arch.

**) Geh. Arch.

 

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empfange er keine Antwort auf seine Briefe. Der tatarische Kaiser, Sedachmeth, sein Freund, habe den Kaiser Machmet überwunden, die Orda sich unterwürfig gemacht, und verspreche nun schleunige Hülfe. Mit den Polen habe Switrigail, auf ihr Verlangen, bis zum nächsten St. Nicolaustage einen Waffenstillstand abgeschlossen, aber förmlichen Frieden werde er ohne den Hochmeister nicht machen.

 

Ein kahles Glückwünschungsschreiben des Hochmeisters, über Switrigail’s angeknüpfte Unterhandlung mit Polen, war alles was der verrathene Großfürst erlangen konnte *). Der römische König überließ ihn seinem Schicksale. Die Tararen, durch innerliche Zwietracht gehindert, konnten ihm nicht kräftig beystehn, und so blieb er blos auf seine Russen beschränkt, die nicht Macht genug besaßen, sein väterliches Erbe ihm wieder zu schaffen.

 

Kojalowicz erzählt vom Jahre 1437, Polozk und Witepsk hätten fest an Switrigail gehangen, doch endlich, nach langer Belagerung, sich ergeben. Smolensk sey durch Hunger überwältigt worden, doch nicht eher, bis Mütter ihre Kinder geschlachtet und verzehrt hätten. Switrigail’s Briefe beweisen, daß Smolensk schon längst durch Verrätherey ihm entrissen war; auch wissen die russischen Chroniken nichts von dieser Belagerung und diesem gräßlichen Hunger **).

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*) Geh. Arch. Registrande

**) Es ist in der That erstaunenswürdig, daß die russischen Annalen, nachdem sie bey dem Jahre 1430 Switrigail’s Thronbesteigung angezeigt, gänzlich von ihm und seinen Schicksalen schweigen, und erst wiederum bey dem Jahre 1437 eines Friedenstractats zwischen Segemund und Nowogorod erwähnen (Татищевъ IV. 517.), da doch selbst aus dem Urkundenbuche des Grafen Romanzow erhellt, daß Nowogorod mit Switrigail Verträge abschloß. Ein neuer Beweis (wenn es dessen bedürfte) wie mangelhaft die Chroniken sind. Nur Stritter (III. 190.), indem er desselben Vertrags erwähnt, fügt hinzu: Segemund sey mit Hülfe der Polen auf den Thron gelangt, aber eben damals besorgt gewesen, wie die Polen angefangen, Mitleid für Switrigail zu empfinden. Aus welcher Quelle er diese Behauptung geschöpft, ist mir unbekannt.

 

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Switrigail soll nun, fast aus ganz Rußland vertrieben, überall um Hülfe gebettelt, überall abgewiesen, in Verzweiflung sich selbst zu Krakau gestellt, den König und Senat um Verzeihung angerufen, den Polen Luzk und Wolhynien abgetreten haben, worauf der Senat durch kräftige Fürsprache ihn mit dem Könige ausgesöhnt, auch durch eine feyerliche Gesandschaft dem Großfürsten Siegmund vorgestellt habe: Switrigail’s Alter verdiene Mitleid, er begehre das Großherzogthum nicht, sondern nur einen kleinen Winkel seines Vaterlandes, wo Er, ein gebohrner litthauischer Fürst, ruhig sterben könne. Allein Siegmund habe stolz erwiedert: er kenne Switrigail, das Alter habe seine Thorheit nicht gebessert und innere Zwietracht sey unvermeidlich, wenn Er in Litthauen lebe. Ehe wolle Siegmund alle Bündnisse brechen, ehe er in Switrigail’s Zurückberufung willige. Darauf sey dieser, aus seinem Vaterlande verbannt, in die Wallachey in’s Elend gewandert.

 

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Das sind lauter grobe Unwahrheiten. Ein einziges Schreiben Switrigail’s an den Hochmeifter aus Hrussmicza, vom 27. Septbr. 1437 (fer. sec. vor Michaelis) beweist, wie falsch Kojalowicz, oder Strykowsky, berichtet worden *). Er habe vernommen, meldet Switrigail, daß der Hochmeister mit dem Könige von Polen (den er nun wieder Serenissimum principern und dominum nennt), einen Waffenstillstand (treugam) geschlossen und wünsche, daß auch Er dasselbe thun möge. Et hoc, quod ante tempora sine consensu vestro facere noluimus, ad praesens fecimus, und er sey nunmehro ad unionem laudabilem mit dem Könige gekommen, Ita, quod serenitati sue cum omnibus nostris subditis (also hatte er auch Unterthanen) terris et dominiis que possidemus (also hatte er auch Länder), adhesimus et domini Poloni, et signanter terrarum Russie dignitarii, nobis nostros contra quoslibet Inimicos eorum consilia et auxilia dare ac facere se inscripserunt et promiserunt. (Also ein förmlicher Vertrag Einer Macht mit der andern.) Daher es nun auch sein ernstlicher Wunsch sey, daß der Orden sich mit Polen vereinen, und gegen beyderseitige Feinde mit ihm für einen Mann stehen möge, besonders gegen Herzog Siegmund von Litthauen, qui nobis, prout vobis non latet, servire cum juramento promisit. (Also hatte vormals Siegmund ihm gehuldigt.) Mündlich werde der Ueberbringer dieses Schreibens, nobilis Nicolaus Podkragiewsky

 

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familiaris noster, ihm Alles clarius referre. Dem Meister von Liefland habe er dasselbe geschrieben.

 

Uebrigens meldet er, daß, während er nach Krakau zum Könige geritten, zwey Heere der Litthauer, Eines gegen Luzk, das andere gegen Kiew, vorgerückt seyen, das erstere habe sturmonem auf die Stadt selbst unternommen, sey aber abgeschlagen worden, und als die Feinde gehört, daß er mit dem Könige sich vertragen, seyen sie mit großem Verlust eilig heim gekehrt. Das andere habe der kyowsche Palatinus Gyrscha mit seinen Leuten und den Tataren gänzlich geschlagen, sieben Fahnen (septem vexilla) erbeutet, viele erschlagen, 135 nobiles notabiles gefangen, unter welchen sich viele befänden, die an Switrigail treubrüchig geworden. Der Feldhauptmann der Litthauer sey schwer durch einen Pfeil verwundet, zu Fuß entwichen und irre noch mit Einigen in Feldern und Wäldern umher, wo noch manche aufgegriffen würden.

 

Switrigail gieng also keinesweges nach der Walachey ins Elend; er blieb ungestört Herr seiner russischen Besitzungen, welche die polnischen und russischen Großen ihm schriftlich verbürgten. Auch die Wahrscheinlichkeit ist hier auf Seiten der Wahrheit. Die Polen trauten dem tollen Siegmund nicht mehr; ihre Politik erheischte, den Großfürsten Switrigail nicht ganz zu verderben, um ihn im Nothfall gegen Siegmund zu bewaffnen. Daher auch Switrigail noch immer den Plan nicht ganz aufgeben mogte, seinen Erbfeind endlich zu besiegen; denn später noch bat er den Hochmeister, jenem nicht

 

 

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beyzustehn, und erhielt die Antwort *): das solle nimmer geschehn, obgleich man auch ihm nicht helfen könne, da Siegmund in den Frieden mit Polen einbedungen worden.

 

Vom Jahre 1438 ist zwar nur noch Ein unbedeutendes Credenzschreiben übrig von Switrigail, für Nicolaus Rogola genannt Podkrayewsky ausgestellt **), am 6. December (St. Nicolaus-Tag) datirt aus Premsil, doch mag es zum Beweise dienen, daß er nicht im Elend lebte ***).

 

Freylich mogte das Alter seine Thatkraft gelähmt haben, denn er zählte gewiß schon gegen siebenzig Jahre. Überwunden, aber nicht entehrt, trat er vom Schauplatz ab und genoß der Ruhe. Siegmund aber erndtete nicht lange die Früchte seiner Verrätherey, durch Geiz und Grausamkeit machte er mit jedem Tage sich verhaßter. Wenn zwey Personen vertraut miteinander sprachen, so ließ er auf der Stelle Jeden einzeln über das Gesprochene vernehmen, und, wenn ihre Aussagen nicht übereinstimmten, sie als Empörer im nahen See ersäufen. Die Fürsten von Mstislaw und Sluzk beraubte er ihrer Herrschaft, und sperrte sie ein. Alles bewegliche Vermögen der Hingerichteten eignete er sich zu, ihre Güter und Schlösser vertheilte er unter seine Stallbuben. Was durch Gnade seiner Vorfahren, oder durch Erbschaft

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*) Geh. Arch. Registrande.

**) Geh. Arch.

***) Vermuthlich nahm er Theil an einem Einfall der Tataren in Litthauen, dessen Tatischtschew bey diesem Jahrere erwähnt. (IV. 522.)

 

 

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erworben war, riß er an sich; nur durch seine Gnade durfte man besitzen *). Endlich wollte er gar zu Troki, in einer deshalb berufenen Versammlung der Stände, alle ihm Verdächtige auf Einmal durch ein Blutbad ausrotten, da wurde er durch Verschworene, an deren Spitze Fürst Czartoriski, am Palm-Sonntage 1440 ermordet.

 

Auf diese Nachricht soll Switrigail aus der Wallachey herbeygeeilt seyn, Luzk überrumpelt und die Edlen, die Siegmund dort verhaftet, befreyt haben.

 

Als die litthauischen Großen sich versammelt hatten, um den neuen Herrn zu wählen, stimmten viele für Switrigail, besonders die Verschworenen, die, nach Kojalowicz Behauptung, Lohn, oder wenigstens Straflosigkeit von ihm erwarteten; doch gab es mehrere, die seine Rache noch zu fürchten hatten; so wurde endlich, nach langem Streite, Kasimir, der Bruder des Königs von Polen, erkohren, und es findet sich keine Spur, daß Switrigail dieser Wahl sich widersetzt habe. Kojalowicz sagt, er sey nach Dacien zurück gegangen, zwey Jahre später jedoch von seinem Neffen Kasimir in Luzk wieder eingesetzt worden. Noch zehn Jahre bis 1452 habe er daselbst gelebt, ohne Theilnahme, wie es scheint, an öffentlichen Unruhen. Sein Ietzter Befehl sey gewesen: nach seinem Tode keine andere als litthausche

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*) Eine ganz ähnliche Schilderung entwerfen die Russen von ihm (IV. 531.), und fügen hinzu, sein Sohn Michael sey, wegen seines Vaters Greuelthaten, nicht zu dessen Nachfolger erwählt worden.

 

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Besatzung in Luzk einzulassen. Was an alle dem wahr oder falsch, kann weiter nicht bewiesen werden. Daß es dem Greise Ernst war, der Ruhe zu genießen, zeigt ein Schreiben von ihm selbst an den Hochmeister, vom Jahre 1446, in welchem er berichtetet: „er sey des Großfürsten treuer Diener geworden *).“

 

So lange Switrigail über einen großen Theil von Rußland herrschte, waren die meisten russischen Fürsten ihren Vettern in Litthauen zugethan; erst als er von der Bühne abgetreten war, finden sich Spuren ihres Mißtrauens. In dem Vertrage, welchen der Großfürst Wassili Wassilewitsch im Jahre 1447 mit den Fürsten von Moshaisk, Borowsk und Rusan schloß **), machte er die ausdrückliche Bedingung, daß keiner, ohne seine Genehmigung, mit Litthauen sich verbinden solle, und 1471 verbat sich Nowogorod die Gegenwart litthauischer Fürsten ***), nachdem es 30 Jahre früher sogar einen Herrn von Switrigail begehrt hatte.

 

In einem andern Vertrage desselben Großfürsten mit dem von Twer und dessen Sohne und Brüdern, vom Jahre 1451 ****), geloben sie einander Hülfe gegen alle Feinde, besonders gegen Litthauen, Polen u. s. w. Solche Verträge liefert das angeführte Urkundenbuch nicht früher, als nachdem mit

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*) Geh. Arch. Registrande.

**) Собранїе Государств. Грамотъ и Договоровъ. p. 143.

***) ibidem p. 26.

****) ibid. p. 171.

 

 

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Switrigail’s Untergange das Vertrauen erloschen war. Ihn hatten sie gekannt als einen billigen, redlichen, seinem Worte stets getreuen Fürsten. Schon wenige Jahre nach seinem Tode (1455) entriß Polen Kiew den russischen Fürsten Simon und Michael, die ihres Vaters Erbe unter sich theilen wollten.

 

Wäre Switrigail auf seinem väterlichen Throne geblieben, so würde Polen nimmermehr eine wichtige Rolle gespielt haben. Bedrängt durch Litthauen, Rußland, Preussen und dem römischen König, wäre es wahrscheinlich in der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts eine litthauisch-russische Provinz geworden.

 

 

 

 

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Hinweis: Die dem Werk im weiteren folgenden 9 Anlagen auf Seite 143 bis 170 können ebenso wie das Gesamtwerk unter folgendem Link der Universitas Tartuensis online eingesehen werden:

https://dspace.ut.ee/items/fa56bd19-26e4-4bc2-b75d-e4556e0ff233

URI: http://hdl.handle.net/10062/2677

Collections: Raamatud saksa keeles. Books in German. Deutsche Bücher

 

 

Quelle:

Switrigail: ein Beytrag zu den Geschichten von Litthauen, Rußland, Polen und Preussen.

Von August von Kotzebue, Leipzig: bei Paul Gotthelf Kummer, 1820.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Valerian Krasinski 1838: Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen

 

Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen und ihres Einflusses auf den politischen, sittlichen und literarischen Zustand des Landes.

 

Vom Grafen Valerian Krasinski.

 

Nach dem englischen Original bearbeitet von Wilhelm Adolf Lindau.

JCHB.

Leipzig, 1841. Verlag der J. C. Hinrichsschen Buchhandlung.

 

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Druck von Theod. Höhm.

 

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Vorwort.

 

Graf Krasinski, aus einer alten und angesehenen polnischen Familie, der seit der Unterdrückung der Revolution sich in England aufhält, gab in den Jahren 1838 und 1840 das von ihm englisch geschriebene Original dieses Werkes unter dem Titel: „Historical Sketch of the rise, progress, und decline of the Reformation in Poland, und of the influence which the scriptural doctrines have exercised on that country in literary, moral, und political respects“ in zwei Bänden heraus. Ich gebe das Werk in der deutschen Bearbeitung vollständig wieder, ohne einen wichtigen Bestandtheil aufzuopfern, und habe mich darauf beschränkt, die Darstellung zusammenzudrängen, Wiederholungen zu vermeiden, und von den zahlreichen Anmerkungen des Originals nur den wesentlichen Inhalt mitzutheilen, die wörtliche Anführung der im Texte erschöpfend benutzten Quellen aber für überflüssig gehalten. Die Urtheile und eigenthümlichen Ansichten des Verfassers habe ich ihm selbst zu vertreten überlassen, und nur einige seiner Aeußerungen zu übergehen für angemessen gehalten, besonders diejenigen, die aus einer irrigen Meinung von dem gegenwärtigen Standpuncte der theologischen Forschung im protestantischen Deutschland hervorgegangen zu sein scheinen.

 

Dem Verfasser gebührt das Verdienst, die merkwürdige Geschichte des Ursprunges und Verfalles der Reformation in Polen zuerst in einer gründlichen, übersichtlichen und anziehenden Darstellung geliefert zu haben, und nirgend möchte die Geschichte des, durch die klug berechnete Thätigkeit der Jesuiten und die unglücklichen Zwistigkeiten unter den Protestanten selbst herbeigeführten Unterganges der Reformation befriedigender erzählt worden sein, als in seinem Werke. Die sorgfältige Entwickelung der früheren Verhältnisse der griechischen Kirche in Polen, und der Umstände, durch welche die Vereinigung eines Theiles derselben mit dem römischen Stuhle herbeigeführt wurde, dürfte in Beziehung auf den in der neuesten Zeit veränderten Zustand jener Kirche von besonderem Interesse sein.

 

 

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IV Vorwort.

 

Es ist, wie Krasinski sagt, ein bemerkenswerther Umstand, daß die Geschichte der polnischen Reformation im Lande selbst seither nicht nur vernachlässigt, sondern auch als ein Gegenstand von minderer Wichtigkeit betrachtet wurde. Viele ausgezeichnete Geschichtschreiber haben den Einfluß der Lehren der Reformation auf das Land in literarischer, sittlicher und gesellschaftlicher Beziehung kaum beachtet. Die angesehensten Edelleute huldigten jenen Lehren, besonders dem schweizerischen Glaubensbekenntnisse; es wurden zahlreiche allgemeine und besondere protestantische Synoden seit dem sechzehnten Jahrhunderte gehalten, und die Kirchen, wo man die evangelischen Satzungen predigte, die Schulen, wo man sie lehrte, die Druckerpressen, durch welche sie verbreitet wurden, waren in ganz Polen zerstreut, während ihre Bekenner eine Masse bildeten, die den Katholiken erfolgreichen Widerstand hätte leisten können. Eine so mächtige Partei mußte einen verhältnißmäßigen Einfluß auf das Land ausüben, und eine entgegengesetzte Meinung von ihrer Wichtigkeit mag hauptsächlich in dem Umstande ihren Grund haben, daß zu der Zeit, wo die Sache des Protestantismus in Polen ihrem Untergange entgegeneilte, die katholische Partei eifrig bedacht war, alle Urkunden zu vernichten, die sich auf die Reformation bezogen. Die Jesuiten foderten von allen Familien, die zur katholischen Kirche übergingen, strenge die Ablieferung aller Bücher und Handschriften, die auf irgend eine Weise mit dem früheren Glauben derselben in Verbindung standen, um sie den Flammen zu übergeben. Trotz der Vernichtung zahlreicher Urkunden gibt es jedoch noch reichlichen Stoff für eine Geschichte der Reformation in Polen, der aber dem Verfasser nicht im ganzen Umfange zugänglich war. Viele Quellen finden sich ohne Zweifel in der kaiserlichen Bibliothek zu Petersburg, die den reichsten Zuwachs durch die Zaluski’sche Bibliothek erhielt, welche nach der letzten Theilung Polens im Jahre 1795 von Warschau weggeführt ward, aber auf eine so sorglose Weise, daß sehr viele schätzbare Werke verloren gingen. Der gelehrte Stifter dieser Bibliothek, der Bischof Joseph Andreas Zaluski, hatte die Absicht, ein umfassendes Werk über die polnische Kirchengeschichte zu bearbeiten, und zu diesem Zwecke viel gesammelt. Auch die Büchersammlung des Fürsten Adam Czartoryski zu Pulawy enthielt werthvolle Schriften für die Kirchen- und Literatur-Geschichte Polens; aber ein Theil

 

 

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V Vorwort.

 

derselben ward im Jahre 1831 gleichfalls nach Petersburg entführt, während der wichtigste Theil sich jetzt auf den Gütern des Fürsten in Galizien befindet. Die Bibliothek der Universität zu Warschau, die gegen 200,000 Bände zählte, ist auch nach Petersburg gekommen, wo jetzt die reichsten Schätze für die Geschichte Polens aufgehäuft sind. Es gibt jedoch noch drei öffentliche Bibliotheken im Umfange des alten Polens, welche aber der Graf Krasinski, durch seine Entfernung von Vaterlande und andere ungünstige Umstände abgehalten, nicht benutzen konnte. Die eine ist die Bibliothek zu Lemberg, die von dem gelehrten Grafen Maximilian Ossolinski, bekannt durch seine schätzbaren Nachrichten über die älteren Schriftsteller Polens, gesammelt und der Stadt geschenkt wurde; sie besitzt viele wichtige Quellen für die Geschichte der Reformation in Polen, und es ist zu hoffen, daß sie unter der Aufsicht des jetzigen Vorstandes, des patriotischen Fürsten Heinrich Lubomirski, für die Förderung der historischen Kunde Polens sowohl, als der andern slavischen Stämme, benutzt werde. Die zweite reiche Sammlung für die polnische Geschichte ist die Bibliothek der Universität zu Krakau, und die dritte die von dem Grafen Eduard Raczynski gestiftete Bibliothek zu Posen, unter der Aufsicht des gelehrten Joseph Lukaszewicz, der sich durch seine treffliche Geschichte der böhmischen Brüder in Groß-Polen, und seine Geschichte der protestantischen Kirchen in Posen bekannt gemacht hat, und wahrscheinlich einer umfassenden Geschichte der polnischen Reformation seine Thätigkeit widmen wird.

 

Krasinski's Werk ist zwar der erste Versuch einer allgemeinen Geschichte der Reformation in Polen, doch gibt es mehre Werke über diesen Gegenstand, worunter die vorzüglichsten Lubieniecki’s Historia reformationis Poloniae, und des reformirten Geistlichen Wengierski Historia ecclesiarum Slavonicarum sind. Beide Werke erschienen im siebzehnten Jahrhunderte, und sind sehr belehrend, erschöpfen aber den Gegenstand nicht, und Lubieniecki wird überdies durch seine Hinneigung zum Socinianismus befangen. Der polnische Hofrath Christian Gottlieb von Friese zu Warschau gab eine „Kirchengeschichte des Königreiches Polen vom Ursprung der christlichen Religion in diesem Reiche und der Entstehung der Bisthümer Polen, Gnesen, Krakau, Breslau, Lebus etc., wie auch der verschiedenen Religionsstreitigkeiten dieses Landes bis auf jetzige Zeiten,”

 

 

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VI. Vorwort.

 

erster Theil (Breslau 1786), die außer einer kurzen Geschichte der Gründung des Christenthumes in Polen, Nachrichten über die Stiftung der Bisthümer enthält. Die Fortsetzung dieses Werkes erschien unter dem Titel: „Beiträge zu der Reformations-Geschichte in Polen und Lithauen besonders” (2ter Bd. 1ste und 2te Abtheilung), welche die Geschichte der Dissidenten vom Anfange der Reformation erläutert. So fleißige Quellenforschung dieses unvollendete Werk zeigt, es ermangelt doch aller Uebersichtlichkeit, und die Parteilichkeit des Verfassers für das Augsburgische Bekenntniß macht ihn befangen in der Darstellung der Streitigkeiten zwischen den protestantischen Kirchen, in welchen der Parteieifer auf beiden Seiten nur zu sehr gesündigt hat. Der Graf Krasinski fand einen reichen Vorrath von Quellen für die Geschichte der Reformation in der Bibliothek des britischen Museums, die von dem Fürsten Adam Czartoryski alle Werke der besten polnischen Schriftsteller zum Geschenk erhalten hat. Die Bibliothek des Erzbischofs von Canterbury im Palast Lambeth zu London, und die prächtige Sammlung des Herzogs von Susser zu Kensington boten ihm reichlichen Stoff dar.

 

Ich entlehne aus dem Vorworte des Verfassers, in Beziehung auf seine Darstellung des Verfalls der Reformation, was er über den vorherrschenden Einfluß der Jesuiten bemerkt. So groß die, durch die Empörung der zahlreichen Anhänger der morgenländischen Kirche, die inneren Zwistigkeiten, die feindlichen Einfälle und den Verlust mächtiger Provinzen herbeigeführten Drangsale auch immer gewesen sein möchten, sagt er, so könnte man sie doch kaum mit der moralischen Wirkung vergleichen, welche die länger als ein Jahrhundert durch die Jesuiten auf den Geist des Volkes ausgeübte verderbliche Herrschaft hervorgebracht habe. „Sie sahen ein, daß es zur Ausrottung der schriftmäßigen Glaubenslehren kein zu verlässigeres Mittel geben könnte, als den Verstand des Volkes durch ein verkehrtes Erziehungssystem zu fesseln, und in dieser Absicht führten sie ein solches System in den öffentlichen Schulen ein, die lange fast ausschließend von ihnen geleitet wurden. Diese Maßregel hatte ihre natürlichen Folgen; Wissenschaften und Gelehrsamkeit wurden beinahe vernichtet, und Polen, das während des sechzehnten Jahrhunderts rasche Fortschritte fast in allen Theilen geistiger Veredlung gemacht hatte, ging eben so rasch zurück. Um einen solchen Preis wurde der Romanismus in Polen gerettet, und kein Land

 

 

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VII Vorwort.

 

in der Welt gibt vielleicht eine so eindringliche Erläuterung der Segnungen, die ein Staat durch die Einführung schriftmäßiger Glaubenslehren erlangt, und der Drangsale, welche die Unterdrückung derselben einem Volke bringt, da Polen während der Fortschritte der Reformation an Wohlfahrt und Ruhm zunahm, und in gleichem Verhältnisse sank, als die Herrschaft des biblischen Christenthumes der römisch-katholischen Gegenwirkung weichen mußte. Die Wirkungen der Aufhebung des Jesuitenordens sind ein verstärkender Beweis unserer Behauptung; denn kaum war jener Alp, der die Thatkraft des Volkes lähmte, entfernt — und wie groß muß die Kraft gewesen sein, die während eines so langen Druckes nicht erlag — kaum war ein verbessertes Erziehungssystem eingeführt, als der Geist des Volkes so schnell vorschritt, daß in einer Zeit von zwanzig Jahren nach der Aufhebung des Ordens die polnische Literatur, trotz der ungünstigsten politischen Umstände, werthvollere Werke lieferte, als während des ganzen Jahrhunderts, wo die Volkserziehung in den Händen der Jesuiten war. Diese Wiederbelebung des Volksgeistes würde auch den wohlthätigsten Einfluß auf den religiösen Zustand des Landes gehabt haben, wären nicht die Drangsale gekommen, die Polen durch die Theilungen des Landes erlitt. Dieses Ereigniß aber, das zur Vernichtung, oder doch zur Schwächung der geistigen Kraft des Volkes führen zu müssen schien, hat endlich eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht, und in allen Theilen Polens ein kräftiges Volksgefühl geweckt, ein Gefühl, das selbst nicht durch alle mißlungenen Versuche der Polen zur Wiederherstellung ihres politischen Daseins erstickt werden konnte. Der beste Beweis für die Stärke dieses Gefühles, das auch unter Stürmen zu gedeihen, und durch Druck neue Schnellkraft zu gewinnen scheint, ist die merkwürdige Thatsache, daß die Literatur, dieser echteste Ausdruck des Volksgeistes, in Polen seit der Theilung, und trotz der nachtheiligsten Umstände, zu einer Höhe gelangt ist, die das Land in der Zeit seines selbständigen politischen Daseins nicht erreicht hatte. Die durch dieses Gefühl hervorgerufene heftige Aufregung, die den Geist des Volkes auf einen vorherrschenden Gedanken, auf die Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit, hinlenkt, schließt jede andere Betrachtung aus, die nicht unmittelbar mit jenem alles ergreifenden Gegenstande verbunden ist, und so lange daher Polen in seiner jetzigen Lage bleibt, läßt sich kaum erwarten,

 

 

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VIII Vorwort.

 

daß sich die Volksmeinung ernstlich auf die kirchlichen Angelegenheiten richte, obgleich viele Männer sich täglich mehr von der Wichtigkeit jenes Gegenstandes überzeugen.”

 

Am Schlusse seines Vorwortes sagt der Verfasser, er habe sich zwar bei der Rüge des von den Feinden der Reformation angewendeten gesetzwidrigen Verfahrens und der von ihren Freunden verschuldeten Fehler aller leidenschaftlichen Aeußerungen sorgfältig enthalten, fürchte jedoch, daß er zuweilen unwillkürlich die bitteren Gefühle verrathen habe, von welchen seine Brust bei der Schilderung der religiösen und politischen Drangsale seines Vaterlandes ergriffen gewesen sei. Man möge aber bedenken, was ein Mann, von einer frommen Mutter im evangelischen Glauben und in der Liebe zu seinem Vaterlande erzogen, fühlen müsse, wenn er den Umsturz seines Glaubens, und den dadurch herbeigeführten Verfall und Untergang seines Vaterlandes darzustellen habe. „Ich erkläre jedoch,“ setzt er hinzu, „feierlich, daß ich kein feindseliges oder unfreundliches Gefühl gegen die Anhänger der römischen Kirche hege, unter welchen ich viele theure Freunde und Verwandten zähle. Ich bin zwar im evangelischen Glauben geboren und erzogen, aber ein Theil meiner Familie bekennt sich zur katholischen Kirche, und diesem Umstande und andern Verhältnissen ist es zuzuschreiben, daß ich in meinem Vaterlande mehr mit Katholiken als mit Protestanten umgegangen bin, und ich versichere, daß ich von ihnen nie hinsichtlich meiner Ueberzeugungen in Glaubenssachen die geringste unfreundliche Behandlung erfahren habe. Die polnischen Katholiken sind gewiß freisinniger und weniger bigott als ihre Glaubensgenossen in irgend einem Theile Europas, und es wird eine erfreuliche Aufgabe für mich sein, mehre Katholiken, sowohl Laien als Geistliche, zu nennen, welche, von vaterländischen Gefühlen beseelt, die Rechte ihrer protestantischen Mitbürger vertheidigten.”

 

Dresden, im Mai 1841.

 

L.

 

 

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Inhalt

 

 

 

Erster Abschnitt. Gründung und Zustand des Christenthums in Polen bis zur Reformation. Einführung des Christenthums unter den Slaven. Cyrillus und Methodius. Ihre Bibelübersetzung. Verbreitung des christlichen Glaubens in den slavischen Ländern. Charakter der slavischen Glaubensprediger im Gegensatze der deutschen. Gottesdienst in der Landessprache, früh in Polen eingeführt, und erst in späteren Jahrhunderten ganz vom Romanismus verdrängt. Mieczyslaw’s Beweggründe zur Annahme des Christenthums. Verhältniß der Beherrscher Polens zum deutschen Kaiser. Wiederherstellung des heidnischen Gottesdienstes. Maslaw. Letzter Kampf des Götzendienstes gegen das Christenthum, 1034. Bolestaw II. ermordet den Bischof von Krakau, 1078. Kampf zwischen der geistlichen und weltlichen Macht. Uebergewicht der Geistlichkeit. Erste christliche Synode zu Lenczyca, 1180. Fortdauernde Zwistigkeiten zwischen den Fürsten und den Bischöfen. Herzog Boleslaus von Schlesien und der Bischof Thomas von Breslau, 1258. Geringer Einfluß der päpstlichen Herrschaft in Polen. Eifersucht des polnischen Adels gegen die Geistlichkeit, Kastimir der Große, der Bauernkönig. Ernennung der Bischöfe durch die Könige seit den ältesten Zeiten. Widerstand der Geistlichkeit gegen das Verbot der Priesterehe. Waldenser in Polen. Verbreitung der Hussitischen Lehren. Gesetze gegen die Ketzerei, unter dem Einflusse der Geistlichkeit erlassen. Ketzerei für Hochverrath erklärt, 1424. Polnisches Habeas-Corpus-Gesetz 1450. Politische Verhältnisse zwischen Polen und Böhmen, und deren Einfluß auf die Verbreitung Hussitischer Lehren. Adels-Conföderation zu religiösen und politischen Zwecken. Gründung der Universität Krakau. Johann Ostrorog und seine Ansichten über die Kirchenangelegenheiten. Zustand der morgenländischen Kirche in Polen. S. 1.

 

Zweiter Abschnitt. Anfang der Reformation unter Siegmund I. bis 1548. Angriffe gegen die römische Kirche vor Luther, Jakob Knade in Danzig, Anhänger Luther’s. Johann Hegge hält die erste Predigt gegen die katholische Lehre. Die Reformation in Danzig eingeführt, 1525. Die Stadt vom Reichstage in die Acht erklärt. Salicetus. Unterdrückung der Reformation in Danzig, 1526. Verbreitung der Lehren Luther’s in Polnisch-Preußen. Bemühungen der Geistlichkeit gegen die Reformation. Strenge Verordnungen gegen Ketzer und ketzerische Schriften. Verbot des Besuches ausländischer, mit protestantischen Lehrern besetzten Universitäten. Preßfreiheit 1539 eingeführt. Die verfassungmäßigen Freiheiten des Landes verhinderten die Verfolgung der als Ketzer verurtheilten Polen. Verfall des Ansehens der geistlichen Gerichte. Charakter Siegmund’s l. Weite Verbreitung des Protestantismus in Groß-Polen. Die Familie Gorka, Verein in Krakau zur Ausbreitung der evangelischen Lehren, Franz Lismanini. Anti-Trinitarier. Die Lehren Zwingli’s und Calvin’s besonders unter dem Adel verbreitet. Einwanderung der böhmischen Brüder in Polen. Die Meinungen der Reformatoren noch ohne Bestand und bestimmte Form. S. 43.

 

Dritter Abschnitt. Fortschritte der Reformation in den ersten Regierungsjahren Siegmund August’s. Widerstand gegen des Königs Ehe mit Barbara Radziwill. Studentenaufstand in Krakau, und dessen Folgen für die Verbreitung des Protestantismus. Der Pfarrer Valenty. Nikolaus Rey. Konrad Krupka Przeclawski. Erster offener Angriff auf die römische Kirche. Nikolaus Olesnicki. Johann Tarnowski. Gefahren der römischen Kirche. Katholische Synode zu Piotrkow, und ihre Maßregeln zur Unterdrückung protestantischer Lehren, 1552. Stanislaus Stadnicki, Widerstand des Adels gegen die Geistlichkeit. S. 61.

 

 

 

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X Inhalt.

 

Vierter Abschnitt. Aufhebung der kirchlichen Richtergewalt. Orzechowski’s, Modrzewski’s und Stancari’s Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten Polens. Reichstag von 1552. Rafael Leszczynski. Gesetz, nach welchem die Aussprüche der Geistlichkeit in Glaubenssachen keine bürgerliche Folgen haben sollten. Gründung der Glaubensfreiheit und Verfall der Uebermacht der Geistlichkeit. Spätere Verfügungen, welche die von dem Kirchenbanne getroffenen Personen in ihren bürgerlichen Rechten schützten. Orzechowski’s Briefe an die Päpste Julius III. und Paul IV. Sein Antrag auf die Entfernung der Bischöfe aus dem Senate. Modrezewski’s Angriffe gegen die katholische Hierarchie. Stancari beförderte die Ausbildung anti-trinitarischer Meinungen. Seine Regeln für die Kircheneinrichtung in Polen. S. 70.

 

Fünfter Abschnitt. Kirchenversammlung zu Trient. Versuche zur Berufung einer allgemeinen National-Synode. Zurückberufung der polnischen Abgeordneten von Trient. Wünsche für die Berufung einer unabhängigen allgemeinen Kirchenversammlung. Modrzewski’s Vorschläge zu einer durchgreifenden Kirchenverbesserung. Der Papst verweigerte die Zustimmung zur Berufung einer National-Synode. S. 85.

 

Sechster Abschnitt. Johann Laski und seine Wirksamkeit. Laski führte die Kirchenverbesserung in Ostfriesland ein. Seine Theilnahme an der Befestigung der Reformation in England. Er stiftete eine Kirche für die belgischen Protestanten in Frankfurt am Main. Seine Versuche zur Bereinigung der Lutheraner und Reformirten. Nach Polen zurückgekehrt, bemühte er sich eifrig, alle polnischen Protestanten zu einer Gesammtheit zu vereinigen. S. 96.

 

Siebenter Abschnitt. Ankunft des päpstlichen Nuntius Lippomani. Die katholische Synode zu Lowicz. Der Cardinal Commendoni, und die Kirchenversammlung zu Trient. Gesetz des Reichstags von 1556, das jedem Edelmanne gestattet, in seinem Hause einen beliebigen christlichen Gottesdienst einzuführen. Schreiben des Königs Siegmund August im Namen des Reichstags an den Papst. Paul’s IV. abmahnendes Schreiben an den König. Lippomani hinderte eine Annäherung zwischen den getrennten Glaubensparteien. Er stiftete Zwietracht unter den Protestanten. Sein vorherrschender Einfluß auf der Synode zu Lowicz. Verhandlungen der Synode, und ihre Vorschläge zur Wiederherstellung des Ansehens der Kirche und zur Vertilgung der Ketzerei. Hinrichtung eines Mädchens und einiger Juden wegen angeblicher Entweihung des Heiligtums. Die Beschlüsse der Kirchenversammlung zu Trient nur von dem König persönlich, nicht vom Reichstage angenommen. S. 111.

 

Achter Abschnitt. Fortgesetzter Kampf zwischen dem Protestantismus und dem Katholicismus. Schnelle Abnahme des Einflusses der katholischen Geistlichkeit. Verfügung des Reichstages (1564), welche alle die Dreieinigkeit Iäugnenden ausländischen Geistlichen aus dem Lande verwies. Erasmus Otwinowski. Schnelle Fortschritte des Protestantismus in Polnisch-Preußen. Einführung des Lutherischen Gottesdienstes in Danzig 1557. Eine protestantische Kirche in Krakau mit königlicher Ermächtigung gebaut. Die böhmischen Brüder gründeten eine Kirche in Posen. Vereinigung der Reformirten und der böhmischen Brüder in Polen. S. 123.

 

Neunter Abschnitt. Ursprung und Fortschritte der Anti-Trinitarier in Polen. Peter Gonesius. Rasche Verbreitung der anti-trinitarischen Lehren im Schooße der reformirten Kirche. Georg Blandrata. Gregor Pauli. Die Synode der Reformirten zu Krakau verdammte 1563 die anti-trinitarischen Meinungen. Die Synode der Anti-Trinitarier zu Mordy Iäugnete die Gottheit Christi. Die anti-trinitarische Kirche erhielt 1565 eine geordnete Verfassung. Ihr Glaubensbekenntniß von 1574. S. 134.

 

Zehnter Abschnitt. Versuche zur Bereinigung der protestantischen Kirchen. Vergleich zu Sandomir. Wachstum der böhmischen Kirche,

 

 

 

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XI Inhalt.

 

Georg Israel, Abneigung der Lutheraner gegen die böhmischen Brüder. Anklage und Vertheidigung der Brüdergemeinden. Verhandlungen der Abgeordneten der böhmischen Brüder mit der theologischen Facultät zu Wittenberg, 1568. Die Vereinigung Lithauens mit Polen begünstigte die Einigung der protestantischen Kirchen. Verhandlungen der Synode zu Sandomir, 1570. Inhalt des Vergleiches zwischen den schweizerischen, böhmischen und lutherischen Kirchen, Bestätigung und Erläuterung des Vergleiches auf der Synode zu Posen. S. 141.

 

 

Elfter Abschnitt. Einführung der Jesuiten in Polen. Der Cardinal Hosius. Tod Siegmund August’s. Stanislaus Hosen’s (Hosius) Charakter und Grundsätze. Er rief (1561) die Jesuiten nach Polen. Der Erzbischof Uchanski beförderte die Ausbreitung des Ordens. Charakter Siegmund August’s. Sein Verhältniß zu den Bemühungen, die Reformation einzuführen S. 154.

 

Zwölfter Abschnitt. Kirchliche Zustände unter den Regierungen Heinrich’s von Valois und Stephan Bathory’s. Lage des Landes nach der Erlöschung des Mannstammes des Hauses Jagello. Schwierigkeiten der Königswahl bei den herrschenden Glaubenszwisten. Commendoni’s Thätigkeit und Ränke. Reichstagsbeschluß vom 6. Januar 1573. Verbürgte Rechtsgleichheit aller christlichen Glaubensbekenntnisse. Wahlbewerbungen. Zamoyski. Erwählung des Herzogs von Anjou. Polnische Gesandtschaft in Paris. Eid des Königs. Bestätigung der Glaubensfreiheit. Bemühungen der Bischöfe, die Eidesformel zu verändern. Bestätigung des Eides. Johann Firley Flucht des Königs. Erwählung des Protestanten Stephan Bathory, 1575. Er ging zur katholischen Kirche über. Katholische Synoden und ihre gegen den Protestantismus gerichteten Beschlüsse. Errichtung des obersten Gerichtshofes, 1577, und Anordnungen über das Verfahren in den die Kirche betreffenden Angelegenheiten. Stephan Bathory begünstigt die Jesuiten. Ausbreitung des Ordens in allen Landestheilen. Jesuitenschulen. Gewaltthätigkeiten gegen die Protestanten in Krakau und in Wilna. Aufstand gegen die Jesuiten in Riga. S. 160.

 

Dreizehnter Abschnitt. Bemühungen der Protestanten, die Ergebnisse des Sandomirischen Vergleichs auszudehnen und zu befestigen. Allgemeine Synode aller protestantischen Kirchen Polens zu Krakau, und ihre Beschlüsse. Zwietracht unter den Protestanten. Prostestantische Synode zu Piotrkow, 1578. Versuche zur Auflösung des Sandomirischen Vergleiches. Synode zu Wladislaw, 1583. Eifrige Bemühungen der Reformirten und böhmischen Brüder zur Aufrechthaltung des Vergleiches. Christof Radziwill. Besprechung zwischen den Reformirten und Lutheranern zu Wilna. Andreas Bolanus. Streit über die Lehre von dem Abendmahle. S. 187.

 

Vierzehnter Abschnitt. Thronbesteigung Siegmund’s III. Plünderung der protestantischen Kirche in Krakau. Vereitelter Versuch der katholischen Geistlichkeit auf dem Reichstage (1587), die Glaubensfreiheit zu vernichten. Lorenz Goslicki. Wahlbewerbungen. Widerstand der Familie Zborowski gegen den patriotischen Zamoyski. Erwählung Siegmund’s. sein Eifer für die römische Kirche. Anfang der katholischen Reaction gegen den Protestantismus, durch die Jesuiten befördert. Siegmund’s Regierungssystem, auf die Befestigung der Obergewalt Roms zum Nachtheil aller Volksinteressen gebaut. Verfügung des Reichstages (1588) wegen der an Protestanten gekommenen Kirchengüter. Zamoyski’s Antrag, Anordnungen für die Königswahl zu treffen, durch die Bischöfe vereitelt. Katholische Synode zu Gnesen (1589) und ihre Beschlüsse gegen den Protestantismus. Bulle des Papstes Sixtus V. Zerstörung der protestantischen Kirche zu Krakau. Protestantische Synode zu Chmielnick. Wiedereinführung der Herrschaft des Katholicismus in Thorn und Danzig. Der Jesuit Starga. S. 195.

 

Funfzehnter Abschnitt. Allgemeine protestantische Synode zu Thorn. Uneinigkeit unter den Protestanten. Bewegungen gegen den Sandomirischen Vergleich.

 

 

 

XII. Inhalt.

 

Paul Gerike, Iutherischer Prediger in Posen. Erasmus Gliczner und Turnowski. Eröffnung der Synode zu Thorn (1595) zur Bestätigung und Beseitigung des Sandomirischen Vergleiches und zur Beschützung der protestantischen Kirche. Protestationen gegen dieselbe von Seiten des Königs und einiger Abgeordneten. Schilderung des Zustandes der griechischen Kirche in Polen, in einem Schreiben Konstantin Ostrogski’s. Verhandlungen der Synode. Bann gegen Paul Gerike. Beschwerden gegen die Katholiken, besonders die Jesuiten. Beschlüsse der Synode. S. 202.

 

Sechzehnter Abschnitt. Versuche zur Stiftung einer Vereinigung zwischen den Protestanten und der griechischen Kirche. Verkehr zwischen den Iutherischen Theologen zu Tübingen und dem Patriarchen zu Konstantinopel. Die Augsburgische Confession im Morgenlande bekannt. Stanislaus Sokolowski’s Angriffe gegen die Vereinigungsversuche. Bemühungen zu einer Vereinigung der griechischen und römischen Kirche, durch die Jesuiten geleitet. Adam Pociey. Cyrillus Terlecki. Abschluß der Vereinigung im Jahre 1596. Widerstand Ostrogski’s und vieler Edelleute gegen die Vereinigung. Zwietracht in der griechischen Kirche. Verfolgungen der nicht-unirten Griechen durch die katholische Partei. Zusammenkunft der Wortführer der polnischen Protestanten und der griechischen Geistlichkeit im Jahre 1599, zu Wilna gehalten. Aufstellung gemeinsamer Glaubenssatzungen. Verfehlter Versuch, eine Glaubensvereinigung zu stiften; Abschluß einer politischen Einigung zu gegenseitiger Beschützung grundgesetzlich verbürgter Rechte. Vereinigungsurkunde und die darin ausgesprochenen Beschwerden gegen die Katholiken. Ernennung von Friedensbesorgern zum Schutze gegen Bedrückungen. Geringer Erfolg der Einigung. S. 214.

 

 

Siebzehnter Abschnitt. Bürgerkrieg gegen den König und seine Rathgeber. Die Gegner Roms auf dem Reichstage 1603. Ihre Foderung von Zamoyski unterstützt. Die politischen Katholiken. Zamoyski’s Tod 1605. Religiöse und politische Ursachen der Zerrüttung des Landes. Beschwerdeschrift über den zunehmenden Einfluß der Jesuiten. Allgemeine Unzufriedenheit. Zebrzybowski an der Spitze der Opposition. Bewaffneter Widerstand gegen den König; Rokosch zu Stenzyca, 1605. Beschwerden der Verbündeten. Vergebliche Unterhandlungen durch den Jesuiten Starga. Anfang der Feindseligkeiten. Sieg der königlichen Partei. Neuer Rokosch. Die Vertreibung der Jesuiten und die Beschränkung der königlichen Gewalt gefodert. Zugeständnisse auf dem Reichstage 1607. Niederlage des Rokosch. Amnestie und Bestätigung der Bürgschaften für religiöse und politische Rechte. Ursachen des geringen Erfolges der Widerstandspartei. S. 228.

 

Achtzehnter Abschnitt. Zunehmende Verfolgungen der protestantischen und griechischen Glaubensgenossen bis zu Siegmund’s lll.Tode. Gewaltthätigkeiten gegen die Protestanten in Krakau, durch die katholischen Studenten verübt. Protestantische Synode zu Oksza, 1613. Auswanderungen aus Krakau. Zerstörung der lutherischen Kirche zu Posen durch Jesuitenschüler, und Verfolgung der protestantischen Geistlichen. Gräuel in Wilna, von den Jesuiten gerechtfertigt. Schritte der katholischen Geistlichkeit gegen die gesetzlich bestehende Preßfreiheit. Die Gewährleistung der Rechte der griechischen Kirche durch den Einfluß der Jesuiten vereitelt. Bedrückungen der nichtvereinigten griechischen Kirche. Aufstand in Mohilew 1618. Leon Sapieha. Der Erzbischof Koncewicz, Verfolger der Griechen, ermordet. Gesunkener Zustand Polens zu Ende der Regierung Siegmund’s III., des Jesuitenkönigs. Unterrichtsweise und Ergebnisse der Erziehung in den Schulen der Jesuiten. Verfall der polnischen Literatur, Einführung der Censur 1618. Jesuiten in Riga, Unzufriedenheit in Lievland. S. 236.

 

Neunzehnter Abschnitt. Regierung Wladislaw’s IV. Reichstagsbeschluß von 1632 zu Gunsten der Glaubensfreiheit. Anträge des Fürsten Christof Radziwill. Der Dominicaner Birkowski. Gustav Adolf’s Partei in Schweden. Ein Reichstagsbeschluß schließt ihn von der Thronbewerbung aus. Wladislaw’s duldsame Gesinnungen und Unparteilichkeit.

 

 

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XIII Inhalt.

 

Gewaltthätigleiten der Studenten gegen die Protestanten in Krakau. Die Protestanten zu Krakau von allen Innungsrechten ausgeschlossen. Gewaltthaten in Wilna, durch Jesuitenschüler verübt. Versuche der Geistlichkeit, die Rechte des Adels hinsichtlich der Glaubensfreiheit umzustürzen. Bestätigung der Rechte der nichtvereinigten griechischen Kirche, Peter Mohila. Gewaltthätigkeiten gegen die Griechen. S. 250.

 

Zwanzigster Abschnitt. Freundschaftliche Besprechung zu Thorn, Georg Ossolinski unterstützt den Plan, eine freundschaftliche Einigung aller christlichen Parteien herbeizuführen. Bartholomäus Nigrinus. Katholische Synode zu Warschau, Synoden der reformirten Kirchen zu Orla und zu Lissa. Schritte der lutherischen Kirchen. Gutachten der theologischen Facultät zu Wittenberg. Eröffnung der Besprechung im August 1645. Königliche Verhaltungsbefehle. Verhandlungen, Vorlegung der Glaubensbekenntnisse. Der Jesuit Schönhoff. Zwistigkeiten unter den protestantischen Abgeordneten. Schluß der erfolglosen Besprechung. S. 264.

 

Einundzwanzigster Abschnitt. Johann Kasimir’s Regierung. Aufstand der Kosaken, hauptsächlich durch den Haß der Anhänger der griechischen Kirche gegen die erzwungene Vereinigung mit Rom erregt. Johann Kasimir, früher Jesuit und Cardinal, erwählt 1648. Beschwerden der Protestanten auf dem Reichstage. Allgemeine Bestätigung ihrer alten Rechte. Ausbreitung des Kosakenaufstandes in allen von den Anhängern der morgenländischen Kirche bewohnten Landestheilen. Janusz Radziwill. Friedensschluß 1649. Widerstand der katholischen Bischöfe und des päpstlichen Nuntius. Wiederausbruch des Bürgerkriegs. Die Russen brechen in Polen ein 1654. Karl Gustav von Schweden greift Polen an. Verhältniß der Protestanten zu den Schweden. Aufregung gegen die fremden Eroberer. Verheerung der Stadt Lissa 1656. Der polnische Feldherr Czarniecki. Grausamkeit gegen die Protestanten. Auswanderung vieler Protestanten aus Groß-Polen. Viele treten wieder zur katholischen Kirche über. Zwei Jahre lang kein protestantischer Gottesdienst in Groß-Polen. Bestätigung der Rechte aller Glaubensparteien in dem Friedensvertrage von Oliva 1660. Fortdauernde Verfolgung der Protestanten. Der Uebergang zur protestantischen Kirche bei schwerer Strafe verboten. In Polnisch-Preußen erhielt sich der Protestantismus. Vertreibung der Jesuiten aus Danzig 1646. S. 272.

 

Zweiundzwanzigster Abschnitt. Innerer Zustand der protestantischen Kirchen in Polen. Ursachen des Mangels an Einheit in den protestantischen Kirchen Polens. Jede der drei großen Abtheilungen des Reiches in ihren kirchlichen Einrichtungen unabhängig von der andern. Umriß der allgemeinen protestantischen Hierarchie Polens. Ihre wesentlichen Mängel. Die angesehensten protestantischen Kirchen in Polen waren die reformirten. Ihre Anzahl und Verbreitung. Kirchliche Einrichtung der böhmischen Brüder. Polnische Bibelübersetzungen. Die von Nicolaus Radziwill beförderte Uebersetzung. Lehranstalten der Protestanten in Polen, Schule zu Lissa. Johann Amos Comenius. Johann Johnstone. Anton Sulkowski. Schule zu Kieydany, Buchdruckerkunst in Polen, Bekämpfung der Preßfreiheit durch die katholische Geistlichkeit, Censur. Aufsicht über Bücher. Vernichtung protestantischer Schriften durch die katholische Geistlichkeit. Protestantisch-theologische Literatur in Polen. S. 284.

 

Dreiundzwanzigster Abschnitt. Die Socinianer in Polen von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung. Verschiedene Parteien der Anti-Trinitarier. Aeußere Vereinigung derselben auf der Synode zu Skrzynna. Stanislaus Farnowski. Martin Czechowicz, Gregor Pauli. Simon Budny. Faustus Socinus brachte die anti-trinitarischen Lehren in ein System. Völlige Vereinigung auf der Synode zu Brzesc. Valentin Smalcius. Hieronymus Moskorzewski. Glaubenssystem der polnischen Anti-Trinitarier. Vergebliche Versuche, eine Vereinigung der Socinianer mit der reformirten Kirche zu stiften. Die Schule der Socinianer zu Rakow. Bemühungen der Socinianer, ihre Lehren zu verbreiten.

 

 

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XIV Inhalt.

 

Verfolgungen der Socinianer. Aufhebung der Schule zu Rakow, 1638. Reichstagsbeschluß zur Vertreibung der Socinianer 1658. Einfluß des Socinianismus auf die Sache der Reformation in Polen. S. 308.

 

Vierundzwanzigster Abschnitt. Zustand des Protestantismus in Polen von dem Ende der Regierung Johann Kasimir’s bis zur Thronbesteigung Stanislaus Poniatowski’s. Beschwerde der Protestanten auf dem Reichstage 1669. Der Abfall vom katholischen Glauben durch ein Gesetz mit Todesstrafe und Verbannung bedroht. Der Reichstag verfügte, daß die Könige Polens katholisch sein sollten. Johann Sodieski. Grausame Hinrichtung Kasimir Lyszczynski’s, auf die Anklage der Gotteslästerung. König August II. Nichtkatholiken von dem Senat und andern bedeutenden Aemtern ausgeschlossen. Stanislaus Leszczynski. Vereitelte Hoffnungen der Protestanten. Synode zu Thorn 1712. Daniel Ernst Jablonski. Conföderation zu Tarnogrod. Stanislaus Leduchowski. Vertrag von Warschau 1710. Gesetzliche Beschränkung der durch Landesgesetze verbürgten Glaubensfreiheit der Edelleute. Einmischung Rußlands in die inneren Angelegenheiten Polens. Der Bischof Szaniawski. Verwahrungen gegen den Vertrag von Warschau. Matthias Ancuta. Synode zu Danzig 1718. Beschwerdeschrift der Protestanten. Die Vermittelung fremder Mächte von den Protestanten gesucht. Ausschließung eines protestantischen Landboten. Aufstand in Thorn 1724. Urtheilsspruch gegen die Protestanten. Einmischung fremder Höfe. Neue Verfolgungen der Protestanten. Gesetzliche Beschränkung ihrer Rechte. Ihre Beschwerdeschrift von 1766. S. 329.

 

Fünfundzwanzigster Abschnitt. Thronerledigung nach dem Tode August’s III. Stanislaus Poniatowski’s Regierung bis zur letzten Theilung Polens, Zustand Polens am Ende der Regierung der sächsischen Königsfamilie. Einfluß Stanislaus Leszczynski’s auf die geistige Bildung in Polen. Stanislaus Konarski. Verbesserung des Volksunterrichts. Entwürfe der Brüder Czartoryski zur Verbesserung der Landesverfassung, und ihre Angriffe gegen die Hofpartei. Poniatowski’s Erwählung. Bündniß zwischen Peter III. und Friedrich II. zu Gunsten der Dissidenten. Fruchtlose Beschwerden der Protestanten auf dem Reichstage von 1764. Rußland unterstützt ihre Foderungen. Verhandlungen zwischen dem Abgeordneten der Protestanten und dem polnischen Gesandten in Petersburg. Widerstand gegen die Foderungen der Dissidenten und gegen den fremden Einfluß. Gaetan Soltyk. Der König mit den Brüdern Czartoryski vereinigt. Repnin’s erfolgreiche Bemühung, den russischen Einfluß zu befestigen. Seine Plane gegen den König. Podoski. Plan zur Vermehrung des Heeres und zur Sicherung der Abgabenerhebung. Versuche des Königs, sich von fremdem Einflusse zu befreien. Erklärung Rußlands und Preußens zu Gunsten der Dissidenten. Widerspruch des päpstlichen Nuntius. Rußland und Preußen erklären sich gegen die Plane der Brüder Czartoryski, welche ihre Verbesserungsversuche aufgeben. Neuer Vertrag zwischen Rußland und Preußen zur Unterstützung der Dissidenten, Conföderationen der Protestanten und Griechen unter dem Schutze russischer Soldaten. Allgemeine Conföderation von Radom. Karl Radziwill. Repnin’s gewaltthätiges Verfahren gegen die Conföderirten. Der Bischof Adam Krasinski. Reichstag von 1767. Vertrag zwischen Rußland und Polen und die darin enthaltenen Bestimmungen über die Rechte der Dissidenten, 1768. Rußlands offene Einmischung in die inneren Landesangelegenheiten. Erste Theilung Polens. Veränderungen einiger Bestimmungen des Vertrags von 1768. Schnelle Fortschritte der Volksbildung nach der Aufhebung des Jesuitenordens. Polens Untergang 1794. S. 357.

 

Rückblick und allgemeine Bemerkungen. S. 395.

 

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Erster Abschnitt.

 

Gründung und Zustand des Christenthums in Polen bis zur Reformation.

 

Auf das Zeugniß alter Chroniken wird allgemein angenommen, daß Mieczyslaw, Herzog von Polen, im Jahre 965 auf Zureden seiner Gemahlin, der böhmischen Fürstentochter Dombrovka, die Taufe empfangen, in seinem ganzen Gebiete den Götzendienst abgeschafft und das Christenthum gegründet habe. Es Iäßt sich aber weder nach der Natur der Dinge, noch nach den Grundsätzen historischer Kritik annehmen, daß ein Volk plötzlich den Gottesdienst seiner Väter gegen einen neuen, wiewohl helleren Glauben vertauscht habe, wäre es nicht lange vorher zu einer so großen Umwälzung durch eine stete und ununterbrochene Einführung der neuen Lehren vorbereitet worden. Wie schlaff und unzusammenhängend auch die Glaubenslehren der nordischen Götzendiener im Allgemeinen sein mochten, so wurde doch in allen Ländern größerer oder geringerer Widerstand geleistet, ehe sie dem Einflusse des evangelischen Lichtes nachgaben. Ihr Widerstand war stets hartnäckig, wenn die Lehren des Christenthums durch die starke Hand weltlicher Macht eingeführt, und nicht durch echte Diener des Evangeliums verbreitet wurden. Wir sehen überall, daß einige Glaubensboten ohne weltliche Macht, ohne Reichthümer, aber beseelt von dem Geiste christlicher Sanftmuth und Milde die Hartnäckigkeit jener Heiden leichter besiegt haben als all jene mächtigen Fürsten, welche ihre Unterthanen oder überwundene Völker durch Feuer und Schwert zu bekehren versuchten.

 

Es ist unwahrscheinlich, daß Polen eine Ausnahme von jener allgemeinen Erscheinung gemacht habe, und es gibt hinlängliche geschichtliche Beweise, daß das Licht der christlichen Lehre, welches im neunten Jahrhunderte viele slavische Völker erleuchtete, auch in Polen lange vor Mieczyslaw’s Bekehrung eingedrungen ist. Auch beweisen Thatsachen, daß, nachdem die Beherrscher des Landes den christlichen Glauben angenommen hatten, der alte Götzendienst noch einige Zeit bis zu seiner gänzlichen Erlöschung gegen die Herrschaft des Kreuzes kämpfte.

 

Wir müssen, um die Einführung des Christenthums in Polen darzustellen, mit einigen Worten andeuten, wie die christliche Lehre unter dem großen slavischen Völkerstamme, wovon die Polen einer der

Krasinski.

 

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wichtigsten Zweige sind, Eingang gewann. Diese große moralische Umwälzung ward unter eigenthümlichen und ganz andern Umständen bewirkt als die Belehrung der meisten europäischen Völker, und in der That wurden schon bei der ersten Einführung des Christenthums unter den Slaven, obgleich ihre Bekehrung durch den Einfluß der Päpste geschah, die Keime eines Widerstandes gegen Roms Macht, wenigstens in Beziehung auf Kirchenzucht und äußere Gottesverehrung, ausgestreut. Dieser Widerstand, der sich stets mit größerem oder geringerem Erfolge zeigte, brach der durch Huß bewirken Reformation die Bahn, einer Reformation, die gewiß nicht minder mächtig sich gezeigt hätte, als die des sechzehnten Jahrhunderts, wenn das gewaltige Werkzeug der Presse bereits erfunden gewesen wäre und zur schnellen Verbreitung der heiligen Schrift hätte benutzt werden können.

 

Zu Anfange des neunten Jahrhunderts bewohnten die Slaven einen sehr ausgedehnten Landstrich des östlichen Europa. Ihr Gebiet erstreckte sich vom schwarzen Meere längs der Donau und südwestlich von diesem Flusse an den Küsten des adriatischen Meeres, die alten römischen Länder Pannonien, Dacien, Illyrien und Dalmatien umfassend, und von der nördlichen Spitze des adriatischen Meeres zogen sich die slavischen Ansiedelungen längs den Gränzen von Tirol und Baiern zu der oberen Elbe, indem sie das Land zwischen diesem Flusse und der Saale, wie auch das ganze rechte Elbufer bedeckten und über die südliche Küste des baltischen Meeres von Jütland bis zu der Mündung der Weichsel sich erstreckten; von der Weichsel an aber, mit Ausnahme der von einem anderen Stamme bewohnten Küste des baltischen Meeres, verbreiteten sich die Slaven über das ganze zwischen jenem Strome und der Donau liegende Land. So besaßen sie den unermeßlichen Landstrich, der jetzt den größten Theil des östreichischen Staatsgebietes bildet, nämlich Ungarn, die an Italien und Tirol gränzenden Landschaften, Böhmen und Mähren; ein großer Theil von Sachsen, die Mark Brandenburg, Schlesien, Pommern und die Insel Rügen gehörten zu den slavischen Besitzungen. Die Landstriche, welche das alte Polen umfaßte, und ein großer Theil des europäischen Rußland vollendeten die Besitzungen jenes weit verbreiteten Völkerstammes, welche selbst jetzt gegen 70 Millionen Einwohner zählen.

 

Dieser zahlreiche, in viele Zweige getheilte Stamm lebte nach gleichzeitigen Zeugnissen unter republikanischen Regierungsformen, doch scheint es, daß im Allgemeinen die Herrschaft erblicher oder gewählter Häuptlinge anerkannt wurde, welche mit Einwilligung der Volksversammlungen regierten und eine mehr ober minder beschränkte, von

 

 

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jenen Versammlungen ihnen übertragene Gewalt ausübten. Die Slaven werden von den byzantinischen Schriftstellern, die sie an den Ufern der Donau beobachteten, und von den deutschen Glaubenspredigern, die mit den Bewohnern der Ostseeküsten Verkehr hatten, als ein ackerbauendes, sanftes und häusliches, tapferes aber friedsames, gastfreies und seinem Götzendienste fromm ergebenes Volk geschildert. Die slavische Mythologie kann in schönen Bildern mit der altgriechischen wetteifern, während sie frei von der Unsauberkeit ist, welche diese befleckt, und die sittlichen Vorschriften, die in der slavischen Religion gelehrt wurden, scheinen weit erhaben über alle gewesen zu sein, die aus den götzendienerischen Glaubenslehren im übrigen Europa hervorgingen.

 

Eine alte Ueberlieferung sagt, schon der Apostel Andreas habe den Slaven das Evangelium gepredigt, da er bis in die Gegend vorgedrungen sei, wo später Kiew erbaut wurde. Diese Ueberlieferung ist zwar keinesweges unwahrscheinlich, doch gibt es weder geschichtliche Zeugnisse für die Bekehrungsreise des Apostels, noch findet man Spuren einer so frühen Verbreitung des Christenthums in jenen Gegenden. Wir müssen daher von jenen Zeiten absehen, über welche wir nur bloße Vermuthungen aufstellen können, und bei dem neunten Jahrhunderte stehen bleiben, als der Zeit, wo die Herrschaft des Christenthums unter den Slaven befestigt wurde.

 

Die slavischen Gränznachbarn im morgenländischen und abendIändischen Reiche konnten nicht ganz unbekannt mit den Lehren des Evangeliums bleiben. Ihr häufiger Verkehr mit den Christen in Krieg und Frieden führte viele Bekehrungen herbei, aber so zahlreich sie schon im siebenten Jahrhunderte gewesen sein mögen, da bereits die im Jahre 680 zu Konstantinopel gehaltene Synode die Slaven zu den christlichen Völkern zählt, und ein Slave im Jahre 766 den Patriarchensitz in Byzanz einnahm, so scheint doch vor der Mitte des neunten Jahrhunderts der christliche Glaube unter keinem slavischen Volke herrschend gewesen zu sein. Um diese Zeit aber wurden die Bulgaren, die am Ufer der Donau wohnten und in stetem und unmittelbarem Verkehre mit Konstantinopel standen, durch griechische Glaubensprediger bekehrt. Die Bekehrung von Groß-Mähren wurde durch zwei Brüder, Cyrillus und Methodius aus Thessalonich, bewirkt, die der slavischen Sprache kundig waren und von dem oströmischen Kaiser Michael nach Mähren gesendet wurden, nachdem er dieses Land erobert hatte. Nach dem Berichte des ältesten slavischen Chronisten Nestor wurden sie auf den Wunsch der bereits früher getauften Bewohner des Landes berufen, um die heilige Schrift in die slavische Sprache zu übersetzen. Sie erfanden

 

 

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zuvor ein slavisches Alphabet und übersetzten zuerst die Apostelgeschichte und die Evangelien, und die Slaven freuten sich, wie Nestor sagt, die Größe Gottes in ihrer eigenen Sprache verkünden zu hören. Nach den Berichten der päpstlichen Geschichtschreiber gehörte Mähren um das Jahr 830 zu dem geistlichen Sprengel des Erzbischofs von Passau, und der Erzbischof von Salzburg weihte im Jahre 836 die Kirche der Stadt Nitra in Ungarn, die zu jener Zeit ein Theil von Groß-Mähren war. Die mährischen Slaven scheinen jedoch eine starke Abneigung gegen den Gottesdienst gehegt zu haben, den die Deutschen eingeführt hatten, mit welchen sie stets in Zwietracht lebten.

 

Man behauptet zwar, daß Cyrillus und Methodius bei der Uebersetzung der heiligen Schrift die slavonischen Buchstaben erfunden hätten, die noch jetzt unter dem Namen des Cyrillischen Alphabets gewöhnlich sind; es läßt sich aber aus mehren Gründen annehmen, daß die Slaven bereits vor der Einführung des Christenthums den Gebrauch der Buchstaben kannten und eine ziemlich hohe Stufe der Gesittung erreicht hatten. Die alten böhmischen Chroniken sprechen von Gesetztafeln *) und es sollen polnische Chroniken aus der vorchristlichen Zeit vorhanden gewesen sein, die von den Glaubenspredigern zerstört wurden. Es Iäßt sich in der That nicht wohl annehmen, daß Cyrillus und Methodius, wie talentvoll sie auch gewesen sein mögen, eine so vollkommene Uebersetzung der Bibel in einer vorher ganz ungebildeten Sprache ausgeführt haben würden. Nach dem übereinstimmenden Zeugnisse des Byzantiners Procopius aus dem sechsten, und Eginhard’s, des Biographen Karls des Großen, aus dem achten Jahrhundert, hatten die slavischen Völker ihrer Zeit eine gemeinsame Sprache, und diese Meinung wird auch durch die Thatsache bekräftigt, daß die von Cyrillus und Methodius ausgeführte Bibelübersetzung noch immer unter allen Slaven gebraucht wird, die sich zur morgenländischen Kirche bekennen, und daß dieselben Völker, auch die Sprache dieser Uebersetzung in ihrem Gottesdienste beibehalten haben. Dieser Verbreitung einer gemeinsamen Sprache haben Cyrillus und Methodius wahrscheinlich den glücklichen Erfolg ihrer Bemühungen unter den Slaven zu verdanken.

 

Es war dies gerade zu der Zeit des Zwistes zwischen dem Patriarchen zu Konstantinopel und dem Papste, welcher zu der gänzlichen Trennung der abendländischen und morgenländischen Kirche führte, und unter den vielen Ursachen des Streites war keine der unbedeutendsten die Herrschaft über die neubekehrten slavischen Völker. Cyrillus und

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*) Palacky’s Geschichte von Böhmen Bd. I. S. 182.

 

 

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Methodius führten zwar unter den bekehrten Slaven die Gebräuche der morgenländischen Kirche ein und hielten den Gottesdienst in der Landessprache, aber sie erkannten die päpstliche Oberherrschaft an, da wir sehen, daß sie die Zustimmung des Papstes Johann’s VIII. erhielten, der sie zu sich berufen hatte, um sich Rechenschaft über ihre Bemühungen ablegen zu lassen *). Die Bereitwilligkeit, mit welcher der Papst einen Gottesdienst gestattete, den seine Nachfolger nur zuweilen ungern bewilligten, mochte aus der Besorgniß hervorgehen, daß bei dem Streite zwischen ihm und dem griechischen Patriarchen die slavischen Glaubensprediger, wenn sie eine abschlägige Antwort erhielten, dem römischen Stuhle den Gehorsam aufkündigen würden. Cyrillus und Methodius fuhren während ihrer ganzen Lebenszeit fort, das Evangelium zu predigen, Priester zu weihen, die Sacramente nach den Gebräuchen der morgenländischen Kirche auszutheilen und den Gottesdienst in der Landessprache zu halten. Sie beschränkten ihre apostolischen Arbeiten nicht auf Mähren, wo Methodius als Bischof eingesetzt wurde, sondern dehnten sie auch auf andere Länder aus. So vollendeten sie die Bekehrung Böhmens im Jahre 871 und führten den slavonischen Gottesdienst ein, der dort bis 1094 fortdauerte, wo Roms Einfluß ihn gänzlich verdrängt. Man glaubt, daß sie selbst Polen besucht haben, und es ist nicht zu bezweifeln, daß ihre Jünger in jenem Lande sehr thätig gewesen sind **). Nach einer polnischen Sage lebte bei Krusvitza, der alten Hauptstadt des Landes, ein Landwirth und Wagner Namens Piast, der wegen seiner Tugenden und besonders wegen seiner Gastfreiheit berühmt war. Als er eines Tages mit seinem Weibe vor der Thüre seiner Hütte saß, erschienen zwei Engel als Reisende angekleidet, und baten ihn um gastfreundliche Aufnahme. Piast empfing mit der größten Freundlichkeit die Fremden, die sich bei dem Abschied als Engel kund gaben und ihrem Wirthe verhießen, daß er in kurzer Zeit den Thron seines Landes besteigen werde. Bald nach der Erlöschung

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*) Man hatte gegen die slavische Uebersetzung der Bibel angeführt, daß es keinem Volke gebühre, ein eigenes Alphabet zu haben, außer Hebräern, Griechen und Römern; der Papst aber sagte: „Mögen die Worte der Schrift erfüllt werden und alle Völker Gott preisen.“ Er gestattete, daß das Evangelium in allen Kirchen zuerst in der lateinischen, und dann in der slavischen Sprache gelesen werde.

**) Diese Vermuthung wird bestätigt durch den Umstand, daß in dem polnischen Kirchengebete Cyrillus und Methodius als Bekehrer Polens angeführt wurden, wie die Officia patronorum regni Poloniae (Antwerpen 1637) angeben. In dem Sprengel Przemysl im östreichischen Polen wird noch heutiges Tages ein Gebet an sie, als die Stifter des Christenthums, gerichtet.

 

 

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des herrschenden Geschlechtes wurde Piast, als der tugendhafteste Mann seines Volkes, einstimmig zum Könige erwählt. Wir dürfen wohl annehmen, daß jene Engel nichts anders als christliche Glaubensboten waren, welche wegen ihrer, über die Moral der Götzendiener erhabenen Lehren, für übermenschliche Wesen gehalten wurden, und diese Meinung wird durch die einfache Erzählung eines alten Chronisten bestätigt, der die Engel bloß Fremdlinge nennt, ohne in ihrer Erscheinung etwas Wunderbares zu finden.

 

Die schnelle Verbreitung, die das Licht des Christenthums unter den slavischen Völkern fand, ist hauptsächlich dem wahrhaft christlichen Geiste zuzuschreiben, womit man die Bekehrungen bewirkte, welche, wie es scheint, nicht durch eigennützige Beweggründe befleckt wurden. Die slavischen Glaubensprediger suchten das Christenthum nie zu einem Werkzeuge für politische Zwecke zu machen, nie verkehrten sie die von dem Evangelium eingeschärften Lehren der Sanftmuth und Geduld in die herabwürdigende Lehre unbedingter Unterwerfung unter das Joch fremder Eroberer. Ganz anders war es bei den deutschen Glaubensboten, die verschiedene Versuche machten, die angränzenden Slaven zu bekehren; sie machten das Christenthum stets politischen Zwecken dienstbar und predigten das Evangelium, um der Herrschaft der Kaiser den Weg zu bahnen. Alle slavischen Länder, die von abendländischen Glaubenspredigern bekehrt wurden, kamen gänzlich unter den politischen Einfluß der Deutschen, welche mit unablässiger Feindseligkeit die Sprache und die gesellschaftlichen Einrichtungen jener Länder ausrotteten, während Cyrillius und Methodius die Schutzvesten der Volksthümlichkeit, die jedem nicht ganz herabgewürdigten Volke heilig sind, unangetastet ließen. Dieser Umstand erklärt hinlänglich die großen Erfolge jener frommen Glaubensprediger und die Schwierigkeiten, welche dagegen die deutschen Geistlichen fanden, deren Bekehrungen unter den Slaven fast gleich bedeutend mit Vernichtung waren.

 

Nach der völligen Trennung der morgenländischen und abendländischen Kirche waren die Päpste noch eifriger bedacht, unter den Slaven den Gottesdienst in der Landessprache und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszurotten. In der 1060 gehaltenen Synode zu Salona wurde Methodius für einen Ketzer erklärt und das slavische Alphabet eine teuflische Erfindung genannt. Trotz aller Anstrengungen der Päpste konnten jene Vorrechte nie ganz ausgerottet werden, und es gibt genügende Beweise, daß, ungeachtet die meisten slavischen Kirchen den gottesdienstlichen Gebräuchen Roms folgten, doch die volksthümliche Liturgie, bald im Widerspruche mit Rom, bald mit stillschweigender Zustimmung

 

 

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der Päpste, sich lange in vielen Theilen von Böhmen, Mähren, Schlesien und Polen erhielt. Die durch Huß bewirkte Reformation fand eine bedeutende Unterstützung in dem Unabhängigkeitssinne, welchen die überlieferte Anhänglichkeit an jene Nationalkirchen pflegte.

 

Es würde uns zu weit führen, wenn wir diese heiligen Ueberreste in allen slavischen Kirchen verfolgen wollten, und wir müssen uns auf den unmittelbaren Gegenstand unserer Untersuchung beschränken. Als Methodius und Cyrillus den Kirchen in Groß-Mähren vorstanden, gehörte der südwestliche Theil Polens, der später die Landschaft Klein-Polen bildete, zu jenem mächtigen Reiche. Der Sprengel von Welehrad, der Hauptstadt Mährens, wo Methodius der erste Erzbischof war, erstreckte sich bis an das Ufer des Styr im jetzigen Volhynien. Es konnte daher nicht fehlen, daß das Christenthum mit den in Mähren herrschenden Gebräuchen auch in jenen Theilen Polens Eingang gewann, wo es zugleich aus den angränzenden Gebieten des byzantinischen Reiches eingeführt wurde. Dieser Umstand muß zu dem Schlusse führen, daß der nationale oder slavische Gottesdienst einige Zeit in einem großen Theile Polens herrschend war, ehe der zunehmende Einfluß des reinen Romanismus ihn verdrängte. Alle Nachrichten über diesen merkwürdigen Gegenstand verdanken wir katholischen und kirchlichen Schriftstellern, und sie sind daher im Allgemeinen parteilich gegen Alles, was mit der gleichförmigen Regel der päpstlichen Herrschaft in Widerspruch trat. Aber wie dürftig und mangelhaft auch die Angaben sind, die sich aus verschiedenen Quellen sammeln lassen, so bestätigen sie doch die Thatsache, daß jene Nationalkirchen lange in Polen bestanden haben.

 

Nach der bestimmten Behauptung der Chroniken ward im Jahre 949 von den Mähren zu Kleparz in der Gegend von Krakau die Kirche zum heiligen Kreuz gegründet und es ist bekannt, daß sie zu jener Zeit den Gottesdienst in der Landessprache hielten. Die Königin Hedwig von Anjou, die durch Frömmigkeit und Tugend ihr Andenken den Polen heilig gemacht hat, war eine große Beschützerin der volksthümlichen Liturgie, und unter andern wohlthätigen Stiftungen gründete sie die Benedictiner-Abtei zum heiligen Kreuz, das sogenannte Collegium der slavischen Brüder, wo der Gottesdienst in der Landessprache gehalten wurde, wie aus den noch vorhandenen liturgischen Büchern hervorgeht. Ein Theil der heiligen Schrift, die Lebensgeschichten der Kirchenväter, die Offenbarungen der heiligen Brigitta, einige Homilien und viele andere geistliche Werke wurden zum Gebrauche der frommen Königin übersetzt. Der Vorzug, den sie der Landessprache gab, ist um so merkwürdiger, da sie in Ungarn geboren war und bis zu ihrem funfzehnten

 

 

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Jahre dort gelebt hatte. Ihr Vater, König Ludwig der Große von Ungarn, war auch zwölf Jahre lang König von Polen, besuchte aber nur zweimal das Land. Seine Kriege gegen Venedig und die Angelegenheiten der Königin Johanne von Neapel, die mit seinem Bruder Andreas vermählt war, führten ihn oft nach Italien, und sein Hof war fast italienisch und am wenigsten polnisch; dessen ungeachtet aber zeigte seine Tochter eine innige Zuneigung gegen alle Einrichtungen ihres neuen Vaterlandes. Ihre große Frömmigkeit wurde durch einen hellen Verstand geleitet, und sie sah ein, daß die Religion ihren wohlthätigen Einfluß auf die Gemüther der Menschen nicht ausüben kann, wenn nicht in einer dem ganzen Volke verständlichen Sprache ihre feierlichen Gebräuche vollzogen und ihre Lehren verkündet werden. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, daß sie es gewagt haben würde, eine so kühne Neuerung einzuführen, hätten nicht vorgängige Beispiele ein solches Verfahren bei einer Königin gerechtfertigt, deren Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit nie angefochten wurden. Der gelehrte Siarczynski behauptet bestimmt *), daß bis zum vierzehnten Jahrhunderte der Gottesdienst in der Landessprache ganz gewöhnlich in Polen war, und seine gründliche Forschung macht sein Zeugniß höchst glaubwürdig, während er als ein eifriger katholischer Priester über jeden Verdacht von Parteilichkeit erhaben ist. Ein anderer katholischer Geistlicher, Juszynski, stimmt dieser Meinung bei und fügt hinzu, daß die Reformatoren im sechzehnten Jahrhunderte viele geistliche Lieder der alten polnischen Nationalkirchen zum Gebrauche ihrer Jünger aufgenommen haben. Auch versichert er, der Erzbischof von Gnesen, Martin Tromba, der einen bedeutenden Antheil an der Kirchenversammlung zu Konstanz nahm und ein eifriger Vertheidiger des National-Gottesdienstes war, habe die liturgischen Bücher in das Polnische übersetzen lassen.

 

Wapowski, ein Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts, sagt: „Der Gottesdienst in der Landessprache hat sich erst neuerlich unter uns verloren, und es ist eine unbezweifelte Thatsache, daß derselbe wenigstens an einem Orte **) noch zu Anfange dieses Jahrhunderts statt fand.”

 

Die Kirchen, die den Gottesdienst in der Landessprache beibehielten, lassen sich als sichere Schutzwehren betrachten, hinter welchen der Volksgeist nicht nur gegen die steten Eingriffe des Romanismus, sondern auch gegen den Germanismus Zuflucht fand. Der Einfluß Deutschlands, der stets auf die Einführung des Feudalsystems gerichtet war,

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*) S. „Czasopism Lwowski” (Chronik von Lemberg) 1828.
**) In der Kirche zum heiligen Kreuze bei Krakau.

 

 

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wirkte eben so zerstörend auf die volksthümlichen Einrichtungen der Slaven als Roms Einfluß, der alle Völker in das einförmige System seiner geistlichen Politik einzufügen suchte. Ohne Zweifel ist es jenem Unabhängigkeitssinne zu verdanken, daß sich in Polen ein beständiger Widerstand gegen die unbeschränkte Obergewalt Roms zeigte. Dieser Widerstand war jedoch, mit Ausnahme einiger Secten, auf die äußeren Formen des Gottesdienstes, die Kirchenzucht, die Freiheiten der Kirche und die von der Geistlichkeit in Anspruch genommene Herrschaft über die Laien beschränkt, während die Geheimnisse der Religion und ihre dunklen Lehrsätze unangetastet blieben. Es war ein Kampf zwischen der kirchlichen und weltlichen Macht, ein Streit zwischen der römisch-katholischen Einheit und der National-Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit wurde nicht nur durch die Könige vertheidigt, welche auf eine, in ihre Gewalt eingreifende fremde Macht eifersüchtig waren, sondern auch durch den Adel, der mit Argwohn das Uebergewicht der Geistlichen betrachtete, das er für eine seinem Einflusse gefährliche Mitbewerbung hielt. Dieser Nationalgeist beseelte, wie die Laien, so auch selbst die Geistlichen, welche zwar den Papst als das Haupt der Kirche anerkannten, aber seinem Ansehen in vielen Puncten entgegentraten, besonders aber dem Verbote der Priesterehe, dem sich die Geistlichkeit in Polen mit größerem Widerstreben als in irgend einem andern Lande unterwarf.

 

Wir geben nun eine Darstellung des Kampfes, der durch die Schwächung der Macht Roms so sehr zu den späteren Fortschritten der Reformation beitrug, und beginnen mit der Schilderung der Verhältnisse zwischen der geistlichen und weltlichen Macht in Polen. Wenn man die Taufe Mieczyslaw’s, des ersten christlichen Fürsten Polens, weltlichen Beweggründen zuschreiben kann, so mag er zu diesem wichtigen Schritte mehr durch politische Gründe, als durch seine Zuneigung zu seiner böhmischen Gemahlin sich haben bewegen lassen. Ein Theil seines Gebietes war dem Kaiser Otto I. lehnpflichtig und leicht dürfte der Wunsch, sich die Freundschaft desselben zu sichern, ihn zur Annahme des Christenthums vermocht haben. Diesem Umstande wird es auch zuzuschreiben sein, daß das Christenthum nach den in Deutschland eingeführten römischen Gebräuchen, und nicht mit der in Mähren üblichen nationalen Liturgie in Polen herrschend wurde. Die Bekehrung der polnischen Götzendiener war nichts weniger als leicht. Die Polen konnten sich nur sehr schwer von ihren Götzenbildern trennen, die Mieczyslaw nach seiner Bekehrung überall zerstören ließ. Funfzehn Jahre später hing halb Polen noch an der alten Abgötterei. Unter Mieczyslaw

 

 

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wurde das Erzbisthum Posen gegründet, das unter dem erzbischöflichen Stuhle von Mainz, später aber unter Magdeburg stand, Mieczyslaw’s Sohn, Boleslaw I., der im Jahre 972 zur Regierung kam, war noch eifriger als sein Vater bemüht, die Ueberreste des Heidenthums auszurotten, wendete aber Mittel dazu an, die mehr mit der Rohheit des Zeitalters, als mit dem Geiste des Christenthums verwandt waren. Er vereinigte unter seiner Herrschaft den südwestlichen Theil Polens, der früher zu Mähren und dann zu Böhmen gehört hatte, wo, wie bereit erwähnt, das Christenthum mit dem Gottesdienste in der Landessprache und den Gebräuchen der morgenländischen Kirche eingeführt war. Dieser Umstand hatte die Folge, daß jene kirchlichen Gebräuche auch in andern Theilen Polens sich verbreiteten, wo viele mährische und böhmische Glaubensprediger wegen ihrer Kenntniß der Landessprache zur Bekehrung der Götzendiener gebraucht wurden. Der Einfluß der mährischen Kirche hat mehre Spuren in Polen zurückgelassen, wozu unter Anderem die Strenge der Fastenzeit gehörte, die erst im Jahre 1248 durch den päpstlichen Legaten gemildert ward.

 

Um das Jahr 1000 kam der Kaiser Otto III. nach Polen, das Grab des heiligen Adalbert in Gnesen, der damaligen Hauptstadt des Landes, zu besuchen; doch war der Zweck dieser Wallfahrt nicht bloß ein andächtiger, sondern auch ein politischer. Boleslaw empfing seinen Gast mit großem Pomp und der Kaiser vergalt die ihm erwiesene Gastfreundschaft, indem er dem Polenherzoge die königliche Würde ertheilte und ihm die Gewalt verlieh, sowohl in Polen, als in den bereits eroberten oder künftig zu erobernden heidnischen Ländern alle Rechte auszuüben, die den Kaisern in kirchlichen Angelegenheiten zustanden. Man darf daraus den Schluß ziehen, daß jene Rechte in Polen von den Kaisern, wenn nicht wirklich ausgeübt, doch in Anspruch genommen wurden. Diese Zusammenkunft mit dem Kaiser ist ein wichtiger Umstand, da sie zur Unterdrückung der volksthümlichen Liturgie beitragen mußte, indem sie das Uebergewicht des durch Deutschland unterstützten Romanismus erhöhte. Viele dem Papste blind ergebene Mönche strömten unter Boleslaw’s Regierung aus dem westlichen Europa nach Polen, und, wie es scheint, wurden die Klöster zu jener Zeit fast ganz von Ausländern besetzt, welche, allen volksthümlichen und örtlichen Einrichtungen abhold, den Gottesdienst in der ihnen fremden Landessprache auszurotten suchten. Boleslaw setzte seine strengen Maßregeln gegen die Widersacher des christlichen Glaubens fort und es wurden dadurch heftige Bewegungen herbeigeführt, die er jedoch zu dämpfen wußte. Nach seinem Tode im Jahre 1025 machte sich sein Sohn Mieczyslaw II., der von seiner

 

 

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Gemahlin Rixa, einer Nichte Otto’s III., beherrscht wurde, seinem Volke verhaßt. Seine Regierung wurde durch beständige Unruhen gestört, deren Ursache, wie es scheint, die Zehnten waren, welche die Geistlichkeit von den neuen Christen erpreßte. Nach seinem Tode (1034) übernahm seine Wittwe Rixa die Regierung für ihren unmündigen Sohn Kasimir; die Unzufriedenheit stieg aber so hoch, daß sie Polen verlassen und mit ihrem Sohne in Deutschland Zuflucht suchen mußte. Die empörte Partei schaffte das Christenthum und das Königthum ab, und machte nach der Wiederherstellung des heidnischen Gottesdienstes den Anführer des Aufstandes, Maslaw, zum Beherrscher des Landes, jedoch ohne königlichen oder herzoglichen Titel. Dieses Ereigniß kann man als den letzten Kampf des Götzendienstes gegen das Christenthum betrachten, aber auch als einen Kampf des Geistes republikanischer Versammlungen, unter welchen die alten Slaven regiert wurden, gegen die monarchische Form, die, wie es scheint, von neuerem Ursprunge war und aus Deutschland nach Polen kam. Die Geistlichkeit war verabscheut, sowohl weil sie meist aus Fremdlingen bestand, als wegen ihres unsittlichen Wandels. Das Land war viele Jahre in einem sehr zerrütteten Zustande, bis endlich, als die christliche Partei das Uebergewicht gewann, der junge Kasimir auf den Thron zurückgerufen wurde. Seine Weisheit stellte die Ordnung wieder her und er heilte die dem Lande geschlagenen Wunden. Nach dem Tode seines Gegners Maslaw, der hingerichtet wurde, verschwand die heidnische Partei für immer aus Polen.

 

Eines der wichtigsten Ereignisse in der älteren polnischen Geschichte ist der Kampf zwischen Boleslaw II., dem Unerschrockenen, und dem Bischof von Krakau, Stanislaus Szczepanowski. Diese denkwürdige Begebenheit hatte, wie Dlugosz, der angesehenste unter den älteren Geschichtschreibern Polens, berichtet, ihre Veranlassung in dem kühnen Beweise, den der Bischof dem Könige gab, die durch seine Siege und seinen langen Aufenthalt in Kiew, der damaligen Hauptstadt Rußlands, hochfahrend und sittenlos geworden war. Boleslaw ward aufgebracht gegen den Bischof und ermordete ihn im Jahre 1078 mit eigener Hand auf den Stufen des Altars. Papst Gregor VII. that den König in den Bann, der den Thron verlassen mußte und als Verbannter in Ungarn starb. Dieses Ereigniß, welches alle andern Geschichtschreiber, einheimische und ausländische, auf gleiche Weise erzählen, ist durch neuere Forschungen in ein anderes Licht gestellt worden. Man kann den Streit zwischen Boleslaw und dem Bischof als jenen Kampf zwischen der weltlichen und geistlichen Gewalt betrachten, der zu jener Zeit

 

 

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so viele Theile Europa’s in Bewegung setzte. Die Beherrscher Polens hatten den Königstitel von den Kaisern und nicht von den Päpsten erhalten, die daher abgeneigt waren, diese Würde anzuerkennen, wie denn auch Gregor VII. den König Boleslaw nur Herzog von Polen nannte. Es läßt sich daher mit Grund voraussetzen, daß in den Streitigkeiten zwischen der päpstlichen und der kaiserlichen Macht die Könige Polens auf die Seite der Kaiser traten, von welchen sie auch das Recht, geistliche Würden in ihrem Gebiete zu verleihen, erhalten hatten. Boleslaw, eben so eifersüchtig auf die Rechte seines Volkes, als seiner Krone, verbot die Verleihung von Kirchenämtern an Ausländer und forderte von den Gütern der Geistlichkeit dieselben Abgaben und Dienste, die seine übrigen Unterthanen zu leisten hatten. Die erste dieser Maßregeln mußte den römischen Hof beleidigen, der stets bedacht war, seine Anhänger mit reichen Pfründen in allen seiner geistlichen Herrschaft unterworfenen Ländern zu nähren, und die andere Anordnung, welche in die zeitlichen Interessen der Geistlichkeit eingriff, war noch mehr geeignet, dem Könige den Haß dieser furchtbaren Genossenschaft zuzuziehen. Die Geistlichkeit mußte sich zwar den Verordnungen des mächtigen Königs unterwerfen, aber es erhob sich bald ein Widerstand nicht nur der Geistlichen, sondern auch der vornehmsten Edlen, da der König, wie es scheint, nicht weniger bedacht war, die Eingriffe der Geistlichkeit zurückzuweisen, als auch den Anmaßungen einer Aristokratie entgegen zu treten, welche, auf den Trümmern der alten volksmäßigen Einrichtungen der Slaven sich erhebend, die Einheit der königlichen Macht schwächte. Szczepanowski scheint an der Spitze jener Partei gewesen zu sein, deren Vertheidigung ihm das Leben kostete. Man darf mit Grund annehmen, daß des Bischofs Tod die Folge einer richterlichen Entscheidung war. Der Umstand, daß man ihm nach seinem Tode den Kopf abschlug und seinen Leichnam in Stücke hieb, scheint anzudeuten, daß er zu jener, in einen rohen Zeit nicht ungewöhnlichen Strafe war verurtheilt worden und nach einem richterlichen Ausspruche den Tod erlitt, nicht aber das Opfer einer plötzlichen Aufwallung des königlichen Zornes war. Die Zeugnisse der ältesten Chroniken über diese Begebenheit sind sehr unbefriedigend. Martin Gallus, ein beinahe gleichzeitiger Schriftsteller, ist dem Bischof keinesweges günstig, den er als einen Verräther bezeichnet. Dlugosz, der den Bischof als einen Heiligen betrachtet, berührt mehre Beschuldigungen, durch welche Boleslaw seine That zu rechtfertigen suchte, und berichtet mit frommer Entrüstung, daß viele zu jener Zeit die Meinung gehegt hätten, der Bischof sei ein Verräther und ein Mann von zügellosen Sitten gewesen

 

 

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und habe Strafe für seine Verbrechen verdient. Dieser Umstand möchte wenigstens beweisen, daß der König durch eine starke Partei im Volke unterstützt wurde, die nicht an die Rechtschaffenheit des Bischofs glaubte, der erst lange nach seinem Tode die Heiligsprechung erhielt *). Boleslaw mußte mit seinem unmündigen Sohne Mieczyslaw Zuflucht in Ungarn suchen; wir glauben jedoch, daß der vereinte Einfluß der Aristokratie und der Geistlichkeit ihn aus dem Lande trieb, keinesweges aber der Bannfluch Gregor VII., der, wie es scheint, nie ausgesprochen wurde, da sich in den Sammlungen der päpstlichen Verfügungen keine darauf bezügliche Bulle findet, und wenn ein der angemaßten Oberherrschaft Roms über die christlichen Könige so günstiges Beispiel wirklich statt gefunden hätte, würde es wohl nicht unerwähnt geblieben sein. Betrachten wir nun dieses Ereigniß nicht als einen zufälligen Ausbruch der Leidenschaft, sondern als das Ergebniß eines Kampfes zwischen der Volkspartei, die der alten Freiheit der Slaven eingedenk war, und des neuen wachsenden Einflusses der vereinten Aristokratie und Geistlichkeit; so muß dieser Einfluß schon sehr mächtig gewesen sein, wenn er einen solchen Sieg über einen König erringen konnte, der durch seine Kriegsthaten großen Ruhm gewonnen hatte und, wie es scheint, bei den unteren Volksclassen beliebt war. Die Furcht, welche die Aristokratie gegen Mieczyslaw hegte, beweist hinlänglich, daß sie an der Absetzung seines Vaters Theil genommen hatte. Der junge Prinz, der bei dem Volke sehr beliebt war, zwang seinen Oheim Wladislaw Herman, die Obergewalt mit ihm zu theilen, ward aber von einigen Großen vergiftet, welche fürchteten, daß er das seinem Vater wiederfahrene Unrecht rächen möchte. Die Abschaffung mehrer Anordnungen Boleslaws durch seinen Bruder und die Veränderungen, welche die Landesverfassung unter diesem erlitt, zeugen gleichfalls für die Feindseligkeit der Aristokratie gegen Boleslaw.

 

Das Uebergewicht der Geistlichkeit wurde durch die Vertreibung Boleslaws des Unerschrockenen befestigt. Die Regierung seines Bruders Wladislaw Herman, die Folge des Sieges der Kirche über den Staat, mußte das Wachsthum des geistlichen Einflusses vermehren. Wladislaws Nachfolger, Boleslaw III., machte sich berühmt durch seine Siege und die durch ihn vollendete Eroberung und Bekehrung Pommerns. Seine Regierung scheint der Geistlichkeit günstig gewesen zu sein, mit

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*) Im Jahre 1254, aber erst gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts wurde durch die Bemühungen Siegmunds III. die allgemeine Verehrung des neuen Heiligen eingeführt.

 

 

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welcher er wenigstens immer in gutem Vernehmen stand. Dieser König, der 1139 starb, störte die Wirkungen einer langen und glücklichen Regierung, indem er das Land unter seine vier Söhne theilte. Bürgerkriege, ein feindlicher Einfall und eine allgemeine Auflösung der Ordnung waren die traurigen Folgen eines so unweisen Schrittes. Dieser unglückliche Zustand, der beinahe zweihundert Jahre dauerte, begünstigte im hohem Grade die Zunahme der geistlichen Macht. Die zwischen mehren Herrschern getheilte und durch die steten Zwistigkeiten der Fürsten geschwächte höchste Gewalt im Staate nahm beständig ab, während die in einer Gesammtheit verbundene Geistlichkeit ihre Vortheile mit jener Gleichförmigkeit der Absicht verfolgte, womit jede Genossenschaft nach der Erreichung desselben Zweckes strebt. Viele Fürsten suchten in jener unruhigen Zeit ihr Ansehen durch den Einfluß der Kirche zu befestigen, die ihnen oft einen kräftigen Beistand leistete, der aber immer durch reiche Begabungen oder durch die Bewilligung neuer Vorrechte und Freiheiten erkauft wurde. Bei allen diesen Vortheilen aber scheint die Gewalt der Geistlichkeit, die während jener Zeit im ganzen westlichen Europa herrschte, sehr unsicher in Polen gewesen zu sein, wo es ihr oft an hinlänglicher Macht fehlte, den Widerstand der kleinen Fürsten zu besiegen, die in mehren Gebieten des Landes geboten.

 

Die im Jahre 1180 gehaltene Synode zu Lenczyca ist die erste Versammlung dieser Art in Polen; da sie jedoch nicht nur aus geistlichen Würdeninhabern, sondern auch aus Fürsten und andern weltlichen Herren bestand, so kann man sie eher eine Nationalversammlung, als eine kirchliche Zusammenkunft nennen. Unter den von ihre gegebenen Verfügungen war die wichtigste, daß die Fürsten bei Strafe des Kirchenbannes unterlassen sollten, sich die Güter und die Habe verstorbener Bischöfe zuzueignen. Trotz der feierlichen Anerkennung dieses Vorrechtes aber bemächtigte sich Wladislaw Laskonogi, Herzog von Krakau, in den Jahren 1212 bis 1218 des Eigenthums der verstorbenen Bischöfe von Krakau und Breslau. Der Erzbischof Heinrich von Gnesen, das Haupt der polnischen Kirche, that den Herzog in den Bann, der dadurch aber nur zu einem kühneren Widerstande gereizt ward, alle Vorrechte der Geistlichkeit in seinem Gebiete abschaffte, die Verleihung der Kirchenämter sich beilegte und die kirchliche Richtergewalt aufhob, indem er die Priester den gewöhnlichen Gerichtshöfen und denselben Strafgesetzen unterwarf, welchen alle übrigen Unterthanen gehorchten. Papst Innocenz III. ermächtigte den Erzbischof, ein allgemeines Interdict zu verkündigen, wenn der Herzog bei seinen gewaltsamen Maßregein beharren sollte. Als der Bischof Philipp von Posen sich weigerte,

 

 

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jenes Interdict in seinem Sprengel bekannt zu machen, ward er von dem Papste seiner Würde entsetzt, Wladislaw aber, der Roms Verweise verachtete, vertrieb den von dem Papste eingesetzten Bischof und vermehrte seine Strenge gegen diejenigen Geistlichen, die seinen Anordnungen sich widersetzten. Der Papst gab dem Bischof von Halberstadt und dem Abte des Klosters Sychem den Auftrag, den Herzog zu richten und, wenn er ihrer Entscheidung sich nicht fügen sollte, den ausgesprochenen Kirchenbann zu bestätigen. Wladislaw wich der den beiden Bevollmächtigten ertheilten Richtergewalt aus, indem er eine Berufung an den Papst einlegte. Der Erzbischof von Gnesen ging selber nach Rom, um die Sache seiner Geistlichkeit zu fördern, aber alle seine Bemühungen, die strengen Verfügungen des Herzogs aufzuheben, waren fruchtlos. Die Geistlichen fühlten ihre Schwäche und mußten ihre Zwistigkeiten mit ihrem Fürsten durch eine freiwillige Uebereinkunft schlichten, welche dem herzoglichen Schatze alles Gold und Silber und alle kostbaren Geräthe eines ohne letzten Willen verstorbenen Bischofs zuwies. Die Geistlichkeit gelangte aber bald wieder zur Obergewalt. Wladislaw Odonicz, Herzog von Groß-Polen, verlieh dem Erzbischof von Gnesen, durch dessen Beistand er zur Herrschaft gelangt war, Steuerfreiheit für alles Kircheneigenthum und gänzliche Befreiung der Geistlichen von der weltlichen Richtergewalt. Boleslaw der Schamhafte, Herzog von Krakau, bestätigte 1279 diese Vorrechte und verlieh überdies den Bischöfen das Recht, in ihren Spengeln alle dem Fürsten zustehenden Befugnisse auszuüben.

 

Die Erhebung der Zehnten gab auch Anlaß zu vielen Streitigkeiten zwischen den Laien und der Geistlichkeit. Boleslaw, Herzog von Schlesien, verlangte im Jahre 1258, daß die zehnte von der Geistlichkeit erhobene Garde in eine Geldabgabe verwandelt werden sollte; die Geistlichen aber, die aus der Einsammlung der Zehnten in Früchten mehr Vortheil zogen als ein Ersatz in Gelde ihnen geben konnte, verwarfen die vorgeschlagene Verwandlung und bestanden auf dem Naturalzehnten als einem heiligen und unverletzlichen Rechte. Der Herzog ließ den widerspänstigen Bischof Thomas von Breslau mit einem seiner Stiftsherren verhaften und sie in Fesseln schlagen. Der Erzbischof von Gnesen that den Herzog in den Bann, und als Boleslaw die kirchliche Strafdrohung verachtete, befahl der Papst den Erzbischöfen von Gnesen und Magdeburg, einen Kreuzzug gegen den Herzog zu predigen; aber der heilige Krieg verdampfte in Hymnen, die in mehren Kirchen gegen den mit dem Banne belegten Herzog gesungen wurden. Als der Bischof sah, daß die Kämpfer der Kirche ihn nicht aus der Gefangenschaft

 

 

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erlösen würden, erkaufte er seine Freiheit durch Bezahlung von zweitausend Mark Silber und die Einwilligung in die vorgeschlagene Ausgleichung der Zehnten. Dieses Beispiel eines erfolgreichen Widerstandes gegen die Geistlichkeit wurde von den Herzogen von Krakau und Masovien befolgt, welche in ihren Gebieten eine ähnliche Zehntenverwandlung erzwangen. Heinrich II., Herzog von Schlesien, war eben so eifersüchtig auf die Geistlichkeit, als sein Vater Boleslaw. Der Bischof von Breslau, der dem Herzoge nicht widerstehen konnte, suchte den Beistand des Erzbischofs von Gnesen, der den Herzog in den Bann that. Die Franziskaner in Breslau wollten die Gültigkeit des Bannfluches nicht anerkennen, und durch diese Zwietracht unter der Geistlichkeit ermuthigt, verbannte der Herzog alle Priester, die sich ihm widersetzten. Die Drohungen des Papstes blieben fruchtlos; der Herzog wendete sich an die Kirchenversammlung zu Lyon und erhielt Lossprechung von dem Kirchenbanne, die er jedoch durch kein Zugeständniß erkaufen mußte. Nach fünfjähriger Verbannung versöhnte sich der Bischof mit seinem Fürsten, indem er bewilligte, daß die Geistlichkeit seines Sprengel dem herzoglichen Schatze eine gewisse Abgabe bezahlen sollte.

 

Diese Kämpfe zwischen der geistlichen und weltlichen Macht, die so oft mit dem Siege der Staatsgewalt endigten, beweisen, daß die päpstliche Herrschaft nur einen schwachen Einfluß auf das Gemüth des Volkes in Polen ausübte, und man kann nicht annehmen, daß Fürsten, die nur über einzelne Theile des Landes herrschten, es gewagt hätten, in einen so gefährlichen Streit sich einzulassen, wären sie nicht durch die Volksmeinung unterstützt worden. Die Blitze des Vatikans, die im westlichen Europa die Grundvesten der Throne erschütterten, fielen unschädlich in Polen nieder, dessen Bewohner sich wenig um die kirchlichen Strafdrohungen zu kümmern schienen. Man findet eine genügende Erklärung dieser Erscheinung nur in dem Unabhängigkeitssinne und in dem Widerstande gegen eine unbedingte Unterwerfung unter Roms Herrschaft, die in den Nationalkirchen ihre Nahrung fanden.

 

Der Gottesdienst in der Landessprache war zu jener Zeit noch sehr gewöhnlich in Polen und bei dem Volke beliebt, das eine ihm bekannte Sprache den leeren Tönen einer unbekannten vorziehen mußte. Die untere Geistlichkeit, unter welcher viele dem National-Gottesdienste anhingen, scheint Roms Sache nicht sehr eifrig unterstützt zu haben. Weder Unglaube, noch irgend eine neue Meinung in Glaubenssachen hat, wie es scheint, jene häufigen Streitigkeiten zwischen den Laien und der Geistlichkeit veranlaßt, weil der Widerstand gegen die Kirche sich auf

 

 

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weltliche Angelegenheiten beschränkte, und wir finden keine Beschwerden, daß die Fürsten, welche die zeitlichen Interessen der Geistlichkeit so kühn angriffen, die Glaubenslehren der Kirche angefochten oder verachtet hätten. Die Secten, welche vor Huß in Polen auftraten, waren diesem Lande nicht eigenthümlich und wir finden keine Spuren, daß sie auf die Fürsten oder auch nur auf die Masse des Volkes Einfluß gehabt hätten.

 

Ein wichtiger Umstand mochte jedoch nicht wenig dazu beitragen, ein lebhaftes Gefühl gegen Rom in Polen aufzuregen. Im dreizehnten Jahrhunderte wurden die deutschen Ritter von Konrad, Herzog von Masovien, zum Beistande gegen die heidnischen Preußen herbeigerufen und von ihm mit ansehnlichen Besitzungen beschenkt. Als diese mönchischen Krieger Preußen unterworfen und die Bewohner des Landes in die drückendste Knechtschaft gebracht hatten, machten sie stete Einfälle in das angränzende Polen und wurden die furchtbarsten Feinde. Der Haß, den die geistlichen Soldaten und erklärten Vertheidiger der römischen Herrschaft bei den Polen gegen sich erregten, fiel auf die Geistlichkeit überhaupt zurück, und dies mag eine der Hauptursachen jener Eifersucht gegen den geistlichen Stand sein, welche der polnische Adel im vierzehnten Jahrhunderte so kräftig offenbarte. Unter der Regierung Kasimir’s des Großen (1333 — 1370) erhob sich der Adel, oder wie man ihn in Polen nannte, der Ritterstand, heftig gegen die Geistlichkeit. Er führte Beschwerde, daß die Zehnten unerschwinglich seien, daß die Bischöfe die Annaten zu ihrem eigenen Nutzen verwendeten, und verlangte eine Beschränkung der übermäßig ausgedehnten kirchlichen Richtergewalt. Die Geistlichkeit war nicht weniger laut in ihren Klagen gegen den Ritterstand, den sie beschuldigte, daß er die Bezahlung der Zehnten muthwillig verweigere und die Kirchenstrafen verachte. In jenen unruhigen Zeiten mochten beide Parteien der Vergehungen wohl schuldig sein, die sie sich vorwarfen. Es gelang der Weisheit und Festigkeit Kasimir’s des Großen, diese Zwiste auszugleichen, indem er vielen Mißbräuchen aus beiden Seiten abhalf, aber seine Maßregeln hemmten nur zeitweilig den Ausbruch der gegenseitigen Eifersucht. Kasimir verordnete, daß wenn ein Landeigenthümer nicht im Laufe eines Jahres die Lossprechung vom Kirchenbanne suchte, seine Leibeigenen seine Besitzungen zu verlassen befugt und frei sein sollten. Seine Sorgfalt für das Wohl der ackerbauenden Classe, wodurch er sich den ehrenvollen Beinamen des Bauernkönigs verdiente, nicht aber eine Parteilichseit gegen die Geistlichkeit bewog ihn, jenes Gesetz zu erlassen, da wir sehen, daß er bei der Vertheidigung seiner Rechte gegen die

Krasinski.

 

 

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Geistlichkeit sogar eine große Grausamkeit erlaubte. Als er aus das Eigenthum des Bischofs von Krakau eine Abgabe gelegt hatte, ward er in den Bann gethan, der Geistliche aber, der es wagte, dem Könige den Bannfluch zu verkünden, wurde festgehalten und ertränkt. Diese Gewaltthat blieb ohne Folgen, und die Geistlichkeit, die sich zu schwach fühlen mochte, mit einem bei seinem Volke beliebten Könige zu streiten, hat die Sache wahrscheinlich verheimlicht. Unter Kasimir’s Nachfolger, Ludwig von Anjou, König von Ungarn (1370 — 1382) wurden diese Zwistigkeiten heftiger, und der Ritterstand, der nun im Besitze großer Vorrechte war, erklärte die Freiheiten, welche die Geistlichkeit von Boleslaw dem Schamhasten erhalten hatte, für aufgehoben.

 

Es gibt hinlängliche Gründe für die Annahme, daß die Beherrscher Polens seit den Ältesten Zeiten das Recht ausübten, die Bischöfe zu ernennen. Zu den wichtigsten kaiserlichen Rechten in Kirchensachen, die Otto III. dem Herzoge Boleslaw verlieh, gehörte unstreitig die Ernennung der Bischöfe, die unter denjenigen Vorrechten begriffen sein mußte, die Boleslaw von dem Kaiser erhielt. Das von Boleslaw dem Unerschrockenen erlassene Verbot, Kirchenwürden an Ausländer zu verleihen, das ohne Widerstand ausgeführt ward, ist ein Beweis, daß die Einmischung des Könige in die Verleihung der Kirchenämter nichts Ungewöhnliches war. Die Päpste widersetzten sich freilich dem königlichen Ernennungsrechte und ein römischer Legat in Polen entsetzte im Jahre 1104 zwei Bischöfe, weil der König sie ohne Zustimmung des Papstes ernannt hatte. Herzog Boleslaw von Groß-Polen ernannte dagegen im Jahre 1170 einen Bischof von Plock, ohne daß ein Widerspruch dagegen erhoben ward, und als der Papst im Jahre 1391 einen Italiener auf denselben Bischofstuhl erheben wollte, sah der päpstliche Ernannte nicht einmal seinen Sprengel, da der König, der Ritterstand und selbst die Geistlichkeit sich ihm widersetzten. Der jagellonische Stamm, der gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Thron erlangte, war den Ansprüchen Roms keineswegs günstig. Die hussitischen Lehren, die sich im funfzehnten Jahrhunderte weit in Polen verbreiteten, brachten die päpstliche Gewalt beinahe in gänzlichen Verfall, und wir finden ein merkwürdiges Beispiel der Verachtung, worein Roms Macht in jener Zeit gerathen war. Kasimir III. verlieh im Jahre 1460 einem Gruszczynski das Bisthum Krakau, das der Papst früher an Sieninski gegeben hatte, und dies erregte einen heftigen Streit über den Vorrang der königlichen Gewalt und die Unfehlbarkeit des Papstes. Der König verbot die Bekanntmachung der päpstlichen Schreiben und des ausgesprochenen Bannfluches, berief sich auf eine künftige Kirchenversammlung und

 

 

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ächtete Sieninski. Der Dechant und einige Mitglieder des Domcapitels zu Krakau, die heftig des Papstes Partei genommen hatten, wurden auf des Königs Befehl durch den Henker aus der Stadt geführt. Auch befahl Kasimir den geistlichen Gerichten, ihre Sitzungen aufhören zu lassen, und als einige Geistliche es dennoch wagten, ein Gericht zu halten, wurden sie öffentlich aus der Stadt gejagt. Der päpstliche Legat ermahnte den König, den von dem römischen Stuhle ernannten Bischof wieder einzusetzen, Kasimir aber antwortete: „Lieber wollte ich mein Königreich verlieren!” „Besser wäre es, daß drei Königreiche untergingen, als daß ein einziges Wort des Papstes zu Schanden würde”, war die stolze Antwort des Legaten. Der König achtete nicht darauf, sondern beharrte bei seinem Entschlusse und die Worte des Papstes und seines Legaten wurden zu Schanden. Auf dem Reichstage zu Piotrkow (Petrikau) im Jahre 1462 wurde der König in einer Zuschrift gebeten, das Ansehen des Papstes nicht zu verletzen; Kasimir aber erwiderte, er werde nie gestatten, daß irgend Jemand in seinem Königreiche Bischöfe einsetzte. Einer der besten polnischen Geschichtschreiber *), der im sechzehnten Jahrhunderte Iebte, schließt seinen Bericht von jenen Verhandlungen mit den einfachen Worten: „Und seit jener Zeit ernennt der König die Bischöfe.” Dieses Zeugniß beweiset genügend, daß Kasimir’s Beispiel eine, von seinen Nachfolgern strenge befolgte Regel ward. Aus andern historischen Zeugnissen geht überdies hervor, wie hartnäckig die Könige Polens jenes Recht verfochten, und wir finden zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts unter der Regierung Siegmund’s I. ein merkwürdiges Beispiel von der Eifersucht, womit sie jede Verletzung ihres Rechtes abwehrten. Der Papst hatte sich angemaßt, einen Bischof von Plock zu ernennen, der König aber verwarf sogleich den Ernannten und erklärte, daß er nie Jemand erlauben werde, die Gesetze des Landes zu verletzen und die Senatoren des Reiches **) zu ernennen. Als Adrian VI. die Bestätigung des vom Könige zum Bischofe von Posen ernannten Leszczynski verzögerte, ließ jener dem Papste melden, daß eine hartnäckige Verweigerung der Gerechtigkeit unangenehme Folgen für den heiligen Vater und den römischen Stuhl haben könnte. Der Papst gab klüglich nach, und ein längerer Widerstand würde nicht nur vergeblich, sondern auch gefährlich in einer Zeit gewesen sein, wo die protestantischen Lehren sich schnell in Polen verbreiteten.

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*) Bielski.
**) Der Bischof war seines Amtes wegen Mitglied des Senats.

 

 

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Wir haben nun alle uns zugänglichen Angaben über die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, die in Polen bestanden, zusammengestellt. Ueber den innern Zustand der Kirche und ihre Verbindungen mit Rom können wir nur aus sehr dürftigen Quellen Nachrichten schöpfen, und die kirchlichen Schriftsteller, fast die einzigen Zeugnisse, die sich uns darbieten, sind im Allgemeinen dem päpstlichen Interesse ergeben. Sie bezeichnen die Streitigkeiten zwischen den Laien und der Geistlichkeit als Beispiele von Gottlosigkeit; sie würden es aber für ärgerlich und gefährlich gehalten haben, von dem Widerstande zu reden, den oft die Geistlichkeit selbst der unbedingten Obergewalt Roms entgegensetzte. Die protestantischen Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts aber, die unter dem Einflusse polemischer Aufregung schrieben, sind vielleicht zu geneigt gewesen, alle Umstände, die zur Bekräftigung ihrer Meinungen dienen konnten, zu übertreiben, und ohne den Vorwurf der Parteilichkeit zu verdienen, darf man auf ihr alleiniges Zeugniß nicht bauen. Es finden sich jedoch auch bei den päpstlichen Schriftstellern einige Spuren, die andeuten, daß die polnische Kirche vor dem Jahre 1100 Unabhängigkeit von dem römischen Stuhle behauptete *).

 

Keine päpstliche Verordnung scheint einen allgemeineren Widerstand unter der Geistlichkeit gefunden zu haben als das Verbot der Priesterehe. Dies hatte unstreitig seinen Grund in dem Einflusse des National-Gottesdienstes, da die von Cyrillus und Methodius und ihren Jüngern gegründeten Kirchen den Vorschriften der morgenländischen Kirche anhingen, die ihren Geistlichen die Ehe nicht nur gestattet, sondern gebietet. Das endliche Verbot der Priesterehe wurde bekanntlich von Gregor VII. erlassen; aus hinlänglichen geschichtlichen Zeugnissen geht jedoch hervor, daß um das Jahr 1120 alle Priester in dem bischöflichen Sprengel von Breslau verheirathet waren. Der polnische Geschichtschreiber Sarnicki, ein Protestant, behauptet bestimmt, daß um die Mitte des zwölften Jahrhunderts die Mehrzahl der Geistlichkeit Polens in der Ehe lebte, und der eifrige Katholik Dlugosz bekräftigt dieses Zeugniß. Die unter der Leitung des päpstlichen Legaten berufenen Synoden zu Krakau und Lubusz zu Ende des zwölften Jahrhunderts befahlen den Geistlichen, ihre Beischläferinnen und rechtmäßigen Gattinnen zu verlassen, und die widerspenstigen Priester wurden

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*) Gregor VII. sagte 1075 in einem Schreiben an Boleslaw den Unerschrockenen: „Episcopi terrae vestrae ultra regulas sunt liberi et absoluti.

 

 

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mit schweren Strafen bedroht. Diese Drohungen hatten offenbar nicht den gewünschten Erfolg, da auf der im Jahre 1219 gehaltenen Synode zu Gnesen geklagt wurde, daß die früheren Verbote der Priesterehe unwirksam geblieben wären. Es wurde zugleich verfügt, daß die Priester eidlich versprechen sollten, ihre Beischläferinnen und angetrauten Weiber zu verlassen. Merkwürdig ist es, daß auf der Synode zu Piotrkow im Jahre 1577 darüber geklagt wurde, die Priesterehe sei von übrigens rechtgläubigen Geistlichen hartnäckig vertheidigt worden.

 

Hinlängliche Gründe sprechen dafür, daß schon im Jahre 1176 die im westlichen Europa verfolgten Jünger Peter Valdo’s ihre Lehren nach Böhmen brachten, und der polnische Geschichtschreiber Wengierski, der zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts schrieb und viele seitdem durch fanatische katholische Priester vernichtete Quellen benutzte, behauptet bestimmt, daß die Waldenser ihre Lehren in Böhmen, Mähren, Schlesien und Polen verbreitet haben *). Nach dem Zeugnisse desselben Geschichtschreibers hatten diese Reformatoren eine Ansiedlung in der Gegend von Krakau gegründet, und noch im Jahre 1330 wurde von der Inquisition in Polen entdeckt, daß viele Polen und Böhmen die Kirchen der Waldenser in Italien besuchten und sie durch ansehnliche Gaben unterstützten. Nach de Thou und Perrin **) soll Peter Valdo, nachdem er die slavischen Länder besucht hatte, sich in Böhmen niedergelassen haben, und selbst wenn die Ueberlieferung von seinen Wanderungen und seinem Tode ungegründet wäre, so beweist doch das Dasein dieser Sage, daß die Lehren der Waldenser in jenen entfernten Ländern bekannt waren. Zu Anfange des zwölften Jahrhunderts, wo jene Lehren sich verbreiteten, gab es viele slavische oder nationale Kirchen in Böhmen, Schlesien, Mähren und Polen, und wenn man erwägt, daß diese Kirchen den freien Gebrauch der Bibel, den Gottesdienst in der Landessprache, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe gestatteten, Bewilligungen, welche durch die päpstlichen Neuerungen aufgehoben waren; so begreift man, daß Valdo’s Lehren leicht Eingang unter den Anhängern der Nationalkirchen finden konnten. Es ist bekannt, daß die Waldenser ungefähr dieselben Glaubensmeinungen annahmen,

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*) S. „Slavonia reformata“ Amsterdam 1679. Flacius Illyricus in dem „Catalogus testium veritatis“ bestätigt diese Angabe, und auch Leger führt in der „Histoire générale des églisea évangéliques des vallées du Piemont ou Vaudois“ Zeugnisse dafür an. Vergl. M’Crie’s treffliche „Geschichte der Fortschritte und der Unterdrückung der Reformation in Italien“ übersetzt von Friedrich (Leipzig 1829.) S. 8.

**) In seiner „Histoire des Vaudois“ S. 223.

 

 

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die später durch die Reformation den Sieg errangen, und wir haben viele Beweise, daß ähnliche Lehren schon vor Huß in Böhmen offen gepredigt wurden und in Polen Anklang fanden.

 

Die Secten der Geißler und der Fratricelli, die sich im dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderte in Europa verbreiteten, drangen auch in Polen ein und fanden viele Anhänger, wiewohl sie dort nicht einen eigenen Charakter annahmen, wodurch sie sich von ihren Genossen in andern Ländern unterschieden hätten. Wir dürfen eine andere merkwürdige Begebenheit nicht unberührt lassen, die sich im vierzehnten Jahrhunderte in Breslau ereignete, das zwar zu Schlesien gehörte, aber in jener Zeit einen der bischöflichen Sprengel Polens bildete. Im Jahre 1341 predigte dort ein Johann Pirnensis öffentlich, der Papst sei der Antichrist, Rom die große babylonische Hure und die Kirche Satans. Seine Jünger zeichneten sich besonders durch einen erbitterten Haß gegen die Geistlichkeit aus. Ganz Breslau scheint einige Zeit hindurch dieser Secte angehangen zu haben. Die Inquisition zu Krakau gab dem Inquisitor Johann von Schweidnitz (Swidnica) den Auftrag, jene Ketzerei auszurotten, aber die Bürger von Breslau ermordeten den Inquisitor. Diese Secte verschwand jedoch nach dem Tode ihres Stifters, dessen Gebeine auf Befehl des Papstes ausgegraben und, zu Asche verbrannt, in den Winden zerstreut wurden. Wahrscheinlich verloren sich seine Anhänger später unter den Hussiten, die sich zu Anfange des funfzehnten Jahrhunderts zahlreich in Schlesien verbreiteten.

 

Wir können hier nicht in eine umständliche Darstellung des Ursprungs und der Fortschritte der hussitischen Lehren in Böhmen eingehen, und nur den Einfluß bezeichnen, den sie auf Polen hatten. Die Ueberlieferung von einem National-Gottesdienste scheint, ungeachtet der gänzlichen Abschaffung desselben im Jahre 1174, einen tieferen Eindruck auf das Gemüth des Volkes in Böhmen gemacht zu haben als in andern slavischen Ländern. Die zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts war eine günstige Zeit für die Entwickelung böhmischer Nationalität, zumal unter der sorgsamen Pflege Karls IV., der ein eifriger Beförderer der Landessprache und der volksthümlichen Einrichtungen war, und dieser Umstand mag dazu beigetragen haben‚ die Neigung für den National-Gottesdienst wieder zu erwecken, wozu das Abendmahl unter beiderlei Gestalt als ein wichtiger Theil gehörte. Diese Abendmahlfeier war kurze Zeit vor Huß nicht ungewöhnlich in Böhmen, wie daraus hervorgeht, daß dieselbe im Jahre 1350 verboten und seit 1369 von einigen Gelehrten, wie Konrad Steckna und Johann Milicz, vertheidigt wurde. Karl‘s IV. Beichtvater, Matthias de Janowa,

 

 

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hielt den Gottesdienst in der kaiserlichen Kapelle nach den Gebräuchen der Nationalkirche. Der Papst bezeichnete jene Vertheidiger des Abendmahls unter beiderlei Gestalt als Ketzer und befahl ihre Verhaftung. Milicz und Janowa flohen nach Polen, wo sie ihre Lehren zu predigen fortfuhren. Papst Gregor XI. befahl dem Erzbischofe von Gnesen, gegen Milicz als einen erklärten Ketzer zu verfahren und tadelte zugleich die Nachlässigkeit und Furchtsamkeit der Inquisition in Polen; doch scheinen diese Ermahnungen wenig Erfolg gehabt zu haben. Aus den angeführten Umständen möchte sich ergeben, daß die Reformation in Böhmen aus einheimischen Elementen, aus nationalen Ueberlieferungen hervorging, daß sie die Wirkung der Entwickelung des Volksverstandes war und Wicliff mit Unrecht als der eigentliche Urheber derselben betrachtet wird, wiewohl dieser große Mann allerdings der evangelischen Wahrheit den ersten bestimmten Ausdruck verliehen und jener Bewegung unter den slavischen Völkern, die zur Erneuerung der Schriftlehren führte, einen Anstoß gegeben hat. Es ist bekannt, daß viele Diener der Gemahlin Richard’s II. von England, einer böhmischen Fürstentochter, nach dem Tode derselben nach Böhmen zurückkehrten, wo sie die Verbreitung der Lehren Wicliff’s beförderten. Der Iebhafte Verkehr, der zu jener Zeit zwischen den Universitäten zu Prag und Oxford bestand, trug gleichfalls dazu bei, Wicliff’s Werke bekannt zu machen, welche, von Huß in die Landessprache übersetzt, die ersten Mittel wurden, den Samen der Reformation in Böhmen auszustreuen. Der schnelle Erfolg, den Wicliff’s Meinungen in Böhmen hatten, während sie in England nur geringe und in andern Theilen des westlichen Europa’s gar keine Wirkung machten, muß hauptsächlich der überlieferten Anhänglichkeit an den nationalen Gottesdienst und der erblichen Feindseligkeit zwischen den Slaven und Deutschen zugeschrieben werden. Die römische Hierarchie war stets mit dem deutschen Lehnwesen zur Unterdrückung der slavischen gesellschaftlichen Einrichtungen und der volksthümlichen Gottesverehrung verbunden. Auffallend zeigte sich die Eifersucht des beiden Volksstämme in dem Streite zwischen der nationalen und der deutschen Partei auf der Universität zu Prag, die zum Ausbruche kam, als Karl IV. das den Deutschen, das heißt allen Ausländern, früher verliehene Uebergewicht der Stimmen bei akademischen Wahlen im Jahre 1409 wieder aufhob, was die Auswanderung der deutschen Studenten nach Leipzig zur Folge hatte. Huß wurde darauf zum Rector der Hochschule erwählt und die nationale Partei nahm gern die Glaubenslehre ihres Führers an. Diese Umstände erklären die schnelle Verbreitung der hussitischen Lehren unter

 

 

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den Slaven in Böhmen und den angränzenden Ländern und ihre Erfolglosigkeit unter den Deutschen.

 

Polen stand zu jener Zeit in einer engen Verbindung mit Böhmen, da die Sprache beider Länder fast dieselbe war. Die polnische Jugend erhielt ihre Bildung meist auf der Hochschule zu Prag, wo die Königin Hedwig ein eigenes Collegium für sie gestiftet hatte. Huß ward in Polen sehr geachtet, wie schon daraus hervorgeht, daß die Verwahrung, welche die Böhmen den in Konstanz versammelten Bischöfen zu Gunsten ihres Reformators übergaben, von allen anwesenden Polen unterzeichnet wurde. Huß selbst gibt in einem seiner Briefe ein entscheidendes Zeugniß von dem Antheile, den die Polen, und besonders ein junger Edelmann *), an seiner Vertheidigung nahmen. Hieronymus von Prag, der mit Huß gleiches Schicksal erlitt, hatte einige Zeit in Polen zugebracht, wohin er im Jahre 1410 gerufen ward, um die Universität zu Krakau einzurichten. Diese Umstände trugen dazu bei, alle in Böhmen entstandenen Meinungen in Polen schnell zu verbreiten.

 

Die Verbreitung der hussitischen Lehren wird auch dadurch bezeugt, daß im funfzehnten Jahrhundert unter dem Einflusse der Geistlichkeit Gesetze gegen die Ketzerei erlassen wurden. Die Inquisition war schon im vierzehnten Jahrhunderte gegen die Fratricelli in Polen eingeführt worden, doch findet sich keine Spur einer ernstlichen Verfolgung dieser Secte. Der Erzbischof von Gnesen versammelte im Jahre 1416 eine Synode zu Wielun, die sehr strenge Verordnungen gegen die Hussiten erließ. Die Synode zu Lenczyca faßte im Jahre 1423 gleichfalls strenge Beschlüsse gegen die böhmische Ketzerei. Die Pfarrer sollten alle, die einer Hinneigung zu den neuen Lehren verdächtig wären, einkerkern und vor die Bischöfe stellen. Allen Schulvorstehern ward untersagt, Lehrer anzustellen, die aus Böhmen gekommen wären, und der Verkehr mit diesem Lande sollte durch alle mögliche Mittel verhindert werden. Den Vätern wurde verboten, ihren Kindern, die nach Böhmen gehen wollten oder ketzerischen Meinungen anhingen, irgend einen Beistand zu gewähren. Auch wurde besonders empfohlen, die von den Pfarrern gebrauchten Bücher sorgfältig zu prüfen, und dies beweist klar, daß die Lehren des böhmischen Reformators bereits unter der niederen Geistlichkeit verbreitet, und Bücher,

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*) Wenceslaus Leszna, Der Brief steht in dem seltenen im britischen Museum befindlichen Werke: „Visiones nocturnae Stephani Melisch, Civis Lesnensis.“ 1659.

 

 

 

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die diese Lehren predigten, im Umlaufe waren. Die Verbreitung hussitischer Bücher in Polen wird auch dadurch bestätigt, daß zu jener Zeit viele katholische Schriften gegen die böhmische Ketzerei herausgegeben wurden, die sehr vorherrschend sein mußte, wenn sie ein solches Mittel foderte. Die katholischen Geistlichen waren zu klug, als daß sie sich ohne Noth in die Darstellung ketzerischer Lehren eingelassen hätten, deren Kenntniß allein schon die Gefahr drohte, die Gemüther anzustecken, deren Rechtgläubigkeit man bewahren wollte.

 

Die erwähnten Verordnungen der Geistlichkeit wurden im Jahre 1424 von dem Könige bestätigt, der Ketzerei für Hochverrath erklärte. Mehre Reichstage erließen ähnliche Gesetze, die jedoch ein todter Buchstabe blieben, und die Geistlichkeit, von welcher sie ausgegangen waren, hatte nicht Einfluß genug, die Vollziehung derselben zu sichern. Der Inquisitor Martin von Brzesc ermahnte im Jahre 1437 dringend die Obrigkeiten, alle von den böhmischen Irrthümern angesteckten Personen vor ihn zu bringen; die Regentschaft während der Unmündigkeit Wladislaw. III. ermächtigte bald nachher einen andern Inquisitor, gegen die Sectenanhänger nach den Verordnungen des Kaisers Friedrich II. zu verfahren, und ein Dominikaner erhielt 1464 von dem Könige die Vollmacht, gegen die Ketzer einzuschreiten; aber trotz dieses furchtbaren Heeres von Gesetzen und Verordnungen blieben die Anstrengungen der katholischen Kirche zur Unterdrückung der Ketzerei ohne Erfolg.

 

Nur einmal wurden in Polen einige Hussiten verbrannt; doch diese Grausamkeit ward in einer unruhigen Zeit durch die Gewaltthätigkeit des Bischofs, Andreas Bninski von Posen, verübt und glich mehr einer Privatrache als einer nach bestehenden Gesetzen vorgenommenen Handlung. Der Bischof belagerte 1439 mit neunhundert Reitern die Stadt Zbonszyn und zwang die Einwohner, ihm fünf hussitische Prediger auszuliefern, die er den Flammen opferte. Es mögen allerdings in der Dunkelheit eines Klosters einige heimliche Opfer aus den unteren Ständen gefallen sein; aber es war nicht möglich, jemand aus der zahlreichen Classe des Adels, ohne eine förmliche richterliche Verurtheilung, der Freiheit zu berauben. Polen erhielt im funfzehnten Jahrhunderte sein Habeas-Corpus-Gesetz, und im Jahre 1450 wurde der Grundsatz der polnischen Verfassung angenommen: Neminem captivare permittimus, nisi jure victum. Viele der ersten Familien des Landes gingen offen zu den böhmischen Lehren über, ohne Verfolgung zu erleiden, und selbst Sophia, die Gemahlin Wladislaw Jagello’s, war ihnen geneigt.

 

 

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Die politischen Verhältnisse zwischen Polen und Böhmen zu der Zeit, wo die hussitischen Lehren sich in Böhmen ausbreiteten, mußten dazu beitragen, ihnen auch in Polen Eingang zu verschaffen. Bei den vielfachen Verbindungen zwischen beiden Ländern mußten die Böhmen in dem Kampfe gegen den Germanismus und Romanismus Beistand von Polen erwarten, das einen bedeutenden Machtzuwachs erlangt hatte, seit Jagello, der Großherzog von Lithauen, im Jahre 1386 auf den polnischen Thron gelangt war. Die Böhmen boten im Jahre 1420, unter dem Einflusse der gemäßigten Partei, der sogenannten Prager, den Thron ihres Landes dem Könige von Polen, Wladislaw Jagello an, welcher aber, von Natur unschlüssig, keine bestimmte Antwort gab, obgleich er die böhmischen Gesandten sehr wohlwollend aufnahm. Er wollte erst die Bedingungen wissen, unter welchen man ihm die Krone anbot, und die Meinung des polnischen Senats erforschen. Es stritten allerdings wichtige Gründe gegen eine voreilige Annahme der böhmischen Krone. Ein Krieg mit dem Kaiser, der Böhmen als sein erbliches Königreich betrachtete, wäre die unvermeidliche Folge gewesen, und die deutschen Ritter, von ihm aufgereizt, würden Polen angegriffen haben. Wladislaw wünschte lebhafter, die deutschen Ritter zu erdrücken, die trotz ihrer, durch die vereinten Streitkräfte Polens und Lithauens im Jahre 1410 bei Grünwald oder Tannenberg erlittenen Niederlage, noch immer seine furchtbarsten Feinde waren, als Böhmen zu erwerben, das zu jener Zeit durch mehre Parteiungen getrennt war. Nicolaus Hussenets, ein mächtiger Edler, strebte nach der Krone seines Vaterlandes, und der berühmte Ziska, das Haupt der Taboriten, der von Nationalgefühl beseelt war und sich republikanischen Grundsätzen zuneigte, war der Herrschaft eines Königs, besonders eines Ausländers, abgeneigt. Der Kaiser hatte noch eine mächtige Partei und die böhmische Ständeversammlung zu Czaslau bot ihm Bedingungen an; als diese aber verworfen wurden, wendeten sich die Böhmen noch einmal an Polen. Sie schickten eine feierliche Gesandtschaft, in welcher der Adel durch Hinek von Walstein und Halek von Wrzesnow, die Geistlichkeit durch Johann Cardinalis und den Engländer Peter Sayne, einen eifrigen Anhänger Wiciff’s, die Städte durch zwei Mitglieder des Stadtraths zu Prag vertreten waren. Sie boten die Krone unter der Bedingung an, daß das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, der Gottesdienst in der Landessprache, unbeschränkte Freiheit in der Verkündung des Evangeliums, die Einziehung der katholischen Kirchengüter und die Bestätigung aller Freiheiten des Landes bewilligt würden. Als Beweggründe der Annahme

 

 

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der angebotenen Krone wurden angeführt die gemeinsame Sprache und Abstammung, die Wiedervereinigung Schlesiens mit Polen und selbst die Vereinigung Polens, Böhmens und Mährens zu einem Gebiete, welches einen sehr mächtigen Staat bilden, Oestreich vernichten und dem neuen slavischen Reiche ein entschiedenes Uebergewicht über seine Nachbarn geben würde. Diese großen Vortheile konnten Jagello’s Unschlüssigkeit doch nicht besiegen. Die Geistlichkeit, die großen Einfluß im Senat hatte, war den Böhmen entgegen, und der Gedanke, sich an die Spitze von Ketzern zu stellen, erschreckte den alten, sonst keineswegs blind gläubigen König. Die von den Böhmen angebotenen Vortheile waren jedoch zu glänzend, als daß man sie gänzlich hätte verwerfen können, und Wladislaw suchte sie durch ausweichende Antworten hinzuhalten. Die Abgeordneten boten die Krone dem Vetter des Königs, dem Großherzoge Witold von Lithauen am, der aber, wiewohl kühn und ehrgeizig, den angebotenen Thron nicht offen anzunehmen wagte und daher ohne Zweifel mit Wladislaw’s Zustimmung einen Mittelweg einschlug. Er schickte seinen Verwandten, Siegmund Coributt, mit ansehnlichen Streitkräften und einer bedeutenden Geldsumme den Böhmen zu Hilfe. Dies war eine Anerkennung der Rechte der Hussiten, und die böhmische Ständeversammlung, ermuthigt durch den Beistand der polnischen Kriegsvölker, verwarf im Jahre 1421 entschieden die Ansprüche des Kaisers auf ihren Thron. Die Böhmen boten die Herrschaft noch einmal dem Könige Wladislaw oder dem Großherzoge Witold und, wenn beide den Antrag ablehnen sollten, Siegmund Coributt an. Wladislaw blieb aber nicht nur unschlüssig, sondern war auch nahe daran, sich mit dem Kaiser zu vereinigen, der ihn mit dem ausweichenden Versprechen hinhielt, Schlesien an Polen zurückzugeben. Die Unterhandlungen mit dem Kaiser wurden jedoch, bei dem Mangel an Vertrauen von beiden Seiten, bald abgebrochen, und Wladislaw unterstützte seinen Verwandten mit frischen Streitkräften, wodurch die Hussiten eine bedeutende Hilfe erhielten. Coributt, der sich zu ihren Lehren bekannt hatte, kam nach Prag und wurde zum Regenten von Böhmen ausgerufen. Der Papst sendete eine donnernde Botschaft an Witold, verbot ihm, der Ketzerei in Böhmen Beistand zu leisten und entband ihn zugleich von jeder Verpflichtung, die er gegen die Ketzer übernommen haben möchte. Witold gestand in seiner Antwort an den Papst, daß er die angebotene böhmische Krone angenommen und den Böhmen Beistand geleistet habe, äußerte aber die Hoffnung, daß die Ketzerei durch versöhnliche Maßregeln unterdrückt werden könnte und bat, den gegen die Böhmen ausgesprochenen

 

 

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Bannfluch zurückzunehmen. Diese Antwort beweist, daß Witold keineswegs ein blindgläubiger Katholik war, wiewohl er schwerlich eine besondere Hinneigung zu den hussitischen Lehren hatte; Ehrgeiz war seine Religion und nach seinem eigenen Geständnisse verstand er nicht viel von Glaubenssachen. Hätte er freie Hand gehabt, so würde er ohne Zweifel den Böhmen einen Beistand geleistet haben, der ihren Sieg gesichert hätte; aber die Unschlüssigkeit des Königs Wladislaw, ohne dessen Mitwirkung oder Einwilligung er nichts zur Förderung seines Zweckes thun konnte, ließ eine schöne Gelegenheit verloren gehen, die Größe des slavischen Volksstammes durch die Vereinigung Böhmens, Mährens und Schlesiens mit den ausgedehnten Gebieten von Polen und Lithauen zu gründen.

 

Coributt hatte bei der Verwirrung der Parteien, in welche Böhmen getheilt war, mit großen Schwierigkeiten in seiner neuen Würde zu kämpfen; es gelang ihm jedoch sie zu besiegen, und Ziska, der sich ihm früher widersetzt hatte, erkannte ihn als Regenten des Landes an. Die Partei der Prager wünschte ihn zum Könige zu erwählen und die neue Ordnung der Dinge durch seine feierliche Krönung zu bestätigen, aber die Ausführung dieses Planes wurde durch die Feindseligkeit des hohen Adels verhindert, weil sich Coributt hauptsächlich auf diejenige Partei stützte, welche die Folgen der Umwandlung im Staate und im Glauben weiter führen wollte, als der Adel wünschte oder für angemessen hielt.

 

Wäre Wladislaw Jagello ein standhafter Freund der Böhmen gewesen, so würde Coributt alle Schwierigkeiten besiegt haben, die auf den Wege zum Throne lagen, aber die Unschlüssigkeit des Könige störte die Ausführung eines Entwurfes, den eine gesunde Politik empfahl. Die böhmischen Gesandten, welche die Bestätigung der Wahl Coributt’s erbaten, erhielten eine ungünstige Aufnahme von Wladislaw, der ihnen die Unruhen und die Gesetzlosigkeit, die Böhmen zerrütteten, zum Vorwurfe machte. Die bei einer Staatsumwälzung und besonders in einem Glaubenskriege unvermeidlichen Unordnungen mögen bei dem Könige die Besorgniß, daß sie sich über sein Land verbreiten könnten, erweckt und ihn geneigt gemacht haben, den Eingebungen Roms ein geneigtes Ohr zu leihen. Er horchte auf die täuschenden Versprechungen des Kaisers und ließ an Coributt den Befehl ergehen, die Böhmen zu verlassen, die von den vereinten Streitkräften Polens und des Kaisers angefallen werden sollten. Dieser heilige Krieg aber, wozu die Geistlichkeit reiche Gaben beisteuerte, wurde nicht einmal begonnen, wiewohl das schwankende und unkluge Benehmen Wladislaw’s für den polnischen

 

 

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Einfluß in Böhmen sehr nachtheilig war. Der Parteigeist war aufgeregt, und Coributt, der sich nicht zu erhalten vermochte, mußte sich zurückziehen. Er nahm später noch einmal die Regentenwürde an und berief im Jahre 1424 einen Reichstag nach Czaslau, um eine Versöhnung zwischen den Taboriten und den Pragern oder Calixtinern, den beiden Hauptparteien, zu stiften. Seine Bemühungen hatten einen augenblicklichen Erfolg und meist durch den Einfluß der Prager, die eine gemäßigte Umwandlung begünstigten und viel von Roms Hierarchie und Glaubenlehren beibehielten, ward er zum König erwählt. Als er dem Papste Vorschläge zu einer Versöhnung mit der Kirche machte, wurden die Taboriten argwöhnisch, und besorgt vor einer Wiederherstellung der römischen Herrschaft, griffen sie zu den Waffen. Es entzündete sich ein Bürgerkrieg. Ziska, der früher im polnischen Heere Kriegserfahrung erworben hatte, das Haupt der Taboriten, erfocht einen blutigen Sieg über die Prager und die Unterhandlungen mit Rom wurden abgebrochen. Nach Ziska’s Tode erlangte Coributt neuen Einfluß und befehligte die Prager und die polnischen Hilfssvölker in der Schlacht bei Aussig, wo die politische und religiöse Freiheit der Böhmen durch den glänzendsten Sieg über die eingedrungenen Deutschen gegen drohende Gefahr geschützt wurde *). Böhmen ward aber fortdauend von Parteiungen zerrissen, und Coributt, von Wladislaw Jagello nicht unterstützt, legte im Jahre 1427 seine Würde nieder und verließ das Land. Er kam 1430 noch einmal nach Böhmen, wo er sich mit der Partei der Waisen verband, aber nach einigen kühnen Kriegszügen gegen Schlesien und die Lausitz kehrte er endlich nach Polen zurück. Trotz der unweisen Politik, die Wladislaw gegen die Böhmen beobachtet hatte, richteten diese stets ihre Blicke auf Polen, da sie von einem verwandten Volke, das ihrer Sache seine Theilnahme weihte, denn wirksamsten Beistand erwarteten. Im Jahre 1427 stritten einige Abgeordnete der Taboriten öffentlich in Krakau über Glaubenssachen; die wichtigste Verhandlung zwischen Polen und Böhmen aber war eine öffentliche Streitrede, die im Jahre 1431 zwischen den hussitischen Abgeordneten aus Böhmen und den katholischen Lehrern an der Universität zu Krakau gehalten wurde. Der Streit ward in Gegenwart des

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*) Im J. 1426. Außer den polnischen Kriegsvölkern, die mit Coributt kamen, gingen viele Polen, aus Theilnahme für ein stammverwandtes Volk und aus Anhänglichkeit an die hussitischen Lehren, häufig nach Böhmen, um unter Ziska’s Fahnen zu fechten. Ueber Coributt’s Antheil an der Schlacht bei Aussig; Hagek’s von Liboczan böhmische Chronik, deutsch. Leipzig, 1718. S. 728.

 

 

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Königs und des Senats geführt und es ist zu bemerken, daß die Böhmen nicht nur von den gemäßigten Calixtinern, sondern auch von allen andern Zweigen der Hussiten vertreten wurden. Die Geschichtschreiber haben uns nur dürftige Nachrichten von dieser polemischen Versammlung hinterlassen. Dlugosz sagt nur, daß die Verhandlungen, die mehre Tage dauerten, fast immer in polnischer Sprache geführt wurden, und daß, obgleich nach der Meinung aller anwesenden Geistlichen und Laien die Ketzer besiegt worden seien, diese doch nie ihre Niederlage eingestanden hätten. Schon die Thatsache aber, daß ketzerische Glaubenslehren öffentlich besprochen werden durften, beweist hinlänglich, wie zu jener Zeit in Polen die Volksmeinung über Glaubensangelegenheiten gestimmt war. Eine böhmische Gesandtschaft, die im Jahre 1432 nach Polen kam, um ein Bündniß gegen die deutschen Ordensritter vorzuschlagen, wurde sehr ehrenvoll von dem Könige empfangen, und die polnische Geistlichkeit nahm die Böhmen in ihre Kirchen auf, ungeachtet sie von dem Papste in den Bann gethan waren. Diese versöhnende Maßregel wurde vom Erzbischofe von Gnesen und einigen Bischöfen angenommen, heftig aber widersetzte sich der Bischof von Krakau, der Cardinal Zbigniew, und als es ihm gelungen war, den Pöbel in Krakau zum Aufstande zu reizen, verschloß er die Stadt den Ketzern und vereitelte durch Drohungen und Ränke die Absichten derjenigen, die eine Verbindung zwischen Polen und Böhmen zu stiften wünschten.

 

Die vielfachen Verbindungen zwischen beiden Ländern mußten zur Ausbreitung der hussitischen Lehren in Polen beitragen, und die Wirkungen derselben zeigten sich während der Minderjährigkeit Wladislaw’s von Varna, der diesen Beinamen von seinem heldenmüthigen Tode in der Schlacht gegen die Türken im Jahre 1444 erhielt. Mehre angesehene Familien hatten sich öffentlich zu jenen Lehren bekannt. Nach dem Rechte des polnischen Adels, Einigungen oder sogenannte Conföderationen selbst zur bewaffneten Beschützung der bedrohten Landesfreiheiten zu stiften, schlossen einige Edelleute im Jahre 1435 eine solche Verbindung zu religiösen und politischen Zwecken. Sie verweigerten die Entrichtung der Zehnten und foderten die Beschränkung der königlichen Gewalt und die Abstellung mehrer Mißbräuche. Im Jahre 1439 zeigten die Verbündeten kühnere Absichten, verkündeten die Abschaffung der Zehnten, der Kirchenstrafen und des Bannfluches, drangen auf eine Veränderung in der römischen Hierarchie und verlangten, daß die unermeßlichen Besitzungen der Geistlichkeit zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden sollten. Außer diesen religiösen

 

 

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Angelegenheiten beschäftigten sie sich mit politischen Planen der kühnsten Art. Sie wollten Wladislaw von dem Throne seiner Väter ausschließen, und einige gingen so weit, die Abschaffung der königlichen Würde zu wünschen. Der Hauptführer dieser Partei, Spytek Melsztynski, der auf seinen Gütern den hussitischen Gottesdienst eingeführt hatte, wurde von dem Bischofe Zbigniew in den Bann gethan und aus dem Senate gestoßen. Er sammelte einen Heerhaufen, verwüstete das Gebiet des Bischofs und bemächtigte sich der Stadt Zator, woher die Hauptstadt ihre Lebensbedürfnisse zog. Der Regentschaftsrath, der das Reich während der Minderjährigkeit des Königs regierte, wagte es nicht, Widerstand gegen Melsztynski zu versuchen, der eine große Partei im Lande hatte, sondern ließ sich in Unterhandlungen mit ihm ein. Der ketzerische Edelmann entließ seine Kriegsvölker und erhielt ein reiches Lösegeld für die Stadt Zator. Die Ketzerei, die bei dieser Gelegenheit den Sieg errungen hatte, zeigte sich bald wieder in einer gefährlicheren Bewegung, welche durch die verwitwete Königin Sophia erregt wurde, die heimlich den böhmischen Lehren anhing und feindselig gegen den Regentschaftsrath gesinnt war, der ihren Einfluß zu hemmen suchte. Melsztynski sammelte ein ansehnlicheres Heer als früher, schlug die Kriegsvölker der Regentschaft und bezog ein Lager in einer festen Stellung unweit der Hauptstadt. Wäre es ihm gelungen, Krakau zu nehmen und sich der Zügel der Regierung zu bemächtigen, so hätte die Herrschaft des Katholicismus in Polen wahrscheinlich ein Ende genommen. Er verlor das Leben in einem Gefechte, seine Partei wurde zerstreut und der Leichnam ihres Anführers, als eines erklärten Ketzers, blieb unbegraben auf dem Kampfplatze liegen.

 

Die Verhältnisse zwischen Böhmen und Polen wurden nach kurzer Unterbrechung im Jahre 1438 wieder angeknüpft. Barbara, die Witwe des Kaisers Siegmund III., die wegen ihrer Glaubensmeinungen verfolgt wurde, suchte Zuflucht in Polen. Der junge König Wladislaw nahm sie freundlich auf und wies ihr ansehnliche Güter zu ihrem Unterhalte an. Barbara, die großen Einfluß in Böhmen hatte, brachte es dahin, daß Kasimir Jagello, der Bruder des Königs von Polen, auf den böhmischen Thron berufen ward und der polnische Reichstag genehmigte die Wahl, trotz des Widerstandes der Katholiken. Kasimir stellte sich an die Spitze eines polnischen Heeres, um von dem Throne Besitz zu nehmen, und wurde alsbald in Schlesien anerkannt. Die katholische Partei in Böhmen erwählte den Erzherzog Albert von Oestreich. Kasimir besetzte Mähren und die polnischen Kriegvölker, mit den Hussiten vereinigt, nahmen die böhmischen Städte Kuttenberg

 

 

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und Sobieslaw. Die Verrätherei des Grafen von Cilly, besonders aber die unablässigen Streitigkeiten zwischen den Taboriten und Calixtinern hemmten Kasimir’s Fortschritte, bis endlich die Bemühungen der Kirchenversammlung zu Basel einen Waffenstillstand herbeiführten. Es wurde eine Zusammenkunft in Breslau gehalten, um Frieden zwischen den streitenden Parteien zu stiften. Die polnischen Abgeordneten machten den Vorschlag, daß Kasimir und Albert beide ihren Ansprüchen auf die böhmische Krone entsagen und einer Ständeversammlung die freie Entscheidung über die Verdienste beider Bewerber überlassen sollten. Dieser billige Vorschlag wurde von Albert verworfen, welcher fürchtete, daß die polnische Partei, von den Hussiten unterstützt, über seine Anhänger siegen werde, die sich gänzlich auf die zu jener Zeit nicht zahlreichen Katholiken stützten. Die Unterhandlungen wurden abgebrochen und spätere Zusammenkünfte hatten keinen günstigeren Erfolg; doch gelang es der Kirchenversammlung zu Basel, die Einstellung der Feindseligleiten zu bewirken. Veränderte Umstände hinderten den polnischen Prinzen, seine Rechte auf die böhmische Krone zu verfolgen. Sein Bruder Wladislaw wurde zum Könige von Ungarn erwählt, der seine Aufmerksamkeit gänzlich den Angelegenheiten der Türkei zuwendete, Kasimir’s Anhänger in Böhmen verminderten sich durch die Zunahme der Partei, welche, wie jedem fremden Einflusse, auch dem polnischen abgeneigt war. Als Kasimir nach seines Bruders Tode den polnischen Thron bestiegen hatte, wurden unter seiner Regierung die Verhältnisse mit Böhmen durch Georg Podiebrad wieder angeknüpft, der unter dem Einflusse der gemäßigten Hussiten im Jahre 1458 zum Könige war erwählt worden. Podiebrad fühlte, daß er Rom und Deutschland nicht widerstehen konnte und suchte Polens Beistand. Er machte den Antrag, Schlesien an Polen zurückzugeben, ein Bündniß gegen die deutschen Ritter zu schließen und die Thronfolge in Böhmen einem Prinzen des polnischen Königshauses zu sichern. Die im Jahre 1460 zu Bytom gehaltene Zusammenkunft konnte nicht zur Erledigung dieser wichtigen Unterhandlung führen, da zwischen den böhmischen und polnischen Abgeordneten Mißhelligkeiten über die Thronfolge des polnischen Prinzen entstanden; es wurde jedoch ein Bündniß zwischen beiden Ländern gegen ihre gemeinschaftlichen Feinde geschlossen, worunter man Oestreich und die deutschen Ritter verstand. Eine Zusammenkunft zwischen den Königen von Polen und Böhmen im Jahre 1462 bestätigte den Vertrag von Bytom. Kasimir wurde durch feierliche Anerkennung Podiebrad’s und durch die mit ihm geschlossene Vereinigung der Verbündete der ketzerischen Partei, die Podiebrad vertrat, durch

 

 

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dessen Einfluß der böhmische Thron einem polnischen Prinzen gewährleistet wurde. Die katholische Partei, welche die Gefahr eines Bundes zwischen den Hussiten und dem Könige von Polen fürchtete, berief eine Ständeversammlung nach Iglau unter dem Einflusse des päpstlichen Legaten, und es wurde beschlossen, Kasimir die böhmische Krone als erbliches Besitzthum anzubieten und einige Provinzen an Polen abzutreten, wenn Kasimir den im Jahre 1462 geschlossenen Vertrag auflösen und seine gesammten Streitkräfte zur Unterdrückung der Hussiten verwenden wollte. Kasimir aber blieb seiner Verbindung mit den Hussiten treu und verwarf jene glänzenden Anträge, die eine feierliche Gesandtschaft ihm vorlegte. Nach Kasimir’s Weigerung boten die böhmischen Katholiken den Thron ihres Landes dem Könige von Ungarn, Matthias Corvinus, an, Kasimir aber erklärte, daß er nie die Verletzung der von ihm durch Verträge erworbenen Rechte gestatten werde und blieb bei seinem Bündnisse mit dem ketzerischen und von dem Bannfluche getroffenen Podiebrad. Der Papst wollte einen Kreuzzug gegen die Hussiten im Polen predigen lassen, Kasimir aber trat mit einem Verbote entgegen und wollte nichts gegen seinen Verbündeten geschehen lassen. Die edelmüthige Politik des Königs von Polen erhielt ihren verdienten Lohn. Die böhmischen Stände ernannten Kasimir’s Sohn, Wladislaw, zum Nachfolger Podiebrad’s, der wohl einsah, daß es ihm unmöglich war, die Krone seinem Stamme zu erhalten. Es wurde nur festgesetzt, daß der polnische Prinz die Tochter Podiebrad’s heirathen und seine Söhne nach dem Tode ihres Vaters ansehnliche Güter erhalten sollten. Die polnische Geistlichkeit widersetzte sich in dem Senate lebhaft der Bestätigung jenes wichtigen Vergleiches; sie eiferte gegen eine Gemeinschaft mit Ketzern, gegen ein Bündniß mit hartnäckigen Feinden der katholischen Kirche und verlangte, daß der König Böhmen erobern und die widerspenstigen Sectirer mit Gewalt bezwingen sollte. Der Widerstand der Geistlichkeit war jedoch fruchtlos und der Senat genehmigte die Wahl des polnischen Prinzen. Kasimir versprach, von dem Papste die Bestätigung der den Hussiten von der Kirchenversammlung zu Basel gegebenen Zugeständnisse zu erhalten, die in dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt, dem Gottesdienste in der Landessprache, der Priesterehe und der Verweltlichung des Kircheneigenthums bestanden. Nach Podiebrad’s Tode (1470) bestätigten die böhmischen Stände Wladislaw’s Wahl, aber ungeachtet der feierlichen Anerkennung der Rechte des polnischen Prinzen, traten mehre Bewerber gegen ihn auf. Matthias Corvinus, Herzog Albert von Meißen, Kaiser Friedrich und Heinrich, der Sohn Podiebrad’s, warben um den Thron.

Krasinski.

 

 

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Die Ansprüche des polnischen Prinzen waren jedoch am besten begründet, seine Rechte von dem Volke und dem verstorbenen König anerkannt; Böhmen war mit Polen durch gemeinschaftlichen Ursprung und Aehnlichkeit der Sprache verbunden, die politische und religiöse Freiheit des Landes war durch Polens Beistand gesichert worden, und alle Rücksichten einer gesunden Politik mußten die Böhmen auffodern, eine Verbindung zu befördern, welche den Slaven die beste Sicherheit gegen die steten Angriffversuche Deutschlands gewähren konnte. Diese wichtigen Gründe wurden von den böhmischen Ständen gewürdigt, welche, von‚ bedeutenden Streitkräften umringt und frei von jedem fremden Einflusse, im Mai 1471 den Prinzen Wladislaw von Polen zum König ihres Landes ausriefen. Dieses denkwürdige Ereigniß gründete auf eine lange Zeit die religiöse und politische Freiheit Böhmens, und die Regierung Wladislaw’s und seines Sohnes Ludwig (1471 — 1525) kann als die blühendste Zeit in der Geschichte des Landes, die Zeit einer großen geistigen Entwickelung betrachtet werden, welche das goldene Zeitalter der National-Literarur vorbereitete.

 

Die von uns dargestellten Verhältnisse zwischen Böhmen und Polen während des funfzehnten Jahrhunderts zeigen, daß Polen auf das Verdienst Anspruch hat, die von Huß bewirkte Reformation, die Luthers Werke den Weg bahnte, befördert zu haben. Es ist in der That merkwürdig, daß die hussitischen Lehren, die im funfzehnten Jahrhundert in Polen weit verbreitet waren, nicht einen vollständigen Sieg erlangt haben und Landesglaube geworden sind. Man kann dies zum Theil dem Umstande zuschreiben, daß die Ursache, welche den Erfolg der hussitischen Reformation in Böhmen beförderte, in Polen nicht vorhanden war, nämlich, der Kampf zwischen den slavischen und deutschen Elementen, welcher die hussitischen Lehren zu einem Vereinigungspuncte der Nationalpartei gegen den fremden Einfluß machte und einer religiösen Meinung die mächtige Unterstützung eines politischen Gefühles gab. Dieses Element fehlte gänzlich in Polen, welches als unabhängiger Staat keine Gelegenheit hatte, für die Erhaltung einer durch fremden Einfluß gefährdeten Nationalität zu kämpfen, wie es in Böhmen der Fall war. Die Zwistigkeiten zwischen den Hussiten, welche für die Sache der Reformation in Böhmen so nachtheilig gewesen waren, hatten allerdings auch ihre Fortschritte in Polen verderblich gehemmt. Was aber auch die Ursache jenes Mißlingens gewesen sein mag, es kann nicht genug bedauert werden, da der Sieg der hussitischen Lehren in Polen unstreitig die Einführung einer schriftmäßigen Religion unter den meisten, vielleicht unter allen Zweigen des slavischen Volksstammes

 

 

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herbeigeführt und vielleicht den gänzlichen Sturz des Romanismus in Europa veranlaßt haben würde. Obgleich indeß der Katholicismus die herrschende Kirche in Polen blieb und sich auch in seiner äußeren Gestalt nicht veränderte, so wurde doch sein Geist sehr umgewandelt. Der Romanismus verlor im funfzehnten Jahrhunderte schnell seine Herrschaft über die Gemüther in Polen, die für die Aufnahme der verbesserten Glaubenslehren vorbereitet waren, was die schnelle Verbreitung derselben in dem folgenden Jahrhundert erklärt.

 

Die im Jahre 1400 gegründete Universität zu Krakau trug viel zu dem geistigen Fortschritte Polens im funfzehnten Jahrhunderte bei, welches zugleich die Zeit der Entwickelung seiner Verfassung war. Wir haben bereits erwähnt, daß das polnische Habeas-Corpus-Gesetz in der Mitte jenes Jahrhunderts förmlich angenommen wurde. Die Gewalt des Königs wurde durch die Bildung eines Staatsraths von vier Senatoren beschränkt, die stets bei ihm wohnten, ohne deren Zustimmung die königlichen Verfügungen keine rechtliche Gültigkeit hatten, und die als verantwortliche Minister der Krone betrachtet werden konnten. Die Volksvertretung erhielt eine bestimmtere Form durch die Theilung der gesetzgebenden Gewalt in den Senat und die Kammer der Landboten, was im Jahre 1453 von der Ständeversammlung zu Piotrkow verfügt wurde. Die Ständeversammlung von 1459 ist merkwürdig wegen der großen constitutionellen Fragen, die zur Sprache kamen; ist aber besonders beachtenswerth wegen der Meinungen über verschiedene politische Verbesserungen, die Johann Ostrorog in Antrag brachte und die er später in sein Werk: „Pro Reipublicae ordinatione“ aufnahm. Ostrorog war nicht nur durch seine große Gelehrsamkeit, sondern auch durch seinen Rang in seinem Vaterlande ausgezeichnet. Sein Vater war Regent des Landes während der Abwesenheit des Königs Wladislaw auf seinem unglücklichen Feldzuge gegen die Türken. Er selbst war Palatin von Posen und hatte die Würde eines Doctors der Rechte auf der Universität zu Padua erhalten, wohin die polnischen Edlen zur Vollendung ihrer Studien zu gehen pflegten. Seine Meinungen können daher nicht als die Ansichten eines Schwärmers betrachtet werden, der von Gedanken durchdrungen gewesen wäre, die sein Volk nicht kannte, das er für seine Ueberzeugungen zu gewinnen suchte, sondern man muß sie vielmehr für den Ausdruck der Meinungen halten, die zu jener Zeit von dem denkenden Theile des Volkes gehegt wurden. Der ruhige und würdige Ton, in welchem Ostrorog’s Werk geschrieben ist, begründet gleichfalls die Voraussetzung, daß es die Meinungen einer gemäßigten Partei aussprach, welche Verbesserungen

 

 

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wünschte, die von dem Zeitbedürfnisse gefodert wurden, nicht aber die Ansichten einiger überspannten Beförderer heftiger Maßregeln.

 

Wir sehen von den bloß politischen Maßregeln ab und begnügen uns einige, die Kirchenangelegenheiten betreffende Stellen mitzutheilen: 1) „Es ist nichts dagegen einzuwenden, dieses Königreich dem Papste als ein katholisches Land zu empfehlen, es ziemt sich aber nicht, ihm einen unbeschränkten Gehorsam zu verheißen. Der König von Polen ist niemand unterworfen und nur Gott steht über ihm.“ 2) „Es ziemt sich nicht, demüthige und unterwürfige Briefe an den Papst zu richten. Der König ist nicht Roms Unterthan; Demuth ist an sich schlecht, aber wenn sie übertrieben und gegen jemand gezeigt wird, der nur in geistlichen Dingen Gewalt hat, so wird sie strafbar. Christus hat die zeitlichen Angelegenheiten nicht dem apostolischen Stuhle unterworfen und hat selbst gesagt, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei. Auch die Geistlichkeit sollte die öffentlichen Lasten tragen, wie alle anderen Bürger.” 3) „Wenn die Bischöfe und alle Geistliche wären, wofür sie gehalten sein wollen, wirklich geistlich, so würde ich dagegen sein, daß die bürgerliche Behörde die Wahl zu dem Kirchenämtern leite; der König würde dann nur die weltlichen Würden austheilen und die Geistlichkeit nur über das Heil der Seelen wachen; ihre kirchlichen Pflichten und ihre weltlichen Angelegenheiten würden gänzlich von einander getrennt sein. Es gibt jedoch niemand, der die der Geistlichkeit aufgelegten Pflichten untersuchen und deutlich bestimmen könnte. Die Gewohnheit ist vorherrschend geworden, und um größere Uebel zu vermeiden, ward es nothwendig, die Wahlen dem Könige zu überlassen, der gelehrte und sanftmüthige Männer erwählen und dadurch den gegenseitigen Haß zwischen Laien und Geistlichen verhüten wird.” 4) „Es ist zu beklagen, daß italienische Verderbtheit das Königreich Polen durch vielfache Erpressungen in Armuth versetzt. Rom zieht jährlich große Summen unter dem Vorwande von Frömmigkeit und Religion, in der That aber durch abergläubige Mittel. Ein Bischof erhält nie die Weihe, ohne dem Papst einige tausend Ducaten zu bezahlen, obgleich die Kirchengesetze die Weihe der Bischöfe den Erzbischöfen zusprechen. Unsere Sanftmuth und Nachlässigkeit haben der Verderbtheit und den Mißbräuchen Italiens die Kraft des Gesetzes gegeben. Die Annaten wurden ursprünglich zur Bestreitung der Kriegskosten gegen die Türken erlangt; der Krieg hat aufgehört und die Annaten sind geblieben. Es ist daher nicht recht, diese Besteurung mißverstandner Frömmigkeit fortdauern zu lassen. Der Papst muß nicht unter dem Vorwande der Religion Tyrannei ausüben. Der römische Bischof hat einen

 

 

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sehr ungerechten Beweggrund zur Auflegung von Steuern erfunden, den Krieg gegen die Ungläubigen. Polen wenigstens sollte davon befreit sein, da es einen steten Kampf gegen die Moskowiten, Türken und Tataren führt. An die Gränzen der Christenheit gestellt, vertheidigt Polen stets die christlichen Länder. Ich glaube daher, daß der Staatsschatz die Annaten an sich nehmen sollte, die dem Papste gegeben werden *).“ 5) „Die Geistlichkeit sucht sich immer zurückzuziehen, wenn sie aufgefodert wird, zu den Bedürfnissen des Gemeinwesens beizutragen. Sie heuchelt Besorgnisse, wo keine sein sollten. Wahrscheinlich hat sie vergessen, daß all ihr Ueberfluß das Eigenthum der Armen werden muß. Wenn sie daher einen schlechten Gebrauch von ihren Gütern macht, so begeht sie Räuberei. Es könnte kein reineres Almosen geben, als wenn die Kirche die Güter, die den Armen gegeben sind, dem ausschließenden Gebrauche derselben widmete.” 6) „Der König wird beschuldigt, daß er von den Gütern der Aebte und anderer Geistlichen Leistungen verlange, aber unsre Väter haben die Klöster nicht ohne Zwecke mit reichen Gaben ausgestattet. Sie wollten, daß alles, was von dem Unterhalte der Mönche übrig bliebe, die mäßig leben müssen, für die Bedüfsnisse des Landes bestimmt sein sollte. Der König wird gleichfalls getadelt, daß er das Kirchensilber in die Münze geschickt habe. Die Leute haben gewiß nicht den heiligen Bernhard gelesen, der da sagt: „Die Kirche hat Gold, nicht daß sie es besitze, sondern Bedürftigen gebe.” Der König nahm das Kirchensilber, weil die Noth ihn drängte, aber Rom häuft große Reichthümer durch seine Richtergewalt auf. Ein Rechtstreit dauert zuweilen dreißig Jahre und die Parteien sterben, ehe er zu Ende ist. Rom nimmt kein Schaf ohne Wolle, und das Land erleidet große Verluste. Freilich erhält es dafür, ich weiß nicht welche Bullen — wahrlich ein schöner Tausch! Es gibt jedoch Leute unter uns, die das römische Geschreibsel achten, das mit rothen Siegeln und Hanfschnuren versehen ist und an den Kirchthüren aufgehängt wird. Wir müssen uns nicht dem italienischen Trug unterwerfen, haben wir doch in unserem Lande Erzbischöfe und selbst einen Primas, und warum sollen wir nicht selbst in unseren eigenen Sachen richten?” 7) „Ist es nicht Trug, daß der Papst, trotz des Königs und des Senates, uns mit, ich weiß nicht was für Bullen, genannt Ablässen, heimsucht? Er verschafft sich Geld, indem er den Leuten versichert, daß er sie von ihren Sünden losspreche; aber Gott hat durch

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*) Die Bezahlung der Annaten an den Papst wurde später durch die Ständeversammlungen von 1544, 1567, 1607 und 1667 verboten.

 

 

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seinen Propheten gesagt: „Mein Sohn, gib mir dein Herz und nicht Geld.” Der Papst gibt vor, daß er seine Schätze zur Erbauung von Kirchen verwende, aber in der That gebraucht er sie zur Bereicherung seiner Verwandten. Ich will noch schlimmere Dinge mit Stillschweigen übergehen. Manche Mönche preisen solche Fabeln. Es gibt viele Prediger, welche nur daran denken, die reichste Ernte zu erlangen und wenn sie das arme Volk geplündert haben, sich der Ueppigkeit ergeben.” 8) „Nächst Rom ist unser Land der größte Pfuhl von Simonie und Trug. Die Geistlichkeit verkauft Begräbnisse, letzte Oehlungen, Beichten, Taufen und Trauungen, die unentgeltlich sein sollten. Die Bisthümer wurden errichtet und begabt, daß sie die Diener der Kirche bezahlen sollten. Die Zehnten wurden in früheren Zeiten von den Reichen, und nicht von den Armen gegeben, jetzt aber geben die Armen den Reichen Zehnten. Ist dies die Anwendung der Vorschrift: Ich verlange Barmherzigkeit und nicht Opfer?” 9) „Es ist sehr schlimm, daß Klöster mit trägen und unfähigen Leuten angefüllt sind. Der heilige Paulus empfiehlt, bei der Verleihung der Weihe vorsichtig zu sein, und welches Aergerniß, welche Mißbräuche sind nicht durch solche Leute entstanden? Hat jemand seinen Kopf geschoren und eine Kutte angelegt, so hält er sich für geschickt, die ganze Welt zu verbessern. Er schreit und bellt auf der Kanzel, weil er keinen Gegner sieht. Gelehrte Leute und selbst diejenigen, die nur geringere Kenntnisse besitzen, können nicht ohne Entsetzen den Unsinn, ja die Gotteslästerung hören, die solche Prediger zu Tage bringen.” 10) „Leute, die am wenigsten dazu taugen, treten gewöhnlich in den geistlichen Stand, weil Trägheit eine angenehme Sache, eine glückliche Ruhe ist. Sie sind wahrscheinlich durch den heiligen Paulus dazu verleitet worden, der sagt: „Wenn jemand das Amt eines Bischofs verlangt, so verlangt er ein gutes Werk.” Aber sie haben nicht bedacht, daß es ein schlechtes Ding ist, ein Bisthum wegen seiner Vortheile zu verlangen.” 11) „Die Zahl der Arbeiter und Handwerker nimmt immer ab, und die Ursache dieser Verminderung ist, daß jedermann gern die Kutte trägt, um ein träges und unnützes Leben zu führen. Die Obrigkeit muß dafür sorgen, daß Trägheit und Landstreicherei sich nicht verbreiten, und es sollte daher befohlen werden, daß die Städte nicht so viele Mönche und deutsche Bettler zulassen; die Bettelei sollte unterdrückt werden. Die Klöster müssen die Armen nähren und kleiden. Der Papst nimmt gewöhnlich die Güter der Bischöfe, die ohne letzten Willen sterben. Ist aber nicht für den Papst schon hinlänglich gesorgt? Es ist weit angemessener, sie dem Staatsschatze zuzueignen.”

 

 

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Diese Ansichten von der katholischen Kirche, die ein Senator des Reichs vor dem König und den versammelten Ständen entwickelte, enthielten einen so bitteren Tadel gegen jene Kirche, als ein Hussit nur hätte aussprechen können. Es ist daher nicht zu verwundern, daß die von Ostrorog vorgeschlagenen Verbesserungen von katholischen Schriftstellern Samen des Ungehorsams und der Raubsucht genannt wurden, weil die Annahme derselben zu einer vollständigen Trennung von Rom geführt haben würde. Ostrorog griff zwar die Glaubenslehren der römischen Kirche nicht an, seine Verspottung des Ablasses aber untergrub ihre Grundlagen. Das Abendmahl unter beiderlei Gestalt — der große Zweck der böhmischen Reformatoren, wurde von Ostrorog nicht berührt, aber seine kühne Anklage römischer Verderbnisse und Mißbräuche und sein entschiedenes Verlangen wirksamer Abhilfe zeigen einen Geist des Widerstandes, der nicht weniger kühn war, als der Widerstand der böhmischen Verbesserer der Glaubenslehren.

 

Ehe wir die Uebersicht der Vorgeschichte der Reformation schließen, müssen wir einen Blick auf die morgenländische Kirche in Polen werfen, die sich über einen großen Theil des Landes verbreitete, und ein dem römischen Stuhle feindseliges Element bildete. Die Slaven, welche das Land vom Ladoga-See bis Kiew und von Kiew bis zum Dnjestr und den Karpathen bewohnten, wurden durch den Einfluß von Konstantinopel zum Christenthume bekehrt und traten in Verbindung mit der morgenländischen Kirche. Sie trennten sich vor der Ankunft der Wäringer oder Normannen in mehre Stämme, die verschiedene Namen führten; seit aber die Wäringer unter Rurik in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts sich angesiedelt hatten, erhielten sie den allgemeinen Namen Russen. Die Nachfolger Wladimir’s des Großen, der sein Reich theilte, gründeten verschiedene unabhängige Fürstenthümer, die sich von der Wolga bis zu den Karpathen ausdehnten, aber obgleich sie unter dem allgemeinen Namen der russischen begriffen und von Rurik’s Abkömmlingen beherrscht wurden, so waren sie doch nicht nur politisch, sondern auch hinsichtlich der Abstammung ihrer Bewohner getrennt. Die nordöstlichen Fürstenthümer, wie Wladimir, Rezan, Twer, waren von einem Slavenstamme bewohnt, der sich durch Sitten und Sprache von den Slaven in den südwestlichen Gebieten unterschied. Außer den Slaven hatte die Bevölkerung jener Fürstenthümer eine starke Beimischung von Finnen, die von den Slaven gänzlich verschieden waren. Die südwestlichen Fürstenthümer, wie Kiew, Lutzk, Halicz, waren von Slaven bewohnt, die nach dem russischen Geschichtschreiber Nestor den Lechen oder Polen an der Weichsel gleich waren. Als die Mongolen

 

 

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um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ihre Herrschaft über die nordöstlichen Fürstenthümer ausgedehnt hatten, wurden diese gänzlich von den südwestlichen getrennt, welche, obgleich von den asiatischen Eroberern verheert, doch dem Joche derselben entgingen. Unter diesen Fürstenthümern war das bedeutendste Halicz *), das ein fruchtbares Gebiet zwischen Polen, Ungarn und Lithauen umfaßte. Die geographische Lage dieses Fürstenthums veranlaßte in Kriegszeiten wie im Frieden eine beständige Verbindung mit Polen und Ungarn und trennte dieses Gebiet so ganz von den nordöstlichen russischen Ländern, daß man seit der Gründung der mongolischen Herrschaft keine Spur eines Staatenverkehrs zwischen ihnen findet. Das Fürstenthum Halicz ward im Jahre 1340 mit Polen vereint, und zwar nicht bloß durch Eroberung, sondern auch durch des Erbfolgerecht, das Kasimir der Große nach dem Erlöschen des herrschenden Geschlechtes in Anspruch nahm. Er sicherte seinem Lande diese wichtige Erwerbung, indem er die alten Rechte der Einwohner bestätigte und ihnen alle Freiheiten verlieh, die Polen bereits zu jener Zeit besaß. Die andern Fürstenthümer des südwestlichen Rußlands, die seit dem Einfalle der Mongolen in einem sehr unruhigen Zustande blieben, wurden um das Jahr 1320 von dem Großherzoge von Lithauen erobert. Diese Gebiete, die den wichtigsten Theil Lithauens bildeten, wurden mit Polen vereinigt, als der Jagellonische Stamm den polnischen Thron bestieg. So erhielt Polen im vierzehnten Jahrhunderte, fast ohne Schwertstreich mehre Millionen Untertanen, die zur griechischen Kirche gehörten.

 

Die dem Fürstenthume Halicz verliehenen Vorrechte wurden im Jahre 1413 von der Ständeversammlung aufgehoben, da der Einfluß der Geistlichkeit den König zu einem Gesetze bewog, welches alle, die sich nicht zur katholischen Kirche bekannten, von Staatsämtern ausschloß. Diese Verfügung, die nicht in Wirksamkeit getreten zu sein scheint, nahm Wladislaw von Varna zurück, der im Jahre 1443 den Anhängern der griechischen Kirche gleiche Rechte mit den Katholiken gab.

 

Der erste Metropolit von Kiew ward um das Jahr 990 von dem Patriarchen von Konstantinopel eingesetzt, und seitdem wurden alle Metropoliten jener Stadt, unter welchen sämmtliche russische Kirchen standen, in Konstantinopel geweiht, und meist unter den Griechen gewählt. Als nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Abendländer (1204) der Sitz des Kaisers und des Patriarchen nach Nicäa verlegt ward, erhielten die russischen Metropoliten die Weihe in dieser Stadt, bis nach der Vertreibung der Abendländer durch Michael Paläolog (1264)

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*) Gallitsch oder Gallizien.

 

 

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die alte Ordnung der Dinge zurückkehrte. Nachdem die Mongolen im Jahre 1240 Kiew zerstört hatten, wohnten die Metropoliten meist in Wladimir im nordwestlichen Rußland, wo der Sitz des den Nachkommen Dschingisthan’s unterworfenen Großfürsten von Rußland war. Als Kiew und andere russische Fürstenthümer zu Lithauen gekommen waren, suchten die Metropoliten von Wladimir, das später durch Moskaus steigende Macht verschlungen wurde, durch alle möglichen Mittel ihre Obergewalt über jene Gebiete zu befestigen und nahmen zuweilen ihren Wohnsitz in dem Lande. Trotz dieser Bemühungen erfolgte im Jahre 1415 eine völlige Trennung der griechischen Kirchen in Moskau und Lithauen. Die Lithauischen Bischöfe erwählten Gregor Zamblak zum Metropoliten von Kiew, dessen Nachfolger, unabhängig von Moskau, die geistliche Obergewalt des Patriarchen von Konstantinopel anerkannten, so lange sie unter polnischer Herrschaft standen. Kiew ward im Jahre 1484 auf Anstiften Moskaus von dem Khan der Krim geplündert, welcher dem Beherrscher von Moskau einen Theil des erbeuteten Kirchensilbers zum Geschenke machte.

 

Die Päpste machten viele Versuche, die russischen Abtrünnigen, wie die Anhänger der griechischen Kirche in Rom genannt werden, zu bekehren. Wie es scheint, bestand ein Verkehr zwischen Rom und dem Großfürsten Wladimir, der im Jahre 988 das Christenthum in Rußland einführte. Papst Benedict VIII. schickte einen Bischof nach Kiew, doch ohne Erfolg. Als der Großfürst von Kiew, Iziaslaw, im Jahre 1073 durch seinen Bruder verdrängt worden war, suchte er Zuflucht bei dem Kaiser Heinrich IV. und schickte seinen Sohn nach Rom, um Gregor VII. zu bitten, ihm wieder zur Herrschaft über sein Land zu verhelfen, das er der päpstlichen Obergewalt zu unterwerfen versprach. Der Papst ermahnte den Bruder des vertriebenen Fürsten, die angemaßte Herrschaft aufzugeben, aber weder er, noch der Kaiser sah einen Erfolg dieser Auffoderung, und als Iziaslaw nach seines Bruders Tode wieder in seine Rechte eingetreten war, dachte er nicht mehr an den Papst, dessen Schutz sich unwirksam gezeigt hatte. Es liegt im Dunklen, ob die verschiedenen Versuche des römischen Stuhles, seine Herrschaft in Rußland zu gründen, einen zeitweiligen Erfolg gehabt haben ober nicht; ein Umstand scheint jedoch anzudeuten, daß die Päpste zu Ende des elften Jahrhunderts einigen Einfluß in Kiew erlangt haben. Efraim, ein gelehrter Grieche, der um 1090 Metropolit in jener Stadt war, führte einen Festtag zum Gedächtnisse der Uebertragung der Reliquien des heiligen Nicolaus von Lycien nach Bari in den russischen Kalender ein, ein Fest, das der altgriechischen Kirche unbekannt war,

 

 

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aber bei den Römern gefeiert ward. Es ist sehr möglich, daß vor der völligen Trennung der morgenländischen und abendländischen Kirche der russische Metropolit in seinem Gehorsam zwischen Konstantinopel und Rom schwankte. In den russischen Fürstenthümern konnte jedoch die päpstliche Herrschaft nie dauernd Boden gewinnen, obgleich in dem Fürstenthume Halicz, das mit den katholischen Ländern Polen und Ungarn in stetem Verkehre stand, unablässige Anstrengungen zu diesem Zwecke gemacht wurden. Die Ungarn, die sich unter Koloman dieses Fürstenthums bemächtigten, suchten die Kirche des Landes unter Roms Gewalt zu bringen, aber ihre Vertreibung vereitelte diese Entwürfe. Daniel, Fürst von Halicz, als Krieger und Staatsmann ausgezeichnet, glaubte von Rom einen wirksamen Beistand gegen die Mongolen erhalten zu können, welchen er zinsbar war. Er knüpfte im Jahre 1247 Unterhandlungen mit dem Papste an, der durch einen Legaten den Fürsten in die Gemeinschaft der römischen Kirche aufnehmen ließ und zu gestatten versprach, daß die Kirche im Fürstenthume Halicz alle Gebräuche und Gewohnheiten beibehielte, die nicht mit den Lehren Roms in offenbarem Widerspruche wären. Daniel nahm endlich im Jahre 1254 von dem Papste eine Krone und andere Zeichen der Königswürde an, wurde von dem Legaten zum Könige gekrönt und unterwarf sich der Herrschaft des Papstes; als aber der versprochene Beistand nicht ankam, brach er drei Jahre später alle Verbindung mit Rom wieder ab, trotz der Drohbriefe des Papstes. Die griechische Geistlichkeit in Polen und Lithauen schickte Abgeordnete auf die Kirchenversammlung zu Basel, die aber über eine Vereinigung mit der abendländischen Kirche sich nicht einverstehen konnten. Als der Kaiser Johann Paläolog die morgenländische Kirche der Obergewalt Roms unterwarf, folgte Isidor, Metropolit von Moskau, dem Beispiele des Kaisers und kehrte als Kardinal und päpstlicher Legat von Rom zurück. Er verkündigte feierlich auf seiner Reise durch Polen und Lithauen die Vereinigung mit Rom, bei seiner Ankunft in Moskau aber ward er seiner Würde entsetzt und in ein Kloster eingesperrt, aus welchem er glücklich entkam. Die Vereinigung mit Rom hatte keine unmittelbare Wirkung auf die griechische Kirche in Polen und Lithauen, wo sie erst weit später eingeführt ward, und nicht eher, bis die Jesuiten, die einen vorherrschenden Einfluß gewonnen hatten, alle Glaubensbekenntnisse unterdrückten, die sich der päpstlichen Obergewalt entgegensetzten; zu der Zeit aber, wo Luther’s Reformation eintrat, war die morgenländische Kirche in Polen in einem sehr blühenden Zustande und ihre Lehren wurden fast von der Hälfte der Bewohner des Landes, und unter ihnen von vielen der edelsten Familien, angenommen.

 

 

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Zweiter Abschnitt.
Anfang der Reformation unter Siegmund I. bis 1548.

 

Wir haben versucht, die kirchlichen Zustände Polens vor der Reformation darzustellen, die Luther und Zwingli gleichzeitig durch ihre Angriffe auf die Irrthümer und Mißbräuche der römisch-katholischen Kirche herbeiführten, und gezeigt, daß die Herrschaft dieser Kirche in Polen durch den Einfluß der hussitischen Lehren und durch die freien Staatseinrichtungen des Landes bereits bedeutend untergraben war. Die polnische Kirche scheint jedoch die Gefahren ihrer Lage nicht erkannt zu haben und in der Meinung gewesen zu sein, daß der Sturm, der ihr Dasein bedroht hatte, vorübergezogen wäre. Die katholische Geistlichkeit war damit zufrieden, die äußeren Formen einer ungestörten Herrschaft bewahrt zu haben, und bemerkte nicht, daß ihre moralische Kraft sehr geschwächt und ihr Einfluß auf die Gemüther des Volkes bedeutend gemindert war. Die Synode von Piotrkow machte im Jahre 1510 einige wohlthätige Anordnungen, um die Habsucht der Geistlichkeit zu hemmen, und verfügte zugleich, daß die Pfründen in den Stiftern rechtskundigen Männern verliehen und die Pfarreien frommen und gelehrten Geistlichen gegeben werden sollten. Auch verbot sie den Priestern, in ihren Häusern Personen zu beherbergen, die von Ketzereien angesteckt wären, ein Beweis, daß es zu jener Zeit Ketzer in Polen gab. Ein ungereimtes Gesetz vom Jahre 1505, das die Unadeligen von den höheren Kirchenwürden ausschloß, wurde von der Synode zu Lenczyca im Jahre 1523 bestätigt. Nach diesem Gesetze konnte ein Unadeliger nicht Bischof werden, und wer bereits diese Würde besaß, sollte nicht höher aufrücken. In jedem bischöflichen Sprengel wurden jedoch vier Pfründen vorbehalten, die bloß gelehrten Männern gegeben werden sollten, und mit der Ausschließung von der Bischofswürde ward es nicht ganz strenge genommen, da es viele Bischöfe vom geringer Herkunft gab. Diese ungerechte und unkluge Maßregel mußte indeß der polnischen Kirche die Zuneigung der ausgeschlossenen Volksclasse entfremden.

 

Auch dachte man an die Verbesserung der Universität Krakau, die an vielen Gebrechen litt, was die Ursache sein mochte, daß viele Jünglinge aus den ersten Familien fremde Hochschulen, besonders Straßburg, besuchten. Viele Polen erhielten ihre Bildung in der Schule zu Goldberg in Schlesien, welche den böhmischen Brüdern gehörte und offen die von dem römischen Stuhle verdammten Glaubensmeinungen

 

 

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lehrte. Eine große Abneigung gegen die Geistlichkeit zeigten die Ständeversammlungen in den Jahren 1501 und 1505 durch den Versuch, die Befugnisse der geistlichen Gerichte zu schmälern, wiewohl kein Gesetz zu diesem Zwecke erlassen wurde. Die Volksmeinung war so sehr gegen den Einfluß der Geistlichkeit, daß die Verfügungen der geistlichen Gerichte nicht geachtet wurden. Die weltlichen Obrigkeiten nahmen eine Obergewalt über die geistlichen Gerichte in Anspruch, und zogen die richterlichen Befugnisse derselben und die Gerechtigkeit ihrer meist unwirksamen Aussprüche in Untersuchung. Die priesterlichen Bannflüche hatten gar keine Wirkung, da sie nicht den Verlust politischer Rechte nach sich zogen. Der Einfluß der Geistlichkeit vermochte zwar den König Siegmund I., im Jahre 1516 eine Verordnung zu erlassen, die den Starosten *) befahl, die mit dem Banne belegten Personen zur Erlangung der Lossprechung zu nöthigen, und einen Starosten, der diesen Befehl nicht vollziehen, oder den Ausspruch des geistlichen Gerichts zu prüfen sich erlauben wollte, selbst mit dem Banne bedrohte; aber diese Verordnung blieb unwirksam, weil nach der alten polnischen Verfassung eine Verfügung des Königs nur dann gesetzliche Kraft erhielt, wenn sie von einer Ständeversammlung bestätigt wurde.

 

Schon ehe Luther gegen Roms Mißbräuche auftrat, wurden diese in Polen öffentlich angegriffen. Die Schriften vom wahren Gottesdienste und von der Priesterehe, die 1504 in Krakau erschienen, enthielten Lehren, die Rom für ketzerisch erklärte, und das 1515 veröffentlichte Schreiben Bernhard’s von Lublin an Symon von Krakau sagt ausdrücklich, daß man nur an das Evangelium glauben müsse und menschliche Satzungen entbehren könne. Dies war die Wirkung der allgemeinen geistigen Bewegung, die zu jener Zeit in ganz Europa herrschte, und worin Polen, hussitischen Meinungen zugethan, hinter den übrigen Ländern gewiß nicht zurückblieb. Luthers Reformation fand schnellen Eingang in Polen, das einen häufigen und beständigen Verkehr mit Deutschland überhaupt und besonders mit Wittenberg unterhielt, wo viele junge Polen ihre Bildung erhielten. Die Wirkungen der Reformation zeigten sich jedoch zuerst in Polnisch-Preußen. Diese blühende Provinz unterwarf sich freiwillig dem Könige Kasimir III., um den Bedrückungen ihrer Beherrscher, der deutschen Ritter, sich zu

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*) Die Starosten (capitanei oder praefecti) waren doppelter Art, Starosten mit richterlicher Gewalt (capitanei castrenses) und ohne solche Gewalt. Jene wurden Burgen und Städten vorgesetzt, wo sie eine ausgedehnte Gewalt ausübten, diese aber waren bloß Inhaber königlicher Güter, wofür sie einen geringen Zins bezahlten.

 

 

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entziehen. Nach einem langen Kriege mit dem Orden wurde Preußen endlich im Jahre 1466 mit Polen vereinigt, es behielt aber alle ihm eigenen Rechte und Freiheiten, und da es hauptsächlich in den Städten mit deutschen Ansiedlern bevölkert war, so blieb es deutsch in Sprache, Sitten und Verhältnissen, obgleich in politischer Beziehung, ein Theil Polens. Danzig war die Hauptstadt dieses Landes und bei seiner günstigen Lage der Stapelplatz des polnischen Handels mit dem westlichen Europa. Der beständige Verkehr der Stadt mit Deutschland machte sie Luther’s Lehren besonders zugänglich, die dort Anklang fanden, als sie kaum in Wittenberg waren verkündet worden. Schon im Jahre 1518 legte ein in Danzig geborener Mönch, Jakob Knade, die Kutte ab, heirathete und predigte öffentlich gegen Rom. Der Bischof von Cujavien veranlaßte eine Untersuchung gegen ihn und er ward eingekerkert, aber obgleich er bald in Freiheit gesetzt wurde, so mußte er doch Danzig verlassen. Er fand Zuflucht bei einem Edelmanne, Namens Krokow in der Gegend von Thorn, und fuhr fort, seine Lehren unter Krokow’s Schutze zu predigen, den seine Adelsvorrechte gegen die Verfolgungen der Geistlichkeit sicherten. Der Samen, den er ausgestreut hatte, ging in Danzig nicht verloren. Im Jahre 1520 begann Johann Beschenstein die römischen Mißbräuche anzugreifen, und seinem Beispiele folgten in den nächsten Jahren Johann Bonhald und der Prediger Matthias Bienewald. Die erste öffentliche Predigt gegen die katholische Lehre hielt Johann Hegge, genannt Winkelploch, in Danzig. Diese Neuerungen erregten großes Aufsehen in Polen, und Siegmund I. erließ im Jahre 1523 einen Befehl an den Stadtrath zu Danzig, worin die Erhaltung des bestehenden Glaubens eingeschärft und jede Veränderung verboten wurde. Der Stadtrath vollzog die königliche Verordnung nicht völlig und war wahrscheinlich nicht im Stande sie auszuführen. Es ward im Jahre 1524 empfohlen, die kirchlichen Mißbräuche mit großer Mäßigung zu untersuchen, und den Mönchen erlaubt zu predigen und die Ohrenbeichte zu halten, doch sollten sie nur geduldet, aber auch nicht verfolgt oder beschimpft werden. Die Behörde war offenbar bemüht, die steigende Aufregung der Gemüther gegen die eingewurzelten Mißbräuche durch Einführung einiger, von der Stimme des Volkes dringend verlangten Verbesserungen zu mildern; die Einwohner aber waren nicht so gemäßigt als der Stadtrath und verlangten einstimmig entscheidendere Umwandlungen. Der Franziskanermönch Alexander und der Prediger Hegge nahmen auf das Gesuch der Pfarrgenossen zwei Stadtkirchen in Besitz. Diese Schritte wurden von dem Stadtrathe weder bestätigt noch vereitelt, die polnische Geistlichkeit

 

 

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aber beschloß, der beginnenden Ketzerei mit kräftiger Hand zu wehren. Der Erzbischof von Gnesen, Johann Zaski, kam selber nach Danzig, wo er gegen die neuerungslustigen Geistlichen eine Untersuchung einleitete und einen derselben, Namens Paul, in das Gefängniß setzen ließ; die Gährung der Gemüther war aber so groß, dass der Erzbischof sein Verfahren einstellte, den verhafteten Geistlichen in Freiheit setzte und die Stadt verließ. Der mißlungene Versuch des Erzbischofs machte die Partei der Reformatoren noch dreister, und sie ersuchte Luther, der evangelischen Gemeinde ihrer Stadt eine feste Einrichtung zu geben. Fünf Kirchen wurden den Katholiken genommen und den Freunden der Glaubensverbesserung überlassen. Diese Reformation war jedoch nur sehr unbestimmt und nur darauf gerichtet, einige schreiende Mißbräuche zu entfernen, statt eine gänzliche Umwandlung der Kirche zu bewirken und die Einführung einer neuen, auf die Schrift und die Gebräuche der ältesten Kirche gegründeten Ordnung der Dinge zu bewirken, da die gottesdienstlichen Feierlichkeiten der römischen Kirche und ihre Grundlehren von den Reformatoren in Danzig beibehalten wurden.

 

Der Stadtrath war in einer schwierigen Lage, auf der einen Seite durch seine Pflicht gegen den König gebunden, der jede Neuerung strenge verboten hatte, auf der andern durch seine Mitbürger gedrängt, deren Abneigung gegen das Papstthum täglich entschiedener hervortrat. Nie ging von ihm eine Veränderung aus, aber er nahm diejenigen an, die man gemacht hatte, ohne ihn zu fragen. Wie es scheint, fürchtete der Stadtrath, dass die religiösen Neuerungen zu politischen Veränderungen führen möchten und ihre oligarchische Macht durch die Beimischung demokratischer Elemente zerstört werden könnte. Die gefürchteten Gefahren wurden durch eine unzeitige Kundgebung der Obergewalt beschleunigt. Die Verhaftung einiger kühnen Freunde der Reformation führte einen Aufstand herbei. Die bewaffneten Einwohner bemächtigten sich der Stadt und zwölf der angesehensten Bürger verlangten am 22. Januar 1525 von dem Stadtrathe die Berufung einer allgemeinen Versammlung, um die Kirchenverbesserung zu verkünden. Diese Versammlung beschloß ungemein gemäßigte Anordnungen. Die Mönchsorden sollten noch immer geduldet werden, doch den Mitgliedern der Austritt frei stehen. Es wurde den Mönchen verboten, selbst in Häusern zu predigen, Almosen einzusammeln und nächtliche Messen zu lesen. Notizen sollten nicht mehr aufgenommen werden, die Messe aber wurde beibehalten und in den Kirchen sollte alles unangetastet bleiben, bis der König von Polen seinen Willen erklärt hätte. Der Stadtrath genehmigte all jene Anordnungen, um die Empörer zu beruhigen, aber

 

 

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seine Bereitwilligkeit, wo er keinen Widerstand leisten konnte, war nicht im Stande, politische Neuerungen abzuwehren. Viertausend bewaffnete Einwohner umringten das Stadthaus mit Kanonen und zwangen den Stadtrath sich aufzulösen und die Erklärung zu unterzeichnen, dass er durch seine eigenen Handlungen den Aufstand hervorgerufen habe. Es ward ein neuer Stadtrath eingesetzt, aber der ehemalige Bürgermeister Bischoff wieder erwählt, weil es ihm durch sein gewandtes Benehmen gelungen war, sich bei der Bewegungspartei beliebt zu machen und zugleich die Gunst der städtischen Aristokraten und der Katholiken zu bewahren. Der neue Stadtrath, durch die Einwohner getrieben, gab den früher unbedeutenden Maßregeln zur kirchlichen Reformation eine weitere Ausdehnung. Die Klöster wurden geschlossen, die katholischen Formen der Gottesverehrung gänzlich abgeschafft, und die Kirchenschätze für Eigenthum des Gemeinwesens erklärt, jedoch unangetastet gelassen. Die Klöster und andere zum Gebrauche der Geistlichkeit bestimmte Gebäude verwandelte man in Schulen und Spitäler. Der Stadtrath und die Einwohner, die beweisen wollten, dass die Reformation nur Glaubenssachen betreffe und keinen politischen Charakter habe, erklärten in einer an den König von Polen gerichteten Schrift ihren unerschütterlichen Gehorsam gegen seine Krone und äußerten die Erwartung, dass er die neuen Anordnungen, welche seine oberherrlichen Rechte nicht verletzten, bekräftigen werde.

 

Siegmund scheint anfänglich über die von ihm zu befolgende Politik unschlüssig gewesen zu sein. Im Kriege mit dem Herzoge Albert von Preußen, konnte er nicht zu heftigen Maßregeln schreiten, welche das Volk hätten aufreizen können, die Fahne der Empörung zu erheben und zu dem Feinde überzugehen. Das Beispiel Danzigs hätte Thorn, Elbing und andere Städte in Polnisch-Preußen zur Nachahmung reizen, und alle Einwohner jener wichtigen Provinz der polnischen Herrschaft entfremden können. Diese Umstände bewogen wahrscheinlich den König, sich bis zum Frieden mit dem Herzoge Albert in die Zeit zu schicken. Das Benehmen Siegmund’s gegen die Anhänger der Reformation, die sich unter seiner Regierung schnell in ganz Polen verbreitete, kann die Vermuthung begründen, dass er alle gewaltsamen Schritte vermieden haben würde, wenn nicht politische Erwägungen ihn bewogen hätten, mit Gewalt eine Bewegung zu unterdrücken, welche eine der ansehnlichsten Städte des Landes von der Kirche getrennt hatte, und sie leicht auch von dem Reiche hätte ablösen können. Es erschienen Abgeordnete des alten Stadtrathes in Trauerkleidern vor dem Könige und baten ihn, die Stadt zu retten,

 

 

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welche durch die Einführung der Ketzerei ihrem Verderben entgegen gehe, und aus eigener Machtbefugniß die alte Ordnung der Dinge wieder herzustellen, wobei sie versicherten, daß der alte Stadtrath, die angesehensten Bürger und die meisten Einwohner einer solchen Wiederherstellung günstig seien. Der König befahl den Städtern, den alten Glauben und die alten politischen Einrichtungen wieder einzuführen und alle Neuerungen abzuschaffen. Der Stadtrath übergab in seinem und der Einwohner Namen eine Rechtfertigung der gethanen Schritte. Die Mitglieder der Stadtbehörde wurden aufgefodert, vor dem Könige zu erscheinen, und als sie nicht gehorchten, erließ der zu Piotrkow versammelte Reichstag im Februar 1526 eine Achtserklärung gegen Danzig und hob alle Vorrechte und Freiheiten der Stadt bis zur Wiederherstellung der alten Ordnung der Dinge auf. Zugleich wurde der König ermächtigt, nach Danzig zu reisen, um die Ruhe herzustellen, aber es wurde keine Aushebung von Kriegsvölkern verordnet, weil man glaubte, diese Angelegenheit durch versöhnende Mittel auszugleichen.

 

Zwietracht und Unschlüssigkeit herrschten unter den Einwohnern Danzigs, als der König im April zu Marienburg eintraf. Die standhaften Anhänger der Reformation erkannten die drohende Gefahr und riethen, die Stadtthore zu schließen, die Einwohner zu bewaffnen, und alle Mittel zu einem hartnäckigen Widerstande vorzubereiten; der Bürgermeister Bischoff aber widerrieth ein so kühnes Verfahren, das den Freunden der Reformation günstige Bedingungen hätte sichern können. Die Städter entschlossen sich, einen Mittelweg einzuschlagen, den König zwar in die Stadt einzulassen, aber zu gleicher Zeit Vertheidigungsmaßregeln zu nehmen. Einer der angesehensten Führer der Reformatoren, Salicetus, erhielt den Auftrag, den König bei seiner Ankunft zu begrüßen. Er wurde höflich aufgenommen, erhielt sogar Zutritt in die Versammlung der königlichen Räthe, welche sich über die besten Mittel zur Ausgleichung der Mißverständnisse besprachen, und kehrte mit der Ueberzeugung zurück, daß der König einwilligen werde, die neuen religiösen und politischen Einrichtungen, wiewohl mit einigen Veränderungen, zu erhalten. Der König wurde bei seinem Einzuge in Danzig am 17. April ehrerbietig und feierlich von den bewaffneten Bürgern empfangen, die eher einer feindlichen Heeresmacht, als einer kaufmännischen Gemeinde glichen. Als er befahl, das Volk zu entwaffnen, die Geschütze zurückzuziehen und ihm die Schlüssel der Stadtthore zu übergeben, erfolgte eine ehrerbietige aber entschiedene Weigerung. Der Stadtrath wollte sich zu keinem Zugeständnisse verstehen, ergriff aber nicht die nöthigen Maßregeln, den König von einem gewaltsamen

 

 

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Umsturze der neuen Einrichtungen abzuhalten. Das bewaffnete Gefolge seines Adels kam ungestört in die Stadt, die katholischen Edelleute aus Polnisch-Preußen erschienen in großer Anzahl und die lehnpflichtigen Herzoge, Albert von Preußen und Barnim von Pommern, brachten Kriegsvölker.

 

Der König beschloß, durch einen Gewaltschritt die alten politischen und kirchlichen Einrichtungen wiederherzustellen, da der Besitz überlegener Streitkräfte ihn ermuthigte und die Mitglieder des ehemaligen Stadtrathes und viele angesehene Bürger, die der neuen Verwaltung noch mehr als den kirchlichen Veränderungen abhold waren, ihn anreizten. Die Zwietracht unter den Freunden der Reformation mußte ihn nicht weniger ermuntern. Er ließ die Mitglieder des alten und des neuen Rathes und die Vorstände der Innungen vorladen, und von dem Kronmarschall befragt, ob sie in ihrem Gehorsam gegen den König beharrten, erneuerten sie den Eid der Treue. Die Freunde der Reformation erschraken über des Königs mächtige Streitkräfte, und als im Staatsrathe der Antrag gemacht wurde, den katholischen Gottesdienst wiederherzustellen, erhob sich kein Widerstand. Der König ließ Salicetus und zwanzig der ersten Häupter der Bewegung verhaften, und dreißig andere, die sich geflüchtet hatten, wurden ausgefodert, vor dem königlichen Gerichtshofe zu erscheinen. Sie wurden verurtheilt, funfzehn von ihnen enthauptet, und die übrigen verbannt. Salicetus, der, Hauptbeförderer der Umwälzung, erhielt die Erlaubniß, seine Sache vor dem Könige selbst zu führen. In Gegenwart der vornehmsten Bürger Danzigs vertheidigte er sich mit großer Beredtsamkeit und behauptete, er habe stets nur nach dem Willen der Mehrheit der Stadteinwohner gehandelt. Der Bürgermeister Bischoff aber, der sich für einen Freund der Reformation ausgegeben hatte, trat mit der Anklage auf, Salicetus habe eigenmächtig goldene und silberne Gefäße aus den Kirchen genommen, dem Volke die Lehre Luther’s gepredigt und Galgen und Blutgerüste vor seinem Richterstuhle errichtet. Salicetus berief sich auf das Zeugniß der anwesenden Bürger, daß er mit ihrer Zustimmung und Ermächtigung gehandelt habe, aber die Elenden, von Schrecken ergriffen, läugneten die Behauptung, worauf Salicetus seine Vertheidigung nicht fortsetzte und sich ruhig in sein Schicksal ergab. Es wurde nun ein neuer Stadtrath erwählt, der ohne Widerstand die alten Einrichtungen wiederherstellte. Wer nicht in vierzehn Tagen in den Schoß der Kirche zurückkehrte, sollte bei Todesstrafe die Stadt verlassen. Die Mönche und Nonnen, die ihre Gelübde gebrochen hatten, mußten in die Verbannung ziehen, und bei Todesstrafe und Güterverlust wurde

Krasinski.

 

 

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die Verbreitung aller gegen die katholische Kirche gerichteten Lehren verboten; selbst jede Veröffentlichung von Bildern ober Druckschriften gegen die katholische Kirche sollte mit Verbannung und Gütereinziehung bestraft werden und wer mit den Verbannten Verkehr unterhielte, sein Vermögen verlieren. Die Schiffscapitäne wurden für die Rechtgläubigkeit ihrer Mannschaft verantwortlich gemacht. Nur Katholiken von unverdächtiger Rechtgläubigkeit sollten das Bürgerrecht erhalten. Eine Versammiung von drei bis vier Männern oder Weibern in der Absicht, die eingeführte Ordnung zu stürzen, wurde bei Todesstrafe verboten, und jeder Fremde, der falsche Lehren zu verbreiten suchte, konnte von der Stadtobrigkeit willkürlich bestraft werden.

 

Der König verließ Danzig im Julius 1526, nachdem er durch blutige Gewalt die eingeführten Neuerungen unterdrückt hatte. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß die Furcht vor einem gefährlichen Beispiele, welches Danzig den übrigen Theilen Polens durch den Umsturz der bestehenden Regierung hätte geben können, mehr auf den König wirkte als der Wunsch, die katholische Kirche unversehrt zu erhalten, die man zu jener Zeit in allen Gegenden Polens anzugreifen begann. Die Ansicht, daß jene Gegenstrebung mehr durch politische als durch religiöse Beweggründe bewirkt wurde, geht auch aus dem wichtigen Umstande hervor, daß Herzog Albert von Preußen, der kurz vorher die Lehre Luther’s angenommen und sie in seinem Lande eingeführt hatte, dem Könige von Polen bereitwillig Beistand gegen die Reformatoren in Danzig leistete. Dieselbe Verordnung, welche die angeführten Strafdrohungen gegen die Widersacher des Katholicismus enthielt, vereinigte die städtische Verwaltung in wenigen Händen und schloß die Mehrzahl von allem Antheil an den öffentlichen Angelegenheiten aus. Siegmund zeigte auch während seiner ganzen späteren Regierung eine große Duldung gegen Glaubensmeinungen, wo sie nicht den bestehenden Staatseinrichtungen und der königlichen Gewalt widerstitten. Wir haben selbst ein öffentliches Geständniß seiner Besorgniß, daß die Veränderungen in Glaubenssachen zum Umsturze politischer Einrichtungen führen könnten. Als man in Polnisch-Preußen den Bischöfen die Zehnten verweigerte, sagte der König im Jahre 1528 in einer Verordnung, wenn nach der neuen Lehre das Volk von der Bezahlung der Zehnten befreit sei, so werde es aus demselben Grunde auch von der Steuerbezahlung an andere öffentliche Behörden frei sein; und wenn man den Pfarrer nicht zu bezahlen habe, der nicht weide und lehre, so gebühre eben so wenig dem Kriegerstande eine Leistung, wofern er nicht fechte und das Volk beschütze.

 

 

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Luthers Reformation verbreitete sich nicht bloß in Danzig, sondern auch in andern Gegenden von Polnisch-Preußen. In den Jahren 1520 und 1521 wurde sie auch in Thorn bekannt. Es gab dort zwar keine Gemeinde, welche die Lehren der Reformatoren öffentlich bekannt hätte, aber die Einwohner waren denselben so geneigt, daß sie, als um jene Zeit der päpstliche Legat Fereira ankam und mit großer Feierlichkeit Luther’s Bildniß und Schriften vor der Johanniskirche verbrennen wollte, ihn mit Steinwürfen in die Flucht trieben und das Bildniß aus den Flammen retteten. Ein Aufstand, den die Einwohner im Jahre 1525 erregten, um die Reformation zu erlangen, wurde durch versöhnende Mittel gestillt. In Elbing zeige sich 1523 eine starke Hinneigung zu den Lehren der Reformatoren, und in Braunsberg, dem Sitze des Bischofs von Ermland, wurde schon im Jahre 1520 der lutherische Gottesdienst eingeführt und der damalige Bischof (Lusignan) machte keinen Versuch, die Reformatoren zu verfolgen, ja er scheint für Luther günstig gestimmt gewesen zu sein, da er seinen Stiftsgeistlichen, die ihm seine Duldsamkeit vorwarfen, zur Antwort gab, Luther stütze seine Behauptungen auf die Schrift, und wer sich dazu fähig fühle, möge ihn widerlegen. Viele andere Städte Preußens führten gleichfalls die Reformation ein, aber seit der gewaltsamen Unterdrückung derselben in Danzig erhob sich in der ganzen Provinz eine katholische Gegenstrebung und fast überall wurde der alte Gottesdienst wieder eingeführt. In Polnisch-Preußen aber hatte jene Gegenstrebung keine dauernde Wirkung und die Keime der Reformation hatten bereits zu tiefe Wurzeln geschlagen, als daß sie durch gesetzliche Verfügungen hätten ausgerottet werden können.

 

Trotz der strengen Verordnungen von 1526, predigte ein Dominicaner, Namens Klein, im Jahre 1534 zu Danzig biblische Lehren, ohne sich jedoch öffentlich von der römischen Kirche zu trennen. Drei Jahre später legte er das Mönchskleid ab, und als die Stadtobrigkeit ihn zum Prediger ernannt hatte, warf er alle Bilder aus der Marienkirche, wo er angestellt war, und führte den Lutherischen Gottesdienst ein. Diese entschiedene Neuerung wurde von dem Stadtrathe weder gebilligt noch verdammt, und der König achtete nicht darauf, sondern begnügte sich, heftige Angriffe gegen die römische Kirche zu verbieten. Die täglichen Fortschritte der Reformation bewogen ihn, einige Bischöfe nach Danzig zu senden, welche den Dominicaner Klein verhafteten, aber die Volksmeinung war bereits der Reformation so günstig, daß sie den Mönch wieder loslassen mußten, der bis zu seinem Tode unbelästigt blieb. Die Bischöfe verließen die Stadt ohne irgend einen Erfolg.

 

 

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Auch in andern Städten Preußens fand die Reformation Eingang und ward im Jahre 1548 besonders durch die Ankunft der böhmischen Brüder gefördert.

 

Das Herzogthum Masovien, das an Preußen gränzte und zu jener Zeit noch nicht mit Polen vereinigt war, ergriff sehr strenge Maßregeln gegen die Einführung der Reformation. Der Herzog Janusz erließ in der Ständeversammlung zu Warschau eine Verordnung, welche die Ausbreitung der Ketzerei in irgend einer Sprache oder durch irgend welche Mittel bei Todesstrafe und Vermögensverlust verbot. Dieses Verbot erstreckte sich auch auf das Lesen und den Besitz verdächtiger Bücher und kein Rang, keine Würde sollte die Uebertreter gegen Strafe schützen. Mochte die Strenge des Gesetzes oder die verhältnißmäßig niedrige Bildungsstufe der Bewohner jenes Theiles von Polen die Ursache sein, die Reformation gewann nie Boden in Masovien, wiewohl sich viele zu dem Protestantismus wendeten. Die Landboten in Masovien waren stets eifrige Verfechter Roms, und wahrscheinlich war die Rechtgläubigkeit dieser Provinz einer der Gründe, die später Siegmund III. bewogen, den Königssitz von Krakau nach Warschau, der Hauptstadt Masoviens, zu verlegen.

 

Nach dem ausgezeichneten, wiewohl nur zeitweiligen Siege, den die katholische Geistlichkeit über die Lehren der Reformation in Polnisch-Preußen errungen hatte, suchte sie durch alle Mittel die Verbreitung der Ketzerei zu verhüten und sie in allen Theilen Polens gänzlich auszurotten. Es erschienen viele Schriften gegen Luther und seine Lehre. Die Synode zu Lenczyca empfahl im Jahre 1527 die Wiedereinführung der Inquisition unter der Aufsicht der Bischöfe, und schlug einige andere kirchliche Einrichtungen vor, unter andern, daß die Bischöfe gelehrte Männer zu Predigern ernennen sollten, die das Volk in einer gesunden Lehre unterrichten könnten, mit Vermeidung aller Scholastik, welche den Herzen der Gläubigen eher zum Nachtheil als zur Erbauung diene. Die Synoden zu Piotrkow (1530) und zu Zenczyca (1532) trafen strenge Maßregeln gegen Ketzer und ketzerische Schriften, und beide suchten einige Verbesserungen in den Verhältnissen der Geistlichkeit einzuführen, besonders aber die kirchliche Richtergewalt wirksamer zu machen. Die wichtigsten Verordnungen zur Unterdrückung der schnell zunehmenden Ketzerei wurden im Jahre 1542 von der Synode zu Piotrkow gegeben. Schon 1534 hatte die Geistlichkeit den König Siegmund I. vermocht, den Polen den Besuch der ausländischen, mit ketzerischen Lehrern besetzten Hochschulen zu verbieten, und diejenigen, die sich dort aufhielten, bei schweren Strafdrohungen zurückzurufen.

 

 

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Dieser Befehl konnte jedoch keine Wirkung haben und hatte keine gesetzliche Kraft, da derselbe nicht die Bestätigung der Ständeversammlung erhielt und folglich ohne verbindende Kraft war, zumal da die Edelleute, welche, durch ihre Vorrechte gegen willkürIiche Beschränkungen geschützt, fortdauernd die verbotenen Hochschulen besuchten, besonders Wittenberg, die Wiege und den Hauptsitz des Lutherthums. Die im Jahre 1535 erlassenen Verordnungen gegen die Wiedertäufer und die Lutheraner, und die Verfügung von 1541, in welcher der König diejenigen, die ketzerische Priester beherbergen würden, mit dem Verluste des Adels bedrohte, blieben todte Buchstaben. Dies beweisen die Verhandlungen der erwähnten Synode von Piotrkow, welche den König bat, seine eigenen Verordnungen gegen Ketzerei in Vollziehung zu setzen. Auch wurde den Aeltern untersagt, ihre Kinder in ketzerische Schulen zu schicken, die Werke Luther’s und Melanchthon’s zu lesen verboten, was von Vielen, unter dem Vorwande, sie zu widerlegen, geschehen war, und zugleich empfohlen, in den Häusern der Einwohner ketzerische Bücher aufzusuchen. Diese Verfügungen konnten jedoch die Presse nicht fesseln, welche im Jahre 1539 durch eine königliche Verordnung für frei war erklärt worden. Die Böhmen, die in Polen häufig als Hauslehrer angestellt wurden, erzeugten besonders das Mißfallen der Synode zu Piotrkow, welche auch verordnete, daß die Hussiten, ihre Zusammenkünfte und ihre Schriften Gegenstände der Untersuchung sein sollten. Auch empfahl sie, die Anordnungen der Inquisition zum Beispiele zu nehmen und in dem Verfahren gegen Ketzerei und Ketzer zu befolgen. All diese Verordnungen der Synoden gegen die Lehren der Reformatoren waren aber durchaus fruchtlos, da die verfassungsmäßigen Freiheiten des Landes, welche die kirchliche Richtergewalt sorgfältig beschränkten, es der Geistlichkeit fast unmöglich machten, diejenigen zu verfolgen, welche als Ketzer nach ihrer Meinung die schwersten Strafen verdienten. Die Verhandlungen mehrer Synoden, die während dieser Zeit gehalten wurden, klagen häufig über den Verfall des Ansehens der geistlichen Gerichte und mehre Verfügungen der polnischen Gesetzgebung verrathen eine lebhafte Eifersucht und eine feindselige Gesinnung gegen die Geistlichkeit. Die Ständeversammlung von 1538 verbot der polnischen Geistlichkeit bei schwerer Strafe, irgend eine Würde vom römischen Stuhle anzunehmen, und später wurde dieses Verbot oft wiederholt. Die Annaten wurden abgeschafft, die Kirchengüter im Jahre 1544 der allgemeinen Grundsteuer unterworfen und endlich 1565 verfügt, daß ein Geistlicher, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hätte,

 

 

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vor die ordentlichen weltlichen, und nicht vor die geistlichen Gerichte gestellt werden sollte. Schon 1547 mußte die Synode von Piotrkow gestehen, daß der Kirche große Gefahr von der Ketzerei drohe, die sich in allen Sprengeln verbreitet und selbst die Geistlichkeit angesteckt hätte. Schon im Jahre 1543 hatte der Reichstag zu Krakau allen Polen förmlich gestattet, ausländische Hochschulen zu besuchen.

 

Werfen wie nun einen Blick auf den Charakter und die Meinungen des Königs, welche auf das Schicksal der Reformation, die sich unter seiner Regierung in Polen ausbreitete, einen bedeutenden Einfluß hatten. Siegmund I., der 1506, schon vierzig Jahre alt, den Thron bestieg, hatte eine ausgezeichnete gelehrte Erziehung genossen. Sein Lehrer war der berühmte Philipp Buonaccorsi, welcher, aus seinem Vaterlande Italien vertrieben, Zuflucht an dem Hofe des Königs Kasimir III. fand, der ihm die Bildung seiner Söhne übergab. Siegmund war ein Mann von edler Gesinnung und zeigte bei mehren Gelegenheiten großen persönlichen und moralischen Muth, aber seine Hauptfehler waren Trägheit und eine oft in Schwachheit ausartende Herzensgüte, zwei bezeichnende Eigenschaften des jagellonischen Herrscherstammes. Dies erklärt das schwankende Benehmen, das der König stets in Angelegenheiten zeigte, die sich auf die Glaubenszwiste bezogen. Er erließ häufig die strengsten Verfügungen gegen religiöse Neuerungen, um der Zudringlichkeit der Geistlichen und einiger bigotten Senatoren zu genügen, vollzog sie aber nie, außer aus politischen Gründen, wie wir gezeigt haben, in Danzig. So erlaubte er nicht, daß ein von dem Inquisitor zu Krakau für einen Ketzer erklärter Prediger bestraft wurde, und als Johann Eck in der Widmung einer gegen Luther gerichteten Schrift *) ihn aufmunterte, Heinrich’s VIII. Beispiel zu befolgen, der eben zu jener Zeit ein Buch wider Luther geschrieben hatte, antwortete ihm Siegmund, er wolle König der Schafe wie der Böcke sein. Einige polnische Große, welche nach ihrem Uebergange zu den Lehren der Reformatoren von der Geistlichkeit in den Bann gethan wurden, behielten fortdauernd die Gunst des Königs. Albert von Brandenburg, Siegmund’s Neffe, Großmeister der deutschen Ritter, heirathete im Jahre 1524 und ging zum Lutherthum über. Seinem Beispiele folgten alle Besitzungen des Ordens und Siegmund bestätigte diese Umwandlung im Jahre 1525 durch einen Vertrag, welcher das erste in der Geschichte vorkommende Beispiel einer Secularisation ist. Ein Beweis, wie wenig er von seinen Zeitgenossen für blindgläubig gehalten ward, ist darin zu finden, daß die

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*) De sacrificio Missae contra Lutheranos. 1526.

 

 

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protestantischen Fürsten Deutschlands ihn durch das Anerbieten großer Vortheile zu bewegen suchten, dem schmalkaldischen Bunde beizutreten. Siegmund heirathete nach dem Tode seiner ersten Gemahlin die Tochter des Herzogs von Mailand, Bona Sforza, die bald eine entschiedene Herrschaft über ihn erlangte. Sie war schön und mit geistigen Vorzügen begabt, aber von zügellosen Sitten, ehrgeizig und geldgierig. Die vielen Mißbräuche, welche ihr Einfluß herbeiführte, machten den König dem Volke verhaßt, so sehr man ihn früher geliebt hatte. Ihr Benehmen gegen die Protestanten war sehr ungleich und wurde eben so sehr durch Beweggründe, die ihr eigener Vortheil eingab, als durch die Iaunische Leidenschaftlichkeit eines verderbten Weibes bestimmt, da man nicht annehmen kann, daß religiöse Gefühle Einfluß auf ein Gemüth haben konnten, das alle Grundsätze so sehr mißachtete. Der Einfluß des spanischen Hofes, mit welchem sie durch ihre Mutter, Isabella von Aragon, nahe verwandt war, machte sie allen Neuerungen in Glaubenssachen abhold‚ aber oft waren die Freunde der neuen Lehre zur Erreichung ihrer Zwecke nothwendig, und sie begünstigte unbedenklich die Ketzerei, um die Ketzer zu nützlichen Werkzeugen für die Ausführung ihrer Absichten zu machen. Selbst ihr Beichtvater, der Italiener Franz Lismanini, war einer der Hauptbeförderer der Reformation in Krakau, und die Königin verschaffte ihm die Mittel, aus dem Auslande Schriften über die protestantischen Lehren zu erhalten. Außer diesen Gründen, welche die Königin leiteten, wirkten andere, nicht minder mächtige Beweggründe auf das Herz des Weibes, eine strafbare Leidenschaft gegen Johann Firley, einen der ausgezeichnetsten polnischen Edelleute. Firley, Palatin von Lublin und Kronmarschall, begünstigte offen die Lehren der Reformatoren und wurde später das Haupt des protestantischen Adels. Alle diese Umstände trugen dazu bei, den Einfluß der Königin auf die Fortschritte der Reformation unschädlich zu machen, ein Einfluß, der höchst verderblich hätte werden müssen, wenn die schlaue Königin mit entschiedener Feindseligkeit gegen den Protestantismus aufgetreten wäre.

 

Dies war der Zustand Polens zu der Zeit, wo die Reformation Eingang gewann. In der an Deutschland gränzenden Provinz Groß-Polen, wo die hussitischen Lehren einen tiefen Eindruck gemacht hatten, trat der Protestantismus in den Jahren 1530 bis 1540 zuerst öffentlich auf, als unter dem Schutze der mächtigen Familie Gorka eine Iutherische Kirche eröffnet wurde. Der wichtigste Umstand aber, welcher die Entwickelung der religiösen Meinung in Polen mächtig förderte, war die Bildung eines Vereins in Krakau, der sich die Ausbreitung

 

 

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der evangelischen Lehren zum Zwecke machte. Dieser Verein bestand aus den ausgezeichnetsten Gelehrten jener Zeit, die durch das Band persönlicher Freundschaft verbunden waren, und suchte, dem Anscheine nach streng katholisch, nur solche Verbesserungen einzuführen, welche die Rechtgläubigkeit nicht im Mindesten antasten sollten. Der Beichtvater der Königin, Lismanini, Provinzial des Franciscaners Ordens, stand an der Spitze des Vereins, zu dessen Mitgliedern Johann Trzecieski und sein Sohn Andreas, beide ausgezeichnete Sprachforscher, Bernhard Wojewodka, ein gelehrter Buchhändler und Rathsherr in Krakau, Andreas Frycz Modrezewski, Melanchthon’s Schüler, Jakob Przyluski, ein vorzüglicher Rechtsgelehrter, Adam Drzewiecki, Stiftsherr in Krakau, Andreas Zebrzydowski, später Bischof von Krakau, von Erasmus sorgfältig gebildet, Johann Uchanski, Kronreferendar und später Erzbischof von Gnesen, und viele andere durch Talent, Gelehrsamkeit und Rang ausgezeichnete Männer gehörten. Lismanini, der eine reiche Sammlung von Büchern gegen den Papismus besaß, erklärte den Mitgliedern in den Versammlungen verschiedene theologische Gegenstände; die römisch-katholischen Lehren, die keine schriftmäßige Begründung hatten, wurden in den Verhandlungen der Gesellschaft kühn angegriffen, doch begünstigten einige Mitglieder Lehren, welche gegen die Dreifaltigkeit gerichtet waren. In einer Versammlung, die in Johann Trzecieski’s Wohnung gehalten wurde, trat ein belgischer Priester, Namens Pastoris, auf und erklärte die Lehre von der Dreifaltigkeit für unvereinbar mit der Einheit des höchsten Wesens. Diese zu jener Zeit in Polen noch unbekannte, wiewohl bereits in Servet’s Werken dargelegte Ansicht erschreckte die anwesenden Mitglieder des Vereins, und sie glaubten in banger Bestürzung, daß ein solcher Satz zu dem Umsturze der geoffenbarten Religion führen werde. Diese Lehre, die mehre Mitglieder des Vereins zu Krakau annahmen, legte den Grund zu jener Secte, die später in Polen unter dem Namen des Socinianismus bekannt ward, obgleich weder Lälio noch Faustus Socinus als ihre eigentlichen Gründer betrachtet werden können. Jene kühnen Lehrmeinungen hatten ohne Zweifel die Wirkung, viele furchtsame Seelen einzuschüchtern und sie von weiteren Versuchen gegen die Mißbräuche und Irrthümer des Romanismus abzuhalten. Sie wollten lieber in dem Schoße der katholischen Kirche, trotz der anerkannten Verirrungen derselben, verbleiben, als sich in eine gefährliche Laufbahn wagen, welche sie zu einem reinen Deismus führen könnte. Viele aber, die mehr Festigkeit der Seele hatten und von wahrer Frömmigkeit beseelt waren, blieben bei dem Entschlusse, die Wahrheit nur nach Anleitung der heiligen Schrift zu

 

 

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suchen *). Der wahre Zweck des Vereins wurde jedoch, trotz seiner scheinbaren Uebereinstimmung mit der herrschenden Kirche, bald von dem Bischofe von Krakau, Samuel Maciejowski, entdeckt. Von Lismanini’s ketzerischen Ansichten unterrichtet, ließ er dessen Büchersammlung untersuchen; Lismanini aber hatte nach einer erhaltenen Warnung alle verdächtigen Bücher auf die Seite geschafft, und man fand in der Sammlung nichts, was die Rechtgläubigkeit des Eigenthümers verdächtigen konnte. Der Bischof blieb jedoch von Lismanini’s Ketzerei überzeugt, und als dieser nach Rom geschickt ward, um dem neuen Papste Julius III. Glück zu wünschen, schilderte Maciejowski ihn als einen gefährlichen Ketzer, der die katholische Kirche in Polen umzustürzen vermöge. Lismanini wußte durch seine Gewandtheit die Anklagen des Bischofs unwirksam zu machen, und kam ungekränkt nach Polen zurück. Der Forschungsgeist, der die Mitglieder des Vereins belebte, zeigte sich bald in offenen Angriffen gegen die römische Kirche. Ein reicher Landeigenthümer, Johann Karminski, Lismanini’s Freund, gewährte mehren Männern, die sich offen von der römischen Kirche getrennt hatten, gastliche Aufnahme auf seinem Gute Alexandrovitze unweit Krakau. Ein ehemaliger Prediger an der Domkirche zu Krakau eiferte in Alexandrovitze öffentlich gegen die römische Abgötterei und empfahl, das Evangelium zu lesen. Von der geistlichen Behörde verhaftet, widerrief er zwar seine Lehren, sobald er aber seine Freiheit wieder erlangt und den Schutz eines mächtigen Edelmannes gewonnen hatte, bekannte er sich wieder zu seinen Meinungen. Franz Stancari, ein Italiener, der erste Lehrer der hebräischen Sprache zu Krakau, begann um diese Zeit in der Erklärung der Psalmen die Verehrung der Heiligen anzugreifen. Er wurde verhaftet, aber einige Edelleute, die seinen Meinungen anhingen, entführten ihn aus der Festung, wo er gefangen saß, und er fand eine sichere Zuflucht auf den Gütern eines zu den protestantischen Lehren übergegangenen mächtigen Edelmannes, Stadnicki, welcher in seiner Stadt Dubiecko (in Galizien) eine Schule anlegte, die er Stancari’s Aufsicht übergab. Ein Geistlicher, Martin Krowicki, predigte gegen die Verehrung der Heiligen und der Bilder als der ersten christlichen Kirche unbekannte Misbräuche, und las Messe in der Landessprache. Jakob Sylvius, Pfarrer zu Krzemien, war der erste, der im Jahre 1547 die Messe ganz aufgab, und Felix Cruciger von Szczebrzeszyn, Pfarrer zu Niedzwiedz bei Krakau, begann schon 1546 die reine evangelische Lehre von der Kanzel zu erklären. Viele

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*) S. Wengierski’s Geschichte der reformirten Kirche zu Krakau.

 

 

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einflußreiche Staatsbeamte bekannten sich offen zu den Lehren der Reformatoren. Solche mächtige Anhänger schützten die Reformatoren gegen die Verfolgung der katholischen Geistlichkeit und erleichterten ihnen die Ausbreitung ihrer Lehren, doch scheinen ihre Meinungen vor dem Jahre 1548, mit Ausnahme einiger Fälle, noch keine bestimmte Bekenntnißform angenommen zu haben. Sie erkannten nur die Mißbräuche und Irrthümer der römischen Kirche, ohne zu einer klaren Einsicht in die evangelischen Wahrheiten oder zu bestimmten, aus schriftmäßigen Gründen abgeleiteten Schlüssen gelangt zu sein. Erst unter der Regierung Siegmund August’s erhielt den Protestantismus eine bestimmte Bekenntnißform. Die Lehren Zwingli’s und Calvin’s gewannen unter den Edelleuten mehr Eingang als das Lutherthum, das in den Städten besonders durch deutsche Ansiedler verbreitet wurde. Die gegen die Lehre von der Dreifaltigkeit gerichteten Meinungen, welchen später die zahlreiche Secte der polnischen Brüder oder Socianer ihren Ursprung verdankte, waren besonders unter den Edelleuten verbreitet.

 

Wir haben vielfältig den Einfluß geschildert, den die hussitische Reformation auf Polen gewann, und dürfen einen Umstand nicht übergehen, der zur Einführung der von den böhmischen Brüdern angenommenen Lehren in Polen nicht wenig beitrug, nämlich die Auswanderung dieser Gemeinde aus Böhmen nach Preußen und Polen. Schon bei dem ersten Entstehen der hussitischen Reformation hatten sich einige auffallende Meinungsverschiedenheiten unter ihren Anhängern gezeigt, welche sich im Laufe der Zeit in zwei Parteien, die Calixtiner und die Taboriten trennten. Jene, die ihren Namen dadurch erhielten, daß sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt foderten, waren weit gemäßigter in ihrem Verlangen nach einer Kirchenverbesserung als die Taboriten, welche eine vollständige Entwickelung der Lehren Wicliff’s foderten und alles verwarfen, was einer schriftmäßigen Begründung ermangelte. Nach dem Tode des Anführers der Taboriten, Ziska, erschien eine dritte Partei, die Waisen, die einen Mittelweg einschlugen, kühner als die Calixtiner, gemäßigter als die Taboriten, sich aber in jene Parteien verloren zu haben scheinen. Später wurde die Trennung durch den Vergleich (die Compactata) von 1433 vollendet, in welchem die Kirchenversammlung zu Basel die Böhmen in den Schoß der Kirche aufnahm. Die Calixtiner wollten die Oberherrschaft des Papstes anerkennen, wenn er die Zugeständnisse der Kirchenversammlung bestätigte, die Taboriten aber verwarfen jene Bedingungen, welche sie mit Recht als gefährlich für den reformierten Glauben ansahen, und es entging ihnen nicht, daß eine solche Annäherung die vollständige

 

 

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Wiederherstellung der katholischen Kirche herbeiführen werde. Die Calixtiner siegten, und die Taboriten, die zur Minderzahl herabsanken, blieben auch nach dem Verluste ihrer politischen Stärke den reinem evangelischen Lehren treu. Sie gaben sich um das Jahr 1450 den Namen böhmische Brüder und bildeten 1456 eine eigene Glaubensgemeinde, die sich durch bestimmte Formen von den übrigen Hussiten trennte. Im Jahre 1458 erlitten sie von den Katholiken und Calixtinern eine harte Verfolgung in Mähren, die sich 1466 erneuerte, aber den Glaubenseifer und Muth der Brüder nicht unterdrückte. Sie hielten eine Synode zu Lhota, und gründeten ihre Kirche durch Erwählung von Aeltesten nach dem Gebrauche der christlichen Urkirche. Stephan, Bischof der östreichischen Waldenser, weihte die ersten Priester der neuen Kirche, die einer fortdauernden Verfolgung ausgesetzt war und ihre Synoden und gottesdienstlichen Versammlungen in Wäldern, Höhlen und andern verborgenen Oertern halten mußte. Ihre Leiden wurden unterbrochen, als Wladislaw Jagello den böhmischen Thron bestieg und den böhmischen Brüdern vollkommene Glaubensfreiheit gewährte. Als um dieselbe Zeit auch der König von Ungarn, Matthias Corvinus, die in Mähren gegen sie gegebenen Verordnungen aufhob, hofften sie auf glücklichere Zeiten für ihre Kirche, die im Jahre 1500 schon zweihundert gottesdienstliche Gebäude zählte. Sie wurden im Jahre 1503 von allen öffentlichen Aemtern ausgeschlossen, aber die Rechtfertigung ihres Glaubens, die sie überreichten, überzeugte den König Wladislaw von ihrer Unschuld und that der Verfolgung Einhalt; schon 1506 gelang es jedoch der katholischen Geistlichkeit, eine neue heftige Verfolgung zu erregen, unter dem Vorwande, daß dadurch die schwangere Königin eine glückliche Entbindung erlangen werde. Die Brüder suchten sich auf alle Weise von den wider sie erhobenen Beschuldigungen zu reinigen und schickten 1511 eine Darstellung ihres Glaubens an Erasmus, der darin keine Irrthümer fand. „Wenn eure Gemeinde, schrieb er, ihre Priester erwählt, so verstößt sie dadurch nicht gegen die Gebräuche der Urkirche, und es ist nicht zu tadeln, daß man ungelehrte Leute erwählt, weil Reinheit des Leben den Mangel an Gelehrsamtkeit ersetzt.” Luther begriff noch im Jahre 1522 nicht die Lehrmeinungen der böhmischen Brüder, da er noch nicht ganz frei von dem Einflusse des Romanismus war, und schmähte sie heftig, schon 1533 aber war er ganz mit ihnen ausgesöhnt. Im Jahre 1542 kamen einige Abgeordnete der böhmischen Brüder, und unter ihnen der gelehrte Prediger Georg Israel *), zu Luther, der sie mit großer

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*) Früher Prediger zu Tarnow in Böhmen, kam er 1548 nach Polen, wo er mehre Kirchen gründete und der erste Oberaufseher der böhmischen Gemeinde wurde. Er starb 1588 und hinterließ unter andern Schriften eine Geschichte der Ansiedelung der böhmischen Brüder in Polen.

 

 

 

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Auszeichnung empfing, und den Wunsch aussprach, daß durch die Brüder die Bekehrung der slavischen Völker bewirkt werden möchte. Als das Haus Oestreich auf den böhmischen Thron gelangte, begann eine heftige Verfolgung gegen die Brüder. Der Reichstag zu Prag erließ strenge Gesetze gegen sie und König Ferdinand beschloß 1544, sie gänzlich auszurotten. Ihre Bethäuser wurden verschlossen, ihre Prediger verhaftet. Im Jahre 1547 befahl der König den Brüdern, das Land in zwei und vierzig Tagen zu verlassen, und die Verordnung wurde sogleich vollzogen. Sie entschlossen sich nach Preußen zu ziehen, wo der Herzog Albert ihnen eine Zuflucht anbot. Im Januar 1548 zogen mehre Gemeinden, gegen tausend Seelen, in drei Abtheilungen durch Schlesien und Polen nach Preußen. Die letzte dieser Abteilungen, ungefähr vierhundert Personen, kam, von ihren Predigern geführt, im Junius nach Posen; alle Pilger aber standen unter der Leitung ihres Aeltesten Matthias Sionius, den der protestantische polnische Geschichtschreiber Wengierski den Führer des Volkes Gottes nennt. Andreas Gorka, Castellan von Posen, ein unermeßlich reicher Edelmann, empfing die frommen Wanderer mit dem größten Wohlwollen und gewährte ihnen Aufnahme auf seinen Gütern. Die Brüder hielten öffentlich ihren Gottesdienst, und ihre Gesänge und Predigten in der dem Volke verständlichen böhmischen Sprache gewannen ihnen allgemeine Theilnahme. Durch ihre Abstammung und ihre Sprache ein Zweig der Slaven, erhielten die böhmischen Brüder in Polen viele Vortheile, welche das Lutherthum von deutschem Ursprunge nicht besaß, und sie hatten gegründete Hoffnung, ganz Groß-Polen für ihre Lehren zu gewinnen. Der Bischof von Posen, Izbicki, der die Gefahr erkannte, welche die böhmischen Brüder seinem Sprengel bringen konnten, erlangte durch den Einfluß der Bischöfe und einiger eifrigen katholischen Senatoren eine königliche Verordnung, welche die Brüder aus dem Lande wies. Diese Verordnung wurde jedoch auch auf einen politischen Grund gestützt, da kurz zuvor ein Vertrag zwischen Böhmen und Polen festgesetzt hatte, daß keiner der beiden Staaten die ausgewanderten Unterthanen des andern aufnehmen sollte. Die Brüder verließen Polen und zogen nach Preußen, hatten aber schon reichlichen Samen in der Provinz ausgesäet, wo sie einige Zeit gewesen waren, und später wurden von ihnen viele blühende Gemeinden in jenem Theile Polens gegründet.

 

 

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In diesem Zustande war Polen bei dem Tode Siegmund’s l. Die Meinungen der Reformatoren von verschiedenen Schattirungen waren im Lande verbreitet, hatten aber noch keinen Bestand gewonnen und keine bestimmte Form angenommen, als Gemeinden gegründet wurden, welche der Glaubensregel und den gottesdienstlichen Formen der im westlichen Europa gestifteten reformirten Kirchen folgten.

 

 

 

 

 

Dritter Abschnitt.

Fortschritte der Reformation in den ersten Regierungsjahren Siegmund August’s.

 

 

Als Siegmund August den Thron bestieg, war sein Recht auf die Oberherrschaft unbestritten, da diese wichtige Angelegenheit durch seine Wahl und Krönung in seinen Knabenjahren war erledigt worden *); obgleich aber sein Recht auf den Thron fest stand, so ward er doch an einer Stelle angegriffen, die ihm theurer als die Krone seiner Väter war. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin, Elisabeth von Oestreich, hatte er die schöne und geistreiche Witwe des Palatins Gastold von Troki, Barbara Radziwill, geheirathet, und dieses vor seines Vaters Tode verheimlichte Bündniß wurde gleich nach seiner Thronbesteigung bekannt gemacht. Es regte sich in ganz Polen ein heftiger Widerspruch gegen des Königs Heirath, und besonders wirkte dabei die Eifersucht des Adels gegen die schon mächtige Familie Radziwill, deren Einfluß durch dieses Bündniß vermehrt wurde, obgleich das Gesetz, welches die Vermählung eines Königs ohne Einwilligung des Reichstags verbot, erst viele Jahre später erlassen ward. Auch glaubten viele, eine günstige Gelegenheit zu neuen Beschränkungen der königlichen Gewalt gefunden zu haben. Der Widerstand gegen des Königs Ehe war auf dem Reichstage zu Piotrkow so heftig, daß der Erzbischof Dzierzgowski, der durch seinen Haß gegen die Protestanten bekannt war, sich bereit erklärte, den König von dem seiner Gemahlin geleisteten Eide zu entbinden und die Sünde des Meineides unter alle Unterthanen des Reiches zu vertheilen. Der König blieb jedoch standhaft und seine Festigkeit hatte, in Verbindung mit dem Beistande

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*) Er wurde im Jahre 1519 geboren und 1529 gekrönt.

 

 

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einiger treuen Freunde, den günstigen Erfolg, daß der Widerstand besiegt und Barbara als Königin anerkannt und von ihrem Gegner Dzierzgowski selbst gekrönt wurde. Die Protestanten benahmen sich bei dieser Gelegenheit sehr unklug. Sie hätten den König gegen seine Widersacher unterstützen müssen, um ihn für ihre Interessen zu gewinnen, und sie hatten dazu einen Beweggrund mehr, da Barbara’s Verwandte sich zu den protestantischen Lehren bekannten und die Feindschaft des Oberhauptes der katholischen Kirche in Polen gegen die junge Königin die Protestanten zu ihrer Vertheidigung auffodern mußte. Dies geschah jedoch nicht, und die protestantischen Edelleute verbanden sich mit den Katholiken in ihrem unsinnigen Geschrei gegen die Ehe des Könige. Sie ließen sich durch die eingebildeten Vortheile ihres Standes über die wahren Interessen ihres Glaubens verblenden, denn es läßt sich in der Eifersucht, womit der Adel seine Vorrechte gegen die Gefahren zu schützen suchte, die der übermächtige Einfluß des Hauses Radziwill ihnen drohen mochte, kein patriotischer Beweggrund erkennen.

 

In die erste Regierungszeit des Königs fiel ein Ereigniß, das unbedeutend an sich, in seinen Folgen wichtig war und zur Verbreitung der protestantischen Lehren in Polen nicht wenig beitrug. Eine Lustdirne, Regina Strzemotska, ward im Jahre 1549 von einigen Studenten, die vor dem Allerheiligen-Collegium in Krakau standen, öffentlich beschimpft, und rief die Dienerschaft des Stiftsheren Czarnkowski zu Hilfe. Die Dienerschaft nahm Partei gegen die Studenten und es erfolgte ein Streit, in welchem die mit Feuergewehr bewaffneten Diener einige ihrer Gegner tödteten. Die Studenten verbanden sich, um Genugthuung zu erlangen. Sie zogen sämmtlich nach dem königlichen Schlosse, um Gerechtigkeit gegen die Mörder, besonders aber gegen Czarnkowski zu erbitten, den sie als Haupturheber des Verbrechens anklagten. Der Bischof von Krakau widerrieth ihnen, in einem so zahlreichen Haufen nach dem Schlosse zu ziehen, da sie die königliche Würde dadurch beleidigen würden, und versprach ihnen Abhilfe ihrer Beschwerde. Sie entfernten sich und zogen mit den Leichen ihrer Freunde durch die Straßen, indem sie heftige Reden hielten. Sie erwählten dann einen aus ihrer Mitte, der die gerichtliche Verfolgung der Schuldigen leiten sollte, wobei sie erklärten, daß sie die Universität, ja selbst das Land verlassen würden, wenn sie nicht Gerechtigkeit erhielten. Der König gab den Abgeordneten der Studenten Gehör, die eine Anklage vorbrachten, deren Heftigkeit bewies, wie sehr sie die geistliche Gewalt haßten. Sie beschuldigten Czarnkowski, er habe als Vorstand des Allerheiligen-Collegiums seinen Dienern befohlen, Gewalt anzuwenden; er aber

 

 

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bewies dagegen, daß er nicht zu Hause gewesen war, als der Aufstand ausbrach und der Mord begangen wurde. Der König tadelte das aufrührerische Benehmen der Studenten und übertrug die Untersuchung der Sache dem Bischof Maciejowski von Krakau, als Kanzler der Universität, der sich durch seine milden Gesinnungen und sein freies Benehmen auszeichnete. Die Studenten erschienen nicht vor dem Richter, den sie für parteilich hielten, und weigerten sich, ihre Anklage auszuführen. Czarnkowski wurde für unschuldig erklärt, die Diener aber kamen in’s Gefängniß, da jedoch kein Ankläger erschien, fand keine gerichtliche Verhandlung statt. Die Studenten beschlossen, die Universität zu verlassen, und da man keinen Zwang anwenden konnte, suchten die Behörden durch versöhnliche Mittel sie davon abzuhalten. Man beschied die Studenten in die Franciscanerkirche, wo sie die Vorsteher der Universität, den Bischof von Krakau und Johann Tarnowski, den geachtetsten Edelmann seiner Zeit, versammelt fanden. Tarnowski versprach ihnen die Bestrafung der Schuldigen und man hörte ihn mit großer Aufmerksamkeit an; als aber der Bischof das Wort nehmen wollte, ward er unterbrochen und er suchte vergebens, sich Gehör zu verschaffen. Die Studenten verließen Iärmend die Kirche und faßten den Entschluß, am folgenden Tage aus der Stadt zu ziehen. Krakau war in Trauer versenkt und man hörte nur Seufzer, Klagen und Abschiedsgrüße. Die Studenten versammelten sich am bestimmten Tage, und als sie die Messe gehört hatten, begannen sie, fromme Lieder singend, ihre Pilgerfahrt. Einige ließen sich zur Rückkehr bewegen, die meisten aber verließen das Land und zogen auf ausländische Hochschulen. Viele gingen nach Schlesien, wo die berühmte Schule zu Goldberg unter Frankendorf’s Leitung zu jener Zeit in dem blühendsten Zustande war, und andere besuchten die Universität zu Königsberg, die Herzog Albert von Preußen im Jahre 1544 gestiftet hatte, um religiöse und wissenschaftliche Bildung unter den Deutschen, Polen und Lithauern in Preußen zu befördern. Fast alle kehrten mit protestantischen Meinungen zurück und trugen viel dazu bei, die neue Lehre unter ihren Angehörigen zu verbreiten.

 

Ein anderes gleichzeitiges Ereigniß bewies, wie sehr bereits die protestantischen Meinungen in Polen erstarkt waren. Valenty, Pfarrer zu Krzczonow im bischöflichen Sprengel zu Krakau, trat öffentlich in den Ehestand. Von dem Bischofe Maciejowski vor das geistliche Gericht geladen, erschien er kühn in Begleitung einiger Männer, die sich durch hohen Rang oder Gelehrsamkeit auszeichneten, wie Nikolaus Rey von Nuglovice, als erster polnisches Dichter berühmt und ein eifriger

 

 

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Freund der Reformation, für welche er auch durch Schriften wirkte *), und Remigius Chelmicki. Auch Orzechowski, der später sich großen Ruhm erwarb, unterstützte ihn durch seine beißende Feder. Unter dem Beistande solcher Verbündeten suchte Vatenty der richterlichen Entscheidung nicht auszuweichen, sondern betrachtete, sie als eine passende Gelegenheit, seine gegen die römische Kirche gerichteten Meinungen zu verkünden. Der Bischof Maciejowski aber, der voraussah, daß es unmöglich war, nach einer solchen Untersuchung einen Urtheilspruch gegen Ketzerei zu vollziehen, und daß diese nur neue Kräfte erlangen werde, indem die Schwäche der Geistlichkeit sich offenbaren mußte, gab wirklich die gerichtliche Verfolgung auf. Sein Nachfolger Zebrzydowski, der sich unter Erasmus von Rotterdam zu einem ausgezeichneten Gelehrten gebildet hatte, aber nicht so mild und versöhnlich gesinnt war, als Maciejowski, hatte die frühere Hinneigung zu den protestantischen Lehren, die er als Mitglied des Vereins zu Krakau zeigte, aufgegeben und war ein eifriger und heftiger Verfechter der römischen Kirche geworden, wiewohl seine Gegner ihn laut eines entschiedenen Unglaubens beschuldigten. **) Er faßte den Entschluß, gegen die zunehmende Ketzerei aufzutreten, und foderte einen Gutsbesitzer, Konrad Krupka Przeclawski, welcher der Begünstigung des Lutherthums und der Verweigerung der Zehnten beschuldigt wurde, vor seinen Richterstuhl. Der Angeklagte erschien mit mehren angesehenen Edelleuten, die seine Ansichten theilten. Als er über seine Glaubensmeinungen befragt wurde, gab er zur Antwort, er glaube an das Evangelium, das wahre Wort Gottes, und an Christus, das Haupt der Kirche, und auf die Auffoderung, die eigentliche Bedeutung seiner Worte zu erklären, legte es sie dreist in einem gegen den Katholicismus gerichteten Sinne aus, und suchte seine protestantischen Ansichten nicht zu verhehlen. Der Bischof bot dem Angeklagten, unter der Bedingung des Widerrufes

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*) Außer seinen Uebersetzungen der Psalmen und der Offenbarung Johannis, machte er sich besonders durch seine 1556 erschienene Postilla bekannt, die viel zur Verbreitung der protestantischen Lehren beitrug und mit Karikaturen auf den Papst und die Cardinäle geziert war. Unter seinen übrigen Schriften ist besonders das „Bild eines ehrlichen Mannes“ zu erwähnen, das eine merkwürdige Schilderung der polnischen Sitten im sechzehnten Jahrhundert enthält. Er starb 1569. S. Juszynki’s Biographien der polnischen Dichter.

**) Lubieniecki, ein socinianischer Schriftsteller, behauptet, der Bischof habe gesagt: „Das Gras, das die Sichel abschneidet, wird wieder wachsen, ich aber, einmal von der Sichel des Todes abgemäht, werde nicht wieder auferstehen. Glaubt meinetwegen an einen Bock, nur bezahlt mir meine Zehnten.”

 

 

 

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seiner Meinungen, Verzeihung an, als Przeclawski aber den Antrag verwarf, erklärte er ihn für einen Ketzer, verurtheilte ihn zum Tode und zu dem Verluste seiner Güter und empfahl den weltlichen Gerichten, dieses Urtheil zu vollziehen. Es war jedoch leichter, ein solches Urtheil zu sprechen als zu vollstrecken. Der Gedanke, daß ein Bischof sich die Macht anmaßen wollte, einen Edelmann wegen seiner Meinungen zum Tode zu verurtheilen, was selbst ein König von Polen sich nicht willkürlich erlauben durfte, erregte allgemeinen Unwillen selbst unter dem katholischen Adel. Der Kanzler wagte es nicht, den Befehl zur Vollziehung des kirchlichen Urtheilspruches zu geben, da er einsah, welche gefährliche Folgen für die römisch-katholische Hierarchie daraus hervorgehen würden. Siegmund August war gar nicht geneigt, die Interessen des Romanismus durch die Gestattung einer solchen Gewaltthätigkeit gegen die Freiheit seiner Unterthanen zu befördern, was für sein eigenes Ansehen nicht ohne Gefahr gewesen sein würde. Es blieb der Geistlichkeit nichts übrig, als den Bann gegen Przeclawski auszusprechen, da dies aber keine bürgerlichen Nachtheile hervorbrachte, so war es gleichgiltig für einen Mann, der sich öffentlich für die protestantischen Lehren erklärt hatte.

 

In jenem Falle, wo es deutlich hervortrat, daß die römisch-katholische Geistlichkeit nicht im Stande war, den Protestantismus gewaltsam zu unterdrücken, hatte zwar die Sache der Reformation einen glänzenden Sieg errungen, aber sie wurde doch immer nur gleichsam passiv durch Verkündigung antikatholischer Meinungen, durch die Verheirathung einiger Priester und durch die verweigerte Bezahlung der geistlichen Zehnten befördert. Den ersten unmittelbaren Angriff auf die römische Kirche machte Nikolaus Olesnicki, welcher, durch Stancari bewogen, die Mönche eines Klosters in der ihm gehörenden Stadt Pinczow vertrieb, die Bilder aus der Kirche warf und einen öffentlichen protestantischen Gottesdienst nach der Kircheneinrichtung von Genf einführte. Dieser offene Angriff konnte nicht übersehen werden. Auf die erhaltene Vorladung erschien Olesnicki vor dem geistlichen Gerichte zu Krakau, aber in so zahlreicher Begleitung von Freunden und Untergebenen, daß die Behörde erschrak und ihre Sitzungen nicht zu halten wagte. Die Geistlichkeit überließ die Entscheidung der Sache dem Könige und gestand dadurch ein, daß sie nicht im Stande wäre, mit der Ketzerei es aufzunehmen, und indem sie von der richterlichen Würde herabstieg, wurde sie zu einer bloßen Partei. Olesnicki erschien vor dem Könige und dem Senat und gestand offen seine Meinungen und Handlungen. Der Dichter Nikolaus Rey trat bei jener GeIegenheit

Krasinski.

 

 

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als Sachwalter des Protestantismus auf, er brachte die bittersten Anklagen gegen die Klöster, die Geistlichkeit und die römische Kirche überhaupt vor und sprach seinen Dank gegen Olesnicki aus, der statt eines verachteten Glaubens seinen Landsleuten eine wahrhaft christliche Gottesverehrung gezeigt habe. Der Bischof Zebrzydowski vertheidigte die herrschende Kirche und versuchte, die protestantischen Lehren mehr aus politischen, als aus religiösen Gründen anzugreifen. „Was wird die Folge sein, fragte er, wenn die Ketzerei volle Freiheit unter uns erhält? Der zügellose Pöbel wird sich dann vor keinem Verbrechen scheuen. Es wird eben so viel Gesetzlosigkeit eintreten als in Deutschland herrscht, wo der Bauer nicht mehr dem Edelmanne, der Edelmann nicht dem Fürsten, der Fürst nicht dem Kaiser gehorcht. Fällt die Geistlichkeit, so wird es auch mit der bürgerlichen Gewalt zu Ende sein. Man muß ein Beispiel stiften und die gefährlichen Neuerungen durch strenge Gesetze unterdrücken.”

 

Nach dem Zeugnisse katholischer Schriftsteller stimmte der König wie der Senat einmüthig für eine schwere Strafe, und selbst der einflußreihe Tarnowski war für strenge Maßregeln, aber diese allgemeine Ansicht fand ein Gegengewicht in der einzelnen Stimme des Castellans von Biecz, Valenty Dembinski, der den König und den Senat überredete, von jedem gewaltsamen Verfahren abzustehen und milde Maßregeln anzunehmen. Diese Behauptung möchte jedoch aus mehren Gründen unrichtig sein. Es ist bekannt, daß Johann Tarnowski *) schon zu jener Zeit den Lehren der Reformatoren

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*) Tarnowski ist einer der edelsten Charaktere in der polnischen Geschichte. In einer der ersten Familien im J. 1488 geboren, ging er nach Vollendung seiner Studien auf Reisen und besuchte Palästina, Syrien und die Küsten des schwarzen Meeres. Später begleitete er den König Emanuel von Portugal auf einem Kriegszuge nach Afrika, und zeichnete sich so sehr aus, daß der König ihn durch die glänzendsten Anerbietungen für seine Dienste zu gewinnen suchte. Nachdem er darauf die Höfe des Königs von Frankreich, Franz l., Karl’s V. und des Papstes Leo X. besucht hatte, kehrte er nach Polen zurück, wo er zu den höchsten Würden emporstieg und als Kronfeldherr an der Spitze des polnischen Heeres stand. Karl V. machte ihn zum Grafen des römischen Reiches. Sein Reichthum war so groß, daß er dem vertriebenen Könige von Ungarn, Johann Zapolya, eine Zuflucht in seiner Stadt Tarnow geben und ihn zwei Jahre lang mit königlicher Pracht bewirthen konnte. Er starb 1571 zu Tarnow. Er hinterließ mehre Werke, unter andern: „De bello cum juratissimis christianae fidei hostibus gerendo“, das er schrieb, als Karl V. ihn bat, ein Heer gegen die Türken anzuführen, und ein 1558 in polnischer Sprache gedrucktes Buch über die Kriegskunst. Auch schrieb er eine Geschichte seiner Zeit, die er jedoch nie herausgab. Die katholische Geistlichkeit bot alles auf, ihn im Schooße der alten Kirche zu erhalten, Tarnowski aber zeigte zwar viel Mäßigung, war jedoch entschieden für große Verbesserungen und suchte von dem Papste das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, den Gottesdienst in der Landessprache, die Priesterehe und die Abschaffung der Fastenpflicht zu erlangen. Tarnowski’s Leben beschrieb Bohomolec, der des gelehrten Bischofs Padniewski ungedruckte „Elogia illustrium Poloniae virorum suae aetatis“ benutzte.

 

 

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geneigt war, zu welchen er sich endlich bekannte, und er würde daher wohl nicht zu einer stengen Bestrafung seiner Meinungsgenossen gerathen haben. Es gibt ferner genügende Beweise, daß auch viele Senatoren sich bereits für die protestantischen Lehren erklärt hatten, und es läßt sich nicht annehmen, daß ein einmüthiger Beschluß gefaßt worden sei, der ein für die Interessen ihres Glaubens nachtheiliges Beispiel gewesen sein würde. Es ist überdies wohl nicht möglich anzunehmen, daß der König und der Senat ernstlich daran hätten denken können, einen Mann wie Olesnicki zu bestrafen, der zu einer der ersten Familien des Landes gehörte und durch seinen Reichtum und seine Verwandten großen Einfluß hatte, wenn unbedeutende Leute, wie Krupka und der Pfarrer Valenty, trotz aller Bemühungen der Geistlichkeit, unbestraft blieben. Das Wahre ist, daß Olesnicki nie wegen Ketzerei in gerichtliche Untersuchung gezogen wurde, da solche Fälle vor die geistlichen Gerichte gehörten, sondern nur wegen der gegen die katholischen Priester begangenen Gewaltthat in Verantwortung kam. Man foderte ihm das Versprechen ab, den Mönchen, die er vertrieben hatte, ihr Kloster zurückzugeben, aber diese abgedrungene Zusage wurde nie erfüllt. Der Protestantismus zeigte zwar bei jener Gelegenheit sich stark genug, gegen die herrschende Kirche in Polen kämpfen und den gewonnenen Boden behaupten zu können, hatte aber noch keinen gesetzlichen Bestand, keine von der Landesgesetzgebung anerkannten Rechte und konnte nur als eine glückliche Empörung gegen die alte Ordnung der Dinge betrachtet werden.

 

Die römische Kirche in Polen erkannte deutlich die Gefahren, die ihr drohten. Der Erzbischof von Gnesen Dziergowski, der heftige Gegner der Heirath des Königs mit Barbara Radziwill, berief im Jahre 1552 eine Synode nach Piotrkow, welche den Entschluß faßte, die Ketzerei auszurotten, die sich bereits unter der Geistlichkeit selbst zu verbreiten anfing. Hosius, Bischof von Ermland, der später durch seine erfolgreiche Feindseligkeit gegen die Reformation und durch die Einführung der Jesuiten eine traurige Berühmtheit erlangte, entwarf zu jener Zeit eine Bekenntnißformel, welche als Prüfstein der Rechtgläubigkeit

 

 

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für jeden wahren Katholiken dienen sollte. Außer den Grundlehren der römischen Kirche enthielt das Bekenntniß auch alle jene Ungereimtheiten und Gebräuche, die das neue Rom offenbar von den Heiden entlehnt hat. *) Der Erzbischof Dzierzgowski widmete dieses Bekenntniß dem Könige, den er Verfechter des Glaubens nannte, und den Geistlichen ward eingeschärft, es zu unterzeichnen, weil selbst viele Bischöfe sich den Verdacht der Ketzerei zugezogen hatten. Zugleich wurde beschlossen, den König zu bitten, daß er allen Staatsbeamten, dem Senat und dem Ritterstande befehlen möchte, das Bekenntniß zu unterschreiben und als einzige wahre Glaubensregel zu beobachten. Auch verbot jene Synode, Kirchenländereien an Personen zu verpachten, die sich der Ketzerei verdächtig gemacht hätten, und untersagte den Geistlichen, Oerter oder Gesellschaften zu besuchen, wo über Glaubenssachen gesprochen werden könnte. Außer jenen vorbauenden Maßregeln beschloß die Synode, auch noch andere eingreifendere anzunehmen. Es wurde beschlossen, mit einem Kampfe gegen ketzerische Edelleute anzufangen, und zu diesem Zwecke der Geistlichkeit eine bedeutende Abgabe aufzulegen. Eine harte Verfolgung gegen die Ketzer sollte beginnen, und man wollte des Königs Beistand durch die Aussicht auf die Einziehung der Güter der Ketzer erlangen. Vergebens zeigten die Bischöfe von Cujavien und Kamienietz auf die Gefahren, den mächtigen Ritterstand anzugreifen; der besonnene Rath wurde durch die Stimme des Fanatismus und der Leidenschaft übertäubt. Die Synode verfügte die Vollziehung ihrer heftigen Beschlüsse und die Bischöfe verbreiteten überall Vorladungen gegen die Geistlichen und Edelleute, die ihre Verbindung mit der römischen Kirche abgebrochen hatten. Der römische Hof stärkte sie in ihrem Entschlusse durch ein Umlaufsschreiben, das den Bischöfen die Ausrottung der Ketzerei empfahl. Das erste Opfer der Verfolgung war der Pfarrer zu Kurow, einem Orte der Familie Zbonski, die sich im funfzehnten Jahrhunderte bei der Ausbreitung der hussitischen Lehren von der römischen Kirche getrennt hatte. Der Pfarrer begann schon im Jahre 1550 die reine evangelische Lehre zu predigen und gewährte seiner Gemeinde das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Als er vor das geistliche Gericht geladen wurde, klagte er den Bischof seines Sprengels, Andreas Zebrzydowski an, und vertheidigte seine Lehren auf der Kanzel. Er wurde verhaftet und erlitt

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*) Z. B. „Glaubst du, daß das Weihwasser, die Anrufung der Heiligen und die Weihe der Kräuter wirksam sei?” „Glaubst du an das Fegefeuer, den Papst, die Messe, die Fasten, die Gelübde und die Ehelosigkeit der Priester?“

 

 

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den Märtyrertod durch Gift oder Hinrichtung. *) Als Stanislaus Stadnicki, Stancari’s Gönner, auf seinem Gute Dobiecko den protestantischen Gottesdienst eingeführt und die Taufe der Kinder nach der neuen Lehre verordnet hatte, und vor den Bischof von Przemysl geladen wurde, erbot er sich, seine Glaubensmeinungen zu vertheidigen, das geistliche Gericht aber wies dieses Anerbieten zurück und verurtheilte ihn zum bürgerlichen Tode und Güterverluste. Es wurden Vorstellungen gegen dieses gewaltsame Verfahren gemacht, der Bischof aber erwiderte, man dürfte gegen Ketzer keine Milde zeigen und müßte sie, gleichviel ob anwesend oder abwesend, schnell verurtheilen und vernichten. Der Urtheilspruch konnte jedoch nicht vollzogen werden, und Stadnicki rügte vor seinen versammelten Mitbürgern in den stärksten Ausdrücken die Eingriffe der Geistlichkeit in die Rechte und Freiheiten des Adels. „Die Geistlichkeit”, sagt er, „begnügt sich nicht, die Städte mit ihren Gräueln erfüllt zu haben, sondern sucht auch uns aus dem Lande zu treiben, nachdem sie vorher unsere Ehre uns genommen und unser Eigenthum uns geraubt hat. Sie gleicht wilden Thieren, welche, zu üppig gefüttert, ihre Ernährer zu zerreißen suchen. Wir müssen unseren Abgeordneten empfehlen, Gesetze zu geben, welche die Edelleute gegen den Verlust von Ehre, Leben und Eigenthum schützen, so lange sie nicht durch einen Spruch des Reichstages unter dem Vorsitze des Königs verurtheilt worden sind.” Die Geistlichkeit suchte die Ketzer überall in Polen zu verfolgen und der Erzbischof von Gnesen lud viele der ausgezeichnetsten Männer vor seinen Richterstuhl. Ein Priester, Martin Krowicki, der sich verheirathet haben sollte, würde den Märtyrertod erlitten haben, wenn er nicht bei Olesnicki in Pinczow Schutz gefunden hätte.

 

So sehr aber die römische Kirche zu jener Zeit wünschte, ihre Gegner durch die heftigste Verfolgung zu erdrücken, ihre blutigen Absichten wurden gehindert durch die freien Staatseinrichtungen und durch die allgemeine Abneigung der weltlichen Behörden, die grausamen Beschlüsse der geistlichen Gerichte gegen ihre Mitbürger zu vollziehen. Einzelne Fälle ausgenommen, wie die Hinrichtung des Pfarrers von Kurow, und wahrscheinlich einige, in der Finsterniß der Klöster verübte Gräuel, blieben die Bemühungen der Geistlichkeit, Verfolgungen der Ketzer anzufangen, ohne Erfolg, und ihr Versuch, die sinkende Macht der Kirche durch strenge Maßregeln gegen die Abtrünnigen wieder zu kräftigen, rief ein mächtiges Gegenstreben hervor, das den Bekennern

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*) Wengierski, Buch 1, Kap. 18.

 

 

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der protestantischen Lehren günstig war. Der Ritterstand, der stets sehr eifersüchtig auf die königliche Gewalt gewesen war und sie beschränkt hatte, um sich die Unverletzlichkeit seiner Personen und seines Eigenthums zu sichern, sah mit Schrecken das in der Kirche hervortretende Streben, eine Macht zu erlangen, die seiner Freiheit gefährlicher werden konnte, als die Gewalt des Königs. Der Gedanke, von einer Genossenschaft unterjocht zu werden, welche, von einem ausländischen unverantwortlichen Führer geleitet, sich das Recht anzumaßen suchte, über die Ehre, das Leben und das Eigenthum der Bürger zu entscheiden, erfüllte die Gemüther des polnischen Adels mit Entsetzen, und der Schrei des Protestanten Stadnicki ward in ganz Polen gehört, selbst unter den Edelleuten, die sich nicht von der römischen Kirche getrennt hatten.

 

 

 

Vierter Abschnitt.

 

Aufhebung der kirchlichen Richtergewalt. Orzechowski’s, Modrzewski’s und Stancari’s Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten Polens.

 

Stanislaus Orzechowski, bekannter unter seinem lateinischen Namen Orichovius *), wurde 1513 im jetzigen Gallicien geboren, und nachdem er seine erste Bildung in Przemysl erhalten hatte, setzte er seine Studien in Wien und endlich in Wittenberg fort, wo er Luther’s und Metanchthon’s Günstling ward. Er huldigte den Meinungen der Reformatoren, nicht, wie aus seinen eigenen Bekenntnissen hervorgeht, aus Frömmigkeit und Wahrheitsliebe, sondern weil er sie seiner verderbten Sinnesart angemessener fand. „In Deutschland — sagt er selbst — **) ward ich auf Neuerungen erpicht, und ich glaubte viel Ehre davon zu haben, wenn ich durch Einführung einiger deutschen Lehren mich vor meinen Altersgenossen auszeichnen sollte, zum Beispiel durch die Grundsätze, dem Papste nicht zu gehorchen, die Gesetze nicht zu achten, immer zu zechen und nie zu fasten, das Kircheneigenthum wegzunehmen, nichts von Gott zu wissen, die Mönche zu vertilgen.

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*) S. Bayle’s Dictionnaire historique et critique. Art. Orichorius.
**) St. Orichovii Roxolni chimera. Köln 1563

 

 

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Nach dreijährigen Studien kam ich auf die Wahrheit, daß alles, was alt ist, was von den Vätern stammt, nicht für gerecht gelten kann. Ich wünschte noch weiter zu kommen und wendete mich zu Carlstadt, von welchem man sagte, er habe alles, was ihm von Luther zugekommen sei, noch schlechter gemacht. Der Leitung solcher Führer überließ ich mich, und wer die meisten und kühnsten Neuerungen machte, galt mir für besser und geehrter.”

 

Diese Beschreibung seiner Meinungen, in grober und schimpfender Sprache ausgedruckt, wurde zu einer Zeit entworfen, wo Orzechowski zu den Römlingen übergegangen war und die Protestanten angegriffen hatte, und obgleich die Nachricht von seiner Verbindung mit den Reformatoren in der Absicht geschrieben ward, ihre Lehren gehässig zu machen, so gab er dabei doch zugleich ein treues Gemälde seiner leidenschaftlichen Sinnesart, die ihn während seines ganzen Lebens gefährlich als Freund und Feind machte. Nach Vollendung seiner Studien auf deutschen Hochschulen ging er nach Rom und kam endlich, ganz eingeweiht in die Lehren der Reformatoren, im Jahre 1543 nach Polen zurück. Er fing an, sie öffentlich in seinem Vaterlande zu verkünden, sah aber bald, daß sie ihm keine weltlichen Vortheile bringen konnten, während die katholische Kirche Reichthum und Ehre für ihre Vertheidiger zu spenden hatte. Er trat daher in den geistlichen Stand und erhielt einige Zeit nachher eine Stiftspfründe in Przemysl. Er konnte jedoch, obgleich Mitglied der katholischen Geistlichkeit, seine wahren Meinungen nicht verhehlen, da er stets von seinen unbezwinglichen Leidenschaften angespornt und von seinem Verwandten, Nikolaus Rey, gereizt wurde. Besorgt, durch einen offenen Angriff auf die römische Kirche die Vortheile zu verlieren, die er als einer ihrer Würdeninhaber genoß, griff er sie mittelbar an. In seiner Provinz war die griechische Kirche vorherrschend, und er begann nun in seinen Schriften die Kirchenversammlungen zu Ferrara und Florenz zu besprechen, wo der oströmische Kaiser und die griechischen Abgeordneten die Obergewalt des Papstes anerkannt hatten. Er legte zwar große Achtung gegen jene Kirchenversammlungen zu Tage und sprach mit anscheinender Ehrerbietung von der Unterwerfung der griechischen Kirche in Polen, äußerte aber günstige Meinungen über die Unabhängigkeit oder, wie Rom es nennt, die Abtrünnigkeit derselben, und vertheidigte offen die Priesterehe. Als er wegen versuchter, die Ruhe der Kirche und der Reinheit ihrer Lehren gefährlichen Neuerungen vor das geistliche Gericht geladen wurde, widerrief er seine Meinungen, und das Buch, worin er sie ausgesprochen hatte, wurde zum Feuer verurtheilt. Orzechowski blieb jedoch seiner

 

 

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Kirche nicht lange unterworfen, und wie erwähnt, vertheidigte er den Pfarrer von Krzczonow, der sich verheirathet hatte, eifrig gegen die Geistlichkeit. Bald nachher heirathete er selbst, und als der Bischof von Przemysl ihn deshalb vor seinen Richterstuhl Iud, erschien er in Begleitung so vieler und mächtiger Freunde, daß jener es nicht wagte, das Gericht zu eröffnen, sondern ihn wegen eines angeblichen Ungehorsams mit dem Kirchenbanne belegte und die Strafe der Ehrlosigkeit und des Güterverlustes gegen ihn aussprach. Orzechowski ließ sich dadurch nicht abschrecken. Er erschien in einer Kirche während des Gottesdienstes, der wegen seiner Gegenwart sogleich eingestellt ward, und gab der versammelten Gemeinde eine Rechtfertigung seines Benehmens. Zu gleicher Zeit klagte er bei dem Gerichte der Provinz über das gewaltsame und harte Verfahren der Kirche und legte gegen das bischöfliche Urtheil eine Berufung an den Erzbischof ein. Die Kirche aber war noch im Besitze ihres gesetzlichen Ansehens und der ausgesprochene Kirchenbann blieb in Kraft. Der König wurde bewogen, einen Befehl zur Vollziehung an den Palatin von Krakau zu erlassen, der es aber nicht wagte, eine Verfügung zu befolgen, welche mit der Volksmeinung im Widerspruche war, und verschob unter irgend einem Vorwande die Vollziehung bis zum nächsten Reichstage. Die kühnen Foderungen der römischen Kirche verbreiteten unter dem ganzen Volke einen allgemeinen Widerstand gegen die Eingriffe in die Freiheit der Bürger. Diese vorherrschende Regung hatte einen entschiedenen Einfluß auf den Reichstag, der sich im Jahre 1550 versammelte. Die ersten Edelleute, Fürst Nikolaus Radziwill, Martin Zborowski, Nikolaus Brudzewski, Rafael Leszczynski und Andreas Gorka im Senate, Peter Boratynski, Nikolaus Krzycki und Johann Sierakowski in der Kammer der Landboten, traten als Ankläger der römischen Geistlichkeit auf. Orzechowski, der durch seine feurige und glänzende Beredtsamkeit den allgemeinen Unwillen gegen die römische Kirche zu einer furchtbaren Flamme angefacht hatte, gewann einen mächtigen Einfluß auf die Verhandlungen des Reichstages, und er hauptsächlich beförderte bei jener denkwürdigen Gelegenheit die Sache der Glaubensfreiheit. Er Ias den Landboten die empörenden Ausdrücke des römisch-katholischen Bannfluches vor und fragte, ob man den Bischöfen gestatten wollte, durch solche grausame Verordnungen über das menschliche Leben zu verfügen. Die Kammer entschied, daß nur dem Könige das Recht zustehe, über Bürger zu richten und sie zu irgend einer Strafe zu verurtheilen, und sie bat den König dringend, den Bischöfen nicht zu gestatten, sich die Rechte der Krone anzumaßen. Orzechowski wendete sich mit gleicher Kühnheit an

 

 

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den König und den Senat. Er machte die bittersten Ausfälle gegen Rom und vertheidigte die Priesterehe mit kräftigen Gründen. Die Bischöfe erkannten ihren Fehler, und sahen ein, daß sie durch ihre unzeitige Strenge den Haß des Volkes erregt hatten, das ihre Richtergewalt durch seine versammelten Vertreter verwarf. Der König wagte es nicht, die so geschickt und kräftig vertheidigte Ketzerei zu verurtheilen, und es lag auch nicht in seinen Wünschen. Dies bewog die Bischöfe zu einem versöhnlicheren Benehmen, und Maciejowski, der sich stets gegen gewaltsame Mittel erklärt hatte, setzte auch bei dieser Gelegenheit seine gewöhnliche Mäßigung dem Eifer seiner Amtsgenossen entgegen. Der König verschob die Entscheidung über jene wichtige Angelegenheit. Einige wohlgesinnte Männer riethen zu einer versöhnlichen Besprechung zwischen den Bischöfen und Orzechowski, der diesen Vorschlag annahm und in Begleitung seiner geachtetsten Freunde erschien; die Geistlichkeit aber mochte sich der Demüthigung nicht unterwerfen, mit einem von ihr verurtheilten Schuldigen unter gleichen Bedingungen zusammen zu kommen und verweigerte ihm Gehör. Sie gewährte jedoch einen Aufschub, und ohne Oczechowski von dem Banne loszusprechen, setzte sie die Wirkungen desselben aus. Man wollte ihn bis zur Entscheidung des Papstes, bei welchem er die Erlaubniß, seine Gattin zu behalten, nachsuchen sollte, ungestört lassen.

 

Der Reichstag von 1550 ließ den wichtigen Streit zwischen der römischen Kirche und ihren Widersachern unentschieden, und billigte weder die Anmaßungen der Kirche, noch verwarf er die Ansprüche ihrer Gegner. Die Schwäche des Romanismus war offenbar, aber es gelang dem Protestantismus noch nicht, gesetzlichen Bestand zu gewinnen, obgleich die meisten angesehenen Männer des Landes sich ihm zugewendet hatten.

 

Der Unwille des Volkes gegen die römische Geistlichkeit und ihre Ansprüche war im Jahre 1552 beinahe der ausschließende Gegenstand der Verhandlungen bei den Wahlen. Einmüthig und entschieden gaben alle Wähler ihren Vertretern den Auftrag, auf dem nächsten Reichstage die Gewalt der Bischöfe zu beschränken. Die Wähler in dem Palatinat Rußland (Galicien), wo Orzechowski viele Freunde und Verbindungen hatte, waren noch bestimmter in ihren Foderungen als die übrigen und verlangten entschieden, daß der Reichstag die kirchliche Richtergewalt abschaffen sollte. Rom erkannte die Gefahr, und der Papst ersuchte den König, die Richtergewalt der Kirche zu schützen und die Beschlüsse der Bischöfe von Krakau und Przemysl in Vollziehung zu setzen.

 

 

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Das Streben des Reichstages, der im Jahre 1552 unter solchen Umständen berufen wurde, konnte nicht einen Augenblick zweifelhaft sein. In der Messe, die gewöhnlich vor der Eröffnung der Berathungen gehalten wurde, wendeten viele Landboten bei der Erhebung der Hostie das Gesicht ab, während der König und die Senatoren das Knie vor dem Sacrament beugten. Rafael Leszczynski sprach seine Meinungen noch entschiedener aus. Er stand vor dem König, ohne die geringste Ehrerbietung gegen die Messe zu zeigen, und sogar mit bedecktem Haupte bei den heiligsten Feierlichkeiten der römischen Kirche. Die Katholiken wagten es nicht, diese offene Verachtung ihres Gottesdienstes zu rügen, und die Kammer der Landboten billigte entschieden jene kühne Kundgebung widerkatholischer Meinungen, indem sie Leszczynski, der kurz zuvor die Senatorwürde niedergelegt hatte, zu ihrem Marschall oder Vorstand erwählte *). Die Stimmung der Mehrheit des Reichstages war so allgemein, daß Parteien von verschiedenen politischen Ansichten in ihrer Feindseligkeit gegen die Richtergewalt der Bischöfe übereinstimmten. Der Bischof von Przemysl, der den Kirchenbann gegen Orzechowski ausgesprochen hatte, zog sich von allen Seiten Vorwürfe zu, und selbst die Bischöfe tadelten es, daß er den Sturm erregt habe, der ihr Ansehen erschütterte und der römischen Kirche so viele Nachtheile brachte. Der König, zur Mäßigung geneigt, hegte den Wunsch, daß die Bischöfe von ihren Rechten etwas ablassen möchten, aber alle, mit Ausnahme des Bischofs von Wladislaw, der zur Mäßigung rieth, verweigerten jedes Zugeständniß.

 

Als der König sah, daß durch versöhnende Mittel nichts zu erlangen war, erließ er im Sinne der Mehrheit des Reichstags eine Verordnung, welche festsetzte, daß der Geistlichkeit zwar das Recht zustehen sollte, über Ketzerei zu entscheiden, keineswegs aber die Gewalt, bürgerliche Strafen gegen die Verurtheilten zu verhängen, oder daß sie nur über Glaubenssachen zu verfügen, ihre Aussprüche jedoch keine bürgerlichen Folgen haben sollten **). Diese Entscheidung, welche Glaubensfreiheit in Polen gründete, erregte im höchsten Grade den Zorn der Bischöfe. Sie legten eine feierliche Verwahrung gegen die Verfügung

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*) Er war ein Abkömmling jenes Wenceslaus von Leszna, der Huß in Konstanz vertheidigte, und der Ahnherr des Königs Stanislaus Leszczynski.

**) Einige katholische Schriftsteller, wie Bzovius, Bielski und Orzechowski nach seinem Uebergange zum Romanismus, haben die Folgen der Reichstagsverhandlungen in einem falschen Lichte dargestellt; Lubieniecki und Wengierski aber bezeichnen den Reichstag von 1552 richtig als die Zeit des Verfalls der Uebermacht der katholischen Geistlichkeit in Polen.

 

 

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ein, verließen den Sitzungsaal und drohten mit der Niederlegung ihrer Senatorwürde; da aber diese Drohungen nicht beachtet wurden und niemand sich bemühte, sie zurückzuhalten oder wieder in den Senat zu rufen, der seine Berathungen fortsetzte, so nahmen sie ihre Sitze wieder ein. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht für das Volk nützlich sein würde, die Senatorwürde denjenigen zu nehmen, die nicht der König, sondern der Papst ernannt habe, oder mit andern Worten, ob es angemessen sei, die Bischöfe aus dem Senate zu treiben; diese Anregung hatte jedoch eben so wenig Erfolg als die an den Reichstag gerichteten Gesuche für die Einführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt und die Priesterehe.

 

Die katholische Geistlichkeit suchte die erwähnte Entscheidung des Reichstags zu umgehen und fuhr fort, diejenigen in den Bann zu thun, die aus ihrer Kirche getreten waren. Die Bischöfe bemühten sich, die Starosten durch alle möglichen Mittel, besonders durch Drohungen mit dem Kirchenbanne, zur Vollziehung ihrer Verordnungen zu bewegen, und zuweilen zeigten einige jener Beamten, die der katholischen Kirche ergeben waren, sich geneigt, die Anmaßungen der Geistlichkeit zu unterstützen, bis der Reichstag im Jahre 1562 durch ein Gesetz befahl, daß kein Starost gegen die Verfügungen des Reichstags von Jedino handeln sollte, die den kirchlichen Beschlüssen keine Kraft beilegten. Die Kirche wollte die mit dem Kirchenbanne belegten Personen als bürgerlich todt betrachten, verweigerte ihnen das Recht, als Zeugen vor Gerichte zu erscheinen und quälte sie durch allerlei kleinliche Neckereien; aber die in den Jahren 1562, 1563 und 1565 erlassenen Verfügungen, welche nur Bestätigungen der 1552 gegebenen Verordnung waren, entschieden, daß die vom Kirchenbanne getroffenen Personen in ihren bürgerlichen Rechten nicht verletzt werden sollten.

 

Orzechowski, der als die Hauptursache der erzählten Ereignisse betrachtet werden kann und dessen Schriften die Schranken umstürzen halfen, welche die römische Kirche den Fortschritten der Reformation entgegensetzte, hätte leicht der Führer der protestantischen Partei werden können. Er wurde jedoch bei seinem unbeständigen Charakter und der Wandelbarkeit seiner Meinungen dem hohen Berufe untreu, zu welchem seine Geistesgaben und seine Kühnheit ihn zu berechtigen schienen. Der Reichstag von 1552 war noch damit beschäftigt, die Schritte der kirchlichen Gerichtshöfe gegen die Ketzer unwirksam zu machen, als Orzechowski, der jene, der römischen Kirche so feindseligen Verhandlungen hauptsächlich hervorgerufen hatte, sich mit dieser Kirche auszusöhnen

 

 

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suchte. Er ward im Februar 1552 von dem Kirchenbanne losgesprochen, erklärte vor einer katholischen Synode seine vollkommene Uebereinstimmung mit den kirchlichen Lehren und legte seine geistlichen Würden nieder, während er zugleich dem römischen Stuhle die Entscheidung über seine Ehe überließ, deren Genehmigung die Bischöfe ihm versprachen, welche alles aufboten, den Protestanten einen so kraftvollen Verfechter zu entziehen. Der Papst verschob die Entscheidung über einen so wichtigen Gegenstand, da er es nicht wagte, die Ehe eines Priesters zu genehmigen, und Orzechowski war überdies minder gefährlich als früher, seit durch den Abfall von seinen ehemaligen Meinungen der Einfluß verloren gegangen war, den er auf das ganze Volk ausgeübt hatte. Er sah bald, daß der Papst ihn nur hinhalten wollte, und er begann von Neuem seine Angriffe mit kräftigen Beweisen und den bittersten Ausfällen. Man höre einige Stellen aus seinen Briefen an den Papst Julius III. „O heiliger Vater, ich beschwöre Euch um Gottes willen, bei unserem Herrn Jesus Christus und bei den heiligen Engeln, Ieset was ich Euch schreibe und gebt mir eine Antwort. Spielt mir keine Streiche. Ich werde Euch kein Geld geben und will keinen Handel mit Euch machen“. „Bedenkt es, Julius, bedenkt es wohl, mit wem Ihr zu thun habt, nicht mit einem Italiener, sondern mit einem Polen, nicht mit einem von Euren gemeinen päpstlichen Unterthanen, sondern mit dem Bürger eines Reiches, dessen König selbst den Gesetzen gehorchen muß. Ihr könnt mich zum Tode verurtheilen, wenn Ihr wollt, aber Ihr seid dann doch noch nicht mit mir fertig, da der König Euer Urtheil nicht vollziehen wird. Die Sache wird dem Reichstage zugewiesen werden. Die Römer beugen das Knie vor dem Schwarm Eurer Diener und tragen auf ihrem Nacken das entwürdigende Joch römischer Schreiber, aber so ist es nicht bei uns, wo das Gesetz selbst über den Thron herrscht. Der König unser Herr kann nicht thun, was ihm beliebt, er muß thun, was das Gesetz vorschreibt. Er wird nicht, wenn Ihr ihm ein Zeichen mit dem Finger gebt oder den Fischerring vor seinen Augen blitzen laßt, zu mir sagen: „Stanislaus Orzechowski, Papst Julius will, daß Ihr in die Verbannung geht, so gehet denn!" Ich versichere Euch, der König kann nicht wünschen, was Ihr thut. Unsere Gesetze erlauben ihm nicht, jemand zu verhaften oder zu verbannen, der nicht durch ein zuständiges Gericht verurtheilt worden ist.“

 

Orzechowski’s Schriften wurden in das päpstliche Verzeichniß der verbotenen Bücher gesetzt, und die katholischen Schriftsteller erklärten ihn für einen Diener des Satans. Diese Schritte aber reizten ihn nur zu neuen und heftigeren Angriffen, und er richtete an den Papst

 

 

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Paul IV. *) folgende Worte: „Seit der abscheuliche Caraffa, der sich Paul IV. nennt, Moses und Christus aus der Kirche geworfen hat, werde ich gern ihnen folgen. Kann ich es für eine Schmach halten, ein Genosse derjenigen zu sein, die er Ketzer nennt? Dieser Fluch wird eine Ehre und ein Schmuck für mich sein. Die Vernachlässigung der alten Zucht hat uns verderbt und herabgewürdigt. Paul IV., denket daran, den Sturz Eures Stuhles zu verhüten! Reinigt die Stadt Rom von ihren Verbrechen, rottet den Geiz aus, verachtet den Gewinn, der aus dem Verkaufe Eurer Gunst erwächst. Ich werde es meinem Vaterlande erklären und beweisen, daß römisches Verderbniß der Kirche mehr schadet als die Iutherische Bosheit.” Außer diesen Ausfällen gegen den Papst, kündigte er ein neues Werk „Repudium Romae“ an, worin er alle Irrthümer und Verbrechen der Päpste darstellen, sich gänzlich von der römischen Kirche lossagen und zu der griechischen übergehen wollte, zu welcher ein großer Theil der Bewohner seiner Provinz gehörte.

 

Er ward im Jahre 1557 wegen seiner Angriffe auf die römische Kirche durch den Erzbischof von Gnesen, Dzierzgowski, noch einmal in den Bann gethan, kehrte aber bald nachher wieder zum Gehorsam zurück. Der Tod seiner Frau entfernte ein großes Hinderniß seiner Aussöhnung mit der Geistlichkeit, die sich freute, einen so verwegenen Gegner zum Schweigen zu bringen und zu einem nützlichen Werkzeuge zur Bekämpfung ihrer Feinde zu machen. Orzechowski war der Geistlichkeit besonders durch die kräftigen Gründe für die Vertreibung der Bischöfe aus dem Senate gefährlich geworden. Die von ihm herausgegebenen Bemerkungen über den von den Bischöfen dem römischen Stuhle geleisteten Treueid bewiesen scharf, daß man ihnen öffentliche Aemter nicht anvertrauen könnte, daß ein mit der Senatorwürde beliehener katholischer Bischof nothwendig ein Verräther gegen sein Vaterland wäre, weil er die Interessen Roms dem Vortheile seines Königs vorziehen müsse, da er zuerst dem Papste und dann dem Könige Gehorsam geschworen habe. „Der Eid — sagt er **), zu dem Könige sprechend — hebt die Freiheit der Bischöfe auf und macht sie zu Kundschaftern, die über das Volk und den König gesetzt sind. Die

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*) Unter seiner Regierung verbreitete die Inquisition durch ihre grausamen Verfolgungen gegen die Protestanten Schrecken in ganz Italien. S. M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien S. 183 ff.

**) In seiner Schrift: De primatu Papae, die 1558 ohne Namen und ohne Angabe des Druckortes erschien und nach Modrzewski’s bestimmter Versicherung von Orzechowski herrührt.

 

 

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höhere Geistlichkeit, die sich freiwillig dieser Skaverei unterworfen hat, ist dadurch in eine Verschwörung getreten und hat sich gegen ihr Vaterland empört. Gegen Euch verschworen, saßen sie in Eurem Rathe, sie erspähten Eure Plane und meldeten sie ihrem auswärtigen Gebieter. Wenn Ihr zum Nutzen des Volkes die Anmaßungen des Papstes beschränken wolltet, so würden sie ihre Bannflüche verkünden und blutige Aufstände erregen. Der Papst hat aus seinem Busen die Mönche Iosgelassen, die wie Heuschrecken über Euer Land fielen. Seht, wie diese Schwärme sich gegen Euch verschwören, wie zahlreich und wie grausam sie sind. Werft Eure Blicke auf die Aebte, die Klöster, die Stifter und Synoden, und seid versichert, daß Ihr so viele Verschwörer habt als Ihr geschorene Glatzen seht. Von Ueppigkeiten aller Art umgeben und wohlgenährten Schweinen gleich, führen sie unter ihren Buhlerinnen ein behagliches und glückliches Leben und mästen sich für die Hölle. Es ist ihnen ganz gleichgiltig, ob Ihr siegreich oder gedemüthigt seid, ob das Land glücklich oder elend ist. Hat nicht ein Bischof zu Eurem Ahnherrn gesagt: „Möge eher das ganze Königreich untergehen, ehe der Schatz der Kirche, der des Papstes, nicht des Königs Erbtheil ist, einen einzigen Pfennig zu den Bedürfnissen der Gesammtheit geben sollte *).“ Andere Länder haben eingesehen, wie gefährlich es ist, die Diener des Papstes zu der Verwaltung des Landes zuzulassen, und schlossen die Bischöfe von ihren Senaten aus. Folget diesem Beispiele, das Euch namentlich Venedig gibt. Es ist nothwendig, ein Gesetz zu erlassen, das die Geistlichkeit bloß auf ihre geistlichen Pflichten hinweiset und sie von der Verwaltung des Staates ausschließt. Mögen sie taufen und predigen, nicht aber die Angelegenheiten des Landes leiten. Wünschen sie die Senatorwürde zu behalten, so mögen sie den Gehorsam gegen Rom aufgeben. Genügt ihnen die polnische Kirche nicht? Man kann sie sonst nicht als Staatsbürger betrachten, denn niemand kann gewissenhaft zwei Herren dienen. Der Papst legt durch seine Sklaven, die Mönche und Bischöfe, dem Könige ein Joch auf, obgleich die königliche Macht unabhängig ist und von Gott stammt.” Orzechowski beschränkte

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*) Die polnische Geistlichkeit war sehr reich. Der Bischof von Krakau, Andreas Lipski, hinterließ 1630 bloß an baarem Gelde 900,000 Dukaten, und der Bischof Caraffa von Plock vermachte 1615 seinem Bruder 7 Millionen Thaler. Die polnischen Bischöfe hatten freilich sehr große Ausgaben. Sie mußten fürstliche Einrichtungen unterhalten; viele hielten auf ihre Kosten Regimenter für den Staat, und sie mußten verschwenderische Gastfreiheit ausüben. Ein ausgezechneter Geistlicher lehnte die Bischofwürde mit der Bemerkung ab, er habe nicht Lust, ein Koch für die polnischen Eheleute zu werden.

 

 

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seine Angriffe gegen Rom nicht auf die politische Obergewalt der Päpste, sondern griff auch ihre geistliche Gewalt an und zeigte, daß sie sich gänzlich auf eine falsche Deutung der Worte des Heiland stützte: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.”

 

Dies waren die Angriffe, die dieser grundsatzlose Mann gegen die römische Kirche richtete, so lange ihre Lehren gegen seine zügellosen Leidenschaften stritten. Als aber der Tod seiner Frau das Haupthinderniß seiner Versöhnung mit Rom entfernt hatte, und bei zunehmenem Alter Ehrsucht und Geiz das Uebergewicht über andere Leidenschaften erhielten, die diesen feurigen Charakter aufgereizt hatten, widerrief Orzechowski seine gegen die katholische Kirche gerichteten Schriften und ward endlich im Jahre 1559 mit ihr ausgesöhnt. Er wurde seitdem ein eben so eifriger Verfechter der Kirche, als er früher ihr heftiger Gegner gewesen war, trat feindselig gegen die Protestanten auf und behandelte sie mit derselben Bitterkeit, demselben Unglimpfe, die seine Schriften gegen Rom auszeichneten. Andreas Modrzewski und der Italiener Stancari, die den größten Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten Polens gehabt haben, wurden nun die Hauptgegenstände seines Hasses.

 

Andreas Frycz Modrzewski wurde 1506 im Palatinat Sandomir geboren und nahm bereits unter der Regierung Siegmund’s I. die Lehren der Reformatoren an, die er aus den frühzeitig in Polen verbreiteten Werken Luthers schöpfte, wiewohl er nie öffentlich zu einem der protestantischen Glaubensbekenntnisse sich wendete, die während seiner Lebzeit in Polen gegründet wurden *). Er besuchte im

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*) Er empfahl es, Glaubenssachen mit philosophischer Ruhe zu erörtern, hatte großen Widerwillen gegen theologische Spitzfindigkeiten, ermahnte zu Frieden und Milde und predigte die reine evangelische Lehre und gute Werke. „Wir müssen,“ sagt er, „zur Einfachheit des apostolischen Bekenntnisses zurückkehren. Nicht in spitzfindigen Worten, nicht in der verschiedenen AusIegung des Sinnes besteht die religiöse Frömmigkeit. Warum ersinnen wie unverständliche und dunkle Formeln, die in der Sache keinen Grund haben.“ Diese Ansichten streifen an Gleichgiltigkeit gegen Glaubenssachen, und man sieht nicht, was Modrzewski bewegen konnte, im Schoße der römischen Kirche zu bleiben, deren Mißbräuche und Aberglauben er so entschieden verdammte hatte. Seine wichtigsten Schriften sind: „De republica emendanda“ in fünf Büchern, die von den Sitten, den Gesetzen, dem Kriege, der Kirche und der Schule handeln (Krakau 1551, Basel 1554 und 1559); „De legatis ad concilium mittendis“ (Krakau 1546), unter allen Werken des Verfassers am feindseligsten gegen Rom; „Silvae quatuor‘‘ (Racow 1592), eine auf Siegmund August’s Befehl entworfene Darstellung des Zustandes der Glaubensparteien in Polen, die sich aber sehr zu jener philosophischen Gleichgiltigleit gegen die christlichen Hauptlehren hinneigt, die auch Modrzewski’s königlicher Gebieter getheilt zu haben scheint. Seine Zwistigkeiten mit Orzechowski werden in der „Narratio simplex rei novae et ejusdem pessimi exempli“ (Pinczow 1561) erzählt.

 

 

 

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Jahre 1534 die Hochschule zu Wittenberg, wo er seine Studien unter Melanchthon’s Leitung vollendete. Er hielt sich einige Jahre in Deutschland auf und kehrte dann in sein Vaterland zurück, wo Siegmund August ihn zu seinem Geheimschreiber ernannte und ihm ein unbegränztes Vertrauen schenkte. Die katholischen Schriftsteller schmähten ihn, wiewohl auch einige ihn priesen, aber er erwarb sich den allgemeinen Beifall der Protestanten und die Achtung der ausgezeichnetsten Gelehrten Europas. Siegmund August hielt viel auf Modrzewski’s Rathschläge, welcher, obgleich er nur eine untergeordnete Stelle hatte, doch die wichtigsten Staatsangelegenheiten leitete. Er wurde zu mehren Gesandtschaften, unter andern in Dänemark, Preußen, bei dem Könige Ferdinand und Karl V. gebraucht.

 

Es war natürlich, daß die römische Kirche einen so begabten, gelehrten und einflußreichen Mann zu gewinnen suchte, und daß sie ihn eben so sehr verabscheute, als er ihre Anerbietungen verworfen hatte. Die katholische Geistlichkeit war besonders unruhig über die Ansichten, die Modrzewski in seiner Schrift von der Kirche darlegte. Die Päpste Paul IV. und Pius V. thaten ihn in den Bann und ermahnten die polnische Geistlichkeit, ihn als Ketzer zu verfolgen; da aber die kirchlichen Strafen zu jener Zeit sehr wenig Wirkung in Polen hatten, so suchten die Geistlichen einen Verfechter, der es mit einem so mächtigen Feinde aufnehmen könnte. Sie fanden ihn in Orzechowski, dem sie volle Verzeihung für seine früheren Irrthümer und viele Vortheile versprachen, wenn er Modrzewski angreifen wollte. Orzechowski zeigte bei jener Gelegenheit einen sehr schlechten Charakter, da er nicht nur den Antrag annahm, seinen ehemaligen Freund anzugreifen, sondern auch die vertraulichen Unterhaltungen benutzte, die er früher mit Modrzewski über Glaubensangelegenheiten gehabt hatte. Er klagte ihn bei dem geistlichen Gerichte an und drang darauf, daß Modrzewski öffentlich seine Meinungen widerrufen müßte oder für einen überwiesenen Ketzer erklärt werden sollte. Die Anklage hatte jedoch keine Folgen, da das Gericht bei einem so einflußreichen Manne, der sich überdies noch nicht durch eine offene Handlung von der römischen Kirche getrennt hatte, einem Urtheile in einer Sache auszuweichen suchte, die nur den Erfolg haben konnte, Modrzewski noch mehr von der römischen Geistlichkeit zu trennen.

 

 

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Niemand mußte so sehr Orzechowski’s Muth fühlen als der Italiener Stancari, der im Jahre 1501 in Mantua geboren ward und in Krakau als Lehrer der hebräischen Sprache angestellt war. *) Wir haben bereits erwähnt, daß er nach einem öffentlichen Angriffe auf die Verehrung der Heiligen und der Kundgebung anderer protestantischen Meinungen, in’s Gefängniß kam, als er aber durch den Einfluß einiger Edelleute, die sich zu denselben Meinungen bekannten, seine Freiheit wieder erlangt hatte, begab er sich nach Pinczow, wo er den Grundherrn Olesnicki bewog, da erste Beispiel zur Einführung des reformirten Gottesdienstes zu geben. Später ging er nach Königsberg, wo er sich in einen Streit mit Osiander über das Mittleramt Christi einließ, indem er behauptete, daß die Rechtfertigung nicht von der göttlichen, sondern nur von der menschlichen Natur Christi abzuleiten sei. Er besuchte Ungarn und Siebenbürgen und kam wieder nach Polen, wo er Regeln für die Einrichtung der polnischen Kirchen schrieb. Als er nach Polen zurückkam, wurde die Kirche zu Pinczow von jenen Fragen bewegt, die zu den socinianischen Lehren führten, doch wurden diese Fragen zu jener Zeit mit großer Vorsicht behandelt, und noch hatte man nicht einen offenen Angriff auf die Lehre von der Dreieinigkeit gemacht. Stancari beförderte, wiewohl ohne Absicht, die Ausbildung der antitrinitarischen Meinungen, indem er behauptete, daß das Mittleramt Christi nur aus seiner menschlichen Natur hervorgehe. Dies erregte einen heftigen Streit, in welchem die Theologen in Genf entschieden gegen Stancari auftraten, dessen Meinungen auch von den reformirten Synoden zu Xionz und Sandomir verdammt wurden, die seine Schriften zum Feuer verurtheilten. Stancari zog sich nach Stobnitza zurück, wo er 1574 starb. Die erwähnten Regeln für die Kircheneinrichtung enthalten keine neuen, von den Ansichten anderer Reformatoren verschiedenen Lehren; wir kennen sie jedoch nur aus Orzechowski’s Werke gegen Stancari **). Die Hauptlehren sind: die Messe ist ein Götzendienst; das Abendmahl ist nur ein Zeichen und eine Erinnerung an das

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*) Nach Tiraboschi (Storia della litteratura italiana Bd. 7. Th. 2. S. 368). schrieb Stancari in seinem Vaterlande eine Geschichte der Reformation in Italien, die 1547 zu Basel erschien. M’Crie sagt in seiner Geschichte der Reformation in Italien (Seite 324. u. 351. der deutschen Uebersetzung) Stancari habe Antheil an den Zwistigkeiten genommen, welche die protestantische Kirche zu Chiavenna bewegten. Er mußte im Jahre 1547 von Augsburg entfliehen, um nicht an Karl V. ausgeliefert zu werden. Er kam 1550 nach Krakau, wohin der Bischof Meciejowski ihn berief, der wahrscheinlich Stancari’s protestantische Ansichten nicht kannte.

**) Chimera, Köln, 1563.

Krasinski.

 

 

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Nachtmahl des Herrn; der Gottesdienst muß in der Landessprache gehalten werden; man soll die Bilder der Heiligen und Märtyrer nicht verehren; die alten Gebräuche sind abzuschaffen; die bischöfliche Würde sollen nur diejenigen erhalten, die im Stande sind, die Pflichten derselben zu erfüllen; es ist nothwendig, eine Schule für den Unterricht in der reinen Theologie, im der Beredtsamkeit, der Sprachkunde und Logik zu gründen, und die Kircheneinkünfte können mit gutem Gewissen zu einem so heiligen Zwecke verwendet werden; die Erlaubniß der Behörde ist nicht nöthig zu guten Handlungen; wir müssen dem höchsten Oberherrn, Jesus Christus, gehorchen, aber nicht seinen Stellvertretern, die sich gegen ihn empört haben; die Kirche muß häufige Synoden berufen, und das Beispiel der Kirche zu Pinczow, die wöchentliche Versammlungen hält, verdient Nachahmung; die Diener der Kirche und die Schullehrer müssen aus dem Staatsschatze bezahlt werden. Der Grundsatz Stancari’s aber, den Orzechowski besonders rügt, geht dahin, daß, wenn der König sich der kirchlichen Reformation widersetzen sollte, das Volk berechtigt ist, sie aus eigener Gewalt einzuführen. Orzechoweki griff seinen Gegner nicht mit Gründen an, die auf die Bibel oder das kirchliche Ansehen gegründet waren, sondern mit den heftigsten Schmähungen, und die überspannten Ansichten über die päpstliche Obergewalt, die er in seinem Werke behauptete, machten selbst einige Katholiken über die Wirkung besorgt. Orzechowski sprach die Anklage aus, daß Stancari die Religion und die bestehende Staatseinrichtung zerstöre, die gesetzmäßigen Behörden untergrabe, die unteren Volksclassen gegen die höheren aufrege, dem Pöbel durch Aufmunterung zur Plünderung des Kircheneigenthums schmeichle, die Einführung der Gütergemeinschaft und die Abschaffung des Privateigenthums befördere, vollkommene Gleichheit unter allen Bewohnern des Landes zu gründen suche, damit es weder Herren noch Diener gebe. Wir kennen Stancari’s eigenes Werk nicht, das vielleicht gar nicht mehr vorhanden ist, und können daher nicht bestimmen, ob er wirklich Ansichten über die Ausdehnung der politischen Rechte, welche die Edelleute in Polen ausschließend besaßen, auf andere Volksclassen ausgesprochen habe, oder ob die Anklage seines Gegners nichts anderes als eine Wiederholung des, von den Katholiken aufgebrachten allgemeinen Vorwurfes sei, daß die Reformatoren die Vernichtung der religiösen und politischen Ordnung beabsichtigten. Die Lehre, welche Orzechowski gegen Stancari als die einzige verfocht, durch welche der Staat gegen drohende Zerstörung geschützt werden könne, war diejenige, welche die katholische Kirche überall den Fortschritten der Reformation entgegenzusetzen suchte, und sie

 

 

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lautete, man müsse die alten Gesetze und Gewohnheiten aufrecht erhalten, ohne Neuerungen im Glauben oder in den Staatseinrichtungen zu gestatten; man müsse die Ketzerei unterdrücken und die Katholiken wieder zu unbeschränkter Herrschaft bringen, die Geistlichkeit als den ersten Stand betrachten, welcher das Volk leite und richte, aber selber nicht von einem andern gerichtet werden könne; man müsse jede weltliche Gewalt dem Papste unterwerfen und der König selber solle nur der Diener, das Werkzeug und das Schwert der Geistlichkeit sein. Niemand vielleicht hat Roms Oberherrschaft über die christlichen Könige bestimmter und dreister behauptet als Orzechowski. „Der König”, sagt er, „ist nur eingesetzt, damit er der Geistlichkeit diene. Der Papst allein setzt Könige ein, und da er sie einsetzt, ist ihm Gewalt über sie gegeben. Die Hand eines Priesters ist Christi Hand selbst. Die Abschaffung des Erzbischofs von Gnesen würde die Abschaffung der polnischen Krone, den Sturz des Königthums und den Fall Polens zur Folge haben. Der Erzbischof ist der Eckstein des Staates, der erste Beamte des Reichs, der Wächter der Landesfreiheit; er vertheidigt das Volk und beschränkt die Gewalt des Königs. Die Gewalt des heiligen Petrus kann keiner andern unterworfen sein, sondern ist allen überlegen, und bezahlt nicht Steuern, nicht Abgaben. Der Priester hat einen höheren Beruf als der König. Der König ist der Geistlichkeit unterworfen; der König ist nichts ohne den Priester. Der Papst hat das Recht, dem Könige die Krone zu nehmen. Der Priester dient dem Altare, der König aber dem Priester und er ist nur dessen bewaffneter Diener. Der König von Polen ist der Diener der Priester, und eingesetzt, damit niemand es wage, sich gegen die kirchliche Gewalt zu erheben.“

 

Orzechowski, der behauptete, es könne außer der Mitte der päpstlichen Oberherrschaft keine Gotteserkenntniß geben, *) stellte den Staat als ein Dreieck vor, dessen Spitze die Geistlichkeit einnehme, während der König und die Edelleute die Grundfläche bilden; der übrige Theil des Volkes aber ist nach Orzechowski nichts und er empfiehlt den Edelleuten nur, das Volk väterlich zu regieren. Dies waren die Meinungen, die öffentlich von dem Manne verkündet wurden, welcher kurz vorher dieselbe Kirche, der er jetzt eine entschiedene Obergewalt über den Staat geben wollte, mit zügelloser Heftigkeit angegriffen hatte.

 

Die Meinungen über die geistliche Oberherrschaft, die Orzechowski

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*) Deum perdidisti, sagt er in der Chimera, qui extra papatum neque scitur neque cognoscitur.

 

 

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ohne Rückhalt verkündete, müssen in den Augen jedes denkenden Lesers wichtig sein, da man sie als eine treue Darlegung der Grundsätze betrachten kann, welche die Welt beherrscht haben würden, wenn es der katholischen Kirche gelungen wäre, ihre Gegner zu erdrücken. Orzechowski sprach nur die Meinungen aus, welche die katholische Kirche hegte, und das größte Licht dieser Kirche in Polen, der Cardinal Hosius, billigte unbedingt *) Orzechowski’s Behauptungen, der deutlich aussprach, wie wenig die Interessen der römischen Geistlichkeit mit den Vortheilen des Landes verbunden waren, indem er unverschämt erklärte, es sei besser, das Land den Moskowiten, als den Ketzern zu überlassen. Diese Wünsche sind leider in Erfüllung gegangen. Der Protestantismus ward in Polen unterdrückt und die Herrschaft der Moskowiten ist gegründet.

 

Dieser gefährliche Verbündete konnte jedoch den verlorenen Einfluß der römischen Kirche nicht wiederherstellen, deren Zustand nach dem Geständnisse ihrer eifrigsten Verteidiger zu jener Zeit hoffnungslos war. **). Es blieb für jene veraltete Einrichtung nichts mehr übrig, als sorgfältig jede Bewegung zu vermeiden, durch welche ein Gebäude, das die Angriffe des wachsenden Protestantismus bereits erschüttert hatten, zerfallen mußte. Mitten unter den geistigen Bewegungen der Zeit stehen zu bleiben und jede Veränderung in ihrer Einrichtung zu vermeiden, war die Politik, welche sie annahm und die vielleicht die einzige war, die sie für einige Zeit befolgen konnte.

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*) Wo es keinen Altar und keinen Priester gibt, sagt er, da erkenne ich auch keinen Staat an.

**) Dies wird von vielen katholischen Schriftstellern bestätigt. Der Senat bestand, wie der Bischof Piasecki sagt, der Mehrzahl nach aus Ketzern, und unter dem Ritterstande gehörten gerade die ausgezeichnetsten Männer zu den Anhängern der neuen Lehre. Rom selbst verzweifelte fast, die Herrschaft über Polen behaupten zu können, und der päpstliche Schriftsteller Raynaldus klagt um das Jahr 1555, daß schon unter den Bischöfen die Ketzerei eingeschlichen sei. Der Cardinal Hosius sagt, man habe sich von Gottes Reiche abgewendet und suche nur Satans Reich. Nur dem Namen nach sei man geistlich, in der That aber fleischlich, mehr als weltlich. Von einem am Hofe angestellten Geistlichen sagt er: „Der Hof pflegt Gott so zu ehren, dass der Teufel nicht beleidigt werde.“

 

 

 

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Fünfter Abschnitt.
Kirchenversammlung zu Trient. Versuche zur Berufung einer allgemeinen National-Synode.

 

Polen war zwar unter der Regierung Siegmund’s I. noch dem Anscheine nach katholisch, zeigte aber schon ein lebhaftes Verlangen, die kirchlichen Mißbräuche durch eine allgemeine Versammlung, in welcher alle christliche Parteien vertreten werden sollten, verbessert zu sehen, da man mit Recht eine solche Versammlung für das einzige Mittel hielt, die gestörte Kirche zu beruhigen. Der König besonders hegte den Wunsch, auf diesem Wege den Frieden im Lande wiederherzustellen, wo die protestantischen Lehren rasche Fortschritte machten, und er rief die Abgeordneten zurück, die er nach Trient geschickt hatte, als die Kirchenversammlung im März 1547 nach Bologna verlegt wurde, weil die protestantischen Bevollmächtigten nicht sicher nach jener Stadt sich begeben konnten. Durch die bei den Kirchenversammlungen in Konstanz und Basel gemachten Erfahrungen belehrt, setzte Rom der Berufung einer unabhängigen allgemeinen Versammlung vielfache Hindernisse entgegen; die polnische Geistlichkeit aber, durch die schnelle Zunahme des Protestantismus von einer unmittelbaren Gefahr bedroht, wünschte die Berufung einer solchen Versammlung. Diese Ansicht theilten auch die einflußreichsten Reformatoren und die aufgeklärtesten Männer unter dem Volke, die zwar den Lehren der Reformation günstig waren, aber die heftigen Bewegungen fürchteten, welche die Einführung derselben in vielen Theilen Europas hervorgerufen hatte. Der Erzbischof von Gnesen, Nikolaus Dzierzgowski, ein eifriger Katholik, welcher, wenn es in seiner Macht gewesen wäre, die strengsten Maßregeln gegen die Protestanten ergriffen haben würde, richtete im Jahre 1547 ein Schreiben an den Papst Paul III., dem er im Namen seines Sprengels in einem unterwürfigen, aber entschiedenen Tone die Notwendigkeit vorstellte, eine Versammlung zu berufen, die alle Meinungen anhörte, ein Verlangen, das natürlich nicht bewilligt wurde *).

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*) Jenes Schreiben deutet vorsichtig, aber klar auf die Nothwendigkeit, Abgeordnete des angränzenden protestantischen Deutschlands zuzulassen. Auch ist die Rede von Gefahren, welche der polnischen Kirche durch die Glaubenszwiste bereitet werden, und es sei zu wünschen, dass der Papst erfahre, wie viel die Provinz wegen der Uebel in der Nachbarschaft zu fürchten habe. Die Furcht schien die Geistlichkeit nicht an die Unfehlbarkeit des Papstes denken zu lassen. „Es ist nicht ungewöhnlich, sagt sie, daß die Steuermänner bei großen Stürmen von den Ruderern ermahnt werden.“

 

 

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Als unter Siegmund August’s Regierung der Einfluß des Protestantismus bedeutend in Polen wurde, hegten sehr viele Männer die leere Hoffnung, daß es möglich sein werde, eine Verbesserung der katholischen Kirche durchzusetzen, ohne es zu einer Trennung von derselben kommen zu lassen. Diese Meinung leitete den Reichstag im Jahre 1552 bei der Wahl der Abgeordneten zu der Kirchenversammlung von Trient. Man ernannte die Bischöfe Johann Drohojowski und Jakob Uchanski, die wegen ihrer protestantischen Ansichten bekannt waren, dem Castellan Stanislaus Tenczynski und Modrzewski, der die Gesandtschaft als Geheimschreiber begleiten und ihre ganze Thätigkeit leiten sollte. Bei jener Gelegenheit zeigte Modrzewski dem Könige die Notwendigkeit einer Kirchenverbesserung und den Umfang, den sie erhalten müßte. Seine Vorschläge waren durchgreifend und konnten nicht ausgeführt werden, ohne das ganze Gebäude der römischen Kirche zu zerstören. Wir geben eine gedrängte Uebersicht derselben, da sie die Meinung aussprechen, welche die aufgeklärtesten Männer Polens zu jener Zeit hegten.

 

Die Religion wird nicht mehr heimlich besprochen, wie früher, sondern öffentlich in Volksversammlungen erörtert. Wir geben jetzt allgemein die früher angenommenen Kirchenlehren auf und haben uns das Recht beigelegt, einen Glauben einzuführen. Ihr wollt einer allgemeinen Versammlung die Entscheidung über eine so wichtige Angelegenheit zuweisen. Nach einer himmlischen Eingebung habt Ihr aufgehört, von Eurer eigenen Macht und willkürlichen Gewalt Gebrauch zu machen. Die Kirchenversammlung muß jedermann volle Redefreiheit gewähren, denn wir wünschen unterrichtet und aufgeklärt zu werden. Wir wollen unsere Ueberzeugungen nicht durch menschliches Ansehen zum Schweigen bringen lassen. Die Menschen müssen durch Gottes Wort und durch Gründe, nicht durch Verfolgung und Blutvergießen überzeugt werden. Was hat die Zwistigkeiten in der Kirche erregt? Das Sittenverderbniß und der Verfall der Kirchenzucht, die Mißachtung der Gesetze, die Entstellung der Lehren und der kirchlichen Gebräuche. Die alten und echten Christen sind verschwunden, wie die ursprüngliche Reinigkeit und Heiligkeit der Kirche. Die ersten Lehrer des Evangeliums waren nicht zahlreich, sie waren arm, nicht mit großen Gütern begabt, und während

 

 

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sie verfolgt wurden, bekehrten sie die Welt. Jetzt gibt es niemand, der die Wahrheit der von Christus und den Aposteln eingeführten Lehren und Gebräuche bewahren will, und die Folge ist allgemeines und großes Verderbniß. Diejenigen, die sich die einträglichen Kirchenwürden zu verschaffen wußten, haben sich unwürdigen Beschäftigungen hingegeben. Sie finden Freude an Iustigen Gelagen, an kostbaren Kleidern, Edelsteinen und zahlreicher Dienerschaft. Ihre ganze Zeit widmen sie dem Spiele und der Jagd und sind erpicht auf behaglichen Lebensgenuß und Ueppigkeit. Hat die Priesterschaft jetzt ein Ansehen in der geistigen Welt? Nein, die meisten kennen die heilige Schrift nicht, einige haben sich der Gottesläugnung hingegeben und verlachen alles, was heilig ist. Sie haben aufgehört, an die Religion zu glauben, sie haben die Lehren verworfen, die Handlungen vernachlässigt, die Gott vorgeschrieben hat. Sie haben sich Dörfer, Städte, Schlösser, Zehnten, unermeßliche Einkünfte und reiche Güter zugeeignet, ihre Obergewalt auf Geld gegründet, auf weltliche Verbindungen und Unterstützungen und auf ein üppiges Leben. Nur durch Gewalt wünschen sie zu herrschen, und um ihr Ansehen zu behaupten, haben sie ihre Kirche gegen des Heilands Vorschriften erhoben. Sie haben sich ausschließend den Namen der Kirche zugeeignet und dem Volke Gottes ihre Gesetze und Beschränkungen aufgelegt; keine Glaubensgemeinde aber kann dauerhaft sein und ihre Einheit behaupten, wenn ihre Lehren und Handlungen nicht auf das reine Gotteswort sich gründen. Es ist darum nothwendig, daß auch die Laien an den Erörterungen über den Grundsatz des Glaubens Antheil nehmen, weil, wie Gerson sagt, die Kirchenversammlung die Vereinigung aller Stände der Kirche ist und keinen Gläubigen ausschließt. Ueber den Grundsatz des Glaubens, setzt er hinzu, müsse von allen entschieden werden, damit sie wissen, was sie glauben müssen; es sei eine Pflicht der Gemeinde, zu untersuchen, ob ihr Pfarrer eine verfälschte Lehre vortrage, und die falschen Propheten und die Bosheit der Pharisäer zu vermeiden. — Die allgemeine Kirchenversammlung wird der Christenheit den Frieden wiedergeben, aber sie muß unabhängig und gehörig eingerichtet sein. Sie wird die Liederlichkeit der Geistlichkeit abstellen und den Mißbräuchen der Gewalt über das Volk abhelfen. In der Synode muß jedermann und jede Partei unbeschränkte Redefreiheit haben, selbst gegen die bestehende Einrichtung und die eingeführten Gebräuche, weil die Kirche nie unfehlbar gewesen ist und auch jetzt nicht ist. Als menschlicher Verein konnte sie irren, hat geirrt und kann noch immer irren. Die Bischöfe sollten die Geistlichkeit und das Volk in ihren Sprengeln berufen. Sie dürfen nicht durch alte Gesetze

 

 

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die Berathungen des christlichen Volkes beschränken. Jedes Mitglied der Kirche muß seine Ueberzeugung darlegen. Der allen Mitgliedern der Kirche gemeinschaftliche Glaube muß von allen oder von einer Versammlung aller Gläubigen bestimmt werden. Die Kirche selbst sollte die Glaubensregeln festsetzen. Die allgemeine Versammlung muß von den Synoden der einzelnen Sprengel die Ueberzeugungen der Christen erfahren und nach solchen Angaben ihre Entscheidungen einrichten. Die Bewohner der einzelnen Sprengel müssen ihre Abgeordneten zu der berathenden allgemeinen Versammlung wählen, und eine solche Versammlung allein wird eine wahre und gesetzliche Vertretung der allgemeinen christlichen Kirche sein. Christen von allen Namen müssen ohne allen Unterschied in jener Versammlung vertreten sein. Die Armenier, die Griechen und andere Parteien sind ja auch Christen. Die lateinische Kirche allein ist nicht eine vollständige Kirche und wird nicht für sich allein die Einigkeit in der Christenheit herstellen, wenn nicht alle ihre Abtheilungen gehörig vertreten sind. Die allgemeine Kirchenversammlung sollte nicht ausschließend aus Bischöfen bestehen. Warum sollte den Laien, als einem Theile der Kirche, untersagt werden, über Dinge zu urtheilen, die ihre eigenes Seelenheil angehen? Ein Bischof besitzt die nöthige Befähigung zur Bestimmung der Glaubenslehren nicht durch die bloße Thatsache, daß er Bischof ist. Die einzigen Gründe, die zu Entscheidungen über jenen wichtigen Gegenstand befugt machen, sind Gelehrsamkeit und Tugend. Die Leitung der Versammlung muß tugendhaften und gelehrten Männern anvertraut werden, nicht aber denjenigen, die sich durch nichts als das Amt empfehlen. Es ist nicht wahr, daß die Bischöfe allein die Ermächtigung haben, das Evangelium zu erklären. Alle, die nur den Namen und die Einkünfte eines Bischofs haben, ohne seine moralischen Befähigungen zu besitzen, sollten sich aus der Kirchenversammlung zurückziehen. Unmöglich Iäßt sich die alte Sitte erneuern, mit Feuer und Schwert gegen Wahrheit und Gewissen aufzutreten. In früheren Zeiten wurden die Völker von den Bischöfen in Unterwürfigkeit gehalten und gehorchten all ihren Befehlen. Sie wurden beleidigt und wagten es nicht, sich zu beschweren, sondern sprachen sogar Danksagungen für die erlittenen Kränkungen aus. Es ist daher billig und recht, den Stolz und die Willkürgewalt der Gebieter aus der Kirche zu vertreiben. Die Regierung der Kirche muß weder einem, noch allen anvertraut werden, sondern den gelehrtesten und tugendhaftesten Männern, auch wenn sie nicht Priester wären. Jede Kirchengemeinde und das dazu gehörende Volk werden ihre Vertreter in die allgemeine Versammlung senden, weil das Volk auch seine gerechten

 

 

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Beschwerden gegen die Geistlichkeit und gegen seine Gebieter hat. Es ist eine sehr ungereimte Einrichtung, selbst die einsichtsvollsten Männer, wenn sie nicht zu dem Adel gehören, von Einfluß und Aemtern auszuschließen; alle Gemeindeglieder sollten gleiche Rechte besitzen. Unverzeihlicher Stolz und Ueppigkeit haben alle Gebieter der Kirche angesteckt. Man hat das Volk verachtet und die Armen gänzlich vernachlässige, wiewohl nur ein Verrückter glauben könnte, Gott habe die Menschen zum Nutzen ihrer Beherrscher geschaffen. Die Kirchenversammlung wird diejenigen wählen, die ein allgemeines Glaubensbekenntniß festzusetzen haben, und ein Unterschied in Glaubensmeinungen darf von diesem Berufe ausschließen, weil die Reformatoren und die Gegner Roms auch Christen sind. Wäre der Papst unfehlbar und stände er über der Kirchenversammlung und über allen Kirchen der Christenheit, wozu würde es dann nutzen, eine Kirchenversammlung zu berufen? Es ist bekannt, daß die Päpste selbst im Glauben geirrt haben, und Papst Adrian erkannte im Jahre 1522 an, daß sich die Kirche und ihre Würdeninhaber im Zustande der größten Verderbtheit befänden. Wie kann eine strafbare Geistlichkeit, wenn sie angeklagt wird, gegen sich selbst entscheiden, ihre eigene vortheilhafte Gewaltanmaßung aufheben und ihre eigene Macht vernichten? Die Verbesserung der Kirche muß der Kirche selbst, das heißt, der gesammten Christenheit und allen Gläubigen anvertraut werden. Wie hat die Kirche seither auf alle frommen Klagen gegen ihre Verderbtheit geantwortet? Mit Verfolgungen und Grausamkeiten. Das Gemüth kann nur durch Gründe umgewandelt werden, weil die Religion geistig ist.”

 

Die jetzige Kirchenverwaltung muß eine Veränderung erleiden. Einer soll nicht mehre Würden besitzen, die nur der Tugend und der Geschicklichkeit verliehen werden sollen. Die Kirche muß nicht Müßiggänger mit ihren Reichthümern füttem. Ein Geistlicher genügt für eine Kirche. Die Herrschaft über das Volk muß geistiger Ueberlegenheit und nicht dem Vorzuge der Geburt und des Vermögens überlassen werden. Das Reich Christi muß durch dieselben Mittel erhalten werden, durch welche es gegründet wurde. Die Jünger unseres Heilandes waren weder reich, noch adelig, und haben doch die Menschheit bekehrt. In unserem Lande haben die Edelleute, mit den Kirchenwürden beliehen, den Genuß ihrer Besitzungen, aber keine Gelehrsamkeit. Sie halten es für eine gemeine Beschäftigung, sich geistigen Arbeiten zu widmen, und haben ihren Untergebenen die Lehrerpflicht überlassen. Sie nehmen die ersten Stellen ein und regieren, obgleich Herkunft ohne Verdienst nichts ist. Wenn aber die Edelleute sich die Würden

 

 

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und Reichthümer der Kirche zugeeignet haben, so sollten sie auch die Pflicht erfüllen, zu lehren, zu prophezeihen und die Heerde Christi zu weiden; doch sie haben nur den Genuß angenommen und die Pflichten von sich abgewiesen. Solche Mißbräuche sind der Religion und dem Staate sehr nachtheilig; die verderbte herrschende Classe legt wenig Werth auf die Erfüllung der Pflichten einer christlichen Obrigkeit. Wir stützen die Ahnenprobe auf Eide und Urkunden, was eine unseren Vorältern unbekannte Neuerung ist *), und fragen nicht nach Tugend und Gelehrsamkeit. Dies führt zu Stolz und Ueppigkeit, wodurch die Heiligkeit der Religion herabgewürdigt wird, und es ist daher nothwendig, ein anderes System einzuführen. Wer mit Tugenden geschmückt ist, kann allein ein wahrer Edelmann heißen, und wäre er von der niedrigsten Herkunft, und ihm sollten alle Würden des Adels zu Theil werden, weil er besitzt, was einen wahren Adel bildet; da aber jetzt alle kirchlichen Stifter ausschließend mit Adeligen besetzt sind, so ist es sogar gefährlich, vorzuschlagen, daß die Kirchenwürden ohne alle Rücksicht auf Herkunft verliehen werden sollten. Die Ausschließung der geringeren Classen von Beförderungen ist in der That ein Mißbrauch und eine Ungerechtigkeit der größten Art. Ein Bischof sollte von allen Gläubigen seines Sprengels erwählt werden. Jede Classe nämlich, die Obrigkeiten, die Edelleute, die Bürger und die Bauern — denn es ist unrecht, die Bauern von der Theilnahme, dem Antheil an den öffentlichen Angelegenheiten auszuschließen — sollte drei Vertreter wählen, und auch die Geistlichkeit zwölf ihrer Mitglieder senden. Diese vier und zwanzig Abgeordneten leisten einem Bevollmächtigten des Könige den Eid, daß sie nur Männer erwählen wollen, die sich durch Tugend, Gelehrsamkeit und frommes Leben auszeichnen, und daß ihre Wahl nicht durch weltliche Einflüsse geleitet werden soll, und sie müssen in diesem Sinne handeln. Alle Geistlichen sollten gleichgestellt werden, weil der Vorzug der Bischöfe nur durch Gewohnheit, nicht aber durch Jesus Christus eingeführt wurde, der keinem seiner Apostel den Vorrang gab. Eine solche Einrichtung wird der Kirche ihre Reinheit und Unabhängigkeit wiedergeben und ihren Wirren ein Ende machen. Soll aber der Friede in die Kirche zurückgeführt und Einheit des Glaubens und der Kirchenzucht in der ganzen Christenheit gegründet werden, so ist es nicht hinlänglich, Urtheilsprüche zu fällen, Verfügungen zu erlassen, zu richten und in den Bann zu thun. Die Kirche und das christliche Volk sind nicht

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*) Anspielung auf die ungereimte Verordnung vom Jahre 1515, welche alle, die nicht zum Adel gehörten, von den höheren Kirchenwürden ausschloß.

 

 

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zum Nutzen des Königs und der Bischöfe vorhanden, sondern im Gegentheil wurden die Könige zum Vortheile des Volkes und die Bischöfe zum Wohle der Kirche eingesetzt. Die Könige müssen daher über die Vortheile der Kinder Gottes wachen, aber der Kirche selbst die Wahl der jetzt in der That von ihnen ernannten *) Bischöfe überlassen, weil keine Behörde berechtigt ist, die Kirche willkürlich zu beherrschen. Die päpstliche Würde, welche die Einheit der Kirche erhält, muß beibehalten werden, aber die Papstwahl sollte eine gänzliche Veränderung erleiden, weil sonst Willkürherrschaft und zügelloses Machtgelüste nie aus der Kirche verbannt werden können. Der Papst darf nicht von einem Volke, oder von einer einzigen Kirche, oder von einer Abtheilung der Christengemeinde erwählt werden, wie es jetzt geschieht; den Papst, das Haupt aller Christen, sollte die ganze Christenheit wählen und jedem Volke ein gleiches Recht und ein gleicher Einfluß bei der Wahl gewährt werden. Eine Hierarchie ist nothwendig, um Einigkeit unter allen Gliedern der christlichen Kirche zu erhalten, nicht aber eine Hierarchie der Obergewalt. Jeder Geistliche hat gleichen Beruf zu lehren, zu taufen, das Meßopfer zu halten, zu binden und zu Iösen, und es ist in dieser Beziehung gar kein Unterschied zwischen dem geringsten Geistlichen und dem Papste. Eine solche Hierarchie hat Christus nicht genehmigt, das Evangelium nicht angeordnet, und sie bestand nicht in der ursprünglichen christlichen Kirche; es würde daher vielleicht angemessen sein, die bischöfliche Würde abzuschaffen und den Papst zum Vorstande über die Regierer der einzelnen Kirchen zu machen. Der Papst sollte nur diejenigen Machtbefugnisse behalten, die nützlich und für das Wohl der Kirche unumgänglich nöthig sind; er sollte die Gesetze vollziehen, über die Erhaltung der Kirchenzucht wachen; aber er darf keine Richtergewalt über die Kirchen ausüben. Jedes Volk sollte seine eigene Kirche haben, seine eigene unabhängige und entscheidende richterliche Behörde, so daß von Berufungen nach Rom nicht die Rede wäre. Der Papst kann nicht unfehlbar sein und muß der Kirchenversammlung sich unterwerfen, die als wahrhafte Vertreterin der ganzen Christenheit gilt. Der Papst muß mit den politischen Verhältnissen der Staaten nichts zu thun haben. Der päpstliche Stuhl, als der Mittelpunct christlicher Einigkeit, kann überall stehen. Der Papst wird nur für ein Jahr und nie für seine ganze Lebzeit gewählt werden. Ein häufiger Wechsel der Päpste wird die Einheit des Papstthums nicht aufheben. Wollte der Papst die alten Mißbräuche wieder aufleben lassen, so

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*) Wir haben bereits früher gesagt, daß die Könige Polens die Bischöfe ernannten.

 

 

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würde die Kirchenversammlung ihm entgegentreten, die sich von zwei zu zwei Jahren versammeln soll. Jede zu einer Synode gehörende Provinz wird zwei Männer ernennen, die nach der Reihe den päpstlichen Stuhl einnehmen. Jeder Papst wird nach der Niederlegung seines Amtes von seinem Nachfolger gerichtet werden, der das Betragen desselben strenge untersucht und ihn straft, wenn er schuldig gefunden wird. Die Kirchenversammlung ernennt des Papstes Räthe, die von ihm nicht entlassen werden können. Das Papstthum, in solche Gränzen eingeschlossen, wird seinen Beruf besser erfüllen als es jetzt der Fall ist *). Jede einzelne Kirche sollte ihre Propheten, EvangeIisten, Seelsorger und Presbyter haben, aber das Lehramt soll nicht ausschließend den Presbytern übertragen werden. Jedermann darf über religiöse Gegenstände sprechen, prophezeien und nachforschen, wenn er inneren Beruf dazu hat. Jede Kirche sollte ihre eigene Regierung, ihre eigenen Behörden wählen. Wenn die Kirchengemeinde befugt wäre, den befähigtsten Mann zu wählen, so würde dadurch der jetzige Zustand der Kirche sehr verbessert werden, und die für Lehrer und Apostel bestimmten Stellen würden nicht Edelleute erhalten, die jetzt jede Würde besitzen, mögen sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten befähigt sein oder nicht, wenn sie nur ihren Stammbaum haben. Der Evangelist sollte verpflichtet sein, zu predigen, zu unterrichten und das Evangelium auszulegen, der Seelsorger, die Sacramente auszutheilen, über die Sitten der Gemeinde zu wachen, und über diejenigen, die ein lasterhaftes Leben führen, kirchliche Strafen zu verhängen. Unsere jetzigen Seelsorger haben ihre eigentlichen Pflichten vergessen, und sie taugen nur dazu, die Wolle ihrer Heerden zu scheeren, nicht aber über das Wohl derselben zu wachen. Die bischöfliche Würde, die in früheren Zeiten dem Amte eines Presbyters gleich war, hat jetzt ihre ursprüngliche Bestimmung verändert und ist von ihren wahren Pflichten abgewichen. Die Bischöfe haben alle Lasten ihres Berufes den Pfarrgeistlichen aufgewälzt und nur die damit verbundenen Reichthümer und Ehren für sich behalten; sie haben den Besitz von Dörfern und Städten, von kleinen und großen Zehnten; sie allein nehmen die ersten Stellen im Staate ein; aber die Seelsorge, die Sorge für den Glaubensunterricht betrachten sie als Gegenstände von minderer Wichtigkeit, die sie geringeren und unbedeutenden Leuten überlassen.“

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*) Modrzewski wurde hauptsächlich wegen des Vorschlages, den Papst der Kirchenversammlung, und diese der ganzen Christenheit zu unterwerfen, mit dem Banne belegt.

 

 

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Die heilige Schrift muß die einzige Glaubensrichtschnur sein, weil sie sicher und wahr ist, nicht irret, nicht irren kann, und die wichtigsten und unumgänglich nothwendigen Grundsätze des Heils enthält. Das Wort Gottes muß über die Kirche und über alle erschaffene Gewalt gestellt werden. Was jedoch die menschliche Vernunft nicht begreifen kann, muß man glauben. Die Ueberlieferung, als eine menschliche Erklärung, kann nicht bindend sein; der Kirche konnte nicht die letzte Entscheidung darüber zustehen, wie die heilige Schrift verstanden und erklärt werden sollte. Die Schrift muß aus der Schrift selbst erklärt werden, und die Stellen, deren Sinn ungewiß ist, sollte man aus denjenigen erklären, deren Bedeutung klar und gewiß ist. Die Kirche, die sich auf die Schrift gründet, kann nicht ihren Ursprung erläutern und umändern durch Einführung von Dingen, die nicht das Ansehen Jesu Christi für sich haben und seinen ersten Jüngern unbekannt waren. Die Kirche bewahrt nur Gottes Wort, ist aber nicht zu einer willkürlichen Erklärung desselben berechtigt. Augustinus selbst hat anerkannt, daß das Evangelium allein unfehlbar ist, und er machte es zur Grundlage seiner Beweise. Er ließ das Ansehen der Synoden und der Kirchenväter gelten, stellte sie aber unter die Vorschriften Christi. — Der Streit über den wahren Sinn des Abendmahls ist unnöthig, und mehr dazu geeignet, die Kirche Gottes zu stören, als zu erbauen. Es ist weit besser, an die Worte Gottes zu glauben, die uns sagen, daß wir seinen Leib und sein Blut empfangen, als spitzfindige Untersuchungen über die Natur des Empfangens anzustellen; es ist vielmehr nöthig, solche Fragen zu vermeiden, da sie nicht dazu taugen, dem beunruhigten Gemüthe Trost oder Hoffnung zu geben. Es ist völlig hinreichend für unser Seelenheil, zu glauben, daß wir unseres Heilandes Leib und Blut mit den geistigen, und nicht mit den leiblichen Lippen empfangen. Das Abendmahl unter beiderlei Gestalt sollte allen Christen gereicht werden. Die von der römischen Kirche eingeführte Ohrenbeichte ist nicht nachtheilig, jedoch ist sehr zu bezweifeln, ob sie als ein Sacrament und als eine nothwendige Bedingung unseres Seelenheiles zu betrachten sei, und daher sollte man sie nicht zu einer Pflicht machen. Die Beichte dient dazu, den Unwissenden eine bessere Kenntniß der Religion zu geben; sie klärt das Gewissen der Menschen auf und befestigt die Kirchenzucht. Die Verehrung der Heiligen sollte beschränkt werden. Ausgezeichnete Menschen verdienen Achtung während ihrer Lebzeit und ein frommes Andenken nach ihrem Tode, aber kann die Vermittelung der Heiligen von Nutzen sein? Es ist zwar weder im alten, noch im neuen Testamente

 

 

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die Verehrung der Heiligen, als Mittler zwischen dem Menschen und Gott auch nur empfohlen worden, doch sollte man in dieser Beziehung niemand in seiner Freiheit beschränken. Die Kindertaufe ist zulässig und die Zusage der Pathen nothwendig, die getauften Kinder müssen aber, wenn sie erwachsen sind, ihre Taufe durch eine feierliche Verpflichtung zur Beachtung und Befolgung der Vorschriften des Evangeliums bekräftigen. — Die Ehe sollte den Priestern gestattet sein, und der Gottesdienst in der Landessprache gehalten werden.”

 

Dies waren die Hauptgedanken zu einer Kirchenverbesserung, die Modrzewski dem Könige vorlegte, und welche die Meinungen darstellten, die viele erleuchtete Männer in Polen über diesen wichtigen Gegenstand hegten *). Die von ihm vorgeschlagene Verwaltung der Kirche war offenbar den Staatseinrichtungen Polens nachgebildet, wo die meisten Staatsämter durch Wahl besetzt wurden. Der Haupteinwurf gegen seinen Plan war die Unausführbarkeit desselben, und man konnte ihn eben so wenig auf die geistliche Regierung der Christenheit, als Thomas More’s Utopia auf die politischen Angelegenheiten anwenden. Auch zeigt sich in der Erörterung einiger wichtigen Gegenstände eine frostige Gleichgiltigkeit, die unvereinbar mit jener Thatkraft ist, die zur Einführung wichtiger Verbesserungen in der Kirche oder im Staate erfodert wird. Modrzewski’s Schrift ist jedoch sehr schätzbar, da sie uns die Ansichten darlegt, die unter Siegmund August’s Rathgebern, und im Geiste des Königs selbst vorherrschten. Vielleicht läßt sich aus diesen schwankenden Meinungen über Glaubenssachen das Benehmen des Königs erklären, und darin der Grund auffinden, warum Siegmund August, ungeachtet er sich offenbar zu den protestantischen Lehren hin neigte, sich nicht offen von der römischen Kirche lossagte.

 

Die von uns dargelegten Grundsätze, so unausführbar sie waren, würden unfehlbar eine außerordentliche Wirkung in der Kirchenversammlung zu Trient hervorgebracht haben, wenn Abgeordnete sie vorgelegt hätten, die sich äußerlich zu dem katholischen Glauben bekannten. Die ernannten Gesandten wurden jedoch nicht abgeschickt, da bald nachher die Thätigkeit der Kirchenversammlung unterbrochen ward.

 

Die Gefahren, die der katholischen Kirche in Polen drohten, stiegen indeß mit jedem Tage. Die protestantische Synode zu Kosminek

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*) Modrzewski sagt selbst, er habe den Rath vieler Personen eingeholt. Man habe zwar, setzt er hinzu, die Besorgniß ausgesprochen, daß er durch die Veröffentlichung seiner Schrift der Religion eine Wunde schlagen werde, aber er habe nie eine Neuerung einführen wollen, sondern nur vorgeschlagen, was sich in der heiligen Schrift und bei den bewährtesten Schriftstellern finde.

 

 

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bewirkte im Jahre 1555 eine Vereinigung der böhmischen Brüder und der Calvinisten in Polen, wodurch die protestantische Partei eine bedeutende Verstärkung erhielt. Die katholische Kirche, die nicht mehr befugt war, Ketzer zu bestrafen, fühlte ihre Schwäche und war nicht abgeneigt, eine National-Synode zu berufen, welche bedeutende Verbesserungen in der Kirche einführen könnte, wenn sie nur die kirchlichen Grundlehren und die Hierarchie beibehalten wollte. Der König leistete der katholischen Geistlichkeit keinen wesentlichen Beistand und gab ihr den Rath, ihre Sache durch Gründe, nicht durch Gewalt zu vertheidigen *). Franz Krasinski, der Erzdechant von Kalisch war, ungeachtet er zu Melanchthon’s Schülern gehörte, und später als Bischof von Krakau in den Verdacht der Ketzerei gerieth, machte in den Jahren 1555 und 1556 zu jenem Zwecke einige Anträge, deren Sprache seine Rechtgläubigkeit in Zweifel stellte. Der Erzbischof Dzierzgowski wünschte gleichfalls die Berufung einer unabhängigen National-Synode, um die Glaubenszwiste in Polen zu schlichten. Es läßt sich unmöglich mit Bestimmtheit behaupten, ob die katholische Geistlichkeit in Polen wirklich die Absicht gehabt habe, in der Lehre und der Kirchenzucht wahre Verbesserungen einzuführen und auf die Foderungen ihrer Gegner zu achten; man darf jedoch mit gutem Grunde vermuthen, daß solche Absichten, wenigstens von einem Theile der Geistlichkeit, gehegt wurden, da der Plan zu einer solchen Synode die Besorgnisse des römischen Stuhles und einiger seiner eifrigsten Anhänger erweckte **). Der Papst hatte allerdings gute Gründe, einer solchen Maßregel entgegen zu treten, da die Berufung einer, bloß aus Katholiken bestehenden Synode für die Hemmung der Fortschritte der Reformation durchaus ohne Nutzen gewesen wäre, während eine Synode, an deren Berathungen auch Protestanten Antheil genommen hätten, unfehlbar zum Sturze des Romanismus in Polen geführt haben würde. Es war daher natürlich und im Einklange mit seinen Grundsätzen, daß Rom die Zustimmung zur Berufung einer National-Synode verweigerte, indem es die Angelegenheiten der polnischen Kirche in einer allgemeinen Kirchenversammlung zu ordnen versprach. Es war wirklich das klügste Benehmen, das der Romanismus zu jener Zeit in Polen befolgen konnte, in einem Zustande der Unbeweglichleit zu bleiben, weil ein

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*) Er äußert dies in einem Schreiben an Hosius, und setzt hinzu, er sei für eine Synode, zu welcher auch Sectirer berufen würden.

**) Hosius erklärte offen, er werde nie an der beabsichtigten Synode Theil nehmen, da er wisse, daß man Ketzer bei den Berathungen zulassen werde.

 

 

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Versuch, dem verderbten Zustande der Kirche abzuhelfen, zu einem gänzlichen Verfalle des morschen Gebäudes geführt haben würde, während die rüstige und thatkräftige protestantische Partei lebhaft wünschen mußte, mit ihrem alterschwachen Gegner in einen Streit zu gerathen.

 

Der Reichstag von 1552 hatte den Wunsch ausgesprochen, die Zwistigkeiten zwischen der herrschenden Kirche und einem großen Theile des Volkes durch eine National-Synode geschlichtet zu sehen. Die heftigen Streitigkeiten, die auf diesem Reichstage über die kirchliche Richtergewalt geführt wurden, verdrängten auf einige Zeit jene wichtige Frage, die aber auf dem Reichstage zu Piotrkow im Jahre 1555 wieder angeregt wurde. Die Landboten zeigten dem Könige die Nothwendigkeit, eine aus allen Glaubensparteien zusammengesetzte National-Synode zu berufen, welche eine Kirchenverbesserung auf der Grundlage der heiligen Schrift einführen sollte. Es sollten aber nicht nur die Wortführer aller Glaubensparteien in Polen, an den Berathungen der Synode Theil nehmen, sondern es ward auch vorgeschlagen, die ausgezeichnetsten Reformatoren in Europa, Calvin, Beza, Melanchthon und den Italiener Vergerio, der zu jener Zeit in Polen war, dazu einzuladen.

 

 

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Sechster Abschnitt.
Johann Laski und seine Wirksamkeit.

 

Die größten Hoffnungen für die Verbreitung der Kirchenverbesserung in Polen stützten sich auf Johann Laski, der einen so ausgezeichneten Antheil an der Förderung dieses großen Werkes genommen hat, daß wir bei der Schilderung seiner Bemühungen länger verweilen müssen. Die Familie Laski gehört zu den edlen Geschlechtern Polens und hat im sechzehnten Jahrhunderte viele bedeutende Männer hervorgebracht, die in der Kirche, in der Staatsverwaltung und im Felde ihre Namen berühmt machten. Der Erzbischof von Gnesen, Johann Laski, der Aeltere, machte als Großkanzler durch die erste Sammlung der Landesgesetze *) sich bekannt, wurde vom Papste zum Legaten ernannt, und

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*) Commune Poloniae regni Privilegium constitutionum et indultuum. Krakau, 1506. Fol.

 

 

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obgleich selber nicht gelehrt, war er doch ein thätiger Beförderer der Gelehrsamkeit. Er stellte sich zwar der beginnenden Reformation eifrig entgegen, doch konnte seine Rechtgläubigkeit ihn nicht abhalten, seinen Neffen, Jaroslaw Laski, einen erklärten Protestanten, welcher sich der Sache des Königs von Ungarn, Johann Zapolya, gegen Oestreich angenommen hatte, kräftig zu unterstützen. Er war es auch, der ihm rieth, den Beistand des Sultans Sulejman zu suchen. Ferdinand von Oestreich beklagte sich bei dem Papste über die Ränke des Erzbischofs und gab Beweise, daß Laski die Türken aufgereizt hatte. Der Papst that den Erzbischof in den Bann und nannte ihn einen Erzteufel, aber Laski fand Mittel, die Veröffentlichung des Bannfluchs zu hindern und blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1531 im ungestörten Besitze seiner Würde. Sein Neffe Jaroslaw war durch seine großen Geistesgaben, seine Verbindungen mit den ausgezeichnetsten Zeitgenossen und seinen Antheil an den wichtigsten Ereignissen einer der merkwürdigsten Männer des sechzehnten Jahrhunderts. Es gelang ihm als Zapolya’s Gesandter im Februar 1528 in Konstantinopel ein Bündniß gegen Oestreich zu schließen, was die Vertreibung der Oestreicher aus Ungarn zur Folge hatte. Als Zapolya in den Besitz des ungarischen Thrones gekommen war, gewann Jaroslaw Laski großen Einfluß in Ungarn, später aber ward er von dem Könige gefährlicher Anschläge beschuldigt und in’s Gefängniß gesetzt. Er ward endlich befreit und für unschuldig erklärt, verließ aber Ungarn und ging zu Zapolya’s Gegner Ferdinand über, als dessen Gesandter bei Sulejman er 1542 in Konstantinopel starb. Stanislaus, gleichfalls ein Bruder Johann Laski’s, gewann die Gunst des Königs Franz I., den er in der Schlacht bei Pavia begleitete. Er schrieb die Geschichte des unglücklichen Feldzuges unter dem Titel: „De Gallo ad Ticinum capto.“ Später ward er in Polen zu hohen Würden befördert.

 

Jaroslaw wußte durch seinen großen Einfluß in Ungarn seinem Bruder Johann Laski, oder wie er gewöhnlich im Auslande genannt ward, a Lasco, im Jahre 1529 das ungarische Bisthum Vesprin zu verschaffen. Laski, damals dreißig Jahre alt, war seit seiner Jugend zum geistlichen Stande bestimmt und hatte die beste Erziehung erhalten, die sein Vaterland ihm geben konnte. Später besuchte er Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien und wurde mit vielen ausgezeichneten Zeitgenossen bekannt. In der Schweiz lernte er im Jahre 1524 Zwingli kennen, der zuerst Zweifel gegen die römische Kirchenlehre in ihm erweckte. Im folgenden Jahre lebte er bei Erasmus, der die innigste Freundschaft mit ihm schloß und eine an Begeisterung

Krasinski.

 

 

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gränzende Achtung gegen ihn hegte *). Laski erwiderte dankbar diese Gesinnungen und half den Bedürfnissen des gelehrten Mannes mit jener Freigebigkeit ab, die zu jener Zeit den polnischen Adel auszeichnete. Er kaufte ihm seine Büchersammlung ab, deren lebenslänglichen Genuß er ihm aber ließ **). Von Erasmus hat Laski wahrscheinlich jene Milde und Sanftmuth gelernt, die ihm bei aller Festigkeit in seinen Vorsätzen eigen waren. Er kehrte 1526 mit einer starken Hinneigung zu den protestantischen Lehren in sein Vaterland zurück, wiewohl er äußerlich in Gemeinschaft mit der römischen Kirche blieb. Nach und nach ward er zu verschiedenen geistlichen Würden befördert, die er annahm, in der Hoffnung, daß es möglich sein werde, die römische Kirche zu verbessern, ohne sich von ihr zu trennen, und in Uebereinstimmung mit dieser Meinung ließ sich Erasmus von ihm bewegen, dem Könige von Polen, wiewohl in sehr vorsichtigen Ausdrücken, die Nothwendigkeit einiger Verbesserungen der römischen Hierarchie vorzustellen ***). Im Jahre 1536 soll er zum Bischofe vom Cujavien ernannt worden sein, und es ist nicht zu bezweifeln, daß der Einfluß seiner Familie, in Verbindung mit seinen eigenen Verdiensten, ihn zu den höchsten Kirchenwürden in Polen geführt haben würde; als er aber endlich die Hoffnung aufgeben mußte, daß die römische Kirche ihre Verbesserungen selbst herbeiführen werde, entschloß er sich, Polen zu verlassen, um sich der Sache der Reformation freier und wirksamer widmen zu können. Wahrscheinlich hatte er seine Absichten dem Könige mitgetheilt, welcher vielleicht aus Furcht vor den Störungen, die der Abfall eines so ausgezeichneten Mannes in einem Lande, wo die protestantische Partei noch so schwach war, herbeiführen könnte, ihm einen ehrenvollen Vorwand verschaffte, sich in das Ausland zu begeben.

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*) Erasmus sagt in einem seiner Briefe an Laski: „Senex juvenis convictu factus sum melior, ac sobrietatem, temperantiam, verecundiam, linguae moderationem, modestiam, pudicitiam, integritatem quam juvenis a sene discere debuerat, a juvene senex didici.“

**) Laski bezahlte für die Sammlung 300 Goldkronen, wovon eine Hälfte 1525 bei dem Abschlusse des Kauf, die andere nach dem Tode des Eigenthümers bezahlt wurde.

***) Er sagt, im Einklange mit seiner bekannten Gesinnung, in jenem Schreiben von 1527: „Es ist möglich, daß aus dieser bitteren Arznei, womit die Welt gequält wird, Gesundheit hervorgehe, und der Sieg nicht den Menschen, sondern dem Haupte der Kirche, Christus, zufalle, der vielleicht diese Stürme der menschlichen Dinge zugelassen hat, damit einige vom Ueberflusse des weltlichen Glückes gleichsam berauschte Menschen zur Nüchternheit des christlichen Sinnes erwachen.”

 

 

 

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Laski verließ Polen im Jahre 1537, wie es scheint, mit einem gesandtschaftlichen Auftrage; doch ist die eigentliche Beschaffenheit seiner Anstellung nicht bekannt *).

 

Es läßt sich nicht bestimmen, wohin Lassi nach der Abreise aus Polen zunächst sich wendete, und wir wissen nur, daß er, nachdem er öffentlich zur protestantischen Kirche nach dem schweizerischen Glaubensbekenntnisse übergegangen war, im Jahre 1540 in Mainz sich verheirathete und die glänzenden Aussichten aufopferte, die sich ihm eröffnet haben würden, wenn er der römischen Kirche treu geblieben wäre. Seine Verheirathung, die seine Trennung von Rom auf eine entschiedene Weise vollendete, zog ihm den bittersten Haß der römischen Geistlichkeit zu, die ihn als einen erklärten Ketzer in den Bann that und ihn in Brabant zu verleumden suchte. Bis zum Jahre 1540 scheint er kein öffentliches Amt verwaltet zu haben; seine umfassenden und mannigfaltigen Kenntnisse aber, seine redliche Gesinnung und der freundschaftliche Verkehr, den er mit den ersten Gelehrten seiner Zeit unterhielt, erwarben ihm einen großen Ruf unter den protestantischen Fürsten, die ihn in ihre Staaten zu ziehen suchten. Enno, Graf von Ostfriesland, der kurz vor seinem Tode die zum Theil schon 1528 begonnene Kirchenverbesserung in seinem Lande völlig einzuführen beschloß, machte Laski den Antrag, dieses wichtige Werk auszuführen. Laski, der sich in Emden niedergelassen hatte, weigerte sich einige Zeit, die Leitung der Kirchen des Landes anzunehmen. Der Tod des Grafen Enno im Jahre 1540 unterbrach die Unterhandlungen über diesen Gegenstand, seine Schwester Anna, die Herrin des Landes, drang aber darauf, daß Laski die Einrichtung der Kirchen übernehmen sollte. Er zögerte lange, ehe er diesen wichtigen Auftrag annahm, und empfahl seinen Freund Hardenberg in Bremen, bis er endlich durch die vereinigten Bitten des Stadtraths und der Bürger sich bewegen ließ, die ihm angebotene Stelle im Jahre 1543 anzutreten. Im folgenden Jahre ward er zum Oberaufseher der Kirchen in Friesland ernannt. Er hatte bei der Vollendung des großen Werkes der Reformation mit außerordentlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, da er wider eine entschiedene Abneigung gegen die völlige Abschaffung römischer Gebräuche, deren man viele in den Landeskirchen beibehalten hatte, wider das Verderbniß der Geistlichkeit, und vor allen Dingen wider die Lauheit

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*) Bullinger in Zürich bezeichnet Laski in einem, von Gerdes im Scrinium antiquarium (Bd. 4. S. 446.) mitgetheilten Schreiben im Jahre 1544 als Gesandten des Königs von Polen.

 

 

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vieler Menschen in Glaubensangelegenheiten zu streiten hatte. Laski’s unnachgibiger Eifer und seine durch keine Täuschung erschütterte Beharrlichkeit waren nach einem sechsjährigen schweren Kampfe so glücklich, die Ueberreste des römischen Aberglaubens auszurotten und den protestantischen Glauben völlig einzuführen. Diese Zeit wurde durch einige Zwischenräume unterbrochen, in welchen er, durch die stets ihm in den Weg geworfenen Schwierigkeiten angewidert, sein Amt niederlegte, aber es gelang ihm, während seiner Amtsführung den Bilderdienst abzuschaffen, eine bessere Einrichtung der Hierarchie und der Kirchenzucht einzuführen, eine reine schriftmäßige Art des Abendmahlgenusses und der Auslegung desselben festzusetzen, und ein Glaubensbekenntniß zu entwerfen, so daß er als der eigentliche Gründer der protestantischen Kirche in Friesland zu betrachten ist.

 

Laski’s Ruf bewog viele protestantische Fürsten und Kirchen, ihn um seinen Beistand zu bitten und seinen Rath zu verlangen, und unter andern machte der Herzog Albert von Preußen ihm den Antrag, die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten in seinem Lande zu übernehmen; Laski aber verlangte die völlige Unabhängigkeit der Kirche von der weltlichen Gewalt und war überdies den katholischen Gebräuchen abhold, welche die lutherische Kirche noch beibehalten hatte. Diese Umstände machten die Annahme der Vorschläge des Herzogs unmöglich und die Unterhandlung wurde abgebrochen. Laski entwarf zu jener Zeit sein Bekenntniß, daß er den Kirchen in Friesland als Glaubenregel gab, und mehren ausgezeichneten Reformatoren, Melanchthon, Bucer, Bullinger, Hardenberg, vorlegte. Dieses Bekenntniß, das in Beziehung auf das Abendmahl die Lehren der schweizerischen und der englischen Reformatoren annahm, erregte heftigen Unwillen unter dem Lutheranern. Die Theologen in Braunschweig, Hamburg und Bremen machten die gröbsten Angriffe auf Laski, der mit dem Tone christlicher Milde und Sanftmuth antwortete und den Schmähungen der lutherischen Theologen Gründe entgegensetzte.

 

Während seines Aufenthaltes in Emden war Laski oft genöthigt, sich mit vielen der schwärmerischen Sectenhäupter, die im sechzehnten Jahrhunderte in Deutschland sich umhertrieben, in Streitigkeiten einzulassen. Menno Simonis, ein Friesländer und ursprünglich ein katholischer Priester, der im Jahre 1536 die Meinungen der Wiedertäufer annahm und der Stifter der Mennoniten wurde, predigte seine Lehren in Emden. Laski lud ihn zu einer freundschaftlichen Besprechung ein, die angenommen ward, aber keinen Erfolg hatte. Auch bemühte er sich eifrig, den Sectenführer David Georgis, der große

 

 

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Bewegungen in Emden veranlaßte, zu andern Ansichten zu bewegen, als aber seine Anstrengungen fruchtlos blieben, mußten Georgis und seine Anhänger auf Befehl der Behörde die Stadt verlassen. Die beständigen Schwierigkeiten, mit welchen Laski bei der Beförderung seines großen Werkes in Friesland zu kämpfen hatte, zwangen ihn im Jahre 1546 die oberste Leitung der kirchlichen Angelegenheiten des Landes abzugeben und seine Thätigkeit auf das Amt eines Prediger an einer Kirche zu Emden zu beschränken. Er sah mit lebhaftem Bedauern, daß unter den Friesländern eine auffallende Hinneigung zu der Iutherischen Lehre hervortrat. Der Geistliche Lemnius war der Hauptbeförderer dieser Partei, die rasch anwuchs und laut den Plan verkündete, Melanchthon zu berufen, um statt des von Laski eingeführten Gottesdienstes den Iutherischen anzunehmen. Er erhielt zu derselben Zeit (1548) eine schmeichelhafte Einladung von dem Erzbischofe von Canterbury, Thomas Cranmer, sich mit den ausgezeichneten Männern zu vereinigen, die berufen wurden, um die Reformation in England zu vollenden. Jene Einladung wurde hauptsächlich durch den Einfluß Peter Martyr’s *) und Wilhelm Turner’s veranlaßt, und dieser besonders empfahl Laski dem Protector Somerset, der bei jener Gelegenheit selbst an den polnischen Reformator schrieb. Laski hatte zwar immer noch eine starke Partei in Friesland und besaß die Gunst der Gräfin Anna, die nur sehr ungern auf die dringenden Bitten des englischen Hofes ihm Urlaub bewilligte, aber er entschloß sich endlich, Cranmer’s Einladung zu folgen; da er jedoch die Grundsätze nicht kannte, nach welchen die Reformation in England bewirkt werden sollte, so ging er mit dem Vorsatze, nur einen vorläufigen Besuch in England zu machen, um die Entwürfe der englischen Reformatoren kennen zu lernen. Er nahm einstweilen Abschied von seiner Gemeinde, und reiste verkleidet durch Brabant und andere katholische Länder nach England, wo er im September 1548 ankam. Es bildete sich zwischen ihm und Cranmer, in dessen Palast zu London er sechs Monate wohnte, eine innige Freundschaft, und beide waren in ihren Ansichten über die Kirchenverbesserung in Beziehung auf die Lehre, wie auf die Hierarchie und die Kirchenzucht einig. Laski erließ von Windsor ein Trostschreiben an seine Gemeinde in Emden, die er nach seiner Rückkehr im Jahre 1549 in einem sehr bedenklichen Zustande fand.

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*) Peter Martyr Bermigli, 1500 zu Florenz geboren, ein gelehrter Augustinermönch, war ein eifriger Beförderer der Kirchenverbesserung in Italien, besonders in Neapel und Lucca. S. M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien. S. 114 ff.

 

 

 

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Die Einführung des Interim *) in Friesland, im Jahre 1548, bewog Laski, das Land zu verlassen. Man beschuldigte ihn überdies, daß er politische Ränke gespielt und London in der Absicht besucht habe, ein Bündniß zwischen den Königen von Polen und England gegen den Kaiser zu stiften. Die Falschheit dieser Anklage wurde durch einen Brief bewiesen, den Siegmund August selbst an Laski schrieb und der ihn vor seiner Abreise aus Emden erreichte. Er verließ diese Stadt im October 1549 und reiste, nach kurzem Aufenthalte in Bremen und Hamburg, nach England, wo er im Frühlinge des folgenden Jahres eintraf. Er wurde zum Oberaufseher der in London gegründeten protestantischen Ausländer-Gemeinde ernannt, die aus Franzosen, Deutschen und Italienern bestand, und von der englischen Regierung Schutz und freigebige Unterstützung erhielt. Der Zweck dieser, mit allen Rechten einer Genossenschaft begabten Gemeinde war sehr wichtig und bewies den aufgeklärten Eifer und die umfassenden Ansichten des Erzbischofs Cranmer, da sie sehr leicht der Keim der Reformation in den Ländern werden konnte, woher die Mitglieder als Flüchtlinge gekommen waren. Laski war eifrig bemüht, die Vorrechte und Vortheile seiner Kirchengemeinde zu behaupten. Die Mitglieder, die meist in den Kirchspielen St. Katherine und Southwark wohnten, wurden von den Kirchenältesten zuweilen aufgefodert, in ihren Pfarrkirchen zu erscheinen, obgleich die Geistlichen selbst sich dort nicht einfanden. Als im Jahre 1552 eine solche Auffoderung mit der Androhung von Gefängnißstrafe begleitet wurde, wendete sich Laski an den Bischof Goodrich, der zugleich Lord-Kanzler war, durch dessen Vermittlung der Beschwerde abgeholfen wurde. Laski’s Oberaufsicht scheint sich über alle aus Ausländern zusammengesetzten Kirchengemeinden in London und zugleich über ihre Schulen erstreckt zu haben, und Melanchthon rühmt in einem Schreiben an ihn die Reinheit der in diesen Kirchen eingeführten Lehre. Seine Lage war nun so günstig, daß er im Stande war, gelehrten Ausländern, die in England Zuflucht suchten, Unterstützung zu gewähren.

 

Burnett beschuldigt Laski, er habe als Fremder sich in die Angelegenheiten der englischen Kirche eingemischt, indem er seine Ansichten über einige Gegenstände der Kirchenzucht und der Liturgie ausgesprochen habe. Man darf jedoch fragen, ob Laski Tadel ober Lob verdiene,

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*) Die Verordnung Karl’s V., nach welcher den deutschen Protestanten zeitweilig und bis zur Ausgleichung der kirchlichen Angelegenheiten durch eine allgemeine Kirchenversammlung das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gestattet wurde.

 

 

 

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wenn er, zur Mitwirkung bei dem großen Werke der Reformation berufen, gewissenhaft seine Meinung aussprach. Viele andere würden vielleicht sich enthalten haben, Ansichten zu äußern, die den Gesinnungen derjenigen entgegen waren, von welchen ihre weltlichen Vortheile abhingen, statt sich, wie Laski, der Gefahr auszusetzen, durch Behauptung ihrer Grundsätze die Gunst ihrer Freunde zu verlieren. Vermutlich wußte Burnett, der Laski’s Aufenthalt in England nur leicht berührt, nichts von dem Umstande, daß der Pole als Reformator nach England war eingeladen worden. Die Freimüthigkeit, womit Laski seine Meinungen über kirchliche Angelegenheiten aussprach, verminderte nicht die Achtung, welche die englische Regierung ihm widmete, da er im Jahre 1551 einer der Bevollmächtigten wurde, die den Auftrag erhielten, die kirchlichen Gesetze zu verbessern *).

 

Der Tod Eduard’s VI. und die Thronbesteigung der Königin Maria unterbrachen die Fortschritte der Reformation in England, aber die heftige Gegenstrebung zum Vortheile des Papstthums erstreckte sich nicht auf die Mitglieder der ausländischen Kirchengemeinde, die das Land ungehindert verlassen konnten. Laski schiffte sich im September 1553 mit 175 Personen ein, die entschlossen waren, ihren Prediger zu begleiten und sein Loos zu theilen. Ein Sturm zerstreute die Fahrzeuge, welche die frommen Wanderer aus England führten, und das Schiff, wo Laski sich befand, lief in den Hafen von Helsingoer ein. Der König von Dänemark nahm ihn günstig auf und verweigerte den Pilgern nicht eine gastfreundliche Aufnahme, sein Hofprediger Noviomagus aber, ein eifriger Lutheraner, wußte den König auf andere Gesinnungen zu bringen, und ging so weit, die reformirte Kirche heftig in einer Predigt anzugreifen, welcher Laski, von dem Könige eingeladen, beiwohnte. Laski war höchst empfindlich über diese gemeine Verletzung der Gastfreiheit, welche sich die lutherischen Geistlichen erlaubten, die ihre Verfolgung nicht auf eine solche unwürdige Beschimpfung eines Unglücklichen beschränkten und ihn auffoderten, seine Ketzerei, wie sie sagten, zu verlassen. Die Rechtfertigung seines Glaubensbekenntnisses, die Laski dem Könige von Dänemark übergab, konnte den theologischen Haß der dänischen Geistlichkeit nicht mildern. Sie hatten das Papstthum auf eine sehr unvollkommene Weise verlassen, und schienen mit manchem Aberglauben der alten Kirche auch ihren Verfolgungsgeist behalten zu haben. Der Iutherische Prediger Joachim

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*) Er tadelte besonders die englische Liturgie, die geistliche Amtskleidung, die Feierlichkeiten beim Abendmahle, und verlangte, daß man das Abendmahl sitzend empfangen solle.

 

 

 

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Westphalus nannte Laski’s ausgewanderte Gemeinde die Märtyrer des Teufels, und Bugenhagen wollte sie nicht als Christen anerkennen. Die Ausgewanderten erhielten von ihm die Weisung, daß er lieber Päpstler als sie in seinem Lande dulden wollte, und trotz der unfreundlichen Jahreszeit mußten sie sich einschiffen; nur Laski’s Kinder durften bis zum Frühlinge bleiben. Der Haß der Lutheraner verfolgte Laski’s Gemeinde auch in Hamburg, Lübeck und Rostock, und man verdammte ihre Lehre, ohne sie anzuhören. Danzig gewährte den Ueberresten der unglücklichen Gemeinde eine Zuflucht, und Laski selbst ward in Emden mit Ehrerbietung und Wohlwollen aufgenommen und schickte bald nachher eine ernste Beschwerde an den König von Dänemark über die in diesem Lande erlittene unverdiente Behandlung. Gustav Wasa lud ihn ein, sich in Schweden niederzulassen und versprach ihm volle Gewissensfreiheit, doch lehnte Laski dieses Anerbieten ab, weil er sich wahrscheinlich in Friesland ansiedeln wollte, wo er früher so erfolgreich für die Reformation gewirkt hatte. Seine Hoffnung, im Lande bleiben zu können, wurde jedoch bald durch den zunehmenden Einfluß des Lutherthums vereitelt, wie auch durch die Feindseligkeit Brabants, dem die Nähe eines so ausgezeichneten Reformators bedenklich erschien. Diese Umstände verleideten ihm den Aufenthalt in Emden und er faßte den Entschluß, in sein Vaterland zurückzukehren, wo die protestantische Partei eines so gelehrten und erfahrenen Führers sehr bedurfte. Trotz aller Bemühungen der Einwohner Emdens, den Gründer ihrer Kirche zurückzuhalten, trotz der Anerbietungen der Gräfin Anna ging Laski nach Frankfurt am Main, wo er eine Kirche für die belgischen Protestanten stiftete.

 

Laski blieb in beständigem Verkehre mit vielen seiner Landsleute in Beziehung auf Glaubenssachen und persönliche Angelegenheiten. Er genoß fortdauernd die Achtung seines Königs, welcher, wie erwähnt, die gegen Laski verbreiteten verleumderischen Gerüchte in einem eigenen Schreiben widerlegte. Laski verlor nie seinen großen Zweck aus dem Auge, die Sache der Reformation in seinem Vaterlande zu fördern, sobald sich ihm eine Gelegenheit zum Handeln darböte. Als er in Friesland und England apostolische Pflichten übernahm, geschah es nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß es ihm gestattet sein sollte, in sein Vaterland zurückzukehren, wenn die Glaubensangelegenheiten seine Gegenwart heilsam oder nothwendig machen sollten. Während seines Aufenthaltes in Frankfurt war er vorzüglich bemüht, die beiden protestantischen Kirchen, die Iutherische und die reformirte, zu vereinigen. Er wurde zur Beförderung dieser Vereinigung durch Briefe von dem

 

 

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Könige Siegmund August ermuntert, der dieselbe als einen wichtigen Schritt zu einer freundschaftlichen Ausgleichung der Glaubenszwiste in seinem Lande betrachtete, und überdies war eine solche Einigung für die protestantische Sache selbst wichtig, welche durch jene unglücklichen Zwiste sehr geschwächt wurde. Von solchen Beweggründen geleitet, übergab Laski dem Rathe zu Frankfurt eine Denkschrift, worin er zeigte, daß es keine hinreichende Ursache zur Trennung der beiden protestantischen Kirchen gebe. Man hoffte, daß eine auf den 22. Mai 1556 bestimmte Besprechung über diesen wichtigen Gegenstand, die von mehren deutschen Fürsten begünstigt wurde, ein günstiges Ergebniß haben werde; der Iutherische Theolog Brentius aber zerstörte jede Hoffnung auf eine Aussöhnung, da er verlangte, daß die Reformirten die augsburgische Confession unterzeichnen sollten. Auch suchte Brentius den Lehrsatz von der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi zu behaupten, den er mit Gründen verfocht, welche Laski ungereimt, unerhört und weder durch die Schrift, noch durch die Kirchenväter unterstützt nannte. Brentius antwortete mit der Beschuldigung, daß Laski nur die Unerfahrnen überreden wolle, und der Streit machte die Trennung noch schroffer. Laski verlor jedoch nicht die Hoffnung, die Vereinigung zu Stande zu bringen, und begab sich nach Wittenberg, um sich, nach dem Wunsche des Landgrafen von Hessen, mit Melanchthon über diesen wichtigen Gegenstand zu besprechen. Er wurde mit großer Auszeichnung empfangen, und die Universität wollte ihn durch eine öffentliche Feierlichkeit ehren, was er jedoch ablehnte. Es gelang ihm zwar nicht, eine förmliche Besprechung zu erlangen, Melanchthon aber übergab ihm ein Schreiben an den König von Polen, dem er die geänderte augsburgische Confession beilegte, mit dem Versprechen, daß er eine umständlichere Erklärung jenes Gegenstandes senden wolle, wenn Siegmund August entschlossen sei, die Reformation in seinem Lande einzuführen. Der König glaubte, daß dieses Schreiben die Aussicht auf eine Vereinigung der protestantischen Kirchen in Polen eröffnet habe, ein Ereigniß, das später auch eintrat.

 

Ehe Laski in sein Vaterland zurückkehrte, veröffentlichte er eine neue Bearbeitung seines Berichtes über die Ausländer-Kirche in London, die er dem Könige von Polen, dem Senate und allen Ständen des Landes widmete *). Er entwickelte in der Zuschrift in einem ruhigen und würdigen Zone, aber mit kräftiger Beweisführung die Nothwendigkeit

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*) Forma ac ratio tota ecclesiastici ministerii in peregrinorum, potissimum vero Germanorum ecclesia instituta Londini — Frankfurt 1555.

 

 

 

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einer Reformation in Polen und die Beweggründe, die ihn bestimmt hatten, die Lehre und die Hierarchie Roms zu verwerfen. Er behauptete, daß das Evangelium allein die wahre Quelle der Glaubenslehre und der Kirchenzucht sei, und daß weder die Ueberlieferung, noch auch ein langer herrschender Gebrauch irgend eine Geltung haben könne, daß selbst das Zeugniß der Kirchenväter nichts entscheide, da man oft bei ihnen widersprechende Meinungen finde, daß sie sich bemüht hätten, eine vollständige Einheit des Glaubens einzuführen, ohne je zu diesem Ziele zu kommen, daß man am sichersten Zweifel und Ungewißheit entferne, wenn man die Lehren und die Einrichtung der apostolischen Urkirche erforsche, daß man die Worte des Evangeliums nicht durch Ausdrücke, die dem Sinne desselben ganz fremd seien, erklären und ausdehnen könne, und daß die Kirchenversammlungen und die gelehrten Theologen in dieser Beziehung viele Irrthümer begangen hätten. Auch behauptete er, daß der Papst der Wiederherstellung des Evangeliums große Schwierigkeiten in den Weg lege, die man besiegen müsse, und daß bereits ein guter Anfang zu diesem Zwecke gemacht sei, da der König sich der Reformation nicht widersetze, die von dem größten und besten Theile der Landesbewohner gefodert werde. Die kirchlichen Verbesserungen, setzte er hinzu, müsse man jedoch mit großer Umsicht ausführen, da nicht jeder, der gegen Rom spreche, nothwendig rechtgläubig sei. Man müsse Sorge tragen, daß nicht statt der alten Tyrannei eine neue eingeführt, oder auf der andern Seite zu sehr die Entstehung des Atheismus begünstigt werde, zu welchem viele sich hinzuneigen schienen. Der Streit über den wahren Sinn des Abendmahls sei noch immer unentschieden und man müsse daher Gott bitten, daß er uns über diesen wichtigen Gegenstand erleuchte. — Außer dieser Darlegung seiner Glaubensgrundsätze, fügte er einige ihn selbst betreffende Erläuterungen hinzu, unter andern, daß er nie aus seinem Vaterlande verbannt worden sei, sondern mit Genehmigung Siegmund’s I. es verlassen, daß er in mehren Theilen Europas die Pflichten eines christlichen Predigers ausgeübt habe und Vorstand der Ausländer-Gemeinde gewesen sei, deren Lehren und Einrichtung er als Muster für eine Verbesserung der polnischen Kirche empfehle.

 

Ein so ausgezeichneter Mann war gewiß vorzüglich geeignet, sich an die Spitze der Kirchenverbesserung in Polen zu stellen, und es war natürlich, daß die Protestanten mit Hoffnung und Bewunderung auf ihn blickten, während mit Bosheit und Unwillen die Katholiken ihn betrachteten, welche die abscheulichsten Verleumdungen gegen ihn verbreiteten.

 

 

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Laski kam im December 1556 in Polen an, und sobald seine Ankunft bekannt war, beriefen die Bischöfe, durch den päpstlichen Nuntius, Aloys Lippomani, aufgereizt, eine Versammlung, um sich zu berathen, wie man gegen diesen „Schlächter der Kirche und Polens“ verfahren solle. Sie begaben sich in großer Zahl zu dem König und stellten ihm vor, wie gefährlich die Ankunft eines solchen Mannes wirken müsse, der ein geächteter Ketzer sei und, aus jedem Orte vertrieben, in sein Vaterland heimkehre, um Unruhe und Aufregung hervorzurufen; er sammle Kriegsvölker, um, die Kirchen im bischöflichen Sprengel von Krakau zu zerstören, eine Empörung gegen den König anzustiften und Aufruhr und Verheerung im ganzen Lande zu verbreiten. Der König war jedoch weit entfernt, das Geschrei der Bischöfe zu billigen, das keinen Eindruck auf ihn machte.

 

Laski wurde bald nach seiner Rückkehr zum Oberaufseher aller protestantischen Kirchen in Klein-Polen ernannt. Der Hauptgegenstand seiner Anstrengungen war nun, alle Protestanten zu einer Gesammtheit zu vereinigen, und er bat sie dringend, mehre unbedeutende Zwistigkeiten aufzugeben, um mit vereinter Kraft die allen Bekenntnissen gemeinschaftlichen evangelischen Wahrheiten zu vertheidigen. Dieser Plan wurde durch die bereits ausgeführte Vereinigung der reformierten Kirchen und der böhmischen Brüder nicht wenig erleichtert. Laski wollte nach seiner Ankunft in Polen den König Siegmund August besuchen, der sich in Wilna aufhielt, um ihn zu bewegen, die von den ausgezeichnetsten Bewohnern des Landes laut gefoderten Verbesserungen des Kirchenthums einzuführen. Diese Reise, welche die Katholiken mit Schrecken erfüllte, fand jedoch aus unbekannten Ursachen nicht statt. Er schickte aber dem König eine Darstellung seiner Ansichten von der Verbesserung der polnischen Kirche, Briefe von Melanchthon und die geänderte augsburgische Confession. Der König nahm Laski’s Mittheilungen sehr günstig auf, zögerte aber, entscheidende Schritte zu thun, bis eine Vereinigung unter den Protestanten selbst geschlossen sein würde.

 

Um dieselbe Zeit kehrte der Italiener Lismanini nach Polen zurück. Wir haben bereits erwähnt, welchen eifrigen Antheil er an den geheimen Zusammenkünften in Krakau nahm, und welchen Gefahren er durch die in Rom gegen ihn erhobenen Anklagen des Bischofs von Krakau sich ausgesetzt sah. Diese Umstände befestigten ihn noch mehr in seinen gegen das Papstthum streitenden Meinungen, obgleich er das Aeußere eines Mönches strenge beibehielt. Er hätte einer der nützlichsten Beförderer der Kirchenverbesserung in Polen werden können, denn er hatte freien Zutritt bei dem Könige Siegmund August, dessen

 

 

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Gunst er gewann, da es ihm gelungen war, eine anscheinende Aussöhnung zwischen der Königin Barbara Radziwill und ihrer Schwiegermutter zu stiften. Lismanini benutzte allerdings seinen Einfluß auf den König, um ihn für die protestantischen Lehren zu gewinnen, und erklärte ihm eine Zeitlang wöchentlich zweimal Calvin’s Darstellung der christlichen Glaubensgrundsätze. Der König, der den wahren Zustand der Reformation in Deutschland und in andern Gegenden Europas hinsichtlich ihrer Lehren und ihres Einflusses kennen zu lernen wünschte, gab Lismanini den Auftrag, die Länder zu besuchen, wo der Protestantismus eingeführt war, und ihm treuen Bericht zu geben. Der wahre Zweck seiner Sendung wurde jedoch geheim gehalten, als er im Jahre 1553 Polen in der vorgeblichen Absicht verließ, gelehrte Forschungen anzustellen und Bücher für die Sammlung des Königs anzukaufen. Er ging zuerst nach Italien, und blieb einige Zeit in Venedig, Padua und Mailand, wo er in einen so starken Verdacht der Ketzerei gerieth, daß man ihn einsperrte, doch ward er wieder in Freiheit gesetzt, da man erfuhr, daß er Aufträge für den König von Polen zu besorgen hatte. Er begab sich dann nach der Schweiz, lebte in vertrautem Verkehre mit den berühmtesten Gelehrten in Zürich, besuchte Bern, Genf, Lyon und blieb einige Zeit in Paris, aber immer im Mönchsgewande. Ueberall untersuchte er sorgfältig den Zustand der Glaubensangelegenheiten, und theilte einige seiner Beobachtungen dem Könige mit, wiewohl er die wichtigsten bis zu seiner Rückkehr nach Polen behielt. Von Paris ging er wieder nach der Schweiz, wo er, durch Calvin bewogen, öffentlich zu dem Protestantismus überging und sich verheirathete. Sein Reisegefährte und Geheimschreiber, Stanislaus Budzinski, war eifrig bemüht, diesen Schritt zu verhindern und stellte ihm vor, daß eine solche voreilige Kundgebung seiner protestantischen Meinungen für die Sache der Kirchenverbesserung in Polen sehr nachtheilig wäre, und daß Lismanini das Aeußere eines Katholiken bis zu seiner Rückkehr nach Polen hätte beibehalten sollen, weil es ihm die Bekehrung des Königs erleichtert haben würde. Lismanini’s Schritt war allerdings unklug, da der König, der seine Glaubensansichten nicht öffentlich erklären wollte, nun allen Verkehr mit ihm abbrach. Die Geistlichkeit that ihn in den Bann und der König, dessen Absichten er in gewisser Art verrathen hatte, verbot ihm die Rückkehr nach Polen und entzog ihm die früher gewährte Geldunterstützung. Er schrieb oft an den König, um die verlorene Gunst wieder zu gewinnen, aber weder seine Briefe, noch auch Calvin’s, Bullinger’s und Beza’s Fürbitten scheinen Eindruck auf Siegmund August gemacht zu haben, welcher überdies durch seine

 

 

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Mutter, die Königin Bona, aufgereizt wurde, die ihrem ehemaligen Beichtvater die Trennung von der römischen Kirche nicht verzeihen konnte. Als im Jahre 1555 eine Synode im Pinczow sich versammelte, bat Calvin die einflußreichsten Protestanten in Polen dringend, Lismanini einzuladen, als einen Mann, der ihrer Sache sehr nützlich sein könnte. Viele ausgezeichnete Männer verwendeten sich für ihn, und die Abreise der Königin Bona, die Polen in demselben Jahre verließ, um sich nach Italien zu begeben, entfernte das große Hinderniß seiner Rückkehr. Er kam im Sommer 1555 in Polen an, blieb aber einige Zeit in Ivanovitze in dem Hause einer Edelfrau, Agnes Dluska, verborgen. Er schrieb an Tarnowski, der ihm seine Vermittelung zur Aufhebung des Verbannungsausspruches versprach, und endlich ward ihm erlaubt, im Lande zu bleiben, wozu besonders die Verwendung Bonar’s, des Castellans von Biecz, und Cruciger’s *), des Oberaufsehers der protestantischen Kirchen in Klein-Polen beitrug, die im Namen der Edelleute und der protestantischen Geistlichkeit ihre Fürbitte einlegten. Der König hob zwar die früher gegen Lismanini erlassene Verfügung auf, gab ihm aber weder seine Gunst zurück, noch bewilligte er ihm je wieder Gehör. Lismanini hätte, auch nach dem Verluste der Gunst des Königs, durch seine große Gelehrsamkeit, seine Ueberredungsgabe und seinen Einfluß auf viele ausgezeichnete Männer in Polen, für die Kirchenverbesserung wohlthätig wirken können, wenn er der Sache, zu welcher er in Genf öffentlich sich bekannt hatte, treu geblieben wäre und Laski’s Bemühungen aufrichtig unterstützt hätte, um eine Bereinigung der protestantischen Glaubensparteien in Polen zu bewirken, die unumgänglich nothwendig war, ihrer Sache den Sieg zu sichern. Leider aber verrieth er bald seine Hinneigung zu den gegen die Lehre von der Dreieinigkeit gerichteten Meinungen, die er wahrscheinlich schon im Jahre 1551, als Lälius Socino gastfreundliche Aufnahme bei ihm fand, angenommen, aber vor Calvin und den Theologen in Zürich so gut verhehlt hatte, daß sie ihn für einen standhaften Anhänger ihrer Meinungen hielten. Er wurde vor der Synode in Krakau angeklagt, und als man seine wahren Meinungen ausgemittelt hatte, von der reformirten Kirche ausgeschlossen. Bald nachher verließ er Polen und begab sich nach Königsberg, wo er im Jahre 1563 in einem durch häusliches Unglück verursachten Anfalle von Wahnsinn sein Leben durch Selbstmord endete.

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*) Felix Cruciger ging 1546 mit seinem Gönner Stadnicki von dem katholischen Glauben zum lutherischen über, später zum Calvinismus.

 

 

 

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Laski, obgleich er Lismanini’s Beistand verloren hatte, fuhr mit unvermindertem Eifer fort, die Kirchenverbesserung in Polen zu befestigen. Seine Gelehrsamkeit, sein moralischer Charakter, seine bedeutenden Familienverbindungen trugen besonders dazu bei, die von den schweizerischen Reformatoren behaupteten Glaubenslehren unter den höheren Ständen in Polen zu verbreiten. Sein großer Zweck, den er nie aus dem Auge verlor, war dahin gerichtet, alle protestantischen Parteien in Polen zu vereinigen und endlich die Kirchenverbesserung nach dem Vorbilde der englischen Kirche einzuführen, die er sehr bewunderte. Er Iegte ohne Zweifel den Grund zu der Vereinigung der Protestanten, die nach seinem Tode durch den berühmten Vergleich von Sandomir bewirkt ward. Auch nahm er eifrigen Antheil an der Bibelübersetzung, die in Brzesc erschien, und schrieb viele Bücher, welche jetzt meist verloren gegangen sind. Sein Tod, der am 8. Januar 1560 erfolgte, unterbrach seine unermüdeten Anstrengungen für die Sache der Reformation und hinderte ihn, die großen Absichten auszuführen, zu welchen er angemessene Vorbereitungen machte. Wir haben nur sehr unbefriedigende Nachrichten über die Anstrengungen, die er, nach Polen zurückgekehrt, zur Beförderung der Kirchenverbesserung machte, und wir wissen weit weniger von diesem Abschnitte seines Lebens als von der früheren Zeit, die er im Auslande zubrachte. Diese Dürftigkeit der Quellen hat ihren Grund hauptsächlich in dem Umstande, daß alle die protestantischen Lehren und ihre Hauptbeförderer betreffenden Urkunden von der katholischen Geistlichkeit, besonders den Jesuiten, sorgfältig zerstört wurden. Dies muß um so mehr in Beziehung auf Laski der Fall gewesen sein, da seine Nachkommen, die sich dem Papstthume wieder zuwendeten, gewiß alles zu vernichten gesucht haben, was sich auf die Bemühungen ihres Ahnherrn bezog, den sie als einen Beförderer der Ketzerei betrachten mußten.

 

Wir könnten viele Zeugnisse der hohen Achtung anführen, in welcher Johann Laski bei den ausgezeichnetsten Zeitgenossen stand, aber wir wollen nur erwähnen, wie Orzechowski so lebhaft durch ihn angeregt wurde, daß er zu ihm sagte: „Mann Gottes, ich reiche Dir die Hand!“

 

 

 

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Siebenter Abschnitt.

Ankunft des päpstlichen Nuntius Lippomani. Die katholische Synode zu Lowicz. Der Cardinal Commendoni und die Kirchenversammlung zu Trient.

 

Die Berufung einer National-Synode, in welcher alle Glaubensparteien ihre Vertreter hätten, kam zwar nicht zu Stande, doch errang die Sache der Reformation einen glänzenden Sieg auf dem Reichstage von 1556 durch ein Gesetz, nach welchem es jedem Edelmanne gestattet ward, in seinem Hause einen ihm geeignet scheinenden Gottesdienst einzuführen, der jedoch auf der Grundlage der Schrift ruhen sollte. Der König erließ zugleich im Namen des Reichstags ein Schreiben an dem Papst Paul IV. auf der Kirchenversammlung zu Trient, worin folgende Puncte verlangt wurden: 1) daß die Messe in der Landessprache gehalten; 2) das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht; 3) die Priesterehe gestattet; 4) die Bezahlung der Annaten aufgehoben; 5) eine National-Synode berufen werden möchte, um den Mißbräuchen abzuhelfen und die verschiedenen Glaubensparteien zu vereinigen.

 

Diese kühnen Anträge erweckten die größten Besorgnisse am römischen Hofe, während seine eifrigsten Vertheidiger den gefährlichen, ja verzweifelten Zustand der katholischen Kirche in Polen erkannten. Der Papst hatte bereits im vorigen Jahre eines seiner ergebensten Werkzeuge, Aloys Lippomani *), nach Polen geschickt, um wo möglich die katholische Kirche in jenem Lande von dem drohenden Untergange zu retten. Zu gleicher Zeit erließ er Briefe an den König, den Senat und die einflußreichsten Männer im Lande, welchen er versprach, alle nöthigen Verbesserungen zu bewirken. Die Trüglichkeit einer solchen Zusage wurde geschickt treffend von Vergerio **) in einem Schreiben an

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*) Er wurde 1500 zu Venedig in einer alten Familie geboren und galt für einen der gelehrtesten Männer des sechzehnten Jahrhunderts. Er war Bischof von Verona und Bergamo, und wurde von den Päpsten zu mehren gesandtschaftlichen Geschäften in Polen, Deutschland und Portugal gebraucht, und war einer der Präsidenten der Kirchenversammlung zu Trient. Er starb zu Rom 1559.

**) Vergerio wurde durch den Herzog Albert von Brandenburg und den Fürsten Nikolaus Radziwill veranlaßt, nach Polen zu reisen, um die Sache der Kirchenverbesserung zu befördern. Er stammte aus einer Familie in Capo d’Istria, die sich im funfzehnten Jahrhunderte durch literarischen Ruhm auszeichnete. Ehe er zum Protestantismus überging, war er Bischof und wurde von dem Papste zu mehren Gesandtschaften gebraucht. S. M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien. S. 130 ff.

 

 

 

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den König dargelegt, der ihn eingeladen hatte, dem Reichstage zu Warschau beizuwohnen. „Eine allgemeine Kirchenversammlung”, sagt er, „wird nie berufen werden. Die Päpste haben stets solche Versammlungen versprochen, um die Berufung unabhängiger National-Synoden zu verhindern. Der Papst Paul IV. hatte gehört, daß Polen seine Kirche selbst verbessern wollte, und er verpflichtete sich, eine allgemeine Versammlung zu berufen. Er bekräftigte seine Zusage mit dem Siegel des Fischerrings. Aber hat er sie gehalten? Nein, er hat schändlich gelogen. Doch selbst wenn eine solche Versammlung berufen werden sollte, so kann sie gar keine Wirkung haben. Sie wird aus dem Papste, den Cardinälen, Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen und Aebten bestehen, und diese Leute, die man als Gottesläugner und Epikuräer anklagt, sollten die Richter der Kirche werden? Eine solche Versammlung wird weder wahrhaft, noch christlich, noch frei sein. In einem solchen Falle werden alle Christen, die nicht zur Geistlichkeit gehören, fern bleiben; sie werden keinen Einfluß haben und auf bloßen Gehorsam angewiesen sein. Polen kann von einer solchen Kirchenversammlung nichts erwarten. Nie gab es eine günstigere Zeit zur Abwerfung des Joches, das Rom den Völkern aufgelegt hat. Nie fürwahr haben die Unterthanen des Reiches Eurer Majestät einmüthiger den Wunsch ausgesprochen, eine Kirchenverbesserung herbeizuführen. Mit wenigen Ausnahmen sind alle des Papstthums müde und wünschen, aus dem Schlamme desselben herausgezogen zu werden.” In einer andern Stelle seines Schreibens sagt Vergerio von Lippomani’s Ankunft: „Es betritt Euer Reich jetzt ein Mann, der Eure weisen und heilsamen Absichten zerstören wird; er wird eine friedliche Verbesserung verhindern und das Reich in Verwirrung bringen. Wenn er sieht, daß es ihm nicht möglich sein wird, die Berufung einer allgemeinen Synode zu verhindern oder sie in Sklaverei zu bringen, so wird er im Namen des Papstes einige unbedeutende Zugeständnisse machen, um die wirklichen und großen Mißbräuche zu erhalten.“

 

Das Schreiben des Papstes an Siegmund August enthielt die bittersten Vorwürfe. „Darf ich”, sagte Paul IV., „den Gerüchten glauben, die zu mir kommen, so muß ich den tiefsten Kummer fühlen, ja selbst an Eurem und Eures Reiches Heile zweifeln, Ihr begünstigt Ketzer, Ihr besucht ihre Predigten, Ihr hört ihren Gesprächen zu, zieht sie in Eure Gesellschaft und an Eure Tafel, und steht mit ihnen in Briefwechsel.

 

 

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Ihr erlaubt, daß ihre Schriften unter dem Schutze Eures Namens gelesen und verbreitet werden. Ihr verbietet nicht die Versammlungen, die geheimen Vereine und Predigten der Ketzer. Seid Ihr daher nicht selbst ein Beistand der Empörer und Gegner der katholischen Kirche, weil Ihr, statt ihnen Widerstand zu leisten, sie unterstützt? Kann es einen größeren Beweis Eurer Hinneigung zu den Ketzern geben, als wenn Ihr, gegen Euren Eid und gegen die Gesetze Eures Landes, Ungläubigen die ersten Staatswürden verleihet? Wahrlich, Ihr belebt, Ihr nähret und verbreitet die Ketzerei durch die Gunst, die Ihr Ketzern beweist. Ihr habt, ohne auf die Bestätigung des apostolischen Stuhles zu warten, dem Bischofe von Chelm das Bisthum Cujavien gegeben, obgleich er von den abscheulichsten Irrthümern angesteckt ist. Der Palatin von Wilna *), ein Ketzer, der Vertheidiger und das Haupt der Ketzerei, hat von Euch die ersten Staatsämter erhalten; er ist Kanzler von Lithauen, Palatin von Wilna, der vertrauteste Freund des Königs, und kann in gewisser Art als Mitregent und ein anderer König betrachtet werden. Ihr habt die richterliche Gewalt der Kirche aufgehoben und durch eine Verfügung des Reichstages jedem erlaubt, nach eigenem Belieben Prediger zu wählen und einen Gottesdienst einzuführen. Johann Laski und Vergerio sind auf Euer Geheiß in Eurem Lande angekommen. Ihr habt den Einwohnern von Elbing und Danzig gestattet, den katholischen Glauben abzuschaffen. Sollte meine Ermahnung gegen solche Vergehen und Aergernisse unbeachtet bleiben, so werde ich genöthigt sein, andere und kräftigere Mittel anzuwenden. Ihr müßt ein ganz anderes Verfahren befolgen; Ihr dürft denjenigen nicht glauben, die Euch und Euer Reich gegen die Kirche und den wahren Glauben in Empörung bringen wollen. Vollzieht die Verordnungen Eurer frömmsten Vorfahren. Hebt alle Neuerungen auf, die man in Eurem Reiche eingeführt hat. Gebt der Kirche die aufgehobene Richtergewalt zurück. Nehmet den Ketzern die Kirchen, die sie an sich gerissen haben. Vertreibt die Lehrer, die ungestraft Ansteckung im Lande verbreiten. Warum braucht Ihr auf eine allgemeine Kirchenversammlung zu warten, wenn Ihr hinlängliche Mittel zur Ausrottung der Ketzerei in der Hand habt? Sollte aber unsere Ermahnung unwirksam bleiben, so werden wir genöthigt sein, diejenigen Waffen zu gebrauchen, die der apostolische Stuhl nie vergebens wider die hartnäckigen Empörer gegen seine Gewalt anwendet. Gott ist unser Zeuge, daß wir kein Mittel versäumt haben; da aber unsere Sendschreiben,

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*) Fürst Nikolaus Radziwill.
Krasinski.

 

 

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Gesandten, Ermahnungen und Bitten ohne Erfolg geblieben sind, so werden wir zu der größten Strenge schreiten *).

 

Das Schreiben des Papstes gibt uns eine richtige Ansicht von dem Zustande, in welchem sich zu jener Zeit der Papismus in Polen befand, von den Fortschritten der Protestanten und von den Schwierigkeiten, mit welchen der Legat des apostolischen Stuhles kämpfen mußte. Er hatte in der That einen sehr schweren Auftrag, und der Senat, der meist aus Protestanten bestand, war einige Zeit in Zweifel, ob er den Eintritt in das Reich einem Manne erlauben sollte, der, wie Lippomani, mit der erklärten Absicht kam, den alten Glauben im Lande wiederherzustellen. Der König, der noch nicht mit Rom brechen wollte, und, wie es scheint, die Ankunft des Legaten nicht eben für sehr wichtig hielt, legte ihm nichts in den Weg. Der Ritterstand ward aber durch Lippomani’s Ankunft in große Unruhe versetzt, und gab vielen seiner Abgeordneten zum Reichstage die Weisung, mit besonderer Sorgfalt darauf zu sehen, daß die Gegenwart des Legaten dem Staate nicht Nachtheil bringe.

 

Lippomani’s Ankunft war in der That von wichtigen Folgen und verhinderte eine versöhnliche Annäherung zwischen den Katholiken und Protestanten. Er belebte den wankenden Muth und den geschwächten Eifer der katholischen Geistlichkeit, und machte den König noch schwankender, indem er ihm die Versicherung gab, daß der apostolische Stuhl diejenigen Foderungen genehmigen werde, die sich als unumgänglich erweisen ließen. Es gelang seinen Ränken, Zwietracht unter den Protestanten zu stiften, und dadurch ihre Partei bedeutend zu schwächen. Er lähmte die Thätigkeit jener gemäßigten Freunde der Kirchenverbesserung, die in der katholischen Kirche blieben, weil sie von einer National-Synode Abhilfe der Mißbräuche erwarteten, indem er ihnen die Zusage gab, daß eine allgemeine Kirchenversammlung jede nothwendige Verbessserung einführen werde, wodurch Unruhen und Zwistigkeiten vermieden werden könnten **).

 

Die Aufnahme, die Lippomani fand, war keineswegs ermunternd.

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*) S. Raynaldus zum Jahre 1556. Gleichzeitig befahl der Papst dem Erzbischofe von Gnesen und den Bischöfen, alle Mittel aufzubieten, um den nächsten Reichstag von Gesetzen abzuhalten, die der Kirche nachtheilig sein könnten.

**) Vergerio verdammt mit Recht die Vertheidiger solcher halben Maßregeln. „Es gibt Leute“, sagt er in seinem Schreiben an den König Siegmund August, „die sich überreden, daß man Mittel finden könne, die wahre Gottesverehrung, die wir verlangen, beizubehalten und doch den Gehorsam gegen die Päpste nicht aufzugeben. Ich behaupte, daß sie in einem großen Irrthume sind.“

 

 

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Er empfahl dem Könige Mittel zur Ausrottung der Ketzerei. Als Siegmund August ihm erwiderte, daß die Landesgesetze ihm nicht erlaubten, Gewaltthätigkeit und Verfolgung anzuwenden, drang Lippomani in ihn, die Führer der protestantischen Partei verhaften und ohne weitere Untersuchung hinrichten zu lassen, weil die Protestanten, ihrer Häupter beraubt, leicht würden vertilgt werden können. Diese Unterredung wurde bekannt und erregte im ganzen Lande einen heftigen Haß gegen den Legaten, der in Flugschriften und Spottbildern angegriffen ward und selbst sein Leben bedroht sah. Einige katholische Schriftsteller behaupten zwar, er habe von dem Könige eine Verordnung gegen die Drucker und Verkäufer ketzerischer Bücher erlangt, doch blieb diese Verordnung ohne Wirkung und wurde bloß der Zudringlichkeit des Legaten bewilligt, ohne daß man, wie es scheint, Werth darauf gelegt hätte. Merkwürdig ist sie wegen der darin aufgezählten Ketzereien, die es zu jener Zeit in Polen gegeben haben soll, und sie nennt Picarden, Böhmen, Wiedertäufer, Sacramentirer und Augsburger. Es wird darin verboten, alle gegen Rom gerichteten Bücher zu drucken, zu verkaufen und einzuführen, aber weder die Gewalt der geistlichen Gerichte wieder hergestellt, noch auch die Verfügung aufgehoben, die jedem Edelmanne die Einführung eines beliebigen christlichen Gottesdienstes gestattete *).

 

Lippomani hatte die Demüthigung, dem Reichstage zu Warschau im Jahre 1556 beizuwohnen, welcher jenes Gesetz über freien Gottesdienst erließ, und er überzeugte sich, daß er nicht im Stande war, irgend etwas gegen die Protestanten durchzusetzen. Die Landboten bewillkommeten ihn mit dem Zurufe: „Sei gegrüßt, Vipernbrut” **)! Er faßte unter diesen Umständen den Entschluß, wenigstens die katholische Partei dadurch zu stärken, daß er alle Mißverständnisse und Zwistigkeiten zu entfernen suchte, welche störend auf die Kirchenzucht wirkten. Es war nöthig, den ermatteten Eifer der Geistlichkeit zu entflammen, ihre verderbten Sitten zu bessern, viele Mißbräuche auszurotten und die verfallene Kirchenzucht wiederherzustellen. Zur Erreichung dieses Zweckes beriefen Lippomani und der Erzbischof Dzierzgowski eine Synode, die sich im September 1556 zu Lowicz versammeln sollte. Die Aufmerksamkeit des ganzen Landes ward auf diese Synode gezogen,

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*) Friese gibt die Worte der Verordnung in seinen Beiträgen zu der Reformationsgeschichte in Polen und Lithauen, Bd. 1. S. 262. Wir gestehen, daß wir große Zweifel gegen die Echtheit derselben hegen, auf jeden Fall aber ließ sich der König nur durch die Zudringlichkeit des Legaten bewegen, da er wohl wußte, daß die Verfügung ohne alle Wirkung bleiben würde.

**) S. Lubieniecki’s Historia reform. Polon. Buch II. Abschn. 4. S. 76.

 

 

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und viele erwarteten, daß die Geistlichkeit selbst die nöthigen Verbesserungen einführen werde. Diese Hoffnungen waren nicht ohne Grund, da es selbst unter den Bischöfen einige beredte Verfechter einer Kirchenverbesserung gab. Die polnische Kirche erkannte ihre Mängel und ihre gefährliche Lage, und vielleicht hätten jene Erwartungen ohne die Anwesenheit des Legaten verwirklicht werden können, weil die Synode, wenn sie im Stande gewesen wäre, unabhängig zu wirken, wahrscheinlich der allgemeinen Richtung der Volksmeinung gefolgt sein würde. Diese Vermuthung wird auch durch den Umstand unterstützt, daß sich bei der Eröffnung der Synode Unabhängigkeitssinn offenbarte. Die Versammlung bestand aus mehren Bischöfen, die persönlich erschienen, während andere ihre Bevollmächtigten schickten, und außer diesen wurden von jedem Capitel zwei Mitglieder abgesendet. Wie es scheint, legte die katholische Geistlichkeit wenig Wichtigkeit auf die Berufung, da der Erzbischof von Gnesen sich zu der Drohung genöthigt sah, daß er diejenigen, die nicht erscheinen würden, mit Geldbußen belegen und in Rom anzeigen wollte. In den ersten Sitzungen der Synode gab es lebhafte Streitigkeiten zwischen der höheren und niederen Geistlichkeit und es zeigte sich die Eifersucht der Versammlung gegen den päpstlichen Legaten. Es wurde beschlossen, daß der Legat bei den Berathungen keine Stimme haben, ja nicht einmal ein stummer Zeuge der Verhandlungen sein, sondern nur einen umständlichen Bericht über jede Sitzung erhalten sollte. Lippomani verwarf diesen Beschluß, den er für gesetzwidrig und nicht durch ein vorgängiges Beispiel gerechtfertigt bezeichnete. Er fand jedoch sehr lebhaften Widerstand, und gewiß würde man ihn von den Berathungen ausgeschlossen haben, wenn er nicht den Zwiespalt zwischen der höheren und niederen Geistlichkeit benutzt hätte, indem er vorschlug, als Schiedsrichter zwischen beiden Parteien aufzutreten, wodurch er nothwendig eine Stimme bei den Verhandlungen der Synode erhielt. Er besiegte auf diese Weise nicht nur den Widerstand gegen seine Anwesenheit, sondern erlangte auch einen entschiedenen Einfluß auf die Versammlung, wodurch die Hoffnungen auf eine Kirchenverbesseeung vereitelt wurden, welche der unabhängige Geist, den sie ankündigte, bei vielen erweckt hatte. Dem Einflusse Roms gänzlich hingegeben, erließ die Synode einige Verfügungen, die mit den päpstlichen Interessen völlig übereinstimmten und keine wirkliche Verbesserung herbeiführten. Die merkwürdigsten Verhandlungen der Versammlung waren ihre Bemerkungen über den Zustand der katholischen Kirche in Polen und die Ursachen, die den Frieden derselben gestört hatten. In streng katholischem Sinne geschrieben, sprechen sie sehr freimüthig und

 

 

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ohne die Absicht, etwas zu verschleiern, über die Fehler der polnischen Geistlichkeit und des päpstlichen Stuhles. „Die Wirren”, sagt die Synode, „sind ursprünglich durch die Sorglosigkeit der Pfarrgeistlichen und der höheren Geistlichkeit herbeigeführt worden, aber der apostolische Stuhl hat gleichfalls viele Fehler begangen und ist gleichgiltig gegen die drohenden Gefahren geblieben. Er versäumte es, Gesandte an den König zu schicken, um die Vollziehung der früher gegen die Neuerer gegebenen Gesetze zu erlangen; er hat die Berufung einer allgemeinen Kirchenversammlung lange verzögert, und den Königen, gegen das Interesse der Kirche, umfassende Vorrechte ertheilt und sie dadurch noch verwegener gemacht. Eine schlechte Verleihung der Kirchenwürden hat der Geistlichkeit den größten Schaden gebracht. Die Unthätigkeit und die Trägheit der Bischöfe haben die Störungen in der Kirche bedeutend vermehrt und sind der Geistlichkeit äußerst nachtheilig gewesen. Mit großer Gewalt in kirchlichen und politischen Angelegenheiten begabt, wußten sie ihre Pflichten in keiner dieser beiden Beziehungen zu erfüllen und sind ihnen ganz untreu geworden. Sie haben ihre Untergebenen grausam gedrückt, sie selbst an Feiertagen arbeiten lassen und in der Unterdrückung ihrer Bauern selbst die Edelleute übertroffen. Die Bischöfe haben die Ausschreitungen der königlichen Gewalt nicht überwacht, sondern sie vielmehr begünstigt, um Beförderungen zu erlangen. Oft von einem Bischofsitze auf den andern versetzt, waren sie nicht selten unbekannt mit ihren Sprengeln. Sie waren sehr nachsichtig gegen die Beförderer der Ketzerei und empfingen sie liebreich in ihren Palästen, und statt ihnen Strafen aufzulegen, wurden sie ihre heimlichen Vertheidiger. Sie haben sogar Leuten, die in den Bann gelegt waren, die Gastfreundschaft nicht versagt, sie haben gern der Wirkung des Bannfluches Einhalt gethan und würden diese Strafe gern ganz abgeschafft haben. Dadurch haben sie dem Ansehen des Papstes und den Rechten der Kirche großen Schaden zugefügt, nie wirkliche Strenge angewendet, und einer von ihnen hat in einer Versammlung des Adels laut gesagt: „Die Leute mögen glauben was sie wollen, wenn ich nur meine Einkünfte erhalte.” Dieses Benehmen der Bischöfe hat die Folgen gehabt, die man erwarten konnte. Man hat die Einkünfte der Kirche weggenommen, die Priester vertrieben und ihre Kirchen den Ketzern gegeben. Die kirchlichen Aemter werden nicht mehr der Gelehrsamkeit und der Tugend, sondern denjenigen verliehen, die Verbindungen haben, oft Knaben, ja Kindern, die nicht einmal die priesterliche Kleidung tragen. Wir dürfen uns unsere Fehler nicht verbergen. Ordensgeistliche und Weltpriester sind von dem größten Sittenverderbnisse angesteckt. Sie

 

 

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ergeben sich der Ueppigkeit, dem Geize, der Völlerei, der Trägheit und Sorglosigkeit, ja was noch schlimmer ist, die Priester kennen die göttlichen Gesetze nicht *). Seit der Vernichtung unseres Ansehens ist der alte Haß des Adels gegen uns erwacht. Die Edelleute gehen in Haufen zur Ketzerei über, um sich des Kircheneigenthums zu bemächtigen. Neuerungen in Glaubenssachen werden vermehrt durch die Begünstigung, mit welcher der König Ketzern sowohl als Christen Staatsämter verleiht. Er erlaubt der polnischen Jugend, ausländische Hochschulen zu besuchen, welche die bekannten Treibhäuser der Ketzerei sind, und gestattet den Druck von Büchern aller Art.” Nach einer Schilderung des Zustandes der katholischen Religion in Polen schlug die Synode Mittel zur Wiederherstellung des Ansehens der Kirche und zur Vertilgung der Ketzerei vor. „Es sollte stets”, sagt sie, „ein Nuntius des apostolischen Stuhles am königlichen Hofe sich aufhalten, damit er den König hindern könne, die Ketzerei zu unterstützen und Vorrechte gegen das Interesse der Kirche zu ertheilen. Die Ernennung der Bischöfe sollte den Capiteln zurückgegeben, eine Kirchenwürde nur einem Manne anvertraut werden, der zur Erfüllung der damit verbundenen Pflichten befähigt ist; vor allen Dingen aber ist es nothwendig, auf eine gehörige Verbesserung der Sitten der Geistlichkeit und die Abhilfe des unter ihr herrschenden Mißbräuche zu dringen, da es jedem offenbar ist, daß sie einer Umwandlung im Leben, in den Sitten und in ihrem ganzen Zustande bedarf. Die Bischöfe müssen die Ketzer nie bei sich aufnehmen, sie sollen die Buchhandlungen besuchen und den Druckern die Veröffentlichung ketzerischer Schriften untersagen. Die Edelleute sollten durch schwere Strafdrohungen von der Verbreitung ketzerischer Bücher abgehalten werden. Es ist nöthig, den König dahin zu bringen, daß er, wenigstens für die Zukunft, all jenen unbegreiflichen Gottlosigkeiten steuere, daß er ketzerische Zusammenkünfte verbiete, die stets überall gehalten werden, daß er die Kirchen gegen Besitzstörungen von Seiten der Ketzer und das Eigenthum der Geistlichkeit gegen die Raubsucht der Ketzer schütze, daß er seinen Hof von Ketzerei rein halte und Ketzern

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*) Stanislaus Kossobudzki, ein gewissenhafter Katholik, der die Protestanten Kirchenräuber nannte, spricht in einem Schreiben an den Primas Karnkowski im Jahre 1572 sehr ungünstig von der katholischen Geistlichkeit. „Sie predigen eher Weibermährchen als das Wort Gottes”, sagt er, „und sie haben Zucht, Andacht und andere Tugenden aus den Kirchen vertrieben. Es ist nur der leere Name des Glaubens übrig geblieben und wir sind vom Wege des Herrn abgewichen, folgen unserem eigenen Willen, verlassen die Gerechtigkeit und thun Böses.” S. Gerdes: Scrinium antiquarium Bd. 5. S. 312, 376.

 

 

 

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keine Gunst erweise; aber wenn der König diese Anträge ablehnt, sollen die Bischöfe den Senat verlassen und keinen Antheil an den Berathungen über Staatsangelegenheiten nehmen. Auch muß man den Papst bitten, daß er den König ermahne und die Maßregeln ergreife, die gewöhnlich gegen diejenigen genommen werden, die aus der Kirche getreten sind. Die Bischöfe müssen stets bei den Adelswahlen zugegen sein und dahin trachten, daß nur gute Katholiken zu Landboten gewählt werden.” Am Schlusse sprach die Synode den Wunsch aus, daß eine, nach einem unabhängigen Orte berufene allgemeine Kirchenversammlung die Streitigkeiten, von welchen die Kirche bewegt sei, duch Einführung nothwendiger Verbesserungen ausgleichen möge.

 

Diese Synode hatte zwar gar keine Folgen und erließ keine Gesetze, ist aber merkwürdig, weil sie in so kühner Sprache die Uebel angab, an welchen die Kirche litt, und auf die Nothwendigkeit einer Abhilfe hinwies, und man darf voraussetzen, daß, wenn man die Berathungen unabhängig und frei von dem Einflusse des Legaten gehalten hätte, einige heilsame Verbesserungen wären bewirkt worden; so hätte der unabhängige Geist, der die Mitglieder auf einige Zeit zu beseelen schien, weiter sich entwickelt, so würde vielleicht die polnische Kirche das päpstliche Joch abgeschüttelt haben. Die Synode, oder vielmehr der Legat, der sie leitete, suchte die Rechte der geistlichen Richtergewalt zu behaupten, und da die Aussprüche der kirchlichen Gerichte nicht mehr die Edelleute trafen, so wählte man ein Opfer unter den widerspenstigen Priestern. Stanislaus Lutomirski, Mitglied des Stiftes zu Przemysl und Pfarrer zu Konin, ward als verdächtiger Ketzer vorgeladen. Er gehorchte und wollte diese Gelegenheit benutzen, seine protestantischen Ansichten öffentlich zu erklären. Von vielen einflußreichen Freunden begleitet, erschien er vor der Synode, und jeder hatte eine Bibel bei sich, als die kräftigste Waffe gegen den Papismus. Die Synode wagte es nicht, einen so kühnen Gegner der römischen Kirche zur Verantwortung zu ziehen, und die Thüren des Saales, wo die Untersuchung geführt werden sollte, wurden vor dem Angeklagten und seinen Freunden verschlossen.

 

Nach der mißlungenen Bemühung, die Richtergewalt gegen einen Ketzer zu behaupten, versuchte es die Synode mit bedauernswürdigem Erfolge bei einer angeblichen Entweihung des Heiligthums, und um ihren Zweck sicherer zu erreichen, wählte sie ihr Opfer unter der geringeren Volksclasse. Dorothea Lazecka, ein arımes Mädchen *), ward

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*) Einige polnische Schriftsteller nennen sie jedoch ein adeliges Fräulein, und Friese a. a. O. S. 267 stimmt ihnen bei.

 

 

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angeklagt, sie habe unter dem Vorwande, das Abendmahl zu empfangen, in der Dominicaner-Kirche zu Sochaczew *) sich eine Hostie verschafft, sie in ihren Kleidern verborgen und später an die Juden eines benachbarten Dorfes für drei Thaler und ein gesticktes Kleid verkauft. Jene Hostie sollten die Juden in die Synagoge gebracht haben, wo sie mit Nadeln durchstochen wurde, bis Blut herausfloß, das man in einer Flasche sammelte und zu gottesdienstlichen Feierlichkeiten aufbewahrte. So ungereimt diese Anklage war, der Legat benutzte sie eifrig, wie katholische Schriftsteller sagen, als sehr gelegen **), um durch ein Wunder die Wahrheit der Brotverwandlung und die Entbehrlichkeit des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu beweisen, da ja die Hostie sowohl das Blut als den Leib Christi enthalte. Die Juden suchten vergebens, die Abgeschmacktheit der Beschuldigung zu beweisen, indem sie anführten, daß sie nach ihren Lehren nicht an die Brotverwandlung glaubten, und daher nicht vorausgesetzt werden könnte, daß sie einen solchen Versuch mit einer Hostie machten, die sie als ein bloßes Mehlgebäcke betrachteten. Die Synode aber, durch Lippomani geleitet, verdamımte die Juden und das unglückliche Mädchen zum Feuertode. Dieses schändliche Urtheil konnte jedoch ohne königliche Genehmigung nicht vollzogen werden, die man von dem aufgeklärten Siegmund August nicht erwarten durfte. Der Bischof von Chelm, Przerembski, der zugleich Unterkanzler war, erstattete dem König einen Bericht über den Vorfall, den er mit Ausdrücken eines frommen Entsetzens schilderte, und bat ihn, ein solches Verbrechen gegen die Majestät Gottes nicht unbestraft zu lassen. Der Kronschenk, Myszkowski, ein Protestant, wurde so unwillig über jenen Bericht, daß er sich nur durch die Gegenwart des Königs abhalten ließ, gewaltthätige Hand an den Bischof zu legen, dessen ungereimte Beschuldigung er mit kräftigen Worten bezeichnete. Der König erklärte, er könnte an solche abgeschmackte Fabeln nicht glauben, und befahl dem Starosten zu Sochaczew, die Angeklagten in Freiheit zu setzen. Der Bischof von Chelm aber mißbrauchte das königliche Siegel und erließ in des Königs Namen den Befehl zur schleunigen Vollziehung des Urtheils der Synode. Als der König die Fälschung erfuhr, ließ er einen Eilboten abgehen, um die Folgen zu verhindern; es war jedoch zu spät und die schändliche That verübt, ehe der Bote ankam. Diese Grausamkeit erregte Entsetzen im ganzen Lande und vermehrte den Haß, welchen der Legat sich bereits

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*) Zwischen Lowicz und Warschau.
**) Commodissime accidit — S. Starowolski’s „Epitome Synodorum.“

 

 

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zugezogen hatte. Die Gesinnungen gegen Rom wurden dadurch nicht wenig befestigt, da es zu Tage lag, was das Land zu erwarten hatte, wenn die katholische Partei ihre Gegner erdrücken sollte. Lippomani verließ Polen und es folgten ihm die Verwünschungen des Volkes. Wir müssen noch den Versuch des Legaten berühren, den Führer der protestantischen Partei, Nikolaus Radziwill zum katholischen Glauben zu bekehren. Er schrieb ihm einen Brief, worin er Radziwill’s Ketzerei zu bezweifeln schien, obgleich dieser sich öffentlich zum Protestantismus bekannte, und nachdem er viele Gerüchte über die Ketzerei der Fürsten angeführt hatte, fragte er ihn, ob er daran glauben sollte; „Das Gericht sagt", setzte er hinzu, „daß der Palatin von Wilna alle Ketzereien beschützt und daß alle gefährlichen Neuerer Zuflucht bei ihm suchen, daß er, so weit sein Einfluß reicht, überall lästerliche Altäre gegen Gottes Altar errichtet, und Kanzeln der Lüge gegen die Kanzeln der Wahrheit erbaut.” Der Legat wirft dem Fürsten weiter vor, daß er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt einführe, die Verehrung der Heiligen und die Gebete für die Verstorbenen abschaffe, und nach vielen ähnlichen Anklagen schloß er mit der Schmeichelei, daß Radziwill, wenn er nur die Ketzerei aufgeben und in den Schoß der römischen Kirche zurückkehren wolle, der vortrefflichste Mann sein werde. Radziwill antwortete in einem von Vergerio geschriebenen heftigen Briefe, worin alle Beschuldigungen durch Gründe abgewiesen und strenge Bemerkungen gegen die römische Kirche gemacht wurden *).

 

Die Synode zu Lowicz war der Sache des Papstthums eher nachtheilig als vortheilhaft. Die Schwäche der römischen Geistlichkeit wurde dadurch offenbar, und die Hinrichtung der Juden und der unglücklichen Zazecka lieferte den Beweis, was die Geistlichkeit thun würde, wenn sie die Oberhand in Polen erlangte. Die protestantische Partei wurde täglich kühner, und auf dem Reichstage zu Piotrkow im Jahre 1559 ward ein Versuch gemacht, die Bischöfe aus dem Senate zu entfernen, da der dem Papste geleistete Eid nothwendig mit ihrer Pflicht gegen das Vaterland im Widerspruche stehe. Ossolinski, der den Antrag machte,

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*) Dieser merkwürdige Briefwechsel wurde 1556 mit einer Vorrede von Vergerio herausgegeben unter dem Titel: „Duae epistolae, altera Aloy — sii Lippomani — altera illustrissimi D. Radzivili — lectu dignissimae, si ullae suerunt nostra aetate.“ Nikolaus Radziwill, der Bruder der ersten Gemahlin Siegmund August’s, starb 1567. Er gab auf seine Kosten die erste protestantische Bibel in polnischer Sprache heraus. Einer seiner Söhne, NikoIaus, der katholisch geworden war, kaufte alle Exemplare dieser Bibel auf und ließ sie öffentlich in Wilna verbrennen.

 

 

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las den Eid vor und schloß mit der Bemerkung, daß, wenn die Bischöfe die Verpflichtungen erfüllten, die dieser Eid ihnen auflege, sie Verräther und nicht Wächter des Landes sein würden. Der Antrag wurde nicht angenommen, wahrscheinlich weil man bald eine allgemeine Kirchenverbesserung erwartete. Der Reichstag faßte im Jahre 1563, um die Kirchenverbesserung zu beschleunigen, den Beschluß, daß eine allgemeine Synode berufen werden sollte, in welcher alle Parteien vertreten wären. Die Berufung der Versammlung wurde zwar von dem Erzbischofe Uchanski begünstigt, aber durch den päpstlichen Legaten Commendoni verhindert, dessen Ränken es gelang, dieselbe zu verzögern, noch mehr vielleicht durch die Zwistigkeiten unter der protestantischen Partei, die der Sache der Reformation so nachtheilig waren.

 

Während man in Polen versuchte, durch eine National-Synode eine Kirchenverbesserung herbeizuführen, ging die Kirchenversammlung zu Trient ihrem Schlusse entgegen. Es ist bekannt, daß in dieser Versammlung, obgleich sie sich den Namen einer allgemeinen beilegte, nur die römisch-katholische Partei vertreten war, und daß die von einigen gemachten Versuche, wirkliche Verbesserungen vorzuschlagen, gegen Roms überwiegenden Einfluß nicht durchzudringen hoffen konnten. Wir haben bereits erwähnt, daß der Reichstag die Absicht hatte, Gesandte nach Trient zu schicken, dieser Plan aber durch Umstände vereitelt wurde. Man darf sagen, daß die Kirchenversammlung Polen gänzlich fremd blieb, weil selbst die katholische Partei dort nicht vertreten war. Die polnischen Bischöfe waren so sehr damit beschäftigt, ihre Sprengel gegen die zunehmenden Angriffe des Protestantismus zu vertheidigen, daß sie es nicht wagten, sich zu entfernen, und die Erlaubniß verlangten, ihre Stimmen durch Bevollmächtigte zu geben. Dieses Gesuch wurde jedoch von dem Papste abgeschlagen, und zwar mit gutem Grunde; denn hätte er den Bischöfen gestattet, durch Bevollmächtigte zu stimmen, so würden die Ausländer das Uebergewicht über die römischen und andern italienischen Bischöfe in der Versammlung erhalten haben, und es hätten sich dieselben Erfahrungen wiederholen können, die der römische Stuhl in Konstanz und Basel machte. Die Abwesenheit der polnischen Bischöfe beunruhigte jedoch den Papst, und der König ließ sich durch ihn bewegen, den Bischof Herdurt von Przemysl als seinen Gesandten abzuschicken, der in einer der Sitzungen die Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit des Königs mit den glänzendsten Farben schilderte. Der Bischof war nur der Gesandte des Königs, vertrat aber keineswegs den Reichstag, der bei einer so wichtigen Angelegenheit seine Genehmigung hätte geben sollen.

 

 

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Der Cardinal Commendoni brachte die Beschlüsse der tridentinischen Kirchenversammlung nach Polen und suchte den Reichstag im Jahre 1564 zur Annahme derselben zu bewegen. Er hielt vor dem versammelten Senat eine lange Rede an den König, rühmte die katholische Kirche und die Kirchenversammlung und erklärte sich gegen alle Neuerungen. Der Erzbischof Uchanskii gab in einer Rede, die dem Papste und der Kirchenversammlung viele Schmeicheleien sagte, den Rath, das von dem Cardinale dargebotene Buch höflich anzunehmen, aber keine bestimmte Antwort zu geben, bis der König es gelesen und mit seinen Räthen geprüft hätte. Nach einer lebhaften Verhandlung erfolgte kein Beschluß, sondern der Kanzler meldete dem Cardinale, der König habe die Beschlüsse persönlich angenommen und werde sich ihnen unterwerfen. Der Senat aber gab nie eine ähnliche Erklärung, und in der Kammer der Landboten wurden die Beschlüsse der Kirchenversammlung nicht einmal vorgelegt. Die katholische Geistlichkeit im Polen nahm jene Beschlüsse im Jahre 1564 mit einigen Einschränkungen an, 1578 aber unterwarf sie sich unbedingt in einer zu Piotrkow gehaltenen Synode. Der Reichstag nahm dieselben jedoch nie an, trotz den Versuchen, die zu diesem Zwecke gemacht wurden, als Roms Herrschaft entschiedenes Uebergewicht erlangt hatte.

 

 

 

 

Achter Abschnitt.

 

Fortgesetzter Kampf zwischen dem Protestantismus und dem Katholicismus.

 

Die katholische Geistlichkeit in Polen sah die schnelle und allgemeine Abnahme ihres Einflusses, und die Zusammenkunft zu Piotrkow hatte ihre Lage nur noch offenbarer gemacht. Die Synode erkannte selbst die Lässigkeit ihrer Mitglieder, indem sie den Besuch künftiger Synoden durch Geldstrafen zu sichern suchte, womit sie die abwesenden bedrohte; sie verbot, alle Bücher, welche sich zu den neuen Lehren hinneigten, in den Schulen zu lesen, und beschloß, den König zu bitten, den Buchhändlern den Verkauf ketzerischer Schriften zu untersagen. Die Geistlichen hatten durch ihre Zudringlichkeit dem König einige Verordnungen über Neuerungen in Glaubenssachen abgenöthigt, die aber eher Ermahnungen als Verfügungen waren, da sie keine Strafdrohungen

 

 

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enthielten. Die wichtigste Verordnung in Glaubenssachen ward auf dem Reichstage zu Garczow im Jahre 1564 gegeben und ging aus den vereinten Anstrengungen streitender Parteien hervor. Um diese Zeit begannen die Wiedertäufer in Pinczow, die sogenannte kleinere Kirche, die gegen die Lehre von der Dreieinigkeit gerichteten Meinungen zu verbreiten. Sie behaupteten, daß der Vater über den Sohn erhaben sei, wodurch eine vollständige Leugnung der Gottheit Christi vorbereitet wurde. Diese Lehren erregten das Mißfallen aller Glaubensparteien, und die drei protestantischen Kirchen in Polen, die Reformirten, die Lutheraner und die böhmischen Brüder, die auf eine Vereinigung dachten, brachen alle Verbindungen mit der Gemeinde in Pinczow ab. Commendoni und Hosius suchten diese Gelegenheit zu benutzen, und legten dem König einen Gesetzentwurf vor, der alle nicht von der katholischen Behörde bestätigten Priester aus Polen verbannte; als sie aber sahen, daß ein solches Gesetz sich nicht erlangen ließ, foderten sie von dem Könige die Verjagung aller ausländischen protestantischen Geistlichen. Auch in diesem Verlangen waren sie nicht glücklich, aber der Erzbischof Uchanski, mit welchem sich einige, zur reformirten Kirche und zu den böhmischen Brüdern gehörende Senatoren vereinigten, erlangte eine Verfügung von Siegmund August, *) durch welche alle ausländischen Geistlichen, die das Geheimniß der Dreieinigkeit leugneten, drei Tage nach Michael das Land verlassen sollten. Diese Verordnung traf zwar bloß die Bekenner antitrinitarischer Lehren, Hosius aber suchte sie in eine Maßregel gegen die böhmischen Brüder zu verwandeln, obgleich diese die Lehre von der Dreieinigkeit keineswegs anfochten. Kosielecki, der General oder oberste Beamte in Groß-Polen, ein eifriger Katholik, wurde durch Hosius bewogen, eine falsche Anwendung jener Verordnung zu machen, und er hatte bereits Maßregeln getroffen, die böhmischen Brüder zu vertreiben. Jakob Ostrorog, Palatin von Inowroclaw, Rafael Leszczynski, der kühne Verfechter protestantischer Meinungen, und Laurentius, Bischof der böhmischen Brüder, bewiesen aber dem Könige, daß die Verfügung auf die

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*) Abgedruckt in Friese’s Beiträgen zur Reformationsgeschichte in Polen und Lithauen Bd. I. Abth. I. S. 352 — 353. Die Verordnung ist allerdings, obgleich sie nach Ostrorog’s Antrag gegen die Leugner der Dreieinigkeit gerichtet sein sollte, in allgemeinen Ausdrücken abgefaßt. Sie soll diejenigen ausländischen Flüchtlinge treffen, qui novam qualemcunque doctrinam — tradunt, und es wird den Unterthanen eingeschärft, sich nicht zu neuen fremden Lehren irgend einer Art und zu einem andern Evangelium, außer dem von alten Zeiten her im Reiche eingeführten, verleiten zu lassen.

 

 

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Brüdergemeinde nicht anwendbar sei und legten ihm eine Rechtfertigung des Glaubens *) derselben vor. Der König nahm diese Vorstellungen günstig auf, und indem er erklärte, daß das Bekenntnis der böhmischen Brüder dem wahren Christenthume nicht widerstreite, verbot er im November 1564 die Verfolgung der Brüdergemeinde. Hosius war unzufrieden über diese Folgen jener Verordnung, und warf dem Erzbischof Uchanski mit Bitterkeit vor, er habe eine Verordnung unterstützt, die ausschließend die Leugner der Dreieinigkeit verdamme, ohne die andern Ketzer zu berühren. Es sei nothwendig, alle Ketzer auszurotten, behauptete Hosius, weil die ausschließende Vertreibung der Gegner der Dreieinigkeit nur eine Bestätigung der übrigen Ketzereien sei, und wenn sich die Verjagung aller Ketzer nicht ausführen Iasse, so sei es weit besser, alle zu dulden, damit sie sich wechselseitig durch ihre Zwiste aufrieben; Krieg unter den Ketzern gebe der Kirche Frieden.

 

Das einzige Opfer jener Verfügung war der berühmte Italiener Bernardino Ochino **), der im Mai 1564 nach Polen kam und von seinen Meinungsgenossen herzlich empfangen ward. Er blieb einige Zeit in Krakau, wo er vor einer, aus Italienern und Polen bestehenden Gemeinde in seiner Muttersprache predigte, und auch thätigen Antheil an einer Synode der Anti-Trinitarier nahm. Der Cardinal Borromeo schrieb auf Befehl des Papstes an Hosius und Commendoni, daß sie Ochino aus Polen zu vertreiben suchen sollten, und Beza schickte an die reformirten Kirchen eine Ermahnung von gleichem Inhalte. Ochino mußte Polen verlassen und ging nach Mähren, wo er bald nachher sein langes und bewegtes Leben schloß.

 

Die katholische Geistlichkeit verzweifelte daran, den protestantischen Edelleuten zu schaden, und suchte sich ein anderes Feld zur Bekämpfung der Ketzerei. Die Städter hatten nicht den Schutz der Vorrechte des Adels, und waren nicht in das Gesetz eingeschlossen, das jedem polnischen

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*) Schon im Jahre 1563 ließen die böhmischen Brüder dem König ihr Glaubensbekenntniß, wahrscheinlich nur schriftlich in polnischer Sprache, durch den Grafen Ostrorog überreichen. Im folgenden Jahre aber übergaben sie die in Krakau gedruckte polnische Uebersetzung des böhmischen Originals von 1535 mit einer Widmung an den König, welche ihre Rechtfertigung enthielt. Diese Uebersetzung hat einige Zusätze, die sich weder in der Urschrift, noch in andern Uebersetzungen finden, und die den Zweck hatten, den Verdacht einer Hinneigung zum Socinianismus noch mehr zu entfernen. S. Friese a. a. O. Bd. I. Abth. I. S. 349 — 358 ff. Ringeltaube’s Beiträge zu der Augsburgischen Confessions-Geschichte in Preußen und Polen.

**) S. M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien. S. 105 ff.

 

 

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Edelmanne gestattete, in seinem Hause jeden beliebigen christlichen Gottesdienst einzuführen. Die Stadt Posen bot Gelegenheit zu einem Versuche, die Protestanten zu verfolgen. Viele Bürger bekannten sich öffentlich zu den lutherischen und böhmischen Lehren. Kosielecki war stets geneigt, die Verfolgungen der Gegner des Papstes zu unterstützen, und Czarnkowski, Bischof von Posen, ein Mann von sehr vorsichtigem Charakter, reizte unter der Hand zu der Verfolgung, die er offen zu beginnen nicht wagte. Der Dominicanermönch Paul Sardin, Inquisitor des bischöflichen Sprengels von Posen, lud vor das geistliche Gericht den Bürger Gregor Grycer, unter der Beschuldigung, er sei von dem katholischen Glauben zur böhmischen Ketzerei übergegangen, habe sein Haus gottlosen Versammlungen geöffnet, worin das Abendmahl unter beiderlei Gestalt vertheilt worden sei, und die Erziehung seiner Kinder einem böhmischen Prediger, Johann Rokita, übergeben. Grycer leugnete die Wahrheit der Anklage nicht, und verlangte nur einen Aufschub der gerichtlichen Verhandlung. Der Inquisitor erließ zu gleicher Zeit Vorladungen gegen zwei andere Bürger, die er derselben Vergehen beschuldigte. Als sie nicht erschienen, wurden sie unter dem Einflusse der Geistlichkeit von der Stadtobrigkeit verhaftet, und würden wahrscheinlich ein unglückliches Ende gehabt haben, wenn nicht dem begonnenen Verfahren Einhalt geschehen wäre. Die protestantischen Edelleute, Gorka, Palatin von Posen, und Graf Jakob Ostrorog erschienen an der Spitze vieler Bewaffneten ihres Standes und Glaubens in der Stadt, erbrachen das Gefängniß und befreiten die Verfolgten, die unter solchem Schutze nun nicht mehr wegen ihrer Glaubensmeinungen belästigt wurden. Der Bischof sah, daß es ihm nicht möglich war, mitten in einer volkreichen Stadt seine Rache gegen Roms Widersacher zu befriedigen und foderte einen Organisten, Namens Paul, als Ketzer vor ein geistliches Gericht, das er in der ihm gehörenden Stadt Cionzen hielt. Paul leugnete die Beschuldigung nicht, versprach aber, seine Ueberzeugung durch Gründe zu beweisen. Eine solche Vertheidigung würde ihm wenig geholfen haben, wenn er nicht einen andern Beistand gefunden hätte. Die Protestanten, Johann Tomicki, Kastellan von Ragozno, Graf Ostrorog und Rafael Leszczynski, entschlossen sich, den Angeklagten mit hundert Bewaffneten in den Gerichtshof zu begleiten. Der Bischof, von diesem Umstande unterrichtet, wartete nicht auf die Ankunft des Angeklagten, sondern sprach gegen ihn, als einen Ungehorsamen, das Todesurtheil aus. Als die Edelleute erschienen, sagte er ihnen, sie seien zu spät gekommen, die Sache sei abgemacht und gehe die Edelleute nichts an, sondern betreffe jemand,

 

 

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der nicht ihre Vorrechte genieße. Ostrorog antwortete, wenn die Edelleute einen auch noch so geringen Mann wegen seiner Glaubensmeinungen kränken lassen wollten, so würde man auch gegen die ersten unter dem Adel Gleiches versuchen. Der Angeklagte kehrte nach Posen zurück und blieb in Ruhe, nachdem die Geistlichkeit noch einmal, aber vergebens versucht hatte, ihn zu belästigen.

 

Das wichtigste Ereigniß aber, welches das gesunkene Ansehen der römischen Kirche bewies, sah man im Jahre 1564 in Lublin. Erasmus Otwinowski, *) der sich später als ein eifriger Anhänger der Socinianer auszeichnete und Vorsteher der berühmten Schule zu Rakow ward, überzeugte einen katholischen Priester, daß die Lehre von der wirklichen Gegenwart Christi in der Hostie ungereimt sei, und erhielt von ihm das Versprechen, sie nicht wieder der Anbetung der Gläubigen auszustellen. Der Priester aber hielt nicht Wort und trug bei einem festlichen Umzuge das Sacrament durch die Straßen der Stadt. Otwinowski trat ihm mitten unter dem dichtesten Gedränge in den Weg und machte ihm Vorwürfe über die Ausübung einer Feierlichkeit, die er selber als ungereimt anerkannt habe. Er verlangte von ihm das Vater Unser zu hören, und als der Geistliche sprach: „Vater unser, der Du bist im Himmel” rief Otwinowski: „Gott ist also im Himmel und nicht im Brot.” Mit diesen Worten riß er ihm die Monstranz aus den Händen, warf sie auf die Erde und trat sie mit Füßen. Die versammelte Menge murrte über die Entweihung der eingeführten Gottesverehrung, erlaubte sich aber keine Gewaltthätigkeit gegen Otwinowski. Der Priester ließ Soldaten holen, um ihn zu verhaften, Otwinowski aber flüchtete in das Haus eines Protestanten. Diese kühne, ohne Zweifel strafbare Gewaltthat erregte das größte Aergerniß unter den Katholiken, und mußte nothwendig den Glauben an die Brotverwandlung schwächen, da keine Zeichen des göttlichen Zornes erschienen, eine so dreiste Entheiligung zu bestrafen. Otwinowski wurde vor dem Reichstage angeklagt und war in großer Gefahr, eine schwere Strafe zu erleiden, aber sein Vertheidiger, der Dichter Rey von Naglovice, der zu jener Zeit Abgeordneter von Krakau war, gab der Sache eine günstige Wendung. Er machte für ihn den Umstand geltend, daß es kein Gesetz gegen ein solches Vergehen gebe und Otwinowski höchstens dazu verurtheilt werden könne, den Priester für die zerbrochene

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*) Er übersetzte Ovid’s Metamorphosen in’s Polnische und machte sich durch mehre Dichtungen bekannt. Er trat mit seinen acht Brüdern zu den Socinianern und starb 1607, neunzig Jahre alt.

 

 

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Monstranz und das zu der Hostie gebrauchte Mehl zu entschädigen. Otwinowski wurde freigesprochen, aber ein neues Gesetz gegeben, welches die Störung irgend eines Gottesdienstes, sei er katholisch ober protestantisch, verbot.

 

Die Bischöfe überzeugten sich endlich von der Unmöglichkeit, den Protestantismus durch Gewalt umzustürzen, und versuchten es, ihren Zweck durch versöhnliche Mittel zu erreichen. Auf dem Reichstage von 1566 schlugen sie den Protestanten als Bedingungen vor, daß zwar die Edelleute in ihren Häusern Geistliche halten könnten, die von der römischen Kirche abgefallen wären, diese aber von katholischen Bischöfen gebilligt werden sollten, und daß die Edelleute neue Kirchen für dem protestantischen Gottesdienst errichten und aus eigene Kosten unterhalten, nie aber die den Katholiken gehörenden Kirchen oder Zehnten antasten dürften. Außer diesem Zugeständnisse hinsichtlich der Hierarchie schlugen sie ein, dem Anscheine nach noch bedeutenderes, in Beziehung auf die Glaubenslehre vor. Sie gaben zu, daß das Evangelium als die einzige, nie irrige Grundlage des Glaubens gelten und jede, von römisch-katholischen Kirchenversammlungen oder Synoden gegebene Erläuterung aufgehoben sein, dagegen das Ansehen der Kirchenväter Augustinus, Chrysostomus, Ambrosius und Hieronymus als Prüfstein bei der Erklärung der heiligen Schrift angenommen werden sollte. Diesem Antrage widersetzten sich die Anhänger der schweizerischen und böhmischen Kirche und besonders Stanislaus Lasocki und Nikolaus Rey, und dieser verlangte ausdrücklich, daß die Bischöfe sich über den Sinn, im welchem jene Kirchenväter verstanden werden sollten, erklären möchten. Die Bischöfe mußten gestehen, daß dies nur in dem, von der römischen Kirche angenommenen Sinne geschehen könnte. Dieses abgenöthigte Geständniß bewies, daß der Vorschlag nichts als eine von den Bischöfen gelegte Schlinge war, und alle weiteren Verhandlungen über diesen Gegenstand hatten ein Ende.

 

Während die Glaubensparteien in Polen mit einander kämpften, machte das Lutherthum in Polnisch-Preußen reißende Fortschritte. Wir haben bereits angegeben, wie der Protestantismus in Danzig, und überall in Preußen, auf einige Zeit unterdrückt ward, und gesagt, daß diese Provinz, obgleich politisch mit Polen vereinigt, doch eine abgesonderte Verwaltung und Gesetzgebung hatte. Auch bildete die Geistlichkeit hier eine eigene Hierarchie, deren Haupt, der Bischof von Ermland, von dem Vorstande der polnischen Kirche, dem Erzbischofe von Gnesen, unabhängig war. Dieser Umstand, der in gewisser Art die preußische Geistlichkeit von der polnischen absonderte, war für die

 

 

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Fortschritte der Reformation günstig, da die Geistlichkeit dadurch verhindert wurde, mit vereinten Kräften gegen den zunehmenden Einfluß des Protestantismus aufzutreten. Die gewaltsame Unterdrückung der protestantischen Lehren im Jahre 1526 hatte dieselben keineswegs ausgerottet, sondern nur der offenen Kundgebung derselben gesteuert, und wie es scheint, hat die Verfolgung einige hitzige Köpfe entflammt, da sich Spuren schwärmerischer Secten um diese Zeit in Danzig zeigen. Als der, durch die Strenge des siegreichen Katholicismus erregte Schrecken nachließ, traten die zurückgedrängten protestantischen Meinungen wieder hervor und wurden täglich dreister. Der Cardinal Hosius, der im Jahre 1550 Bischof von Ermland wurde, bewog durch seine Zudringlichkeit den König, eine Verordnung zur Sicherung des herrschenden Glaubens zu erlassen, aber die Volksmeinung wurde der Reformation immer günstiger und man mußte im Jahre 1555 die öffentlichen Processionen abschaffen. In demselben Jahre ward aus dem preußischen Landtage der Antrag auf Einführung der Glaubensfreiheit gemacht, da es aber nicht zu einem Beschlusse über diese Angelegenheit kam, so kündigte die Mehrzahl der Geistlichkeit dem römischen Stuhle den Gehorsam auf und begann im Jahre 1556 in ihren Gemeinden das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszutheilen. Die Bemühungen des Bischofs Hosius, den raschen Fortschritten der Reformation zu steuern, waren fruchtlos, und durch Achatius von Zehmen (Czema), den Woywoden von Marienburg, und Dzialinski, den Palatin von Pommern, die beide zum protestantischen Glauben übergegangen waren, wurde sein Einfluß gehemmt. Der König verlieh nach und nach verschiedenen Städten das Recht, protestantische Kirchen und Schulen zu errichten, und überall, wo er es für unangemessen hielt, die Sache der Reformation öffentlich zu begünstigen, war er nachsichtig gegen ihre Fortschritte. Der Großkanzler von Polen, Johann Ocieski, sagte den Abgeordneten der Stadt Danzig, die im Jahre 1556 das Recht freier Ausübung des protestantischen Glaubens begehrten, der König könne sich nicht zu einer öffentlichen Bewilligung dieser Art verstehen, weil sonst der Papst, durch einen solchen Schritt aufgereizt, den Kaiser bewegen würde, den Moskowiten gegen Polen beizustehen; doch würde er sie nie stören lassen, wenn sie nach den Eingebungen ihres Gewissens einen Gottesdienst einführten *). Endlich erhielt Danzig durch die Verordnung vom 5. Julius 1557 die Erlaubniß, den Iutherischen Gottesdienst einzuführen, und im folgenden Jahre wurde der Stadt

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*) Friese a. a. O. Bd. I. Abth. I. S. 114 ff.

Krasinski.

 

 

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Elbing dieselbe Bewilligung ertheilt, die später auch die übrigen preußischen Städte erhielten. Dieses Zugeständniß beschränkte sich jedoch auf die Lutheraner, während alle übrigen protestantischen Glaubensparteien von dieser Wohlthat ausgeschlossen blieben.

 

Als Liefland nach freiwilliger Unterwerfung im Jahre 1561 mit Polen vereinigt wurde, hatte die Reformation, die unter Begünstigung des berühmten Großmeisters Walther von Plettenberg im Jahre 1520 Eingang gewann, den Katholicismus bereits verdrängt, und der Protestantismus nach dem Augsburgischen Bekenntnisse war herrschend geworden. Diese Ordnung der Dinge wurde von dem Könige von Polen anerkannt und bestätigt, wie die übrigen Vorrechte der Bewohner dieses neu erworbenen Gebietes.

 

Wie keine Stadt Polens das den Edelleuten zustehende Recht besaß, den protestantischen Gottesdienst in ihren Mauern einzuführen, so war auch Krakau, die Hauptstadt des Landes und der Sitz des Königs, in gleicher Lage. Die protestantischen Lehren, die hauptsächlich unter dem Einflusse des durch Franz Lismanini geleiteten geheimen Vereins in der Stadt Eingang gewonnen hatten, verbreiteten sich schnell in dem ganzen Palatinat Krakau, und alle Edelleute in den beiden angesehenen Kreisen Proszovice und Xionz nahmen das schweizerische oder calvinische Glaubensbekenntniß an. Olesnicki verwandelte die katholische Kirche zu Pinczow in eine protestantische, und sein Beispiel wurde von vielen andern Edelleuten befolgt. Selbst der Geheimschreiber des Könige, Justus Decius, gründete eine reformirte Kirche auf seinem Landgute Vola unweit Krakau, und die Synode ernannte Gregor Pauli zum Prediger an dieser Kirche, die von den Städtern zahlreich besucht wurde. Bald nachher wurde der darin gehaltene Gottesdienst in ein, dem Castellan von Biecz, Bonar, gehörendes Haus in der Mitte der Stadt, und später in die Wohnungen anderer Edeleute versetzt. So bestand eine protestantische Kirche in Krakau unter dem Schutze der Adelsvorrechte. Man hielt es jedoch für nothwendig, eine Kirche zu errichten, die auch im Aeußeren den katholischen Tempeln gliche und einen gesetzlichen Bestand hätte, ohne von dem Schutze von Privatpersonen abhängig sein zu müssen. Der Einfluß der protestantischen Großen erlangte von dem Könige Siegmund August die Verordnung vom 8. August 1569, welche die Gründung einer Kirche, einer Schule und eines Krankenhauses, und die Anlegung eines Begräbnißplatzes gestattete. Diese Bewilligung wurde später bestätigt und im Jahre 1572 durch eine Verfügung erweitert, welche der protestantischen Kirche alle den Katholiken zustehenden Vorrechte gewährte. Die Kosten

 

 

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zum Baue der Kirche und der Schule wurden durch freiwillige reichliche Beiträge der Städter aufgebracht, und die Kirche bestand, bis sie in späterer Zeit durch den von den Jesuiten aufgereizten Pöbel zerstört wurde.

 

Die böhmischen Brüder, die Polen im Jahre 1548 verlassen mußten, hielten sich einige Zeit in Thorn auf, und wurden von den Bewohnern der Stadt und der Umgegend günstig aufgenommen. Ihre Lehren verbreiteten sich so schnell, daß die katholische Geistlichkeit unruhig ward, und der Bischof von Culm, Tiedemann Giese, obgleich den Lehren der Reformation heimlich geneigt, mußte die Regierung bitten, das gegen die böhmischen Brüder erlassene Gesetz auch auf Preußen auszudehnen. Die Brüder mußten die Provinz verlassen, und begaben sich in das östliche oder herzogliche Preußen, mit Ausnahme eines einzigen Predigers, der heimlich eine von ihm gebildete kleine Gemeinde leitete, bis er, von dem Bischofe Hosius entdeckt, seinen Landsleuten nachzufolgen gezwungen wurde. Der Herzog Albert von Preußen nahm die böhmischen Brüder wohlwollend auf, und schützte sie auch, wenigstens bis zu seinem Tode, gegen die Angriffe, die einige eifernde lutherische Theologen auf die Glaubenslehren der Gemeinde machten. Sie erhielten alle bürgerlichen Rechte, völlige Glaubensfreiheit, und es ward ihnen eine Kirche gegeben, wo sie den Gottesdienst in ihrer Muttersprache hielten *). Die Brüder waren jedoch fortdauernd bemüht, ihre Kirche in Polen auszubreiten, wo sie während ihres kurzen Aufenthaltes einen Grund dazu gelegt hatten. Matthias Sionski, Bischof oder Superintendent der Gemeinde, ging im Jahre 1549 nach Posen, wo er in dem Hause seines Gastfreundes, des Rathsherrn Andreas Lipczynski, predigte und eine kleine Gemeinde bildete. Nachdem er Mähren besucht hatte, kam er wieder nach Posen, befestigte seine Gemeinde, welche durch die Bemühungen Georg Israel’s und anderer Prediger anwuchs, die oft aus Preußen kamen, um den Eifer und den Glauben ihrer neuen Brüder zu stärken. Als die Gemeinde zahlreich geworden war, wurde Sionski ersucht, ihr einen beständigen Prediger zu geben, und er wählte Israel zu diesem Amte. Die Eifersucht der Katholiken bereitete dem neuen Seelsorger viele Gefahren, aber seine eifrigen Anstrengungen wurden mit glänzendem Erfolge gekrönt, und die ersten Familien in der Provinz Posen traten zu seiner Gemeinde, unter andern Katharina Ostrorog, die Schwester des Grafen Jakob, und eine

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*) Nach Albert’s Tode ward ihnen im Jahre 1568 die öffentliche Ausübung ihres Gottesdienstes verboten, und befohlen, alle Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen in Polen und Böhmen aufzugeben. Die meisten wanderten im Jahre 1574 nach Polen aus, wo sie volle Glaubensfreiheit erhielten.

 

 

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ihrer Schwestern, deren Beispiele mehre ihrer Verwandten folgten, und selbst eine Dominicaner-Nonne, Praxeda, die sich später durch ihr frommes Leben und ihre Bemühungen für die Ausbreitung des Evangeliums auszeichnete *). Der eifrigste und glücklichste Beförderer der böhmischen Kirche aber war Georg Israel, welcher mit unermüdeter Beharrung wirkte, obgleich sein Leben durch Meuchelmörder bedroht wurde, die der Bischof von Posen gedungen hatte. Er wurde kräftig von Katharina Ostrorog unterstützt, deren Bruder zwar schon die römische Kirche verlassen hatte, aber noch unentschlossen war, welchem protestantischen Bekenntnisse er sich zuwenden sollte. Der Graf lud im Jahre 1553 den Superintendenten der reformierten Gemeinden in Kiein-Polen, Felix Cruciger, und Stancari zu sich ein, um mit Israel über eine Vereinigung beider Kirchen zu unterhandeln. Sie konnten diese wichtige Frage nicht erledigen; Cruciger kehrte nach Klein-Polen zurück, und Stancari’s Meinungen wurden bald nachher von den Reformirten und den böhmischen Brüdern als Irrlehren verdammt. Die Besprechung, die sie mit Israel hielten, machte einen so tiefen Eindruck auf Barbara Stabnicka, die Gemahlin des Grafen Ostrorog, daß sie beschloß, zu den böhmischen Brüdern überzugehen. Der Graf war einige Zeit unschlüssig, folgte aber bald ihrem Beispiele, und alle katholischen Kirchen auf seinen Gütern wurden von ihm Predigern der Brüdergemeinde übergeben. Dieser glänzende Erfolg setzte die Brüder in Stand, eine Kirche in der Stadt Posen, im Palaste des Grafen, einzurichten. Dieser Schritt, der noch durch keine Verfügung gerechtfertigt war, wurde als gesetzwidrig angefochten und der König sah sich genöthigt, auf die Vorstellungen der Katholiken im März 1556 eine Verordnung zu erlassen, welche die Versammlungen der Brüder mit den Strafdrohungen gegen die Ketzer verbot, die noch immer zu den Landesgesetzen gehörten, obgleich sie in der That ein todter Buchstabe geworden waren. Der eifrige Katholik Kosielecki ‚vollzog gern jene Verordnung, und auf seinen Befehl wurde die böhmische

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*) Mehre katholische Schriftsteller haben sie bitter geschmäht. Der päpstliche Nuntius Rescius (Reszka) nennt sie eine Metze und versichert, sie habe, zur Priesterin geweiht, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgetheilt. Gegen die böhmischen Brüder, deren sittlicher Wandel allgemein anerkannt wurde, spricht er die schwärzesten Verläumdungen aus. Nach dem Gottesdienste löschten sie, wie er behauptet, die Lichter aus, und beide Geschlechter vermischten sich, wie es der Zufall fügte, und die dabei erzeugten Kinder wurden ermordet, indem man sie in der Versammlung von einem zum andern reichte, bis sie erschöpft den Geist aufgaben, und derjenige, in dessen Armen ein Kind starb, wurde zum Oberpriester erklärt.

 

 

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Kirche in Posen geschlossen, jedoch durch Ostrorog’s Einfluß bald wieder geöffnet. Dies ermunterte die Lutheranen in Posen, die nun gleichfalls ihre Kirche wieder öffneten.

 

Trotz des erfolglosen Versuches Stancari’s und Cruciger’s, wurde doch die Nothwendigkeit und Möglichkeit einer Vereinigung der Reformirten und der böhmischen Brüder beiden Parteien von Tage zu Tage einleuchtender. Einige in den Jahren 1554 und 1555 gehaltene Synoden bahnten den Weg und hoben mehre Schwierigkeiten, die einem günstigen Erfolge der Unterhandlungen entgegen traten, bis endlich die Synode zu Kosminek bei Kalisch das erwünschte Ergebniß herbeiführte. Diese denkwürdige Synode dauerte vom 24. August bis zum 2. September 1555. Außer den Bevollmächtigten der böhmischen Brüder und der Reformirten, und mehren angesehenen Edelleuten von beiden Parteien, nahmen auch einige Abgeordnete des Herzogs von Preußen an den Zusammenkünften Theil. Die böhmischen Brüder legten den Reformirten ihr Glaubensbekenntniß und eine Darstellung ihrer kirchlichen Einrichtungen vor, welche nach sorgfältiger Prüfung mit den Vorschriften des Evangeliums und mit dem Gebrauche der Urkirche im Einklange gefunden wurde. Die Synode beschloß, daß eine geistliche Gemeinschaft zwischen beiden Kirchen bestehen, jede aber ihre besondere Hierarchie behalten sollte, und die Prediger beider Parteien wurden wechselseitig anerkannt. Diese Vereinigung erregte große Freude unter den Reformatoren in Europa, und mehre derselben richteten Glückwünsche an die protestantischen Gemeinden in Polen.

 

 

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Neunter Abschnitt.

 

Ursprung und Fortschritte der Anti-Trinitarier in Polen.

 

 

Die Lehren der Reformatoren hatten nun einen vollständigen Sieg über den Widerstand der römisch-katholischen Partei errungen, und die protestantischen Kirchen, zu deren Anhängern mehre der edelsten Familien des Landes gehörten *), hatten in politischen Beziehungen eine gleiche Stellung mit ihren Widersachern und behaupteten jene Ueberlegenheit, die ein kräftiger Jüngling über einen alterschwachen Gegner besitzt. Ein Feind aber, der weit gefährlicher war als alle Ränke Roms, erhob sich im eigenen Lager der Protestanten, ein Feind, eben so gefährlich für die Katholiken als für die Protestanten, der die Grundlagen der Offenbarung bedrohte. Die Werke des Spaniers Michael Servet wurden, nach Modrzewski’s Zeugniß, häufig in Polen geIesen. Lälius Socino **), der im Jahre 1551 nach Polen kam, hatte ohne Zweifel die von Servet gegen die Lehre von der Dreieinigkeit angenommenen Meinungen verbreitet, und Stancari mochte gleichfalls dazu beigetragen haben durch die Behauptung, daß Christus nur nach seiner menschlichen, nicht aber nach seiner göttlichen Natur das Mittleramt führe. Es war jedoch Peter Gonesius ***), der zuerst die anti-trinitarischen Meinungen in eine bestimmte Lehre zusammenfaßte. Er hatte auf der Universität zu Krakau seine Bildung erhalten, und als eifriger Katholik trat er im Jahre 1550 heftig gegen Stancari auf. Der Bischof von Wilna, Paul Algimont, wurde sein Gönner und verschaffte ihm die Mittel, seine Studien auf ausländischen Hochschulen fortzusetzen. Er lebte einige Zeit in Wittenberg und besuchte

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*) Es ist merkwürdig, daß viele Protestanten nach ihrer Rückkehr zur römischen Kirche Meinungen behielten, die nicht im Einklange mit den Lehren Roms waren. Johann Zamoyski, der im protestantischen Glauben erzogen war, später aber während seines Aufenthaltes in Italien katholisch wurde, war ein eifriger Vertheidiger der Glaubensfreiheit. Er sagte einst in Gegenwart des Königs und des Senats: „Ich wollte mein halbes Leben darum geben, wenn diejenigen, die von der katholischen Kirche abgefallen sind, freiwillig in ihren Schoß zurückkehrten, aber lieber wollte ich mein ganzes Leben aufopfern, ehe ich duldete, daß jemand dazu gezwungen würde.”

**) S. Ilgen’s Vita Laelii Socini. Leipzig, 1814.

***) Auch Goniondzki genannt von seinem Geburtsort in Podlachien.

 

 

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die vorzüglichsten Lehranstalten Deutschlands, ohne die katholische Kirche zu verlassen, änderte aber seine Glaubensansichten in der Schweiz und wurde wahrscheinlich von den wegen ihrer Meinungen in der Heimath verfolgten Italienern, die vorzüglich in Graubünden Zuflucht gesucht hatten, *) für die anti-trinitarischen Lehren gewonnen. Gonesius kam, dem Anscheine nach als Anhänger des schweizerischen Glaubensbekenntnisses, nach Polen zurück, erklärte aber vor der reformirten Synode zu Secemin im Jahre 1556 offen seine Meinungen. Er verwarf das Athanasische Glaubensbekenntniß und leugnete die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater, verwarf zugleich die gewöhnliche Erklärung der Dreieinigkeit, und behauptete das Dasein von drei verschiedenen Gottheiten, wiewohl er annahm, daß die wahre Gottheit nur dem Vater zustehe. Die Synode gab keine Entscheidung, sondern schickte das ihr vorgelegte Bekenntniß an Melanchthon. Gonesius selbst war der Ueberbringer, und Melanchthon bemühte sich vergebens, ihn von seinen Meinungen abzubringen. Er gab eine vollständigere Darstellung seiner Lehren auf der Synode zu Brest in Lithauen im Jahre 1558, wo er eine Schrift gegen die Kindertaufe vorlas, und die bedeutsamen Worte hinzufügte, es hätten sich noch andere Dinge aus dem Papstthum in die Kirche eingeschlichen. Die Synode, die einen Zwiespalt unter den Anhängern der Reformation fürchtete, begnügte sich, ihm bei Strafe des Bannes Schweigen aufzulegen; Gonesius aber verweigerte seiner Kirche den Gehorsam und fand viele Anhänger, sowohl unter der Geistlichkeit als unter dem Adel. Sein mächtigster Beistand war Johann Kiszka, Starost von Samogitien, ein Edelmann von unermeßlichem Reichtum und großem Einflusse, der sich gleichfalls zu den anti-trinitarischen Meinungen bekannte, Gonesius zum Prediger in seiner Stadt Wengrow ernannte, und eifrig die Gründung von Kirchen beförderte, welche behaupteten, daß der Vater über den Sohn erhaben sei. Die von Gonesius verfochtenen Lehren, die mehr den Meinungen der Arianer als Servet’s Ansichten glichen, bildeten nur einen Uebergang zu einer gänzlichen Leugnung der Dreieinigkeit und der Gottheit Christi.

 

Die anti-trinitarische Lehre erhielt jedoch ihre größte Entwicklung zu Pinczow im Palatinat Krakau, wo Olesnicki, wie wir gesehen haben, eine katholische Kirche in eine protestantische umgewandelt hatte. Die dortige Geistlichkeit nahm zwar, dem Anscheine nach, das calvinische Bekenntniß an, theilte sich aber bald in verschiedene Meinungen

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*) S. M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien. S. 144 ff.

 

 

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hinsichtlich der Lehre von der Dreieinigkeit. Außer denjenigen, die an der Wahrheit dieser Lehre nicht zweifelten, gab es zwei Parteien, von welchen eine behauptete, daß Christus nach seiner göttlichen Natur dem Vater gleich sei, als Mittler aber nach seiner menschlichen Natur unter ihm stehe; und diese Ansicht gewann zahlreiche Anhänger.

 

So sehr diese Meinungen den Glaubenslehren der schweizerischen Kirche entgegen waren, so brach doch nicht gleich ein offener Zwiespalt aus und viele hofften, die Reinheit der Lehre erhalten zu können. Diese Hoffnung wurde getäuscht; ein Anhänger der anti-trinitarischen Lehren, Czechowicz, verwarf entschieden die Kindertaufe, während andere, wie Schoman und Peter Statorius, *) die Gottheit des heiligen Geistes förmlich leugneten, und die Gemeinde zu Pinczow in den Jahren 1560 und 1561 zwei Bekenntnisse ihres Glaubens veröffentlichte. Diese Glaubensbekenntnisse gaben jedoch nur unbestimmte Umrisse der Lehre, die auf einige Zeit schwankend und ohne eine feste Form blieb. Die Meinungsgenossen waren uneinig und noch unschlüssig, welche Grundlage sie ihrem Glauben geben wollten; sie kamen jedoch endlich zu den Sätzen, daß Christus nicht wahrer Gott sei, daß der heilige Geist nicht eine göttliche Natur habe, daß das Mittleramt des Heilandes menschlich, und die Taufe der Kinder nicht heilig sei.

 

Die Fortschritte dieser Lehren waren so rasch, daß sie der schweizerischen Kirche, in deren Schoße sie entstanden waren, den Untergang drohten, und diese Kirche, die unter den Edelleuten in Klein-Polen und Lithauen vorherrschend war, erkannte ihre Gefahr, und war entschlossen, dem in ihrer Mitte aufgestandenen Feinde kühn entgegen zu treten. Die Genfer ermahnten die reformirten Kirchen in Polen, sich kräftig gegen die Angriffe der Anti-Trinitarier zu vertheidigen, und Beza rieth offen, sie mit dem Schwerte zu zwingen. Blutige Maßregeln aber waren unmöglich in Polen, und es blieb nichts übrig, als mit Gründen und auf Synoden den Kampf zu führen. Die Lehre von der Dreieinigkeit ward auch von dem gelehrten Italiener Georg Blandrata **)

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*) Er stammte aus Thionville und kam 1559, wo er von dem Reichstage als Adeliger naturalisirt ward und den Namen Stoinski annahm. Er schrieb die erste polnische Sprachlehre.

**) Er stammte aus Saluzzo und widmete sich dem ärztlichen Berufe. Als er zum Protestantismus übergegangen war, begab er sich nach Genf, da er aber anti-trinitarische Meinungen verrathen hatte, verließ er die Schweiz und ging 1555 nach Polen. Im Jahre 1563 ging er als Leibarzt des Fürsten Johann Siegmund nach Siebenbürgen, nach dessen Tode er seinen Wohnsitz wieder in Polen nahm. Er wurde 1590 von seinem Neffen ermordet.

 

 

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angegriffen, der nach seiner Ankunft in Polen so großes Ansehen unter den Protestanten gewann, daß man ihn zu einem der Superintendenten der reformierten Kirchen in Klein-Polen wählte. Die Synode zu Pinczow suchte im Jahre 1558 als jenen Neulehren, die von Stancari, Blandrata und Lismanini verfochten wurden, Schweigen aufzulegen. Laski und Stanislaus Sarnicki, Bonar’s Kaplan, vertheidigten die Dreieinigkeitslehre, aber ihre Bemühungen vermochten nicht, ihre Gegner zum Schweigen zu bringen. Auf der im Jahre 1559 zu Pinczow gehaltenen Synode verfügten Laski und Sarnicki, die den Vorsitz führten, daß alle Prediger ein Bekenntniß über die Dreieinigkeit unterzeichnen sollten, doch konnte diese Maßregel dem zunehmenden Uebel nicht abhelfen, und auf einer späteren Synode legte Remigius Chelmicki eine Schrift vor, welche auf die Abschaffung der Anrufung des heiligen Geistes antrug, dessen Gottheit er leugnete. Auf späteren Synoden wurde derselbe Gegenstand besprochen, und als auf einer, im Jahre 1560 gehaltenen Synode die Hierarchie der reformirten Kirche eingerichtet wurde, bemühten sich die Verfechter der anti-trinitarischen Meinungen, den Laien ein Uebergewicht über die Geistlichkeit in der Kirchenverwaltung zu verschaffen, den Predigern allen Einfluß zu rauben und sie auf den Lehrerberuf zu beschränken; doch konnten sie ihren Zweck nicht erreichen. Die Gefahr der reformirten Kirche stieg nach dem Tode ihres rüstigsten Vorfechters, Johann Laski, aber es fehlte ihr nicht an Vertheidigern, die sich mit Eifer und Muth dem Uebel entgegen stellten, das mit einer anscheinend unwiderstehlichen Kraft fortschritt und bereits mehre ausgezeichnete Mitglieder der reformirten Kirche ergriffen hatte, und sie erhielt von den Reformatoren in Zürich und Genf Rath und Beistand. Stancari’s Meinungen über das Mittleramt des Heilandes waren bereits von Melanchthon, Bullinger, Peter Martyr und Beza verurtheilt worden, und die Kirchen in Genf und Zürich hatten diesen Ausspruch bestätigt. Blandrata, der sich noch entschiedener als Stancari gegen die Dreieinigkeit erklärte, hüllte seine Meinungen in biblische Ausdrücke und verbreitete sie mit großer Behutsamkeit. Er übergab der Synode im Jahre 1560 eine Vertheidigung seiner Ansichten, die man für rechtgläubig erklärte. Diese erheuchelte Rechtgläubigkeit aber, welche die polnischen Reformatoren täuschte, konnte den scharfsinnigen Calvin nicht verblenden; er zweifelte an der Aufrichtigkeit der Betheuerungen des Italieners und ermahnte seine Glaubensgenossen in Polen, dem Manne nicht zu trauen. Die Erfahrung rechtfertigte diese Besorgnisse, da Blandrata seinen großen Einfluß zur Ausbreitung seiner Meinungen mit nicht unbedeutendem Erfolge benutzte. Calvin’s Ermahnungen blieben

 

 

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jedoch nicht ohne Wirkung, obgleich die Synode zu Wilna sie mit Mißfallen aufnahm. Der Fürst Radziwill, der die Berathungen leitete, mißbilligte Calvin’s Verfahren, und statt Blandrata als einen Ketzer zu betrachten, ernannte er ihn zu seinem Bevollmächtigten auf der im Jahre 1561 gehaltenen Synode zu Pinczow, wo die Anti-Trinitarier kühn auftraten und die Rechtgläubigkeit ihrer Lehre behaupteten. Die Synode kam zu keinem Beschlusse, dagegen erklärte sich die in demselben Jahre zu Krakau gehaltene bestimmter; Calvin’s Ermahnungen wurden gelesen und Blandrata’s und Lismanini’s Meinungen verworfen. Spätere Synoden kamen nicht zu entscheidenden Beschlüssen, und obgleich die im Jahre 1562 gehaltene eine anscheinende Annäherung beider Parteien hervorbrachte, so war sie doch in der That den Anti-Trinitariern günstig. Auf der im demselben Jahre nach Pinczow berufenen Synode übergab Blandrata, dessen Meinungen immer neue Anhänger gewannen, sein Glaubensbekenntniß, das durchaus in rechtgläubigen Ausdrücken abgefaßt war. Er leugnete die seinen Lehren gemachte Beschuldigung der Vielgötterei, und sprach den Wunsch aus, daß Calvin gestattet werden möge, ohne weitere Erläuterungen Christus für den Sohn Gottes zu erkennen. Die Synode faßte einen Beschluß, der den Wunsch zu verrathen schien, ihre wahre Meinung zu verhehlen und um jeden Preis eine Spaltung zu verhüten. Alle Untersuchungen über die Dreieinigkeit, das Mittleramt und die Menschwerdung sollten vermieden werden; alle der Urkirche unbekannten Ausdrücke wurden verboten, und den Geistlichen ward eingeschärft, nur die reinen, durch menschliche Erklärungen nicht verfälschten Evangelien zu predigen. Sarnicki, der bemerkte, daß diese Beschlüsse nur in der Absicht gefaßt wurden, die wahre Meinung ihrer Urheber zu verbergen, machte den Antrag, daß alle Prediger, die den Vorzug des Vaters vor dem Sohne behaupteten, ihr Amt niederlegen sollten, was jedoch verworfen wurde.

 

Als Blandrata Polen verließ, um sich nach Siebenbürgen zu begeben, wurde seine Stelle durch Gregor Pauli *) ersetzt, der bereits einige Jahre früher seine Ansichten gegen die Dreieinigkeitslehre verrathen hatte. Auf der Synode zu Pinczow angeklagt, gab er alle Verstellung auf, und verkündigte seine Meinungen offen auf der Kanzel. Er verwarf das nicäische Glaubensbekenntniß und die Lehre der ersten fünf allgemeinen Kirchenversammlungen, und ging sogar viel weiter als

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*) Er war von italienischer Herkunft, aber in Polen geboren. Er verfocht die Meinung, daß ein Christ weder bürgerliche Aemter annehmen, noch Waffen tragen sollte. Auch Gonesius war dieser Meinung und trug stets einen hölzernen Degen.

 

 

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Gonesius, indem er leugnete, daß Christus vor seiner Geburt vorhanden gewesen sei. Auch verdammte er die Taufe der Kinder, und nahm an, daß Christus die zeitliche Gewalt vernichtet habe; daß der Tod die Seele nicht vom Leibe trenne; daß der Körper nicht wirklich sterbe, und daß die Heilige Schrift keinen Unterschied zwischen der Auferstehung der Seele und des Leibes mache, sondern daß beide eine gemeinschaftliche Auferstehung haben werden; daß der Geist nicht ein abgesondertes und unabhängiges Wesen bilde; daß Gott den Leib Christi von dem Todten erweckt und ihn in den Himmel gebracht habe; daß die Lehre vom Tode des Leibes von dem Antichrist eingeführt worden sei, der dadurch die Lehre von dem Fegefeuer und von der Anrufung der Heiligen begründet habe. Diese kühnen Behauptungen wurden von der kirchengläubigen Partei, die auf der Synode zu Pinczow stark war, kräftig bekämpft und als dem Christenthume selbst verderblich angeklagt. Die Synode trennte sich, ohne eine Entscheidung zu geben, aber es wurde nun ein Krieg über diesen Gegenstand auf den Kanzeln geführt. Nachdem noch einige andere Synoden, die sich zum Theil zu Pauls Meinungen hinneigten, vergebens versucht hatten, die Parteien zu versöhnen und die Eintracht zu erhalten, erfolgte endlich in einer zu Piotrkow im Jahre 1562 gehaltenen Zusammenkunft eine gänzliche Trennung, da die anti-trinitarische Partei, von Pauli, Schoman, Stanislaus Lutomirski und einigen Edelleuten vertreten, die Verwerfung der Dreieinigkeitslehre feierlich erklärte.

 

Sarnicki, durch Bonar, den Castellan von Biecz, und Myszkowski, den Palatin von Krakau, unterstützt, veranstaltete im Mai 1563 eine Versammlung standhafter Anhänger des reformirten Bekenntnisses zu Krakau. Sie verdammte unumwunden die anti-trinitarischen Lehren und ließ an Pauli die Auffoderung ergehen, sein Amt niederzulegen. Er sah sich genöthigt, dieser Ermahnung zu folgen, blieb aber noch einige Zeit der Vorstand einer abgesonderten Gemeinde, die seine Meinungen angenommen hatte. Die Anti-Trinitarier ließen sich durch die feierliche Verdammung ihrer Lehre nicht abschrecken, und beriefen bald nachher eine Versammlung ihrer Anhänger nach Krakau, welche die, von der andern Synode gefaßten Beschlüsse für ungiltig und nichtig erklärte und die Entscheidung einer Zusammenkunft überließ, die im September 1563 gehalten werden sollte. Die vorgeschlagene Versammlung kam zwar nicht zu Stande, dagegen ward im Junius desselben Jahres zu Mordy in Podlachien eine anti-trinitarische Synode gegen die reformirte Kirche gehalten. Die Anti-Trinitarier erschienen hier als eine vollständig geordnete Partei, und von zwei und vierzig

 

 

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Predigern ward ein Bekenntniß unterzeichnet, das die Gottheit Christi leugnete, doch das Wort Dreieinigkeit beibehielt, um, wie sie selbst sagte, einige Schwache nicht abzuschrecken.

 

Die Anti-Trinitarier, die man nun nach Pinczow, ihrem Hauptsitze, Pinczovianer zu nennen anfing, waren zwar in ihrer HauptIehre von dem Vorzuge des Vaters vor dem Sohne einig, über viele andere Puncte aber herrschten verschiedene Ansichten, wie z. B. die Kindertaufe von einigen verdammt, von andern vertheidigt wurde. Eine im Jahre 1565 gehaltene Synode dieser Glaubenspartei milderte zwar den Streit, konnte jedoch nicht zu einem entscheidenden Beschlusse kommen. Die in demselben Jahre zu Wengrow gehaltene Versammlung war eine der wichtigsten anti-trinitarischen Synoden, die selbst von der Synode in den Karpathen unbeschränkte Vollmacht erhielt. Sie verwarf zwar die Kindertaufe, weil sie weder in der Urkirche gebräuchlich gewesen, noch auch im Evangelium vorgeschrieben sei, verbot sie aber nicht ausdrücklich, sondern überließ diese Angelegenheit dem Gewissen jedes einzelnen, indem sie Milde und gegenseitige Duldung empfahl. Dieser Beschluß wurde von der Gemeinde zu Wilna verworfen, welche die Taufe der Kinder verbot und die Taufe der Erwachsenen einführte.

 

Die anti-trinitarische Kirche erhielt im Jahre 1565 ihre Verfassung, und hatte nun ihre Synoden, ihre eigenen Prediger und Schulen und eine vollständige kirchliche Einrichtung. Sie veröffentlichte im Jahre 1574 *) ihr Glaubensbekenntniß. Der Hauptinhalt war: „Gott hat Christus geschaffen, das heißt, den vollkommensten Propheten, den heiligsten Priester, den unüberwindlichen König, durch welchen die neue Welt geschaffen wurde; diese neue Welt aber ist die neue Geburt, die Christus gepredigt und befestigt hat. Christus hat die alte Ordnung der Dinge verbessert, und seinen Auserwählten ewiges Leben gewährt, damit sie nächst dem allerhöchsten Gott an ihn glauben mögen; der heilige Geist aber ist nicht Gott, sondern eine Gabe, deren Fülle der Vater seinem Sohne gewährt hat." Dieses Glaubensbekenntniß verbot zugleich, Eide zu leisten oder wegen irgend einer Unbilde vor die Gerichte zu treten. Sünder sollten ermahnt werden, aber keine Strafen, keine Verfolgungen je eintreten, und der Kirche wurde nur das Recht vorbehalten, widerspenstige Mitglieder auszuschließen. Die Taufe sollte nur Erwachsenen gegeben und als das Zeichen der Reinigung betrachtet werden, das den alten Adam in einen

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*) Catechesis et confessio fidei coetus per Poloniam congregati in nomine Jesu Christi, Domini nostri crucifixi et resuscitati. 1574. 12. Man hält Schoman für den Verfasser.

 

 

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himmlischen verwandle. Die Lehre von dem Abendmahle wurde nach dem Bekenntnisse der Züricher Kirche angenommen.

 

Diese Lehren, die sich schnell verbreiteten, zogen die Aufmerksamkeit des ganzen Landes an, und um die Abweichungen darzustellen, welche die Reformirten und die Pinczovianer trennten, schrieb Modrzewski, auf Befehl des Königs Siegmund August, sein Werk „Sylvae“, worin er zwar eine Hinneigung zu anti-trinitarischen Meinungen verrieth, aber die Lehren der Pinczovianer nicht billigte.

 

Der König befahl im Jahre 1565, eine öffentliche Versammlung zu halten, um Frieden in der reformirten Kirche zu stiften, und obgleich sich die Erreichung dieses Zweckes kaum hoffen ließ, so fand doch im folgenden Jahre auf dem Reichstage zu Piotrkow eine Besprechung statt, zu welcher die Reformirten, die böhmischen Brüder und die Anti-Trinitarier ihre Abgeordneten sandten. Die Lutheraner nahmen keinen Antheil an der Versammlung, und die Katholiken, von dem Könige eingeladen, zu der Vertheidigung der christlichen Hauptlehre mitzuwirken, schienen anfänglich geneigt zu sein, bei der Zusammenkunft zu erscheinen, weigerten sich aber später, unter dem Vorwande, daß der römische Stuhl örtlichen Versammlungen die Erörterung von Glaubenssachen verbiete. Die Reformirten vertheidigten die Lehre von der Dreieinigkeit nach dem Ausspruche des Evangeliums und den Ansichten der Kirchenväter und den ersten allgemeinen Kirchenversammlungen, die Anti-Trinitarier aber, deren erster Wortführer Gregor Pauli war, verwarfen bei der Vertheidigung ihrer Lehre das Ansehen der Kirchenväter und der Kirchenversammlungen. Die Besprechung hatte keinen Erfolg und beide Parteien behielten ihre früheren Ueberzeugungen.

 

 

 

 

Zehnter Abschnitt.

 

Versuche zur Vereinigung der protestantischen Kirchen. Vergleich zu Sandomir.

 

 

So sehr die reformirte Kirche durch die Anti-Trinitarier gestört ward, und so nachtheilig diese Zwiste für die Sache der Reformation in Polen waren, die Protestanten vergaßen doch nicht den wichtigen Plan, die drei polnischen Kirchen, die schweizerische, die böhmische oder die sogenannten Waldenser, und die Iutherische, zu vereinigen. Eine solche

 

 

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Vereinigung, einmal befestigt, würde der protestantischen Partei eine unwiderstehliche Stärke gegeben und ihr einen schnellen Sieg über die römische Kirche gesichert haben, welche nicht sowohl durch eigene Kraft, als durch die beklagenswerthen Zwistigkeiten unter ihren Gegnern in Stand gesetzt wurde, den gegen sie gerichteten Angriffen zu widerstehen. Die Vereinigung der reformirten Kirche und der böhmischen Brüder im Jahre 1555, war ein wichtiger Schritt zur Erreichung jenes großen Zweckes. Sie ward auf einigen späteren Synoden von 1556 bis 1560 bestätigt, fruchtlos aber waren die, besonders durch Johann Laski unterstützten Versuche, die Lutheraner zur Theilnahme an jener Vereinigung zu bewegen. Laski hatte einen überwiegenden Einfluß auf die reformirte Kirche in Polen, bei den Lutheranern hingegen war er keineswegs beliebt, und der Haß, den die deutschen und dänischen Lutheraner auf ihn geworfen hatten, ward ihren Glaubensgenossen in Polen mitgetheilt, welche die Einladung zu einer Besprechung mit den Reformirten und den böhmischen Brüdern abwiesen, und auf einer Synode, wo sie im Jahre 1557 erschienen, wurden die Schwierigkeiten nur vermehrt, als die Lutheraner eine von Westphalus gegen Laski gerichtete bittere Schrift öffentlich vorlasen.

 

Die böhmische Kirche wuchs indeß unter Georg Israel’s Leitung, der sich durch seine großen Verdienste und seinen Eifer seines Platzes würdig machte. Eine in Mähren gehaltene Synode der böhmischen Brüder bestand aus nicht weniger als zweihundert Geistlichen aus Mähren und Polen, und vielen Edelleuten und andern Laien aus beiden Ländern. Sie wurden von den Lutheranern unablässig der Ketzerei beschuldigt, und da ihnen die Vereinigung aller Protestanten in Polen sehr am Herzen lag, ergriffen sie die kluge Maßregel, sich eine feierliche und entscheidende Anerkennung ihrer Rechtgläubigkeit zu verschaffen. Zu diesem Zwecke schickten sie Abgeordnete nach Deutschland, welche die früher mit Luther geschlossene geistliche Gemeinschaft wiederherstellen und die Abneigung seiner Nachfolger entfernen sollten, die der gewünschten Vereinigung im Wege stand. Ihre Abgeordneten, Rokita und Peter Herbert, wurden besonders von dem Herzoge Christof von Würtemberg gut aufgenommen; die würtembergischen Theologen fanden das Glaubensbekenntniß der böhmischen Brüder von Irrthümern frei und mit den Lehren des Evangeliums in Uebereinstimmung, und der Herzog gab ihnen Empfehlungsbriefe an den Fürsten Nikolaus Radziwill, den Grafen Lukas Gorka und Stanislaus Ostrorog. Rokita kehrte mit diesen günstigen Zeugnissen nach Polen zurück, Herbert aber dehnte seine Reise weiter aus, und besuchte die angesehensten Reformatoren

 

 

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und die vorzüglichsten protestantischen Lehranstalten in Deutschland und der Schweiz, um das Glaubensbekenntniß seiner Kirche ihrer Prüfung zu unterwerfen. Er erreichte seinen Zweck, und die ausgezeichnetsten schweizerischen Reformatoren, wie Peter Martyr und Bullinger in Zürich, Calvin, Vivet und Beza in Genf, Musculus in Bern, gaben ihm die günstigsten Zeugnisse. Diese Aussprüche milderten auf einige Zeit die Mißstimmung der Lutheraner, und sie schickten Abgeordnete auf die im Jahre 1560 gehaltene Synode zu Xionz, die aber theilnahmlose Zuhörer blieben, statt in die Berathungen einzugehen, weil sie, nach ihrer Angabe, nur gekommen waren, um zu hören und zu prüfen, nicht aber um ordnend einzugreifen, da sie zum Abschlusse einer Glaubenseinigung keine Vollmacht hätten. Diese Synode *) vervollständigte die Verfassung der vereinten Kirchen und befestigte das Bündniß durch genauere Bestimmung einiger Puncte. Die Zwecke jener Kirchen wurden einigermaßen durch die im Jahre 1561 zu Posen gehaltene und zahlreich besuchte Synode gefördert. Die Lutheraner zeigten sich minder abgeneigt gegen eine Vereinigung, und die Versammlung empfahl, die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes aufzusuchen. Das Haupthinderniß war das strenge dogmatische Festhalten der Lutheraner an ihren Lehrmeinungen, und ihre Weigerung, selbst bei Gegenständen von geringerer Wichtigkeit nachzugeben. Sie foderten unbedingte Gleichmäßigkeit und ließen sich selbst durch eine vollkommene Gleichheit der Lehren nicht befriedigen. Das Einverständniß, das sich vorbereitete, ward überdies auch durch fremde Aufreizungen gestört. Flacius Illyricus **) hatte bereits im Jahre 1558 einen Vertrauten nach Polen geschickt, um die beabsichtigte Vereinigung zu verhindern, und dieser Zweck wurde von seinen Anhängern eifrig befördert. Sein Einfluß ward jedoch besiegt, und fremdes Uebelwollen würde die Vereinigung nicht aufgehalten haben, wäre sie nicht ebensosehr durch einheimische Aufregung gehindert worden.

 

Die böhmischen Brüder hatten schon im Jahre 1549 eine Kirche in Thorn gegründet, obgleich es ihnen nicht gestattet war, öffentlichen Gottesdienst zu halten. Der lutherische Pfarrer an der Marienkirche,

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*) Vergl. Friese a. a. O. S. 337 ff.
**) Matthäus Flacius Illyricus, eigentlich Francowich, wurde 1520 in Illyrien geboren. Er war seit 1544 Professor in Wittenberg und Jena, ward in viele theologische Streitigkeiten verwickelt, die ihm große Verfolgungen zuzogen, und starb 1575. Er war der Gründer der Centuriae Magdeburgenses, des ersten von Protestanten geschriebenen Werkes über die Kirchengeschichte.

 

 

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Benedikt Morgenstern, ein Mann von streitsüchtigem Gemüthe und engherzigem bigotten Geiste, betrachtete die von ihm unabhängige böhmische Gemeinde mit Widerwillen und bemühte sich, sie seiner Gewalt zu unterwerfen. Die Brüder wollten seine Foderungen nicht bewilligen und blieben bei ihrem alten Bekenntnisse und ihrer Kirchenzucht, die unter ihnen strenger und reiner war als zu jener Zeit unter den Lutheranern. Nach langen Zögerungen legte Laurentius, der Prediger der böhmischen Kirche, die Gründe dar, welche die Gemeinde abhielten, sich der Leitung der Lutheraner zu unterwerfen. Er erklärte, daß es unter den Anhängern der Augsburgischen Confession keine wahre Sittenverbesserung gebe, daß ihre Geistlichkeit wegen ihres nicht eben frommen Wandels nicht als Muster für die Kirche dienen könne, daß die lutherische Kirche keine geordnete Hierarchie habe, daß große Uneinigkeit unter ihren Mitgliedern herrsche und ihre Lehren und kirchlichen Gebräuche in Verwirrung sein. Auch beklagten die böhmischen Brüder, daß die lutherische Geistlichkeit von bürgerlichen Behörden eingesetzt werde, was für die Unabhängigkeit, wie für die geistliche Leitung der Kirche, nachtheilig sei. Laurentius erklärte sich jedoch keineswegs entschieden gegen eine Vereinigung, wollte sie aber von der Bestimmung der höchsten Gewalt in seiner Kirche abhängig machen. Morgenstern, durch diesen Widerstand gegen sein Ansehen gereizt, griff die böhmischen Brüder auf der Kanzel an und beschuldigte sie der Ketzerei. Nach einigen Verhandlungen beschlossen die Brüder, um den Frieden unter den Protestanten zu erhalten, ihre Kirche zwar der Oberaufsicht der Lutheraner zu unterwerfen, doch unter der Bedingung, daß ihre innere Einrichtung unverändert beibehalten werde. Der Vergleich ward im October 1563 geschlossen. Viele Mitglieder der Brüdergemeinde aber mieden den Iutherischen Gottesdienst und empfingen das Abendmahl in benachbarten polnischen Oertern, wodurch Morgenstern gereizt wurde, sie in seinen Predigten heftig anzugreifen. Seitdem scheint die böhmische Kirche in Thorn sich allmälig aufgelöst zu haben, da das Lutherthum dort herrschend ward, und auch Morgenstern sah sich vielleicht durch die Feindschaften, die seine Heftigkeit ihm zugezogen hatte, genöthigt, sein Amt niederzulegen.

 

Die Lutheraner zeigten ihre Abneigung gegen die böhmischen Brüder bei vielen Gelegenheiten, besonders aber auf der Synode zu Posen im Jahre 1567. Erasmus Gliczner, Superintendent der Iutherischen Kirchen in Groß-Polen, der den Vorsitz in jener, von den Reformirten nicht besuchten Synode führte, foderte von den Abgeordneten der böhmischen Brüder, Laurentius und Israel, die Augsburgische Confession

 

 

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anzunehmen, die von den Protestanten in Deutschland anerkannt sei. Israel griff die Augsburgische Confession nicht an, behauptete aber, daß das Bekenntniß seiner Kirche eine, dem Evangelium widerstreitenden Irrthümer enthalte, und daß man durch die Annahme der dogmatischen Erklärungen der lutherischen Theologen anerkennen würde, jenes Bekenntniß sei früher irrig gewesen. Die böhmischen Brüder verlangten, daß diejenigen Abweichungen und Irrthümer ihrer Kirche, die den Lutheranern anstößig wären, ihnen nachgewiesen werden sollten, und versprachen eine befriedigende Antwort auf alle Einwürfe. Die Synode versprach zwar, die dogmatischen Irrthümer der böhmischen Kirche anzugeben und das Bekenntniß derselben zu beurtheilen, die Versammlung faßte jedoch keinen Beschluß darüber, und erst nach dem Schlusse der Synode erhielten die Brüder eine Reihe von Anklagen gegen ihr Bekenntniß, die Morgenstern, wahrscheinlich ohne Ermächtigung von der Synode, geschrieben hatte. Die böhmischen Brüder wurden folgender Irrthümer angeklagt: daß sie Ieugneten, Christus sei unsichtbarer Weise gegenwärtig auf Erden; daß sie in der Lehre von der Sendung des heiligen Geistes in sofern mit den Tritheiten übereinstimmten, als sie glaubten, der heilige Geist bleibe statt des persönlich gegenwärtigen Christus unter den Gläubigen; daß sie nur ihre Gemeinde für die einzige Kirche Gottes hielten; daß ihre Lehre von der Buße fälschlich behaupte, die Zerknirschung, als der erste Theil der Reue, werde durch den Glauben hervorgebracht, da doch im Gegentheile der Glaube auf die Zerknirschung folge; daß sie von den Katechumenen eine Wiederholung des bei der Taufe abgelegten Versprechens verlangten, was in gewisser Art eine Wiederholung der Taufe selbst sei; daß sie den guten Werken allein die Seligkeit zuschrieben und dadurch die Augsburgische Confession verdammten, nach welcher der Glaube allein gerecht mache, ohne gute Werke; daß sie die Predigten nicht für Gottes Wort hielten; daß sie nicht mit der rechtgläubigen Kirche Iehrten, der Mensch werde allein durch Gottes Gnade gerecht; daß ihr dem Könige Ladislaus im Jahre 1504 übergebenes Bekenntnis sieben Sacramente in Uebereinstimmung mit dem Antichrist annähme; daß sie die wahre und wesentliche Gegenwart Christi im Abendmahle Ieugneten, und daß sie die weltliche Obrigkeit nicht anerkennten und zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten Personen aus ihrer Mitte wählten.

 

Die böhmischen Brüder gaben bald nachher eine Erwiderung auf jene Anklagen. Sie erklären, daß Christus zwar zur Rechten des Vaters sitze, aber, von der Jungfrau geboren, nothwendig gegenwärtig sei, auf eine unsichtbare, jedoch zu unserer Seligkeit nöthige Weise; daß

Krasinski.

 

 

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ihre Lehre von dem heiligen Geiste mit Joh. XIV, 26 und XVI, 7 übereinstimme; daß sich die böhmische Kirche nur als einen Theil der allgemeinen Kirche ansehe und diejenigen ihre Glaubensgenossen nenne, die ihrer Aufsicht unterworfen seien; daß der Buße eine Erkenntniß des Gesetzes und der Sünde vorangehen müsse — der allgemeine Glaube — auf die Zerknirschung aber das Vertrauen — der besondere Glaube — folge; daß ein Katechumene, der zum Abendmahle gehe, nothwendig den Taufbund erneuern und bekennen müsse, was seine Pathen für ihn versprochen hätten; daß sie die guten Werke nur als Früchte des Iebendigen Glaubens betrachten, und jeder Christ sie ausüben müsse, nicht um dadurch Sündenvergebung zu erlangen, sondern seinen Gehorsam gegen Gott und die Aufrichtigkeit seines Glaubens zu beweisen; daß sie die mit dem Evangelium übereinstimmenden Predigten allerdings für Gottes Wort halten; daß nach ihrer Lehre der Mensch durch die Gnade, nicht durch die Werke selig werde; daß ihre Vorfahren seit Huß zwar sieben Sacramente angenommen hätten, das im Jahre 1535 übergebene Bekenntniß aber nur zwei, die Taufe und das Abendmahl, anerkenne, wogegen die Apologie der Augsburgischen Confession, außer jenen zwei Sacramenten, noch ein drittes, die Lossprechung, zähle; daß die böhmische Kirche stets geglaubt habe, im Abendmahle werde der Leib Christi sacramentlicher Weise, zwar mit dem Munde, aber ohne fleischlichen Sinn, und im Geiste genossen; daß sie alle Obrigkeiten ehren, aber Kleinigkeiten durch ihre Aeltesten schlichten lassen, wichtige Sachen aber den Behörden überweisen *).

 

Diese Vertheidigung der böhmischen Brüder befriedigte die Lutheraner nicht; sie fanden darin einige Dunkelheiten und behaupteten, sie sei nicht in Uebereinstimmung mit einem wahren evangelischen Bekenntnisse. Man kam überein, sie dem Ausspruche der Theologen zu Wittenberg zu unterwerfen, der entscheidend sein sollte, und fiele das Urtheil günstig aus, so sollten keine neuen Einwürfe gegen die Vereinigung der böhmischen Brüder und der Lutheraner erhoben werden. Die böhmische Kirche schickte Johann Laurentius und Johann Polykarp im Jahre 1568 nach Wittenberg, wo sie günstige Aufnahme bei der theologischen Facultät fanden, die aus Paul Eber, Georg Major und Paul Crell bestand, während auch Kaspar Peucer, Melanchthon’s

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*) Die Anklage enthält die Schrift: „Amica et fraterna adnotatio naevorum et verborum minus recte positorum in confessione Fratrum, quos Valdenses vocant etc.“ Die Erwiderung (von Laurentius) heißt: „Responsio brevis et sincera Fratrum, quos Valdenses vocant, ad naevos ex apologia ipsorum exceptos a ministris confessionis Augustanae.“

 

 

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Schwiegersohn, bedeutenden Einfluß hatte. Die Vertheidigung der böhmischen Kirche wurde geprüft und für rechtgläubig und mit dem Augsburgischen Bekenntnisse übereinstimmend erklärt. Eber sagte in einer Rede, die er bei jener Gelegenheit hielt: „Wir wissen, daß die Brüder in Böhmen und Mähren von alten Zeiten her die reine Lehre bekennen und darin mit uns einig sind, und obgleich sie in einigen äußeren Gebräuchen von uns abweichen, so müsset ihr sie doch von den Wiedertäufern und andern Feinden des Glaubens unterscheiden und weder öffentlich noch heimlich etwas gegen sie unternehmen oder auf der Kanzel sie schmähen, sondern in christlicher Eintracht mit ihnen leben, da sie unsere Brüder sind.” Die theologische Schule zu Wittenberg hatte zu jener Zeit keinen entscheidenden Einfluß auf die lutherischen Kirchen, deren viele sie beschuldigten, daß sie sich zu den schweizerischen Lehrmeinungen hinneige oder von dem sogenannten Philippismus *) angesteckt sei. Sie fühlten, wie schwierig ihre Stellung war, und als Eber den Abgeordneten der böhmischen Brüder ein befriedigendes Zeugniß ihrer Rechtgläubigkeit versprach, verhehlte er ihnen nicht die Besorgniß, daß es vielleicht nicht die gewünschte Wirkung haben könnte. Die Wittenbergischen Theologen, sagte er, wären nicht in solchem Ansehen, daß sie den unruhigen Köpfen den Mund verschließen könnten, deren ungezähmte Frechheit sich nicht bändigen lasse. Er bedauerte die Zwistigkeiten unter den Iutherischen Kirchen und ihren vorgeblichen Anhängern, und wünschte lieber, in einer kleinen Stadt die Aufsicht über wenige zu führen, als in Wittenberg so viele Menschen, besonders die rohen Studenten zu leiten. Georg Major klagte in seinem Schreiben an Israel, daß auch in Deutschland hier und da die Kirchen durch unsinniges Geschrei, Lügen, Schmähungen, giftige Reden und Schriften von denjenigen beunruhigt würden, die herum liefen und, wie tolle Hunde, auch die Todten nicht schonten. Das von Eber, als Decan, Major und Crell unterzeichnete Schreiben kann als ein Urtheil der theologischen Schule über die, von den Lutheranern auf der Synode zu Posen gegen die böhmischen Brüder erhobenen Anklagen gelten. Sie bedauerte, daß die Anhänger der Augsburgischen Confession in Polen Zerwürfnisse unter den protestantischen Kirchen Polens herbeigeführt hätten, und erklärte, daß das Glaubensbekenntniß der böhmischen Brüder mit der reinen kirchlichen Lehre übereinstimme, wiewohl in Gebräuchen einige Ungleichheit herrsche; daß die böhmischen Brüder

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*) Bekanntlich zog sich auch Philipp Melanchthon den Verdacht einer Hinneigung zu den Lehren Calvin’s zu, und die Iutherischen Theologen, die ihm darin nachfolgten, erhielten den Namen Philippisten.

 

 

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und die Iutherische Kirche lange durch die Bande geistlicher Gemeinschaft vereint gewesen wären und Luther selbst im Jahre 1542 die früher von ihm ausgesprochene ungünstige Meinung zurückgenommen und den Brüdern ein schmeichelhaftes Zeugniß gegeben hätte. Sie empfahl den Anklägern der Brüdergemeinde mehr Aufrichtigkeit, und christlichen Lehrern anständige Billigkeit. Der Ausspruch der Wittenbergischen Theologen scheint mehr, als sie hofften, gewirkt zu haben, und die Lutheraner verschonten die Brüder seitdem mit ihren Angriffen. Die Vereinigung der protestantischen Kirchen in Polen machte nun schnelle Fortschritte und die Stadt Sandomir wurde zum Sitze einer Synode bestimmt, wo die Bevollmächtigten der drei Kirchen das große Werk vollenden sollten.

 

Zur Förderung dieses Zweckes diente auch ein wichtiges Ereigniß, welches das Jahr 1569 bezeichnete, die auf dem Reichstage zu Lublin vollzogene Vereinigung von Polen und Lithauen *). Die angesehnsten, zu den drei protestantischen Bekenntnissen gehörenden Edelleute, die auf dem Reichstage versammelt waren, faßten den Beschluß, die Vereinigung ihrer Kirchen eifrig zu unterstützen, in der Erwartung, daß Siegmund August, der eine solche Einigung oft gewünscht hatte, sich endlich zur Annahme des Protestantismus entschließen werde. Der König zeigte auf jenem Reichstage eine Art von feierlicher Begünstigung des Protestantismus, indem er mit seinem ganzen Hofe, dem Senate und den fremden Gesandten die Leiche des berühmten Kron-Großfeldherrn Sieniawski begleitete. Die Synoden zu Posen und Wilna im Jahre 1570 bahnten den Weg zur Vereinigung und beseitigten die Schwierigkeiten, welche die lutherischen Theologen, besonders in Beziehung auf die böhmischen Brüder, entgegensetzten **).

 

Die Synode zu Sandomir bestand aus mehren Edelleuten und Predigern der drei protestantischen Kirchen; die Anhänger antitrinitärischer Lehren aber wurden von den Berathungen ausgeschlossen.

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*) Lithauen und Polen waren früher nur unter einem gemeinschaftlichen Herrscher vereint, der in Lithauen erblich war, in Polen aber gewählt wurde. Bei der Vereinigung entsagte der König seinen erblichen Rechten auf Lithauen, und wurde gewählter Monarch in beiden Ländern, die nun eine gemeinschaftliche gesetzgebende Versammlung erhielten, aber in der Verwaltung abgesondert blieben. Dieses Verhältniß dauerte, mit einigen Veränderungen, bis zur Auflösung Polens. Auch die übrigen Provinzen, Volhynien, Podolien, Podlachien, selbst Lievland und Kurland, die früher nur zu Lithauen gehört und bereits 1561 Glaubensfreiheit erhalten hatten, wurden auf dem Reichstage zu Lublin mit Polen vereinigt.

**) Vergl. Friese über die Synode zu Posen a. a. O. S. 427 ff.

 

 

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Den Vorsitz führten von Seiten der Laien Stanislaus Myszkowski, Palatin von Krakau, Peter Zborowski, Palatin von Sandomir, und Stanislaus Iwan Karminski; die reformirten Prediger, Paul Gilowski und Andreas Prazmowski, und die Wortführer der Lutheraner waren Erasmus und Nikolaus Gliczner. Die Verhandlungen begannen am 9. April und dauerten bis zum 14. desselben Monats im Jahre 1570. Die Brüder Gliczner verlangten, daß die Reformirten und die böhmischen Brüder die Augsburgische Confession annehmen sollten. Dies konnte keine von beiden Parteien bewilligen, und es war sehr zu befürchten, daß die Versammlung sich auflösen würde, ohne ihren Zweck zu erreichen. Myszkowski und Zborowski baten die Parteien, die Sache der Reformation durch ihre Zwistigkeiten nicht zu gefährden im Angesichte ihres so furchtbaren Feindes, der katholischen Kirche, und ließen den Wink fallen, daß der König vielleicht zur protestantischen Kirche übergehen werde, da ihn seither nur die unglücklichen Zwistigkeiten unter den Protestanten davon abgehalten hätten. Diese dringenden Vorstellungen hatten die gewünschte Wirkung. Die Lutheraner gaben ihren Widerstand auf; man vereinigte sich in der Ansicht, daß keine der drei Parteien ihr Bekenntniß den andern aufdringen möchte und alle ein gemeinschaftliches polnisches Bekenntniß annehmen sollten, und am 14. April wurde der Vergleich zwischen den Anhängern der schweizerischen, böhmischen und Iutherischen Kirchen in Groß-Polen, Klein-Polen, Reussen, Lithauen und Samogitien unterzeichnet. Wir geben den Inhalt dieser wichtigen Urkunde.

 

Nachdem man lange und oft mit den sectirischen Tritheiten, Ebioniten und Wiedertäufern *) gestritten hat, und wir endlich durch Gottes Gnade aus so vielen großen Streitigkeiten und beklagenswerthen Zwisten erlöst worden sind, haben die polnischen reformirten und rechtgläubigen Kirchen, die, nach dem Vorgeben der Feinde der Wahrheit und des Evangeliums, in einigen Puncten und Formeln der Lehre nicht übereinzustimmen schienen, für angemessen gehalten, aus Liebe zum Frieden und zur Eintracht eine Synode zu berufen, und eine vollkommene Uebereinstimmung auszusprechen. Wir haben daher eine freundschaftliche und christliche Unterredung gehalten und mit vereinigten Herzen folgenden Vergleich geschlossen.“

 

Die erstens nicht nur wir, die wir in dieser Synode unser Glaubensbekenntniß vorgelegt haben, sondern auch die böhmischen Brüder, nie der Meinung gewesen sind, daß die Anhänger der Augsburgischen

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*) So wurden die Anti-Trinitarier genannt.

 

 

 

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Confession anders als fromm und rechtgläubig von Gott, der heiligen Dreieinigkeit, der Menschwerdung des Sohnes Gottes, wie auch von unserer Rechtfertigung und andern Hauptsatzungen unseres Glaubens lehren, so haben auch diejenigen, die der Augsburgischen Confession folgen, aufrichtig bezeugt, daß sie weder in dem Bekenntnisse unserer Kirchen, noch in dem Glaubensbekenntnisse der böhmischen Brüder, die einige unkundige Leute Waldenser nennen, irgend eine Lehre von Gott, der heiligen Dreieinigkeit, der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der Rechtfertigung und andern Hauptsätzen des christlichen Glaubens finden, welche von der rechtgläubigen Wahrheit und dem reinen Gottesworte abwiche. Wir haben uns wechselseitig das heilige Versprechen gegeben, daß wir einmüthig nach der Vorschrift des göttlichen Wortes diesen Vergleich über den reinen und wahren christlichen Glauben gegen die Päpstler, die Sectirer und alle andern Feinde des Evangeliums und der Wahrheit vertheidigen wollen.”

 

Was nun den unglücklichen Streit über das Abendmahl des Herrn betrifft, so sind wir übereingekommen, an dem Sinne der Worte unseres Herrn Jesu Christi festzuhalten, wie dieselben von den Kirchenvätern, besonders von Irenäus, rechtgläubig ausgelegt worden sind, indem dieser sagt, daß jenes Geheimniß aus zwei Dingen, einem irdischen und einem himmlischen, bestehe. Wir behaupten nicht, daß nur die Elemente oder bloße leere Zeichen da sind, sondern daß sie zugleich in der That dasjenige, was sie bedeuten, den Gläubigen darreichen und durch den Glauben mittheilen. Wir sind, um bestimmter und deutlicher zu reden, übereingekommen, zu glauben und zu bekennen, daß die wesentliche Gegenwart Christi nicht nur bedeutet, sondern daß denjenigen, die das Abendmahl genießen, darin der Leib und das Blut des Herrn dargestellt, ausgetheilt und gereicht werde, indem die Symbole zu der Sache selbst kommen, und also nach der Natur der Sacramente nicht bloße Zeichen sind.”

 

Auf daß aber die Verschiedenheit der Redeweisen nicht Streit errege, so ist beliebt worden, außer dem, unserem Bekenntnisse bereits einverleibten Artikel auch denjenigen aus dem Glaubensbekenntnisse der sächsischen Kirchen vom heiligen Abendmahle, das im Jahre 1551 der Kirchenversammlung zu Trient vorgelegt wurde, mit gegenseitiger Einwilligung aufzunehmen, in folgenden Worten: „Die Taufe und das Abendmahl des Herrn sind Pfänder und Zeugnisse der Gnade, welche uns an die Verheißung und ganze Erlösung erinnern, und zeigen, daß die Wohlthaten des Evangeliums für alle und jede gehören, die diese Gebräuche benutzen u. s. w.” Ferner: „Es wird niemand zum Abendmahle

 

 

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gelassen, wenn er nicht zuvor von seinem Pfarrer oder dessen Gehilfen gehört und losgesprochen worden ist. Bei dieser Ausforschung werden die Unwissenden über die ganze Lehre befragt und unterrichtet, worauf die Vergebung der Sünden ihnen verkündigt wird. Auch werden die Menschen belehrt, daß die Sacramente von Gott eingesetzte Handlungen sind, und daß die Sachen selbst, außer dem angeordneten Gebrauche, nicht die Eigenschaft eines Sacraments haben, daß aber bei dem angeordneten Gebrauche in der Communion Christus wahrhaft und wesentlich zugegen ist und den Communicirenden Christi Leib und Blut wahrhaft gereicht wird, und daß Christus bezeugt, er sei in ihnen, und mache sie zu seinen Gliedern und habe sie mit seinem Blute gewaschen.” Kurz alle Worte dieses Artikels. Wir haben auch geglaubt, es werde zur Beseiligung dieser heiligen gegenseitigen Uebereinkunft dienen, daß, wie jene uns und unsere Kirchen und unser, auf dieser Synode vorgelesenes Bekenntniß und das Glaubensbekenntniß der Brüder für rechtgläubig erklären, auch wir gegen ihre Kirchen gleiche christliche Liebe hegen wollen und sie für rechtgläubig erklären. Wir wollen aufheben und in ewiges Stillschweigen begraben jene Streitigkeiten, Zerwürfnisse und Uneinigkeiten, durch welche seither der Fortschritt des Evangelium nicht ohne großes Aergerniß vieler frommen Seelen gehindert, und unseren Feinden Gelegenheit gegeben ward, uns arg zu verläumden und unserer wahren christlichen Religion zu widersprechen, wir wollen uns vielmehr verpflichten, den Frieden und die öffentliche Ruhe zu befördern, gegenseitige Liebe uns zu erweisen, und gemeinschaftlich, unserer brüderlichen Vereinigung gemäß, uns bemühen, die Kirche zu erbauen.“

 

Zugleich verpflichten wir uns, unsre Brüder mit allem Eifer zu überreden und sie einzuladen, diese christliche und einmüthige Uebereinkunft anzunehmen, zu erhalten, zu befördern und zu befestigen, besonders durch Anhörung des göttlichen Wortes, sowohl in der einen als der andern Gemeinde, und den Gebrauch der Sacramente, doch mit Beachtung der Ordnung in der Kirchenzucht und der Gebräuche jeder Kirche, indem wir diese Gebräuche und Feierlichkeiten bei unserer Uebereinkunft und Einigung jeder Kirche frei lassen. Es liegt nicht viel daran, welche Gebräuche beobachtet werden, wenn nur die Lehre selbst und der Grund unseres Glaubens und Heils rein und unverfälscht bleibt, wie denn auch die Augsburgische Confession und das sächsische Bekenntniß dies lehren, und wie in unserem, auf dieser Synode veröffentlichten Glaubensbekenntnisse es gesagt haben. Wir versprechen daher, uns einander wechselseitig mit gutem Rathe und Liebesdiensten

 

 

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beizustehen und alles zur Erhaltung und zum Wachsthume der frommen, rechtgläubigen und reformirten Kirchen im ganzen Reiche, in Lithauen und Samogitien, als Glieder eines Leibes beizutragen, und wenn jene die Berufung von General-Synoden beschließen, so sollen sie uns Nachricht davon geben, und auch keine Schwierigkeiten machen, auf unseren Synoden zu erscheinen, wenn sie eingeladen werden und es nöthig sein sollte. Um aber dieser Uebereinkunft und Vereinigung gehörige Festigkeit zu geben, so glauben wir, es werde zur Erhaltung und Sicherung unserer brüderlichen Verbindung zuträglich sein, wenn wir irgendwo zusammenkommen, um aus unseren Glaubensbekenntnissen, wie uns die Feinde der Wahrheit dazu zwingen, einen kurzen Inbegriff der Lehre zu ziehen und zu veröffentlichen, damit wir feindselige Menschen zum Schweigen bringen, zu großem Troste der Frommen, und zwar unter dem Namen aller reformirten Kirchen in Polen, Lithauen und Samogitien, die mit unserem Glaubensbekenntnisse übereinstimmen.”

 

Wir haben uns gegenseitig den Handschlag gegeben und heilig versprochen, den Frieden treulich zu halten und immer mehr zu befördern, und alle Veranlassungen zu Zerwürfnissen in der Kirche zu vermeiden. Endlich aber verpflichten wie uns, nicht auf unseren eigenen Vortheil zu sehen, sondern, wie es wahren Dienern Gottes ziemt, allein die Ehre unseres Heilands Jesu Christi zu befördern, und die Wahrheit des Evangeliums mit Worten und Werken auszubreiten. Und damit dies immer gedeihlich, fest und unverbrüchlich gehalten werde, bitten wir inbrünstig Gott, den Vater, den Urheber und reichen Quell alles Trostes und Friedens, der uns und unsere Kirchen aus den dichten Finsternissen des Papstthums gerissen und mit dem reinen Lichte seines wahren Wortes beschenkt hat, daß er den Frieden, die Uebereinkunft und Einigung, die wir geschlossen haben, zu seines Namens Ehre und zur Erbauung seiner Kirche segnen möge. Amen. Siehe, wie fein und löblich ist es, daß Brüder einträchtig bei einander wohnen. Psalm 133 *).”

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*) Der Consensus Sendomiriensis wurde zuerst 1586 Iateinisch, und 1592 mit einer polnischen Uebersetzung zu Thorn gedruckt, und deutsch von Strimesius in Frankfurt a. d. O. 1704 herausgegeben. Ein Tagebuch über die Synode zu Sandomir von Simeon Theophilus Turnowski, Prediger der böhmischen Brüder, befindet sich in der schätzbaren „Geschichte der Kirchen der böhmischen Brüder in Groß-Polen” von Joseph Lukaszewicz. Posen 1835. Die Geschichte der Verhandlungen erzählt Jablonski in seiner „Historia consensus Sendomiriensis“, vergl. Friese a. a. O. S. 421 ff.

 

 

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nach einer auf der Synode getroffenen Uebereinkunft ward im Mai 1570 eine Zusammenkunft in Posen gehalten, um die zu Sandomir gegebenen Verfügungen zu bestätigen und zu erläutern. Sie bestand aus mehren Edelleuten und Predigern der böhmischen und lutherischen Kirche; die Reformirten in Klein-Polen aber schickten keinen besonderen Abgeordneten, theils weil sie die böhmischen Brüder als Genossen ihrer Kirche betrachteten, theils weil sie Geistliche ihrer Kirche in Cujavien hatten. Diese Synode Iöste manche Zweifel, welche die Versammlung zu Sandomir nicht aufgeklärt hatte, und faßte ihre Beschlüsse in zweiundzwanzig Artikel zusammen. Der Sandomirische Vergleich wurde bestätigt. Die Geistlichen beider Bekenntnisse, des lutherischen und reformirten, können die Sacramente austheilen, predigen und den Gottesdienst halten nach den Gebräuchen ihrer Kirchen, woran niemand ein Aergerniß nehmen soll. Wo ein Prediger angestellt iss, darf der Patron des Ortes nicht den Geistlichen einer andern Gemeinde ohne Einwilligung des Ortsgeistlichen holen lassen. Das Abendmahl ist in dem Sinne zu verstehen, wie die Synode zu Sandomir hinsichtlich des Artikels des sächsischen Glaubensbekenntnisses erklärt hat, und alle Ausdrücke, Worte und Erklärungen, die von jenem Bekenntnisse abweichen, sollen vermieden werden. Die Geistlichen eines Bekenntnisses sollen unter keinem Vorwande die Anhänger eines andern zu sich hinüberziehen. Die Aeltesten beider Kirchen sollen zur Beförderung der Eintracht und Wohlfahrt derselben jährlich eine Synode halten. Jeder Streit zwischen Geistlichen zweier Bekenntnisse oder Mitgliedern ihrer Gemeinden über Veränderungen in der Lehre, den Gebräuchen, der Kirchenzucht u. s. w. ist zu vermeiden und solche Dinge sollen ausschließend den Geistlichen der Kirche, von welcher die Rede ist, überlassen werden. Alle durch das Wort Gottes verbotenen Sünden sollen sowohl durch Predigten, als auch durch die Wirksamkeit der besonderen Seelsorge geahndet werden, wie Abgötterei, Mord, Habsucht, Wucher, Zwietracht, Streit, Fluchen, Völlerei, Tanzen, Spielen, unsittliche Kleidung, und alle fleischlichen Verbrechen. Die Synode hielt es für nöthig, daß eine kirchliche Buße und Züchtigung, in Uebereinstimmung mit Gottes Wort, allen Geistlichen, die sich vergangen hätten, und allen Mitgliedern der Kirche Gottes ohne Unterschied der Person aufgelegt werde, und zwar nicht bloß in Worten, sondern auch in Handlungen, nach der Vorschrift des Heilandes und dem Beispiele der Apostel. Es wird gestattet, daß die Geistlichen und Mitglieder einer Gemeinde, wenn es nöthig ist, die Geistlichen und Mitglieder einer andern zur Buße und Gottseligkeit ermahnen. Die Geistlichen eines

 

 

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Bekenntnisses dürfen die Anhänger des andern nicht zu dem Abendmahle zulassen, ohne das Zeugniß des Pfarrers der Gemeinde, zu welcher sie gehören, außer zur Zeit des Reichstages oder einer Synode, oder bei Fremden. Wer aus einer Gemeinde ausgeschlossen ist, darf nicht in die andere aufgenommen werden, ehe er mit der Kirche, welcher er Aergerniß gegeben hat, ausgesöhnt ist. Geistliche, die ihres Amtes entsetzt oder aus einer Gemeinde ausgeschlossen wurden, dürfen nicht durch die Geistlichen der andern Gemeinde aufgenommen, losgesprochen oder in ihr Amt wieder eingesetzt werden, sondern sind dem Urtheile ihrer eigenen Kirche zu überlassen. Die Kirchen-Patrone dürfen von den Geistlichen keine Veränderungen in Gebräuchen und Feierlichkeiten ohne Einwilligung der oberen Kirchenbeamten fodern. Alle papistische Gebräuche sollen nach und nach, aber durchaus abgeschafft werden, wie der Exorcismus, die Bilder, die Reliquien, der abergläubige Gebrauch der Kerzen, die Weihung von Kräutern, Fahnen, goldenen und silbernen Kreuzen, damit das Wort Gottes nicht darunter leide, und die vereinigten protestantischen Kirchen nicht mit dem Antichrist Gemeinschaft zu halten und seine Gräuel zu billigen scheinen. Wenn ein Streit zwischen den Geistlichen beider Gemeinden entsteht, so soll die Sache gütlich geschlichtet werden, und wäre dies nicht möglich, die Entscheidung einer allgemeinen Synode aller protestantischen Kirchen Polens überlassen bleiben.

 

 

 

 

Elfter Abschnitt.

 

Einführung der Jesuiten in Polen. Der Cardinal Hosius. Tod Siegmund August’s.

 

 

Die Vereinigung der Protestanten war um so nothwendiger, da ein neuer und furchtbarer Feind gegen sie aufstand, dem sie endlich auch erliegen mußten, die Jesuiten. Als die katholische Partei alle Mittel, die ihr im Lande zur Bekämpfung der Protestanten zu Gebote standen, erschöpft hatte, und es unmöglich fand, sich länger gegen die Fortschritte der Reformation zu behaupten, deren Sieg gewiß zu sein schien, suchte sie Beistand im Auslande. Der Cardinal Hosius, das Haupt dieser Partei, hielt es für das einzige Mittel zur Rettung des Katholicismus, den neu gestifteten Orden der Jesuiten herbeizurufen,

 

 

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der diesem Rufe bereitwillig folgte und die Kirche zu retten eilte, die am Rande des Unterganges war.

 

Stanislaus Hosen (Iateinisch Hosius) ward im Jahre 1504 zu Krakau in einer deutschen Familie geboren, die sich durch Handel bereichert hatte. Er erhielt seine Bildung in Wilna und Krakau, besuchte aber später die Hochschule zu Padua, wo er eine vertraute Freundschaft mit Reginald Pole schloß, der später als Cardinal eine wichtige Rolle in seinem Vaterlande, England, spielte, wo auch er gegen die Reformation in den Kampf trat. Nach Polen zurückgekehrt, wurde Hosius durch den Bischof von Krakau der Königin Bona empfohlen, die ihn unter ihren Schutz nahm und für seine schnelle Beförderung sorgte. Er zeigte früh seine Feindseligkeit gegen die Protestanten, griff aber anfänglich nicht selbst sie an, sondern reizte nur andere Prediger, von den Kanzeln gegen die Neuerungen im Glauben zu eifern, indem er, wie sein Lebensbeschreiber sagt, die Klugheit der Schlange nachahmte. Zum Bischofe von Culm ernannt, erhielt er wichtige Gesandtschaften bei Karl V. und dem römischen Könige Ferdinand, besuchte Wien, Brüssel und Gent und erfüllte ehrenvoll seine Amtspflichten. Als er Bischof von Ermland geworden war, stand er an der Spitze der katholischen Kirche in Polnisch-Preußen, wo er großen Einfluß erlangte, bemühte sich aber vergebens, den Fortschritten des Lutherischen Glaubens zu wehren, der sich rasch ausbreitete. Eifrig forschte er in den Werken, welche Schriftsteller einer protestantischen Partei gegen die Anhänger einer andern schrieben, und benutzte geschickt die Gründe, mit welchen einige dieser Schriftsteller in ihrer Verblendung Strafgesetze gegen die Verfechter von Irrthümern in Glaubenssachen empfahlen. Er scheute sich nicht, zu rathen, daß man den Ketzern nicht Wort halten sollte, und erklärte es für nothwendig, sie nicht durch Gründe, sondern durch den Arm der Obrigkeit zu widerlegen. Er sprach seine Grundsätze in dieser Beziehung offen in einem Briefe *) an den Cardinal von Guise aus, dem er zu der Ermordung des Admirals Coligny Glück wünschte. Die Nachricht von diesem Ereignisse, sagt er, habe seine Seele unglaublich erfreut, und er danke dem Allmächtigen für das große Geschenk, das Frankreich durch die Bartholomäusnacht erhalten habe, und bete, daß Gott auch Polen mit gleicher Barmherzigkeit ansehen möge. Dieser Bischof aber, der so abscheuliche Grundsätze hegte, war in jeder andern Beziehung mit den glänzendsten Eigenschaften begabt, und obgleich Bayle, **) gewiß übertreibend, ihn den größten

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*) In seinen Werken (Hosii Opera) S. 340.

**) Dictionnaire historique, Art. Hosius.

 

 

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Mann nennt, den Polen je hervorgebracht .habe, so war er doch durch Geistesgaben und Frömmigkeit ausgezeichnet. Seine Fehler waren die unvermeidlichen Folgen der Vorschriften seiner Kirche, die er eifrig, aber gewissenhaft befolgte. Sein Eifer für diese Kirche war so groß, dass er in einer seiner Schriften sagte, wenn die heilige Schrift nicht für das Ansehen dieser Kirche wäre, würde sie nicht mehr Gewicht als Aesops Fabeln haben. Er ward im Jahre 1561 von Pius IV. zum Cardinal ernannt, und während er auf der Kirchenversammlung zu Trient den Vorsitz hatte, erwarb er sich die größte Zufriedenheit des Papstes. Er brachte die letzten Jahre seines Lebens in Rom zu, wo er 1559 starb *). Hosius war in seinen politischen Ansichten eben so consequent römisch gesinnt als in Glaubenssachen. Er behauptet, daß die Unterthanen gar keine Rechte haben, sondern dem Fürsten blind gehorchen müssen, der für keine seiner Handlungen verantwortlich sei, und daß sündige, wer ihn richten wolle. Wie alle Anhänger Roms, schreibt er die politischen Neuerungen den Lehren der Reformation zu, und behauptet ausdrücklich, daß das Lesen der heiligen Schrift das Volk aufrührerisch mache, und besonders eifert er gegen die Weiber, welche die Bibel lesen **). So sehr er aber unbedingten Gehorsam gegen den Willen des Fürsten einschärfte, so wich er doch selber von diesem Grundsatze ab, wenn die Interessen Roms dagegen waren. Als die reformirte Kirche zu Krakau auf eine ausdrückliche Erlaubnis des Königs errichtet wurde, suchte Hosius den Bischof von Krakau, Krasinski, aufzureizen, diese Kirche durch alle mögliche Mittel zu unterdrücken. Trotz seiner großen Gelehrsamkeit, die ihn zu einem der ersten Lichter der römischen Kirche machte, konnte er sich doch nicht von den unchristlichen, durch diese Kirche gepflegten Ansichten los machen, daß freiwillige Selbstquälung Gott angenehm sei, und häufig geißelte er seinen Leib und vergoß sein eigenes Blut mit eben so großem Eifer, als er das Blut der Gegner Roms vergossen haben würde.

 

Dies war der Mann, welcher, als seine Bemühungen, den Fortschritten der Reformation zu steuern, fruchtlos waren, eine Maßregel ergriff, für welche er den ewigen Dank Roms, und den Fluch Polens verdiente.

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*) Die beste Ausgabe seiner Werke erschien 1584 zu Köln und enthält auch seine Briefe an viele berühmte Zeitgenossen. Von seiner in mehre Sprachen übersetzten „Confessio catholicae fidei christianae“ (Mainz 1557) erschienen während seiner Lebzeit 32 Ausgaben. Seine Biographie von Rescius (Reszka) „Stanislai Hosii vita“ erschien 1587 zu Rom.

**) S. Hosii Opera S. 640.

 

 

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Er rief den Jesuitenorden herbei, der durch seine bewundernswürdige Verfassung, seinen Eifer und seine Thätigkeit, besonders aber durch gänzliche Mißachtung jedes Grundsatzes, welcher der Erreichung seines Zweckes im Wege stand, den Romanismus in ganz Europa von dem drohenden Untergange rettete, und in mehren Ländern die untergegangene Herrschaft desselben wieder aufrichtete. Der Orden schickte bereits im Jahre 1558 eines seiner Mitglieder, Canisius, nach Polen, um den Zustand des Landes untersuchen zu lassen. Canisius berichtete, Polen sei von Ketzerei angesteckt, und schrieb diese Lage der Dinge hauptsächlich der Abneigung des Könige zu, den Protestantismus durch blutige Maßregeln zu unterdrücken. Er hatte viele Unterredungen mit den vornehmsten katholischen Geistlichen in Polen, kehrte aber zurück, ohne ein bestimmtes Ergebniß seiner Sendung mitzubringen. Als Hosius nach seiner Rückkehr von Trient im Jahre 1564 die Zunahme des Protestantismus in seinem eigenen bischöflichen Sprengel bemerkte, bat er den Jesuiten-General, Lainez, ihm einige Mitglieder des Ordens zu senden. Lainez erfüllte sogleich dieses Gesuch, schickte mehre Jesuiten von Rom ab, und befahl einigen andern in Deutschland sich mit ihnen zu vereinigen. Hosius nahm diese willkommenen Gäste in Braunsberg auf und begabte mit einer reichlichen Ausstattung die neue Anstalt, die sich bald in ganz Polen ausbreitete. Im Jahre 1567 ward ein Versuch gemacht, die Jesuiten in Elbing einzuführen; die protestantischen Bürger aber zeigten einen so heftigen Widerstand, daß Hosius, indem er äußerte, die Stadt stoße ihr Heil von sich, sein Vorhaben aufgeben mußte. Unter der Regierung Siegmund August’s, der den Jesuiten nicht günstig gewesen zu sein scheint, machte der Orden keine schnellen Fortschritte, und erst sechs Jahre nach ihrer Ankunft ließ sich der Bischof Konarski durch den päpstlichen Nuntius Plotina bewegen, sie in Posen einzuführen, wo sie auf seine Verwendung von der Stadtobrigkeit eine Kirche, zwei Hospitäler und eine Schule erhielten, und er selbst schenkte ihnen ein Gut und seine Büchersammlung. Die Jesuiten wußten sich die Gunst der Prinzessin Anna, der Schwester Siegmund August’s, zu erwerben, welche die Interessen des Ordens durch ihren Einfluß beförderte und wahrscheinlich ihren Gemahl, Stephan Batori, bewog, ihn zu beschützen. Der Erzbischof Uchanski, der sich früher zu den protestantischen Lehren hingeneigt hatte, wünschte nun, als durch Siegmund August’s Tod die Aussichten auf die schnelle Einführung der Reformation sich trübten, den Argwohn Roms durch lebhaften Eifer in Vergessenheit zu bringen, und ward ein thätiger Gönner des Ordens. Sein Beispiel wurde von vielen Bischöfen befolgt, welche für die Vertheidigung

 

 

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ihrer Sprengel mehr von den Ränken ihrer neuen Verbündeten, als von den Anstrengungen ihrer eigenen Geistlichkeit hofften.

 

Siegmund August starb am 7. Julius 1572 zu Knyszyn, einer kleinen Stadt an der Gränze von Lithauen. Er hatte keine Erben und es wurde nun praktisch die Wahl eines Königs eingeführt, die zwar bereits nach der Landesverfassung Gesetz war, aber stets, so lange der Jagellonische Stamm bestand, zu Gunsten des natürlichen Erben des verstorbenen Königs ausfiel. Siegmund August hatte von der Natur viele treffliche Eigenschaften erhalten, die selbst die weibische Erziehung nicht unterdrücken konnte, welche seine Mutter Bona ihm wahrscheinlich in der Absicht gab, ihn zu einem Werkzeuge für ihre Entwürfe zu machen. Er war mit manchen Kenntnissen ausgestattet, und begünstigte häufig die National-Literatur. Von wohlwollender Gesinnung, war er aus Grundsätzen und nach seinem Charakter jeder despotischen und grausamen Maßregel durchaus abgeneigt. Sein Hauptfehler war eine große Unentschlossenheit, die bei mehren Gelegenheiten auf die Angelegenheiten des Landes nachtheilig wirkte. Er war sehr unglücklich in seinem häuslichen Leben, und diese Verhältnisse hatten einen entscheidenden Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten Polens. Seine erste Gemahlin war Elisabeth, Tochter des Königs Ferdinand, die aber ungeachtet ihrer Schönheit und ihrer geistigen Vorzüge, die Zuneigung ihres Gemahls nicht gewinnen konnte, und von ihrer Schwiegermutter so bitter gehaßt wurde, daß bei ihrem Tode im Jahre 1545 ein starker Verdacht sich regte, sie sei von der Königin Bona vergiftet worden. Seine zweite Gemahlin, Barbara Radziwill, starb 1551, und auch ihren Tod schrieb ein allgemeiner Argwohn der Schwiegermutter zu. Bona bewog ihn, Katharina von Oestreich, die verwittwete Herzogin von Mantua, die Schwester seiner ersten Gemahlin, zu heirathen. Diese Verbindung war sehr unglücklich, da die neue Königin, die häßlich und mit der Fallsucht behaftet war, ihrem Gemahl einen so unüberwindlichen Widerwillen einflößte, daß er ganz getrennt von ihr lebte. *) Es ist kaum zu errathen, welche Beweggründe seine Mutter verleiteten, eine so unpassende Verbindung zu befördern, welche wegen des verbotenen Verwandtschaftsgrades einer päpstlichen Erlaubniß bedurfte; wie dem aber auch sei, dieser Umstand war seinem Gücke und dem Wohle des Landes nachtheilig, da nach dem Tode des kinderlosen Königs, das Reich von Unruhen bedroht wurde, welche der Kampf der

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*) Der König hatte eine Geliebte, die zur reformirten Kirche gehörte und nicht wenig Einfluß auf ihn hatte. L.

 

 

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Parteien bei der Wahl eines neuen Königs herbeiführen mußte. Die Häupter der Protestanten glaubten, daß sie, wenn Siegmund August sich zu einer Scheidung bewegen ließe, jene Gefahr verhüten und überdies einen Bruch zwischen ihm und dem römischen Hofe beschleunigen könnten, welcher, den Interessen Oestreichs ergeben, die Partei einer Prinzessin dieses Hauses nehmen würde. Ostrorog, einer der ausgezeichnetsten Wortführer der protestantischen Partei, machte in dem Senate den Antrag, daß, da die Wohlfahrt des Landes dabei betheiligt sei, der König ersucht werden möge, seine Gemahlin wieder in ihre Rechte einzusetzen, damit das Volk die Hoffnung erhalte, den Herscherstamm fortdauern zu sehen, und das Aergerniß aufhöre, das durch die Zwistigkeiten in dem königlichen Hause gegeben werde. Der Senat nahm den Antrag an, und der Erzbischof Uchanski gab dem Könige einen Bericht über diese Verhandlung, worauf aber Siegmund August erwiderte, daß sein Gewissen ihn abhalte, mit der Schwester seiner ersten Gemahlin in ehelicher Verbindung zu leben. Uchanski versammelte die Bischöfe, und als er ihnen die Bedenklichkeiten des Königs gegen die Gesetzmäßigkeit seiner Ehe mitgetheilt hatte, behauptete er, daß eine Scheidung rechtmäßig sei. Der päpstliche Legat Commendoni widersetzte sich eifrig dieser Meinung, und suchte zu beweisen, daß die päpstliche Erlaubniß alle gesetzlichen Hindernisse der Ehe des Königs mit seiner Schwägerin entfernt habe, wobei er in einer langen Rede über das Unglück Englands sprach, das er der Ehescheidung Heinrich’s VIII. zuschrieb. Es gelang ihm, die Bischöfe für seine Ansicht zu gewinnen. Der König stellte dem Legaten seine unglückliche Lage vor und bat ihn mit Thränen, den Papst zur Bewilligung der Scheidung zu bewegen; Commendoni aber überredete ihn, von seinem Gedanken abzugehen, indem er ihm die Gefahren vorstellte, welche für das Königreich entstehen könnten, wenn Ferdinand, gereizt durch die Verstoßung seiner Tochter, die Moskowiten und andere Feinde Polens aufregen und unterstützen sollte *).

 

Wir können jedoch kaum bezweifeln, daß der König, trotz seines unentschlossenen Charakters, wenn er einige Jahre länger gelebt hätte, die Lehren der Reformation eingeführt haben würde **). Es ist unverkennbar, daß er zwischen den von den verschiedenen protestantischen Kirchen

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*) Gratiani gibt diese Nachrichten in seiner Biographie Commendoni’s.

**) Rescius versichert, der Cardinal Hosius habe im Jahre 1570 auf seine dringenden Vorstellungen von dem Könige das feste Versprechen erhalten, daß er den katholischen Glauben nie verlassen werde. L.

 

 

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angenommenen Glaubensmeinungen schwankte; doch würde wahrscheinlich die schweizerische Kirche, zu welcher die meisten einflußreichen Edelleute gehörten, herrschend geworden sein. Sein großer Zweck scheint gewesen zu sein, die Reformation der polnischen Kirche aus ihrer eigenen Mitte hervorgehen zu lassen, wodurch vielen Gefahren, Unruhen und Zwistigkeiten wäre vorgebeugt und eine der englischen ähnliche Kirchenverfassung gegründet worden. Dieser von Johann Laski dringend empfohlene Plan wurde von vielen ausgezeichneten Männern in Polen unterstützt und von dem Könige durch die Ernennung von Bischöfen, die sich zu den protestantischen Lehren hinneigten, eifrig befördert.

 

 

 

Zwölfter Abschnitt.

 

Kirchliche Zustände unter den Regierungen Heinrich’s von Valois und Stephan Bathory’s.

 

 

Polen war nach dem Tode Siegmund August’s in einer sehr schwierigen Lage, da über die Besetzung des erledigten Thrones keine feste Anordnung gegeben war. Die Wahl eines Königs, welche während der Dauer des Jagellonischen Stammes nur in der Theorie bestand, sollte nun auf die Probe gestellt werden. Man hatte zwar auf mehren Reichstagen versucht, die Wahlart durch genaue Vorschriften zu bestimmen, aber diese wohlthätigen Plane wurden vereitelt und die wichtigste Staatsangelegenheit war dem Spiele heftiger Leidenschaften und dem Einflusse einheimischer und fremder Ränke ausgesetzt. Die Glaubenszwiste, die zu jener Zeit das Land zerrütteten, machten die Wahl eines Könige noch schwieriger, da die Protestanten wünschten, einen Anhänger ihrer Partei, oder wenigstens einen Beförderer ihrer Zwecke auf den Thron zu setzen, während die Katholiken sich kräftig anstrengten, einem eifrigen Anhänger ihrer Kirche die Krone zu sichern. Schon vor Siegmund August’s Tode hatten die Katholiken ihre Ränke angesponnen und einen geschickten Führer in dem berühmten päpstlichen Unterhändler, dem Cardinal Commendoni gefunden, der um jene Zeit nach Polen gekommen war, um das Land in einen Krieg mit den Türken zu verwickeln. Er wünschte den Sohn Maximilian’s II., den Erzherzog Ernst, auf den Thron zu bringen, und zu diesem Zwecke bewog er den Fürsten Nikolaus Radziwill, *)

 

 

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Palatin von Wilna, und den Großmarschall von Lithauen, Johan Chodkiewicz, die beide vom Protestantismus zur katholischen Kirche übergegangen waren, eine geheime Uebereinkunft zu schließen. Der von Commendoni entworfene Plan war höchst gefährlich und würde das Land in einen inneren Krieg gestürzt haben. Der Erzherzog Ernst sollte zuerst zum Großherzoge von Lithauen gewählt werden, und dann ein Heer von 24,000 Mann rüsten, um, wenn es nöthig wäre, den Senat in Polen zu zwingen, Lithauens Beispiel nachzuahmen. Radziwill und Chodkiewicz dachten sogar daran, die Verbindungen zwischen Lithauen und Polen gänzlich aufzulösen; Commendoni aber, der durch eine solche Trennung eine Macht zu schwächen fürchtete, die er gegen die Türken bewaffnen wollte, verwarf diesen verrätherischen Plan, und jene beiden Edelleute begnügten sich, die sichersten Gewährleistungen für alle alten Vorrechte Lithauens zu fodern, und erlangten unter andern, daß alle öffentlichen Aemter nur Eingeborenen verliehen, und die bei der Landesvereinigung im Jahre 1569 an Polen abgetretenen Landschaften an Lithauen zurückgegeben werden sollten. Commendoni vergaß nicht, bei dem Bündnisse oder der Verschwörung zu Gunsten seiner Kirche zu fodern, daß der König das Recht, die Bischöfe zu ernennen, den Domcapiteln zurückgeben sollte **).

 

Als Commendoni die katholische Partei vereinigt hatte, suchte er die Protestanten zu schwächen und zu trennen, deren Führer Johann Firley, Palatin von Krakau, war, das Haupt der Anhänger des schweizerischen Bekenntnisses und als Kronmarschall von Polen der erste Staatsbeamte während der Thronerledigung. Sein Amt und die Volksgunst, die er genoß, gaben ihm großen Einfluß und viele schrieben ihm die Absicht zu, sich die Krone zu verschaffen, was ihm auch wohl hätte gelingen können. Persönliche Feindschaft, und vielleicht noch mehr die Besorgniß, die reformirte Kirche durch Firley’s Erwählung siegen zu sehen, reizte die mächtige lutherische Familie Zborowski, sich ihm zu widersetzen, und dieselbe Eifersucht bewog das nicht minder mächtige lutherische Haus Gorka, gleichfalls gegen ihn aufzutreten. Commendoni benutzte diesen unglücklichen Zwist und fachte den Streit noch mehr durch Andreas Zborowski an, der katholisch geblieben und dem Cardinal gänzlich ergeben war. Commendoni’s Ränke hatten so guten Erfolg, daß die

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*) Sohn des eifrigen Anhängers der Reformation, Nikolaus Radziwill, der 1567 starb.

**) Gratiani gibt die Bestimmungen des geheimen Vertrages, bei dessen Abschlusse er zugegen war, in seiner Lebensgeschichte Commendoni’s Buch IV. Abschn. 3.

Krasinski.

 

 

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Familie Zborowski aus Eifersucht gegen Firley das protestantische Interesse verließ und sich für einen katholischen Thronbewerber erklärte. Er gab dem Kaiser Nachricht von dem Erfolge seiner Bemühungen, und bat ihn, den Palatin von Sieradz, Albert Laski, einen Neffen Johann Laski’s, mit Geld zu versehen, um Kriegsvölker werben zu können. Der Kaiser sollte zugleich einige Abtheilungen Reiterei an die Gränze von Polen vorrücken Iassen, und den Erzherzog Ernst absenden. Commendoni bat den Kaiser dringend, Chodkiewicz und Radziwill mit diesen Maßregeln bekannt zu machen, denn wenn der Prinz, sagte er, zum Großherzoge von Lithauen erwählt würde, während Albert Laski sich für ihn erklärte und die kaiserlichen Kriegsvölker an der Gränze erschienen, würde Ernst im Besitze des Thrones sein, ehe seine Mitbewerber Zeit hätten, sich im zu widersetzen, und überdies den Vortheil haben, die Krone von der katholischen Partei zu empfangen, ohne, trotz aller Bemühungen der Protestanten, irgend eine, seine Gewalt beschränkende Bedingung unterschreiben zu müssen.

 

Dieser Plan, der die Freiheit Polens vernichtet haben würde, scheiterte an der Klugheit und Mäßigung Maximilians II., der zwar seinem Sohne gern den polnischen Thron verschaffen wollte, aber die Unmöglichkeit erkannte, durch Gewalt und Verrath diesen Zweck zu erreichen, den er lieber durch Unterhandlungen verfolgen wollte.

 

Der zeitweilige Einfluß, den der Admiral Coligny und die protestantische Partei nach dem Frieden von Saint Germain im Jahre 1570 am französischen Hofe erhielten, hatte einen entscheidenden Einfluß auf die Verhältnisse mit dem Auslande, besonders mit Polen. Coligny und die Protestanten beschäftigten sich mit dem riesenhaften Entwurfe zu einer Verbindung, deren Zweck die Demüthigung des Katholicismus und seiner Hauptstütze, des spanischen Hofes, sein sollte. Es war die Absicht, die zerstreuten Elemente der Reformation zu verbinden und die getrennten Protestanten in einen Mittelpunct zu vereinigen, um ihrer Sache eine gleichförmige Richtung und Wirksamkeit zu geben, die ihren Sieg in ganz Europa gesichert haben würde *). Coligny sah, wie wichtig Polen für einen solchen Plan war, und glaubte, daß, wenn die Sache des Protestantismus in Frankreich und Polen den Sieg errungen hätte, diese beiden Länder, durch ein politisches und kirchliches Band vereinigt, die Herrschaft des Katholicismus und des Hauses Oestreich bald stürzen könnten. Er gab daher den Rath,

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*) S. Capefigue’s „Histoire de la reforme“ — Bd. 3, Abschn. 36 u. 47.

 

 

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alles aufzubieten, um Heinrich von Valois, Herzog von Anjou, auf den polnischen Thron zu bringen, und Katharina von Medici, die zu jener Zeit den Protestantismus zu begünstigen schien, ergriff begierig den Plan zur Erhöhung ihres Sohnes. Dieser Entwurf wurde schon vor Siegmund August’s Tode gemacht, und Balagny, der natürliche Sohn des Bischofs Montluc, als Gesandter nach Polen geschickt, unter dem Vorwande, die Hand der Schwester des Königs für den Herzog von Anjou zu begehren, in der That aber, um über den wahren Zustand des Landes und die herrschenden Parteien Erkundigung einzuziehen. Er kam in Mai 1572 mit glänzendem Gefolge an; da aber sein Auftrag beschränkt war, so gründete er keine französische Partei, mit Ausnahme der Familie Dembinski, die den französischen Prinzen zu unterstützen versprach. Ein besonderer Umstand mußte dazu beitragen, Frankreichs Interesse in Polen zu befördern. Der polnische Zwerg, Krassowski, der Sohn eines Edelmanns, der eine gute Erziehung erhalten hatte und mit ungemeinem Verstande begabt war, ging in seiner Jugend nach Frankreich, wo er durch sein angenehmes Wesen und seine Klugheit die Gunst der königlichen Familie gewann und mit den ausgezeichnetsten Männern in vertrauten Verhältnissen stand. Er sammelte ansehnliche Reichthümer, und nach einem langen Aufenthalte in Frankreich besuchte er vor Siegmund August’s Tode sein Vaterland. Seine Unterhaltungsgabe und seine genaue Bekanntschaft mit Frankreich, sicherten ihm eine gastfreie Aufnahme in den Häusern der angesehensten Edelleute, welchen er umständliche Nachrichten über den französischen Hof und die religiösen und politischen Wirren gab, die Frankreich zu jener Zeit bewegten. Bei jeder Gelegenheit rühmte er die hohen Eigenschaften des Herzogs von Anjou, gegen welchen er wahrscheinlich besondere Verbindlichkeiten hatte. Es gelang ihm, so günstige Gesinnungen für den Herzog zu erwecken, daß einige Edelleute, und besonders Andreas Zborowski, nach des Königs Tode den Zwerg nach Frankreich schickten, um Heinrich von Valois zur Mitbewerbung um die polnische Krone einzuladen. So erzählt Cratiani die Sache; wahrscheinlicher ist es aber, daß Krassowski nach Polen geschickt ward, um die Absichten des französischen Hofes zu befördern, und man weiß, daß er später im Dienste der Königin Katharina sehr thätig war.

 

Nach des Königs Tode entstand zwischen den Protestanten und Katholiken zuerst Streit über die Frage, wem die höchste Gewalt während der Thronerledigung zustehen sollte. Nach der Landesverfassung gehörte sie dem Primas des Reiches, dem Erzbischofe von Gnesen, und

 

 

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seine Ansprüche wurden in Groß-Polen nicht nur von den Katholiken, sondern auch von den Lutheranern unterstützt, während Klein-Polen, wo der reformirte Glaube herrschend war, dem Kronmarschall Firley jene Auszeichnung zu verschaffen wünschte. Lithauen, wo eine starke Partei für den moskowitischen Zar sich erklärte, hielt sich fern von dem Streite der beiden Provinzen, obgleich die Mehrzahl der Einwohner, als Protestanten, für Firley war. Der Kronmarschall berief gleich nach des Königs Tode die Edelleute in Klein-Polen zu einer Versammlung nach Krakau, welche mehre Anordnungen zur Erhaltung des Friedens während der Thronerledigung und zur Beschützung der Rechte und Freiheiten der Protestanten und Katholiken machte. Die Versammlung verrieth großen Argwohn gegen Commendoni, der in der Nähe von Krakau blieb, um durch seine Ränke die Interessen Roms zu fördern. Sie ersuchte ihn, das Land zu verlassen, da seine Sendung durch den Tod des Königs erledigt sei, und stellte ihm vor, daß auch seine eigene Sicherheit dies nothwendig mache; Commendoni aber wich diesem Verlangen unter dem Vorwande aus, die Versammlung sei nicht gesetzlich berechtigt, seine Abreise zu fodern, und er begab sich in ein Kloster bei Sieradz, wo er die katholische Partei zu leiten fortfuhr.

 

Die Versammlung beschloß eine andere Zusammenkunft, die zu Knyszyn am 24. August gehalten ward, und um fremden Ränken vorzubeugen, bestimmte sie zum Wahltage den 13. October 1573 und zum Wahlorte die Ebene Bystrzyca bei Lublin. Dieser Ort lag in der Mitte des Reiches und gab den Bewohnern der Provinzen Klein-Polen, Roth-Reußen und Lithauen bequeme Gelegenheit, an der Wahl Theil zu nehmen; da aber der einflußreiche Theil derselben, der meist aus Protestanten bestand, den Thron einem Glaubensgenossen gesichert haben würde, so widersetzten sich die katholische Geistlichkeit und ihre Anhänger, mit Ausnahme des Bischofs Krasinski von Krakau. Die Lutheraner in Groß-Polen unterstützten die Katholiken.

 

Diese Partei hatte sich im Julius zu Lowicz versammelt, um die Rechte des Primas zu behaupten, und eine andere Zusammenkunft in Sroda angeordnet, die mit großer Mäßigung verfuhr und den Beschluß faßte, eine allgemeine Versammlung der polnischen Stände auf den 25. October nach Kaski zu berufen. Diese Versammlung übertrug dem Primas die höchste Staatswürde während der Thronerledigung, und bestimmte, daß die Regierungsgeschäfte in seinem und des Senats Namen von dem Kronmarschall geleitet werden sollten. Auch wurde beschlossen, daß sich am 6. Januar 1573 zu Warschau der Berufungs-Reichstag versammeln sollte, der verfassungmäßig nach dem Tode des

 

 

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Königs zusammentreten mußte, um die Zeit und den Ort der Wahl zu bestimmen, die Wähler zu berufen, und die erforderlichen Maßregeln zur Erhaltung des Friedens zu treffen.

 

Das erste und wichtigste Geschäft dieses Reichstages war, die Zwistigkeiten zwischen den Katholiken und Protestanten friedlich auszugleichen. Die Geistlichkeit, die es unmöglich fand, ihre Gegner zu erdrücken, und die Gefahr erkannte, der sie selber ausgesetzt war, machte den ersten Vorschlag zu einem Vergleiche. Der Bischof von Cujavien, Karnkowski, entwarf die Bestimmungen, welche allen christlichen Glaubensbekenntnissen vollkommene Rechtsgleichheit sicherten. Auch gewährleistete dieser Beschluß die Würden und Rechte der katholischen Bischöfe, entband aber die Kirchen-Patrone von der Verpflichtung, die von ihnen abhangenden Pfründen ausschließend an katholische Geistliche zu verleihen. Dieser weise Beschluß wurde jedoch durch eine Verfügung entwürdigt, welche den Gutsherrn eine vollkommene Obergewalt über ihre Unterthanen, selbst in Glaubenssachen, einräumte *).

 

Dieser denkwürdige Vergleich gab den Protestanten in Polen einen gesetzlichen Bestand, weil die früheren Verfügungen ihnen zwar völlige Freiheit, aber nicht die vollkommene Rechtsgleichheit mit der katholischen Kirche gegeben hatten, die sie nun erhielten; jene Bestimmung aber, welche die Gewalt der Gutsherrn über die Bauern bestätigte und ausdehnte, muß als ein sehr beklagenswerthes Ereigniß in der polnischen Geschichte betrachtet werden. Unstreitig wurde sie durch die Unruhen veranlagt, welche der blinde Eifer einiger Anhänger der Reformation in Deutschland erregt hatte, und wovon die katholische Partei eifrig die übertriebensten Gerüchte verbreitet hatte. Ihre Wirkungen waren für die Fortschritte der Reformation sehr nachtheilig, da sie die unteren Volksclassen ihr entfremdete und es verhinderte, daß sie tiefe Wurzeln in das Gemüth des Volkes trieb.

 

Der Beschluß oder die Conföderation **) vom 6 Januar,

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*) Der Beschluß vom 6 Januar 1573 hatte offenbar den im Jahre 1555 zu Augsburg geschlossenen Religionsfrieden zum Vorbilde. Es ist darin nicht von Sicherheit, Duldung oder Schutz die Rede, sondern nur von einem Frieden der Uneinigen, pax dissidentium.

**) So hieß sie und nicht Constitution, wie die Beschlüsse eines ordentlichen Reichstages, weil sie auf einem Conföderations-Reichstage gegeben wurde, wo der Senat und die Landboten zusammen abstimmten, und durch Stimmenmehrheit, nicht durch Einstimmigkeit, wie auf einem ordentlichen Reichstage, entschieden wurde. Die katholische Geistlichkeit eiferte heftig dagegen; Gratiani, Commendoni’s Biograph, nennt sie einen gottlosen Beschluß, und der Cardinal Hosius gab zwei Schriften dagegen heraus, die er dem neuen Könige, Heinrich von Valois, widmete; dagegen wurde der Beschluß eifrig von vielen Protestanten, besonders von Erasmus Gliczner, vertheidigt.

 

 

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ein neues Grundgesetz Polens, war zwar von der Geistlichkeit selbst ausgegangen, Commendoni’s Aufreizungen aber bewirkten eine große Veränderung in ihren Ansichten; die Bischöfe erklärten sich gegen die Maßregel und verweigerten ihre Unterschrift, mit Ausnahme des Bischofs von Krakau, Franz Krasinski. Er wurde dafür bitter von dem römischen Stuhle getadelt und seine Rechtgläubigkeit von Commendoni in Verdacht gezogen.

 

Der Reichstag verordnete, daß die Königswahl am 7. April zu Kamien unweit Warschau vorgenommen werden sollte. Die Wahl dieses Ortes, die auf Commendoni’s Rath geschah, war ein großer Vortheil für die katholische Partei, weil die Einwohner Masoviens, worin Warschau lag, eifrige Katholiken waren, und die große Anzahl unbemittelter Edelleute, die in jener Provinz wohnten, und der Geistlichkeit blind ergeben waren, die Wagschaale leicht zu ihren Gunsten ziehen konnten. Die Zeit vor der Wahl wurde von den Parteien eifrig benutzt, die Interessen der von ihnen begünstigten Bewerber zu fördern. Die fremden Gesandten, die ihre Prinzen für den erledigten Thron empfohlen hatten, wurden in ehrenvollem Gewahrsam gehalten, und konnten nicht offen handeln, wiewohl sie fortfuhren, ihre geheimen Ränke zu spielen. Es waren fünf Hauptbewerber vorgeschlagen, der moskowitische Zar, Iwan Wasiljewitsch, der König von Schweden, der Erzherzog Ernst, Heinrich von Valois, und ein Piast oder ein einheimischer König.

 

Siegmund August hatte den Polen oft gerathen, zu seinem Nachfolger einen nordischen Fürsten zu wählen, wobei er wahrscheinlich den Zar im Sinne hatte. Diese Ansicht hatten viele Anhänger in Lithauen, die während der Thronerledigung eine Unterhandlung mit Iwan Wasiljewitsch anknüpften; aber der Zar hatte wegen seiner Anmaßung, seiner rauhen Sitten, seiner beispielosen Grausamkeit nur wenig Hoffnung auf Erfolg, so viele politische Vortheile seine Erwählung für Polen gehabt haben würde. Die Partei des Erzherzoges, die Commendoni leitete, war sehr mächtig, und der größte Theil von Lithauen und ein ansehnlicher Theil von Groß-Polen stand auf seiner Seite. Der Herzog von Preußen, der anfänglich für sich selber nach der polnischen Krone trachtete, versprach ihm gleichfalls seine Unterstützung. Die östreichische Partei aber verlor sehr schnell, theils durch die Zögerung des Kaisers, theils durch viele von ihren Beförderern begangene

 

 

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Fehler, die günstigen Aussichten, die sich ihr geöffnet hatten, und der Argwohn gegen den Einfluß des Hauses Habsburg, dessen Herrschaft für die Freiheit Böhmens und Ungarns so nachtheilig geworden war, *) stieg so sehr, daß alle Hoffnungen für den Erzherzog verschwanden, und als Commendoni dies erkannte, wendete er seine Unterstützung der französischen Partei zu. Frankreichs Interessen wurden bei dieser Gelegenheit mit ungemeiner Geschicklichkeit besorgt. Der Plan, einen französischen Prinzen auf den polnischen Thron zu bringen, hatte den großen Zweck, Oestreichs und Spaniens überwiegende Macht durch Förderung der protestantischen Sache in Europa zu erdrücken. Der französische Hof schickte schon vor Siegmund August’s Tode den Marschall Schomberg nach Deutschland, um die protestantischen Fürsten zu einem Bündnisse mit Frankreich und zur Unterstützung seiner Absichten auf Polen zu bewegen. Als Balagny in Polen und Schomberg in Deutschland den Weg gebahnt hatten, wurde Montlue, Bischof von Valence, als Gesandter nach Polen geschickt und von Coligny mit umfassenden Vorschriften versehen. Er sollte den Polen die Vereinigung der Moldau und Walachei mit ihrem Lande , ein Bündniß mit Frankreich, in einem Kriege Unterstützung mit Geld und Kriegsvölkern, Frieden mit den Türken und die Bestätigung aller Freiheiten des Volkes versprechen, und erhielt unbedingte Vollmacht, die polnischen Großen durch Verheißungen von Geld und Würden zu gewinnen. **) Die Umstände begünstigten ungemein die Wahl des Herzogs von Anjou. Er war der katholischen Partei nicht verdächtig, da er sich in dem Kriege gegen die Protestanten ausgezeichnet hatte, während die protestantische Partei den Einfluß Coligny’s und die damalige Lage der Protestanten in Frankreich, deren Rechte durch einen billigen Vergleich gesichert waren, für eine hinlängliche Bürgschaft ihrer eigenen Rechte hielt. Die Wahl des Gesandten machte auch einen günstigen Eindruck, weil Montlue sich offen zu den Lehren der Reformatoren hinneigte. Der Gesandte verließ Paris im August 1572, war aber kaum über die Gränze, als die Metzelei der Bartholomäusnacht vorfiel. Coligny war eines der Opfer dieser Gräuel, welche eine auf die Volksinteressen gebaute Politik dem Einflusse Roms und Madrids aufopferte.

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*) Wie Gratiani in der Lebensgeschichte Commendoni’s (Buch IV. Abschn. 6) versichert, wurde diese ungünstige Stimmung gegen Oestreich durch mehre böhmische Edelleute im Gefolge der kaiserlichen Gesandtschaft genährt, welche den Polen riethen, ihren Thron nicht dem Hause Habsburg anzuvertrauen, wenn ihnen die Freiheit ihres Landes lieb sei.

**) Fontanier’s Handschrift in der Bibliothek Richelieu zu Paris.

 

 

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Als Montlue Nachricht von diesem Ereignisse erhielt, sah er sogleich den nachtheiligen Einfluß desselben auf Frankreichs Interessen im Auslande voraus, und reiste nicht weiter, ja sein Leben war in Gefahr, da der Herzog von Guise dem Gesandtschafts-Secretäre Macere den Auftrag gegeben hatte, den Bischof zu ermorden und die ihm anvertrauten ansehnlichen Geldsummen wegzunehmen. Katharina von Medici aber erkannte, daß die Bartholomäusnacht die Schwierigkeiten ihrer Regierung eher vermehrt als vermindert hatte, und sah die Nothwendigkeit ein, die vor jenem Ereignisse gegen das Ausland befolgte Politik beizubehalten. Montlue erhielt Befehl, seine Reise fortzusetzen, und die ihm von Coligny gegebenen Weisungen blieben unverändert. Diese Nachricht von der Bartholomäusnacht erregte Entsetzen unter den Protestanten in Deutschland und Polen. Schomberg erhielt Befehl, den Eindruck, den sie auf die deutschen Fürsten gemacht hatte, so viel möglich zu mildern, und den König von allem Verdachte einer Theilnahme an jenem Verbrechen frei zu machen, während Balagny in Polen die Metzeleien der Bartholomäusnacht bloß politischen Ursachen zuzuschreiben suchte, mit welchen religiöse Beweggründe keineswegs verbunden wären. Er versicherte in einem Schreiben den an den Senat, daß Heinrich von Valois, obgleich rechtgläubiger Katholik, doch die Freiheiten der Protestanten nicht verletzen würde. Montlue’s Gesandtschaft schien jedoch kaum auf einen günstigen Erfolg rechnen zu können, und als er im November 1572 in Polen ankam, fand er den Stand der Parteien gänzlich verändert. Die Katholiken, an dem Siege des Erzherzogs verzweifelnd, waren seit der Nachricht von der Bartholomäusnacht eifrige Anhänger des Herzogs von Anjou geworden, in welchem sie den Vertilger der Ketzerei erblickten, wogegen die Protestanten, erschreckt durch die Ermordung ihrer Brüder in Frankreich, von den Interessen dieses Landes abgefallen waren, dessen Politik sie seit Coligny’s Tode als der protestantischen Sache feindselig betrachten mußten. Selbst viele Katholiken waren entrüstet über die in Frankreich verübten Gräuel, welche auch durch verschiedene Flugschriften *) allgemein bekannt geworden waren. Niemand aber reizte mehr den Haß gegen Frankreich als der Oberst Krokowski, ein polnischer Edelmann, der während der Glaubenskriege in Frankreich unter Condé und Coligny ein Reiterregiment von polnischen Protestanten

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*) So erschien in Krakau: „Vera et brevis descriptio tumultus postremi Gallici Lutetiani etc.“ 1573. Auch wurden Abbildungen verbreitet, in welchen Karl IX. und der Herzog von Anjou die Mörder ermunterten.

 

 

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befehligt hatte, die ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe gekommen waren. Montlue wurde bei den Schwierigkeiten, womit er in Polen zu kämpfen hatte, von dem französischen Hofe kräftig unterstützt, und in einem Schreiben an die polnischen Reichsstände leugnete der Herzog von Anjou alle Theilnahme an den Gräueln in Frankreich feierlich ab. Der Gesandte rieth der französischen Regierung, Gewissensfreiheit in Frankreich zu verkünden und sich aller strengen Maßregeln zu erhalten. Sein Rath wurde zum Theil befolgt und die Angelegenheiten der französischen Protestanten erhielten, um ihrer polnischen Glaubensbrüder willen, eine günstige Wendung. Montlue war in der Zurückgezogenheit, worin er leben mußte, eifrig bemüht, die gegen Frankreich entstandene Aufregung zu mildern, indem er die glaubwürdigsten Berichte über die Ereignisse in Paris kühn Lügen strafte; er warf mit vollen Händen Geld aus, versprach alles und gab jede verlangte Bürgschaft. Viele Umstände begünstigten ihn bei einem Unternehmen, das so wenig Aussichten auf Erfolg hatte. Die protestantische Partei, an deren Spitze Firley stand, wünschte einen König ihres Glaubens, konnte aber keinen Thronbewerber aufstellen, der irgend eine Hoffnung gehabt hätte. Der König von Schweden, Siegmund August’s Schwager, that keinen entscheidenden Schritt, und der Herzog von Preußen hatte seinen Plan, als Bewerber aufzutreten, schnell aufgegeben. Die ansehnliche Partei, die einen einheimischen König wünschte, wurde besonders von den beiden protestantischen Großen Mielecki, Palatin von Podolien, und Tomicki, Castellan von Gnesen, unterstützt. Sie schlugen den Protestanten Stanislaus Szafranietz, Castellan von Biecz, vor, der unter dem niederen Adel sehr beliebt, aber nicht entschlossen genug war, die Mitbewerbung zu wagen, wobei er den Widerstand der großen Adelsfamilien erwarten mußte, die auf den niederen Adel eifersüchtig waren, welcher die Wahl, obgleich Szafranietz selber zu einem der ersten Adelsgeschlechter gehörte, für ihn entschieden haben würde. Er mußte auch dem heftigsten Widerstande der katholischen Geistlichkeit entgegen sehen, die alles aufgeboten haben würde, einem Protestanten den Weg zum Throne zu versperren. Zamoyski, welcher der Wahl eines einheimischen Könige sehr abgeneigt war, setzte ein wirksames Hinderniß entgegen, indem es ihm gelang, die Bedingung aufzustellen, daß alle Edelleute, die auf den Thron Anspruch machen wollten, den Versammlungsort des Reichstages verlassen müßten, wie andere Bewerber. Niemand wagte es nun, seine Ansprüche auf den Thron offen zu bekennen.

 

Der Wahl-Reichstag ward im April 1573 eröffnet. Die Ebene,

 

 

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wo die Wahl geschehen sollte, glich einem Feldlager, wie Gratiani *) als Augenzeuge sagt. Ueberall waren Zelte aufgeschlagen; die Edelleute gingen mit ihren langen Degen umher, zuweilen in Haufen, die mit Lanzen, Musketen, Pfeilen oder Wurfspießen bewaffnet waren, und einige hatten, außer ihrer Leibwache, sogar Kanonen mitgebracht und waren in ihren Quartieren gleichsam verschanzt. Man hätte glauben können, es gehe eher zu einer Schlacht als zu einem Reichstage und man habe sich versammelt, ein fremdes Reich zu erobern, nicht über das eigene zu verfügen. Nichts aber bewunderten die Fremden mehr, als daß trotz dieser kriegerischen Rüstung, trotz der Aufregung der Parteien, nicht ein Schwert gezogen, nicht ein Tropfen Blut vergossen wurde. Die protestantische Partei, die aus der Mehrheit der großen Adelsfamilien bestand, machte den Vorschlag, die Wahl auf einem, nach der gewöhnlichen Art aus dem Senat und den Landboten zusammengesetzten Reichstage vorzunehmen, weil sie mit gutem Grunde auf die höheren und gebildeteren Volksclassen Einfluß auszuüben hoffen konnte; aber dieser heilsame Rath wurde hauptsächlich durch Zamoyski vereitelt, der darauf bestand, daß jeder Edelmann berechtigt sei, bei der Wahl persönlich abzustimmen. Zamoyski, der sich durch seine, dem Vaterlande geleisteten ausgezeichneten Dienste den Namen des Großen erworben hat, beging einen unheilvollen Fehler, der die wichtigste Staatsverhandlung in die Hände einer demokratischen Gesammtheit legte, welche, wiewohl oft von reinen Beweggründen angetrieben, leicht durch einen listigen und ränkevollen Führer irre geleitet werden konnte. Diese Maßregel, die als eine der Hauptursachen des Verfalls Polens betrachtet werden kann, wirkte auch sehr nachtheilig auf die protestantische Sache, da die Mehrheit der Wahlversammlung, die aus dem, Rom blind ergebenen niederen Adel Masoviens bestand, die Wahl des Könige entschied. So wurde die wichtigste Staatsverhandlung nicht durch die reifen Erwägungen der besten und verständigsten Männer in Volke, sondern durch die aufgeregten Leidenschaften eines sinnlosen Adelspöbels abgeschlossen.

 

Als Commendoni in Warschau angekommen war, stellte er dem Senate in einer Rede vor, daß nur ein Katholik zum Könige gewählt werden sollte. Zborowski, Palatin von Sandomir, verwies ihm nachdrücklich diese unbefugte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates, und so sehr Commendoni wünschte in Warschau zu bleiben, mußte er doch zur Zeit der Wahl mit den übrigen Gesandten die Stadt

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*) In der Lebensgeschichte Commendoni’s Buch IV. Absch. 10.

 

 

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verlassen. Als nun die Protestanten sahen, daß sie die Wahl des Herzogs von Anjou nicht verhindern konnten, beschlossen sie, von dem künftigen Könige die umfassendsten Bürgschaften für ihre Rechte und Interessen zu fodern. Firley schrieb die Bedingungen vor, die nicht nur für die Protestanten in Polen, sondern auch für ihre Brüder in Frankreich günstig waren, und welche die französische Gesandtschaft unterzeichnen mußte, wenn sie nicht die Wahl des Herzogs vereitelt sehen wollte. Nach diesen, am 4. Mai 1573 zu Plock unterzeichneten Bedingungen, sollte der König von Frankreich den Protestanten in seinem Lande eine völlige Amnestie und vollkommene Glaubensfreiheit gewähren, allen Unterthanen, die das Land verlassen wollten, ihr Eigenthum zu verkaufen oder ihre Einkünfte zu erheben gestatten, alle wegen der Theilnahme an einer Verschwörung eingeleiteten Untersuchungen niederschlagen, alle Verurtheilten in ihre Ehre und ihre Vermögen wieder einsetzen, den Kindern der Ermordeten eine Entschädigung geben, verbannten oder geflüchteten Protestanten ihre Rechte wiedergeben und in jeder Provinz Städte anweisen, wo die Protestanten ihren Glauben frei ausüben könnten. Diese Bedingungen, welche die polnischen Protestanten ihren Glaubensbrüdern in Frankreich zu verschaffen sich bemühten, können darthun, welche Vortheile die Einführung der Reformation in Polen für die protestantische Sache überhaupt gehabt haben würde. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß bei der großen politischen Wichtigkeit Polens und dem Eifer, den die polnischen Protestanten in der Unterstützung ihrer Brüder im Auslande zeigten, der Sieg der protestantischen Sache in Polen ihren Sieg in ganz Europa gesichert haben würde.

 

Die Protestanten sahen die Rechte ihrer Brüder in Frankreich verbürgt, und widersetzten sich nicht mehr der Wahl des Herzogs von Anjou. Als aber der Erzbischof von Gnesen und die katholische Partei den König am 9. Mai ausriefen, ohne eine Bedingung hinsichtlich der Glaubensfreiheit und vieler politischen Rechte hinzuzufügen, begab sich die protestantische Partei, mit Firley an der Spitze, in das Dorf Grochow, wo sie eine beträchtliche Anzahl Kriegsvölker mit einigen Geschützen sammelte und verkündigte, daß sie sich die zur Sicherung der verfassungmäßigen Freiheiten des Landes der Wahl des neuen Königs widersetzen würde. Nach einigen Unterhandlungen mußte die katholische Partei die Foderungen der Protestanten bewilligen, welche der Wahl unter der Bedingung beistimmten, daß die, in der Conföderation vom 6. Januar verkündete Glaubensfreiheit für alle Christen gewährleistet werde, und der König nicht berechtigt sein solle, seinen Nachfolger zu ernennen oder in wichtigen Staatsangelegenheiten zu entscheiden ohne

 

 

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Zustimmung der Stände. Auch wurde bestimmt, das der König durch eine Verletzung seiner Versprechungen sein Recht auf den Thron verlieren sollte.

 

Eine Gesandtschaft von zwölf Edelleuten, unter welchen sich mehre Protestanten befanden, ging nach Paris, um dem Herzoge von Anjou seine Erhebung anzukündigen. Sie erregten, wie der französische Geschichtschreiber de Thou sagt, durch ihr glänzendes Gefolge, und noch mehr durch ihre Gelehrsamkeit und Bildung, allgemeine Bewunderung. „Es war nicht einer unter ihnen”, setzt er hinzu, „der nicht lateinisch gesprochen hätte, viele waren auch der deutschen und italienischen Sprache mächtig, und einige sprachen unsere Sprache so rein, als hätten sie ihre Bildung an den Ufern der Seine und der Loire, und nicht an der Weichsel und dem Dnjeper erhalten. Sie haben unsere Höflinge gänzlich beschämt, die nicht nur selbst unwissend, sondern auch erklärte Feinde von allem sind, was Kenntniß heißt.” Ihre Ankunft hatte eine günstige Wirkung für die Angelegenheiten der französischen Protestanten, da Montlue seinem Hofe dringend empfahl, ihnen die Freiheiten zu bewilligen, die er den Protestanten in Polen zugesagt hatte. Es war dem Hofe zwar bei dem Uebergewichte der katholischen Partei nicht leicht, den Protestanten die von Montlue versprochenen günstigen Bedingungen zu gewähren, sie erhielten aber durch eine, im Julius 1573 gegebene Verordnung mehre wichtige Zugeständnisse, unter andern das Verbot aller gegen sie gerichteten Anklagen und Schmähschriften, und die Bewilligung, daß in Montauban, Rochelle und Nismes die öffentliche Ausübung des protestantischen Glaubens erlaubt sein sollte, die in der Stille überall, ausgenommen zwei Stunden von Paris, gestattet war. Trotz dieser Bewilligungen aber verlangten die protestantischen Mitglieder der Gesandtschaft, obgleich ihre katholischen Gefährten sie nicht nur nicht unterstützten, sondern ihnen sogar entgegen waren, die gänzliche Erfüllung der von Montlue ertheilten Zusagen, jedoch ohne Erfolg.

 

Während die Gesandtschaft auf dem Wege nach Frankreich war, suchte die katholische Partei durch ihre Ränke die Wirkung der für die Glaubensfreiheit in Polen gegebenen verfassungmäßigen Bürgschaften zu zerstören. Hosius erklärte die Conföderation vom 6. Januar für eine strafbare Verschwörung gegen Gott, die daher vom Könige aufgehoben werden sollte, und er empfahl dringend dem Erzbischofe von Gnesen, dem Palatin Albert Laski und dem Cardinal von Guise, den neu gewählten König abzuhalten, in seinem Eide die Glaubensfreiheit in Polen zu betätigen, und als Heinrich diesen Eid wirklich geleistet hatte, ermahnte der Cardinal ihn offen zum Meineide und behauptete, daß ein Ketzern

 

 

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geleisteter Eid auch ohne vorgängige Lossprechung gebrochen werden könne. Der König möge nicht Herodes, sondern David zum Muster nehmen, der zu seinem größten Ruhme einen unbedachtsamen Schwur nicht gehalten habe. Es komme hier nicht auf einen einzigen Nabal an, sondern auf viele tausend Seelen, die in des Teufels Gewalt gerathen würden. Die Geistlichkeit suchte die Meinung zu verbreiten, daß die Conföderation vom 6. Januar Verbrechen und Gotteslästerung aller Art rechtfertige und Verwirrung und Aufstand, dem deutschen Bauernkriege gleich, erregen würde. Die katholischen Edelleute im Palatinat Plock wurden durch die Vorstellungen der Geistlichkeit so sehr aufgereizt, daß sie einen Abgeordneten nach Paris schickten, um den König zu bitten, die in der Conföderation gewährleistete Glaubensfreiheit nicht zu bestätigen. Solikowski, ein gelehrter und eifriger Geistlicher, gab dem Könige einen noch gefährlicheren Rath als Hosius; er sagte, wenn Heinrich der Nothwendigkeit weichen müßte, sollte er alles versprechen und beschwören, was verlangt würde, um einen inneren Krieg zu verhüten, aber einmal im Besitze des Thrones, würde er alle Mittel haben, die Ketzerei auch ohne Gewalt zu unterdrücken.

 

Die Bemühungen der katholischen Partei, den König von der eidlichen Bestätigung der Glaubensfreiheit abzuhalten, waren jedoch fruchtlos. Der Abgeordnete des Palatinats Plock konnte nicht einmal Zutritt zu dem König erhalten, und mehre katholische Mitglieder der polnischen Gesandtschaft drangen auf die pünctliche Erfüllung der Bedingungen, unter welchen Heinrich war erwählt worden. Der Bischof Konarski überreichte eine Erklärung des Erzbischofs von Gnesen gegen jene Bedingungen, die aber, ohne Zustimmung des Senats gegeben, für ungiltig erklärt ward; und Konarski mußte der einstimmigen Meinung der Gesandtschaft nachgeben, wiewohl er sich vorbehielt, dem Könige jene Erklärung persönlich zu überreichen. Dies geschah, als dem König am 10. September die Urkunde seiner Erwählung in der Kirche Notre Dame feierlich überreicht wurde. Bei der Verwirrung, die dadurch entstand, unterbrach Zborowski die Feierlichkeit, indem er an den Bischof Montluc die Worte richtete: „Hättet Ihr nicht im Namen des Herzogs die Bedingung der Glaubensfreiheit angenommen, so würde unser Widerstand seine Erwählung verhindert haben.” Heinrich stellte sich, als ob er höchlich erstaunt wäre und den Gegenstand des Streites nicht begriffe, Zborowski aber wendete sich zu ihm und sprach: „Ich wiederhole es, gnädigster Herr, hätte Eure Gesandtschaft nicht die Bedingung der Gewissensfreiheit für die streitenden Glaubensparteien angenommen, so würde unser Widerstand Eure Erwählung verhindert haben, und wenn

 

 

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Ihr diese Bedingung nicht erfüllet, werdet Ihr nicht König sein.“ Darauf umringten die Abgeordneten den König und es ward ihm der vom Reichstage vorgeschriebene Eid vorgelesen, den Heinrich ohne Weigerung wiederholte. Der Bischof Karnkowski näherte sich nun dem Könige und legte eine Verwahrung ein, daß die Glaubensfreiheit für die Gewalt des römischen Stuhles nicht nachtheilig sein sollte, und der König gab ihm eine schriftliche Bescheinigung über diese Verwahrung.

 

Heinrich verließ Paris im September, kam aber erst im Januar 1574 in Polen an, da er absichtlich sehr Iangsam reiste, in der Erwartung, die Nachricht von dem Tode seines kränklichen Bruders, Karl’s IX., zu erhalten, dem er auf dem Throne folgen sollte. Er hatte zwar die Glaubensfreiheit in Polen eidlich bestätigt, aber die Besorgnisse der protestantischen Partei waren nicht ganz gestillt, und sie beschloß, ihre Gegner auf dem Krönungsreichstag eifersüchtig zu beobachten. Diese Besorgnisse waren nicht ohne Grund. Gratiani, der mit den Weisungen des Erzbischofs von Gnesen und mehrer katholischen Wortführer von Krakau abgereist war, traf den neuen König in Sachsen, und stellte ihm vor, daß er berechtigt sei, in Polen unbeschränkt zu herrschen, wobei er ihm auseinander setzte, auf welche Weise die Glaubensfreiheit, wie die politische Freiheit in Polen sich leicht unterdrücken ließe *). Der König von Polen, sagte er in seiner BeIehrung, sei unbeschränkter Gebieter über das Leben seiner Unterthanen, der einzige Ausleger der Gesetze und der Landesverfassung; der Senat habe ihm nur Rath zu geben, aber ihm nichts vorzuschreiben, sei nur der Zeuge, aber nicht der Richter der Handlungen des Königs, dem nichts verboten sei, als Ungerechtigkeit und Gewaltthat. Vom Könige allein gehe die Verleihung von Ehrenstellen, Würden und einträglichen Aemtern aus, und so habe er die Mittel, die Angelegenheiten des Landes nach seinem Willen zu leiten; er allein habe über die Geldmittel des Staats zu verfügen, ohne dem Senate Rechnung abzulegen. Der König werde viel Treue unter den Katholiken finden, und obgleich listige Leute ihm rathen möchten, die Ketzer zu versöhnen und sie durch Belohnungen zu gewinnen, so sei dies doch bedenklich und würde seine Gegner nur stärker machen und ihnen Mittel geben, Schaden anzurichten, da sie glauben möchten, daß man ihnen mehr aus Furcht und Eigennutz, als aus Neigung Wohlthaten erweise, und es wäre schlimm, wenn Völker den Entschluß faßten, durch Gewalt und Zwang

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*) Gratiani gibt in seiner Lebensgeschichte Commendoni's einen umständlichen Bericht von dieser Besprechung.

 

 

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Gunstbezeigungen abzubringen, statt sie durch Unterwürfigkeit und Gehorsam zu verdienen. Wenn der König seine Widersacher durch Freundlichkeit und Gunstbezeigungen zu gewinnen wünsche, so sei zu fürchten, daß er seine Freunde sich entfremden werde; er möge nicht glauben, daß er den Haß der Ketzer zu fürchten habe, wenn man sie von allen öffentlichen Aemtern ausschließe; es sei von dieser Seite, von einer schwachen Partei ohne Führer, keine Gefahr zu besorgen, wenn man dagegen die Staatsämter allein den Katholiken vorbehalte, würden die Ketzer bald zum alten Glauben zurückkehren. Der König möge die Ketzer höflich behandeln und ihnen seine Gunst anbieten, unter der Bedingung, die staatsgefährlichen neuen Glaubensmeinungen aufzugeben; wenn sie aber hartnäckig sein sollten, müßten sie gedemüthigt werden und wenigstens erfahren, daß es keine Ehrenstellen für Abtrünnige geben könnte *).

 

Die Gründe, die der Cardinal Hosius gegen die Giltigkeit des vom Könige geleisteten Eides angeführt hatte, wurden bekannt, wie auch sein Schreiben an den Erzbischof von Gnesen und die Bischöfe, worin er sie ermahnte, die Conföderation vom 6. Januar nicht zu unterschreiben, sondern dagegen zu handeln, und zugleich anführte, daß die vom Könige zu Paris den Protestanten gegebenen Zusagen nur Verstellung gewesen seien, und daß Heinrich nach seiner Thronbesteigung alle der römischen Kirche widerstreitenden Glaubensparteien verjagen werde **). Die Bischöfe verriethen offen ihre Absicht, die Pariser Eidesformel zu verändern, während der päpstliche Legat die katholische Partei anreizte, die durch jenen Eid gewährleisteten Bestimmungen zu verletzen. Diese Ränke steigerten den gerechten Argwohn der Protestanten so sehr, daß viele von ihnen sich vornahmen, die Krönung des Königs zu verhindern und eine Wahl umzustürzen, welche der Freiheit des Volkes Gefahr drohte. Das ganze Land wurde durch die allgemein verbreitete Meinung ausgeregt, daß der König gänzlich unter dem Einflusse der katholischen Geistlichkeit stehe, welche die Absicht kund

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*) Ganz andere Ansichten als Gratiani hatte de Thou von der damaligen Verfassung Polens. Die königliche Gewalt, sagt er, die gewöhnlich, da man ihr alles erlaube, zur Willkür und zur Tollkühnheit sich hinneige, und aller Laster und Ungerechtigkeiten Pflanzschule sei, werde in Polen durch die weisen Gutachten des Senats und der Landboten in den Gränzen der Billigkeit gehalten, und während anderswo, was dem Könige beliebe, gesetzliche Kraft habe, könne er hier nicht nur ohne Zustimmung der beiden Stände kein Gesetz geben, sondern sei auch selber den Landesgesetzen unterworfen.

**) So die Handschrift von Dupuis in der Bibliothek Richelieu.

 

 

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gab, ihm bei der Krönung zu Krakau von der Bestätigung der Rechte des Protestanten abzuhalten.

 

Der König neigte sich dem Anscheine nach keiner Partei zu, sondern erklärte seine Bereitwilligkeit, einen Eid zu leisten, der ihm einmüthig von dem Senate und den Landboten vorgeschrieben würde, wodurch er die Rechtmäßigkeit des zu Paris geleisteten Eides bezweifelte, der durch Stimmenmehrheit, aber nicht einstimmig von den Volksvertretern war verlangt worden. Der Einfluß der Katholiken ward immer sichtbarer, und obgleich die Stunde der Krönung heranrückte, so war doch noch nichts über die Worte des Eides entschieden, den der König leisten sollte. Vor der Feierlichkeit begaben sich Firley, Zborowski und Radziwill, Palatin von Wilna, zu dem König und machten ihm dem Vorschlag, entweder den, auf die Glaubensparteien sich beziehenden Theil des Eides gänzlich wegzulassen, das heißt, weder die Rechte der Protestanten, noch der römischen Hierarchie zu verbürgen, oder zu bestätigen, was er in Paris geschworen habe. Der König, der es nicht wagte, offen zu verweigern, was er feierlich verheißen hatte, suchte durch die Versicherung auszuweichen, daß er die Ehre und das Eigenthum der Protestanten gewährleisten wolle; Firley aber bestand darauf, daß der zu Paris geleistete Eid ohne Vorbehalt wiederholt und in dem Krönungseid aufgenommen werden sollte. Als man die Krönungsfeierlichkeit mit der Aufsetzung der Krone beschließen wollte, und kein Eid ausgesprochen wurde, trat Firley hervor und erklärte, wenn der Eid nicht geleistet werde, wolle er sich der Krönung widersetzen. Er und Dembinski, der Krongroßkanzler von Polen, auch ein Protestant, überreichten dem Könige, der auf den Altarstufen kniete, einen Zettel, der den zu Paris geleisteten Eid enthielt. Diese Kühnheit erschreckte den König, der alsbald aufstand. Die Umstehenden waren stumm vor Erstaunen, aber Firley nahm die Krone und sprach mit lauter Stimme: „Schwört Ihr nicht, so sollt Ihr nicht regieren! *)” Es entstand allgemeine Verwirrung. Die Katholiken waren heftig bestürzt und wagten es nicht, sich dem hochherzigen Firley zu widersetzen, der standhaft blieb, obgleich einige Protestanten, wie Zborowski und Radziwill, zu wanken begannen. Als Firley mit der Krone aus der Kirche gehen wollte, rief die Versammlung: „Einigkeit und Frieden in Allem!“ während man die Worte hinzufügte: „Doch mit Vorbehalt der Rechte der Parteien.” Der König, mußte wörtlich den in Paris geleisteten Eid wiederholen, und so sicherte Firley’s Muth die Sache der Glaubensfreiheit.

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*) Si non jurabis, non regnabis.

 

 

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Diese erzwungene Bestätigung der Rechte der Protestanten konnte aber ihren Argwohn und ihre Besorgnisse nicht stillen. Die Bischöfe, von dem Könige unterstützt, wurden täglich kühner, und offenbarten Entwürfe, die sie seither aus Klugheit verhehlt hatten. Solikowski, durch den König bewogen, veröffentlichte eine Schmähschrift gegen die Verhandlungen bei der Wahl in Beziehung auf die Glaubensfreiheit; Firley aber ließ den Drucker mit Gefängniß büßen. Schnell verbreitete sich eine allgemeine Unzufriedenheit im Lande, die aus der Meinung von der Herrschaft der Geistlichkeit über den König hervorging. Der Einfluß der protestantischen Familie Zborowski, welche, da sie Heinrich’s Wahl unterstützt hatte, in besonderer Gunst bei ihm stand, verminderte sich schnell durch die Ränke des päpstlichen Legaten, und Firley’s Tod, den man einer Vergiftung zuschrieb, erhöhte die Besorgnisse der Protestanten, während die Katholiken zu neuen Versuchen ermuntert wurden. Die Lüderlichkeit des Königs, der offen allen Anstand verletzte, erregte den Widerwillen des Volkes, und die Unzufriedenheit stieg so hoch, daß das Land von einem Bürgerkriege bedroht war, und mehre Bezirke Heinrich nicht mehr als König anerkannten und seine Befehle nicht annahmen. Hätte dieser Zustand länger gedauert, so würde das Land wahrscheinlich in Verwirrung und Gesetzlosigkeit gerathen sein, und glücklich wurde diese Lage der Dinge durch die Flucht des Königs geändert, der heimlich das Land verließ, als er die Nachricht von dem Tode seines Bruders erhielt.

 

Heinrich’s Regierung, die nur vier Monate dauerte, war zu kurz, als daß die Ränke, welche die katholische Geistlichkeit in ihrem Widerstande gegen den Krönungseid offenbart hatte, zur Entwickelung hätten gelangen können. Lange schmeichelte sich diese Partei mit der trüglichen Hoffnung, daß der König zurückkehren werde; seine Anhänger aber, durch seine Flucht geschwächt, verminderten sich täglich, und es zeigte sich bei mehren Gelegenheiten eine große Erbitterung gegen diejenigen, die Heinrich’s Rechte vertheidigten. Endlich erklärten die Stände zu Stenzyca am 22. Mai 1575, trotz des Widerspruches der Geistlichkeit, den Thron für erledigt, und setzten eine neue Königswahl auf den 7. November fest. Sie bestätigten zugleich die, durch die Conföderation vom 6. Januar 1573 verbürgte Rechtsgleichheit der Glaubensparteien und erklärten, daß jeder, der jene Verfügung verletzen würde, seine bürgerlichen und politischen Rechte verlieren und ehrlos sein sollte.

 

Die Protestanten, des Irrthums eingedenk, den sie durch die Zustimmung zu Heinrich’s Wahl begangen hatten, suchten einen Glaubensgenossen auf den Thron zu bringen, oder doch einen Gönner ihrer

Krasinski.

 

 

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Partei. Es wurden mehre Bewerber in der Versammlung vorgeschlagen, die aus Protestanten und Katholiken, und aus der aristokratischen und demokratischen Partei bestand. Des Herzog von Ferrara wurde nur durch eine geringe Partei begünstigt und hatte gar keine Hoffnung. Einige unterstützten den Zar Iwan Wasiljewitsch, aber dieselben Gründe, die im Jahre 1573 seine Wahl hinderten, waren ihm noch immer entgegen. Die stärksten Parteien waren für Maximilian II. und für einen einheimischen König. Die erste bestand aus dem ganzen Senat und der katholischen Geistlichkeit, die andere aus dem Ritterstande mit Zamoyski an der Spitze. Diese Partei würde ihre Wünsche erreicht haben, wenn nicht die von dem Ritterstande vorgeschlagenen Bewerber, Kostka, Palatin von Sandomir, und Tenczynski, Palatin von Belz, die angebotene Krone ausgeschlagen hätten. Der Fürst von Siebenbürgen, Stephan Batori *), wagte es indeß kaum, seinen Anspruch zu erheben, und sein Geschäftsführer, Philipowski, beförderte die Absichten seines Gebieters nur mit großer Behutsamkeit. Bathory widersetzte sich Maximilian und schlug die Erwählung eines Polen vor, den er mit bedeutenden Geldmitteln zu unterstützen versprach. Seine Abgeordneten, der Italiener Blandrata und Martin Berewiczy, blieben unthätige Beobachter der Ereignisse; Bathory’s Interessen wurden jedoch hauptsächlich von der Familie Zborowski befördert, da ein verbanntes Mitglied derselben an dem Hofe des Fürsten Zuflucht gefunden hatte, noch mehr aber unterstützte ihn der Ruf von seinen Verdiensten, die seinen Namen in Polen beliebt gemacht hatten.

 

Der Senat erwählte einmüthig Maximilian II. und der Erzbischof von Gnesen rief ihn am 12. December zum König aus. Dieses verfassungwidrige Verfahren reizte den Ritterstand, der nun, von Zamoyski geleitet, den Thron der Prinzessin Anna, Siegmund August’s Schwester, und dem Fürsten Batori unter der Bedingung, daß er jene heirathen sollte, anbot. Blandrata und Berewiczy versprachen in des Fürsten Namen eidlich die Erfüllung dieser Bedingung. Der Senat wankte bald und die Familien Zborowski und Gorka und andere protestantische

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*) Er wurde 1532 in einer angesehenen, aber nicht reichen Familie in Ungarn geboren und diente anfangs in den Heeren Ferdinand’s I.; weil er aber von dem Kaiser nicht befreit ward, als er in Gefangenschaft gerieth, begab er sich zu dem Fürsten von Siebenbürgen, Johann Siegmund, Zapolya’s Sohn. Als er später von dem Fürsten mit einem Auftrage an den Kaiser Maximilian II. geschickt wurde, hielt man ihn unter dem Vorwande, daß der Waffenstillstand gebrochen sei, in dreijähriger Gefangenschaft zurück. Nach seiner Befreiung ward er 1570 Fürst von Siebenbürgen.

 

 

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Senatoren gaben Batori’s Wahl ihre Zustimmung. Ihr Beispiel wurde von dem ganzen Senate befolgt, und selbst die Geistlichkeit erklärte nach einigem Zögern den Ketzer zu ihrem Könige.

 

Die Wahl eines Protestanten schien den Sieg der Reformation In Polen zu sichern; die katholische Geistlichkeit aber, die ihre Gefahr erkannte, schickte den gelehrten Solikowski eilig nach Siebenbürgen, um den neuen König für ihre Partei zu gewinnen. Er hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, da die Gesandtschaft, welche Batori seine Erhebung ankündigen sollte, bis auf ein einziges Mitglied aus Protestanten bestand. Die Gesandtschaft war eifrig bemüht, zu verhindern, daß Solikowski eine geheime Unterredung mit Batori erhielte, er wußte aber ihre Wachsamkeit zu täuschen und besprach sich in der Nacht mit dem neuen Könige. Diese Unterredung war verderblich für die Sache der Reformation, da Batori sich von Solikowski überreden ließ, daß es ihm nicht gelingen könnte, sich auf dem polnischen Throne zu befestigen, wenn er nicht öffentlich zum katholischen Glauben überginge. Solikowski’s Gründe wurden auch durch die Erwägung unterstützt, daß die bigotte Anna nie einem Protestanten ihre Hand geben werde. Batori war schwach genug, diesen Gründen nachzugeben, und am nächsten Tage sahen die Gesandten den König, von welchem sie den Sieg ihrer Sache erwartet hatten, andächtig in der Messe knieen *).

 

Batori bestätigte ohne Bedenken die Freiheiten der nichtkatholischen Glaubensbekenntnisse, aber obgleich er keine Neigung zur Verfolgung der Protestanten zeigte, so wurden doch die günstigen Aussichten der Reformation durch seine Unterwürfigkeit gegen Rom gänzlich getrübt. Die römische Geistlichkeit, die ihren Vortheil erkannte, nahm ihre Hoffnungen und Entwürfe wieder auf, und suchte jene Anschläge gegen den Protestantismus auszuführen, welche sie, durch Schwierigkeiten gehemmt, zwar aufgeschoben, aber nie aufgegeben hatte. Die im Jahre 1577 zu Piotrkow gehaltene katholische Synode bestätigte die unduldsamsten Anordnungen ihrer Kirche und sprach den Kirchenbann gegen alle aus, welche die Glaubensfreiheit anerkennen würden; ein Beschluß, der den Landesgesetzen durchaus entgegen und folglich hochverrätherisch war. Auch bestätigte die Synode die Beschlüsse der Kirchenversammlung zu Trient, welche, wie wir gesehen haben, der Senat

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*) Fast alle Geschichtschreiber sagen, Batori sei katholisch gewesen, obgleich er sich zu den Lehren der Reformation hingeneigt habe. Das Gegentheil geht aus der in der ehemaligen Zalusköschen Bibliothek befindlichen Handschrift des gleichzeitigen Swentoslaus Orzelski hervor. S. Friese’s Beiträge, Band 2, Th. 2. S. 49.

 

 

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verworfen hatte. Die Synoden in dem bischöflichen Sprengel von Ermland, in den Jahren 1575 bis 1578, waren noch heftiger; sie erklärten die Ketzer für unfähig, Landeigenthum zu besitzen, verboten die gemischten Ehen, ermahnten die Katholiken, nicht Taufzeugen bei den Kindern der Protestanten zu sein, und untersagten den Gebrauch von Büchern und Gesängen, die nicht die Bestätigung der kirchlichen Behörde erhalten hätten, und den freundschaftlichen Umgang zwischen katholischen und protestantischen Geistlichen. Die Geistlichkeit suchte auch die Zehnten wieder zu erlangen, welche die zum protestantischen Glauben übergegangenen Landeigenthümer zu zahlen sich weigerten, und sich der Kirchen wieder zu bemächtigen, welche an die Protestanten gekommen waren. Zur Erreichung ihres Zweckes fingen sie mehre Rechtsstreite an, und erlangten in vielen Fällen günstige Urtheile, die jedoch von den Reichstagen in den Jahren 1581 und 1582 wieder aufgehoben wurden. Der päpstliche Legat beschwerte sich auf dem Reichstage vom 1585 bitter, daß man die Religion gekränkt habe, daß sich ketzerisches Gift im ganzen Lande verbreite, daß Roms Strafgewalt aufgehobern sei, daß man die Zehnten weggenommen, die Kirchen Ketzern überliefert, die Geistlichkeit ihrer Einkünfte beraubt habe, und er schIoß mit dem Antrage, die Verfügungen der Conföderation vom 6. Januar aufzuheben. Diese Klagen und Foderungen blieben ohne Wirkung.

 

Eins der wichtigsten Ereignisse unter Batori’s Regierung war die im Jahre 1577 verordnete Errichtung eines gewählten obersten Gerichtshofes, der an die Stelle des königlichen Hofgerichtes trat, und zwar einer solchen Behörde für Groß-Polen und Klein-Polen, und einer andern für Lithauen. Diese Gerichte bestanden aus Mitgliedern, die jährlich von denselben Wählern ernannt wurden, welche die Landboten wählten. Der polnische Gerichtshof hielt jährlich zweimal seine Sitzungen, für Groß-Polen und Preußen zu Piotrkow, für Klein-Polen zu Lublin; der Lithauische gleichfalls zweimal, zu Grodno und zu Wilna. Die Edelleute beschlossen bei Gelegenheit der Errichtung dieser Gerichtshöfe, die Vorrechte aufzuheben, welche die Kirche vom Staate unabhängig machten, und die Geistlichkeit den gewöhnlichen Gerichten zu unterwerfen. Während der Thronerledigung nach Siegmund August’s Tode hatte der Adel in jedem Palatinat Gerichtshöfe eingesetzt, die Endurtheile fällen und auch über die Geistlichen richten sollten, und als der Erzbischof von Gnesen auf die Erhaltung der alten Vorrechte der Kirche drang, ward er zu einer schweren Geldbuße verurtheilt. Die geistlichen Abgeordneten, die gegen die Einführung solcher Gerichte eine Verwahrung einlegten, erregten so lebhaften Unwillen, daß man sie aus den

 

 

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Fenstern werfen wollte, und kaum konnten sie ihr Leben retten. Die Geistlichkeit wußte diese Verfüguug zu umgehen, die ihre Interessen als Genossenschaft bedrohte und darauf berechnet war, die Kirche dem Staate unterwürfig zu machen. Bei der Errichtung der obersten Gerichtshöfe im Jahre 1577 ward aber auf Zamonyski’s Antrag ein besonderes Verfahren hinsichtlich der die Kirche betreffenden Angelegenheiten angeordnet. In allen Sachen, welche die Güter und das dingliche Eigenthum der Kirche überhaupt angingen, sollten den Mitgliedern des Gerichtshofes sechs Geistliche beigegeben werden, alle Rechtssachen aber, welche Beleidigungen der Geistlichen oder Beschädigungen des Kircheneigenthums betrafen, und alle auf die Einkünfte der Kirchen, Klöster und geistlichen Stifter sich beziehenden Sachen sollte ein aus sechs geistlichen und sechs weltlichen Mitgliedern bestehendes Gericht entscheiden, und bei Stimmengleichheit die Entscheidung dem Könige zustehen. Angelegenheiten, die sich bloß auf den Glauben bezogen, wie Abfall, Ketzerei, Lästerung, sollten entweder von dem Gerichtshofe ohne Zuziehung von Geistlichen, oder auch zuweilen von dem Reichstage entschieden werden, was jedoch eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verfahren war. So wurde zwar die katholische Geistlichkeit ihrer eigenen unabhängigen Richtergewalt beraubt und den weltlichen Behörden unterworfen; da aber die Mitglieder der Gerichtshöfe jährlich gewählt wurden, und folglich von den Vorschriften ihrer Wähler abhängig waren, so wurden sie leicht zu Werkzeugen in den Händen des Jesuiten gemacht, sobald es diesen gelungen war, den Volksinn durch ihre verkehrte Erziehungsweise zu verderben.

 

Stephan Batori hielt strenge an den Gesetzen, welche die Glaubensfreiheit des Volkes schützten, und beförderte verdienstvolle Männer ohne Rücksicht auf den Glauben; aber die Jesuiten wußten leider in seine Gunst sich einzuschleichen, und Batori, dessen zehnjährige Regierung einer der ruhmvollsten Zeiträume in der Geschichte Polens ist, hat bedeutend zu dem späteren Verfalle des Staates beigetragen, indem er den Einfluß des Ordens in seinem Lande gründete. Unterstützt durch seine Gunst, verbreiteten sich die Collegien und Schulen der Jesuiten in allen Gegenden Polens, und er legte den Grund zu ihrem Hauptsitze, der Universität Wilna, die er, trotz des Widerspruches der Protestanten, welche die ihnen von dieser Seite drohende Gefahr erkannten, in der Mitte einer Bevölkerung stiftete, deren große Mehrzahl aus Gegnern der römischen Kirche, Protestanten und Griechen, bestand. Die Errichtung der Hochschule zu Wilna und des Jesuiten-Collegiums in der neu eroberten Stadt Polotsk, durch des Königs ausschließende

 

 

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Verfügung, war eine Verletzung der Landesverfassung und wurde auf des Reichstage von 1585 lebhaft angegriffen; aber der Einfluß des Königs siegte über den Widerspruch des Stände, und die Vorrechte jener neuen Stiftungen wurden bestätigt.

 

Diese unklugen Begünstigungen der eifrigsten Stütze Roms hatten ihre natürliche Folge, und ermuthigten die katholische Geistlichkeit zu Gewaltthätigkeiten gegen ihre Widersacher. Die traurige Geschichte der protestantischen Kirche zu Krakau bezeichnet am auffallendsten das Verfahren, das die katholische Geistlichkeit gegen andere Glaubensparteien einschlug, so oft sie eine günstige Gelegenheit zu finden glaubte. Wir haben gesehen, daß jene Kirche mit Zustimmung Siegmund August’s gegründet ward *), aber die von dem Bischofe Hosius verkündigte, und auf den Kanzeln vertheidigte Lehre, daß man Ketzern nicht Wort halten und Ketzerei durch alle Mittel vertilgt werden sollte, brachte ihre Wirkungen hervor. Durch solche Lehren aufgereizt, machte ein Pöbelhaufen von der niedrigsten Art, durch einige Studenten geleitet, von Fanatismus verblendet und nach Raub und Plünderung dürstend, an einem Sonntage (10. October 1574) einen Angriff auf die protestantische Kirche zu Krakau. Sie wurden von den in der Kirche versammelten Andächtigen zurückgetrieben, aber nach wiederholten Angriffen erbrachen sie zwei Tage später die Thüre und begingen die größten Gewaltthätigkeiten. Alles, was sie fanden, wurde zerstört oder mitgenommen, unter andern Geld und Kostbarkeiten zu einem Werthe von funfzigtausend Dukaten, welche protestantische Edelleute zur Sicherheit in der Kirche niedergelegt hatten. Der aus Katholiken bestehende Stadtrath schritt nicht ein und ließ diese öffentliche Räuberei ungestört geschehen. Die Besatzung des Schlosses war nicht zahlreich, und der Befehlshaber, obgleich Protestant, wagte es nicht, den ihm anvertrauten Posten zu verlassen, um schnellen Beistand zu leisten, weil der Pöbel, der die Kirche plünderte, auch das unvertheidigte Schloß hätte angreifen können. Die katholische Partei war jedoch nicht stark genug, den Verbrechern Straflosigkeit zu sichern. Der Palatin von Krakau, Peter Zborowski, stellte die Ordnung wieder her, und fünf der strafbarsten Aufrührer wurden enthauptet, aber die eigentlichen Anstifter kamen ungestraft davon, hauptsächlich weil das Land nach Heinrich’s Flucht in große Verwirrung gerieth.

 

Während der Thronerledigung entstand im Junius 1575 ein anderer Auflauf in Krakau. Der Pöbel griff den protestantischen Begräbnißplatz an,

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*) S. Abschnitt 8.

 

 

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grub die Leichen aus und behandelte sie auf die unwürdigste Weise. Diese Gewaltthat wurde nicht einmal untersucht. Zwei Jahre später griffen die Studenten und der Pöbel mehre protestantische Geistliche an, zerstörten Denkmale auf dem Begräbnisplatze und drangen sogar in die Häuser vieler Protestanten, welche sie auf das empörendste mißhandelten. Der König gab dem Vorstande der Universität und dem Stadtrathe strenge Befehle, diese Gräuel zu unterdrücken und zu bestrafen *). Trotz dieses Befehles aber gab es im folgenden Jahre neue ärgerliche Auftritte. Das Leichenbegängniß einer Protestantin wurde von Studenten angefallen, mit Steinwürfen aus einander getrieben und die Leiche aus dem Sarge gerissen, und als man sie durch die Straßen geschleppt hatte, in die Weichsel geworfen. Mehre Tage hindurch wollten die Studenten, durch Pöbelhaufen verstärkt, neue Gewaltthaten begehen, von welchen sie nur mit Mühe abgehalten wurden. Solche Gräuel konnten nicht übersehen werden, und der König befahl den Stadtbehörden auf das strengste, dem Unfuge zu steuern. Der Bischof, der Rector der Universität, der Befehlshaber des königlichen Schlosses, der Stadtrath und mehre angesehene Edelleute erließen zu diesem Zwecke eine Verordnung, die von dem Könige bestätigt wurde. Bei Todesstrafe wurde verboten, wegen Glaubensverschiedenheiten Aufstände zu erregen oder Gewaltthaten zu begehen. Wenn bei der Unterdrückung solcher Unordnungen Menschen das Leben verlören, so sollten die Behörden dafür nicht verantwortlich sein, und über alle, durch solche Ereignisse veranlaßten strafrechtlichen Fälle wollte der König selbst entscheiden. Die Studenten wurden angewiesen, in eigens für sie bestimmten Gebäuden, und ohne besondere Erlaubniß nicht in den Häusern der Bürger zu wohnen, und damit sich niemand fälschlich für einen Studenten ausgebe, sollten in den Matrikeln, außer den vollständigen Namen, auch körperliche Kennzeichen angegeben werden. Flinten oder Lanzen zu tragen, wurde den Studenten verboten. Die Bettelstudenten sollten, um Almosen zu ihrem Unterhalte zu sammeln, nur zur Essenszeit frei umhergehen dürfen. Die Universität, die seither nur katholische Studenten aufgenommen hatte, wurde Zöglingen von allen Glaubensbekenntnissen geöffnet. Gewöhnliche Bettler, Landstreicher und alle, die für ihre gute Aufführung keine genügenden Bürgschaften geben konnten, wurden strengen Anordnungen unterworfen. Die den Häusern der Edelleute zustehenden Vorrechte hinsichtlich der von den Obrigkeiten

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*) Die Nachrichten von diesen Verfolgungen sind größtentheils aus der von Albert Wengierski schon 1651 polnisch geschriebenen, aber erst 1817 zu Krakau gedruckten Chronik der Kirche zu Krakau genommen.

 

 

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auszuübenden polizeilichen Aufsicht, wurden aufgehoben, und den Küstern und Geistlichen ward untersagt, Bettler zu beherbergen, und eine besondere Stadtwache zur Beschützung der öffentlichen Ruhe eingeführt *). Diese Verfügungen verloren zwar ihre Kraft, als der Einfluß der Jesuiten überwiegend wurde, hatten aber eine zeitweilige Wirkung, und ungeachtet einiger unbedeutenden Versuche der Zöglinge verschiedener Lehranstalten, blieb die protestantische Kirche in Krakau während der übrigen Regierungszeit Stephan’s ungestört.

 

Auch in Wilna wurden ähnliche Störungen versucht, konnten aber nicht so weit in einer Stadt gehen, wo die Mehrzahl der Einwohner aus Gegnern der römischen Kirche bestand. Der Bischof von Wilna, Georg Radziwill, später Cardinal, ein Sohn des berühmten Beförderers der Reformation, Nikolaus Radziwill, suchte durch eifrige Ergebenheit gegen Rom die Ketzerei seines Vaters zu sühnen. Der Pöbel, durch ihn aufgehetzt, plünderte die Druckerei eines Protestanten, deren Arbeiter, von den Jesuiten bestochen, mit den Lettern davon gingen. Der Bischof bot alle Mittel auf, protestantische Bücher zu sammeln, die er öffentlich verbrennen ließ, und suchte auch den Druck und Verkauf solcher Schriften zu hindern. Protestantische Leichenbegängnisse wurden oft gestört, und selbst die protestantische Kirche wurde bedroht; aber der König, zu jener Zeit im Kriege gegen den moskowitischen Zar, erließ aus dem Lager bei Pskow im Jahre 1581 eine Verordnung **) zur Erhaltung des Friedens und zum Schutze der Protestanten. Er sagte darin, wenn die Religion durch Feuer und Schwert, und nicht durch Lehren und gute Sitten verbreitet werde, könnten nur innere Zwiste und Bürgerkrieg daraus hervorgehen; er wolle die Gewissen der Menschen nicht zwingen, die er Gottes Gericht überlasse, und nach dem, bei seiner Thronbesteigung geleisteten Eide die Protestanten beschützen, deren Rechte das Landesgesetz sichere. So suchte Stephan den Folgen seines eigenen Werkes, des den Jesuiten verliehenen Schutzes, vorzubeugen; aber obgleich seine starke Hand die traurigen Wirkungen, einer von ihm selbst geschaffenen Ursache zu unterdrücken wußte, so hörte doch die Ueberwachung des gefährlichen Ordens mit seinem Leben auf, und der verderbliche Einfluß desselben stieg schnell unter seinem Nachfolger. Das einzige Beispiel einer, unter Stephan’s Regierung ausgeführten strengen Maßregel gegen Glaubensmeinungen

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*) Diese Verordnung von 1578, ein merkwürdiger Beitrag zur Kenntniß des Sittenzustandes und des Studentenwesens jener Zeit, steht in Friese’s Beiträgen etc. Band 2. Th. 2. Seite 70 ff.

**) S. Briefe a. a. O. S. 147 ff.

 

 

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war die Verbannung des berühmten Christian Franken, der einige Zeit der socinianischen Schule zu Chmielnick vorstand, und dies geschah wahrscheinlich nach dem im Jahre 1564 gegebenen Gesetze *), das die Vertreibung aller, zu anti-trinitarischen Lehren sich bekennenden ausländischen Geistlichen verfügte. Ein socinianischer Buchdrucker ward auf einen, durch den Einfluß der Jesuiten erlangten Befehl des Königs verhaftet, aber wieder in Freiheit gesetzt, als sich ein angesehener Edelmann, Taszyski, der Eigenthümer von Lustawice, wo eine berühmte socinianische Schule bestand, für ihn verwendete. Der König sprach bei jener Gelegenheit zu Taszyski: „Ich wünsche allerdings, daß alle zu dem katholischen Glauben sich bekennen möchten, und ich würde mein Blut nicht schonen, um dies zu erlangen; da es aber nicht sein kann, zumal in diesen unglücklichen Zeiten, wenn nicht Gott selbst hilft, so werde ich nie gestatten, daß darum Blut vergossen oder jemand verfolgt werde. Ich könnte darüber unbesorgt sein, denn ich bin überzeugt, daß die Gewissen der Menschen nicht gezwungen werden können.” Stephan gestattete zwar keine offene Glaubensverfolgung, aber man darf sagen, daß er das Bestehen protestantischer Glaubensbekenntnisse eher duldete als anerkannte, da er sie, nach dem Zeugnisse der Jesuiten, für ein notwendigen Uebel hielt, das durch friedliche Mittel ausgerottet werden müsse.

 

Es war überdies unmöglich, einen offenen Angriff auf die Protestanten zu machen, die zu jener Zeit noch in voller Kraft waren; aber offenbar begünstigte der König die Ausbreitung des Katholicismus, wo es ohne Gefahr geschehen konnte, und der Einfluß der Jesuiten verleitete ihm zuweilen, von diesem vorsichtigen Gange abzuweichen, besonders aber, um den Orden in volkreichen protestantischen Städten anzusiedeln. Wie früher in Wilna und Polotsk, wurde dies auch in Lievland versucht. Diese mit Polen vereinigte Provinz war von Lutheranern bewohnt, und doch ließ der König sich durch den Jesuiten Possevin bewegen, ein katholisches Bisthum in Wenden, und Jesuiten-Collegien in Dorpat und Riga zu stiften, und befahl den Lutheranern in der wichtigen Handelsstadt Riga, den Jesuiten eine Kirche zu überlassen. Dieser Befehl wurde nicht ohne Gewaltthätigkeit vollzogen, und die Stadtbehörden, welche die Folgen dieser Willkür voraussahen, baten den König vergebens, seinen Vorsatz aufzugeben und die Errichtung einer Jesuiten-Schule nicht zu gestatten. Es ward ein Collegium gegründet, das unter der Leitung der Jesuiten Latema, Skarga und

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S. Abschn. 8.

 

 

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Bruckner stand, die sich durch ihren Eifer gegen die Protestanten auszeichneten. Die große Unzufriedenheit, die dies erregte, wurde durch die Einführung des gregorianischen Kalenders noch vermehrt. Gegen diese, an sich untadelhafte Maßregel erhoben sich nachdrücklich die Protestanten, weil sie dieselbe, auch nicht ganz ohne Grund, als den Anfang einer Unterwürfigkeit gegen Rom betrachteten, das dieses Zugeständniß benutzen würde, um noch wichtigere zu erlangen. Die Bewegung, die darüber in Dorpat entstand, wurde leicht gestillt, in Riga aber stieg die Unzufriedenheit so hoch, daß im Jahre 1585 ein heftiger Aufstand ausbrach, so eifrig der Stadtrath vorzubeugen suchte, der die Bürger überreden wollte, sich dem Befehle des Königs zu fügen, und sich dadurch einer Nachsicht gegen die Ränke der Jesuiten verdächtig machte. Die Jesuiten-Kirche ward angegriffen, die Versammlung gemißhandelt und der Superior des Ordens, Rubinus, gerieth in Lebensgefahr. Die Stadtbehörde stellte zwar die Ruhe wieder her und verhütete weitere Störungen; zu Anfange des Jahres 1586 aber entstand eine neue Bewegung, als der beliebte Prediger Mollerus verhaftet wurde, der das Volk gegen die Jesuiten aufgereizt hatte. Rubinus mußte die Stadt verlassen, und der Stadtrath, der die aufgeregten Bürger nicht im Zaum halten konnte, suchte die gefoderten Bedingungen zu erlangen, daß die Jesuiten-Schule aufgehoben und jede öffentliche Procession in den Straßen verboten werde. Der König befahl, alles wieder in den vorigen Stand zu setzen. Der Stadtrath versuchte eine Vermittelung, als aber die Jesuiten, durch die in der Stadt herrschende Ruhe ermuthigt, zurückkehrten, brach ein neuer heftigerer Aufstand aus, und die Bürgermeister, die sich einer Begünstigung der Jesuiten verdächtig gemacht hatten, wurden ermordet. Der König lud die Anstifter des Aufstandes vor seinen Richterstuhl, und als sie nicht erschienen, verurtheilte er sie auf dem Reichstage zu Grodno zum Tode und befahl, die Schulen und die Kirche den Jesuiten zurückzugeben; sein plötzlicher Tod aber verhinderte die Vollziehung dieses Befehles.

 

Auch auf die Politik Polens gegen das Ausland hatten die Jesuiten einen verderblichen Einfluß, indem sie den, im Jahre 1582 mit dem Zar geschlossenen unzeitigen Frieden beförderten, der Stephan in seiner siegreichen Laufbahn aufhielt. Possevin ließ sich durch Iwan Wasiljewitsch’s schlaue Politik zu dem Glauben verleiten, daß sich der Zar der Herrschaft Roms unterwerfen werde, und rieth dem Könige, die Friedensbedingungen anzunehmen.

 

 

 

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Dreizehnter Abschnitt.

 

Bemühungen der Protestanten, die Ergebnisse des Sandomirischen Vergleichs auszudehnen und zu befestigen.

 

Am September 1573 ward eine allgemeine Synode aller protestantischen Kirchen nach Krakau berufen, die aus mehren Großen und vielem Geistlichen aller drei protestantischen Bekenntnisse bestand. Den Vorsitz führte der Kronmarschall Firley, das Haupt der Anhänger des schweizerischen Bekenntnisses und zu jener Zeit vielleicht der einflußreichste Mann im Lande. Der Hauptzweck der Versammlung war, dem neu gewählten Könige Heinrich die Stärke und Wichtigkeit der protestantischen Partei zu zeigen, und dies war um so nothwendiger bei der offenbaren Feindseligkeit der katholischen Geistlichkeit, die leicht Unterstützung von einem Fürsten erwarten konnte, den man eines thätigen Antheils an der Bartholomäusnacht beschuldigte. Die Glaubensfreiheit des Volkes war zwar durch die Conföderation vom 6. Januar 1573 und durch den Krönungseid gesichert, aber man konnte nicht fest auf solche Bürgschaften bauen, gegen welche die Bischöfe, mit Ausnahme des patriotischen Franz Krasinski, Verwahrung eingelegt hatten, und die nach dem Rathe des Cardinal Hosius als gottlos verlegt werden sollten. Diese wichtigen Betrachtungen brachten alle theologischen Streitigkeiten zum Schweigen und die Beschlüsse der Synoden zu Sandomir und Posen wurden vollständig bestätigt. Die Kirchenzucht ward an strengere Vorschriften gebunden, ohne in die unabhängige innere Verfassung eines Bekenntnisses einzugreifen, die der Einigkeit in den Glaubenssätzen nicht entgegen war. Unter den gegebenen Anordnungen waren besonders wichtig die Verfügungen über die Sittenverbesserung in den Gemeinden. „Gottlosigkeiten aller Art — hieß es darin — Ueppigkeit, Völlerei, Schmähreden, Tanz, Kleiderpracht an allen Orten, aber besonders in den Kirchen, sollen verhütet und abgestellt, Hochzeiten mit gebührendem Ernst und Anstande, mit Sittsamkeit und Heiligkeit gefeiert werden. Wirthshäuser und Schenken sollen mit allen Bedürfnissen für die Reisenden und die Einwohner versehen sein, aber die Grundherren und alle, die Ansehen genießen, sollen bei schwerer Strafe verhüten, daß Weiber, besonders zur Nachtzeit, solche Häuser besuchen, oder Tanz, Spiel und ähnliche Gottlosigkeiten darin vorkommen. Die Grundherren sollen für ihre Unterthanen Sorge tragen und

 

 

 

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sie mit christlicher Liebe und gebührender Menschlichkeit behandeln; sie dürfen von ihren Bauern nicht schwere oder drückende Arbeiten oder Abgaben fodern, sondern müssen sie behandeln, wie sie im gleicher Lage behandelt zu sein wünschen würden. Auch haben sie dafür zu sorgen, daß auf ihren Gütern an Sonntagen nicht Markt gehalten werde, und sie dürfen an solchen Tagen keine Dienste irgend einer Art von ihren Bauern verlangen.” Diese Verordnungen sollten für die Anhänger des schweizerischen Bekenntnisses bindend sein, während den Lutheranern und den böhmischen Brüdern gestattet ward, ihren eigenen Gebräuchen zu folgen. Auch war die Synode besonders darauf bedacht, eine scharfe Gränzlinie zu ziehen zwischen den reformirten Kirchen, und denjenigen, die anti-trinitarische Meinungen angenommen hatten, aber noch immer in Gemeinschaft mit den protestantischen Kirchen sein wollten und sich die kleinere Kirche nannten. Das Sitzen bei dem Abendmahle, das Johann Laski empfohlen hatte, ward abgeschafft, und verordnet, dabei zu knieen oder zu stehen, und dies geschah in der Absicht, einen von den Anti-Trinitariern angenommenen Gebrauch zu vermeiden.

 

Wäre die zu Sandomir geschlossene Vereinigung der proteslantischen Kirchen unverletzt geblieben, so würde der endliche Sieg ihres Sache bald erfolgt sein. Dies sah die katholische Partei, die jenem Vergleich in mehren Schriften heftig angriff und ihn lächerlich und verächtlich zu machen suchte. Die Gefahr aber, die der Vereinigung drohte und sie endlich auflöste, und dadurch das Verderben der protestantischen Sache herbeiführte, kam nicht von jener feindlichen Seite, sondern entstand im eigenen Lager der Protestanten. Wir haben gesehen, daß die Lutheraner die größte Abneigung gegen die Vereinigung zeigten, die auch von vielen ihrer Glaubensbrüder in Deutschland gemißbilligt wurde, während einige andere sie mit Beifall begrüßten *). Endlich stimmten sie zwar dem Sandomirischen Vergleiche bei, wozu besonders Erasmus Gliczner beitrug, aber der Widerstand gegen die schweizerische Kirche und die böhmischen Brüder war bei vielen nur zum Schweigen gebracht, nicht gänzlich entfernt. Die Lutheraner betrachteten den Vergleich als eine politische Uebereinkunft, weniger als eine Einigung in den Glaubenssätzen, und viele unter ihnen würden sich in einigen Puncten leichter mit den Katholiken, als mit den Mitgliedern der beiden andern protestantischen Kirchen vereinigt haben. Diese

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*) unter andern Georg Major zu Wittenberg, der 1570 an Laurentius, Senior der böhmischen Brüder, schrieb: „O ihr Glücklichen, die ihr eine fromme Uebereinkunft in der Lehre Christi geschlossen habt!“

 

 

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Keime der Zwietracht zeigten sich bald, und die Synode zu Krakau mußte im Jahre 1576 einigen Geistlichen, die den Sandomirischen Vergleich zu stören gesucht hatten, Strafen auflegen.

 

Die polnischen Protestanten wünschten, ihre Vereinigung auf die protestantischen Kirchen in ganz Europa auszudehnen, und die angesehensten Edelleute und Geistlichen erließen während des Reichstags zu Warschau im Jahre 1578 Schreiben an die protestantischen Fürsten Deutschlands, namentlich an die Kurfürsten, Ludwig von der Pfalz, August von Sachsen und Johann Georg von Brandenburg, da der Wunsch, die Zerwürfnisse unter den Protestanten gehoben zu sehen, sich besonders in den Ländern dieser Fürsten kund gab *). Sie bedauerten die Zwietracht der deutschen Kirchen, sprachen den Wunsch aus, daß der von den polnischen Protestanten geschlossene Vergleich allgemein werden möge, und empfahlen, als das einzige Mittel zur Erreichung dieses Wunsches, die Berufung einer allgemeinen Synode aller protestantischen Kirchen in Europa. Diese Zuschriften hatten keine Wirkung, und die deutschen Kirchen waren zu jener Zeit sehr weit entfernt von einer Einigung. Der Kurfürst von der Pfalz freute sich über die in Polen geschlossene Uebereinkunft und beklagte die Zerrüttung anderer Kirchen, hoffte aber, daß sich Gott auch ihrer erbarmen, und ihnen Frieden und Eintracht geben werde. Die Antworten der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg waren nicht befriedigender und nicht so höflich.

 

In demselben Jahre ward eine protestantische Synode zu Piotrkow gehalten, deren Veranlassung der Entwurf eine Harmonie der protestantischen Bekenntnisse war, womit sich zu jener Zeit einige gelehrte Theologen in Deutschland beschäftigten. Die Versammlung billigte diesen Plan, besonders die Bemühungen derjenigen, die den Vergleich der Protestanten in Polen auf diese Weise zu bekräftigen suchten. Der Sandomirische Vergleich und die Verfügungen späterer Synoden wurden bestätigt. Man hielt es für wünschenswerth, daß die Gebräuche, besonders bei dem Abendmahle, in allen protestantischen Kirchen Polens gleichförmig wären, und glaubte, daß von Seiten der Prediger und verständiger Leute keine Schwierigkeiten eintreten werden; das Volk aber finde Veränderungen in den Gebräuchen anstößig und lasse sich nicht leicht zu andern Gewohnheiten ziehen, wenn man es nicht durch scharfe Kirchenzucht dazu nöthigen wolle, was aber gegen Gottes Wort und gegen die urchristliche Sitte

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*) Friese a. a. O. S. 51 ff.

 

 

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sei, und daher möge es der christlichen Freiheit überlassen werden, ob man das Abendmahl knieend oder stehend genießen wolle; das Sitzen bei dieser Feierlichkeit aber, das in ganz Europa nicht üblich sei und von Leuten herstamme, die Christus unverständig nachahmen und auf arianische Irrthümer verfallen, müsse man verwerfen. Die Prediger sollen das Volk belehren, das Abendmahl nicht bis zum letzten Augenblicke aufzuschieben, damit eine gesunde Seele in einem gesunden Leibe sich dazu vorbereite; aber man möge, um nicht über die Gewissen zu herrschen, auch Kranken bei voller Besinnung das Abendmahl reichen, und wo möglich andere an der Feierlichkeit Theil nehmen lassen. Es soll kein Patron einen Prediger ernennen oder jemand predigen lassen, der nicht von den Superintendenten oder den Aeltesten der protestantischen Kirchen zum Geistlichen eingesetzt worden ist und Zeugnisse seiner Tüchtigkeit erhalten hat. Bei der zwischen den Reformirten, Lutheranern und böhmischen Brüdern bestehenden Vereinigung soll es den Patronen von einem der drei Bekenntnisse frei stehen, aus gerechten Ursachen und mit Beobachtung der guten Ordnung von den Superintendenten eines andern Bekenntnisses einen Prediger zu verlangen. Es ist zu wünschen und zur Erbauung der Gemeinden dringend nöthig, daß eine, von den Patronen reichlich auszustattende als gemeine Schule gestiftet werde, wozu die Grundherren von jedem ihrer Pachtbauern einen Gulden beitragen wollen. Die Patrone sollen die Zehnten und die Kirchengüter den Predigern und dem Nutzen der Kirche widmen, wenn sie ein ruhiges Gewissen und einen guten Ruf haben wollen. Der letzte Beschluß der Synode wiederholte die Verfügung, daß die Grundherren auf ihren Gütern die Entweihung des Sonntags durch Marktverkehr, Lustbarkeiten und Zechen verhüten sollen.

 

Kaum hatte die Synode zu Piotrkow ihre Sitzungen geschlossen, als eine Provinzial-Synode zu Wilna den ersten Versuch machte, den Sandomirischen Vergleich aufzulösen. Die Versammlung bestand nur aus wenigen lutherischen und reformirten Geistlichen und einigen Edelleuten. Die Lutheraner, welche die Mehrzahl unter den Predigern bildeten, erklärten sich gegen den Vergleich hinsichtlich der Lehre vom Abendmahle, und trennten sich von den übrigen protestantischen Kirchen *). Dieser Angriff auf den Vergleich war jedoch unbedeutend und würde keine Folgen gehabt haben, da er von einer Provinz ausging, wo die Anhänger des Augsburgischen Bekenntnisses die Minderzahl bildeten, und

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*) Vergl. Friese a. a. O. S. 97 ff.

 

 

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meist unter den, von deutschen Ansiedlern abstammenden Stadtbewohnern sich fanden *). Weit gefährlicher war der Angriff, den der deutsche lutherische Prediger Paul Gerike in Posen machte, mit welchem sich der polnische Prediger Johann Enoch verband, der wegen der strengen Kirchenzucht unter den böhmischen Brüdern zur lutherischen Kirche übergegangen war. Diese Feindseligkeit wurde durch Aufreizung von außen, besonders durch den berühmten Flacius Illyricus, hervorgerufen. Die beiden Prediger eiferten auf den Kanzeln heftig gegen den Vergleich, und erklärten es für weit besser, katholisch zu werden, als denselben anzunehmen. Es ward, um diesem Uebel zu steuern, im Jahre 1582 eine Synode nach Posen berufen, die aus mehren Predigern der Iutherischen und böhmischen Kirche bestand, und den friedestörenden Feinden des Vergleiches einen Verweis gab, sie jedoch in ihren Aemtern ließ. In der Absicht, diese Zwiste wirksamer zu unterdrücken, ward im Junius 1583 eine Synode der drei protestantischen Bekenntnisse nach Wladislaw berufen, wo ungefähr siebzig Prediger und viele Senatoren und Edelleute aus Polen und Lithauen erschienen. Der Sandomirische Vergleich wurde feierlich bestätigt, und verfügt, daß derselbe mit den Verordnungen späterer allgemeinen Synoden in lateinischer und polnischer Sprache gedruckt werden und jeder Prediger einen Abdruck besitzen und die darin enthaltenen Anordnungen bei Strafe befolgen sollte. Es sollten keine Bücher **) ohne Genehmigung der Vorsteher oder Aeltesten der drei Glaubensbekenntnisse gedruckt werden. Bei den herrschenden Lastern aller Art sollte strenge Zucht in allen Kirchen eingeführt umd jeder, der hartnäckig in einem gottlosen Leben bliebe, aus der Gemeinde der Gläubigen gestoßen werden. Allgemeine Synoden sollten nur mit Zustimmung der Superintendenten und der vornehmsten weltlichen Patrone berufen werden. Die Prediger wurden angewiesen, in ihren Wohnungen eine Anzahl junger Leute für den Kirchendienst vorzubereiten. Der von den Grundherren für jeden ihrer Bauern zur Unterhaltung der Schulen zu bezahlende jährliche Beitrag wurde festgesetzt, und eine allgemeine Sammlung von Beiträgen angeordnet, um eine Kasse zur

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*) Die Lutheraner in Lithauen ließen 1562 einen Katechismus ihres Bekenntnisses in der slavonischen Sprache drucken, die bei allen, zur griechischen Kirche sich bekennenden Slaven die Kirchensprache ist, und 1628 wurde dieses Buch in Stockholm wieder abgedruckt, wahrscheinlich in der Absicht, es unter den Bewohnern der 1617 von Rußland an Schweden abgetretenen Gebietstheile zu verbreiten.

**) Ohne Zweifel nur Bücher, die Glaubensangelegenheiten betrafen.

 

 

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Unterstützung alterschwacher Prediger zu bilden. Die Prediger sollten nur von den Superintendenten in das geistliche Amt eingesetzt werden, und die Kirchen-Patrone für den Unterhalt derselben sorgen.

 

Die Beschlüsse der Synode waren aber nicht hinreichend, die Keime des Uebels auszurotten, oder auch nur ihr Wachsthum zu hemmen. Der Prediger Enoch gab den Widerstand auf, Gerike aber, gereizt durch den in Posen erhaltenen Verweis, wurde nur noch heftiger in seinen Angriffen auf den Sandomirischen Vergleich und suchte auf der Kanzel Haß gegen die böhmischen Brüder zu erregen, indem er erklärte, daß Lutheraner, welche die Kirchen derselben besuchten, ihr Seelenheil gefährdeten *). Die Jesuiten fachten die Flamme der Zwietracht unter den Protestanten an, und schmeichelten Gerike’s Eigenliebe, den sie den einzigen echten Lutheraner in Polen nannten. Diese heftigen Streitigkeiten erregten großes Aergerniß, und viele Protestanten, die in ihren Ueberzeugungen irre wurden und jene unwürdigen Zwiste verabscheuten, verließen ihre Gemeinden und kehrten zu der alten Kirche zurück, wie mehre adelige Familien, deren Beispiele viele Tausende aus dem Volke folgten.

 

Trotz dieser unglücklichen Umstände arbeiteten die Reformirten und die böhmischen Brüder mit unermüdetem Eifer, den Sandomirischen Vergleich aufrecht zu erhalten, den sie mit Recht als das einzige Mittel betrachteten, die protestantische Sache gegen die Gefahren zu schützen, die der schnell wachsende Einfluß der Jesuiten ihnen drohte, ein Einfluß, der zwar durch Stephan’s kraftvolle Herrschaft etwas zurückgedrängt ward, aber in wiederholten Gewaltthätigkeiten sich zu zeigen begann. Der Fürst Christof Radziwill, Palatin von Wilna, veranstaltete mit vieler Mühe im Junius 1583 eine Besprechung zwischen den Reformirten und Lutheranern zu Wilna, und bat den Markgrafen Georg Friedrich, Herzog von Preußen, ihm einige gelehrte Theologen aus Königsberg zu senden. Der Herzog schickte den Professor Paul Weiß, und seinen Hofprediger, Martin Henrici; außer diesen waren noch andere Iutherische Theologen, und einige achtbare Bürger von Wilna zugegen. Die reformirte Partei ward, außer von Christof Radziwill, von einigen Edelleuten, besonders aber von dem gelehrten

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*) Friese (a. a. O. S. 172) leugnet Jablonski’s Behauptung, daß Gerike gesagt habe, es sei besser, zu den Jesuiten, als zu den böhmischen Brüdern zu treten, gesteht jedoch ein, daß er nie mit Predigern von andern Bekenntnissen eine Leiche begleitet habe. L.

 

 

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Andreas Volanus, Geheimschreiber des Königs Stephan, vertreten. Weiß eröffnete die Versammlung durch eine Rede, woraus Volanus die Streitigkeiten zwischen der Iutherischen und reformirten Kirche bedauerte, und den Wunsch aussprach, diese Zwiste geschlichtet zu sehen, um dem Antichrist mit vereinten Kräften entgegen zu treten. Nach seiner Meinung konnte dieser Wunsch leicht erfüllt werden, wenn man als Grundlage den Ausspruch des heiligen Augustinus annähme, und obgleich er Luther, Calvin, Zwingli und Oecolampadius ihre großen Verdienste zugestand, so wollte er doch alles menschliche Ansehen bei Seite setzen, allein an die alten Kirchenväter sich halten und auf diese Weise die obwaltenden Zwistigkeiten schlichten. Weiß wollte die Kirchenväter nicht ganz verwerfen, meinte aber, daß selbst Augustinus von dem Verderbnisse seiner Zeit angesteckt sei. Darauf legte Volanus den ersten Satz vor. Ob die von Gott eingesetzten Sacramente, fragte er, bloße und leere Zeichen seien, oder ob sie die göttlichen und himmlischen Dinge, die sie bedeuten und vorstellen, zugleich wirklich darbieten und schenken, und sei dies der Fall, ob sie dann die Sache räumlich in sich fassen, oder ob sie nur bezeugen, daß sie uns von Gott gegeben werden. Ob ferner die Sacramente und die Sachen auf gleiche Weise empfangen, oder ob die irdischen und sichtbaren Dinge nur mit den Organen des Leibes, die himmlischen und unsichtbaren aber durch den Glauben genossen werden. Der Iutherische Theolog Sommer, deutscher Prediger zu Wilna, nannte dies verfängliche Fragen, in welchen nichts bestimmtes ausgesprochen werde, und verlangte, daß Volanus sein eigentliches Glaubensbekenntniß mittheilen soll. Daraus las dieser vor: „Kurzes Bekenntnis aller evangelischen Kirchen in England, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, dem größten Theile von Deutschland, in Polen und Lithauen von dem Sacramente des Leibes und Blutes Christi bei seiner letzten Einsetzung. Wir glauben und bekennen, daß, wenn das Sacrament des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesu Christi nach seiner Einsetzung den Gläubigen ausgespendet wird, das Brot sein Leib und der Wein sein Blut sei, nicht durch eine äußerliche und unsichtbare Verwandlung der Elemente in himmlische und sichtbare Dinge, oder durch räumliche Einschließung derselben in äußerliche Elemente, sondern durch die gewisse und wahrhafte Darreichung des Leibes und Blutes Christi, so daß die mit wahrem Glauben und mit Buße von Gott Begnadigten, wenn sie mit dem Munde die äußerlichen Elemente empfangen, zugleich des Leibes und Blutes Christi im Glauben und Geiste theilhaft werden,

Krasinski.

 

 

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zur gewissen Vergebung der Sünden und Verleihung des ewigen Lebens, das Christi Tod uns erworben hat.“

 

Weiß wendete ein, daß dieses Bekenntniß die Worte „wesentlich” und körperlich” auslasse und den Genuß des Abendmahles durch Ungläubige nicht berühre. Sommer unterstützte ihn durch den Grund, daß das Abendmahl für die ganze Kirche eingesetzt sei, und da es in der Kirche auch Ungläubige gebe, das Sacrament auch für sie eingesetzt sein müsse. Nach einem Streite über die formelle und die endliche wirksame Ursache des Sacraments, brachte Volanus noch den Grund vor, daß der Leib Christi, da er nicht auf dem natürlichen Wege wieder ausgeworfen werde, auch nicht körperlich genossen werden könne. Sommer und Weiß aber wollten sich auf diesen Grund nicht einlassen, welcher der Einsetzung des Abendmahls zu nahe trete. Volanus bemerkte, daß, wie die Taufe die Abwaschung der Seele von Sünden bedeute, so auch im Abendmahle nur eine Bedeutung und Seelenspeise sei. Die Lutheraner wollten die behauptete Aehnlichkeit nicht zugeben, und nach vielen fruchtlosen Versuchen des Fürsten Radziwill, sie zur Auslassung des Wortes „körperlich” zu bewegen, übergaben sie endlich ein Bekenntniß, das also lautete: „Wir glauben und bekennen, daß in dem heiligen Abendmahle, welches unser Herr Jesus Christus, Gottes und Maria’s Sohn, in der letzten Nacht, da er verrathen ward, eingesetzt hat, der wahre, natürliche und wesentliche Leib Christi, der für uns gegeben ist, wahrhaftig und wesentlich zugegen, und sein wahres, natürliches und wesentliches Blut, das er auf dem Altare des Kreuzes für uns vergossen hat, gegenwärtig sei, und zwar auf Erden bei rechtmäßiger Handlung und Ausspendung, so daß, wenn das Element des Weines ausgetheilt und genossen wird, das Blut Christi mit dem leiblichen Munde wahrhaftig getrunken werde, auf unbegreifliche und unerforschliche Weise, nicht nur von allen Gläubigen und Würdigen, sondern auch von Ungläubigen und Unwürdigen, doch zu verschiedenem Zwecke, da den Gläubigen die Vergebung der Sünden verliehen und besiegelt wird, die Unwürdigen aber sich selber das Gericht essen und trinken und an dem Leibe und Blute des Herrn schuldig werden. Den Grund dieser Lehre finden wir in den gewissen und unwandelbaren Worten Christi, der dieses Abendmahl eingesetzt hat. Christus aber ist die Wahrheit und das Leben — Johan. XIV, 6. — und von ihm sagt der ewige Vater: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollet ihr hören. Matthäi XVII, 5.”

 

Das Wort körperlich war nun zwar in diesem Bekenntnisse

 

 

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nicht enthalten, doch war es so gefaßt, daß es die Reformirten nicht annehmen konnten; und die Versammlung trennte sich, ohne ein Ergebniß der Besprechung zu erlangen *).

 

 

 

Vierzehnter Abschnitt. Thronbesteigung Siegmund’s des Dritten.

 

Ein Gericht, von welchem keine Berufung gestattet war, sicherte zwar den Landfrieden während der Thronerledigung, die katholische Partei aber, die unter Stephan’s Regierung wieder frische Kraft gewonnen hatte, benutzte die Lage der Dinge, um Feindseligkeiten gegen die Glaubensfreiheit anderer Bekenntnisse anzufangen. Als Krakau im Mai 1587 zeitweilig ohne Besatzung war, sammelte sich ein bewaffneter Pöbelhaufen, von Studenten aufgehetzt und angeführt, und griff die protestantische Kirche an, die nach kurzem Widerstande erbrochen und geplündert wurde. Diese Gewaltthat erregte selbst bei vielen Katholiken großen Unwillen, und es ward eine eigene Untersuchungsbehörde ernannt, um die Schuldigen zur Strafe zu ziehen. Es ergab sich, daß die Stadtobrigkeit bei jenem Vorfall ihre Pflicht vernachlässigt hatte, und einige Personen, die der Beförderung des Aufstandes beschuldigt waren, wurden vor den Krönungsreichstag geladen, erschienen aber nicht, und unter dem neuen Könige wurde die Sache vertuscht. Conföderationen in einzelnen Palatinaten schützten die Glaubensfreiheit. In den Palatinaten Lublin, Sandomir und Krakau ward im December 1586 die veraltete, gegen die Ketzer gerichtete Verordnung vom Jahre 1438 **) aufgehoben, welche die katholische Partei gegen die Protestanten anzuwenden wünschte. Trotz des, von den weltlichen Behörden ausgesprochenen Entschlusses, die Glaubensfreiheit zu behaupten, machte doch die katholische Geistlichkeit auf dem Berufungs-Reichstage im Mai 1587 einen Versuch, sie zu verkümmern, fand aber Widerspruch selbst bei ihren weltlichen Glaubensbrüdern, die den Wunsch verriethen, die Macht der Geistlichkeit zu beschränken. Die Bischöfe drohten mit

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*) Salig’s „Historie der Augsburgischen Confession“ gibt umständliche Nachricht von den Verhandlungen.

**) S. Abschn. 1.

 

 

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der Auflösung der Versammlung, und würden dann zuerst von dem Verbietungsrechte, dem Liberum veto, Gebrauch gemacht haben, nach welchem der Widerspruch eines einzigen Mitgliedes nicht nur die Annahme eines Gesetzes verhindern, sondern auch den Reichstag auflösen konnte. Der Bischof von Caminice, Lorenz Goslicki *), verhütete diese Gefahr; aber während die Mitglieder der Versammlung ihn als den Retter des Vaterlandes priesen, ward er von den übrigen Bischöfen und dem päpstlichen Legaten scharf getadelt.

 

Die Protestanten waren noch immer stark, und wären sie einig gewesen, oder hätten sie ihren eigenen Vortheil begriffen, so würden sie die Wagschale zu Gunsten eines ihren Absichten geneigten Thronbewerbers herabgezogen haben. Die Familie Zborowski war aber leider durch ihren Haß gegen Zamoyski so verblendet, daß sie, statt die erleuchteten Absichten dieses großen Bürgers zu befördern, mit vielen andern protestantischen Edelleuten auf die Seite des päpstlichen Legaten trat, um sich der Wahl Zamoyski’s, oder eines von ihm begünstigten Prinzen von Siebenbürgen, zu widersetzen, und sie begünstigte den Erzherzog Maximilian von Oestreich. Der moskowitische Zar Fedor, der seinem Vater Iwan Wasiljewitsch ganz ungleich war, hatte auch eine ansehnliche Partei, besonders in Lithauen. Siegmund Wasa, Prinz von Schweden, Siegmund August’s Neffe, wurde durch den Einfluß seiner Tante, der verwittweten Königin Anna, unterstützt. Zamoyski, der eifrige Gegner Oestreich’s, erklärte sich für Siegmund, der am 19. August 1587 gewählt wurde, trotz des lebhaften Widerstandes der Familie Zborowski und ihrer Anhänger, die den Erzherzog Maximilian zum König ausriefen und ihn durch Waffengewalt zu unterstützen suchten. Der Erzherzog wurde von Zamoyski geschlagen und zum Gefangenen gemacht und mußte seinen Ansprüchen entsagen. Es war höchlich zu bedauern, daß der Haß der Familie Zborowski sich zwischen Zamoyski und den Thron stellte, auf welchem viele ihn zu sehen wünschten. Es scheint jedoch, daß dieser ausgezeichnete Mann nicht selber nach dem Throne strebte; denn hätte er den ernstlichen Wunsch gehegt, das Scepter des Landes zu ergreifen, das er einige Zeit durch seinen Einfluß beherrschte, so Iäßt sich kaum bezweifeln, daß er trotz des Widerstandes seiner Gegner, die seine Größe beneideten, zum Ziele gekommen wäre. Welche Gründe ihn aber auch abgehalten haben mögen, die Krone anzunehmen, die Wirkungen waren eben so beklagenswerth für

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*) Er ist der Verfasser einer politischen Schrift: De optimo cive, die 1587 zu Venedig erschien.

 

 

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das Land, als für die protestantische Sache. Zamoyski, obgleich Katholik, war stets ein standhafter Vertheidiger der Glaubensfreiheit, und zeigte bei allen Gelegenheiten eine, den Interessen Roms und Oestreichs entgegengesetzte Politik.

 

Siegmund II. war der Sohn des Königs Johann von Schweden und Katharina’s, der Schwester Siegmund August’s. Seine blindgläubige katholische Mutter wurde gänzlich von den Jesuiten geleitet. Ihr Gemahl, obgleich Iutherisch, schwankte einige Zeit in seinem Glauben, und verrieth eine auffallende Hinnzigung zur katholischen Kirche. Er ließ seinen Sohn Siegmund im katholischen Glauben erziehen, um ihm den Weg zu dem polnischen Throne zu bahnen. Der König hatte mehre Unterhandlungen mit dem Jesuiten Possevin und andern päpstlichen Bevollmächtigten über eine Aussöhnung mit dem römischen Stuhle, die er an die Bedingung knüpfte, daß das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, die Priesterehe und die Messe in der Landessprache den Schweden gestattet werde. Der Papst verwarf diese Bedingung, und es ist sehr zu bezweifeln, ob der König aufrichtig eine Aussöhnung mit Rom herbeizuführen wünschte, da ein solcher Schritt wahrscheinlich eine Empörung erregt und den Besitz seiner Krone gefährdet haben würde. Er bedauerte sogar, daß er seinen Sohn der katholischen Kirche überlassen hatte, aber der Prinz war seinem Glauben so ergeben, daß sein Vater ihn nicht durch die härteste Behandlung bewegen konnte, dem Iutherischen Gottesdienste beizuwohnen. Seine Gesinnungen waren in Rom so gut bekannt, daß Papst Sixtus V., nach Siegmund’s Wahl, dem französischen Gesandten schrieb, der schwedische Prinz werde nicht nur in Polen, sondern auch in Schweden den Protestantismus stürzen *).

 

Die Wahl eines solchen Königs war drohend für die protestantische Sache in Polen, die bereits durch Stephan’s unglückliche Parteilichkeit für die Jesuiten gefährdet war. Die katholische Gegenstrebung, die unter seiner Regierung begann, wurde hauptsächlich durch die überall von dem Orden gegründeten Schulen befördert, und wenn diese Gegenstrebung unter einem Könige, der die Freiheit des Volkes so eifrig zu beschützen suchte, solche Fortschritte machen konnte, was ließ sich nicht von dem blinden Eifer des bigotten Siegmund erwarten! Die lange Regierung dieses bethörten Königs zeigt uns ein gleichförmiges politisches System, das darauf gerichtet war, Roms Obergewalt in allen auswärtigen und einheimischen Verhältnissen Polens, mit gänzIicher

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*) Rauner’s Geschichte Europa’s etc. Band 1, S. 295.

 

 

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Mißachtung aller Volksinteressen, zu befördern. Dieses beklagenswerthe System hat Polens Wohlfahrt untergraben und die Keime aller Uebel gelegt, die den Verfall und den Sturz des unglücklichen Landes herbeigeführt haben. Die protestantische Partei war noch immer so stark, daß sie alle Versuche zu einer offenen Verfolgung unsicher machte, die überdies durch die Landesgesetze verboten waren. Geleitet durch seine jesuitischen Rathgeber, suchte Siegmund mit bedauernswerthem Erfolge durch Bestechung zu erlangen, was er durch Unterdrückung nicht zu erstreben wagte. Die Gewalt eines Königs von Polen war zwar in mancher Hinsicht beschränkt, aber er hatte Ehrenwürden und Reichthümer zu vertheilen, wozu ihm die zahlreichen Krongüter, die sogenannten Starosteien, die er an Edelleute auf Lebzeit verleihen mußte, die Mittel darboten. Verleihungen dieser Art sollten nach der ursprünglichen Absicht Belohnungen für geleistete Dienste sein und wurden Brot für Verdienstvolle *) genannt; aber der König konnte völlig frei über diese Güter verfügen, die er als Mittel zur Befestigung seines Ansehens benutzte. Siegmund befolgte den Grundsatz, Ehre und Reichthümer, wenn er nicht durch Umstände gezwungen wurde, nur Katholiken zuzuwenden, besonders freigebig aber denjenigen, die sich durch eigennützige Rücksichten zum Katholicismus hatten bekehren lassen, während Gründe sie nicht überzeugen konnten. Er befolgte diese Politik während einer Regierung, die fünf und vierzig Jahre dauerte, und ließ in dem Senate, der bei Siegmund August’s Tode fast ganz aus Gegnern der römischen Kirche bestand, nur zwei Protestanten zurück. Ein anderes Mittel, das der König zur Vertilgung der Gegner Roms anwendete, bestand darin, daß er alle gegen sie gewagten gesetzwidrigen Angriffe ungestraft ließ; aber indem er todeswürdigen Verbrechen Straflosigkeit sicherte, gewöhnte er das Volk, die Gesetze zu verachten, wodurch er die Grundlage des ganzen gesellschaftlichen Gebäudes untergrub und die Keime künftiger Gesetzlosigkeit und Unordnung legte.

 

Der erste Versuch, den unter seiner Regierung die katholische Geistlichkeit wagte, ihren Einfluß wieder zu erlangen, war der auf dem Krönungs-Reichstage im Jahre 1538 gemachte Antrag, ihr die von den Protestanten an sich genommenen Güter und Zehnten zurückzugeben. Der Einfluß des Königs war bei dieser Gelegenheit offenbar, denn derselbe Antrag, der unter Stephan’s Regierung keine Unterstützung gefunden hatte, wurde jetzt, wiewohl nur mittelbar, angenommen.

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*) Panis bene merentium.

 

 

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Man wagte es nicht, auf die Aufhebung des Gesetzes von 1556 anzutragen, das jeden Edelmann ermächtigte, auf seinen Gütern jeden beliebigen christlichen Gottesdienst einzuführen, wovon die natürliche Folge war, daß die Einkünfte der katholischen Kirche des Ortes dem an ihre Stelle getretenen Glaubensbekenntnisse zufielen. Die Conföderation vom 6. Januar 1573 hatte überdies jedem gewährleistet, was er zu jener Zeit besaß, und dadurch den Protestanten die ihren Kirchen zugeeigneten Zehnten und Güter gesichert. Der Reichstag von 1588 wählte einen Mittelweg, indem er der katholischen Kirche gestattete, Klagen auf die Wiedererlangung ihres Eigenthumes anzustellen. Diese Erlaubniß brachte aber der katholischen Geistlichkeit keinen Vortheil, ja sie suchte dieselbe nicht einmal zu benutzen, da es, ohne einen Aufstand zu erregen, nicht möglich war, das Besitzrecht bei zahllosen Gütern in Zweifel zu ziehen. Mehre reiche Familien, die sich wieder zu der katholischen Kirche gewendet hatten, waren auch keineswegs geneigt, die früher durch ihren Abfall erlangten Reichthümer wieder abzugeben.

 

Zamoyski machte im Jahre 1589 auf dem Reichstage den Antrag, für die Königswahl Anordnungen zu treffen, durch welche auswärtige und einheimische Ränke verhütet werden könnten. Der vorgelegte Entwurf erklärte nicht, daß der König römisch-katholisch sein sollte, und schloß das Haus Oestreich von dem Thron aus. Die Bischöfe und der König, der sich sehr zu dem östreichischen Hause hinneigte, erklärten sich gegen den Antrag, und die Geistlichkeit drang auf die Erklärung, daß der König römisch-katholisch sein sollte. Zamoyski wollte das Wort katholisch beibehalten, aber ohne den Zusatz römisch. Dieser Plan wäre eine Verbesserung der Landesverfassung in einem sehr wichtigen Puncte gewesen, und würde die Unordnungen verhütet habe, welche die unruhigen Wahlen gewöhnlich herbeiführten; aber der Widerstand der Bischöfe siegte *).

 

Die katholische Synode zu Gnesen faßte im Jahre 1589 entscheidende Beschlüsse wider die Gegner der Kirche. Die Conföderation von 1573 wurde strenge verdammt, und in den Städten protestantische Kirchen und Schulen zu eröffnen verboten. Die wichtigste Verordnung der Synode aber war, daß nur eifrige Anhänger Roms auf den polnischen Thron gesetzt werden und die Erzbischöfe nicht wagen sollten, die Wahl eines Bewerbers zu verkünden, dessen Ergebenheit

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*) Erst im Jahre 1659 ward es gesetzlich, daß der König römisch-katholisch sein sollte.

 

 

 

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gegen Rom zweifelhaft sei. Dieser Beschluß wurde von Sixtus V. bekräftigt, der die Verfügungen desselben noch strenger machte. Die päpstliche Bulle verordnete, daß der Unterstützer eines ketzerischen Königs in den Kirchenbann kommen, und weder er, noch einer seiner Nachkommen, geistliche Würden erhalten sollte; sie verbot den Bischöfen, sich gegen Ketzer, selbst in weltlichen Beziehungen, günstig zu zeigen, und bedrohte alle mit dem Banne, die an irgend einer, gegen das Ansehen der Kirche und des Papstes gerichteten Handlung Theil nehmen würden. Kirchliche Gesetze aber gegen die Beförderer der Ketzerei und gegen Ketzer konnten nach den Landesgesetzen keine Wirkung haben; man mußte zu diesem Zwecke kräftigere Mittel anwenden, und die protestantische Kirche zu Krakau wurde wieder zum Opfer der Rache bestimmt. Ein von den Jesuiten aufgehetzter Pöbelhaufen machte am 23. Mai 1591 unter der Anführung von Studenten einen Angriff auf die Kirche, die nach einigem Widerstande zerstört wurde. *) Diese Gewaltthat und ein Versuch, eine ähnliche Verwüstung in Wilna anzurichten, verbreiteten Besorgnisse unter allen Protestanten in Polen, die ihren nahen Untergang voraussahen, wenn solche Verbrechen ungestraft blieben. Sie beriefen eine Synode nach Chmielnick, um sich über die Mittel zur Beschützung ihrer Rechte zu besprechen, enthielten sich aber aller heftigen Beschlüsse und schickten Abgeordnete an den König, die Vorstellungen über die Verletzung der Landesgesetze und der Freiheit des Volkes machten. Der König versprach, die Schuldigen zu bestrafen, und gab Erlaubniß, die zerstörte Kirche in Krakau wieder aufzubauen, mißbilligte aber nachdrücklich die zu Chmielnick gehaltene Versammlung, die er für eine Verletzung seines Ansehens erklärte, und verbot eine allgemeine Versammlung, welche die Protestanten in Radom halten wollten. Der Erfolg dieser Besprechung erbitterte die Gemüther nur noch mehr, und trotz des Verbotes des Könige, das den Landesgesetzen zuwider war, die solche Zusammenkünfte gestatteten, wurde die Versammlung gehalten und von vielen einflußreichen Männern besucht. Sie mied sorgfältig jeden Schein einer Empörung, deren die katholische Partei sie anklagte, und faßte den Beschluß, auf dem nächsten Reichstage eine Bestätigung der Rechte der Protestanten, und die Bekräftigung

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*) Nach einer Angabe wurde der Aufstand von einigen in Krakau angesiedelten Schottländern veranlaßt, die in einem Streite über Glaubenssachen einige ihrer Gegner tödteten. Auch der Jesuit Skarga klagt die Protestanten an. Kein anderer protestantischer oder katholischer Geschichtschreiber sagt etwas von jenem Umstande, und de Thou behauptet bestimmt, daß die Jesuiten aufgehetzt hätten.

 

 

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der Conföderation von 1573 zu erlangen. Auch wurde der allgemeine Wunsch ausgesprochen, daß der nächste Reichstag gewisse Städte bestimmen möchte, wo den Protestanten die öffentliche Ausübung ihres Gottesdienstes in voller Sicherheit gestattet sein sollte. Die katholische Partei erreichte indeß ihren Zweck hinsichtlich der protestantischen Kirche in Krakau; die Gemeinde wagte es nicht, sie wieder aufzubauen und verlegte ihren Gottesdienst in das Dorf Alexandrowicz, wo sie sicherer war. Die seither gegen die Kirche gerichteten Gewaltthätigkeiten wendeten sich nun gegen die Mitglieder der protestantischen Gemeinde, und das Haus eines der angesehensten Bürger, Johann Kolay, wurde von dem Pöbel geplündert. Der Stadtrath meldete diesen Vorfall dem Könige, legte alle Beweise des verübten Verbrechens bei und bat um Schutz für Personen und Eigenthum. Der König antwortete nicht, und indem er die Schuldigen ungestraft entkommen ließ, verrieth er, daß ihr Verfahren ihm nicht mißfällig war. Die Jesuiten in Posen wünschten die Auftritte in Krakau nachzuahmen, und ließen im Jahre 1593 durch ihre Zöglinge die Kirche der böhmischen Brüder angreifen; da aber der Pöbel sich nicht mit ihnen vereinigte, so mußten sie den Versuch aufgeben und sich mit Drohungen und Verwünschungen begnügen. Diese Sache wurde vor den Reichstag zu Warschau gebracht, und der Einfluß der Protestanten war noch so mächtig, daß, trotz des lebhaften Widerstandes der katholischen Geistlichkeit, ein Gesetz gegeben wurde, welches Strafen gegen die Störer der öffentlichen Ruhe verfügte, und die böhmischen Brüder genossen einige Jahre Ruhe.

 

In der Provinz Preußen, wo eine besondere Verfassung bestand, und die königliche Gewalt weniger beschränkt war als in Polen, zeigte sich die Gegenstrebung der katholischen Partei auf eine entschiedenere Weise. Als der König auf seiner Reise nach Schweden im Jahre 1593 durch jene Provinz kam, befahl er, die Hauptkirchen in Thorn und Elbing, wo der Iutherische Glaube herrschend war, den Katholiken zurückzugeben. Die Einwohner beriefen sich vergebens auf langen Besitz und auf die gesetzlich gesicherte Glaubensfreiheit. Thorn bat, die Stadt wenigstens mit den Jesuiten zu verschonen, konnte aber nichts erlangen, und da Widerstand unmöglich war, so unterwarfen sich die Einwohner, wiewohl dadurch ihre Anhänglichkeit an Polen sehr geschwächt wurde. Als in Danzig befohlen wurde, die Marienkirche den Katholiken zurückzugeben, brach ein blutiger Aufstand aus, und wäre es dem Stadtrathe nicht gelungen, die Ruhe herzustellen, so würde das wüthende Volk wahrscheinlich alle Katholiken ermordet haben. Diese Aufregung bewog

 

 

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den König, die Wiedereinführung der Herrschaft des Katholicismus in Danzig aufzuschieben, und die Aufrührer wurden nicht einmal in Untersuchung gezogen. Zwei Jahre später war der König glücklicher, und die protestantische Kirche mußte geräumt werden, wogegen die Stadt vergebens auf dem Reichstage sich beschwerte.

 

Wir dürfen die Ansichten nicht übergehen, weiche die ersten Wortführer der katholischen Partei bei Gelegenheit jener traurigen Ereignisse offenbarten. Der Jesuit Skarga, der beredteste Prediger, den Polen je gehabt hat, und der bei dem König in hoher Gunst war, veröffentlichte nach der Zerstörung der Kirche in Krakau eine Flugschrift, worin er das Ereigniß nicht nur entschuldigte, sondern höchlich billigte. Er rede, sagt er, auf Eingebung des göttlichen Geistes, und behauptet, man könne ohne Ungerechtigkeit zerstören, was gesetzwidrig bestehe, und die protestantische Kirche habe nicht gesetzlich bestanden, da die Bischöfe, welchen auf Gottes Anordnung das Urtheil über die Wahrheit des Glaubend ausschließend gebühre, die Errichtung der Kirche nicht gestattet hätten. Die ketzerische Kirche habe nothwendig zerstört werden müssen, weil sie zu beständigen Aufregungen Anlaß gegeben habe, und schon lange hätte die Obrigkeit dazu schreiten sollen, die aber aus Furcht vor Ruhestörungen gezögert habe, bis die That durch Kinder geschehen, oder vielmehr Gottes Macht durch sie zur Rettung der Seelen wirksam gewesen sei.

 

 

 

 

Funfzehnter Abschnitt.
Allgemeine protestantische Synode zu Thorn.

 

Die Gefahren, die der protestantischen Sache in Polen drohten, wurden täglich größer, aber statt dem immer kühner hervortretenden Gegenstreben der Katholiken sich zu widersetzen, waren die Protestanten, welche durch die dogmatische Unduldsamkeit der Lutheraner auf die eine, durch die dreisten Grübeleien der Anti-Trinitarier auf die andere Seite gezogen wurden, unter sich selbst uneinig. Paul Gerike hatte von einigen deutschen Hochschulen ein Gutachten über den Sandomirischen Vergleich verlangt, und Antworten erhalten, in welchen alle Lutheraner, die demselben anhingen, für falsche Brüder und Samaritaner erklärt

 

 

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wurden. Erasmus Gliczner *), der lange ein standhafter Anhänger des Vergleichs gewesen war, fing nun an zu wanken und gab im Jahre 1594 zu Danzig eine polnische Uebersetzung der Augsburgischen Confession heraus, die er in dem Vorworte, ohne den Sandomirischen Vergleich zu berühren, hoch rühmte **). Dies veranlaßte ein Zerwürfniß zwischen ihm und den böhmischen Brüdern, besonders ihrem Superintendenten Simeon Theophilus Turnowski, das dem Protestantismus in Polen zu einer Zeit, wo die Jesuiten sich sehr thätig zeigten, die traurigsten Folgen drohte. Diese Umstände bewogen die angesehensten protestantischen Edelleute und die vornehmsten Geistlichen der drei protestantischen Kirchen, während des Reichstags zu Krakau im Februar 1595, zu dem Beschlusse, im August desselben Jahres eine allgemeine Synode nach Thorn zu berufen. Es gelang dem Palatin von Brzesc in Cujavien, Andreas Leszczynski, den Streit zwischen Gliczner und Turnowski zu schlichten. Beide versprachen, alles zu vergeben und zu vergessen. Gliczner sollte als Superintendent den Prediger Gerike zur Annahme und Unterzeichnung des Sandomirischen Vergleichs zu bewegen suchen. Alle für und gegen den Vergleich herausgegebenen Schriften sollten unterdrückt, und künftig keine Schriften in Beziehung auf denselben ohne Genehmigung der Vorsteher der drei protestantischen Bekenntnisse gedruckt werden, wie es die Synode zu Wladislaw ***) verordnet hatte. Die von Turnowski im Jahre 1572 veranstaltete Ausgabe des Sandomirischen Vergleichs sollte der Beurtheilung der nächsten allgemeinen Synode unterworfen, und die von Gliczner herausgegebene Augsburgische Confession von den Vorstehern aller drei protestantischen

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*) Er war der ausgezeichnetste lutherische Theolog in Polen, ward um das Jahr 1530 zu Znin in Groß-Polen geboren, und nachdem er seine erste Bildung zu Goldberg in Schlesien erhalten hatte, besuchte er mehre deutsche Hochschulen. Sein Streit mit Johann Caper, der als Iutherischer Superintendent zur reformirten Kirche überging und später die anti-trinitarischen Lehren annahm, machte ihn zuerst bekannt, indem er gegen ihn über das Abendmahl und die Dreieinigkeit schrieb. Er war anfänglich Prediger in Posen, bis er Superintendent von Groß-Polen ward, und kam 1592 nach Strasburg in Polnisch-Preußen als Caplan der Gräfin Dzialynska, Schwester des berühmten Zamoyski, wo er 1603 starb. Außer mehren theologischen Werken schrieb er auch „Chronicon regum Poloniae“ Thorn 1597.

**) Er beruft sich auf die an ihn ergangenen Ermahnungen mehrer Theologen, an dem Bekenntnisse festzuhalten, und auf ein Schreiben des Kurfürsten August von Sachsen, worin es nach dem Lobe der Augsburgischen Confession heißt: a qua, qui vel verbis ambiguis, vel sensu discedunt, illi schismaticorum nota vix carere possunt.

***) S. Abschn. 13.

 

 

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Kirchen durchgesehen, neu gedruckt, und das den Reformirten und böhmischen Brüdern anstößige Vorwort geändert werden. Künftige Zwistigkeiten wollte man durch freundliche Besprechung zwischen beiden Theilen, oder durch Schiedsrichter schlichten, und beide Theile gaben ihre Einwilligung zu der allgemeinen Synode.

 

Die Synode zu Thorn, die am 21. August 1595 eröffnet wurde, war eine der wichtigsten protestantischen Versammlungen in Polen, und wir wollen eine umständliche Darstellung der Verhandlungen mittheiIen, die ein Bild von der Leitung der Berathungen auf den polnischer Synoden geben kann. Es waren gegen siebzig Geistliche von allen drei protestantischen Bekenntnissen, und viele Edelleute aus Groß-Polen, Klein-Polen, Lithauen, Polnisch-Preußen, Roth-Reusen, Weiß-Reußen, Volhynien, Podolien und der Ukraine zugegen, so daß alle Theile des zu jener Zeit so mächtigen polnischen Reiches vertreten waren. Alle Mitglieder der Synode versammelten sich am 21. August in der Iutherischen Marienkirche, und nach dem Gottesdienste wurde Swenteslaus Orzelski *), Starost von Radziejow, zum Vorsteher der Synode erwählt, und Andreas Rzeczynski ihm als Gehilfe zugeordnet. Unter den Geistlichen führten den Vorsitz Erasmus Gliczner, Turnowski und der reformirte Prediger Franz Jezierski. Zu Schreibern wurden ein Geistlicher und ein Edelmann erwählt. Am Nachmittage versammelten sich die Geistlichen und beschlossen, daß während der Sitzungszeit der Synode täglich einer aus ihrer Mitte eine Predigt halten sollte, wozu einige der ausgezeichnetsten Redner sich erboten.

 

Die erste Sitzung ward am 22. August gehalten, und nach dem Ende des Gottesdienstes der Beschluß gefaßt, die Verhandlungen mit dem Empfange der an die Synode gerichteten Botschaften zu eröffnen, welche, dreizehn an der Zahl, theils von protestantischen Gemeinden und Einzel-Synoden, theils von einzelnen Edelleuten und Palatinaten, theils von den Anhängern der griechischen Kirche in den Palatinaten Roth-Reußen, Volhynien und andern Landschaften kamen. Als sämmtliche Zuschriften vorgelesen waren, erschien der Castellan von Lenczyca, Bykowski, als Bevollmächtigter des Königs, und hob an: „Meine Herren, ich weiß nicht, zu welchem Zwecke und auf wessen Ermächtigung Ihr diese Versammlung haltet. Wir Brüder **) haben gegen sie einen Argwohn. Wisset, daß ich durch ein Schreiben Seiner Majestät angewiesen bin, mich einzufinden, wo Ihr Euch auch

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*) Orzelski, ein sehr gelehrter und einflußreicher Mann, war Mitglied mehrer Reichstage.

**) So nannten sich die polnischen Edelleute unter einander.

 

 

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versammeln möget, und Euch zu ermahnen, von Eurem Vorhaben abzulassen, um nicht das Mißfallen Seiner Majestät Euch zuzuziehen, da diese Versammlung nicht gegen die Person Seiner Majestät und zum Nachtheile der Republik gehalten werden darf.” Nach dieser Anrede übergab Bykowski das Schreiben des Könige, das vorgelesen wurde, worauf er sich mit der Erklärung entfernte, daß er am folgenden Tage die Antwort abholen werde. Bald nachher erschienen Abgeordnete des Bischofs von Cujavien, Hieronymus Rozrazewski, welche erklärten, daß die Versammlung gesetzwidrig sei, Unruhen im Lande veranlassen werde, den katholischen Glauben und die Wohlfahrt des Staates gefährde. Aehnliche Verwahrungen wurden von Abgeordneten aus einigen Palatinaten eingelegt. Die Synode antwortete, daß die Protestanten durch Berufung von Zusammenkünften keine Neuerung machten, daß die jetzt wie früher versammelten Protestanten weit entfernt wären, sich gegen das Land zu verschwören, das sie wie treue Kinder liebten und dem sie stets ihr Blut opfern würden, wie denn eben ihre Brüder in der Ukraine und Podolien nur darum der Synode nicht beiwohnen könnten, weil sie lieber an der Gränze zur Vertheidigung des Vaterlandes gegen die Tataren kämpfen, als über das Wohl ihres Glaubens sich besprechen wollten. Den Gesandten des Bischofs von Cujavien wurde geantwortet, die Synode habe es zwar nicht nöthig, dem Bischofe Nachricht von ihren Verhandlungen zu geben, da die Mitglieder derselben seiner Richtergewalt nicht unterworfen seien, aber bloß um seine Neugier zu befriedigen, melde sie ihm, daß der Zweck ihrer Berufung sei, erstens: jedes etwa obwaltende Mißverständniß unter den polnischen Protestanten zu entfernen, um zu einer Vereinigung über einige Glaubenssatzungen zu kommen und den Sandomirischen Vergleich zu bestätigen, und zweitens: sich zu berathen über die Mittel, den Frieden zu erhalten, der den Protestanten durch die Reichstagsgesetze und die, von dem Könige beschwornen Zusagen gewährleistet sei, da sie stets schweren Kränkungen und Unbilden vom Seiten der Katholiken ausgesetzt sein, wie der Zerstörung ihrer Kirchen, Angriffen und Räubereien, und selbst der Verlegung ihrer Gräber. Vor der Eröffnung der Synode wurden die Abgeordneten der preußischen Städte eingeladen, an den Verhandlungen Theil zu nehmen; sie entschuldigten sich zwar, erboten sich aber, die Absichten der Versammlung im Stillen zu befördern, und ihre Bedenklichkeiten waren nicht ungegründet, da ihnen am folgenden Tage im Namen des Königs jede Theilnahme an den Verhandlungen der Synode verboten wurde. Darauf hielt Orzelski eine Rede, worin er als die Hauptzwecke

 

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der Synode aufstellte, erstens: den Sandomirischen Vergleich zu bestätigen und zu befestigen, und die Kirchenzucht und Kirchenregierung zu verbessern, und zweitens: Mittel zur Abhilfe der Kränkungen und Verfolgungen zu finden, welchen die protestantische Kirche in Polen, hauptsächlich durch den Einfluß der Jesuiten, ausgesetzt sei.

 

Die Versammlung begab sich nun in den Hörsaal der Schule, wo auf der einen Seite der Adel, auf der andern die Geistlichkeit Platz nahm. Gliczner stimmte den Psalm an: „Unsere Hilfe kommt vom Herren!” worauf alle knieend ein Gebet sprachen.

 

Als der Vorsteher die Hauptgegenstände der Berathung noch einmal vorgelegt hatte, machte er den Antrag, den Sandomirischen Vergleich als die Grundlage der Vereinigung der protestantischen Bekenntnisse vorzulesen, damit alle erwägen möchten, ob etwas gegen denselben gethan oder gesagt wäre, um abhelfen zu können. Der Prediger Gerike widersetzte sich der Vorlesung und behauptete, der Vergleich widerspreche sich selbst, denn obgleich in der Ueberschrift deutlich genug auf die Uneinigkeit der Kirchen hingewiesen werde, so sei doch in der Einleitung nur von ihrer Uebereinstimmung die Rede. Orzelski erwiderte, die Mitglieder der Synode zu Sandomir hätten zwar Abweichungen in den Glaubensbekenntnissen der Protestanten eingestanden, sie jedoch nicht für wichtig genug gehalten, die brüderliche Eintracht derjenigen, deren Glaube auf gleichem Grunde ruhe, dadurch stören zu lassen. Gerike foderte stärkere Beweise von der Uebereinstimmung der Bekenntnisse, und verlangte eine genauere Prüfung, weil die Theologen im Auslande wider einander lehrten und schrieben und sich gegenseitig der größten Irrthümer beschuldigten. Der Palatin Leszczynski erwiderte, man habe mit auswärtigen Zänkereien nichts zu thun, da durch den Vergleich dem Streite vorgebeugt sei. Orzelski setzte hinzu, man habe in Polen die abweichenden Meinungen ausgeglichen, und er wolle den Vergleich nicht in der Absicht lesen, um ein, von trefflichen Männern mit vieler Mühe ausgeführtes Werk nach so langer Zeit wieder in Zweifel zu ziehen, sondern um zu sehen, ob es etwas in der Kirche Gottes gebe, das den Vergleich störe, und ob sich ein Mittel finden lasse, ihn zu befestigen. Gliczner bemerkte darauf, der Sandomirische Vergleich sei durch einige, von protestantischen Geistlichen verschiedener Bekenntnisse herausgegebene heftige Schriften veranlaßt worden; den lutherischen Geistlichen sei ein Vergleich als nützlich erschienen, und sie seien der Uebereinkunft nicht in der Hoffnung auf weltlichen Gewinn beigetreten, sondern nach dem göttlichen Befehle und dem Beispiele der Apostel, und nach der Sitte der heiligen Kirchenväter, die aus Synoden brüderlich

 

 

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minder bedeutende Zwistigkeiten geschlichtet hätten, wie denn auch Luther sich zu Marburg mit den Schweizern freundlich besprochen und ihnen die Hand gereicht habe. „Ich bin diesem Vergleiche gewissenhaft treu geblieben”, fuhr Gliczner fort, „und habe mich bemüht, ihn unverletzt zu erhalten; aber jetzt wird er öffentlich angegriffen, besonders in Lithauen, wie von Volanus, der im Vorworte seiner Antwort an Skarga sagt, in dem Vergleiche werde die Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahle geleugnet." Der Prediger Popowski aus Wilna beantwortete Gliczner’s Einwendungen gegen die Anhänger des schweitzerischen Bekenntnisses mit der Frage, ob es den reformirten Geistlichen nicht frei stehe, die Lehre vom Abendmahle auszulegen. Gorayski, ein reformirter Edelmann, drang darauf, den Sandomirischen Vergleich vorzulesen, weil nur auf diese Weise jeder in Stand gesetzt werden könne, seine Meinung über denselben auszusprechen. Gliczner wiederholte, der Vergleich sei von vielen Reformirten durch Schriften und Lehre verletzt worden. Diese Aeußerung erregte großen Zwist in der Versammlung, bis Rey, der Landkämmerer von Lublin, anhob: „Wir sind nicht hier versammelt, um zu erörtern, welche Lehre vom Abendmahle die wahre sei, sondern uns inniger zu vereinigen und den Sandomirischen Vergleich zu befestigen.” Man kam endlich überein, daß die geistlichen Mitglieder der Versammlung ihre Meinung über den Vergleich aussprechen sollten, und alle, Gerike ausgenommen, bestätigten ihn um so leichter, da ein reformirter Prediger die Gutachten der Universitäten Wittenberg, Leipzig und Heidelberg vorlegte, welche sich günstig für denselben erklärten. Gliczner sprach jedoch noch einmal zum Lobe des Augsburgischen Bekenntnisses, das er über alle andern erhob, wodurch ein neuer Streit mit den Reformirten hervorgerufen wurde, den Orzelski stillte, indem er die Bestätigung des Sandomirischen Vergleiches empfahl, und die Frage erhob, ob irgend ein Mitglied der Synode denselben mißbillige. Alle erklärten sich für die Bestätigung, und es wurde darauf ein Ausschuß von sechs Mitgliedern ernannt, der mit dem Prediger Gerike unterhandeln sollte.

 

In der zweiten Sitzung, am 23. August, wurde Kaspar Luszkowski, Bevollmächtigter des Palatins von Kiew, des Fürsten Konstantin Ostrogski, vorgelassen. Der Fürst, das Haupt der Anhänger der morgenländischen Kirche in Polen, und vielleicht der mächtigste Große des Reiches, richtete ein Schreiben an die Versammlung, welches eine so treue Schilderung des Zustandes der griechischen Kirche, ihrer Besorgnisse, Hoffnungen und Wünsche enthält, daß wir es nach seinem Hauptinhalte wiedergeben wollen. „Eine Stadt, die aus einem

 

 

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Berge liegt, kann sich nicht verbergen, sagt die Stimme des Herrn, und niemand zündet ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern stellt es auf einen Leuchter, und es leuchtet allen, die im Hause sind. Es kann Euch unmöglich unbekannt sein, meine Herren, daß ich es immer mit den Protestanten gehalten, und auch Eure Agende angenommen habe, ohne daß ich die Ursache dazu gehabt hätte, die mich jetzt treibt und mir durch einige unbedachtsame Geistliche gegeben wird, welche auf unseren Nacken gelegt haben, was von ihnen listig, heimlich, ohne Zustimmung einer Synode, oder auch nur ohne unsere Einwilligung beschlossen wurde *). Seit nun eine so große und wichtige Ursache uns gegeben ward, haben wir zehnmal stärkere Beweggründe, auf Eure Seite zu treten, da wir von den Katholiken weit mehr entfernt sind, als von Euch. Wir müssen daher in Gemeinschaft mit Euch handeln, und die Euch zugefügten Kränkungen müssen auch uns treffen, um so mehr, da es auf die Behauptung nicht bloß Eurer, sondern aller christlichen Bekenntnisse, Rechte und Freiheiten ankommt; denn die Herren Römlinge und Papisten haben den Namen katholisch, ein Wort, das sie in ihrer Sprache nicht besitzen, sondern von uns Griechen genommen haben, sich angemaßt und beigelegt. Sie überreden Seine Königliche Majestät, einen frommen, heiligen und gelehrten Monarchen, die Conföderation **), die sie eine Sünde nennen, nicht in ihrer Unversehrtheit zu erhalten. Sie erwägen nicht, daß es eine weit größere Sünde ist, einen heiligen Eid nicht zu halten, nachdem man ihn einmal Gott geleistet hat, den nicht bloß christliche Fürsten, sondern selbst Heiden achten, und diejenigen, die nicht mit ihrem Leben oder ihrer Krone zu büßen haben. Wenn daher, was Gott verhüte, Seine königliche Majestät, unser gnädigster Herr, den uns geschwornen Eid nicht halten sollte, so müssen wie an unseren Rechten und Freiheiten verzweifeln. Ich, der ich stets freundlich gegen Euch Herren Protestanten gesinnt gewesen bin, wünsche Euch nun so sehr alles Gute, daß ich die Euch zugefügte Kränkung für meine eigene, Euren Sturz für den meinigen halte, und wenn der König, was Gott verhüte, Gewalt gegen Euch gebrauchen sollte, so werde ich dies als eine mir zugefügte Beleidigung ansehen und gemeinschaftliche Sache mit Euch machen, wiewohl ich nicht fürchte, daß Seine Majestät, ein christlicher, frommer und gerechter Monarch, gegen die Sitte seiner Vorfahren, uns, seinen getreuen Dienern und Unterthanen, Zwang und Gewalt anthun werde; denn wie er nichts

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*) Anspielung auf die Union mit Rom. S. Abschn. 16.

**) Vom 6. Januar 1573.

 

 

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durch Zwang und Gewalt selbst in dem Reiche seiner Vorfahren thun könnte, da ein protestantischer Geistlicher, und nicht ein römisch= katholischer Priester Seine Majestät zum Könige von Schweden gekrönt hat, um so mehr wird er genöthigt sein, bei uns, einem freien Volke, in diesem Königreiche Polen, die Dinge zu lassen, wie er sie gefunden hat, und wie sie unter seinem Vorfahren bestanden. Ich weiß, daß wir, die wir den Vater, den Sohn und den heiligen Geist bekennen, alle gleich und von demselben Glauben sind, und daß die Verschiedenheit nur in einigen Gebräuchen besteht, wie ja auch die alte heilige und apostolische Kirche zu Jerusalem zwölf Altäre hat, und da sie unter der Herrschaft der Heiden steht, alle in einem Tempel bei dem Grabe unseres Herrn Jesu Christi duldet; und um so mehr sollten im Königreiche Polen, wo es so viele Glaubensparteien und Secten gibt, alle geduldet werden, damit jeder Geist den Herrn nach seinem Gewissen preise. Ich setze die gute Hoffnung auf Seine Majestät, unseren gnädigsten König, daß er, wenn wie in dieser Sache kräftigen Widerstand leisten, uns nicht Gewalt anthun werde, weil ich allein, wenn nicht 20,000, doch wenigstens 15,000 Mann zu Eurem Beistande bringen kann. Ich weiß nicht, ob die Herren Papisten, ich meine ihre Priester, eine solche Zahl aufstellen könnten, wenn sie, was Gott verhüten wolle, die Feinde des Kreuzes in Ruhe ließen, um uns Gewalt anzuthun, ihren Brüdern, die gläubig sind und, wie ihre Vorfahren, in Eintracht und gegenseitigem Wohlwollen leben. Auch gibt es viele Herren in Lithauen und eine große Anzahl von andern, die mit uns und für uns sein würden. Ich hoffe, daß Ihr, meine Herren, unsere getreuen christlichen Brüder, da Ihr unser Herz kennt, das wir Euch anbieten, Euch gegen uns standhaft, treu, brüderlich und christlich erweisen und die uns zugefügte Kränkung als die Eurige betrachten, dass Ihr uns Beistand und Rath aller Art geben, Eure Abgeordneten auf unsere Synoden senden, kurz uns eben so viel Liebe und Wohlwollen beweisen werdet, als wir Euch anbieten. Auch senden wir Euch die Artikel, die einige unserer Geistlichen heimlich und verrätherisch, ohne unser Vorwissen geschmiedet haben, um uns unter die Herrschaft des Feindes des göttlichen Sohnes zu bringen, der Gewalt des Antichrists uns zu unterwerfen und uns von Christus zu entfernen, der da sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Auch wollen sie uns einen neuen Kalender aufdringen, dem wir uns aber zu widersetzen entschlossen sind; denn wenn wir, was Gott verhüte, ihnen in der geringsten Sache nachgeben wollten, so würden sie ihre Anmaßungen weiter ausdehnen.” Das Schreiben schloß mit dem dringenden Wunsche, eine

Krasinski.

 

 

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feste Bereinigung mit den Protestanten geschlossen zu sehen. Der Bevollmächtigte fügte mündlich hinzu, der Fürst Ostrogski habe die Nachricht erhalten, daß die katholische Geistlichkeit auf einen Anschlag gegen die gesetzlich gesicherten Freiheiten der Protestanten und Griechen sinne, und ein Schreiben an den Unterkanzler gerichtet, in welchem er als Senator ihn ermahne, dem Könige vorzustellen, daß ein solches Verfahren, welches der Conföderation von 1573 und den bei der Krönung beschworenen Zusagen widerstreite, ohne Zustimmung der Stände nicht zulässig sei.

 

Kaum hatte Luszkowski seine Botschaft geendigt, als drei Bevollmächtigte erschienen, die im Namen des Königs die Versammlung für gesetzwidrig erklärten, weil nur er allein das Recht habe, Versammlungen zu berufen. Auf diese Erklärung erwiderte Stanislaus Szafraniec, Palatin von Krakau, die Versammlung der Protestanten sei keine Neuerung, die Treue der Protestanten gegen das Vaterland sei erprobt, und man dürfe sich nicht wundern, daß eine Synode berufen worden sei, ohne die Katholiken dazu einzuladen, da nicht über Angelegenheiten des Königs, des Staats oder der Katholiken, sondern nur über ihre eigenen Kirchen berathen werden solle. Darauf las der Vorsteher Orzelski die Antwort der Synode an den König vor, welche die Bevollmächtigten mitnahmen. Luszkowski überreichte ein Schreiben des zur griechischen Kirche sich bekennenden Adels in Roth-Reußen, Weiß-Reußen, Podolien, Volhynien und der Ukraine, der sich, über die Verfolgungen von Seiten der Katholiken, besonders aber über die geheimen Ränke einiger Geistlichen beklagte, die ihre Kirche dem päpstlichen Joche zu unterwerfen suchten.

 

Die Verhandlungen begannen nun mit der Vorlesung der auf der Synode zu Posen beschlossenen Bestätigung des Sandomirischen Vergleichs, worauf die gesammte anwesende Geistlichkeit erklärte, daß die drei Bekenntnisse, das Augsburgische, schweizerische und böhmische, in den Hauptsatzungen des Christenthums, von der heiligen Schrift, von Gott, der Person Christi des Gottmenschen, der göttlichen Fürsehung, der Sünde, dem freien Willen, dem Gesetze und Evangelium, der Rechtfertigung, dem Glauben, der Wiedergeburt, der allgemeinen Kirche und Christus, ihrem Haupte, den Sacramenten und ihrer Zahl, ihrem Zwecke und Gebrauche, dem Zustande der Seelen nach dem Tode, der Auferstehung und dem ewigen Leben übereinstimmten. Ueber diejenigen Artikel aber, in welchen die schweizerischen und böhmischen Bekenntnisse von dem Augsburgischen abwichen, und besonders über die Lehre vom Abendmahle, sei in dem Sondomirischen Vergleiche eine Uebereinkunft

 

 

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geschlossen worden. An demselben Tage hatte der ernannte Ausschuß eine Unterredung mit dem Prediger Gerike, der aber hartnäckig blieb, und vergebens ward ihm die Nothwendigkeit einer Einigung zur Abwendung der den Protestanten drohenden Gefahren vorgestellt.

 

In der dritten Sitzung las Simeon Theophilus Turnowski die Sätze des Sandomirischen Vergleichs über die Kirchenzucht, die Einsetzung der Geistlichen und ähnliche Gegenstände vor, und empfahl der Synode, zu erwägen, ob darin Verbesserungen erforderlich sein würden. Darauf berichtete Gorayski, der Vorstand des Ausschusses, über den Erfolg der mit Gerike gehaltenen Unterredung. Er erklärte, dieser Prediger werde durch ausländische Theologen aufgereizt, und obgleich man die Ansichten gelehrter Ausländer nicht verachten dürfe, so sei es doch unrecht, die Meinungen der in der Synode versammelten Männer gering zu schätzen, die mit dem Zustande und den Bedürfnissen der polnischen Kirche besser bekannt seien; übrigens sei es nicht von großer Bedeutung, ob Gerike den Vergleich unterzeichne oder nicht, weit wichtiger aber, daß die preußischen Städte ihre Zustimmung erklärten. „Wir müssen sie fragen,” setzte er hinzu, „ob sie sich mit uns vereinigen wollen, denn sie müssen sehen, in welcher Gefahr wir schweben und was wir leiden. Die Katholiken vertreiben uns aus dem Senate und nehmen uns unsere Würden und Aemter, so daß wir wie Fremdlinge und Verbannte im eigenen Vaterlande sind. Der Sandomirische Vergleich hat einen doppelten Zweck; er vereinigt uns in der Kirche Gottes und verhütet Aergernis, er vereinigt uns in politischer Beziehung bei gemeinsamer Bedrückung und Gefahr, so daß einer dem andern nach seinen Kräften beistehen kann.” Es wurden einige Bevollmächtigte ernannt, die mit den preußischen Städten unterhandeln sollten.

 

Die vierte Sitzung, am 25. August, beschäftigte sich mit der Angelegenheit des Predigers Gerike, welcher indeß aus Furcht, zur Unterzeichnung des Sandomirischen Vergleiches genötigt zu werden, die Stadt heimlich verließ. Nach einigem Widerstande, den besonders Erasmus Gliczner entgegen setzte, wurde mit großer Stimmenmehrheit beschlossen, ihn in den Bann zu thun. Die Bannformel gegen Gerike und einen ihm gleichgesinnten Amtsgenossen in Posen ward unterzeichnet, die Vollziehung aber bis zum nächsten Jahre aufgeschoben, um Zeit zur Reue zu lassen. Nach dem Berichte über die Unterhandlung mit den Abgeordneten der preußischen Städte, hatten diese versprochen, ihren Vollmachtgebern die Sache vorzustellen, mittlerweile aber die Iutherischen Geistlichen in ihren Provinz dringend zu bitten, daß sie

 

 

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nicht gegen den Sandomirischen Vergleich predigen möchten. Darauf schritt die Synode zur Berathung über die Mittel, den Verfolgungen der Protestanten in mehren Gegenden des Landes zu steuern. Es wurden beinahe vierzig Beschwerden aus verschiedenen Landestheilen gegen die Katholiken, besonders gegen die Jesuiten, vorgelesen, welche die den Protestanten zugefügten Kränkungen darstellten, und man beschloß, diese Beschwerden auf dem nächsten Reichstage vorzulegen.

 

In der letzten Sitzung, am 26. August, las der Vorsteher die Antwort an den König, und Turnowski die Beschlüsse der Synode vor, nach deren Unterzeichnung man Abgeordnete an den König, den Kanzler, den Palatin von Kiew und mehre Palatinate ernannte. In der Kirche wurde darauf eine gottesdienstliche Feier gehalten, die mit dem Psalm: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth” und dem ambrosianischen Lobgesange beschlossen wurde. Die Beschlüsse der Synode waren in achtzehn Satzungen zusammengefaßt, die wir nach ihrem Hauptinhalte mittheilen. Der Sandomirische Vergleich mit den Verordnungen der Synode von Posen wurde bestätigt, und verfügt, daß derselbe von allen Predigern gelesen und befolgt, und wenigstens einmal im Jahre den Gemeinden vorgelesen, und gegen die Uebertreter mit der Strenge der Kirchenzucht verfahren werden solle. Kein Superintendent, Aeltester oder Kirchenpatron, und keine Gemeinde soll jemand zum Prediger annehmen, der nicht nur gehörig eingesetzt ist, sondern auch den Sandomirischen Vergleich unterschrieben hat. Zur Vollziehung einer Verfügung der Synode zu Posen sollen sich jährlich die Superintendenten der drei protestantischen Bekenntnisse in Polen, nebst den Vorstehern der reformirten Kirche in Lithauen, versammeln, um sich über kirchliche Angelegenheiten zu besprechen, und auch nach alter Sitte auf den Reichstagen sich einfinden, oder Bevollmächtigte dahin senden. Es werden mehre strenge Verfügungen hinsichtlich der Kirchenzucht gegeben und Strafen gegen die Uebertreter festgesetzt. Unter andern wird verfügt, daß ein Prediger, der sein Amt nicht gehörig verwaltet, oder ein ärgerliches Leben führt, von seinem Amte entfernt werden soll bis zum Ausspruche einer Bezirk-Synode, und daß ein Patron oder Gemeindeglied bei unchristlichem Wandel und nach fruchtloser Ermahnung des Predigers und der weltlichen Aeltesten vom Abendmahl ausgeschlossen werde, bis er sich vor einer Synode verantwortet habe. Aeltern, die Kinder in socinianischen Schulen haben, sollen sie innerhalb sieben Wochen zurücknehmen; niemand soll ohne Erlaubniß der geistlichen Behörde socinianische Bücher lesen, und wer das Wort Dreieinigkeit verwirft, von der Gemeinde ausgeschlossen

 

 

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werden. In der Mitte des Reiches wird eine Hauptschule errichtet, und die Gemeinden sind verpflichtet, in den Bezirken größere und kleinere Schulen anzulegen. Nach den Verfügungen früherer Synoden sollen die Grundherren von jedem ihrer Bauern einen Beitrag zu einer Kasse bezahlen, aus welcher die Schulen unterstützt werden sollen. Den weltlichen Aeltesten wird die Pflicht eingeschärft, die Gemeindeglieder bei schlechtem Wandel zu ermahnen, Zank und Streit zu verhüten ober zu schlichten, die Eintracht zu erhalten, und darauf zu sehen, daß jeder sich gebührend gegen Gott und den Nächsten verhalte, und so viel als möglich nicht vor weltlichen Gerichten erscheinen dürfe; sollte es aber für jemand, besonders Waisen, unvermeidlich sein, sich in Rechtshändel einzulassen, so sollen die Aeltesten durch Rath und That Beistand leisten. Auch müssen die Aeltesten darauf sehen, daß alle Gemeindeglieder ihre Pflichten als Christen erfüllen, daß sie von ihren Nachbarn keine Wucherzinsen nehmen oder in Unzucht und Aergerniß leben. Wer diese Vorschriften verletzt, wird von den Aeltesten und dem Prediger ermahnt, und wenn er sich nicht bessert, öffentlich aus der Gemeinde gestoßen. Wegen der Gefahren, welchen die Kirche Gottes ausgesetzt ist, sollen jährlich viermal Buß- und Fasttage gehalten werden. Die Patrone und die Aeltesten sollen auf die Ausbesserung und Verzierung der Kirchen denken, jedoch ohne dabei in Abgötterei zu verfallen. Hat ein Patron, d. h. ein adeliger Grundherr, zwei Gemeinden, so soll er abwechselnd in einer von beiden erscheinen, um nicht die Strenge der Kirchenzucht zu erfahren. In Beziehung auf die Gebräuche, soll jede Kirche ihre Freiheit behalten, bis eine allgemeine Synode entschieden hat, ob Gleichförmigkeit eingeführt werden könne.

 

Die von der Synode ernannten Bevollmächtigten, die aus mehren Edelleuten und Geistlichen bestanden, begaben sich nach Krakau, wo der König sich aufhielt, um ihm die Beschwerden der Protestanten, und zugleich die auf der Synode gehaltenen Predigten zu überreichen; sie konnten aber nicht einmal Gehör erhalten. Andere Bevollmächtigte gingen nach Posen, um das Urtheil der Synode gegen Gerike und seinen Amtsgenossen Luperianus zu vollziehen. Nach zwei fruchtlosen Versuchen dieser Bevollmächtigten kam Erasmus Gliczner selbst in Posen an und entsetzte Luperianus ohne Widerstand seines Amtes; die deutsche Gemeinde aber, deren Prediger Gerike war, zeigte eine so entschiedene Gegenwehr, daß Gliczner in Gefahr gerieth, gemißhandelt zu werden, bis endlich Gerike sich nach Schlesien begab, worauf seine Stelle mit einem Prediger besetzt wurde, der den Sandomirischen Vergleich annahm.

 

 

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Sechzehnter Abschnitt.

 

Versuche zur Stiftung einer Vereinigung zwischen den Protestanten und der griechischen Kirche.

 

Der Kaiser Johann Paläolog hatte zwar die morgenländische Kirche dem päpstlichen Stuhle unterworfen, der größte Theil ihrer Anhänger aber mißbilligte diese Vereinigung, und ungeachtet des unglücklichen Zustandes, in welchen sie bei den Fortschritten der erobernden Osmanen gerathen war, fuhr sie fort, gegen Roms Obergewalt zu kämpfen. Im Jahre 1451 kam ein Bevollmächtigter der Kirche zu Konstantinopel nach Böhmen mit einem Schreiben, worin die Vereinigung mit Rom eine Trennung von der Wahrheit genannt, und ein Bund der griechischen Kirche mit den Hussiten vorgeschlagen wurde. Bei dem Verfalle Konstantinopels, das zwei Jahre später unter das Joch der Mohammedaner gerieth, war ein solcher Antrag nicht annehmbar, als aber im sechzehnten Jahrhunderte die Reformation gesiegt hatte, richteten die deutschen Protestanten ihre Blicke auf das Morgenland. Paul Dolscius aus Plauen unternahm schon 1551 eine griechische Uebersetzung des Augsburgischen Bekenntnisses, die 1559 zu Basel gedruckt wurde. Als im Jahre 1573 der Freiherr David Ungnad von Weißenwolff, ein eifriger Protestant, von dem Kaiser Maximilian II. an den Sultan nach Konstantinopel geschickt wurde, begleitete ihn Stephan Gerlach, der des Griechischen sehr kundig war, als Kaplan und erhielt von dem gelehrten Martin Crusius, Professor in Tübingen, ein Empfehlungsschreiben an den Patriarchen Jeremias von Konstantinopel. Bei einem längeren Aufenthalte kam Gerlach in genauere Bekanntschaft mit dem Patriarchen, dem er im Jahre 1575 im Auftrage von Crusius und Jakob Andreä, einem andern Theologen in Tübingen, einen Abdruck der griechischen Uebersetzung des Augsburgischen Bekenntnisses übergab. Der Patriarch theilte diese Schrift mehren seiner Geistlichen mit, und versprach, sie reiflich zu prüfen und seine Meinung darüber schriftlich abzugeben. Dies geschah im folgenden Jahre in einem Schreiben an Crusius und Andreä, die er weise Deutsche und seine geistlichen Söhne nannte, während er sich als den allgemeinen Patriarchen des neuen Roms bezeichnete und sie ermahnte, sich mit der griechischen Kirche näher zu vereinigen. Die Theologen in Tübingen schickten im Jahre 1577 ihre Antwort ab, die der Patriarch erst im folgenden Jahre in Thessalonich erhielt, wo er die ihm unterworfenen

 

 

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Kirchen besuchte. Er antwortete bald nachher und versprach eine ausführliche Erwiderung, die endlich im Jahre 1579 nach Tübingen kam. Der Patriarch erörterte darin die Satzungen, in welchen die griechische Glaubenslehre von dem Augsburgischen Bekenntnisse abwich, und ermahnte die Tübinger noch einmal, sich mit seiner Kirche zu vereinigen. Bald nachher wurde der Patriarch auf Anstiften seiner Feinde seines Amtes entsetzt, und Gerlach kehrte mit der kaiserlichem. Gesandschaft nach Deutschland zurück. Crusius und Andreä setzten ihren Verkehr mit dem Patriarchen fort und beantworteten 1580 seine Erwiderung, indem sie die Augsburgische Confession vertheidigten und ihm zugleich ihre Theilnahme an seinem Mißgeschicke bezeigten. Der Patriarch dankte ihnen, daß sie einem Unglücklichen ihre Freundschaft nicht entziehen wollten, bat aber, ihren theologischen Briefwechsel aufhören zu lassen, da er sähe, daß sie sich durch die Zeugnisse der ersten Kirchenlichter nicht überzeugen ließen. Die Theologen in Tübingen aber antworteten noch einmal, daß sie die Kirchenväter, in sofern dieselben mit der heiligen Schrift übereinstimmten, in Ehren hielten, und die Hoffnung hegten, der Patriarch werde mit der Zeit sich überzeugen, daß das Augsburgische Bekenntniß auf die Schrift gegründet sei. Der Briefwechsel wurde, wie es scheint, nicht fortgesetzt, hatte jedoch die Folge, daß die Augsburgische Confession im Morgenlande bekannter wurde, da Michael Kantakuzenos sie in das Neugriechische übersetzte, und ein Fürst von Georgien eine Uebersetzung in der Sprache seines Landes besorgen ließ *). Der geheime Briefwechsel zwischen dem Patriarchen und den Theologen in Tübingen gab den Katholiken in Polen Anlaß zu vielen ungerechten Beschuldigungen. Der gelehrte Domherr in Krakau, Stanislaus Sokolowsli (Socolovius), Hofprediger und Beichtvater des Königs Stephan, erhielt durch einen griechischen Archimandriten Nachricht von dem Geheimnisse und von dem Wunsche der Lutheraner, eine Vereinigung mit der griechischen Kirche zu stiften. Als er später das Schreiben des Patriarchen über die Augsburgische Confession aus Konstantinopel erhalten hatte, veranstaltete er eine lateinische Uebersetzung mit Anmerkungen in einer Zuschrift an den Papst Gregor XIII., und ließ einen andern Angriff gegen die Theologen in Tübingen folgen **). Crusius antwortete mit einer Rechtfertigungsschrift,

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*) S. Acta et scripta Theologorum Würtembergens. et Patriarchae Constantinopol. Hierimiae ab anno 1576 usque ad a. 1581 de Augustana confessione — Wittenberg 1584.

**) Censura orientalis ecclesiae de praecipuis nostri saeculi haereticorum dogmatibus, Hierimiae Constantinopol. Patriarchae, judicii et mutuae communionis causa, ab orthodoxae doctrinae adversariis non ita pridem oblatis — Krakau 1582. Ultima responsio Protestantium ad censuram Patriarchae Constantinopol. de articulis Augustanae confessionis — Krakau 1583.

 

 

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worin sämmtliche Verhandlungen abgedruckt waren, und Sokolowski gab bald eine heftigere Erwiderung *).

 

Siegmund III. wurde von den Jesuiten eifrig ermahnt, die Vereinigung der griechischen Kirche in Polen mit dem römischen Stuhle zu versuchen, die man leichter zu bewirken hoffen könnte als die Bekehrung der Protestanten, weil die Griechen weniger Einsicht und Kenntnisse hätten als diese, und auch nur ein geringer Unterschied zwischen der katholischen und griechischen Kirche wäre, und es wurde dabei die Besorgniß ausgesprochen, daß eine fortdauernde Verfolgung der Griechen und der Protestanten beide Parteien zu einer engeren Verbindung führen könnte. Der König ließ durch den Jesuiten Possevin im Jahre 1590 die Berufung einer Synode der griechischen Geistlichkeit veranstalten, die über die beabsichtigte Vereinigung berathen sollte; da aber das gewünschte Ergebniß nicht erlangt wurde, so bewog Possevin die griechischen Bischöfe zu Lutzk, Pinsk, Chelm und Lemberg, eine Uebereinkunft für die Beförderung der Vereinigung mit Rom zu schließen, was sie ohne Vorwissen ihres Oberhauptes, des Metropoliten von Kiew, Michael Rahoza, thaten, der sich auf jener Synode gegen die Vereinigung erklärt hatte. Der Patriarch von Konstantinopel, Jeremias II., hatte mittlerweile im Jahre 1588 auf seiner Rückreise von Moskau die griechischen Kirchen in Polen besucht, war aber in Kiew nicht nach seinen Erwartungen aufgenommen, und als er später Nachricht von den Ereignissen in Polen erhielt, verfügte er die Absetzung des Metropoliten Rahoza. Dies brachte eine lebhafte Aufregung unter der Geistlichkeit in Polen hervor, und erleichterte der katholischen Partei die Erreichung ihres großen Zweckes, indem dadurch die vier griechischen Bischöfe in ihrer Absicht, sich mit Rom zu vereinigen, befestigt wurden, und nun ließ sich selbst der Metropolit von Kiew völlig für eine Sache gewinnen, welcher er sich früher widersetzt hatte. Man bedurfte, um die Vereinigung sicherer zu bewirken, eines talentvollen und angesehenen Mannes, und fand ihn in dem Castellan von

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*) Turcograeciae libri octo a Martino Crusio — editi — quibus Graecorum status sub imperio Turcico in politica et ecclesiastica oeconomia et scholis — describitur — Basel 1584. — Stanislai Socolovii ad Wirtembergensium theologorum invectivam — brevis responsio — Krakau 1584.

 

 

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Brzesc in Lithauen, Adam Pociey, der zur griechischen Kirche gehörte und von einer vornehmen Familie war. Er ließ sich bewegen, seine Senator-Würde niederzulegen und in einen Mönchsorden zu treten, was in der griechischen Kirche unumgänglich nothwendig ist, um einen Bischofsitz zu erlangen, und erhielt bald nachher das Bisthum Wladimir. Seine Bemühungen beförderten nicht wenig die Vereinigung mit der römischen Kirche, und der Metropolit Rahoza berief zu diesem Zwecke im December 1594 eine Synode nach Brzesc in Lithauen, auf welcher der katholische Bischof von Lutzk, Bernhard Maciejowski, als päpstlicher Legat den Vorsitz hatte. Der Metropolit und die Bischöfe, die hauptsächlich durch die Hoffnung, Sitze im Senate zu erhalten, sich leiten ließen, gaben ihre Zustimmung zu der Vereinigung und erwählten Pociey und den griechischen Bischof von Lutzk, Cyrillus Terlecki, zu ihren Bevollmächtigten, welche mit Empfehlungsschreiben des Königs an den Papst, und ansehnlichen Geldmitteln, im Jahre 1595 nach Rom reisten. Sie wurden von Clemens VIII. mit großer Auszeichnung aufgenommen, und nach einigen Verhandlungen verpflichteten sie sich endlich zu der, auf der Kirchenversammlung zu Florenz beschlossenen Vereinigung mit der römischen Kirche, wodurch sie den Ausgang des heiligen Geistes vom Vater und dem Sohne, das Fegefeuer und die Herrschaft des Papstes anerkannten, wogegen sie die slavonische Sprache bei dem Gottesdienste, das Ritual und die Kirchenzucht der morgenländischen Kirche beibehalten durften. Als sie im Jahre 1596 nach Polen zurückkamen, befahl der König die Berufung einer Synode, welche die Vereinigung verkünden und allgemein einführen sollte. Sie versammelte sich im October 1596 zu Brzesc in Lithauen, und es erschienen nicht nur die griechischen Bischöfe, sondern auch mehre Staatsbeamte und Edelleute von der griechischen Kirche. Der Metropolit. und die Bischöfe, welche in Rom gewesen waren, und ihre Anhänger unterzeichneten die Beschlüsse der Synode, dankten Gott, daß er die Irrenden in seinen Schafstall zurückgeführt habe, und sprachen gegen die Widersacher der Vereinigung den Bann aus.

 

Der größte Theil des Adels von der griechischen Kirche, mit dem Fürsten Konstantin Ostrogski an der Spitze, widersetzten sich der Vereinigung, und der Fürst veranstaltete eine zahlreiche Versammlung von Edelleuten und Geistlichen, die gegen Rom waren, und die Beförderer der Vereinigung wurden von ihnen mit dem Banne belegt. Es war eine der verderblichen Folgen dieses Ereignisses, daß Zwietracht die griechische Kirche in Polen trennte, und die zahlreichen Anhänger des Patriarchen zu Konstantinopel, die sich den Verfolgungen der durch des

 

 

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Königs Ansehen unterstützten katholischen Partei ausgesetzt sahen, unzufrieden wurden. Viele suchten die Vereinigung aus politischen Gründen zu rechtfertigen, und wollten darin eine Maßregel finden, die darauf berechnet wäre, die Einheit des Reiches zu befestigen, die Pflichttreue der russischen Bevölkerung zu erhöhen, und die wachsende moskowitische Macht zu hindern, einen der Unversehrtheit des Staates gefährlichen Einfluß auszuüben. Diese Frage ist durch das Zeugniß der Geschichte entschieden. Polen, das seine Herrschaft über Millionen Russen von dem griechischen Bekenntnisse ausgedehnt hatte, fand in ihnen, so lange ihr Glaube nicht angetastet wurde, die treuesten Unterthanen, welche die freien Staatseinrichtungen Polens dem Despotismus der Moskowiter vorzogen, ungeachtet diese ihre Glaubensbrüder waren. Auch waren viele polnische Krieger, die sich in den Feldzügen gegen den Zar ausgezeichnet hatten, eifrige Anhänger der griechischen Kirche. Wenige Jahre nach der Vereinigung der griechischen Kirche mit Rom brach der Aufstand der Kosaken gegen die polnische Herrschaft aus, der blutige Kriege, und endlich ihre Trennung vom Reiche herbeiführte.

 

Wir haben bereits erzählt, daß die Mitglieder der Synode zu Thorn mit dem Bevollmächtigten des Fürsten Ostrogski eine Zusammenkunft der Protestanten und Griechen verabredet hatten, die eine Vereinigung zu wechselseitigem Schutze gegen die Verfolgungen der katholischen Partei schließen sollte. Verschiedene Umstände hinderten die Ausführung, bis endlich zu Anfange des Jahres 1599 der Palatin von Brzesc in Cujavien, Andreas Leszczynski, mit dem Palatin von Wilna, Christof Radziwill, und dem Fürsten Ostrogski die Uebereinkunft traf, daß Geistliche der drei protestantischen Bekenntnisse mit einigen griechischen Priestern in Wilna sich über die Bedingungen einer religiösen und politischen Vereinigung besprechen sollten. Leszczynski bat den Superintendenten der böhmischen Brüder, Simeon Theophilus Turnowski, sich in Wilna einzufinden, wo dieser auch am 14. Mai 1599 mit Mikolajewski, dem Aeltesten der reformierten Kirche in Cujavien, und Erasmus Gliczner eintraf. Turnowski legte seinen beiden Gefährten folgende Bemerkungen vor: „Da wir nach Wilna berufen werden, um eine Vereinigung mit den Anhängern der griechischen Kirche zu stiften, so ist es nothwendig, daß wir an dem Sandomirischen Vergleiche festhalten und, alle gegenseitigen Beschwerden vergessend, ihn durch Wort und That empfehlen. Die Zwietracht zwischen den reformirten und lutherischen Geistlichen in Wilna, die täglich zu vielfachem Aergernisse Anlaß geben, muß bald ausgeglichen werden, und da die lutherische Gemeinde zu Wilna sich seither geweigert hat, den Sandomirischen Vergleich

 

 

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anzunehmen, so möchte Erasmus Gliczner es versuchen, sie dazu zu bewegen. Wenn die Besprechungen mit den griechischen Geistlichen beginnen, so wollen wir stets einmüthig handeln, damit wir, indem wir uns mit ihnen zu vereinigen suchen, nicht verrathen, daß wir selbst uneinig sind.” Gliczner und Mikolajewski stimmten diesen Aufforderungen bei, und versprachen, darnach zu handeln.

 

Sie wurden im Namen des Fürsten Ostrogski bewillkommt, da aber der Fürst Radziwill und Andreas Leszczynski noch nicht angekommen waren, so konnten sich die protestantischen Theologen noch nicht in Erörterungen mit den griechischen Geistlichen einlassen. Turnowski stellte diejenigen Puncte zusammen, über welche mit den Vertretern der morgenländischen Kirche Verhandlungen eröffnet werden sollten, und als einige protestantische Theologen sie gebilligt hatten, ließ der Fürst Ostrogski sie in folgende Fragen an die griechische Geistlichkeit zusammenfassen: 1) „Begnügt Ihr euch mit dem wahren Worte Gottes, wie es in dem alten und neuen Testament enthalten ist, oder bestimmter zu reden, nehmet Ihr an, was Moses, die Propheten, die Evangelisten und die Apostel geschrieben haben, und glaubet Ihr fest, daß ihre Schriften, als vom heiligen Geiste eingegeben, für die Belehrung, Ermahnung, Besserung und die Ausübung der Gerechtigkeit unter den Menschen nützlich sind, und einen Menschen vollkommen, und zu jedem guten Werke völlig tüchtig, und durch den Glauben zum ewigen Heile fähig machen können? 2) Schenkt Ihr den Kirchenvätern unbedingten Glauben wegen ihrer Frömmigkeit, wenn Ihr auch in einigen, das Wort Gottes betreffenden Dingen nicht mit ihnen übereinstimmt? 3) Wenn sich ergeben sollte, daß irgend etwas in Eurer Lehre und Eurem Gottesdienste mit dem Worte Gottes und den apostolischen Lehren im Widerstreite wäre, würdet Ihr Euch dann für verpflichtet halten, eine Aenderung nach dem Worte Gottes vorzunehmen? 4) Betrachtet Ihr als Eure Brüder und Mitanbeter Gottes alle, die sich in ihrer Gottesverehrung und ihren Handlungen dem göttlichen Worte gemäß zeigen, und haltet Ihr die Feinde unseres Herren Jesu Christi und des göttlichen Wortes für den Antichrist? 5) Wollet Ihr nach den Vorschriften unseres Herrn Jesu Christi Euch in Liebe und zu wechselseitigem Rath und Beistande in gemeinsamen Gefahren und Angelegenheiten gegen den Antichrist und seine Diener mit denjenigen vereinigen, welche, mit dem wahren Worte Gottes sich begnügend, seiner Leitung und Lehre sich gänzlich unterwerfen, Christus als ihren Hirten und das einzige Haupt der Kirche betrachten, die Sacramente nach seiner Einsetzung empfangen, die Aussprüche der ersten allgemeinen Kirchenversammlungen annehmen,

 

 

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und die heiligen Kirchenväter, deren Schriften mit der Bibel übereinstimmen, als Lehrer, von Gott gesandt, und als nützlich für die Erbauung der Kirche betrachten?"

 

Erst am 24. Mai konnte die Zusammenkunft der protestantischen Theologen mit den griechischen Geistlichen im Palaste des Fürsten Ostrogski stattfinden. Als sie in den Saal traten, fanden sie Lukas, den Metropoliten von Bialygorod, Isaak, den Vorsteher des Klosters Dubro, und den Achidiakonus Gideon von Dubro. Der Empfang, den die Protestanten fanden, war für die beabsichtigte Vereinigung nicht von guter Vorbedeutung, denn Isaak sprach zu Turnowski, indem er ihm die Hand reichte: „Ich heiße Euch willkommen, obgleich die heilige Schrift uns verboten hat, Ketzer zu bewillkommen.” Turnowski antwortete bescheiden auf diese seltsame Begrüßung, und äußerte sein Erstaunen, daß Isaak sie als Ketzer betrachte, ohne sie je gesehen zu haben. Der Fürst Ostrogski eröffnete die Verhandlungen mit einer Rede, worin er bei Gott und seinem Gewissen betheuerte, daß er nichts so lebhaft wünsche, als gegenseitige Eintracht unter denjenigen gestiftet zu sehen, die ein Haupt der Kirche, Jesus Christus, anerkennten, und sein Evangelium lehrten, weil es Gott gefällig sein, und zur Erhaltung des Friedens und zur Vertheidigung gegen die Diener des Antichrists dienen würde. „Gott gewähre es mir”, setzte er hinzu, „daß ich eine Vereinigung zwischen unserer griechischen und Euren evangelischen Kirchen zu Stande kommen sehe, und mit diesem Troste würde ich gern morgen sterben.” Erasmus Gliczner dankte dem Fürsten für die Bemühungen zur Beförderung der Ehre Gottes, und fügte hinzu, daß die polnischen Protestanten nicht abgeneigt wären, ein Einverständniß mit der griechischen Geistlichkeit, und selbst, wenn dies möglich sein sollte, eine Vereinigung mit der morgenländischen Kirche zu stiften. Der Metropolit Lukas unterbrach ihn mit den Worten: „Bildet Euch nicht ein, daß wir uns mit Euch, unseren Glauben verlassend, vereinigen werden; wenn Ihr nicht Euren Glauben aufgebt und den unsrigen annehmet, so gibt es kein anderes Mittel zu einer Vereinigung.”

 

Diese Worte, die gleich bei der Eröffnung der Verhandlung die Hoffnung auf eine Vereinigung zerstörten, reizten den Fürsten Ostrogski, der den griechischen Geistlichen einen strengen Verweis gab und, zu dem Protestanten sich wendend, fortfuhr: „Wenn unsere Geistlichkeit sich der Eintracht mit Euch widersetzen will, so werden wir Eintracht und gegenseitige Liebe auch ohne sie haben.” Darauf sagte Turnowski in einer langen Rede, daß die morgenländische Kirche zwar nicht ganz frei von Irrthum sei, aber in ihren Lehren viele Satzungen enthalte, die

 

 

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dem Inhalte der protestantischen Bekenntnisse verwandt sein; wie sie denn unter andern den römischen Antichrist nicht als das Haupt der Kirche anerkenne, sondern Jesus Christus als das einzige Haupt dieser Kirche betrachte, und gleichfalls in vielen andern Satzungen mit der heiligen Schrift und den Protestanten übereinstimme. „Gott“, fuhr er fort, „ladet uns durch die Verfolgungen unserer Feinde, der Anhänger des Antichrists, zu einer Vereinigung ein. Glücklich schätze ich diesen Tag, wo Gott mir vergönnt hat, in Verbindung mit meinen Brüdern die Anhänger der griechischen Kirche hier zu finden, und mit ihnen über Angelegenheiten zu reden, die zu unserem wechselseitigen guten Einverständnisse und zu einer Vereinigung in brüderlicher Liebe gehören. Ich erkläre in meinem und meiner Brüder Namen, daß wir bereit sind, uns mit Euch zu vereinigen, und nicht nur mit denjenigen, die im polnischen Gebiete wohnen, sondern auch mit denjenigen, die in Griechenland und im moskowitischen Gebiete leben, damit wir, in Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift, zu einem Einverständnisse über alle Glaubenssatzungen und die Gebräuche unseres Gottesdienstes kommen. Wollet Ihr uns nun zeigen, daß irgend etwas in unserer Lehre nicht in Uebereinstimmung mit der heiligen Schrift sei, so sind wir bereit, es zu verwerfen. Sollten wir aber in Eurer Lehre etwas finden, was der Schrift widerstreitet, so werdet Ihr es gleichfalls aufgeben und, die Wahrheit annehmend, Euch mit uns vereinigen. Was aber die Art betrifft, wie eine solche Uebereinkunft unter uns gestiftet werden soll, so glaube ich, daß Ihr auf Euren Vorgesetzten, den Patriarchen von Konstantinopel, Rücksicht nehmen und über diese Angelegenheit nicht sogleich zu einem Abschlusse kommen werdet. Doch kann mit Gottes Beistande dieses heilige Werk zwischen Euch und uns eingeleitet und der Grund dazu gelegt werden, wenn mehr Personen von beiden Theilen sich hier versammeln. Wir wünschen daher zu erfahren, wie Ihr diese unsere brüderliche Absicht aufnehmet, und was Ihr darüber meint.” Mikolalewski sprach in gleichem Sinne, und deutete auf verschiedene Satzungen, in welchen, wie er sagte, die Papisten geirrt hätten, die aber die Griechen, in Uebereinstimmung mit der Schrift, wie die Protestanten glaubten.

 

Nach diesen Reden dankte Ostrogski den Protestanten für ihre Gesinnungen und ihre Neigung zu einer Vereinigung mit der morgenländischen Kirche. Isaak und Gideon dankten Gott, daß ihnen vergönnt sei, zwischen ihnen und dem Protestanten diejenige gegenseitige Liebe befestigt zu sehen, an welcher man, nach den Worten Christi, seine wahren Jünger erkenne. Isaak zeigte in einer langen Rede, die

 

 

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morgenländische Kirche sei darin mit den Protestanten einig, daß sie Jesus Christus als das einzige Haupt der Kirche betrachte, und als die Grundlage des Glaubens das alte und neue Testament, die Schriften der Kirchenväter und die ersten sieben allgemeinen Kirchenversammlungen ansehe, und schloß mit der Bemerkung, daß die griechische Geistlichkeit keinen entscheidenden Schritt hinsichtlich einer Vereinigung mit den Protestanten thun könne, ohne Ermächtigung der Patriarchen zu Konstantinopel und Alexandrien, welche jedoch einer solchen Vereinigung wahrscheinlich nicht entgegen sein würden. Darauf erhoben sich alle und gaben sich die Hände zum Zeichen brüderlicher Eintracht. Einer der griechischen Geistlichen sprach zu den Protestanten: „Wollte Gott, Ihr Herren hättet, um einer guten Regierung willen, Euch der Gewalt des Patriarchen unterworfen!“ Der Fürst Ostrogski antwortete darauf verweisend: „Wie könnt Ihr denken, daß diejenigen, die dem Papste nicht gehorchen wollten, dessen Gewalt sehr bedeutend ist, sich dem Patriarchen unterwerfen würden, der weit weniger Gewalt hat?”

 

Weitere Verhandlungen über diese Angelegenheit wurden bis zur Ankunft des Palatins Andreas Leszczynski aufgeschoben, der am 27. Mai eintraf, von einigen Theologen begleitet. Turnowski gab ihm Nachricht von dem Ergebnisse der ersten Unterredung mit den griechischer Geistlichen, worauf am folgenden Tage alle protestantischen und griechischen Theologen sich wieder in der Wohnung des Fürsten Ostrowski versammelten. Es konnte ohne Zustimmung des Patriarchen zu Konstantinopel nicht zu einer Vereinigung in den Lehrsätzen kommen, und man begnügte sich daher, diejenigen Satzungen, in welchen die Protestanten mit den Griechen übereinstimmten, vorzulesen, als vorläufige Grundzüge der beabsichtigten Vereinigung. Es wurden für gemeinsame Glaubenssatzungen erklärt: 1. „Die heilige Schrift ist die Quelle der Wahrheit und der Lehre des Heils. 2. Gott ist einig in der Substanz der Gottheit, aber dreifach in der Person. 3. Diese drei Personen sind verschieden, haben aber dieselbe Wesenheit, und keine ist vor oder nach der andern, wie es dem nicäischen Glaubensbekenntnisse gemäß ist. 4. Der Inhalt des apostolischen Glaubensbekenntnisses ist das Wesen des wahren Glaubens und Gottesdienstes. 5. Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist Gott von der Substanz des Vaters, erzeugt ehe die Welt war, und Mensch von der Substanz seiner Mutter, geboren in der Welt zu unserem Heile. 6. Indem Christus sich Gott dem Vater für uns hingab, hat er durch seinen Tod für unsere Sünden vollkommen gebüßt. 7. Gott ist weder die Ursache noch der Urheber der Sünde. 8. Alle Menschen werden in der Erbsünde empfangen und

 

 

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geboren. 9. Die Sünden derjenigen, die bereuen und sich wahrhaft bekehren, werden vergeben. 10. Wahre Christen müssen gute Werke verrichten. 11. Christus allein ist das einzige Haupt der Kirche, der sichtbaren und der unsichtbaren. 12. Der Dienst der Geistlichen ist nothwendig für die Kirche Gottes zur Verkündigung des göttlichen Wortes und zur Austheilung der Sacramente. 13. Die Ehe der Geistlichen ist nicht verboten. 14. Die Kinder sollen getauft werden. 15. Alle Gläubigen sollen das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen. 16. Die heilige Schrift sagt nichts vom Fegefeuer zur Reinigung der Seelen nach dem Tode. 17. Christus, nachdem er körperlich in den Himmel gefahren ist, sitzet zur Rechten des Vaters, des allmächtigen Gottes, von wannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten. 18. Wie die Seligkeit der Gläubigen ewig ist, so ist auch die Strafe der Verdammten ohne Ende.”

 

Turnowski machte den Vorschlag, jährlich abwechselnd griechische und protestantische Synoden zu halten, um über die, zwischen beiden Glaubensparteien streitigen Lehren zu einem Einverständnisse zu gelangen. Die griechische Geistlichkeit aber, die keine Ermächtigung von dem Haupte ihrer Kirche hatte, mit den Protestanten über eine Vereinigung zu unterhandeln, weigerte sich, in Glaubensfragen einzugehen, so sehr der Fürst Ostrogski sich angelegen sein ließ, sie zu überreden. Sie ließen sich nur mit großer Mühe zu dem Versprechen bewegen, daß sie weder mündlich noch schriftlich gegen die beabsichtigte Vereinigung sich erklären, sondern jede öffentliche Erörterung dieser Angelegenheit die zum Empfange der Antworten von den beiden Patriarchen aussetzen wollten, an welche die protestantischen Theologen bei dem Schlusse der Synode besondere Schreiben richteten *).

 

Als nun die protestantischen und griechischen Edelleute sahen, daß es unmöglich war, eine Glaubensvereinigung zwischen ihren beiderseitigen Kirchen ohne Zustimmung des Patriarchen zu Konstantinopel zu stiften, begnügten sie sich, eine sogenannte Conföderation oder politische Einigung zur gegenseitigen Beschützung ihrer Rechte und Freiheiten zu schließen, oder eigentlich zu strenger Behauptung der Conföderation vom 6. Januar 1573, die zu den Grundgesetzen des Staats gehörte.

 

Die von beiden Theilen zu Wilna unterzeichnete

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*) Wie Friese (a. a. O. S. 252) angibt, wurde die Antwort des Patriarchen von Konstantinopel von den Jesuiten aufgefangen; das Schreiben des Patriarchen von Alexandrien aber kam in Polen an. Von dem Inhalte sagt er nichts.

 

 

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Vereinigungsurkunde *) bezeichnet mit scharfen Zungen die Verfolgungen, welchen die Protestanten und Griechen schon in jener Zeit ausgesetzt waren, obgleich die Landesgesetze ihnen völlige Rechtsgleichheit mit den Katholiken verbürgen. „Man hat — heißt es darin — viele unserer Kirchen, Klöster und Gotteshäuser zerstört und verwüstet, und sich dabei schändliche Räubereien und Grausamkeiten, Blutvergießen und Mordthaten erlaubt, mit unerhörtem Frohlocken, ohne die Lebendigen, und selbst die Todten zu schonen. Viele Kirchen sind von den römisch-katholischen Geistlichen, die zugleich als Kläger und Richter auftraten, auf widerrechtlich erschlichene Verfügungen eingezogen worden, und sie bemühen sich, uns durch ähnliche Mittel noch mehre zu nehmen. An mehren Orten sind bereite Verbote ergangen, wodurch man uns verwehren will, andächtige Versammlungen zu halten, den Gottesdienst, Begräbnisse und andere christliche Handlungen zu verrichten, und Kirchen und Gotteshäuser anzulegen. Unsere Geistlichen, Pfarrer, Vorsteher, Lehrer und Prediger werden wegen ihrer Beständigkeit im Glauben verfolgt, verläumdet, auf allerlei Weise beschimpft, in ihren Wohnungen angefallen, beraubt, vertrieben, aus ihrem Eigenthume gestoßen, in ihren hinterlassenen Gütern zum Nachtheile ihrer Erben verletzt, auf offener Landstraße und in den Städten aufgegriffen, in Gefängnisse eingesperrt, geschlagen, ersäuft, ermordet, und statt ihrer den Gemeinden Seelsorger aufgedrungen, welche wir für Abtrünnige von den morgenländischen Patriarchen, und daher für unfähig halten, in unseren Kirchen zu dienen, die zwar von Seiner königlichen Majestät mit Geistlichen besetzt werden, doch nicht dem römischen Stuhle unterworfen sind.” Darauf folgen Beschwerden über die Begünstigungen der Abtrünnigen, die sich von dem Patriarchen zu Konstantinopel losgesagt und dem Papste unterworfen haben, und es heißt weiter: „Ja sie begnügen sich nicht, den dem Gottesdienste gewidmeten Orten und Personen Gewalt anzuthun, sie greifen auch die Laien, besonders die zu dem Bürgerstande gehörenden an, die sie, bloß des Glaubens wegen, aus den Zünften, Innungen und Kaufmannsgilden stoßen, ja aus ihren Häusern verjagen, indem sie ihnen Ungleichheit des Standes, Unfähigkeit ein Zeugniß abzulegen, vorwerfen. Ist ein Paar von unseren Geistlichen getraut worden, so nennen sie die Nachkommen unehelich; sie suchen den Aeltern das Recht, ihre Töchter zu verheirathen, mit List aus den Händen zu spielen, verurtheilen

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*) Lateinisch und französisch in den Beilagen zu Fundamenta liberae religionis Evangelicorum, Reformatorum et Grecorum in regno Poloniae et magno ducatu Lithuaniae — 1764. Deutsch in Friese’s Beitr. Bd. II. Th. 2. S. 255 ff. .

 

 

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die ohne ihre Genehmigung Verehelichten zu den Gefängnissen der katholischen Kirche, und ziehen das Urtheil über weltliche Eheverträge vor ihre Gerichte.”

 

Die Urkunde sagt weiter, daß die Verfolgung sich bereits auf den protestantischen Ritterstand zu erstrecken anfange, obgleich derselbe mit den Katholiken gleiche Rechte genieße und dem König und dem Vaterlande mit Eifer gedient habe. „Wir werden, weil wie standhaft bei unserem Glauben bleiben, durch die arglistigen Kunstgriffe der römischen, Geistlichen aus den Staatsämtern verdrängt, von Sanatorstellen, Kronwürden, Starosteien und andern einträglichen Stellen, ja sogar von dem Kriegsdienste der Republik ausgeschlossen, wiewohl wir gleiche Ansprüche mit den Katholiken haben, und selbst in unseren Privatangelegenheiten und in der Förderung unseres Glückes und häuslichen Wohlstandes werden uns, durch unbillige Begünstigung anderer, vielfache Schwierigkeiten gemacht, und wenn wir uns über Unrecht und Kränkungen beschweren und mit Thränen um Abhilfe bitten, erhalten wir, statt tröstender Worte, nur Spott und Verachtung, ja oft will man uns nicht einmal anhören. Wir können die in der Conföderation versprochene rechtliche Hilfe nicht nur nicht erhalten, sondern man läßt sich auch verlauten, wie wir in den Schriften der katholischen Geistlichkeit lesen und auch von den Weltlichen auf Reichstagen und in Gerichten oft hören, daß sie die Conföderation von 1573 nicht als ein Reichsgesetz anerkennen, und die Billigung und Beachtung derselben mit ihrem Gewissen unvereinbar finden. Durch alles dies nun wird das einzige Band der Einigkeit im Inneren, der Liebe, des Vertrauens und des Frieden, das von unseren Vorfahren und uns wohlbedächtig geknüpft und erhalten worden, und uns bei den Nachbarn, für welche es ein Beispiel gewesen ist, den Ruhm der Weisheit erworben hat, geschändet und zerrissen, da doch in so manchen Drangsalen, für welche wir nicht Abhilfe fanden, bei dem Gedanken an jenes Band, so lange die erwähnten Erklärungen noch nicht bekannt geworden waren, die Hoffnung uns aufrichtete, daß unsere Beleidiger ihr Unrecht einsehen würden. Da nun aber jene Erklärungen, welche statt einer Antwort gelten sollen, uns von vielen, die sich auf mancherlei Weise und immer auffallender von uns absondern, zu unserer Beschimpfung, Bedrohung und Bestrafung gegeben werden, und man zugleich versichert, daß es in wenigen Jahren mit unserem Gottesdienste vorbei sein werde, da man in Predigten heftig gegen uns eifert, das Volk wider uns aufhetzt, Mittel zu unserer Vertilgung angibt, und denjenigen, die sich gegen uns aufbringen lassen, den Segen ertheilt, da wir sehen, daß man im neuerer Zeit

Krasinski.

 

 

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Verbindungen, Brüderschaften und Verständnisse gegen uns gestiftet hat, bei den uns zugefügten Beleidigungen große Nachsicht gegen die Schuldigen zeigt und Stände, Gerichte und Beamte sich oft mit ihnen verbinden; da wir bemerken müssen, daß wir statt Linderungen, immer härtere Bedrückungen, ja, was Gott verhüte, grausame Verfolgungen, wie sie in andern Ländern durch dieselben Werkzeuge, die wir bei uns in alle Regierungsgeschäfte eindringen sehen *), angestiftet wurden, zu befürchten haben; so sehen wir, fast gegen unseren Willen, uns dazu gedrungen, für uns selbst und unsere Sicherheit zu sorgen, und zu verhüten, daß uns solches Loos jetzt und künftig treffen möge, und um so mehr und sorgfältiger, weil auf dieser unserer Vorsorge, nicht nur unsere eigene, sondern auch die allgemeine Wohlfahrt, ja nicht nur die Behauptung der gemeinsamen, durch Verträge und Eide verbürgten Rechte, nicht nur die Sicherheit und das Wohl des Staates, sondern auch die Erhaltung und Beförderung der Ehre Gottes beruht. In Erwägung all dieser Umstände bestehen wir, die Bekenner des griechischen und evangelischen Glaubens, auf der von der Republik einmal gelegten, und von uns, ohne Rücksicht auf andere, die davon abgewichen sind, heilig gehaltenen Grundlage, nämlich auf der zu Warschau geschlossenen allgemeinen Conföderation, und wir sind willig und bereit, nach dem Inhalte derseiben, auch den Bekennern des römisch-katholischen Glaubens, die mit uns in Frieden und Einigkeit leben wollen, wozu die Conföderation sie verpflichtet, und deren es gewiß noch viele geben wird, alle Liebe, Gewogenheit und brüderliche Dienstgefälligkeit unwandelbar zu beweisen.”

 

Es geht aus diesen Erklärungen hervor, daß die zu Wilna geschlossene Vereinigung zwischen den Anhängern der griechischen Kirche und den, durch den Sandomirischen Vergleich verbündeten Protestanten, einen durchaus pflichtgetreuen und erhaltenden Charakter hatte und nur auf die Beschützung des Grundgesetzes gegen die zerstörenden Kunstgriffe der Jesuiten und ihrer Partei gerichtet war, welche bei ihrem Versuche, das Gesetz umzustürzen, eine gefährliche Umwälzung in den Staatseinrichtungen beabsichtigten. Die Vereinigungsurkunde setzte fest, daß die Glaubensfreiheit des Volkes durch alle gesetzlichen und verfassungsmäßigen Mittel vertheidigt, und, wenn diese Mittel unwirksam blieben, Gewalt mit Gewalt vertrieben werden sollte, weil, wie die Urkunde sagte, Jedermann bei verübten Gewalttaten andern zu Hilfe

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*) Wie hier, werden überall in der Vereinigungsurkunde, die Jesuiten nur mit andeutenden Ausdrücken bezeichnet. L.

 

 

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eilen müsse, wie zum Löschen bei einer allgemeinen Feuersbrunst. Zu wirksamerer Beschützung der Nichtkatholiken gegen die täglich zunehmende Bedrückung wurden sogenannte Provisoren oder Friedensbesorger aus den Senatoren und den einflußreichsten Edelleuten von den griechischen und protestantischen Bekenntnissen erwählt, welche die Kirchen und Stiftungen, wie auch einzelne Personen, gegen die Ränke der Katholiken beschützen sollten.

 

Diese Vereinigung, welche die Stärke der Gegner Roms offenbarte, verschaffte ihnen zwar auf einige Jahre Ruhe gegen Verfolgungen, hatte aber nicht die Wirkungen, die man davon hätte erwarten können. Die Schuld traf die Verbündeten selbst, welche sich begnügten, jene Stärke nur zu zeigen, die sie hätten anwenden sollen, um völlige Abhilfe für alle Verletzungen des wesentlichsten Theiles der Verfassung zu erlangen, jenes Theiles, der die Gewissensfreiheit jedes Staatsbürgers sicherte. Ihre Streitkräfte waren so bedeutend, daß eine bloße Aufstellung derselben alle verrätherischen Ränke zum Umsturze der Verfassung, die der bethörte König und seine bösen Rathgeber, die Jesuiten, hätten ersinnen können, vereitelt haben würde. Dies hätte ohne Blutvergießen sich bewirken lassen, da die Verbündeten bei ihren verfassungsmäßigen Foderungen des Beistandes aller aufgeklärten und patriotischen Katholiken gewiß gewesen wären; denn noch lebte Zamoyski, der diese Partei vertrat, obgleich seine Rathschläge bei dem Könige kein Gewicht mehr hatten. Die Verbündeten mußten ihre Streitkräfte versammeln, die genaueste Erfüllung aller verfassungsmäßigen Gewährleistungen fodern, und nicht eher ruhen, bis alle Uebertreter der Grundgesetze des Reiches ihre Strafe erhalten hatten. Dies würde ein heilsames Schrecken unter allen verbreitet haben, die sich gegen die Freiheit ihres VaterIandes verschworen, um dieselbe den Interessen Roms zu opfern, und wäre eine bessere Bürgschaft für die Beobachtung der Gesetze gewesen, als die leeren Versprechungen eines Königs, der sich nicht verpflichtet fühlte, Ketzern Wort zu halten. Es würde dadurch nicht nur der Bürgerkrieg verhütet worden sein, der einige Jahre später das Land zerrüttete, sondern auch die bedauernswerthe Empörung der Griechen in den südöstlichen Landestheilen, die als der Ursprung und die Hauptursache des Verfalls Polens anzusehen ist.

 

 

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Siebzehnter Abschnitt.
Bürgerkrieg gegen den König und seine Rathgeber.

 

Die Edelleute, die sich in Wilna verbündet hatten, versuchten nach den gefaßten Beschlüssen, durch gesetzliche und verfassungsmäßige Mittel Abhilfe ihrer Beschwerden zu erlangen, und bemühten sich eifrig auf dem Reichstage im Jahre 1603, die Bestätigung ihres Bundes zu bewirken. An der Spitze der Gegner Roms stand zu jener Zeit der Fürst Alexander Ostrogski, Palatin von Volhynien, ein Anhänger der morgenländischen Kirche. Sie verlangten nichts, als daß die bestehenden Gesetze gehörig vollzogen und alle Glaubensparteien von dem Könige unparteilich behandelt werden sollten. Diese gerechten Foderungen wurden von Zamoyski unterstützt, welcher das Haupt der gemäßigten katholischen Partei war, die von den Jesuiten und andern eifrigen Anhängern Roms den Namen politische Katholiken erhielt. Ihr Zweck wurde jedoch durch die Auflösung des Reichstages *) vereitelt, ein Ereigniß, das wenig dazu geeignet war, die Unzufriedenheit zu stillen. Im Jahre 1605 wurden eben so fruchtlos neue Vorstellungen auf dem Reichstage gemacht. Die Vermählung des Königs mit der Erzherzogin Constantia von Oestreich war gegen den Wunsch des Volkes, das auf den, von den Jesuiten eifrig beförderten Einfluß Oestreichs eifersüchtig war, und erhöhte die allgemeine Unzufriedenheit. Zamoyski, der jene Verbindung höchlich mißbilligte, starb im Jahre 1605, und der Tod dieses trefflichen Vaterlandsfreundes, dessen Widerstand den Fortschritt des Uebels gehemmt haben würde, ohne zu dem verzweifelten Mittel eines Bürgerkrieges zu schreiten, zerstörte jede Hoffnung, diesem Unglücke zu entgehen.

 

Die Ursachen, welche die Zerrüttungen herbeiführten, die Polen in den Jahren 1606 bis 1608 trafen, waren nicht bloß religiöser, sondern auch politischer Art. Viele Katholiken sahen mit Schrecken die Gefahren, welche der Freiheit im Bürgerleben, wie im Glauben, der wachsende Einfluß der Jesuiten drohte, die Polens freie Verfassung

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*) Das Vorrecht jedes Mitgliedes, den Reichstag durch sein Veto aufzulösen, ward erst im Jahre 1652 ausgeübt; vor jener Zeit aber wurden viele Reichstage aufgelöst, ohne ein Ergebniß zu erhalten, indem die Mitglieder, wenn sie mit dem König unzufrieden waren, oder aus andern Gründen, die Versammlung verließen und nach Hause gingen.

 

 

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offen tadelten *). Die Beschwerden, welche die Gemüther zu heftigen Maßregeln stimmten, wurden in einer Denkschrift **) dargelegt, die im Jahre 1606 in polnischer Sprache erschien, und deren Hauptinhalt wir angeben. „Die Jesuiten mischen sich eifrig in alle bürgerlichen Angelegenheiten, und sind die Urheber aller Unruhen, die seit mehren Jahren viele Länder in Bewegung gebracht haben. Der Ursprung des Uebels ist in der Kirchenversammlung zu Trient zu suchen, welche der, von den Katholiken in allen Theilen der Welt angenommenen Lehre nichts hinzufügte, keine die Kirchenzucht betreffende Anordnung machte, die nicht schon frühere Kirchenversammlungen gegeben hätten, und die übrigen Verfügungen hatten bloß den Zweck, die Gewalt der Päpste und des römischen Hofes zu vermehren. In dieser Absicht und auf Anstiften der Jesuiten, die in Glaubenssachen mehr auf menschliche Rathschläge, als auf die Fürsehung bauen, wurde die Bekanntmachung der Beschlüsse jener Kirchenversammlung so eifrig betrieben. Zur Beförderung desselben Zweckes wurden Einigungen und Bündnisse geschlossen, und die zahlreichen Töchter des Hauses Oestreich mit denjenigen Fürsten vermählt, welche von den Jesuiten gewonnen werden sollten. Durch solche Ränke hat sich der Orden zwar schon in den Besitz Polens gesetzt, hält es aber noch für nöthig, seinen Einfluß durch Einführung der spanischen Inquisition, oder einer ähnlichen Anstalt, zu befestigen, und um dies zu erlangen, sucht er die Beschlüsse der Kirchenversammlung zu Trient einzuführen, aus welcher, wie aus Pandora’s Büchse, alle Drangsale hervorgegangen sind, die Europa verheert haben. Gegen diese verderbliche Kirchenversammlung aber sind nichts die Vorrechte, welche die Jesuiten in Anspruch nahmen, und für deren Erlangung sie so listig wirkten, daß ihre Gewandtheit dem polnischen Adel und allen Völkern, welche ihre Gesetze und ihre Freiheit schätzen, die sie von ihren Vätern erhalten haben, mit Recht furchtbar geworden ist. Dies, und nur dies allein, hat alle Zerrüttungen im Reiche verursacht; denn mit ihrer erkünstelten Höflichkeit, mit ihrer ungemeinen Geschicklichkeit, auf die Gemüther der Großen Einfluß zu gewinnen und sie ihrem Willen zu unterwerfen, benahmen sich die Jesuiten, bei dem Scheine, als ob sie Polen ergeben wären und seine Wohlfahrt werth achteten, auf eine

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*) Der Jesuit Skarga sprach in seinen Predigten bitter gegen die Freimüthigkeit, womit die Landboten auf den Reichstagen ihre Meinung äußerten.

**) Eine lateinische Uebersetzung dieser Schrift erschien 1609, und eine französische 1726 zu Amsterdam unter dem Titel: „Discours aux grands de Pologne sur la nécessité de faire sortir les Jésuites du royaume, pour y rétablir l’union et la tranquillité.“

 

 

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solche Weise, daß sie zu ihrem Dienste ein zweischneidiges Schwert hatten, dessen Griff Rom und Spanien hielten, von welchen sie abhängig waren. Dies war die Ursache der zahlreichen Zugeständnisse, die der heilige Stuhl ihnen gewährte, und auf den römischen Hof bauend, wagten sie alles zu versprechen, und rühmten sich, daß ihnen nichts unmöglich sei. Sie schlichen sich an den Höfen der Fürsten ein, wurden die Beichtväter derselben, und leiteten nach ihren eigenen Wünschen, und oft zum großen Nachtheile dieser Fürsten, alle Regierungsangelegenheiten. Heinrich, der zum König von Polen erwählt ward und später das Land verließ, um den Thron seiner Väter zu besteigen, wurde von ihnen seiner Krone und seines Lebens beraubt. Sie reizten Batori *) zu bösen Anschlägen gegen seine Unterthanen, die ihn um die Herrschaft brachten. Die in England unter Elisabeth’s und Jakob’s I Regierung angestifteten furchtbaren Verschwörungen, die nur dazu dienten, die Fürsten zu erbittern und den Zustand der Katholiken zu verschlimmern, waren das Ergebniß der Rathschläge der Jesuiten. In der neuesten Zeit haben sie dem Papste gerathen, die Republik Venedig, in deren Städten sie Collegien haben, in den Bann zu thun, und die übrigen Mönchsorden zur Empörung zu verführen gesucht. Sie besitzen so viele reich begabte Schulen in Polen, daß zu befürchten ist, sie werden die Anschläge auszuführen suchen, die sie in Italien, Frankreich und vielen andern Ländern, wo die Fürsten nicht wachsam genug waren, ausgeführt haben. Zamoyski, durch seine Tugenden, seine große Vaterlandsliebe, seine Neigung zu den Wissenschaften ausgezeichnet, hat mit vollem Rechte die Jesuiten von der, durch ihn gestifteten Lehranstalt zu Zamosc ausgeschlossen, und war der weisen Meinung, daß sie nicht dazu taugen, Jünglinge in den Wissenschaften zu unterrichten und ihnen eine, den Sitten ihres Vaterlandes angemessene Erziehung zu geben. Das Beispiel dieses großen Mannes war eine Lehre für die Polen, und hätte sie überzeugen sollen, welcher große, wiewohl weit verbreitete Irrthum es ist, zu glauben, daß die Wissenschaften nicht ohne die Jesuiten gedeihen können. Da nun dieser Orden für die Republik schädlich ist und für die Jugenderziehung nicht taugt, so sollte Polen, wenn es Frieden zu erhalten wünscht, die Mitglieder desselben durch eine feierliche Verfügung vertreiben.”

 

Dies waren unstreitig die Beweggründe, die in den Jahren 1606 bis 1608 eine allgemeine Unzufriedenheit in Polen hervorriefen, wiewohl auch einige persönliche Ursachen auf die Führer der Widerstandspartei

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*) Fürst von Siebenbürgen, Stephan Batori’s Neffe.

 

 

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Einfluß gehabt haben mögen. Sobald die Unzufriedenheit zu offenem Widerstande gegen die königliche Gewalt gediehen war, kam Zebrzydowski, Palatin von Krakau, an die Spitze der Partei. Er war der vertrauteste Freund Zamoyski’s gewesen, welcher, wie man allgemein glaubte, auf dem Sterbebette ihm seine Ansichten und Absichten in Beziehung auf den Zustand, in welchen das Land durch die Maßregeln des Königs gerathen war, mitgetheilt hatte. Die Wahl dieses Führers bewies, daß es den Gegnern Roms entweder an politischer Gewandtheit, oder an Kraft mangelte, da Zebrzydowski ein strenger, wiewohl freisinniger Katholik war. Ihre Reihen waren freilich durch das unablässige Gegenstreben der Katholiken seit zwanzig Jahren gelichtet worden; aber wenn der Fürst Konstantin Ostrogski mit seinem ganzen Einflusse aus ihre Seite getreten wäre, so würde er ihr Anführer geworden sein, und ein so schweres Gewicht in die Wagschale geworfen haben, daß er dem König eine unbedingte Gewährung ihrer Foderungen abgenöthiget hätte. Die Unentschlossenheit aber, die er bei dieser Gelegenheit zeigte, ist als die Hauptursache des schlechten Erfolges des ausgebrochenen Aufstandes zu betrachten.

 

Die erste Losung zu einem bewaffneten Widerstande gaben die Edelleute im Palatinat Krakau, welche sich unter Zebrzydowski’s Leitung am 7. Mai 1605 zu Broszowice versammelten, und den Beschluß faßten, eine allgemeine Versammlung des Ritterstandes zu Stenzyca zu halten, um Abhilfe von Beschwerden zu fodern. Nach der Verfassung Polens war ein bewaffneter Widerstand gegen die königliche Gewalt, ein sogenannter Rokosch, erlaubt, wenn der König, trotz der Ermahnungen des Senats, beharrlich die Grundgesetze verletzte. Die Bestimmung in den, von den Königen bei ihrer Thronbesteigung beschworenen Bedingungen, pacta conventa genannt, welche zu einem solchen Widerstande ermächtigte, wurde zuerst in den von Heinrich vom Valois zu Paris geleisteten Eid eingerückt, und lautete wörtlich: „Und wenn ich, was fern sei, meinen Eid in einigen Puncten verletzte, so sollen mir die Unterthanen beider Länder (Polen und Lithauer) keinen Gehorsam schuldig sein, ja ich entbinde sie durch die Thatsache selbst aller, dem Könige schuldigen Treue und Gehorsamspflicht, und werde keine Lossprechung von diesem Eide von jemand erbitten, oder wenn sie mir angeboten würde, annehmen, so wahr mir Gott helfe.” Diese Bestimmung wurde später in alle, bei der Thronbesteigung beschworenen Zusagen aufgenommen *).

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*) Auf den Reichstagen von 1607 und 1609 wurde verfügt, daß ein bewaffneter Widerstand gegen den König nur dann erlaubt sein sollte, wenn alle verfassungsmäßigen Mittel, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen, vergeblich gewesen wären; außerdem aber sollte ein Rokosch Hochverrath sein.

 

 

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Der Rokosch zu Stenzyca wurde zahlreich besucht, und mehre protestantische Anführer erhielten den Auftrag, dem in Warschau versammelten Reichstage die Beschwerden der Verbündeten vorzulegen. Sie klagten über den Versuch, den katholischen Glauben in Lievland wieder herzustellen, als ein, die Unversehrtheit des Reiches bedrohendes Unternehmen, über die fortdauernden Streitigkeiten zwischen dem Staate und der römischen Kirche, über die, von den nichtkatholischen Glaubensparteien erlittenen Rechtsverletzungen, und über den Anspruch der katholischen Geistlichkeit, den weltlichen Gerichten und den Landesgesetzen nicht unterworfen zu sein. Zugleich wurden viele andere Beschwerden rein politischer Art vorgebracht. Der Senat suchte den König zu entschuldigen, welcher nun die Gefahr erkannte und durch den Jesuiten Skarga eine Unterhandlung mit Zebrzydowski anknüpfen ließ, die aber ohne Erfolg blieb. Als es der Widerstandspartei nicht gelungen war, ihre Foderungen zu erlangen, verließ der Fürst Radziwill mit beinahe allen Landboten aus Lithauen den Reichstag und vereinigte sich mit dem Rokosch. Am 2. Junius fand eine andere Versammlung zu Lublin statt, in welcher 100,000 bewaffnete Edelleute erschienen. Der Fürst Radziwill wurde zum Marschall oder Haupt des Rokosch erwählt, und erhielt den Auftrag, in Verbindung mit Adam Gorayski und Stanislaus Stadnicki, einem erfahrenen Krlegsmanne, aber von lockeren Grundsätzen, Kriegsvölker zu sammeln. Es wurden Bevollmächtigte an den König geschickt, die von ihm verlangten, die Fehler seiner Regierung zu verbessern, die Grundgesetze des Landes aufrecht zu erhalten, seine Schuld öffentlich einzugestehen und die Verzeihung des Volkes in einer Versammlung zu erbitten, die am 6. August zu Sandomir gehalten werden, und in welcher jeder Edelmann bei Verlust seiner Adelsrechte erscheinen sollte. Der Fürst Ostrogski kam mit beträchtlichen Streitkräften nach Lublin, nahm aber keinen entschiedenen Antheil an den lebhaften Berathungen des Rokosch.

 

Als die Unterhandlungen zwischen dem König und dem Rokosch ohne Erfolg geblieben waren, befahl er dem Kronfeldherrn von Polen, Zolkiewski, mit den Kriegsvölkern vorzurücken, die in den südöstlichen Landestheilen lagen. Mehre Edelleute von der königlichen Partei, besonders die Brüder Potocki, sammelten gegen dreitausend Mann; Zolkiewski kam mit einer gleichen Anzahl wohlgeübter Krieger, und

 

 

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viele Edelleute vereinigten sich zur Unterstützung des Königs in Wilitza: Die zahlreichen, aber unregelmäßigen Streitkräfte des Rokosch verminderten sich indeß täglich durch den Abfall vieler Edelleute, die in ihre Heimath zurückkehrten, und als beide Heerhaufen sich bei Janowice an der Weichsel trafen, war die königliche Partei überlegen. Zebrzydowski mußte den König um Verzeihung bitten, und die Erwägung der Beschwerden ward auf den nächsten Reichstag verschoben, der am 9. Mai 1607 gehalten werden sollte.

 

Dieser zeitweilige Sieg des Königs stillte keineswegs die allgemeine Unzufriedenheit, und ohne den Reichstag zu erwarten, bildete sich in Andrzejow ein neuer Rokosch, den Zebrzydowski und Radziwill beriefen, die wieder zu Anführern gewählt wurden. Als die Versammlung zahlreicher wurde, faßte sie den Beschluß, ein Heer zusammenzuziehen und Abhilfe ihrer Beschwerden zu erzwingen. Einige machten sogar den Vorschlag, den König zu entthronen und den Fürsten von Siebenbürgen, Gabriel Batori, zu erwählen. Der Reichstag versammelte sich mittlerweile zu Warschau, und um einen Bürgerkrieg zu verhüten, wurden Bevollmächtigte zur Untersuchung der Beschwerden des Rokosch ernannt, die aber, von der königlichen Partei geleitet, keine unabhängige Stellung hatten. Sie verriethen ihre Parteilichkeit für den König durch den Beschluß, daß, wenn die Ankläger die Schuld des Königs nicht zu beweisen vermöchten; sie selber Strafe erleiden sollten. Der Rokosch erklärte sogleich, daß er solche Richter nicht für befugt anerkenne, weigerte sich, die Waffen niederzulegen, und verlangte, der König sollte sich zur Genehmigung der gefaßten Beschlüsse verpflichten, welche hauptsächlich die Vertreibung der Jesuiten, die Entfernung einiger anstößigen Personen und mehre Beschränkungen der königlichen Gewalt betrafen. Der Rokosch hatte viele Anhänger unter den Mitgliedern des Reichstages, und dies machte einen so tiefen Eindruck auf den König und seine Räthe, daß er dem Senate eine Rechtfertigungsschrift übergab, und im Mai 1607 wurden Anordnungen zur Erledigung der politischen und religiösen Beschwerden angenommen, die der Rokosch in Beziehung auf Staatsangelegenheiten und Glaubensfreiheit erhoben hatte. Der König gab Versicherung, daß in Zukunft die Königswahl unabhängig sein sollte. Ein aus Senatoren bestehender Rath sollte die Handlungen des Königs überwachen, und dieser keine Staatswürde an Ausländer geben, sondern sie, wie alle Aemter, nur nach Verdienst und ohne alle Rücksicht auf den Glauben verleihen. Die Annaten sollten ohne Ausnahme in den Staatsschatz fließen, der Papst möchte seine Zustimmung geben oder verweigern.

 

 

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Alle Streitigkeiten über die Zehnten, die Güter und alle übrigen Besitzungen, die einst der katholischen Kirche gehört hatten und an die Protestanten gekommen waren, wurden auf unbestimmte Zeit vertagt. Alle auf das Kircheneigenthum und die Geistlichkeit sich beziehenden Sachen sollten von den ordentlichen Gerichtshöfen entschieden werden, die gemischten Gerichte *) aber wurden abgeschafft, wie auch die Berufungen an den römischen Stuhl in allen Fällen. Der morgenländischen Kirche wurden die umfassendsten Bürgschasten und Vorrechte gegeben.

 

Als diese Anordnungen angenommen waren, erklärte der Reichstag die Fortdauer des Rokosch für Hochverrath und foderte die Mitglieder desselben zur Entwaffnung auf. Der Rokosch verwarf diese Auffoderung, und der König stellte sich nun an die Spitze eines erIesenen Heeres, das meist aus den geübten Kriegsvölkern Zolkiewski’s und Chodkiewicz’s bestand, die Lievland gegen die Schweden vertheidigt hatten. Der Rokosch rückte nur mit siebentausend Mann gegen Warschau, da viele Edelleute, welche die Iautesten Sprecher gewesen waren, aus verschiedenen Beweggründen das Lager verlassen hatten, und das Heer wurde noch mehr geschwächt, als auch Stadnicki mit fünfhundert Reitern sich entfernte. Beide Heere standen sich an den Ufern der Pilitza gegenüber, die sie trennte. Das königliche Heer ging über den Fluß; als aber beide Theile sich entgegenrückten, traten sie in freundlichen Verkehr, und der von Zolkiewski gegebene Befehl zum Angriffe wurde von seinen Soldaten nicht beachtet, die eine Versöhnung mit den Gegnern verlangten und Abgeordnete ernannten, die mit ihnen die Ursachen dieses Bürgerkrieges untersuchen sollten. Zebrzybowski benutzte einen für ihn so günstigen Umstand nicht, und zerstörte die Wirkungen desselben durch den unverständigen Befehl, daß seine Kriegsvölker sich zurückziehen sollten, um zu einem heranrückenden Heerhaufen zu stoßen, der bestimmt war, Krakau durch einen Ueberfall zu nehmen. Das königliche Heer, das auf diese Weise verlassen wurde, fühlte sich beleidigt, kehrte zu seiner Pflicht zurück und gab seinen Anführern das feierliche Versprechen, den begangenen Fehler auf dem Schlachtfelde abzubüßen. Der Fürst Ostrogski, der an der Spitze ansehnlicher Streitkräfte stand, hätte den Kampf für einen der beiden Theile entscheiden können, aber er blieb parteilos. Am 6. Julius 1607 kam es bei dem Dorfe Guzow zum Kampfe. Das Heer des Rokosch ward im Mitteltreffen von Zebrzydowski, auf den Flügeln von Radziwili und

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*) S. Abschn. 12.

 

 

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Herburt angeführt, das königliche Heer im Mitteltreffen von den Brüdern Potocki, auf den Flügeln von Zolkiewski und Chodkiewicz befehligt. Trotz der Ueberlegenheit des königlichen Heeres in Zahl, Kriegszucht, Erfahrenheit der Soldaten und Geschicklichkeit der Anführer, waren doch bei dem Anfange der Schlacht die Gegner im Vortheile. Radziwill trennte durch einen glücklichen Angriff den von Chodkiewicz angeführten Flügel, und einige seiner Reiter drangen bis in die Nähe des königlichen Zeltes. Man rieth dem König, auf den andern Flügel zu fliehen, er behauptete aber seine Stellung, und seine Standhaftigkeit trug viel zum Gewinn der Schlacht bei, die hauptsächlich durch die Feigheit oder Verrätherei eines Offiziers verloren ging, welcher, statt Herburt zu unterstützen, die Losung zur Flucht gab. Das Heer wurde zerstreut, und zwei Hauptanführer, Herburt und Penkoslawski, geriethen in Gefangenschaft. Es wurde das Todesurtheil über sie ausgesprochen, aber nicht vollzogen.

 

Der Rokosch war, ungeachtet der erlittenen Niederlage, doch keineswegs vernichtet. Radziwill kündigte die Wahl eines neuen Königs an, und Zebrzydowski hielt sich verborgen, um die Zeit zu erwarten, wo das königliche Heer sich getrennt haben würde. Er erschien wieder im Felde, als die Brüder Potocki mit einem Theile der königlichen Streitkräfte in die südöstlichen Landestheile gezogen waren. Es war der Widerstandspartei günstig, daß der König und seine Rathgeber bei dieser Gelegenheit die Neigung verriethen, Strenge und Willkürgewalt zu zeigen; denn viele, die den König unterstützt hatten, zogen sich nun zurück, um nicht eine, der Freiheit des Volkes gefährliche Zunahme der königlichen Gewalt zu befördern. Die Partei des Königs und der Jesuiten war unter diesen Umständen nicht im Stande, ein blutiges Gegenstreben hervorzurufen, das die Geistlichkeit offenbar wünschte, als sie auf der Synode zu Piotrkow alle, auf dem letzten Reichstage zu Gunsten der Freiheit im Glauben und im Bürgerleben gegebenen Versicherungen für ungiltig und nichtig erklärte. Im folgenden Jahre wurde allgemeine Verzeihung und Vergessenheit verkündet, und im Jahre 1609 bestätigte der Reichstag die 1607 gegebenen Bürgschaften.

 

Der Rokosch, welcher durch die späteren Ereignisse vollkommen gerechtfertigt wurde, verfehlte seinen Zweck, weil die Theile, die ihn bildeten, nicht einig genug waren. Die protestantische Partei, stark genug, sich an die Spitze zu stellen, unterwarf sich dem Führer der gemäßigten Katholiken, der nicht entschieden genug war, den Eifer seiner Anhänger aufzuregen. Diese gemäßigte Partei fürchtete eben

 

 

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so sehr den wachsenden Einfluß der Jesuiten, als das despotische Streben des Könige; sie wünschte die Freiheit ihrer nicht katholischen Mitbürger zu sichern, als Bedingung ihrer eigenen, wollte aber weder die Verbindung mit Rom abbrechen, noch den König vom Throne stoßen. Daher so heftige Berathungen unter den Mitgliedern der Widerstandspartei, und so wenig Entschlossenheit, wenn gehandelt werden mußte. Die Hauptursache des unglücklichen Erfolges dieses Aufstandes aber war gewiß die Unentschiedenheit des Fürsten Ostrogski, welcher, wenn er sich mit seiner Partei, die aus allen der griechischen Kirche angehörenden Edelleuten bestand, für den Rokosch erklärt hätte, die Sache des Königs unrettbar vernichtet haben würde. Er war der einzige Anführer, den die Gegner der römischen Kirche wählen mußten, wenn sie entschlossen waren, ihre Rechte mit Waffengewalt zu behaupten, und hätte er eine solche Rolle gespielt, so war die Krone Polens in seiner Hand. Aber eine Unentschiedenheit, die ihm in politischer, wie in religiöser Beziehung eigen gewesen zu sein scheint, machte ihn untauglich zu der Rolle eines Anführers, wozu sein unermeßlicher Reichtum und sein unbegränzter Einfluß in den russischen Landestheilen ihn zu bestimmen schienen.

 

 

 

Achtzehnter Abschnitt.

 

Zunehmende Verfolgungen der protestantischen und griechischen Glaubensgenossen, bis zu Siegmund’s III. Tode.

 

Die Folgen des inneren Krieges waren für die Freiheit im Glauben und im staatsbürgerlichen Leben nicht günstig, obgleich der König sich gezwungen gesehen hatte, sie feierlich zu bestätigen. Als die gegenstrebende katholische Partei es unmöglich fand, mit gesetzlichen Maßregeln sie zu bekämpfen, ging sie zu örtlichen Verfolgungen über, die zwar offenbare Verletzungen der Gesetze, aber durch die Begünstigung des Königs gegen Bestrafung gesichert waren. Das beklagenswerthe System, durch welches die Gegner der römischen Kirche in Polen beinahe vernichtet wurden, hatte die verderblichsten Wirkungen für die bürgerliche Freiheit, wie für die allgemeine Wohlfahrt des Landes. Die Straflosigkeit, welche denjenigen gewährt wurde, die zur Beförderung

 

 

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der Interessen Roms Verbrechen begingen, gab allen Mißbräuchen Spielraum, und, was unstreitig das größte Unglück für ein freies Land ist, schwächte die Achtung vor dem Gesetze.

 

Während des Bürgerkrieges überfielen die Zöglinge der Hochschule zu Krakau den Begräbnißplatz der Protestanten, wählten Gräber aus, verstümmelten die Leichen, und zerstörten einen Zufluchtsort für das hilflose Alter. Man hatte auf die Protestanten den Verdacht geworfen, daß sie den Rokosch begünstigten, und die Aeltesten ihrer Gemeinde wurden verhaftet und ihre Papiere untersucht, da man aber keine Beweise der Anklage fand, wieder in Freiheit gesetzt. Im Jahre 1610 plünderten Studenten und Pöbel das Haus eines protestantischen Bürgers, und obgleich der Rector der Universität eine Untersuchung anordnete, erfolgte doch keine Abhilfe. Als später die Zöglinge anderer katholischen Lehranstalten das Leichenbegängniß eines Protestanten anfielen, hatten die darüber erhobenen Beschwerden nur die Wirkung, die Verfolger noch mehr zu reizen, die sich offen zu neuen Angriffen vorbereiteten. Das Haus einer Protestantin ward angefallen; die Bewohner desselben feuerten auf die Angreifer, deren mehre verwundet wurden, und die herbeieilende Besatzung zerstreute die Aufrührer. Die Ruhe wurde nur auf kurze Zeit hergestellt; die Studenten sammelten sich wieder, und da sie erfahren hatten, daß es den Soldaten verboten war, scharf zu feuern, erneuerten sie ihre Angriffe und plünderten das Haus. Am folgenden Tage gaben die Behörden den Soldaten Befehl, den Aufstand mit Gewalt zu dämpfen. Mehre wurden getödtet, andere aber nicht bestraft, und der Befehlshaber der Besatzung ward als Mörder angeklagt, jedoch freigesprochen. Die protestantische Synode zu Oksza berieth sich im Jahre 1613 über die Mittel, ihre Glaubensgenossen gegen die Gefahren zu schützen, welchen sie durch die Verfolgungen in Krakau und mehren andern Städten ausgesetzt waren. Es wurden Fasten und öffentliche Gebete angeordnet, und dem Reichstage Vorstellungen übergeben, doch ohne Erfolg, da der Einfluß der Jesuiten sich immer schneller unter allen Volksclassen verbreitete. In demselben Jahre überfielen die Studenten zu Krakau die protestantische Kirche in dem benachbarten Dorfe Alexandrowicz, mißhandelten einen alten Geistlichen, schleppten ihn durch die Straßen und hieben ihm die Finger der linken Hand ab. Ein anderer protestantischer Geistlicher wurde von einem Studenten mit einer Keule erschlagen. Ueber diese Gräuel wurde nicht einmal Beschwerde erhoben, da man auf Abhilfe nicht hoffen konnte. Die Protestanten zu Krakau verlegten ihren Gottesdienst in das weiter entfernte Dorf Lucianowice. Diese wiederholten

 

 

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Verfolgungen bewogen die protestantischen Bürger zu dem Entschlusse, einen Ort zu verlassen, wo ihr Leben und ihr Eigenthum nicht gesichert waren; da sie aber die betriebsamste und reichste Einwohnerclasse bildeten, so bemühten sich die Behörden, die Abreise derselben zu verhüten, welche für die Wohlfahrt der Stadt nachtheilige Folgen haben mußte, und der König erließ eine Verordnung, die jede Belästigung der Protestanten verbot. Viele reiche Bürger zogen jedoch nach Thorn und Danzig, und ihre Auswanderung brachte dem Handel und der Betriebsamkeit beträchtlichen Schaden. Die Verfolgungen der Protestanten in Krakau dauerten indeß während Siegmund’s III. Regierung mit wenigen Unterbrechungen fort, und von der katholischen Geistlichkeit ausgereizt, faßte die Stadtbehörde im Jahre 1624 den Beschluß, daß keinem Protestanten das Bürgerrecht ertheilt werden sollte; doch wurde diese Verordnung unter der folgenden Regierung wieder aufgehoben. Als die protestantische Gemeinde im Jahre 1626 den Bau einer Kirche in Lucianowice beginnen wollte, zerstörten die Studenten die Bauvorräthe, und im Jahre 1631 ward eine allgemeine Plünderung der angesehensten protestantischen Einwohner beschlossen und zum Theil ausgeführt; ohne daß die angestellten gerichtlichen Untersuchungen irgend einen Erfolg gehabt hätten.

 

Die protestantischen Kirchen in Posen blieben bis 1605 ungestört, als aber endlich die Jesuiten sahen, daß ihre Streitschriften gegen die Protestanten nicht die gewünschte Wirkung hatten, entschlossen sie sich zu kräftigeren Maßregeln. Der Jesuit Piasecki ermahnte auf der Kanzel zu Gewaltthätigkeiten und sagte: „Volk Gottes, zerstöre und verbrenne ihre Tempel!” Diese Auffoderung hatte ihre Wirkung, und die lutherische Kirche ward im Brand gesteckt, doch das Feuer noch zu rechter Zeit gelöscht. Als ein ähnlicher Versuch gegen die Kirche der böhmischen Brüder mißlungen war, beschlossen die Jesuiten einen offenen Angriff, und dreihundert ihrer Zöglinge, von einem Pöbelhaufen begleitet, plünderten, verwüsteten und verbrannten die Iutherische Kirche und entweihten die Gräber der Protestanten. Die Jesuiten billigten diese Gräuel, indem sie behaupteten, daß ihre Zöglinge ein Glaubenseifer dazu treibe, der die Ausrottung der Ketzerei gebiete. Eine gerichtliche Untersuchung hatte keinen Erfolg. Die Lutheraner bauten ihre Kirche wieder ausf die aber im Jahre 1614 noch einmal zerstört wurde, und der Bischof von Posen erlaubte ihnen dann nicht, eine andere zu bauen. Die Kirchen der böhmischen Brüder wurden im Jahre 1616 gleichsam zerstört, und die Verfolgungssucht war so heftig, daß kein protestantischer Geistlicher sich öffentlich in der Stadt zu zeigen

 

 

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wagte. Wilna, die Hauptstadt Lithauens, war der Schauplatz eines unglücklichen Ereignisses. Ein junger Italiener, Namens Franco, war als eifriger Katholik nach Polen gekommen; während er aber mit den protestantischen Lehren sich beschäftigte, um sie zu bekämpfen, bekehrte er sich zu dem evangelischen Glauben, den er nach der Rückkehr in sein Vaterland verbreitete. Später kam er wieder nach Polen, ging öffentlich zur reformirten Kirche über und wurde Prediger in Wilna. Als er im Jahre 1611 am Frohnleichnamstage in seiner Kirche gepredigt hatte, ging er auf die Straße, wo er dem festlichen Zuge begegnete, womit die Katholiken jenen Tag feiern. Der Bischof, von dem Könige und der königlichen Familie begleitet, trug die Monstranz. Franco’s Eifer wurde bei dem Anblicke der Feierlichkeit erregt, die er als abgöttisch betrachtete; er stieg auf die Stufen eines für den Bischof errichteten Altars, und machte dem Volke Vorwürfe über seinen Götzendienst, indem er erklärte, daß das angebetete Sacrament nichts als Brot sei. Die Menge war außer sich vor Erstaunen, blieb aber ruhig. Franco wurde verhaftet, und beschuldigt, dem König oder, dem Bischofe nach dem Leben getrachtet zu haben. Er antwortete dreist, die KathoIiken hätten in Frankreich, Belgien und England den Königsmord gebilligt und ausgeführt, er aber wolle nur das Volk belehren, und er ermahnte dabei den Bischof, die Abgötterei aufzugeben. Eine zahlreiche Versammlung hörte mit Theilnahme und Mitleid die Vertheidigung an, aber man trieb sie aus dem Gerichtshofe, und Franco wurde zum Tode verurtheilt. Er verwarf alle Anträge, zum katholischen Glauben zurückzukehren, und wurde zu früher Tagesstunde im Schloßhofe auf die grausamste Weise hingerichtet. Dieser gerichtliche Mord eines Ausländers, der nicht durch die Vorrechte des polnischen Adels geschützt wurde, zeigt uns, welches blutige Gegenstreben in Polen aufgetreten sein würde, wenn nicht die Macht des Königs und seiner Rathgeber durch jene Vorrechte beschränkt gewesen wäre. Die Jesuiten ließen sich indeß die Gelegenheit, welche die, durch Franco’s Schicksal unter dem Pöbel hervorgebrachte Aufregung ihnen darbot, nicht entgehen, einen Angriff auf die Protestanten zu machen. Am Tage nach der Hinrichtung des Italieners zerstörte und verbrannte ein von Studenten angeführter Pöbelhaufen die protestantische Kirche und mißhandelte die Geistlichen. Nach einer in Wilna aufbewahrten Ueberlieferung gaben die Franciscaner bei jenem Aufstande einen schönen Beweis christlicher Gesinnung. Als der wüthende Pöbel die protestantischen Geistlichen, deren Verderben unvermeidlich zu sein schien, durch die Straßen schleppte, kamen alle Fransciscaner herbei und behaupteten, daß ihnen das Recht zustehe, jene

 

 

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Geistlichen zu richten und zu bestrafen, weil dieselben in einem zum Kloster gehörenden Kirchspiele gepredigt hätten. Der Pöbel achtete auf diese Vorstellungen, und die Geistlichen wurden in das Franciscanerkloster geführt, wo sie nicht folternde Glaubensrichter, sondern barmherzige Samaritaner fanden. Sie wurden von den Mönchen liebevoll gepflegt, und als sie hergestellt waren, an einen sicheren Ort gebracht *). Die Jesuiten veröffentlichten eine Flugschrift zur Rechtfertigung der verübten Gräuel, die sie als fromme und löbliche Thaten darstellten; die Volksgesinnung war aber noch nicht so verderbt, daß solche Ereignisse Billigung gefunden hätten, und die Jesuiten hielten es für klug, die Schrift zu unterdrücken. Aehnliche Auftritte erlebte man in Lublin und vielen andern Städten, aber sie waren nur Wiederholungen der bereits erzählten Vorfälle. Wir müssen jedoch eines gerichtlichen Mordes erwähnen, der in der Stadt Bielsk, die der Königin Constantia gehörte, verübt wurde. Ein Socinianer, der sich geweigert hatte, einen Eid im Namen der Dreieinigkeit zu leisten, wurde zwar von dem Gerichte, vor welchem man ihn angeklagt hatte, freigesprochen, aber die andächtige Königin ruhte nicht, bis er hingerichtet wurde. Die katholische Geistlichkeit suchte zu gleicher Zeit die Preßfreiheit zu vernichten. Ein gelehrter Edelmann, Bolestraszycki ließ im Jahre 1624 eine polnische Uebersetzung der Schrift des berühmten protestantischen Theologen Peter Du Moulin: „Nouveauté du papisme opposée à l’antiquité du christianisme“ drucken, die er der Prinzessin Anna **), Schwester Siegmund’s III., widmete. Der Bischof von Przemysl klagte ihn vor dem Gerichte in Lublin als Lästerer an, und der Einfluß der Geistlichkeit war bereits so bedeutend, daß Bolestraszycki für bürgerlich todt erklärt wurde. Dieses Urtheil wurde zwar von

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*) Gewiß zeigten sich unter den Katholiken in Polen viele ähnliche Züge eines christlichen Sinnes, aber sie sind unbeachtet geblieben, oder vielleicht absichtlich von der Jesuitenpartei unterdrückt worden, die sie eher für tadelhaft, als ruhmwürdig hielt.

**) Anna blieb, trotz aller Bemühungen ihres Bruders, sie zu belehren, eine eifrige Protestantin. Sie starb im Jahre 1625 zu Strasburg in Polnische-Preußen. Siegmund III., der sie sehr schätzte, konnte von dem Papste die Erlaubniß nicht erlangen, sie in der königlichen Gruft zu Krakau beizusetzen, und erst Wladislaw IV. ließ sie 1636 in Thorn mit allen Feierlichkeiten der lutherischen Kirche begraben. (S. Friese a. a. O. S. 158 ff.) Wie Hufendorf erzählt, ward ihre Mutter Katharine auf dem Sterbebette so sehr von der Furcht vor dem Fegefeuer gequält, daß ihr Beichtvater, der Jesuit Warzewicki, aus Mitleid ihr sagte, das Fegefeuer sei nur eine für das gemeine Volk erfundene Fabel. Diese Worte hörte die junge Prinzessin Anna, die hinter den Bettvorhängen stand, und sie wurde dadurch veranlaßt, die Bibel zu lesen und sich im Protestantismus zu befestigen.

 

 

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nächsten Reichstage umgestoßen, ist aber ein Beweis, wie sehr die Volksmeinung bereits durch die zunehmende Thätigkeit der Jesuiten und ihrer Partei gesunken war.

 

Das Loos der morgenländischen Kirche war mit dem Schicksale der Protestanten innig verknüpft, da es ihr gemeinsames Interesse war, sich der katholischen Partei zu widersetzen, die beide verfolgte. Die Rechte der griechischen Kirche wurden auf den Reichstagen in den Jahren 1607 und 1609 feierlich bestätigt und ihren Anhängern neue Bürgschaften gegeben. Der König durfte alle Würden und Aemter in Roth-Reussen und Weiß-Reussen nur den jener Kirche angehörenden Einwohnern verleihen. Ihre Besitzungen wurden für unverletzlich erklärt, und über Gewaltthätigkeiten zwischen den Anhängern Roms und den, dem Patriarchen von Konstantinopel treu gebliebenen Griechen sollte ein, aus Mitgliedern von beiden Bekenntnissen gebildeter Gerichtshof entscheiden. Der Einfluß der Jesuiten aber machte diese weisen Verfügungen fruchtlos, und sie fanden ein williges Werkzeug in dem Könige. Trotz aller feierlichen Gewährleistungen wurde die Verfolgung der Gegner der Vereinigung mit Rom fortgesetzt, unter dem Vorwande, daß nach der, auf der Synode zu Brzesc förmlich genehmigten Vereinigung, nur die derselben treu ergebenen Bischöfe für rechtmäßig gelten könnten, die hartnäckigen Anhänger des Patriarchen von Konstantinopel aber nothwendig als unbefugte Inhaber der Bischofstühle betrachtet werden müßten. Rudzki, der Erzbischof der vereinigten Griechen, den die katholischen Schriftsteller, wegen seines Eifers, den russischen Athanasius nennen, beförderte die Vereinigung durch Gewaltschritte, und unterdrückte die Gegenpartei, deren Leiden Meletius Smotricki *) in einer 1610 erschienenen Schrift: „Die Klagen der morgenländischen Kirche” beredt schilderte. Die Unzufriedenheit nahm in den östlichen Landestheilen schnell zu, und im Jahre 1618 gaben die Einwohner von Mohilew die ersten Zeichen eines offenen Widerstandes gegen die erzwungene Vereinigung mit Rom, welcher sie sich einige Zeit scheinbar gefügt hatten. Die Geistlichen, die ihr anhingen, wurden verjagt und durch Gegner der Vereinigung ersetzt. Die Namen des Papstes und des Königs von Polen wurden aus dem Kirchengebete gestrichen, und an ihre Stelle der Patriarch von Konstantinopel und der türkische Sultan gesetzt. Dieser Umstand beweiset, welche starke Abneigung in den russisch-polnischen

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*) Man hielt ihn eine Zeit lang für einen Gönner des Protestantismus, den viele Edelleute und Geistliche der griechischen Kirche annahmen; er blieb aber seinem Glauben treu und wurde Erzbischof von Polotsk; nach langem Widerstande unterwarf er sich doch dem römischen Stuhle.

Krasinski.

 

 

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Landestheilen gegen die Moskowiter herrschte, da sie bei Glaubensbedrückungen ihre Blicke lieber auf die entfernten Mohammedaner, als auf ihre nachbarlichen Glaubensbrüder richteten. Der Aufstand in Mohilew veranlaßte größere Strenge gegen die Widersacher Roms, und eine richterliche Verfügung verurtheilte im Jahre 1619 die Urheber zum Tode, während zugleich befohlen wurde, daß alle Kirchen in der Stadt dem Erzbischofe von Polotsk übergeben werden sollten. Die Gegner Roms waren jedoch keineswegs erdrückt, und hielten im folgenden Jahre eine Synode zu Kiew, unter dem Schutze des Hetmans der Kosaken in der Ukraine, Peter Konaszewicz, eines eifrigen Anhängers der morgenländischen Kirche, der sich in den Kriegen gegen die Moskowiter und die Türken ausgezeichnet hatte. Diese Synode erwählte Erzbischöfe von Kiew und Polotsk, und Bischöfe von Lemberg (Leopol), Przemysl und Lutzk, die sämmtlich von Theophilus, Patriachen von Jerusalen, geweiht wurden, der auf der Rückreise von Moskau nach Kiew kam. Die morgenländische Kirche hatte nun eine doppelte, sich widerstreitende Hierarchie.

 

Die Verfolgung der Griechen ward indeß mit großer Strenge fortgesetzt, besonders durch den Erzbischof von Polotsk, Koncewicz, der den Interessen Roms blind ergeben war. Als er Widerstand fand, behandelte er seine Gegner so gewaltthätig, daß die verständigeren Männer im Lande besorgt wurden. Leon Sapieha, Kanzler und Groß-Feldherr von Lithauen, einer der ausgezeichnetsten Staatsmänner Polens, machte dem Erzbischofe nachdrückliche Vorstellungen über jene gefährlichen Schritte, die er als unklug und unchristlich bezeichnete. „Durch den Mißbrauch Eurer Gewalt — sagte er in seinem Schreiben — und durch Eure Handlungen, die mehr aus Eitelkeit und persönlichem Groll, als aus christlicher Milde gegen Eure Nachbarn entspringen, und den Landesgesetzen zuwider sind, habt Ihr jene gefährlichen Funken angefacht, die ein alles verzehrendes Feuer hervorbringen können. Gehorsam gegen die Landesgesetze ist nothwendiger, als die Einigung mit Rom. Eine unbedachtsame Beförderung dieser Vereinigung ist der Majestät des Königs nachtheilig. Allerdings soll man daran arbeiten, daß nur eine Heerde und ein Hirte sei; aber man muß mit Bedacht daran arbeiten, und nicht das compelle intrare anwenden, das unseren Gesetzen entgegen ist. — Die Einigung hat großes Unheil herbeigeführt; Ihr thut den Gewissen Zwang an und schließet Kirchen, so daß Christen umkommen, wie Ungläubige, ohne Gottesdienst oder Sacramente. Ihr mißbraucht das Ansehen des Königs, ohne auch nur um Erlaubniß gebeten zu haben, Gebrauch davon zu machen.

 

 

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Wenn Euer Verfahren Ruhestörungen verursacht, so schreibt Ihr aus, daß man die Gegner der Vereinigung verbannen müsse. Gott verhüte, daß wir unser Land durch solche Gräuel entwürdigen! Wen habt Ihr durch Eure Strenge bekehret? Ihr habt die seither getreuen Kosaken entfremdet; Ihr habt Schafe in Böcke verwandelt; Ihr habt Gefahr über das Land gebracht, und vielleicht sogar Verderben den Katholiken. Die Vereinigung hat nicht Freude hervorgebracht, sondern nur Zwietracht, Streit und Störung.”

 

Der Einfluß der Jesuiten war schon so stark, daß alle Bemühungen des weisen Sapieha, dem Uebel zu wehren, fruchtlos waren. Koncewicz fuhr mit seinen Bedrückungen fort, bis die Einwohner der Stadt Witepsk, die sich oft durch ihre Pflichttreue gegen Polen ausgezeichnet hatten, von einigen Geistlichen aufgereizt, den unduldsamen Priester im Julius 1623 ermordeten, der zwanzig Jahre später die Ehre der Heiligsprechung erhielt. Der Aufstand war nicht von einer Empörung gegen die weltliche Obrigkeit begleitet; aber die Stadt mußte mit einer schweren Strafe büßen, die eine unter Sapieha’s Vorsitze eingesetzte Untersuchungsbehörde auflegte. Die beiden Bürgermeister und achtzehn angesehene Bürger wurden hingerichtet, mehre entflohen, und viele wurden verbannt. Das Stadthaus und die Kirchen der Gegner der Vereinigung wurden zerstört, und die Vorrechte der Stadt aufgehoben, die sie jedoch unter Wladislaw’s Regierung zurückerhielt.

 

Die gegen Witepsk ausgeübte Strenge mochte durch die Nothwendigkeit, die Ordnung und die Achtung gegen die Gesetze zu behaupten, allerdings gerechtfertigt werden; aber wenn die Mörder eines Priesters, dessen Verfolgungssucht zur Verzweiflung gereizt hatte, so schwere Strafe litten, hätten auch die Zerstörer der Kirchen und die Mörder der Geistlichen der nichtkatholischen Glaubensparteien mit gleicher Gerechtigkeit heimgesucht werden sollen, was nicht geschah. Die Unterdrückung der Griechen veranlaßte einen Aufstand der Kosaken in der Ukraine, der jedoch nicht allgemein war und leicht unterdrückt ward aber die Ursache der Unzufriedenheit blieb und führte in weniger als funfzig Jahren den Verlust jener wichtigen Provinz herbei.

 

In Siegmund’s III. langer Regierung ist unstreitig der Ursprung des Verfalls und des späteren Unterganges Polens zu suchen. Bei seiner Thronbesteigung war das Land auf dem Gipfel des Wohlstandes. Unter Stephan Batori’s kraftvoller Herrschaft hatte Polen die Moskowiter gedemüthigt und allen Nachbarn Achtung eingeflößt. Das Land war blühend; die Glaubensfreiheit, die Polen in einem, zu jener Zeit andern Ländern unbekannten Grade genoß, hatte eine günstige Wirkung

 

 

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für die Entwickelung des Volksinnes. Gelehrsamkeit und Wissenschaften stiegen in der kurzen Zeit eines halben Jahrhunderts zu einer solchen Höhe, daß Polen mit den gebildetsten Völkern Europas auf gleicher Stufe stand. Eben so wohlthätig wirkte die Duldsamkeit auf Handel und Gewerbe, da viele Ausländer in Polen Schutz gegen die Glaubensverfolgungen suchten, welchen sie in ihrer Heimath ausgesetzt waren, und ihrem neuen Vaterlande ihre Geschicklichkeit, ihren Reichtum und ihre Thätigkeit mitbrachten. So gab es italienische Protestanten-Gemeinden in Krakau, Wilna und Posen; Deutsche, Franzosen und Schottländer waren in die polnischen Städte eingewandert, welche schon in einer frühen Zeit alle Rechte deutscher Städte erhalten hatten und an Bevölkerung und Reichthum schnell zunahmen. Dieser glückliche Zustand war traurig verändert am Ende der Regierung Siegmund’s III. Das wichtige Lievland war unwiederbringlich verloren, und ein Theil von Polnisch-Preußen im Besitze der Schweden. Die südöstlichen Landestheile waren zum Aufstande reif, und die Grenzen wurden von den Türken und Tataren verheert. Ueberall herrschte Unzufriedenheit, und ein erschöpfter Staatsschatz und die Verminderung des allgemeinen Wohlstandes vollendeten das traurige Bild, welches das Land darbot.

 

Und was war die Ursache eines so unglücklichen Zustandes, aus welchem Polen, allmälig sinkend, in jene Erstarrung verfiel, wo es eine leichte Beute ehrgeiziger Nachbarn wurde, sich nie wieder erhob? Wir antworten unbedenklich, daß die Jesuiten und ihr elendes Werkzeug, Siegmund III., die Ursache von Polens Verderben waren. Wir haben bereits die, durch den Einfluß der Jesuiten herbeigeführten Verfolgungen der Gegner Roms geschildert, und müssen nun auch die Wirkungen zeigen, welche der Orden auf die Volkserziehung und auf die Verhältnisse Polens zu dem Auslande hatte.

 

Von Stephan Batori begünstigt, hatten die Jesuiten schon schnelle Fortschritte gemacht, als sie einen unbeschränkten Einfluß unter Siegmund gewannen, der sich des, von seinen Gegnern ihm gegebenen Spottnamens Jesuiten-König rühmte. Seine Hauptgünstlinge waren Quaternus, Golynsksi und Skarga, und er war ein bloßes Werkzeug in ihren Händen. Ihre Gunst war der einzige Weg zu Beförderungen, und sie konnte nur durch Eifer für die Interessen Roms, und besonders für die Vortheile des Ordens gewonnen werden. Die Folge war, daß die höchsten Staatsämter und die reichsten Starosteien nicht durch die dem Staate geleisteten Dienste, sondern durch Ergebenheit gegen Rom und freigebige Geschenke an den Orden erlangt wurden. Es war daher natürlich, daß der Orden in Polen schon im Jahre 1627

 

 

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ein jährliches Einkommen von 400,000 Thalern hatte, eine ungeheure Summe *) für jene Zeit. Ihre Collegien waren durch das ganze Land verbreitet, und sie hatten funfzig Schulen, in welchen die meisten Kinder des Adels erzogen wurden, so daß sie den großen Zweck ihrer Anstrengungen, die Leitung der Volkserziehung, erlangt hatten, die sie mit Recht als das sicherste Mittel betrachteten, ihren Einfluß, oder vielmehr ihre Herrschaft im Lande zu befestigen. Es gab zwar mehre protestantische Schulen in Polen, deren Unterrichtsweise weit vorzüglicher als die jesuitische war; da sie aber durch freiwillige Beiträge unterstützt wurden, so konnten sie mit den reichbegabten Anstalten ihrer Gegner nicht wetteifern. Viele protestantische Schulen erhielten ihre Unterstützungen hauptsächlich von angesehenen Familien, aber sie hörten auf, oder wurden in katholische Anstalten verwandelt, als ihre Beschützer wieder in den Schoß der alten Kirche zurückgekehrt waren.

 

Werfen wir nun einen Blick auf die Unterrichtsweise und die Ergebnisse der Erziehung in den Anstalten der Jesuiten. Es war ihnen seit ihrer Stiftung gelungen, sich den Ruf einer eifrigen und geschickten Beförderung der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit zu erwerben, und dieser Ruf, der durch die ausgezeichnete Geschicklichkeit und Geistesbildung mehrer Ordensmitglieder unterstützt wurde, hatte sie dem Könige Stephan empfohlen, der ein großer Gönner der Gelehrten war. Diese Ansicht war jedoch keineswegs allgemein herrschend, und wir haben gesehen, daß der große Zamoyski sie nicht theilte, der in dieser Beziehung eine vollgiltige Stimme hatte. Ein eifriger Katholik und einer der gelehrtesten Polen seiner Zeit, Brozek **) (Broscius) hat das eigentliche System und den Zweck der jesuitischen Erziehung in einem 1620 erschienenen „Gespräch zwischen einem Grundherrn und einem Pfarrer“ trefflich geschildert. Die Jesuiten waren über diese Schrift äußerst aufgebracht; da aber ihre Rache den Verfasser nicht treffen konnte, so griffen sie den Drucker an, der auf ihr Anstiften öffentlich gepeitscht, und naher verbannt wurde.

 

Die Jesuiten”, sagt Brozek, „unterrichten ihre Zöglinge nach

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*) Ueber 600,000 Thaler nach heutiger Währung.

**) Er war 1581 geboren, lehrte eine Zeitlang Mathematik, und ging 1620 nach Padua, wo er die Arzneiwissenschaft studirte, und wurde nach seiner Rückkehr Professor der Beredtsamkeit in Krakau. Der Bischof von Krakau bewog ihn, in den geistlichen Stand zu treten, und gab ihm 1639 eine reiche Pfründe. Später ward er Rector der Universität und starb bald nachher 1652. Seine umfassenden Kenntnisse verschafften ihm den Namen einer wandernden Encyklopädie. S. Soltykowicz’s Geschichte der Universität Krakau.

 

 

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Alvar’s *) Sprachlehre, die sehr schwer zu verstehen ist, und es wird viel Zeit damit zugebracht. Sie thun dies aus vielen Gründen. Sie wolIen den Zögling lange in der Schule behalten; um so lange als möglich die ansehnlichen Geschenke zu ziehen, die sie von den Aeltern der Kinder erhalten, obgleich sie unentgeldlich zu unterrichten vorgeben. Sie behalten die Kinder lange Zeit in ihrer Schule, um mit der Geistesrichtung derselben genau bekannt zu werden, und sie ganz nach ihren eigenen Plänen und für ihre Zwecke erziehen zu können. Wünschen nun die Angehörigen eines Zöglings, ihn wieder aus der Schule zu nehmen, so haben die Lehrer einen Vorwand, ihn länger zu behalten. Laßt ihm doch, sagen sie, wenigstens Zeit, die Grammatik zu lernen, die Grundlage aller andern Kenntnisse. Sie wünschen, ihre Zöglinge bis zu den reiferen Jugendjahren in ihrer Schule zu behalten, um diejenigen, die große Geistesanlagen besitzen, oder ansehnliche Erbschaften zu erwarten haben, für ihren Orden zu gewinnen. Hat aber ein Zögling keine Anlagen oder kein Erbe zu erwarten, so wollen sie ihn nicht behalten. Und was bleibt ihm übrig? Er weiß nichts, ist zu jeder nützlichen Beschäftigung untauglich, und muß die Väter bitten, für ihn zu sorgen, die ihm dann eine geringe Stelle in dem Hause eines ihrer Wohlthäter verschaffen, um ihn später als ein Werkzeug für ihre Absichten und Zwecke gebrauchen zu können.“

 

Die Erfahrung hat diese Beschuldigungen vollständig gerechtfertigt. Am Ende der Regierung Siegmund’s III., zu einer Zeit, wo die Jesuiten fast ausschließend die Volkserziehung in ihren Händen hatten **),

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*) Emmanuel Alvarus, ein spanischer Jesult, der im sechzehnten Jahrhundert eine Iateinische Sprachlehre herausgab, welche die Jesuiten bis in die letzte Zeit ihrem Unterrichte zum Grunde legten.

**) Die Universität Krakau hatte einen harten Kampf mit den Jesuiten zu beslehen, die alles aufboten, sich dieses alten Sitzes der Gelehrsamkeit zu bemächtigen. Sie versuchten es, eine eigene Hochschule in Krakau zu gründen, wodurch sie die Erreichung ihres Zweckes erleichtert haben würden, und diese veranlaßte einen heftigen Streit zwischen den Jesuiten und der Universität, die von allen Mönchsorden unterstützt wurde. Der Zwist ward im Jahre 1628 durch den Reichstag für die Universität entschieden, und eine päpstliche Bulle von 1634 verbot, den Streit wieder anzufangen. Die Universität förderte jedoch nur wenig die Fortschritte der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit. Es waren mit ihr keine niederen Lehranstalten verbunden, die sich den Jesuitenschulen hätten entgegensetzen können, und die Furcht vor ketzerischen Neuerungen hemmte ihre Fortschritte, so daß sie bald in eine Unbedeutsamkeit versank, aus welcher sie sich erst in der Zeit der allgemeinen Wiederherstellung der Wissenschaften in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erhob.

 

 

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war die National-Literatur eben so schnell in Verfall gerathen, als sie im vorhergehenden Jahrhunderte gestiegen war. Es ist in der That merkwürdig, daß Polen, wo seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis zu Ende der Regierungszeit Siegmund’s III. (1632) viele ausgezeichnete Werke in verschiedenen Zweigen der Wissenschaften, in polnischer und lateinischer Sprache erschienen, sich von jener Zeit bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts kaum eines einzigen vorzüglichen Werkes rühmen kann, und dies war eben die Zeit der unbeschränkten Herrschaft der Jesuiten über die Volkserziehung. Die polnische Sprache, die im sechzehnten Jahrhunderte einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hatte, wurde bald durch eine abgeschmackte Vermengung mit lateinischen und barbarischen Redeweisen verderbt, welche die einheimischen literarischen Erzeugnisse fast ein Jahrhundert hindurch entstellten. Bei dem Hauptzwecke der Jesuiten, die Gegner der römischen Kirche zu bekämpfen, war ihr Unterricht meist auf theologische Polemik gerichtet, und ihre begabtesten Zöglinge, statt nach gesunden, für das gesellschaftliche Leben nützlichen Kenntnissen zu streben, verloren ihre Zeit in dialektischen Spitzfindigkeiten und Zänkereien. Die Jünger Loyola’s wußten wohl, daß unter allen Schwächen der menschlichen Natur die Eitelkeit sich am leichtesten benutzen läßt, und sie waren eben so verschwenderisch in dem Lobe ihrer Anhänger, als in Schmähungen ihrer Widersacher. Die Wohlthäter ihres Ordens wurden mit den widrigsten Schmeicheleien überhäuft, welche nur der in ihren Schulen beigebrachte verderbte Geschmack erträglich finden konnte. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts bestand beinahe die ganze Literatur des Landes aus ihren schwülstigen Lobreden auf die unbedeutendsten Menschen, ein hinlänglicher Beweis von dem herabgewürdigten Zustande des Volkes, dem solche Erzeugnisse annehmlich sein konnten.

 

Wir dürfen bei der Aufzählung der beklagenswerthen Ergebnisse des jesuitischen Einflusses die Einführung der Censur nicht vergessen, die im Jahre 1618 aufkam, im Widerspruche mit der Verordnung von 1539 *), welche die Preßfreiheit eingeführt hatte. Das erste Verzeichniß verbotener Bücher wurde 1617 von dem Bischofe von Krakau bekannt gemacht.

 

Es bedarf kaum der Bemerkung, daß diese traurige Verkümmerung der geistigen Bildung des Volkes den nachtheiligsten Einfluß auf den politischen und gesellschaftlichen Zustand des Landes hatte. Die erleuchteten Staatsmänner unter der Regierung Siegmund’s III. waren

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*) S. Abschn. 2

 

 

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unter einem andern Erziehungssysteme gebildet, denn die Unterrichtsweise der Jesuiten konnte keinen politischen Charakter von umfassenden Ansichten bilden. Es mag einige Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel geben, aber die Ansichten erleuchteter Männer sind gänzlich verloren bei Menschen, welche, statt auf der Bahn der Kenntnisse vorzuschreiten, angeleitet werden, die Wissenschaft und die Weisheit ihrer Väter zu vergessen. Man durfte sich daher nicht wundern, daß gesunde Ansichten von Gesetz und Recht verdunkelt wurden, und an ihre Stelle ungereimte Vorurtheile von Vorrechten und Kastengeist traten, durch welche die Freiheit in Zügellosigkeit ausartete, während der Zustand der Bauern zu einer an der Scholle haftenden Hörigkeit herabgewürdigt wurde.

 

Der alles verderbenden Wirksamkeit der Jesuiten wurde lange von Zamoyski entgegen gearbeitet, der zwar bald des Königs Gunst verlor, aber die zu seinem Tode einen unermeßlichen Einfluß auf das Volk hatte. Kaum aber war dieser große Bürger vom Schauplatze getreten, als die unduldsame Bigotterie, die am Hofe herrschte, das Volk zu quälen begann. Einen auffallenden Beweis davon gab der Gerichtshof zu Lublin, der aus eigener Gewalt Gesetze über Vergehungen gegen die römisch-katholische Kirche erließ, die nicht zu den Landesgesetzen gehörten. Diese Anmaßung einer richterlichen Behörde, im die gesetzgebende Gewalt einzugreifen, ward aber im Jahre 1627 von dem Reichstage zurückgewiesen, der jenes verfassungswidrige Verfahren für nichtig erklärte, und den Gerichten verbot, über Gegenstände zu erkennen, die nicht in den von den Volksvertretern gegebenen Gesetzen aufgeführt wären.

 

Wie die erzwungene Vereinigung mit Rom unter der russischen Bevölkerung eine Unzufriedenheit erregt hatte, die mit offener Empörung endigte, so führte die Verfolgung der Protestanten in Lievland und Polnisch-Preußen zu nicht minder traurigen Ereignissen Wir haben gesehen, daß die Einwohner von Riga sich der Einführung der Jesuiten widersetzt hatten, als der König Stephan starb. *) Sie wendeten sich im Jahre 1689, um Abhilfe ihrer Bedrückungen zu erlangen, an den Reichstag, der eine Commission zur Untersuchung der Beschwerden ernannte. Es ward entschieden, daß die den Katholiken genommene Kirche zurückgegeben, der Jesuitenorden aber nicht aufgenommen werden sollte, um eine neue Aufregung zu verhüten. Diese Verordnung wurde jedoch umgangen, und nach langem Widerstande sahen sich die Einwohner genöthigt, sich die Einführung der Jesuiten gefallen

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*) S. Abschn. 12

 

 

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zu lassen. Die Unzufriedenheit, welche die Bestrebungen der katholischen Partei unter den Lievländern erregten, erleichterte die Eroberung des Landes durch Gustav Adolf im Jahre 1620. Aehnliche Ereignisse sah man in Polnisch-Preußen, wo mehre Städte dem schwedischen Helden kaum Widerstand leisteten, obgleich günstige Umstände den Verlust dieser Provinz verhüteten. Siegmund III. verlor durch seine Anhänglichkeit an Rom sein Erbrecht auf den schwedischen Thron, dessen sein Oheim, Karl IX., im Jahre 1604 sich bemächtigte, und sein blinder Eifer für den katholischen Glauben raubte ihm die unermeßlichen Vortheile, die Polen gewonnen haben würde, wenn sein Sohn Wladislaw den moskowitischen Thron bestiegen hätte. Der Prinz wurde zum Zar erwählt und würde ohne Widerstand zur Herrschaft gelangt sein; aber statt von einem, für Polen so günstigen Umstande Vortheil zu ziehen, weigerte sich Siegmund, den von dem polnischen Feldherrn Zolkiewski geschlossenen feierlichen Vertrag zu bestätigen, und suchte die moskowitische Krone für sich selbst zu erlangen. Seine Bigotterie und sein blinder Eifer für die Beförderung der Vereinigung mit Rom waren zu bekannt, und die Moskowiter wehrten sich auf das äußerste gegen eine Verbindung mit Polen, die sie früher gesucht hatten. Der Einfluß seiner jesuitischen Rathgeber machte den König gänzlich der Politik Oestreich’s dienstbar, dessen Interessen er stets zum Nachtheile Polens beförderte. Als die Böhmen sich zur Vertheidigung ihrer Freiheit gegen Oestreichs Herrschaft erhoben, befolgte er nicht Kasimir Jagello’s Politik, der dem stammverwandten Volke Beistand Ieistete, sondern schickte dem Kaiser Kosaken zu Hilfe, und schloß mit ihm ein Bündniß, das gesetzwidrig war, da die Stände ihre Zustimmung nicht gegeben hatten; und im Jahre 1618 sendete er auch nach Ungarn Hilfsvölker, die viel dazu beitrugen, die Fortschritte des Fürsten von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, zu hemmen. Der Sultan wurde dadurch gereizt und Polen in einen unnöthigen und den Interessen des Landes nachtheiligen Krieg mit den Türken verwickelt. Aber obgleich Polen in einen traurigen Zustand versunken war, so hatte doch Siegmund seinen großen Zweck erreicht; der Protestantismus war gebrochen, ein großer Theil der morgenländischen Kirche hatte sich der Oberherrschaft des römischen Stuhles unterworfen, und der Einfluß des Papstthums verbreitete sich schnell über das ganze Land.

 

 

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Neunzehnter Abschnitt.

 

Regierung Wladislaw’s IV.

 

So sehr die Gegner der römischen Kirche unter Siegmund’s Regierung gelitten hatten, so zeigten sie doch nach der Thronerledigung noch eine bedeutende Stärke. Auf dem Berufungsreichstage, der sich im Junius 1632 zu Warschau versammelte, wurde die durch die Landesverfassung und die Verordnungen des Reichstages von 1627 gewährleistete Glaubensfreiheit feierlich bestätigt, und alle gegen die Rechte der Nichtkatholiken gerichteten gesetzwidrigen Verfügungen der Gerichte, alle verfassungswidrigen Anordnungen ähnlicher Art, die der verstorbene König auf Anstiften der katholischen Geistlichkeit gemacht hatte,. wieder aufgehoben, und der künftige König ward ermahnt, solche Schritte nicht nachzuahmen. Der Reichstagsbeschluß erklärte alle protestantischen Kirchen, die Privatpersonen gehörten, für unverletzlich, legte aber den Städten, die unmittelbar von dem Könige abhingen, einige Beschränkungen auf. Die dort bereits bestehenden Kirchen sollten zwar erhalten, neue aber nicht erbaut werden, doch nur, wie es hieß, um Aufstände zu vermeiden. Häuslicher Gottesdienst sollte überall gestattet sein. Eine andere Bestimmung verfügte, daß die protestantische Geistlichkeit den gewöhnlichen Gerichten unterworfen sein sollte, und wies damit die richterliche Gewalt ab, welche die katholischen Bischöfe sich über sie anmaßten. Alle Verfügungen waren von dem Erzbischofe von Gnesen und fünf Bischöfen unterzeichnet, doch mit dem Zusatze: „ohne Nachteil der Rechte der römischen Kirche und mit Ausnahme des, die Conföderation der Dissidenten betreffenden Artikels.”

 

Der Reichstag wählte zu seinem Marschall den Fürsten Christof Radziwill, welcher mit einigen andern protestantischen Wortführern sich bemühte, dem Volke die umfassendsten Bürgschaften für die Glaubensfreiheit zu verschaffen, was bei jener, von den Bischöfen ausgesprochenen Verwahrung noch nothwendiger war. Er und seine Freunde legten zwanzig Artikel vor, die keine Neuerung enthielten, sondern nur eine weitere Ausführung der bereits bestehenden Gesetze waren. Sie verlangten, daß allen Glaubensparteien vollkommene Freiheit des öffentlichen Gottesdienstes gesichert werde, daß alle, den Landesgesetzen widerstreitenden gerichtlichen Verfügungen und Entscheidungen feierlich aufgehoben, schwere Strafen gegen die Störer des Glaubensfriedens angedroht, alle Streitigkeiten zwischen der katholischen Geistlichkeit und

 

 

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Mitgliedern nichtkatholischer Glaubensparteien von den gewöhnlichen Landesgerichten entschieden, Berufungen an den päpstlichen Nuntius oder den römischen Stuhl gänzlich abgeschafft werden sollten, daß dem nichtkatholischen Glaubensgenossen das Recht ertheilt werde, Stiftungen zu gründen und Vermächtnisse an Stiftungen, zu Gunsten ihrer Kirchen und Schulen und zu andern frommen Zwecken zu machen, und daß alle Stiftungen dieser Art eben so giltig und rechtmäßig sein sollten, als die für die katholische Kirche gegründeten. Es wurde, da der verstorbene König die Staatswürden fast ausschließend an Katholiken verliehen hatte, verlangt, daß dieselben nur verdienstvollen Männern, ohne Rücksicht auf den Glauben, gegeben werden sollten. Die wichtigste Foderung aber war, alle dem Abel in Beziehung auf Glaubensfreiheit zugestandenen Vorrechte auch den Städten und den Bauern zu verleihen.

 

Diese gerechten Foderungen erregten dem heftigsten Unmuth der katholischen Geistlichkeit, und sie beschloß in einer bei dem Erzbischofe von Gnesen gehaltenen Versammlung, sich denselben, als einer ungebührlichen Ausdehnung der den nichtkatholischen Glaubensparteien bereits gegebenen Rechte und Freiheiten, zu widersetzen. Zu gleicher Zeit wurden die Protestanten von dem Dominicaner Birkowski in einer, vor den Mitgliedern des Reichstags und einer zahlreichen Versammlung gehaltenen Predigt auf das heftigste angegriffen. „Wir Katholiken — sagte er — sind Christen, und wie können wir daher Euren neuen Glauben billigen, welcher Christus verleugnet, der uns mit seinem Blute erlöset hat? O wie groß ist Eure Tollheit! Ihr folget Calvin, der Christus schmähet, und dem Herrn Unwissenheit und Lästerung zuschreibt! Euer Glaube wird Euch bald zum Atheismus führen. Und nun, meine Katholiken, wollet Ihr eine solche Religion preisen? Das hieße, Gottlosigkeit preisen.” In Beziehung auf die Verfügungen zur Sicherung des Glaubensfriedens sagte er: „Wohin führet Ihr Eure Brüder, Ihr Herren Dissidenten, um eine Conföderation zu unterzeichnen? Mit wem laßt Ihr sie Brüderschaft stiften? Mit Dämonen, mit Bestien, die nicht nach der Vernunft, sondern nach dem Antriebe ihrer Wuth leben.”

 

Eine von den Protestanten bei dieser Gelegenheit begangene Unvorsichtigkeit war ihnen jedoch weit nachtheiliger, als die heftigen Angriffe ihrer Gegner. Sie ließen den Wink fallen, daß man zu einer Zeit, wo die protestantische Sache unter Gustav Adolf in Deutschland siegreich sei, ihre Beschwerden nicht geringe achten möge. Diese unkluge Bemerkung beleidigte mit Recht das polnische Volk, erweckte den Argwohn, daß man die Absicht habe, fremden Beistand zur Ausgleichung

 

 

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der inneren Angelegenheiten herbeizurufen, und veranlaßte die Verwerfung der gerechten Foderungen, welche die Wortführer der Gegner Roms vorlegten.

 

Es war keineswegs die Absicht, Fremde einzuladen, sich in die inneren Angelegenheiten zu mischen; wie es scheint, gab es aber eine, nicht nur aus Protestanten, sondern auch vielen Katholiken bestehende starke Partei, die den König von Schweden auf den Thron setzen wollte. Piasecki, ein katholischer Bischof, sagt bestimmt *), man habe während der Thronerledigung sehr gefürchtet, daß Guslav Adolf, wenn er in Polen einrückte, mehr Freunde als Gegner finden würde. Diese Behauptung eines, den Protestanten feindlichen Schriftstellers erhält noch mehr Gewicht, wenn man erwägt, daß Gustav Adolf in Polen beliebt sein mußte, sowohl wegen seines ritterlichen Charakters, der dem Volksgefühle so sehr zusagte, als wegen seiner Siege über Oestreich, dessen Einfluß auf Siegmund III. den Interessen des Landes vielfach nachtheilig gewesen war. Gustav Adolf konnte überdies den Polen große Vortheile anbieten **), während die Söhne des verstorbenen Königs, die nichts als einen leeren Anspruch auf den schwedischen Thron hatten, das Land nur in einen unvortheilhaften und verderblichen Krieg verwickeln konnten, Gustav Adolf’s Interesse ward aber vorzüglich durch die Unvorsichtigkeit eines seiner Unterhändler, Jakob Russell, verletzt, der auf ein falsches Gerücht von Siegmund’s Tode an mehre angesehene Polen schrieb und sie um die Unterstützung seines Gebieters bei der Thronbewerbung bat. Ein solches Verlangen war eben so beleidigend für den König, als für das Volk; Russell’s Briefe wurden öffentlich durch den Henker verbrannt, und Gustav Adolf selbst bestrafte seinen unbedachtsamen Geschäftsführer mit Gefängnis. Trotz dieses Vorfalles aber hatte der König von Schweden viele Anhänger, besonders in Groß-Polen, und Baranowski, Palatin von Sieradz, ein Katholik, schlug den schwedischen Helden förmlich zum Thronbewerber vor. Der Vorschlag fand jedoch keine Unterstützung, und es gelang Gustav Adolf’s Gegnern, einen Beschluß durchzusetzen, welcher jeden, der ihn zum

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*) Chronica zum Jahre 1632.

**) Nach Renaudot’s Recueil des Gazettes (Jahr 1632) soll Gustav Adolf den Polen, wenn sie ihn zum Könige wählten, versprochen haben: die Zurückgabe der Eroberungen in Lievland und Preußen, Vereinigung der Moldau und Walachei auf der einen, und Schlesiens auf der andern Seite mit dem polnischen Reiche, ein Bündniß mit Ungarn und Böhmen, die von Oestreichs Herrschaft losgerissen werden sollten, und die Bestätigung der verfassungsmäßigen Freiheiten des Volkes.

 

 

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Thronbewerber vorschlagen würde, für einen Feind des Landes erklärte. Diese vorbauende Maßregel, die durch den Einfluß der Jesuiten angenommen wurde, beweiset, welche Gefahr die Partei von jener Seite fürchtete, da eine ausdrückliche Ausschließung eines Bewerbers ungewöhnlich, und weder durch ein vorgängiges Beispiel, noch durch eine verfassungsmäßige Verfügung gerechtfertigt war. Gustav Adolf war zu sehr in Deutschland beschäftigt, als daß er ernstlich nach der polnischen Krone hätte streben können, so wahrscheinlich auch ein glücklicher Erfolg war.

 

Die von dem Fürsten Radziwill und seinen Freunden vorgelegten zwanzig Artikel wurden zwar verworfen, doch hatten auf die darin verlangte Glaubensfreiheit die Verfügungen des Reichstags keinen nachtheiligen Einfluß. Es wurde sogar der Vorbehalt der Geistlichkeit „mit Ausnahme des die Conföderation der Dissidenten betreffenden Artikels“ gestrichen, und nur der Zusatz: „ohne Nachtheil der Rechte der römischen Kirche” beibehalten.

 

Die griechische Kirche legte dem Reichstage gleichfalls ihre Beschwerden vor, und die katholische Geistlichkeit wurde selbst von ihrer eigenen Partei angefallen. Die ansehnlichen Besitzungen der Kirche nahmen beständig zu, nicht nur durch Geschenke, sondern auch durch Ankäufe, welche, indem sie die Besitzungen des Adels schmälerten, eine Verminderung der Streitkräfte des Landes herbeiführten, so daß die Kirche sich bereicherte, während die Finanzen des Staats verhältnißmäßig abnahmen. Man machte den Plan, das Befugniß der Kirche zur Erwerbung neuer Besitzungen zu beschränken und ihre Rechtsansprüche auf die alten zu untersuchen, um zu sehen, ob die ursprünglichen Absichten der Geber erfüllt wären. Es gelang den Bischöfen, eine solche Untersuchung, der sie sich nicht offen zu widersetzen vermochten, auf eine spätere Zeit zu verschieben, unter dem Vorwande, daß sie ohne Zustimmung einer Synode und ohne Genehmigung des päpstlichen Stuhles kein Zugeständniß machen könnten.

 

Auf dem Wahlreichstage, der sich im November 1632 versammelte, legte der Bischof von Lutzk, Achatius Grochowski, eine förmliche Verwahrung gegen die auf dem letzten Reichstage bestätigte Glaubensfreiheit ein. Dieser kühne Angriff auf die Landesverfassung mußte die Gegner Roms beunruhigen, und sie verlangten von dem Reichstage, daß der Bischof als ein Störer der bestehenden gesetzlichen Ordnung bestraft, und seine Verwahrung feierlich für ungiltig erklärt werden sollte. Diesem Antrage widersetzte sich lebhaft die katholische Partei, und erklärte, daß die Protestanten nur geduldet wären und

 

 

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jedes ihnen gegebene Zugeständniß nur als eine Gnade, nicht als ein Recht betrachten müßte. Die Eiferer in ihrer Mitte faßten sogar den Beschluß, ihren Gegnern die in Anspruch genommenen Rechte zu entreißen, und diese Verletzung der Verfassung durch Waffengewalt auszuführen. Sie hatten funfzehntausend Mann zur Unterstützung ihrer Absichten, während die Protestanten unter dem Fürsten Radziwill, Großfeldherrn von Lithauen, und dem Palatin von Belsk, Leszczynski, nicht mehr als fünftausend hatten. Die Protestanten waren, trotz dieser Ungleichheit der Streitkräfte, keineswegs in Schrecken, da ihre Kriegsvölker meist aus geübten Soldaten bestanden und von dem erfahrenen Feldherrn Radziwill angeführt wurden. Sie konnten überdies bei dem Ausbruche eines Bürgerkrieges auf zahlreiche Anhänger unter den Mitgliedern der morgenländischen Kirche rechnen, welche, durch Glaubensverfolgung gereizt, nur auf eine Losung warteten, um in offene Empörung auszubrechen. Eine solche ruchlose Vergießung von Bruderblut wurde zum Glück durch die Mäßigung und Vaterlandsliebe mehrer einflußreichen Männer von beiden Parteien verhütet, besonders aber durch die bekannten Gesinnungen des neuen Könige, der ohne Widerstand gewählt wurde.

 

Wladislaw IV., Siegmund’s ältester Sohn, hatte einen ganz andern Charakter als sein Vater, und war allen Glaubensverfolgungen abgeneigt. Er bestätigte unbedenklich alle Gerechtsame des Volkes in Beziehung auf Glauben und Bürgerthum, trotz aller Bemühungen des Erzbischofs von Gnesen, ihn davon abzuhalten. Die Hoffnung, Schutz an dem Fuße des Throns zu finden, von welchem unter der vorigen Regierung nur Unterdrückung gekommen war, milderte die Besorgnisse der Protestanten und Griechen. Wladislaw besaß bedeutende Geistesbildung, welche in Verbindung mit der Erinnerung an das Unheil, das seines Vaters Blindgläubigkeit über das Land gebracht hatte, ihm die Rathgeber desselben so verhaßt machte, daß er keinen Jesuiten am seinem Hofe dulden wollte. Bei seiner redlichen Gesinnung war ihm jede Abweichung von einem ehrenhaften Benehmen zuwider, und wir müssen der edlen Antwort gedenken, die er dem Fürsten Radziwill, Kanzler von Lithauen, gab, der ihm rieth, keine eigentliche Wichtigkeit den, der nichtkatholischen Glaubenspartei ertheilten Versprechungen beizulegen: „Was ich mit dem Munde verspeche, werde ich durch meine Handlungen halten.”

 

Sein Benehmen gab Anlaß zu dem Verdachte, daß er dem Prostestantismus geneigt sei. Wir können nicht entscheiden, ob dieser Verdacht irgend einen Grund hatte oder nicht, aber Gerechtigkeit und

 

 

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Unparteilichkeit waren gerade hinreichend, einen solchen Argwohn bei eine Partei zu erwecken, welche an die blinde Ergebenheit gewöhnt war, womit Siegmund bei jeder Gelegenheit ihren Vortheil beförderte. Was auch die innere Ueberzeugung des Königs gewesen sein mag, so viel ist gewiß, daß Glaubensverschiedenheit keinen Einfluß auf sein Gemüth hatte, und bei der Verleihung von Aemtern von ihm nicht beachtet ward. Er nahm sogar, wie einst im Jahre 1563 Siegmund August, die Widmung einer protestantischen Bibel an, die der Fürst Christof Radziwill ihm überreichte.

 

Die katholische Geistlichkeit theilte nicht die duldsame Gesinnung des Königs, und der Erzbischof von Gnesen untersagte die Verbreitung dieser Bibelausgabe. Dieses Verbot wurde von der Synode zu Warschau im Jahre 1634 bestätigt, die dabei erklärte, daß die Lehre, welche jedem Christen die Bibelforschung erlaube, vom Satan selbst herstamme. Der Beschluß der Synode wurde durch ein Schreiben des Papstes Urban’s VIII. bestätigt.

 

Wladislaw wünschte sich mit Elisabeth, der Tochter des unglücklichen Friedrich von der Pfalz und der Prinzessin Elisabeth von England, zu vermählen, ungeachtet sie dem reformirten Glauben eifrig anhing. Der Gedanke, eine Protestantin auf den polnischen Thron zu setzen, erweckte ein allgemeines Geschrei unter der Geistlichkeit und allen eifrigen Katholiken, obgleich die Landesverfassung den König nicht hinderte, eine solche Verbindung einzugehen. Piasecki war der einzige Bischof, der das Recht des Königs bei dieser Gelegenheit verteidigte, und es wurde genehmigt, Gesandte nach London und dem Haag an Karl I., den Oheim der Prinzessin, und an ihre Mutter zu schicken. Die Schwierigkeiten, die man dieser Verbindung wegen des Glaubens der Prinzessin entgegensetzte, nöthigten den König, seinen Wunsch aufzugeben.

 

Die Unparteilichkeit des Königs, und sein aufrichtiger Wunsch, das Volk mit gleicher Gerechtigkeit zu beherrschen, konnten doch die Verfolgungssucht der katholischen Eiferer nicht hemmen. Der Einfluß der Jesuiten hatte Blindgläubigkeit und Unduldsamkeit, besonders unter dem zahlreichen niederen Adel, der in ihren Schulen erzogen wurde, zu weit verbreitet. Die Protestanten in Krakau genossen nun eine lange nicht gekannte Ruhe und sie konnten, besonders während des Krönungs-Reichstages (1633), ohne Störung ihren Gottesdienst halten und ihre Todten begraben. Die Hoffnung aber, der sie sich überließen, eine dauernde Ruhe zu genießen, wurde bald getäuscht, und der Himmelfahrtstag, den man gewöhnlich zu Angriffen gegen die Protestanten wählte, ward abermals durch solche Gewaltthaten entweiht. Der König

 

 

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hatte, einen Aufstand fürchtend, Vorsichtsmaßregeln angeordnet, und es war eine Bürgerwehr zur Verhütung von Ruhestörungen errichtet. Trotz dieser Maßregeln aber ergriffen die Zöglinge einer katholischen Lehranstalt einen protestantischen Bürger, schleppten ihn durch die Straßen und ließen ihn nach grausamen Mißhandlungen halb todt vor einer Kirche liegen. Die Franciscaner, welchen diese Kirche gehörte, erbarmten sich des unglücklichen Mannes, und nachdem sie ihn sorgfältig gepflegt hatten, brachten sie ihn zu seinen Angehörigen zurück. Die Bürgerwehr mischte sich nicht ein, und die Studenten wurden durch diese stillschweigende Billigung zu einem neuen Aufstande ermuntert. Sie waren auf Befehl der Universitätsbehörde in ihre Collegien oder Bursen eingeschlossen, aber sie brachen entweder mit Gewalt heraus, oder verließen heimlich ihre Wohnungen, und suchten das Haus eines protestantischen Bürgers zu erstürmen. Eine Abtheilung von Soldaten zerstreute sie mit einigen Schüssen, durch welche mehre Studenten verwundet wurden. Als einer der Ruhestörer an seinen Wunden starb, wurden die Protestanten als Mörder angeklagt, und sie zogen es vor, die Sache durch Bezahlung einer Geldsumme auszugleichen, da sie wußten, daß ihre Unschuld sie vor einem, unter dem Einflusse der Geistlichkeit gewählten Gerichte nicht schützen würde. Die Straflosigkeit, womit diese Gräuel verübt wurden, reizte zu neuen Gewaltthaten. Als eine Protestantin gestorben war, baten die Angehörigen, einen Angriff fürchtend, die protestantische Fürstin Radziwill, ihren Wagen zu dem heimlichen Begräbnisse zu leihen, und das Gesuch wurde gewährt. Die Studenten, die Kunde davon erhalten hatten, hielten den Wagen an, nahmen die Leiche aus dem Sarge und warfen sie in den Koth. Nicht zufrieden mit dieser Beschimpfung, legten sie die Leiche wieder in den Sarg, den sie mit einer Kette umwanden und unter Steinwürfen, wildem Geschrei und unanständigen Gesängen durch die Straßen zogen. Dieser ärgerliche Auftritt machte einen verschiedenen Eindruck auf die Zuschauer; einige billigten die That, viele aber waren so entrüstet, daß sie Thränen vergossen. Der Rector der Universität soll diese schmähliche Handlung angesehen haben, ohne sich einzumischen, vielleicht weil er fühlte, daß sein Ansehen von dem fanatischen Pöbel, der die Lehranstalt entehrte, nicht würde geachtet werden. Die Studenten warfen den Leichnam nach vielen Mißhandlungen in den Fluß. Der König befahl, die Thäter auszuforschen und zu bestrafen. Drei Hauptanführer wurden entdeckt, aber der Rector der Universität wußte sie vor der Strafe zu schützen, bis auf einen, der überwiesen und zum Tode verurtheilt wurde. Der König bestätigte das Urtheil, der Verbrecher

 

 

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aber fand mächtige Gönner, und die Protestanten, welchen man Rache drohte, wenn er enthauptet werden sollte, drangen nicht auf die Vollstreckung des Urtheils Er erhielt Verzeihung, und sechs Lehrer der Universität verbürgten sich für seine gute Aufführung. Aehnliche Gewaltthaten wurden von den Studenten häufig verübt, und wir begnügen uns, eine der empörendsten anzuführen. Am Feste der Himmelfahrt Mariä im Jahre 1641 beschlossen funfzehn Pilger, die vom Calvarien-Berge bei Krakau kamen, ihre andächtiges Tagewerk mit Plünderung der Ketzer zu endigen. Sie drangen in das Haus eines Protestanten, der in einem benachbarten Dorfe wohnte, banden das Gesinde und zwangen ihn und seine Frau durch Todesdrohungen, ihr Geld auszuliefern. Sie stahlen alles, was sie finden konnten, und gestanden offen, daß sie dadurch den wahren Glauben an Ketzern rächen wollten. Als ein Zufall sie nöthigte, sich aus Furcht vor der Entdeckung eilig zu entfernen, ließen sie verschiedene Dinge zurück, aus welchen sich ergab, daß die Pilger Studenten waren. Vor dem Gerichtshofe zu Krakau angeklagt, leugneten sie die That nicht, sondern suchten sie zu rechtfertigen, indem sie behaupteten, daß es Pflicht sei, die Protestanten zu vernichten, daß die Geistlichkeit solche Handlungen erlaube und billige, und daß ohne Verfolgungen die Ketzerei siegen und der katholische Glaube unterliegen werde. Sie führten mehre Bibelstellen an, um zu beweisen, daß Gott die Niedermetzelung der Ketzer geboten habe, und beriefen sich auf die alten Landesgesetze gegen Abtrünnige von der römischen Kirche. Ihre Vertheidigung schützte sie nicht, und vielleicht war dieses offene Geständniß ihrer Grundsätze zu voreilig für die Absichten der Urheber der Verfolgung; sie wurden zum Tode verurtheilt und, trotz des Geschreies vieler Eiferer, hingerichtet. Diese gerechte Strenge verschaffte den Protestanten für mehre Jahre Ruhe. Im Jahre 1647 aber griffen einige hundert Studenten das Haus eines Protestanten mit Steinwürfen an, und suchten die Thüre zu erbrechen. Als ein Schuß aus dem Hause einen der Angreifer niederstreckte, stieg ihre Wuth, und die Bewohner des Hauses würden den Tod gefunden haben, wenn nicht der Palatin von Krakau zu rechter Zeit eine Reiterabtheilung geschickt hätte. Die Studenten zogen sich auf den Kirchhof des Franciscaner-Klosters zurück, wo sie, hinter der Mauer geschützt, die Reiter mit Steinwürfen angriffen. Die Soldaten feuerten, und mehre Studenten wurden getödtet und verwundet. Endlich wurde die Ruhe hergestellt, nachdem es den Studenten gelungen war, einige Häuser zu plündern; die Franciscaner aber klagten laut, daß man ihren Kirchhof durch Schüsse auf die Ruhestörer entweiht habe, und um neue

Krasinski.

 

 

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Quälereien zu verhüten, entschlossen sich die Protestanten, sie durch eine Geldsumme zu beschwichtigen. Die Universität, statt den Gewaltthaten ihrer Zöglinge zu steuern, suchte die, bei der Unterdrückung des Aufstandes getödteten und verwundeten Studenten an den Protestanten zu rächen, und war so unverschämt, diese vor dem Gerichte anzuklagen. Die Protestanten in Krakau waren, als Einwohner der Hauptstadt, der Richtergewalt des Könige unmittelbar unterworfen, und legten Berufung an ihn ein, indem sie das Untersuchungsbefugniß des Gerichtshofes zu Krakau und der obersten Gerichtsbehörde Polens, wo die Klage angebracht war, bestritten. Die Universität, welche die Unparteilichkeit des Königs kannte, und wohl wußte, daß der Kron-Großkanzler Ludomirski, Palatin von Krakau, sie nicht unterstützen werde, nahm die Anklage zurück. Sie versuchte jedoch aus alle Weise, die Protestanten zu belästigen, und durch ihre beständigen Beschwerden bewogen, befahl Lubomirski den Protestanten, sich mit der Hochschule zu versöhnen, und da sie aus Erfahrung wußten, wie gefährlich die Feindschaft der Universität war, so gaben sie dem Rector 2500 polnische Gulden *), die er als Sühngeld für ein eingebildetes Unrecht annahm.

 

Die Protestanten hatten, außer persönlichen Gewaltthätigkeiten, auch Angriffe auf ihr Eigenthum abzuwehren, wogegen sie bei dem Einflusse der katholischen Geistlichkeit keine Abhilfe finden konnten. Die Sterbenden wurden Quälereien aller Art ausgesetzt, um von ihnen ein Wort oder ein Zeichen zu erpressen, das als Abschwörung ihres Glaubens vor dem Tode gedeutet werden konnte. Die nächsten Verwandten, Aeltern, selbst Kinder übernahmen es, die letzten Augenblicke ihrer Angehörigen zu stören. Ein Bürger zu Krakau baute ein Haus neben der protestantischen Kirche in einem benachbarten Dorfe, wohin kranke Glaubensgenossen sich zurückziehen konnten, um ruhig und ungestört von dem Quälereien der katholischen Geistlichkeit zu sterben. Die bereits erwähnte Verordnung des Stadtrathes zu Krakau, welche die Protestanten von dem Bürgerrechte ausschloß, wurde zwar von Wladislaw IV. aufgehoben, im Jahre 1637 aber, als viele der angesehensten Familien zur römischen Kirche zurückgekehrt waren, bewog das die bischöfliche Gericht die Handwerksinnungen, den Protestanten das Meisterrecht zu versagen, und die Beschwerde eines, wegen seines Glaubens ausgeschlossenen Bürgers wurde von dem Stadtrathe abgewiesen, und seine Berufung an die oberste städtische Gerichtsbehörde blieb ohne Erfolg. Seitdem waren die Protestanten von allen Innungsrechten ausgeschlossen, was auf den Wohlstand der Stadt den nachtheiligsten Einfluß hatte.

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*) Ein Gulden galt zu jener Zeit ungefähr 12 Groschen.

 

 

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Die Verfolgung des Protestanten ward immer drückender, je mehr die Jesuiten Spielraum gewannen, das heißt, die Gewaltthätigkeiten nahmen mit jedem Jahre zu, da die Zahl derjenigen, die in den Jesuiten-Schulen einen bitteren Haß gegen alle Nichtkatholien eingesogen hatten, jährlich wuchs. Die Gewalt des Königs, zu beschränkt durch ungebührliche Ausdehnung der Vorrechte des Adels, war nicht im Stande, dem Geiste der Unduldsamkeit zu steuern, der sich wie eine Seuche unter dem Volke verbreitete. So wurden die freien Staatseinrichtungen, welche die Bürger gegen Bedrückungen schützen sollten, dazu benutzt, sie zu verfolgen. Eine Kirche nach der andern wurde den Protestanten genommen und den Katholiken gegeben, und alle Beschwerden gegen diese Ungerechtigkeit wurden entweder von den Gerichten verworfen, oder unter verschiedenen Vorwänden vereitelt. Die protestantischen Geistlichen wagten es nicht, sich in den Straßen einer Stadt zu zeigen, wo es eine Jesuiten-Schule gab, um nicht von den Zöglingen derselben beschimpft zu werden. Als in Lublin das Leichenbegängniß eines Protestanten von dem Pöbel angefallen, und ein Mitglied der schottischen Gemeinde ermordet wurde, tödteten die Protestanten bei ihrer Gegenwehr zwei ihrer Widersacher. Aufgereizt durch diesen Vorfall, plünderte der Pöbel das Haus des Aeltesten der protestantischen Gemeinde, Makowski. Der König schickte Bevollmächtigte, welche die Unschuld der Protestanten, die nur Nothwehr geübt hatten, anerkannten, aber Wladislaw mußte, um Makowski zu schützen, ihm sicheres Geleite geben. Die Ausübung dieses königlichen Vorrechts aber konnte selbst in einer gerechten Sache nicht hinreichenden Schutz gegen die Rache der Katholiken verleihen. Der oberste Gerichtshof Iud Makowski vor, und verurtheilte ihn wegen eines angeblichen Verbrechens zum Tode. Er wurde mehr als einmal aus den Richtplatz geführt, ertrug aber sein Schicksal mit christlicher Ergebung, indem er immer auf dem Wege den Psalm sang: „Herr, hadere mit meinen Haderern, und streite wider meine Bestreiter.” Die Vollziehung des gerichtlichen Mordes wurde jedoch durch die Vermittelung einiger katholischen Edelleute von gemäßigten Gesinnungen verhindert, und Makowski erhielt endlich seine Freiheit, nachdem er den Bernhardiner-Mönchen, von welchen die gerichtliche Verfolgung ausgegangen war, eine beträchtliche Geldsumme bezahlt hatte *). Seit jener Zeit war den Protestanten in Lublin auch nicht einmal häuslicher Gottesdienst gestattet.

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*) Nach den alten polnischen Gesetzen konnte die anklagende Partei das Verfahren in einer Criminalsache aufheben, selbst wenn bereits ein Urtheil gegen den Angeklagten gesprochen war.

 

 

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Die im Jahre 1611 zerstörte protestantische Kirche in Wilna *) wurde später mit der dazu gehörigen Schule wieder aufgebaut, im Jahre 1639 aber von den Zöglingen der jesuitischen Lehranstalt angefallen, welche den Vorsteher der Schule nach grausamen Mißhandlungen in den Fluß warfen. Er wurde zwar gerettet und der Aufstand gedämpft, doch nicht eher, bis die Ruhestörer die Häuser mehrer reichen Protestanten geplündert hatten. Bald nachher gab ein unbedeutender Vorfall den Katholiken einen Vorwand, die protestantische Schule gänzlich zu unterdrücken. Als einige Schüler eines Tages mit Armbrüsten Vögel schossen, traf ein Pfeil zufällig ein kleines Steinbild des Erzengels Michael, das auf dem Dache der, den Franciscaner-Nonnen gehörenden Kirche stand. Die Katholiken erhoben ein großes Geschrei über die, dem katholischen Glauben zugefügte lästerliche Beschimpfung; da jedoch die angestellte Untersuchung ergab, daß den Schülern keine böse Absicht zur Last gelegt werden konnte, so wurden sie weder vor das Gericht gestellt, noch von ihren Lehrern bestraft. Dieser Zufall gab jedoch eine gute Gelegenheit zu Verfolgungen, die man nicht versäumen wollte, und die Mehrheit des Volles war bereits von dem Geiste der Bigotterie so sehr verfinstert, daß es leicht war, eine gesetzliche Maßregel zur Verfolgung zu erlangen, die der duldsame König nicht verhindern konnte. Die Sache ward im Jahre 1640 vor den Reichstag gebracht, der die Aufhebung der Kirche und der Schule in Wilna verfügte, und selbst die Ausübung des häuslichen Gottesdienstes innerhalb der Ringmauer verbot. Die Protestanten mußten ihren Gottesdienst in eine Vorstadt verlegen, und zwei Geistliche wurden aus dem Lande gewiesen. Als im folgenden Jahre der protestantische Prediger Chelchowski in die Stadt zu kommen wagte, um einer kranken Glaubensgenossin geistlichen Trost zu bringen, ward er von den Jesuitenschülern grausam gemißhandelt. Sie meldeten dem Vorgesetzten ihrer Lehranstalt, daß die protestantischen Geistlichen, trotz des Verbotes, sich oft in der Stadt zeigten, worauf jener ihnen zwar untersagte, die Geistlichen zu schlagen, sie aber ermächtigte, ihnen die Kleider abzureißen. Die Studenten benutzten diese Erlaubniß, als Chelchowski und ein anderer Prediger in der Stadt erschienen, und rissen ihnen nicht nur die Kleider ab, sondern mißhandelten sie so sehr, daß sie besinnungslos liegen blieben. Es ward eine Beschwerde vor dem Gerichtshofe angebracht, und in einer, meist aus Katholiken bestehenden Versammlung der Edelleute des Bezirks Wilna wurden jene Gewaltthätigkeiten streng gemißbilligt und man beschloß,

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*) S. Abschn. 18.

 

 

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die Sache vor den nächsten Reichstag zu bringen. Der König befahl dem Palatin, dem Bischofe und den Jesuiten, die Thäter zu bestrafen, und der Bischof versprach zwar, die Studenten zu züchtigen, that aber keine Schritte zu diesem Zwecke, und als auf die Erfüllung seiner Zusage gedrungen wurde, wußte er durch seine plötzliche Abreise von Wilna auszuweichen. Er verrieth, wie wenig sein Versprechen aufrichtig gewesen war, durch die Worte: „Wie kann ich die Studenten bestrafen, da es mein Beruf ist, die Ketzerei durch alle Mittel auszurotten? Der Papst hat mir feierlich dafür gedankt, daß während meiner Amtsverwaltung die Ketzerei aus Wilna vertrieben worden ist.”

 

In allen polnischen Städten verfolgt, genossen die Protestanten wenigstens auf den Gütern der ihrer Kirche angehörenden Edelleute Ruhe, da ihre katholischen Mitbürger jeden feindlichen Versuch gegen die Vorrechte des Adels abgewehrt haben würden. Die Geistlichkeit wagte einen Angriff auf diese bevorrechtete Classe, und wählte als den ersten Gegenstand einen sehr mächtigen protestantischen Edelmann, da sie wohl wußte, daß, wenn der Versuch bei einem Großen gelänge, es minder schwierig sein würde, den niederen Adel zu unterdrücken. Der Bischof von Wilna beschuldigte im Jahre 1646 den Fürsten Radziwill, Großfeldherrn von Lithauen, durch Umwerfung einiger Kreuze auf seinen Gütern eine Kirchenschändung begangen zu haben. Er ermahnte den Reichstag, eine Gott zugefügte Beleidigung zu rächen, und verlangte, daß auf sein alleiniges Zeugniß ein Urtheil gesprochen werden sollte. Viele Stimmen erhoben sich laut gegen das Verlangen, einem Angeklagten die Vertheidigung zu versagen. Der Landbote von Krakau, Chrzonstowski, drohte, den Reichstag durch sein Veto aufzulösen, wenn ein solcher Antrag angenommen würde; andere aber nahmen die Partei der Bischöfe, und der Landbote von Masovien, wo noch immer der Katholicismus seine setzte Burg hatte, äußerte, daß nach der Meinung seiner Wähler der katholische Glaube durch das Schwert vertheidigt werden sollte. Radziwill nannte den Bischof einen Aufwiegler, ein Ausdruck, den die Geistlichkeit als gotteslästerlich und einer Erklärung des Bürgerkriegs gleich geltend bezeichnete. Es wurden die heftigsten Schmähungen und Drohworte gegen die Protestanten ausgestoßen, und nur mit großer Mühe konnte Blutvergießen verhindert werden. Dieser Streit währte fünf Tage, und obgleich die Anklage gegen Radziwill verworfen wurde, so konnte sie doch als Beweis gelten, aus welchen leichten Gründen die katholische Partei die Protestanten zu verfolgen suchte, während die größten, von ihr gegen ihre Widersacher verübten Gräuel straflos blieben.

 

 

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Die Rechte und Freiheiten der morgenländischen Kirche, und ihre vollkommene Gleichstellung mit denjenigen, die sich im Jahre 1596 dem römischen Stuhle unterworfen hatten, wurden auf den Reichstagen von 1633, 1635 und 1647 feierlich bestätigt. Diese heilsamen Verfügungen waren jedoch unzulänglich, dem schnell zunehmenden Einflusse der Partei entgegen zu wirken, welche, um Roms Interessen zu befördern, das Land in einen Abgrund des Unheil stürzte. Die Gefahren, in welche eine solche Politik führte, waren so offenbar, daß nur eine fanatische Verblendung sie mißachten konnte. Die morgenländische Kirche hatte auf der Synode zu Kiew *) ihre Kräfte gestärkt, und wurde unter Wladislaw’s Regierung durch einen merkwürdigen Mann, den Erzbischof von Kiew, Peter Mohila **) geleitet, der von hoher Herkunft und ungemein gelehrt war. Die Priester-Lehranstalt, die er in Kiew gründete, ward ein neues Bollwerk der Kirche gegen Rom, indem sie Bildung unter den Geistlichen verbreitete, die in dieser Beziehung ihren Gegnern weit nachstanden, welche den Vortheil einer besseren Erziehung in den katholischen Seminarien genossen. Furchtbar aber wurde seine Kirche durch den Eifer, womit die Kosaken in der Ukraine ihr anhingen. Sie bildeten eine große bewaffnete Gesammtheit, welche an die Gefahren und Beschwerden des Kriegslebens durch stete Kämpfe mit den Türken und Tataren gewöhnt war. Diese Kosaken, die durch Stephan Batori ihre kriegerische Einrichtung erhalten hatten, dienten Polen getreu, sowohl gegen die Türken und Tartaren, als selbst gegen ihre Glaubensbrüder, die Moskowiter. Es war daher

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*) S. Abschn. 18.

**) Er war 1597 geboren, der Sohn des regierenden Fürsten der Moldau, ward auf der Universität zu Paris gebildet, und diente später im polnischen Heere mit Auszeichnung gegen die Türken. Er trat 1625 in ein Kloster zu Kiew, dessen Archimandrit er wurde, bis er 1633 das Erzbisthum Kiew erhielt. Unter mehren Schriften, die er herausgab, ist die wichtigste seine Darstellung der Lehre der griechischen Kirche, die er in lateinischer und griechischer Sprache der Synode zu Jassy zuschickte, um sie den Abgeordneten des Patriarchen von Konstantinopel vorlegen zu lassen, von welchen sie gebilligt wurde. Mohila starb 1646. Sein Werk verbreitete sich im ganzen Morgenlande, wurde von dem Pforten-Drogman, Peter Panagiotes 1662 in neugriechischer Sprache zu Amsterdam herausgegeben, um unentgeltlich unter den Griechen im türkischen Reiche vertheilt zu werden. Lorenz Norman, Professor zu Upsala und später Bischof in Gothenburg, gab das Werk in lateinischer Sprache mit dem griechischen Texte 1695 zu Leipzig heraus; Leonhard Frisch übersetzte es in’s Deutsche (Berlin 1727), und Hoffmann besorgte 1751 in Breslau eine Ausgabe, welche den Urtext, die lateinische Uebersetzung von Norman und die deutsche von Frisch enthält.

 

 

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eben so unklug und gefährlich, als ungerecht, die Anhänger der morgenländischen Kirche durch eine Verfolgung zu reizen, die sie leicht aus treuen Unterthanen in Todfeinde verwandeln konnte, und der gemäßigte und bessere Theil des Volkes sah mit Schrecken die Versuche der katholischen Geistlichkeit und ihrer Werkzeuge, die Vereinigung mit Rom durch Zwangmittel auszuführen. Es wurden zwar stets Gesetze gegeben, dieser verderblichen Richtung entgegen zu wirken, aber sie waren ohnmächtig gegen den Fanatismus, den die Jesuiten-Schulen unter dem Volke verbreiteten. Alle Edelleute, welche die Vereinigung angenommen hatten, zwangen ihre Unterthanen, ihrem Beispiele zu folgen, was der Reichstag nicht verhindern konnte, da der Adel in dieser Beziehung nach einer schmählichen Verfügung der Conföderation von 1573 ein unbeschränktes Recht besaß. Diese erzwungenen Belehrungen konnten nicht ohne die empörendsten Gewaltschritte ausgeführt werden, und die griechische Geistlichkeit, die sich der Vereinigung widersetzte, wurde der Hauptgegenstand der Verfolgung. Es gelang dem Einflusse der katholischen Geistlichkeit auf dem Reichstage von 1641, den ausgedehnten bischöflichen Sprengel von Premysl der vereinigten griechischen Kirche zuzuweisen, und dieser Beschluß wurde mit allen, bei solchen Gelegenheiten unvermeidlichen Gewaltthätigkeiten vollzogen. Als den Griechen die letzte Kirche in Lublin entrissen wurde, sagte der Edelmann Litynski, ihr Glaubensgenosse, die merkwürdigen Worte: „Mit Mißachtung alter Vorrechte wurde der Tempel mit der verruchtesten Gewalt genommen, und der Kirche ein großer Schimpf zugefügt. Gott, der gewiß jede Bosheit bestraft, wird ein Volk erwecken, das für eine Kirche hundert nehmen wird.“ Diese Worte wurden verhängnißvoll durch den Aufstand der Kosaken erfüllt, der kurz vor Wladislaw’s Tode ausbrach *).

 

Während Wladislaw’s Regierung flohen viele Protestanten aus Schlesien nach Polen, wo sie einige neue Städte anlegten, und die Bevölkerung vieler alten vermehrten. Der König bemühte sich, den Kaiser Ferdinand zur Duldung der verfolgten Protestanten in Schlesien zu bewegen.

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*) Eine spätere Erfüllung findet man in den neuesten Bemühungen der russischen Regierung, die mit Rom vereinigten Griechen in Polen zu der alten Mutterkirche zurückzuführen. L.

 

 

 

 

Zwanzigster Abschnitt.

Freundschaftliche Besprechung zu Thorn.

 

Wladislaw’s versöhnliche Gesinnung und sein Wunsch, den Frieden zwischen den streitenden Glaubensparteien zu erhalten, deren Erbitterung mit der Verfolgung zunahm, die er nicht zu hemmen vermochte, bewogen ihn, Mittel zu einer Vereinigung aller Glaubensbekenntnisse aufzusuchen. Er ward in seiner Absicht durch den Kron-Großkanzler, Georg Ossolinski *), einen berühmten Staatsmann, eifrig unterstützt. Beide wurden in ihrem utopischen Plane durch einen Abenteurer, Bartholomäus Nigrinus, befestigt, der, von socinianischen Aeltern geboren, zuerst zum Iutherischhen Glauben überging, dann Prediger der reformirten Gemeinde in Danzig war, und endlich katholisch wurde. Dieser Mann wußte sich Zutritt bei dem Könige zu verschaffen, und stellte ihm eine Vereinigung aller christlichen Parteien als eine leichte Sache vor. Der König glaubte, daß ein Mann, der seine Glaubensansichten oft gewechselt hatte, mit allen Unterschieden und den Ursachen des Streites wohl bekannt sein müßte, und baute auf die Ausführbarkeit des Planes. Nigrinus behauptete vor dem König und mehren Bischöfen, sein Zweck würde sich durch eine Unterredung zwischen einigen gewählten Gelehrten verschiedener Glaubensbekenntnisse erreichen lassen. Der König nahm diesen Rath an und beschloß, mehre Theologen von allen christlichen Parteien zu einer freundschaftlichen Besprechung (colloquium charitativum) einzuladen. Er theilte seinen Plan dem Erzbischof von Gnesen, Mathias Lubienski, und dem Papste Innocenz X. mit, und befahl die Berufung einer katholischen Synode, die Einleitungen zu der beabsichtigten Zusammenkunft machen sollte, und gegen Ende des Jahres 1643 in Warschau gehalten wurde. Sie nahm den Vorschlag des Königs bereitwillig an, faßte den Beschluß, daß die Besprechung am 10. October 1644 in Thorn eröffnet werden solte, und wählte zu ihren Abgeordneten zwölf Theologen unter dem Vorsitze des Bischofs von Samogitien, Georg Tyszkiewicz. Der König und die Synode erließen gedruckte Bekanntmachungen **) an die Protestanten, die eingeladen wurden, ihre Theologen nach Thorn zu senden.

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*) Er zeichnete sich besonders bei mehren Gesandtschaften aus. Im Jahre 1620 war er Gesandter in England. Seine Briefe enthalten eine interessante Charakterschilderung Jakob’s l.

**) Diese Bekanntmachungen waren in Ausdrücken abgefaßt, welche die Protestanten nicht versöhnen konnten, da sie die Hoffnung aussprachen, daß diese ihre ketzerische Kirche verlassen würden. Die Protestanten waren nicht gemäßigter in den Schriften, die sie bei jener Gelegenheit erscheinen ließen. So heißt es in einer von den böhmischen Brüdern herausgegebenen Flugschrift : „Gemeinschaftliches Gebet aller protestantischen Kirchen in Groß-Polen“ unter andern: „O Herr, die Feinde sind in dein Erbe eingebrochen und haben deine heilige Kirche zu einem Gräuel gemacht. Sie haben in Götzentempel verwandelt die Häuser deiner Heiligung und Zierde, wo unsere Väter dich gepriesen haben. Sie haben deine Diener von ihren Plätzen getrieben, und deine heiligen Städte in eine Wüste verwandelt.”

 

 

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Sobald diese Bekanntmachungen erschienen waren, sprachen viele katholische und protestantische Schriftsteller ihre Zweifel *) an dem Erfolge eines Planes aus, der, trotz vieler Versuche ihn auszuführen, noch immer zu den frommen Wünschen wohlwollender Gemüther gehört. Der Erzbischof von Gnesen erließ einen Aufruf an den Vorsteher und die Lehrer der Schule zu Lissa, dem Hauptorte der vereinigten schweizerisch-böhmischen Confession in Groß-Polen, welcher allen Aeltesten mitgetheilt wurde, die darauf eine Synode nach Lissa beriefen und dem Erzbischofe antworteten, sie wären zu einer Vereinigung bereit, vorausgesetzt, daß dieselbe ihrer Lehre keinen Nachtheil brächte, und sie versprachen, ihre Theologen nach Thorn zu senden. Es wurde darauf beschlossen, eine allgemeine Synode der reformirten Kirchen Polens und Lithauens im August zu Orla in Podlachien zu halten, und dieser Beschluß dem Kurfürsten von Brandenburg, dem Herzoge von Kurland, mehren schlesischen Fürsten, den preußischen Städten und den vorzüglichsten deutschen Universitäten bekannt gemacht, mit der Bitte, Gutachten und Rath zu geben. Die zahlreich besuchte Synode erhielt auf diese Mittheilungen mehre Antworten. Bei der Erwägung des in Thorn zu beobachtenden Verfahrens war sie der einmüthigen Meinung, die Zeit wäre zu kurz, um die nöthigen Vorbereitungen zu machen, und beschloß, den König um Aufschub zu bitten. Dieses Gesuch wurde gewährt. Auch wurden die böhmischen Brüder in Groß-Polen angewiesen, mit den Lutheranern zu einem Einverständnisse zu kommen, damit der Sandomirische Vergleich strenge gehalten werde.

 

Trotz des vom Könige bewilligten Aufschubes, erschienen am 10. October der königliche Bevollmächtigte, Johann Koß, der Bischof Tyszkiewicz und die katholischen Theologen in Thorn; da sie aber nur einige protestantische Prediger und Edelleute fanden, legten sie eine Verwahrung

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*) Die Jesuiten hingegen hatten gute Hoffnungen, wie ihre Flugschrift zeigt: „Jesuitica informatio de negotio reductionis haereticorum ad ecclesiam romanam per regnum Poloniae.“

 

 

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gegen das Ausbleiben der übrigen ein. Mehre Socinianer, die in Thorn angekommen waren, um an der Besprechung Antheil zu nehmen, konnten nicht einmal Gehör bei dem Bischofe erlangen. In einer neuen Bekanntmachung des Königs wurde der Anfang der Besprechung auf den 28. August 1645 bestimmt.

 

Diese Bekanntmachung veranlaßte eine große Bewegung unter den Protestanten in Polen, die mit den gelehrtesten Theologen des Auslandes in Briefwechsel traten und mehre Synoden beriefen. Die wichtigste war die Synode der reformirten und böhmischen Kirchen, die im April 1645 zu Lissa gehalten wurde. Sie hatte den doppelten Zweck, Abgeordnete zu wählen, und zu einem Einverständnisse mit den Lutheranern zu kommen, die gleichfalls eine Synode berufen hatten. Die Synode der Reformirten und der böhmischen Brüder schickte Abgeordnete an die lutherische Versammlung mit einem schriftlichen Antrage, der darauf gerichtet war, daß die Lutheraner, wenn auch nicht gemeinsam mit ihnen, doch gegen einen gemeinschaftlichen Feind handeln, daß sie ihre Theologen vierzehn Tage vor der bestimmten Zeit nach Thorn schicken möchten, um mit den übrigen Protestanten Verabredungen wegen des Verfahrens bei der Besprechung zu treffen, und daß, um des Wohles der Kirche willen, der Streit über das Abendmahl, die Person Christi und die Vorherbestimmung vermieden werden sollte. Die Lutheraner erklärten sich zur Eintracht geneigt und wollten die mitgetheilten Vorschläge den Theologen zu Wittenberg vorlegen, und sollte das Gutachten derselben günstig ausfallen, eine Synode in Fraustadt halten, um eine ewige und vollständige Vereinigung mit den schweizerisch-böhmischen Kirchen zu schließen; aber sie versprachen, wie auch die Antwort aus Wittenberg lauten möchte, in Thom einmüthig mit den Reformirten und den böhmischen Brüdern gegen den gemeinschaftlichen Feind zu handeln.

 

Die lutherischen Edelleute erließen ein Schreiben an den Decan und die Professoren der theologischen Facultät zu Wittenberg, worin sie sagten: da die Zahl der polnischen Edelleute von der Augsburgischen Confession zu gering wäre, um auf Reichstagen der überwiegenden Mehrheit der Katholiken Widerstand zu leisten, so wünschten sie sich mit den Reformirten und den böhmischen Brüdern, die viele Glaubensgenossen im Senat und unter dem Ritterstande zählten, zu vereinigen; sie wünschten die Erlaubniß, in Vereinigung mit andern protestantischen Bekenntnissen, die allen gemeinschaftlichen Glaubenslehren zu vertheidigen, und ersuchten die Facultät, einen ihrer Theologen nach Thorn zu schicken. Die Facultät antwortete: da das schweizerisch-böhmische

 

 

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Bekenntniß in vielen Puncten von dem Augsburgischen abwiche, so könnte eine Vereinigung beider Bekenntnisse nicht statt finden; Bekenntnisse, die in den wesentlichen Lehren verschieden wären, wichen eben darum auch in andern ab, und es könnten daher die Lutheraner in keinem Falle mit den Reformirten und den böhmischen Brüdern bei der Besprechung in Thorn gemeinschaftlich handeln. Die Facultät versprach, den gelehrten Theologen Jakob Hülsemann nach Thorn zu senden.

 

Die verschiedenen Vorbereitungen, welche die Protestanten zu der Besprechung in Thorn machten, scheinen die Absicht gehabt zu haben, dem König und ihren katholischen Landsleuten zu zeigen, daß sie bereitwillig jede Gelegenheit ergreifen wollten, die Glaubenszwistigkeiten auszugleichen, und sie mochten bei einer so feierlichen Gelegenheit gern mit Ehren auftreten wollen. Es läßt sich aber kaum annehmen, daß ein besonnener Protestant je an die Möglichkeit eines günstigen Erfolges der Besprechung glauben konnte, da die katholische Kirche, die sich durch die Kirchenversammlung von Trient für abgeschlossen in ihren Glaubenslehren hielt, unmöglich Veränderungen annehmen konnte, um sich den Protestanten zu nähern, und es konnte daher keine Vereinigung mit Rom oder irgend etwas anderes als Unterwerfung unter dessen Obergewalt statt finden. Die Protestanten hatten höchstens ein Zugeständniß hinsichtlich der Kirchenzucht und der Liturgie zu erwarten, z. B. das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, und vielleicht auch die Priesterehe, aber es war ein leerer Traum, zu glauben, daß man in den Hauptsatzungen des Glaubens, wie in der Lehre vom Abendmahle, von der Rechtfertigung durch den Glauben, auch nur die geringste Abweichung von den Ansichten der römischen Kirche gestatten werde. Ja selbst wenn Zugeständnisse hinsichtlich des Abendmahls unter beiderlei Gestalt und der Priesterehe wären gemacht worden, so würde man sie den Protestanten als Preis ihrer Rückkehr zu dem Gehorsame gegen den Papst bewilligt, nie aber auf die ganze römisch-katholische Kirche ausgedehnt haben. Es kann eine Vereinigung von Glaubensbekenntnissen, die in den Hauptpuncten verschieden sind, nicht statt finden, außer wenn eines derselben zu dem andern übergeht, wie es bei der griechischen Kirche der Fall war. Gegenseitige Zugeständnisse können gemacht werden, wo es keine Verschiedenheit in den Hauptlehren gibt. So wurde die Vereinigung zwischen den Reformirten und den böhmischen Brüdern in Polen leicht und dauernd geschlossen, während die Vereinigung dieser beiden Kirchen mit der lutherischen durch den Sandomirischen Vergleich bald durch die stets wiederkehrenden Streitigkeiten über das Abendmahl aufgehoben wurde.

 

 

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An dem bestimmten Tage, dem 28. August 1645, versammelten sich die, von den verschiedenen Bekenntnissen abgeordneten Theologen in Thorn. Der König verfügte, daß der Kron-Großkanzler Ossolinski den Vorsitz in der Versammlung haben, und Johann Leszczynski, Castellan von Gnesen, ihm beistehen sollte, und gab ihnen Verhaltungsbefehle, die aus 25 Artikeln bestanden. Die Katholiken hatten unter dem Vorsitze des Bischofs Tyszkiewicz fünf und zwanzig Abgeordnete aus allen bischöflichen Sprengeln Polens und von der Universität Krakau, die böhmischen Brüder und die Reformirten unter dem Vorsitze des Castellans von Chelm, Gorayski, drei und zwanzig Theologen, unter welchen der berühmte Johann Amos Comenius, Fr. Reichel, Professor zu Frankfurt an der Oder, und Bergius, Hofprediger des Kurfürsten von Brandenburg, waren, und die Augsburgische Confession ward unter dem Vorsitze des Starosten von Stum, Siegmund Güldenstern, von acht und zwanzig Theologen vertreten, zu welchen Johann Hülsemann von Wittenberg und zwei Professoren von Königsberg gehörten. Außer diesen waren viele Mitglieder aller Bekenntnisse zugegen.

 

Die Katholiken begaben sich nach der Messe in den Saal des Stadthauses, wo sie mit den königlichen Bevollmächtigten die Sitze auf der rechten Seite einnahmen; dann folgten die Reformirten und die böhmischen Brüder und setzten sich ihnen gegenüber; die Lutheraner aber, die zuletzt hereintraten, mußten die Plätze hinter jenen einnehmen, wodurch sie sich gekränkt fühlten. Der mittlere Raum des Saales war für die Redner, die für die Parteien auftreten wollten, die Schreiber und den Kron-Großkanzler bestimmt, der zwischen dem Bischofe und Leszczynski saß. Ossolinski eröffnete die Verhandlungen mit einer Rede, worin er unter andern sagte: „Wladislaw IV., ein zweiter Konstantin, hat durch seine Sorgfalt Polen vor den Schrecknissen eines Glaubenskrieges bewahrt, zu einer Zeit, wo die Nachbarländer in solchen Fehden Blut vergießen, und um zu verhüten, daß den seinem Scepter unterworfenen Gebieten ähnliche Uebel vom Auslande zugeführt werden, hat er beschlossen, zu dieser freundschaftlichen Besprechung zu berufen, damit jede Confession auf eine bescheidene und angemessene Weise ihre Glaubenslehren vortragen möge. Der König hofft, daß die Glaubensverschiedenheiten sich auf diese Weise leicht entfernen lassen, und daß die Theologen sich dann damit beschäftigen werden, über Kirchenzucht und gottesdienstliche Gebräuche zu einem Einverständnisse zu kommen. Zur Erreichung dieses Zweckes hat der König mir befohlen, hier den Vorsitz zu führen und mich zu bemühen, unter

 

 

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den Theologen der verschiedenen Confessionen Eintracht und brüderliche Liebe zu stiften. In eigenem Namen bitte ich um den Beistand aller Anwesenden, um zu diesem erwünschten Zwecke zu kommen.“

 

Darauf wurden die königliche Vollmacht und die Verhaltungsbefehle vorgelesen. „Die Lehre jedes Bekenntnisses — so wurde verordnet — soll in dem bestimmtesten Sinne vorgelegt werden. Ueber die Wahrheit oder den Irrthum der Lehre werden Erörterungen angestellt. Die Kirchenzucht und die kirchlichen Gebräuche sollen dabei beachtet werden. Jede Confession soll dann in gedrängter und klarer Darstellung die streitigen Glaubenssatzungen vorlegen, um sie der andern Confession mitzutheilen, und sie schriftlich und mündlich zu erläutern, bis sich deutlich ergibt, was die wirkliche Lehre jeder Confession ist, und was ihr irrthümlich zugeschrieben wird. Bei der Erörterung der Glaubensartikel sollen die Parteien sich nicht zanken, sondern höchstens dreimal auf die Einwürfe antworten, dann aber nicht länger mit Spitzfindigkeiten streiten, sondern vielmehr sorgfältig erwägen, was zur Wiederherstellung des Kirchenfriedens geschehen könnte und sollte, ohne Nachtheil Tür die Wahrheit und das Gewissen. Der König äußert dabei die Hoffnung, daß, wenn die Parteien sich über die Lehre einigten, auch ein Einverständniß über die Kirchenzucht und die Gebräuche nicht schwierig sein werde, und empfiehlt den Parteien, sich aller leidenschaftlichen Aeußerungen zu enthalten. Die Hauptgegenstände der Erörterung sollen schriftlich vorgelegt werden und die mündliche Erläuterung so kurz als möglich sein. Jede, von einer Confession der andern vorzulegende Schrift soll vorher dem königlichen Bevollmächtigten und den weltlichen Vorsitzern mitgetheilt werden, die darin jeden Ausdruck verändern oder streichen sollen, der für die Confession, an welche die Schrift gerichtet ist, beleidigend wäre. Jede Confession muß binnen zwei oder drei Tagen eine ihr mitgetheilte Schrift erwägen. Es werden etwa zwei christliche Erläuterungen über den Gegenstand, und eine mündliche Erörterung binnen drei Tagen erforderlich sein. Diese Erörterungen sollen von Rednern geführt werden, deren jede Confession bei dem Anfange der Besprechung zwei aus zwölf Theologen wählt. Das Protokoll über jede Erörterung wird von den Schreibern der beiden dabei betheiligten Confessionen geführt. Diese Protokolle werden bei dem Schlusse jeder Versammlung vorgelesen, dann von den Präsidenten unterzeichnet, und, von sechs Abgeordneten besiegelt, den königlichen Bevollmächtigten übergeben. Während der Dauer der freundschaftlichen Besprechung darf kein Mitglied der Versammlung die Verhandlungen veröffentlichen, so lange nicht die Protokolle auf Befehl des Königs

 

 

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bekannt gemacht worden sind. Die Theologen sollen, wenn die Verhandlungen keinen Erfolg hätten, ehe sie Thorn verlassen, in ihren letzten Sitzungen erörtern und sorgfältig erwägen, was die Ausführung der gewünschten Vereinigung gehindert hat oder hindern könnte, und ob irgend ein Hinderniß so bedeutend sei, daß es nicht entfernt werden könnte, ohne große Opfer zu bringen. Die Besprechung soll nur mit einmüthiger Zustimmung aller Mitglieder geschlossen werden können. Keine Confession soll sich gegen den Wunsch der übrigen von der Besprechung zurückziehen dürfen, und diejenige, die dies zu thun wünschte, soll dem königlichen Bevollmächtigten eine schriftliche Darlegung der Gründe, die sie zu einem solchen Schritte bewegen, mittheilen, und jener entweder selbst über das Gesuch entscheiden, oder die Sache dem Willen des Königs überlassen.”

 

Nachdem die Verhaltungsbefehle vorgelesen waren, hielt der Bischof Tyszkiewicz eine sehr gemäßigte Rede, worin er die sorgfältigen Bemühungen des Königs und der Synode zu Warschau für die Erhaltung des Friedens und der Einigkeit in der christlichen Kirche pries, und die Versammlung ermahnte, einen so wünschenswerthen Zweck zu erreichen. Gorayski und Hülsemann belobten gleichfalls die Sorgfalt des Königs für die Bewahrung des Glaubensfriedens. Darauf wurden die Redner, und von jeder der drei Confessionen zwei Schreiber erwählt, die in die Hände des königlichen Bevollmächtigten einen Eid leisteten.

 

Wir würden zu weitläufig werden und keine nützliche Belehrung darbieten, wenn wir die sechs und dreißig Sitzungen ausführlich beschreiben wollten, und begnügen uns, die wichtigsten Verhandlungen zu berühren. Es wurde zuvörderst beschlossen, die allgemeinen Verhandlungen auszusetzen, bis die verschiedenen Confessionen in besonderen Zusammenkünften über die vorläufigen Gegenstände sich vereinigt hätten. Dies foderte so viel Zeit, daß die erste allgemeine Versammlung vor dem 16. September nicht gehalten werden konnte, und die Zwischenzeit wurde bloß mit Verabredungen über die Reihefolge der Verhandlungen, über die Titel, mit welchen die Sprecher der verschiedenen Confessionen sich anreden sollten, und ähnlichen Kleinigkeiten zugebracht. Bei der Eröffnung der ersten allgemeinen Versammlung konnten sich die Parteien nicht über das Gebet vereinigen, womit jede Zusammenkunft beginnen sollte. Nach dem Wunsche der Katholiken sollte der Bischof jedesmal ein Gebet vorlesen, das nichts gegen die Lehre der andern Confessionen enthielte, und das alle Anwesenden wiederholen sollten. Die Reformirten und die böhmischen Brüder nahmen den Vorschlag an,

 

 

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die Lutheraner aber wollten sich nicht mit Personen von einem verschiedenen Glaubensbekenntnisse zu einem Gebete vereinigen. In derselben Sitzung las der Jesuit Schönhoff die der römisch-katholischen Kirche zugeschriebenen Glaubenslehren vor, die er aber ableugnete, und dann die von dieser Kirche anerkannten Lehren. Die Reformirten und die böhmischen Brüder lasen gleichfalls ihr Bekenntniß vor, doch legte der Bischof von Samogitien Verwahrung dagegen ein, indem er erklärte, daß es Ausdrücke enthielte, welche die katholische Kirche herabsetzten, und daher gegen die königlichen Vorschriften anstieße. Der Kron-Großkanzler nannte das Bekenntniß eine Schmähschrift und wollte es nicht annehmen. Gorayski vertheidigte seine Confession und gerieth in einen Wortwechsel mit dem Bischof und dem Kron-Großkanzler. Man kam endlich überein, daß das anstößige Bekenntniß in gemäßigteren Ausdrücken abgefaßt werden sollte. Gorayski erklärte jedoch, daß seine Partei in der allgemeinen Versammlung nicht mehr erscheinen wollte, wenn nicht alles, was vorgegangen war, genau in die Protokolle eingetragen würde. Darauf überreichten die Lutheraner ihr Bekenntnis dem Kron-Großkanzler, der es der katholischen Geistlichkeit übergab mit der Bemerkung, es wäre zwar gemäßigt im Ausdrucke, könnte aber nicht eher vorgelesen werden, bis man es von seinem streitsüchtigen Geiste gereinigt hätte. Nach dem Schlusse der Sitzung reiste Osselinski von Thorn ab, und ließ Leszczynski als seinen Stellvertreter zurück. In der nächsten Sitzung erhob sich zwischen den Katholiken und Protestanten ein Streit darüber, wer zuerst die Vorschrift des Königs verletzt hätte. Schönhoff klagte die Protestanten an, welche die Beschuldigung mündlich und shriftlich abwiesen. Während sie indes eine gemeinschaftliche Sache gegen die Katholiken vertheidigten, zankten sie sich unter einander auf eine unwürdige, ja abgeschmackte Weise. Als der reformirte Prediger Bergius eine Antwort auf Schönhoff’s Beschuldigung vorlesen wollte, unterbrach ihn der Iutherische Geistliche Bojanowski, der für die Lutheraner den Vorrang verlangte, und als Bergius mit der Vorlesung fortfuhr, verwahrte sich Bojanowsli dagegen, woraus Gorayski gegen Bojanowski’s Verwahrung sich verwahrte. Nach Wiederherstellung der Ordnung las Hülsemann die Antwort der Lutheraner vor, Schönhoff antwortete den Reformirten, der Karmelitermönch Cyrus den Lutheranern. Endlich machte der Bischof Tyszkiewicz den Vorschlag, daß diejenigen, die den Streit fortzusetzen wünschten, es schriftlich thun sollten; die Lutheraner aber wünschten, noch eine mündliche Antwort zu geben, und erklärten, sie würden nicht eher wieder Teil an den Verhandlungen nehmen,

 

 

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bis ihr Bekenntniß vorgelesen wäre. Die Katholiken widersetzten sich diesem Verlangen, und so wurden die Verhandlungen unterbrochen. Leszczynski schickte den Jesuiten Schönhoff an den König, der sich in der Nähe von Thorn aufhielt, und bat ihn um weitere Verhaltungsbefehle. Die Protestanten schickten gleichfalls Abgeordnete an den König. Der Kron-Großkanzler befahl den Abgeordneten, sich genau an die königliche Vorschrift zu halten, die empfahl, die Berathungen im Geiste christlicher Liebe zu halten, und jeder Confession verbot, der andern Glaubenslehren aufzuzwingen. Während die Lutheraner auf der Vorlesung ihres Bekenntnisses bestanden, weigerten sich die Reformirten und die böhmischen Brüder, in dem ihrigen die geringste Veränderung zu machen; alle Protestanten verlangten, die Katholiken sollten schriftlich oder mündlich erklären, was sie in den ihnen übergebenen Bekenntnissen anstößig fänden; die Katholiken aber wiesen diese Foderung zurück. Der Karmelitermönch legte eine Verwahrung gegen Hülsemann ein, welche die Protestanten nicht in das Protokoll aufnehmen lassen wollten. Nach mehren Verwahrungen von beiden Seiten sah man ein, daß es unnütz war, die Verhandlungen fortzusetzen, und die Besprechung ward am 21. November ohne sonderliche Feierlichkeiten geschlossen. Der königliche Bevollmächtigte bedauerte in seiner Rede den ungünstigen Erfolg der Zusammenkunft, und als die Präsidenten der Confessionen geantwortet hatten, trennte sich die Versammlung. Die freundschaftliche Besprechung hatte, statt eine Aussöhnung, oder auch nur eine Annäherung der Parteien hervorzubringen, die gegenseitige Erbitterung nur erhöht, und jede Partei warf ihren Gegnern den unglücklichen Erfolg vor, der niemand zuzuschreiben war, weil die Natur der Dinge ihn herbeigeführt hatte.

 

 

 

 

Einundzwanzigster Abschnitt.

Johann Kasimir’s Regierung.

 

 

Die Unglücksfälle, die Polen unter Johann Kasimir’s Regierung trafen, brachten das Land an den Rand des Abgrundes und erschütterten das seither so mächtige Reich in seinen Grundlagen. Aber obgleich die furchtbaren Drangsale, welchen Polen in einem Zeitraume von zwanzig Jahren ausgesetzt war, die traurigsten Folgen hatten, so zeigten sie doch die große Kraft des Volkscharakters, eine Kraft, die das Land gegen

 

 

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die Vernichtung schützte, welche gleichzeitig die Angriffe mächtiger Nachbarn und innerer Zwiste ihm drohten.

 

Wladislaw war kaum gestorben, als eine Empörung der Kosaken unter Chmielnicki’s Anführung ausbrach und sich schnell über die südöstlichen Landestheile verbreitete. Dieser Aufstand wurde durch den Haß der Anhänger der griechischen Kirche gegen die, ihnen aufgezwungene Vereinigung mit Rom hervorgerufen, wiewohl auch andere Ursachen politischer Natur dabei mitwirkten.

 

Die Protestanten und Griechen konnten eine Fortsetzung der gerechten Regierung Wladislaw’s von seinem Bruder, Johann Kasimir, nicht erwarten, der hinlängliche Beweise seiner Gesinnungen in Beziehung auf Glaubensangelegenheiten dadurch gegeben hatte, daß er nach einander Jesuit und Cardinal geworden war. Die Gegner Roms suchten daher seine Erwählung zu verhindern, und dem Fürsten von Siebenbürgen, Stephan Ragotzi, die Krone zu verschaffen, welcher, obgleich Protestant, auch von vielen Katholiken und dem berühmten Krieger, dem Fürsten Jeremias Wiszniowiecki unterstützt wurde. Ragotzi’s Tod ließ Johann Kasimir ohne Nebenbuhler, und er ward im November 1648 erwählt. Die Protestanten bemühten sich, eine Gewährleistung ihrer Rechte und Sicherheit gegen zunehmende Verfolgungen zu erlangen. Noch immer standen in ihren Reihen mächtige Edelleute und Männer von hohem Range, wie der Fürst Janusz Radziwill, Großfeldherr von Lithauen, und Boguslaw Radziwill, Großstallmeister von Lithauen, Leszczynski, Palatin von Dorpat, Denhoff, Palatin von Pommerellen, und viele andere. Schlichting, Richter zu Fraustadt (Wschowa), zeigte bei jener Gelegenheit auf dem Reichstage in einer kräftigen Rede, daß die Protestanten, obgleich ihre Rechte und Freiheiten durch die Landesgesetze gesichert wären, doch mehr Verfolgungen erleiden müßten, als ihre Vorfahren vor der Conföderation von 1573, welche doch allen polnischen Staatsbürgern die Gewissensfreiheit gewährleister hätte. Gorayski, sprach von den vielfachen Verletzungen jener Conföderation und sagte, die Protestanten hätten lange geduldig viele Unbilden ertragen und ihre Leiden der Wohlfahrt des Vaterlandes zum Opfer gebracht, aber da man jede verfassungsmäßige Gewährleistung und Bürgschaft verletzt hätte, so müßten sie nun ihre gesetzmäßigen Rechte in Anspruch nehmen. Er legte dem Reichstage sechzehn Beschwerden vor, welche besonders über die, von den Gerichten ausgegangenen Beschränkungen der Glaubensfreiheit, über mehre offene Verfolgungen und über die Ausschließung von Staatsämtern klagten, und er verlangte mit kräftigen Worten, daß die Conföderation von 1573 genau

Krasinski.

 

 

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befolgt werde. Dies veranlaßte eine große Aufregung unter den eifrigen Katholiken, und einer von ihnen beschuldigte die Protestanten, daß sie das Grundgesetz des Herzogthums Masovien, das allen Protestanten Duldung entzogen habe, durch gottesdienstliche Versammlungen im Garten des Fürsten Radziwill verletzten *). Es entstand ein heftiger Lärm, und man fürchtete Blutvergießen. Ein patriotischer Landbote, Stephan Korycinski, empfahl Eintracht und bat die Protestanten, bei dem Anblicke der Gefahren, welchen das Land ausgesetzt wäre, sich mit der Bestätigung ihrer Freiheiten zu begnügen, und ihre Beschwerden nicht einem Reichstage vorzulegen, der sich zur Berathung über die Wohlfahrt des Landes, nicht aber zur Erledigung von Beschwerden versammelt hätte. Janusz Radziwil verlangte, daß der Reichstag die Conföderation von 1573 für ein unabänderliches Gesetz erklären, und jeder, der sie verletzen würde, vor den gewöhnlichen Gerichten Rede stehen sollte. Die Katholiken verwarfen diese gerechte Foderung. Die Protestanten, die in der Minderheit waren und die Gefahr erwogen, womit Chmielnicki drohte, dessen Schwärme Katholiken und Protestanten niedermetzelten, nahmen Korycinski’s Antrag an, und es ward eine allgemeine Bestätigung ihrer alten Rechte in die Reichstagsverhandlungen und in die, bei der Thronbesteigung des Königs zu beschwörenden Zusagen eingerückt; ihre Beschwerden aber blieben ohne Antwort. Auf dem Krönungsreichstage im Jahre 1649 suchten die Protestanten noch einmal Abhilfe; der Reichstag aber war zu sehr mit der Vertheidigung des Landes gegen die Kosaken beschäftigt, als daß er auf andere Angelegenheiten hätte achten können; doch wurde versprochen, die Beschwerden auf dem nächsten Reichstage zu prüfen. Auch dieser Reichstag aber verschaffte den Protestanten nichts als schriftliche Versicherungen von dem Könige, dem Erzbischofe von Gnesen und dem Marschalle der Landboten, daß auf dem folgenden Reichstage ihre Angelegenheiten untersucht, und ihre Ansprüche befriedigt werden sollten; nie erfüllte Zusagen.

 

Der Aufstand der Kosaken verbreitete sich in allen, von Anhängern der morgenländischen Kirche bewohnten Landestheilen, und selbst bis in einige Gegenden Lithauens. Bei dem unruhigen Zustande während der Thronerledigung drangen die Empörer in Klein-Polen bis nach Lemberg und Zamosc vor, und begingen die größten Ausschweifungen, ohne alle Rücksicht auf Glaubensverschiedenheit, bis endlich die Siege

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*) Das Gesetz Masoviens war nicht anwendbar. Die Conföderation von 1573, welche vollkommene Glaubensfreiheit sicherte, hob alle früheren entgegenstehenden Gesetze auf und war für alle Landestheile bindend.

 

 

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des lithauischen Heeres unter Janusz Radziwill ihre Fortschritte hemmten. Außer Radziwill zeichneten sich mehre Gegner der römischen Kirche in jenem Kampfe aus, besonders der Feldzeugmeister Christof Arciszewski *) und Adam Kisiel, den man wegen seines politischen Scharfblickes den polnischen Richelieu nannte. Beide hatten als Glaubensbrüder der Kosaken großen Einfluß unter ihnen, und brachten dadurch im Jahre 1649 einen zeitweiligen Frieden zu Stande. Dieser Friedensschluß, welcher den Kosaken, die zum Gehorsam zurückkehrten, viele Gerechtsame gab, bestätigte nicht nur die alten Rechte der morgenländischen Kirche, sondern bewilligte auch ihrem Haupte, dem Metropoliten von Kiew, einen Sitz in dem Senate. Diese Bedingung aber, welche die Verbindung einer mächtigen Partei mit dem Staate befestigen konnte, und daher eben so gerecht als politisch war, wurde von der katholischen Geistlichkeit umgestoßen, die, mit dem päpstlichen Nuntius an ihrer Spitze, erklärte, daß in dem Augenblicke, wo der bereits in Warschau angekommene Metropolit seinen Sitz im Senat einnähme, alle katholischen Bischöfe sich entfernen würden. Dieser Umstand, und die unablässigen Bemühungen der katholischen Partei, die Vereinigung der Griechen mit dem römischen Stuhle zu befördern, entzündeten von neuem den Bürgerkrieg, der, trotz eines im Jahre 1651 erfochtenen glänzenden Sieges der Polen über die vereinigten Streitkräfte der Kosaken und der Tartaren in der Krim, verderblich für Polen ward. Es würde uns zu weit führen, wenn wir jenen ereignißvollen Krieg erzählen wollten, und wir begnügen uns zu erwähnen, daß Chmielnicki den moskowitischen Zar zu Hilfe rief, der im Jahre 1654 in Polen einbrach. Janusz Radziwill, obgleich ein tapferer und erfahrener Krieger, beging den großen Fehler, eine Schlacht gegen die feindliche Uebermacht zu wagen, ohne die Ankunft des Generals Gonsiewski zu erwarten. Er wurde geschlagen und die Feinde besetzten einen großen Theil Lithauens.

 

Ein noch gefährlicherer Feind, als die Kosaken und die Moskowiter, griff Polen an, Karl Gustav, König von Schweden, und da dieser Krieg einen bedeutenden Einfluß auf die kirchlichen Verhältnisse Polens

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*) Er stammte aus Groß-Polen, der Sohn eines eifrigen Socinianers, Elias Arciszewski, verließ sein Vaterland, wahrscheinlich wegen eines Zwistes mit einigen katholischen Priestern, trat in holländische Kriegsdienste, und wurde Befehlshaber in Brasilien, das er tapfer gegen die Spanier vertheidigte. Ein Streit mit dem Grafen Moritz von Nassau, den die holländische Regierung nach Brasilien schickte, veranlaßte ihn, nach Europa zurückzukehren, um den General-Staaten seine Beschwerde vorzulegen. Seine Dienste wurden. dankbar anerkannt. Er ging später, von Wladislaw IV. eingeladen, nach Polen zurück und wurde 1646 Feldzeugmeister.

 

 

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hatte, so müssen wir die Ursachen und die wichtigsten Ereignisse desselben näher betrachten. Johann Kasimir, der, als Siegmund’s III. Sohn, einen leeren Anspruch auf den schwedischen Thron hatte, hegte die eitle Hoffnung, seine Absicht auf diesen Thron durch eine Unterhandlung mit der Königin Christina erreichen zu können, und vergaß, daß er, ein eifriger Katholik, unmöglich zum Besitze eines protestantischen Reiches gelangen konnte. Er nahm den Titel eines Königs von Schweden an, und bewog dadurch den schwedischen Hof, die Kosaken heimlich gegen Polen aufzureizen. Zu diesen politischen Ursachen gesellte sich eine Privatangelegenheit, die großen Einfluß auf Polens Schicksal hatte. Johann Kasimir verliebte sich in die Gemahlin des Unterkanzlers, Hieronymus Radziejowski, eines seiner Günstlinge, und bot ihm die ersten Staatsämter und die reichsten Starosteien an, wenn er seine Ehre als Gatte aufopfern wollte. Radziejowski verwarf den schmählichen Antrag, seine Gemahlin aber, die seine ehrenhaften Gesinnungen nicht theilte, benutzte seine Abwesenheit und bemächtigte sich mit Hilfe ihres Bruders seines Hauses. Als Radziejowski nach Warschau zurückkehrte, versammelte er seine Freunde und nahm das Haus mit Gewalt wieder. Beide Parteien hatten sich Gewaltthätigkeiten in dem Sitze des Königs erlaubt und waren daher eines todeswürdigen Verbrechens schuldig; der Gerichtshof aber, der über solche Vergehen zu entscheiden hatte, stand unter dem Einflusse des Königs und seiner Anhänger, und verurtheilte Radziejowski zu der schwersten Strafe, während seine Gemahlin und ihr Bruder nur dem Namen nach bestraft wurden. Radziejowski, erbittert durch dieses Verfahren, verließ Polen, und um die erlittene Kränkung zu rächen, ward er ein Verräther seines Vaterlandes. Er ging nach Wien und suchte den Kaiser gegen Johann Kasimir aufzureizen; als ihm dies aber nicht gelang, begab er sich nach Stockholm, wo Karl Gustav, dem Christina den Thron abgetreten hatte, ihn mit Auszeichnung ausnahm. Er überredete den neuen König, daß bei der, gegen Johann Kasimir herrschenden Unzufriedenheit die Eroberung Polens nicht schwer sein würde *). Johann Kasimir selbst gab dem Könige von Schweden einen Vorwand zum Angriffe, da er durch seinen Gesandten in Stockholm gegen Karl Gustav’s Thronbesteigung eine Verwahrung einlegen ließ. Er erkannte seinen Fehler und suchte den Folgen desselben durch Unterhandlungen auszuweichen, aber vergebens. Der schwedische Feldmarschall Wittenberg rückte aus Pommern mit 16,000 Mann

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*) In seiner Geschichte der böhmischen Brüder in Groß-Polen, S. 227.

 

 

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in Groß-Polen ein, und die Palatinate Posen und Kalisch, durch Radziejowski aufgereizt, vereinigten sich im Julius 1655 mit den Schweden. Die Protestanten in jenen Landestheilen verbanden sich mit ihren katholischen Mitbürgern, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie noch eifriger die Interessen eines Fürsten verfochten, dessen Thronbesteigung ihnen vollkommene Glaubensfreiheit verschafft haben würde. Wir halten jedoch die von Lukaszewicz ausgesprochene Beschuldigung, daß sie hauptsächlich zu der Vereinigung jener Gebietstheile mit den Schweden beigetragen hätten, keineswegs für gerecht. Wie hätten die Protestanten, die kaum im Stande waren, die Verfolgungen abzuwehren, welchen sie stets ausgesetzt waren, plötzlich zu einem so entscheidenden Einfluß auf ihre Landsleute gelangen können, um sie zu einer offenen Empörung zu bewegen?

 

Karl Gustav folgte seinem Feldherrn bald mit frischen Streitkräften, und nachdem er jede Unterhandlung mit Johann Kasimir’s Gesandten abgewiesen hatte, rückte er gegen Warschau. Johann Kasimir zog sich ohne Kampf nach Krakau zurück und verließ bald auch diese Stadt, um nach Schlesien zu gehen, wo er die Fürstenthümer Oppeln und Ratibor besaß. Karl Gustav schlug ein polnisches Heer, das sich ergeben und ihm Treue schwören mußte, worauf Krakau nach tapferem Widerstande sich unterwarf. Lithauen, von den Moskowitern hart gedrängt, die das Land verheerten, erkannte den König von Schweden als erblichen Fürsten an und erklärte seine Unabhängigkeit von Polen. Auch dieses Ereigniß hat man mit Unrecht den Protestanten zugeschrieben. Janusz Radziwill, zu jener Zeit das Haupt der protestantischen Partei, war allerdings bei der, im August 1655 mit dem schwedischen Feldherrn Magnus de la Gardie abgeschlossenen Uebereinkunft betheiligt, aber sie ward auch von dem katholischen Bischofe von Samogitien und dem Castellan von Wenden, gleichfalls einem Katholiken, unterzeichnet; sie war daher rein politischer Natur und wurde wegen der besonderen Interessen der Lithauer, nicht aber der Protestanten abgeschlossen. Es ist kaum zu verwundern, daß die Lithauer, von ihren grausamen Feinden, den Moskowitern und den Kosaken, gedrängt, ihre Sicherheit suchten, indem sie die Herrschaft eines Königs anerkannten, der ihnen gegen jene Barbaren beistehen konnte, und der bereits einen großen Theil von Polen sich unterworfen hatte.

 

Bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die Johann Kasimir durch seine Schwäche und seine Thorheiten gegen sich aufgeregt hatte, fand Karl Guslav wenig Widerstand in Polen. In einigen Monaten hatte er beinahe das ganze Land erobert, mit Ausnahme der, von den Moskowitern

 

 

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und den Kosaken überschwemmten Gegenden und der Provinz Polnisch-Preußen, wo besonders die von Protestanten bewohnten Städte ihrem Könige, trotz seiner bekannten Bigotterie, treu blieben, während die von Katholiken bewohnten Provinzen und Städte sich dem protestantischen Eroberer unterwarfen. Karl Gustav verließ Krakau mit einem Theile der polnischen Kriegsvölker, die ihm Treue geschworen hatten. Er hielt sich für den Beherrscher Polens, und nichts schien ihn auch abzuhalten, es zu werden; aber seine schnellen Siege hatten ihn aufgebläht, und statt sich den Besitz der Krone durch die Zustimmung des Gesetzes zu sichern, wollte er sie lieber als eine Eroberung haben. Die Abgeordneten des Palatinats Sandomir baten ihn, einen Reichstag zur Erwählung eines Königs zu berufen, aber er antwortete stolz: „Ich brauche keine Wahl, da ich durch das Eroberungsrecht König und Herr des Volkes sein kann und schon bin.” Auf sein Schwert zeigend, setzte er hinzu: „Diesem verdanke ich meine Wahl.” Diese Antwort reizte die Polen, während Johann Kasimir’s Mißgeschick die großmüthige Theilnahme des Volkes erregte, das die Thorheiten desselben vergaß und nur am seine Drangsale dachte. Mehre Vaterlandsfreunde bildeten im December 1655 eine Conföderation zu Tyszowce im Palatinat Lublin, und Iuden Johann Kasimir ein, sich mit ihnen zu vereinigen. In der Hoffnung den Thron wieder zu erlangen, übergab der König sein Reich und sich selbst dem besonderen Schutze der heiligen Jungfrau, und that zugleich das Gelübde, den Beschwerden der unteren Volksclassen abzuhelfen und die Ketzer zu bekehren, das heißt zu verfolgen. Der König von Schweden, der in Polnisch-Preußen war, wo mehre Städte ihm noch immer Widerstand leisteten, verließ diese Provinz und zog nach dem südlichen Landestheilen. Er gewann zwar viele Vortheile über Johann Kasimir’s Anhänger, verlor aber immer mehr Boden, besonders da die Verblendung derjenigen Polen, die auf seine Seite getreten waren, sich verlor.

 

Wir können nicht auf eine Erzählung der Kriegsbegebenheiten eingehen, und wollen nur anführen, daß die erwachte Thatkraft des Volkes und mehre glückliche Umstände Polen nach und nach von den Schaaren seiner Feinde befreiten; wichtig aber ist für uns der Einfluß, den dieser Krieg auf die Schicksale der polnischen Protestanten hatte. Die Protestanten in Groß-Polen gehörten, wie wir gesehen haben, zu der Partei, die sich auf Karl Gustav’s Seite stellte, und es war sehr natürlich, daß sie ihn dem bigotten Johann Kasimir vorzogen. Der König von Schweden hielt zwar sehr strenge Zucht unter seinen Kriegsvölkern, um die Bewohner eines Landes zu gewinnen, das er zu behalten

 

 

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dachte, und von derselben Politik geleitet, zeigte er große Ehrerbietung gegen die katholischen Kirchen und deren Priester; aber das außerordentliche GIück seiner Waffen mußte die Mannszucht schwächen, und seine Soldaten erlaubten sich bald Gewaltthaten aller Art, besonders gegen die katholische Geistlichkeit. Es war nicht zu verwundern, dass Soldaten, von welchen viele im dreißigjährigen Kriege an die Zügellosigkeit gewöhnt wurden, die lange Kriege erzeugen, und gelernt hatten, Religion als das Stichwort einer Partei und als die Losung zu Kampf und Blutvergießen zu betrachten, auch in Polen nach solchen Ansichten handelten. Die Raubgier nährte Glaubenshaß, und viele Kirchen, Mönchs- und Nonnenklöster wurden eine Beute der schwedischen Soldaten, die mehre katholische Priester ermordeten oder auf die grausamste Weise behandelten. In der Stadt Isrem wurden alle Franciscaner niedergemetzelt. Der schwedische General Wrzesowitz, ein geborner Böhme, schien an den polnischen Katholiken die Unbilden rächen zu wollen, welche die Protestanten in seinem Vaterlande erlitten hatten, und entehrte seinen Glauben durch die grausamsten Gewaltthaten. Die katholischen Schriftsteller beschuldigen die Protestanten in Groß-Polen, die Schweden zu jenen Gräueln gereizt zu haben, und die Socinianer und die böhmischen Brüder, unter diesen aber besonders diejenigen, die aus Böhmen und Mähren nach Polen geflohen waren, werden als eifrige Anhänger der Schweden angeklagt. So sehr auch jede Handlung zu verdammen ist, welche den Vortheil eines fremden Eroberers gegen das eigene Vaterland begünstigen kann, so ist doch leicht zu begreifen, daß in einem durch Parteien zerrissenen Lande, wie Polen zu jener Zeit war, die Grundsätze der Vaterlandsliebe dem Parteigeiste weichen können. Wir dürfen uns gewiß nicht wundern, daß die von Katholiken und Protestanten verfolgten Socinianer bei den Schweden Schutz suchten, müssen aber ein solches Benehmen für unverzeihlich bei den böhmischen und mährischen Flüchtlingen halten, welche in Polen Zuflucht vor den Verfolgungen gefunden hatten, die sie aus ihrer Heimath trieben.

 

Die Aufregung, die auf solche Weise gegen die Schweden und diejenigen entstand, die man mit Recht oder Unrecht für ihre Begünstiger hielt, — Iäßt sich leicht begreifen. Ein anderer Umstand war auch nicht geeignet, unter den streitenden Parteien wieder Wohlwollen zu erwecken. Als die Edelleute in Groß-Polen von der Verblendung zurückgekommen waren, die sie zu Anhängern des Königs von Schweden gemacht hatte, bewaffneten sie sich gegen die fremden Eroberer und vernichteten mehre Abtheilungen der schwedischen Kriegsvölker.

 

 

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Im April 1656 zogen sie gegen die Stadt Lissa, die fast nur von Protestanten, besonders von böhmischen Brüdern, bewohnt war. Die Polen foderten die Stadt zur Uebergabe auf, und die kleine schwedische Besatzung wollte sich gern zurückziehen, aber der berühmte Johann Amos Comenius, der damalige Vorsteher der Schule zu Lissa *), bewog die Einwohner und die Schweden, sich bis auf’s äußerste zu vertheidigen. Die Polen wurden bei dem Angriffe mit Verlust zurückgetrieben; am folgenden Tage aber ergriff ein unerklärbares plötzliches Schrecken die Einwohner, und sie verließen bei dem Anrücken der Polen mit ihren Familien und allem Eigenthume, das sie mitnehmen konnten, die Stadt, und flohen in der größten Verwirrung über die nahe schlesische Gränze. Auch die Schweden zogen aus der Stadt, die am Abend einer Einöde glich. Die Polen überließen die Stadt den Landleuten aus der Nachbarschaft zur Plünderung, und nachher wurde sie in Brand gesteckt. Viele Flüchtlinge wurden eingeholt und entweder ermordet, oder grausam behandelt und ihrer ganzen Habe beraubt. Der berühmte polnische Feldherr Czarniecki, der am meisten dazu beitrug, sein Vaterland von den Feinden zu befreien, rückte bald nachher in Groß-Polen mit einem Heere ein, das viele Walachen enthielt, die an die grausamste Kriegführung gewöhnt waren. Er bestrafte zwar jede Verletzung der Mannszucht mit dem Tode, ware aber nicht im Stande, seine schlecht bezahlten Soldaten von den größten Gewaltthaten abzuhalten. Unter dem Vorwande, die Bewohner Groß-Polens für die Empörung gegen ihren rechtmäßigen König zu bestrafen, plünderten sie ohne Rücksicht auf politische oder religiöse Meinungen. Auch die katholische Geistlichkeit wurde zwar nicht geschont, am schwersten aber trafen diese Grausamkeiten die Protestanten, die aus den erwähnten Ursachen ihren katholischen Landsleuten verhaßt geworden waren. Tausende von ihnen mußten in Schlesien, Brandenburg und Sachsen Zuflucht suchen, während viele als Opfer der zügellosen Soldaten oder des Hasses ihrer Glaubensgegner fielen, Mehre Kirchen wurden den Protestanten genommen, und sehr viele unter den geringeren Volksclassen gingen zur katholischen Kirche über, zumal da zwei Jahre hindurch kein protestantischer Gottesdienst in ganz Groß-Polen gehalten wurde. Die protestantischen Edelleute kehrten in das Land zurück, so bald die Ruhe hergestellt war, die Geistlichen aber wagten erst gegen Ende des Jahres 1658 wieder zu erscheinen, wo einige von ihnen zuweilen heimlich kamen, um den Gottesdienst zu halten. **)

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*) S. Abschn. 22.

**) In der Bibliothek des Erzbischofs von Canterbury im Palast Lambeth, befindet sich eine merkwürdige Handschrift unter dem Titel: „Ultimus in protestantes Bohemiae confessionis ecclesias Antichristi furor“ von Hartmann und Cyrill, protestantischen Geistlichen und Lehrern in Lissa, die in Holland und Großbritannien Beiträge für ihre bedrängten Glaubensbrüder sammelten. Sie enthält eine Schilderung der gegen die Protestanten verübten empörenden Barbareien. Auch gibt es eine, nach dieser Handschrift bearbeitete gedruckte Darstellung, welche Hartmann und Cyrill dem Protector Cromwell vorlegten, der sie ermächtigte, im ganzen Lande Beiträge zu sammeln. S. „A representation of the state of the protestant churches in Europe“ London 1659.

 

 

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Erst als der im Jahre 1660 zu Oliva geschlossene Friede die Sicherheit wieder hergestellt hatte, kehrten die protestantischen Geistlichen öffentlich zu ihren Gemeinden zurück, die sie in der traurigsten Lage fanden. Die Kirchen waren theils in den Besitz der Katholiken gekommen, theils verbrannt oder gänzlich verwüstet, während die Gemeinden durch Plünderung und Erpressungen so sehr verarmt waren, daß sie keine Mittel hatten, dieselben wieder aufzubauen oder auszubessern. Die in Holland und Großbritannien gesammelten ansehnlichen Beiträge waren nicht hinreichend für die Bedürfnisse der unglücklichen Protestanten in Groß-Polen, die sich nie von dem harten Schlage erholten, der sie während der Kriegsereignisse getroffen hatte.

 

Konnten die Protestanten in Krakau selbst nicht unter Wladislaw’s duldsamer Regierung Schutz finden, so hatten sie von den Katholiken noch mehr Verfolgungen unter seinem blindgläubigen Nachfolger zu fürchten. Sie blieben indeß zwei Jahre lang ungestört, vielleicht wegen der gemeinsamen Gefahr, welche Protestanten und Katholiken zu befürchten hatten; im Jahre 1650 aber wurde der Himmelfahrtstag wieder zu einem Angriffe gegen die Protestanten ausersehen. Die Studenten wählten einen Anführer und warben viele Anhänger unter dem Pöbel, und so vorbereitet, plünderten sie mehre Häuser und Kaufläden ohne Rücksicht auf den Glauben der Eigenthümer. Dies bewog die Behörden einzuschreiten; die Aufrührer wurden zerstreut und mehre verhaftet, aber die Protestanten mochten keine gerichtliche Verfolgung anstellen, weil sie aus Erfahrung wußten, daß im solchen Fällen auf Gerechtigkeit nicht zu rechnen war. *) Die Edelleute des Bezirks empfahlen ihren Landboten, aus dem Reichstage eine Verordnung

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*) Wengierski sagt nichts von der Bestrafung der Aufrührer; der katholische Schriftsteller Kochomski versichert, sie seien bestraft worden. Er entschuldigt die Gewaltthätigkeiten der Studenten zwar nicht, behandelt sie aber als unbedeutend. „Alumni — sagt er — privilegia quaedam credunt aut jactant sibi indita, quosque a fide orthodoxa alienos vexandi, indultum aliquid scholarum licentiae puerile bellum,“

 

 

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zu strenger Bestrafung solcher Gewaltthaten zu erlangen, und es geschah, aber es war unnütz, neue Gesetze zu machen, wenn die zu demselben Zwecke bereits gegebenen nicht befolgt wurden. Im Jahre 1653 ward ein neuer Anschlag gegen die Protestanten gemacht, und viele benachbarte Landleute waren zu einem Aufstande geworben, welcher, wenn er zum Ausbruche gekommen wäre, wahrscheinlich zur Niedermetzelung aller Protestanten und zu einer allgemeinen Plünderung der Stadt geführt haben würde; zum Glücke aber gelang es der katholischen Geistlichkeit, welche die Folgen fürchtete, dem Uebel vorzubeugen. Während die Schweden Krakau besetzt hielten, waren die Protestanten gegen Störungen sicher; als aber die Mannszucht unter den schwedischen Soldaten abnahm, plünderten sie ohne Unterschied des Glaubens die Bewohner der Umgegend. Die Protestanten im Palatinat Krakau waren, außer den Bedrückungen, die sie von den fremden Kriegsvölkern erlitten, auch noch den Verfolgungen ihrer katholischen Landsleute ausgesetzt, welche sie als Anhänger der Schweden bezeichneten und die größten Grausamkeiten gegen sie begingen. Selbst katholische Priester führten zuweilen Pöbelhaufen an, welche die Kirchen oder Häuser der Protestanten zerstörten, und manche ermordeten oder verwundeten. Auch wurden viele Bibliotheken der Protestanten geplündert, unter andern die Sammlung des Geschichtschreibers Wengierski; man füllte mit einem Theile seiner Bücher einen Brunnen aus, und es wurde Fleisch bei einem Feuer gebraten, das man mit den Schriften der Kirchenväter nährte.

 

Viele protestantische Kirchen in Klein-Polen, Roth-Reußen, Volhynien und Podolien wurden unter Johann Kasimir’s Regierung durch die Kosaken zerstört, die keinen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten machten, und oft selbst nicht die Anhänger der morgenländischen Kirche schonten. Diese Regierung war überhaupt so unglücklich für die protestantische Sache in Polen, daß man sie seit jener Zeit als gänzlich vernichtet betrachten kann. Es blieben allerdings noch viele Protestanten übrig, und ihre Rechte wurden nicht durch Gesetze aufgehoben, vielmehr bestätigt, aber diese Rechte bestanden nur dem Namen nach, und die Bestätigung war nichts als feierliche Verhöhnung. Der Frieden, der unter der Vermittelung Englands, Frankreichs und Hollands zu Oliva geschlossen wurde, bestätigte zwar in allgemeinen Ausdrücken die Rechte aller Glaubensparteien *), und folglich auch der

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*) Art. 2. Sect. 2. Omnes, cujuscumque status, conditionis et religionis fuerint, suis juribus, privilegiis et consuetudinibus generalibus et specialibus, tam in ecclesiasticis quam in civilibus profanisque, quibus ante bellum Suecicum gavisi sunt, in toto fruantur.“

 

 

 

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nichtkatholischen Einwohner des Landes; aber diese Bestimmungen hemmten die Quälereien nicht, welchen die Protestanten sich ausgesetzt sahen. So ward im Jahre 1661 ein Versuch gemacht, den Fürsten Boguslaw Radziwill, des Glaubens wegen, aus der Landboten-Kammer zu stoßen, was jedoch nicht gelang, und 1666 machten die Landboten von Masovien den Antrag, die Conföderation von 1573 aufzuheben, welcher verworfen wurde; aber zwei Jahre später ward ein Gesetz gegeben, das bei schweren Strafen den Katholiken verbot, zu dem protestantischen Glauben überzugehen *).

 

Der einzige Landestheil, wo der protestantische Glaube durch die Gegenstrebungen der Katholiken nicht erdrückt wurde, war Polnisch-Preußen, besonders die Städte, in welchen die Mehrzahl der Einwohner sich zu der lutherischen Kirche bekannte. Die Stadt Danzig, stark genug, sich jedem Angriffe auf ihre Rechte von Seiten der polnischen Könige zu widersetzen, obgleich standhaft in ihrer Anhänglichkeit an den Thron, schloß im Jahre 1646 die Jesuiten aus. Die lutherischen Einwohner waren aber eben so eifersüchtig auf andere Glaubensparteien, als auf die Katholiken, und wollten nie dulden, daß einige Quäker, die als Missionare nach Danzig gekommen waren, ihre Lehren verbreiteten oder sich ansiedelten. Viele von Quäkern herausgegebenen Bücher wurden weggenommen, und einige ihrer angesehensten Begünstiger im Jahre 1663 aus der Stadt gejagt. Zehn Jahre später wurden einige Quäker verhaftet, und im Jahre 1675 schrieben die berühmten Häupter dieser Glaubenspartei, William Penn und Georg Fox, an den Stadtrath und baten um Glaubensfreiheit für ihre Brüder. Der Reichstag, durch die Vorstellungen der Stadt bewogen, erließ ein Gesetz, das den Quäkern und Mennoniten den Aufenthalt im Lande verbot, doch wurde nie Strenge gegen sie ausgeübt, und viele derselben, besonders Mennoniten, wohnen noch jetzt in der Umgegend von Danzig.

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*) Selbst noch in dem 1767 zu Warschau geschlossenen Vertrage, der die Rechte der Dissidenten sicherte, wurde der Uebergang von dem herrschenden katholischen Glauben zu einem andern mit Verbannung bedroht. S. Abschn. 25. L.

 

 

 

 

Zweiundzwanzigster Abschnitt.

Innerer Zustand der protestantischen Kirchen in Polen.

 

Auf die Einrichtung der protestantischen Kirchen in Polen hatte die Art und Weise, wie die Lehren der Reformatoren in diesem Lande sich verbreiteten, großen Einfluß. Diese Lehren wurden nicht durch eine Verfügung der Landesbehörde eingeführt, sondern durch die Ueberzeugungen einzelner Personen, und sie konnten daher nicht zu der Bildung einer festen Verfassung beitragen, wie in den Ländern, wo der Protestantismus herrschend wurde. Das im Jahre 1556 gegebene Gesetz, das jedem Edelmanne gestattete, auf seinen Gütern einen beliebigen christlichen Gottesdienst einzuführen, ohne aber diese Freiheit auch auf die Städte auszudehnen, war nicht geeignet, Einheit in die protestantischen Kirchen zu bringen, die schnell durch den Eifer einzelner Männer anwuchsen, welche durch ein allgemeines hierarchisches System nicht verbunden waren. Dieser Mangel an Einheit wurde nicht minder durch den Umstand herbeigeführt, daß in Polen nicht bloß ein einziges protestantisches Glaubensbekenntniß Raum gewann, sondern gleichzeitig drei Bekenntnisse, das reformirte, das böhmische und das Augsburgische, in mehren Theilen des Landes sich verbreiteten. Die Nothwendigkeit einer gut eingerichteten Hierarchie ward jedoch bald gefühlt, und es wurden zu diesem Zwecke mehre Synoden gehalten. Die kühnen Grübeleien der Anti-Trinitarier machten diese Nothwendigkeit noch dringender, und ein großer Schritt zur Erreichung eines solchen Zieles war die, zwischen den Reformirten und den böhmischen Brüdern im Jahre 1555 geschlossene Vereinigung hinsichtlich der Glaubenslehre *). Diese Vereinigung, die von späteren Synoden bestätigt wurde, war aber auf die Glaubenslehre beschränkt, da jede der beiden Kirchen ihre eigene Hierarchie behielt. Von der Sandomirischen Vereinigung **) und den späteren Bestätigungen derselben haben wir ausführlich gesprochen.

 

Die Verfassung der protestantischen Kirchen in Polen war mehr oder minder von den Ländern entlehnt, in welchen ähnliche Einrichtungen sich vollständiger entwickelt hatten. Die Verfassung einer Kirche in einem Lande, wo die Anhänger derselben die Minderzahl der Einwohner

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*) S. Abschn. 8.

**) S. Abschn. 10.

 

 

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bilden, muß nothwendig verschieden von der Einrichtung einer Kirche sein, welche die herrschende geworden ist. Die protestantischen Kirchen Polens hatten daher mehr Aehnlichkeit mit den französischen und ungarischen, als mit den kirchlichen Einrichtungen in Holland, Schottland, den protestantischen Cantonen der Schweiz und dem protestantischen deutschen Ländern.

 

Weder die reformirte, noch die Augsburgische Confession hatten je eine eingerichtete Hierarchie für alle Gebiete Polens, sondern jede der drei großen Abtheilungen des Reiches, Groß-Polen, Klein-Polen und Lithauen, blieben in ihren kirchlichen Einrichtungen immer unabhängig von einander, obgleich sie sich zuweilen in allgemeinen Synoden vereinigten. Jede der drei Provinzen stand unter einem geistlichen Oberaufseher, Superintendenten oder Oberältesten (Senior primarius), der ungefähr die Amtsbefugnisse eines katholischen Erzbischofs hatte. Er ward auf Lebzeit von den Aeltesten erwählt, aber seine Gewalt war sehr beschränkt. Er berief die Synoden in seiner Provinz und hatte den Vorsitz in der Versammlung; er setzte die Aeltesten in den Bezirken in das geistliche Amt ein, vollzog die Beschlüsse der Synoden, überwachte die allgemeinen Angelegenheiten seiner Kirchen, führte die Aufsicht über die Büchersammlungen, die Schulen, die Buchdruckereien und ähnliche Anstalten, aber er besaß keine richterliche Gewalt und war der Synode unterworfen, die ihn richten, ermahnen und absetzen konnte.

 

Den Kirchen jedes Bezirkes war ein Aeltester (Senior) vorgesetzt, und er hatte. einen Mitältesten, der als sein Gehilfe und Vertreter handelte. Der Aelteste versah zuweilen das Amt des Superintendenten und berief die Synoden des Bezirks, welchem er vorstand; er hatte die äußeren Angelegenheiten seiner Kirchen zu leiten und besaß auch eine Art von richterlicher Gewalt in seinem Bezirke, doch immer unbeschadet der Rechte der weltlichen Behörden. Die Protestanten bestanden darauf, da sie nichts mit den Anti-Trinitariern gemein haben wollten, welche die Mitglieder ihrer Gemeinden ermahnten, sich bei Streitigkeiten nicht an die weltlichen Behörden zu wenden. Die übrigen kirchlichen Beamten waren der Prediger, der Diakon und der Vorleser; viele Kirchenämter aber, welche die Protestanten in mehren Theilen Europas von der katholischen Hierarchie beibehalten haben, kannten die polnischen Kirchen nicht, da sie darauf bedacht waren, eine Verwaltung einzuführen, die den Einrichtungen der Urchristen so ähnlich als möglich, und frei von Roms Neuerungen wäre. Außer dem geistlichen Aeltesten

 

 

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hatte jeder Bezirk auch einen weltlichen (Senior politicus), welcher auf den Synoden ausschließend von den Patronen, die aus Grundherren und andern angesehenen Edelleuten bestanden, und ohne Theilnahme der übrigen Mitglieder der Versammlung gewählt wurde. Der weltliche Aelteste mischte sich nicht in die geistlichen Angelegenheiten der Kirche, die gänzlich den Geistlichen überlassen waren, welche über die Reinheit der Lehre wachten. Er hatte die Pflicht, die Aufführung der Gemeindeglieder sowohl, als der Geistlichen zu beobachten, und er durfte diese in gewissen Fällen ermahnen, und sogar zeitweilig vom Amte entfernen, doch mußte er die Sache der Synode vorlegen. Er besuchte die Kirchen und Schulen, sorgte für ihren Unterhalt und ihre Wohlfahrt, war bei den Bezirk-Synoden zugegen, und handelte als Sachwalter vor den Behörden in allen Angelegenheiten der Kirche.

 

Die höchsten kirchlichen Behörden waren die Synoden. In jedem Bezirke wurden jährlich vier örtliche Synoden gehalten, die nicht bioß aus Geistlichen, sondern auch aus allen Mitgliedern der Gemeinde bestanden, ganz ähnlich den Versammlungen der ältesten Christen, in welchen alle Gläubigen sich über die Bedürfnisse der Kirche beriethen. Die den Glauben und die Lehre betreffenden Angelegenheiten waren jedoch ausschließend den Geistlichen überlassen. Jährlich einmal wurde eine Provinzial-Synode gehalten, worin jeder Bezirk durch den geistlichen Aeltesten, den Mitältesten und vier weltliche Aelteste aus der ganzen Provinz vertreten wurde. Geistliche, auch wenn sie nicht Abgeordnete örtlicher Synoden waren, konnten an den Berathungen der Provinzial-Synoden Theil nehmen und mit den übrigen Mitgliedern stimmen.

 

Die Hierarchie in Lithauen war minder regelmäßig eingerichtet. Es gab dort weder einen Superintendenten für die ganze Provinz, noch auch eine vollkommene Einheit in der kirchlichen Verwaltung. Der Aelteste von Wilna führte gewöhnlich den Vorsitz in den Synoden.

 

Die allgemeinen Synoden Polens wurden nicht zu bestimmten Zeiten berufen, sondern versammelten sich, wenn innere oder äußere Angelegenheiten der Kirche es erfoderten. Wir haben gesehen, wie sehr man sich bemühte, die zu Sandomir geschlossene Vereinigung zu befestigen und zu erweitern, und erinnern uns, daß ‚die Lutheraner seit der im Jahre 1595 zu Thorn gehaltenen Synode *) sich weigerten, mit den übrigen protestantischen Kirchen sich zu vereinigen, und nach der

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*) S. Abschn. 15.

 

 

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gleichfalls zu Thorn im Jahre 1645 gehaltenen Synode hörten solche Versammlungen gänzlich auf.

 

Dies ist ein Umriß der protestantischen Hierarchie Polens, die an zwei wesentlichen Mängeln litt; sie bestand erstens aus drei abgesonderten kirchlichen Verwaltungen, welche, außer zufälligen allgemeinen Synoden, unverbunden waren; und da es zweitens an einer beständigen Behörde fehlte, die stets zum Handeln bereit gewesen wäre, so gab es immer lange Pausen zwischen den Versammlungen der Synode, wo die Angelegenheiten der Protestanten unbeschützt, und sie den unablässigen Verfolgungen der dauernd begründeten katholischen Behörden ausgesetzt waren. Die Protestanten hätten, um ihren Feinden entgegen zu arbeiten, einen beständigen Ausschuß ernennen sollen, welcher in der Hauptstadt seinen Sitz gehabt, und ihre Interessen unablässig überwacht hätte. Zum Unglück geschah dies nicht, und dieser Mangel an Ueberwachung und an einer beständigen Behörde war eine der Hauptursachen des schnellen Verfalles der protestantischen Sache in Polen.

 

Die Einrichtung der Synoden der Reformirten und der böhmischen Brüder ward im Jahre 1560 vollendet, später auch von den Kirchen der Augsburgischen Confession angenommen, und von den allgemeinen Synoden zu Sandomir 1570 und zu Krakau 1573 bestätigt. Die angesehensten protestantischen Kirchen in Polen waren die reformirten, deren Lehren, wie es scheint, dem Geiste des Volkes am meisten zusagten. Sie waren hauptsächlich unter den Edelleuten in Klein-Polen und Lithauen, und unter den vornehmen polnischen Familien verbreitet, welche die Lehren der Reformatoren angenommen hatten. Die Kirchen in Klein-Polen waren in acht Bezirke, Krakau, Sandomir, Zator und Oswiecim, Lublin und Chelm, Roth-Reußen und Podolien, Belz, Volhynien, Kiew, getheilt. Diese Bezirke wurden gebildet, sobald die Zahl der Gemeinden stieg. Es Iäßt sich unmöglich bestimmen, wie groß die Zahl der reformierten Kirchen in Klein-Polen in ihrer glänzendsten Zeit war; sie muß aber beträchtlich gewesen sein, weil alle Edelleute in den ansehnlichen Bezirken Xionz und Proszovice von dem katholischen Glauben so entschieden abgefallen waren, daß der Fluß Sreniava, der jene Gegenden durchströmt, der protestantische Fluß genannt wurde. Der Jesuit Skarga sagt bestimmt, daß die Protestanten den Katholiken zweitausend Kirchen genommen hätten, und zwar gegen sechshundert in dem bischöflichen Sprengel Krakau, beinahe fünfhundert im Sprengel Wilna, und eine ungeheuere Zahl in andern Provinzen, doch meint er Protestanten aller Bekenntnisse. Nach Wengierski gab es um das Jahre 1576 in Klein-Polen hundertzweiundzwanzig

 

 

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reformirte Kirchengemeinden, welche beinahe ausschließend aus Edelleuten bestanden, die ihre Bauern zu bekehren versäumt hatten *). Diese strafbare Vernachlässigung ist die Hauptursache des Verfalls des Protestantismus in Polen, ein so trauriger Verfall, daß man im Jahre 1718 nur noch acht reformirte Kirchen in Klein-Polen zählte.

 

Die reformierten Kirchen in Lithauen waren im sechs Bezirke, Wilna, Nowogrodeb, Zawileyka, Podlachien, Samogitien und Weiß-Reußen, getheilt. Wengierski zählte im Jahre 1650 in ganz Lithauen nur dreiundneunzig reformirte Kirchen, was auf einen großen Verfall deutet, wenn wir die von Skarga angegebene Zahl im Sprengel Wilna, der fast ganz Lithauen umfaßte, damit vergleichen. Im Jahre 1718 gab es nur noch einundfunfzig Kirchen, und seitdem hat ihre Zahl noch mehr abgenommen. In Groß-Polen gab es die meisten reformirten Kirchen im Bezirke Cujavien; sie gingen aber nach und nach alle in die Gemeinden der böhmischen Brüder über. Die reformirten Kirchen in Groß-Polen waren nicht, wie in Klein-Polen und Lithauen, in Bezirke getheilt, sondern bildeten einen Verein unter einem Superintendenten oder Oberältesten, dem Mitälteste zur Seite standen. Ihre Anzahl bestand zur Zeit ihres größten Gedeihens aus beinahe achtzig, außer einigen zerstreuten Gemeinden in andern Theilen des Reiches, die unter den Superintendenten von Groß-Polen standen.

 

Die böhmischen Brüder waren unstreitig die eifrigsten und musterhaftesten Protestanten in Polen. Die Einrichtung ihrer Gemeinden und ihre strenge behauptete Kirchenzucht erinnerte an die Zeit des Urchristenthums **). Jede Gemeinde war in drei Classen getheilt, Anfänger,

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*) Turnowski gab in seiner, auf der Synode zu Thorn (1595) gehaltenen Predigt Aufschluß über die geringe Verbreitung des Protestantismus unter den Bauern. „Es fragte mich einst”, sagte er, „ein Edelmann, wie es doch käme, daß, während in den Städten und Dörfern Deutschlands die unteren Volksclassen das Evangelium freudig annähmen und den Gottesdienst häufig besuchten, in Polen ein Bauer so selten vom katholischen Glauben zum evangelischen überginge. Ich erzählte ihm zur Antwort eine Geschichte. Ein Evangelischer fragte einst einen Bauer, der in Glaubenssachen gar nicht unwissend war, warum er nicht evangelisch würde, da er doch die Irrthümer der römischen Kirche einsähe. Der Bauer antwortete: Wir armen Leute haben nicht Zeit an Gott zu denken; die Herrschaft weiß immer auch an Sonntagen Arbeit für uns zu finden, und von dieser schweren Sklaverei kann uns weder Gott noch der Teufel befreien.” L.

**) Lasicki, ein gelehrter polnischer Edelmann vom reformirten Bekenntnisse, schrieb im sechzehnten Jahrhunderte ein Werk über die böhmischen Brüder, die er nicht nur in Polen, sondern auch in Mähren und Böhmen kennen gelernt hatte. Comenius hat aus der Handschrift nur einen Abschnitt unter dem Titel: „Joannis Lasitii de ecclesiastica disciplina, moribus et institutis fratrum Bohemorum“ (Lissa 1632) herausgegeben.

Krasinski.

 

 

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Fortgeschrittene und Vollkommene genannt. Die erste Classe bestand aus den Kindern der Brüder und denjenigen erwachsenen Katholiken, welche, auf den Wunsch, der Gemeinde beizutreten, Katechumenen-Unterricht erhielten, wenn sie mit den zehn Geboten, dem apostolischen Glaubensbekenntnisse und dem Vater Unser genau bekannt waren, und ein ernstliches Verlangen hatten, Mitglieder der Kirche Christi zu werden. Die Anfänger kamen dann in die zweite Classe, die zu dem Abendmahle gelassen ward, und sich durch Gebet und gottseliges Leben bemühen sollte, in Glaube, Hoffnung und Liebe zuzunehmen. Wenn sie einige Zeit in steter Ausübung jener Tugenden zugebracht, und Beweise ihrer Fortschritte in Kenntnissen und im Glauben durch beständige Selbstverläugnung, in Verachtung der Welt und unablässiger Beobachtung aller Christentugenden gegeben hatten, wurden sie in die dritte Classe aufgenommen und waren dann erst wahre Glieder der Kirche. Aus den Mitgliedern der dritten Classe wurden in jeder Gemeinde sechs bis acht Aelteste oder Presbyter gewählt, die verpflichtet waren, über die Sittenreinheit der Gemeinde zu wachen. Sie handelten stets in Uebereinstimmung mit dem Geistlichen, für dessen Unterhalt sie sorgen, und dem sie in der Beförderung der geistlichen Wohlfahrt der Gemeinde beistehen mußten. Gemeinschaftlich war er mit ihnen bedacht, christliche Liebe unter der Gemeinde zu befördern und Unfug aller Art zu verhüten. In dieser Absicht besuchten die Aeltesten am Ende jedes Vierteljahres jedes Haus und erkundigten sich nach der Aufführung aller Bewohner. Es wurde gefragt, ob alle gewissenhaft in ihrem Berufe arbeiteten, ob häuslicher Gottesdienst an jedem Morgen und Abend gehalten würde, und ob diejenigen, die öffentliche Aemter verwalteten, ihre Pflicht treu erfüllten. Sie gaben dem Geistlichen einen Bericht über das Ergebniß ihrer Untersuchung. Auch erkundigten sie sich bei Gewerbsleuten nach der Lage ihrer weltlichen Angelegenheiten, um die Glieder der Gemeinde abzuhalten, Schulden zu machen und sich in falsche oder unvorsichtige Unternehmungen einzulassen. Sie unterstützten die Armen mit dem Gelde, das sie zu diesem Zwecke bei den Gläubigen gesammelt hatten, und das aus dem Ertrage der allgemeinen, an Feiertagen, Fasttagen und bei der Abendmahlfeier veranstalteten Sammlung hervorgegangen war. Es wurden überdies vierteljährig besondere Sammlungen gemacht, deren Ertrag den Ausgaben für den Gottesdienst bestimmt

 

 

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war, wozu auch die Unterstützung armer Geistlichen und derjenigen, die um des Glaubens willen verbannt waren, gerechnet wurde. Auch unter den Frauen wurden Aelteste (Presbyterinnen) erwählt, die mit gleicher Sorgfalt über das Betragen der weiblichen Gemeindeglieder wachten.

 

Es ward erwartet, daß der Vater und die Mutter jeder Familie durch einen wahrhaft christlichen Wandel in ihrem Hause als Muster vorleuchteten. Sie hatten dafür zu sorgen, daß der häusliche Gottesdienst, Lesen der Bibel, Gesänge und Gebete, regelmäßig Morgens, Mittags und Abends verrichtet werde. Nach der Rückkehr aus der Predigt und dem öffentlichen Gottesdienste mußten sie mit ihren Kindern und Hausgenossen über alles, was sie in der Kirche gehört, und über die Eindrücke, die sie erhalten hatten, sich besprechen. Die Familienhäupter sollten allen Hausgenossen verbieten, Wirthshäuser häufig zu besuchen, oder sich Müßiggang irgend einer Art, besonders aber Spielen zu ergeben. Sie durften, in ihren Häusern keine Art von weltlichen Vergnügungen, wie Spiel, Tanz und ähnliches, keine üppige oder unanständige Tracht, besonders aber nicht heimlichen Umgang zwischen Personen beiderlei Geschlechts und geheime Eheversprechen gestatten. Ein Mitglied einer Gemeinde durfte nicht ohne giltige Gründe sich unter die Leitung des Geistlichen einer andern begeben, und kein Geistlicher konnte in seine Gemeinde den Anhänger eines andern Glaubensbekenntnisses aufnehmen, wenn nicht ein Zeugniß von dem Geistlichen derselben vorgezeigt ward. Alle, die ihren Wohnort veränderten oder eine Reise antreten wollten, ließen sich ein Zeugniß von dem Geistlichen ihrer Gemeinde geben und empfahlen sich seinem Gebete.

 

Diese strenge Aufsicht, wie nützlich sie auch für die Beförderung eines musterhaften Wandels sein mochte, konnte doch leicht in geistlichen Despotismus ausarten. Dies scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein; wenigstens finden wir eine Klagen, daß es geschehen wäre. Allerdings wurde die strenge Zucht, welcher die böhmischen Brüder ihre Gemeinden unterwarfen, genau beobachtet, so lange sie sich in Böhmen und Mähren grausamen Verfolgungen ausgesetzt sahen und aus den geringeren Volksclassen bestanden; als sie aber in Polen vollkommene Freiheit des Gottesdienstes erhielten, und ihre Gemeinden unter ihren Mitgliedern nicht nur viele reiche Edelleute, sondern auch mehre der mächtigsten Großen des Landes, wie die Ostrorog, die Leszcynski und andere zählten, mußte die Kirchenzucht nothwendig viel von ihrer Strenge verlieren. Wie fromm und eifrig auch diese Edelleute sein mochten, sie mußten doch mit ihren Standesgenossen auf gleichem Fuße

 

 

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leben, und konnten ihren Einfluß nicht behaupten oder den Vortheil ihrer Kirche befördern, wenn sie nicht eine Lebensweise befolgten, die sich durch fürstlichen Glanz auszeichnete. Es war daher unmöglich, eine Kirchenzucht, welche durch die Sitteneinfalt der ersten Christen bedingt war, unter solchen Umständen allgemein auszuüben. Comenius schreibt den Verfall derselben der Vereinigung der böhmischen Kirche mit der reformirten zu, wodurch, wie er sagt, die erste in der zweiten unterging.

 

Jede Kirche oder Gemeinde hatte einen Pfarrer oder Prediger, und unter ihm Diakone und Akolythen. Sie waren Bischöfen oder Aeltesten unterworfen, welchen Mitälteste oder Mitbischöfe zur Seite standen. Der Pfarrer verrichtete den Gottesdienst, die Abendmahlfeier, Taufen und Trauungen. In früheren Zeiten wurde zu dem Amte eines Pfarrers nicht die Kenntniß der classischen Literatur erfodert, nach der Reformation aber schickte man die zum geistlichen Stande bestimmten jungen Leute auf protestantische deutsche Universitäten, oder in die später gegründeten Lehranstalten, wo sie die für ihren Beruf nöthige Bildung erwerben mußten. Viele wurden jedoch zu dem geistlichen Stande durch Pfarrer vorbereitet, bei welchen sie wohnten. Die Pfarrgeistlichen wurden weder von den Gemeinden erwählt, noch von Patronen ernannt, sondern durch die Bischöfe angestellt, da die böhmische Kirche eine bischöfliche war, welche Anspruch darauf machte, durch die Waldenser in Italien in ununterbrochener Folge von den Aposteln abzustammen. Sie hatten große Gewalt über ihre Gemeinden, und mußten halbjährig ihren Bischöfen einen Bericht über den geistlichen und sittlichen Zustand ihrer Kirchspiele geben. Ein Pfarrer wurde wegen geringerer Fehler von seinem Bischofe bestraft; wenn aber das Vergehen von ernster Art war, kam die Sache vor eine Synode, die ihn, je nach der Größe des Vergebene, durch Verweis, Amtsentsetzung oder selbst Kirchenbann bestrafte.

 

Die Pfarrer empfingen ihren Unterhalt durch freiwillige Beiträge, welche die Gemeinde meist in Früchten lieferte. Ihre Bedürfnisse waren äußerst mäßig, und wenn es ihre Amtspflichten ihnen erlaubten, unterstützten sie die Akolythen oder ihre Zöglinge in Handarbeiten. Sie durften sich zwar verheirathen, blieben aber gewöhnlich ehelos, besonders bei schwerer Verfolgung, weil ihnen die Sorge für eine Familie in solchen Zeiten eine drückende Last gewesen sein würde; wenn ihre Kirche aber nicht bedrängt war, heiratheten sie häufiger. Zu ihrer Verheirathung war die Erlaubniß ihres Bischofs nöthig, der darauf zu sehen hatte, daß die Frauen der Pfarrer dem heiligen Berufe ihrer Gatten nicht Unehre brächten. Es gab auch viele Beispiele von Frauen,

 

 

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die aus frommen Beweggründen ehelos blieben, um sich der Erziehung junger Mädchen und andern Diensten der Gemeinde zu widmen. Die Diakone waren die Gehilfen der Pfarrer und hatten die Anwartschaft auf deren Stellen. Sie besuchten gewöhnlich in Begleitung eines Akolythen an Sonntagen die benachbarten Dörfer, wo sie nach den, ihnen von ihrem Pfarrer gegebenen Anweisungen predigten; sie tauften, unterrichteten die Katechumenen und besorgten alle geistlichen Verrichtungen, die der Pfarrer nicht selber übernehmen konnte. Die Zeit, welche ihre geistlichen Berufspflichten ihnen übrig ließen, widmeten sie Handarbeiten, indem sie der Gemeinde in den, für den Unterhalt der Geistlichkeit nöthigen Arbeiten Beistand leisteten. Die jungen Leute, die jeder Pfarrer in seinem Hause für den Kirchendienst bilden mußte, wurden, wenn sie in der Kenntniß der heiligen Schrift Fortschritte gemacht hatten, als Akolythen aufgenommen, und setzten dann ihre theologischen Studien fort, bis sie Diakone wurden.

 

Ein Pfarrer, der Diakone, Akolythen und Zöglinge in seinem Hause hatte, hielt auf eine sehr strenge Zucht. Alle Hausgenossen mußten Morgens bei dem Tone einer Glocke aufstehen, und wenn sie sich, jeder abgesondert, gereinigt und angekleidet hatten, mußte jeder knieend ein Gebet verrichten und einige Abschnitte aus der heiligen Schrift lesen. Nach einer Stunde versammelten sich alle, und auf ein Zeichen ward ein Psalm oder ein Lied gesungen, und der Pfarrer oder ein anderer Kirchenbeamter Ias einen Abschnitt aus der Bibel, an welchen passende Betrachtungen geknüpft wurden. Dann studirte jeder bis zum Mittage, wo gemeinschaftlich gespeiset wurde Der Nachmittag war gewöhnlich Handarbeiten gewidmet, die um zwei Uhr durch ein gemeinschaftliches Gebet unterbrochen wurden. An diesen Uebungen mußten alle Akolythen Theil nehmen, diejenigen ausgenommen, welche die Kinder der Gemeindeglieder zu unterrichten hatten. Nach dem Abendessen wurde Musik gemacht, oder ein Psalm gesungen. Während der Mahlzeit ward über Glaubensangelegenheiten gesprochen, und zuweilen auch eine Vorlesung über verwandte Gegenstände gehalten. Zu einer bestimmten Stunde begaben sich alle zur Ruhe, und niemand durfte während der Nacht das Bett verlassen, und noch weniger aus dem Hause gehen, das zu festgesetzter Stunde von dem Wächter verschlossen wurde, der dem Pfarrer den Schlüssel übergeben mußte. Die Haushaltgeschäfte wurden von den Diakonen, Akolythen und Zöglingen verrichtet, damit jeder an alle Dienste sich gewöhnen, und das Brot gewinnen lernen sollte, wovon er Ieben mußte. Die jüngeren Zöglinge mußten die geringeren häuslichen Dienste verrichten, während die Älteren für den

 

 

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Garten, die Speisekammer, die Büchersammlung, die Glocken etc. sorgten. Sie lösten in diesen Beschäftigungen einander ab, damit jeder alle kennen lernen möchte. Es war den Zöglingen verboten, das Haus ohne Erlaubniß zu verlassen, Einkäufe zu machen, wichtige Briefe abzusenden, etwas zu borgen oder zu verleihen, und ohne Erlaubniß des Pfarrers irgend eine Verbindlichkeit einzugehen. Die Pfarrer selbst durften ihren Wohnort nicht ohne Erlaubniß des Bischofs verlassen.

 

Die Bischöfe oder Aeltesten, welche über eine gewisse Anzahl von Kirchen die Aufsicht hatten, wurden von den Pfarrern durch Stimmenmehrheit erwählt. Es gab deren im sechzehnten Jahrhunderte zwei für Böhmen, zwei für Mähren, und einen, zuweilen zwei, für Polen. Sie wurden auf Lebzeit erwählt, und konnten nur wegen schlechter Aufführung ihres Amtes entsetzt werden, wovon es jedoch nicht ein einziges Beispiel gab, wie Lasicki sagt. Sie hatten die Pflicht, die Weihe zum geistlichen Stande zu ertheilen, Pfarrer zu ernennen ober von einer Stelle in eine andere zu versetzen, über die Kirchen ihres Sprengels die Aufsicht zu führen, und darauf zu sehen, daß die vorgetragenen Lehren und die befolgte Kirchenzucht mit dem Worte Gottes übereinstimmten. Zu diesem Zwecke besuchten sie jährlich ihre Kirchen und hatten ein Namenverzeichniß der Mitglieder aller Gemeinden ihres Sprengels. Einer der Bischöfe hieß Präsident und hatte die Pflicht, eine Versammlung seiner Amtsgenossen zu berufen, wenn er es für nöthig hielt, und in diesen Versammlungen, wie in den allgemeinen Synoden, den Vorsitz zu führen. Ein anderer Bischof, der den Titel Schreiber hatte, mußte ein Verzeichniß aller geistlichen Verhandlungen der böhmischen Kirche und aller, von Mitgliedern derselben verfaßten, den Glauben betreffenden Schriften halten. Wenn eine, gegen die böhmischen Brüder gerichtete Schrift erschien, so mußte er dem Kirchenrathe Nachricht davon geben, und ward eine Erwiderung für nöthig erachtet, dieselbe verfassen, und sie vor der Veröffentlichung dem Kirchenrathe zur Genehmigung vorlegen. Alle von den böhmischen Brüderen herausgegebenen Schriften über Glaubenssachen wurden auf diese Weise dem Urtheile jener Behörde unterworfen, und erschienen gewöhnlich im Namen der ganzen Kirche; selten aber antworteten die Brüder auf die Angriffe ihrer Feinde, außer wenn sie gezwungen waren, sich zu vertheidigen, was besonders vor den Landesbehörden öffentlich geschah.

 

Jeder Bischof hatte zwei bis drei Mitbischöfe oder Mitälteste, die im Kirchenrathe als Gehilfen angestellt, aber alle Berathungen geheim zu halten verpflichtet waren. Sie unterstützten die Bischöfe in ihren Amtsverrichtungen, und waren zuweilen deren Stellvertreter. Ihre

 

 

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Hauptpflicht war, die Akolythen, Diakone und Pfarrer vor ihrer Anstellung zu prüfen, und dem Bischofe Bericht zu erstatten.

 

Auch die böhmische Kirche hatte allgemeine und besondere Synoden, die aus Geistlichen aller Grade, vom Bischofe bis zum Akolythen, und einigen angesehenen Laien bestanden. Diese Versammlungen wurden abwechselnd in Böhmen und Mähren gehalten, und die polnischen Gemeinden wurden wegen der großen Entfernung nur von einigen Abgeordneten vertreten, während die böhmischen und mährischen ihre Vertreter schickten, wie es auf den polnischen Synoden üblich war. Die polnischen Gemeinden hielten aber seit der geschlossenen Vereinigung gemeinschaftliche Synoden mit den Reformirten. Besondere Synoden von ähnlicher Einrichtung, wie die allgemeinen, wurden von Zeit zu Zeit berufen, wenn über die örtlichen Angelegenheiten ihrer Gemeinden zu berathen war. Die Beschlüsse dieser Versammlungen wurden jedoch allen Bischöfen mitgetheilt, die nicht zugegen gewesen waren. Auf solchen Synoden wurden Pfarrer, Diakone und Akolythen in ihre Würde eingesetzt. Pfarrer und Diakone wurden von den Bischöfen durch Auflegung der Hände geweiht, was bei den Akolythen nicht geschah. Die Mitbischöfe oder Mitältesten erhielten von den Bischöfen, die Bischöfe von einer Versammlung ihrer Amtsgenossen die Weihe.

 

Predigten wurden als der Haupttheil des Gottesdienstes betrachtet, und nicht nur an Sonntagen und andern festlichen Tagen, sondern auch bei Begräbnissen, Trauungen, und so oft passende Gelegenheit dazu war, gehalten. An jedem Sonntage war viermal Gottesdienst, zwei mal Vormittags und zweimal Nachmittags. Bei dem ersten Gottesdienste wurden gewählte Texte aus den Propheten, bei dem zweiten, dem Hauptgottesdienste, Stellen aus den Evangelien, bei dem dritten Theile aus den Episteln erklärt, und bei dem vierten, in den Abendstunden, Abschnitte der Bibel gelesen und nur mit einigen passenden Bemerkungen begleitet. Die Nachmittage wurden überdies im Sommer auch dem Unterrichte der Katechumenen gewidmet. Die Predigten waren nur kurz und durften nicht über eine Stunde dauern.

 

Einige böhmische Brüder gaben nur Erwachsenen die Taufe, bei den meisten aber war die Kindertaufe üblich. Das Abendmahl wurde jährlich viermal gehalten. Die Sonntagsfeier war sehr strenge, da die Brüder dieselbe als eine derjenigen in dem zehn Geboten enthaltenen Vorschriften betrachteten, die auf immer für die Kirche bindend wären. Sie hatten jährlich vier Fasttage, an welchen sie sich strenge aller Nahrung enthielten, wenigstens bis zum Abende, und sich Andachtsübungen widmeten. Es gab auch außerordentliche Fasttage, bei öffentlichen

 

 

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Drangsalen, oder bei Trübsalen einzelner Gemeinden, selbst einzelner Personen, wie für die Bekehrung eines mit dem Banne belegten hartnäckigen Sünders.

 

Die Kirchenzucht wurde bei den böhmischen Brüdern strenge, ohne alle Rücksicht auf Personen ausgeübt, und jedes Mitglied, Bischof oder Akolyth, Edelmann oder armer Bauer, war den Vorschriften auf gleiche Weise unterworfen. Die Bestrafung hatte drei Grade: Ermahnung unter vier Augen, öffentlicher Verweis, Ausschließung aus der Kirche. Alle Mitglieder der Gemeinde waren verpflichtet, die Vergehungen und Unterlassungen anderer wechselseitig zu rügen, doch mit christlicher Milde. Waren solche Ermahnungen fruchtlos, so wurde dem Pfarrer oder einem der Aeltesten Bericht erstattet, und wenn diese vergebens versucht hatten, das irrende Mitglied auf den Weg der Besserung zu führen, erhielt der Sünder in einer Versammlung der Aeltesten einen Verweis und wurde vom Abendmahle ausgeschlossen, bis er bereute und sich besserte. Bei Vergehen, die öffentlich gewesen waren, wurde der Verweis vor der ganzen Gemeinde gegeben. Wenn der Sünder, trotz aller Ermahnungen, in seiner Bosheit beharrte, ward er feierlich in den Bann gethan. Der Schuldige muß vor der versammelten Gemeinde erscheinen, man hält ihm seine Sünden und die dagegen von Gott gegebenen Verfügungen vor, worauf man ihm erklärt, daß seine Sünde gebunden, und er aus der Gemeinde ausgeschlossen und dem Satan übergeben sei. Die ganze Versammlung bestätigt dieses Urtheil durch ein feierliches Amen unter vielen Thränen und Seufzern. Der Verurtheilte wird dann aus der Kirche geführt, und die Versammlung betet, Gott möge das verirrte Schaf nicht verderben lassen, sondern bald in den Schafstall seines Sohnes zurückführen. — Nie entzog man dem Sünder die Hoffnung auf die Rückkehr in die Gemeinde der Gläubigen, sondern im Gegentheile wurden die ausgeschlossenen Mitglieder, die stets die Predigten außerhalb der Kirchthüren anhören durften, aufgemuntert, die Wiederaufnahme durch aufrichtige Reue zu verdienen, und der reuige und gebesserte Sünder wurde mit großen Freudenbezeigungen und besonderer Liebe aufgenommen.

 

Dies war die kirchliche Einrichtung der böhmischen Brüder, die jedoch nach der Vereinigung mit der reformirten Kirche in Polen, besonders durch die früher erwähnten Umstände, in vielen Puncten verändert wurde.

 

Das wirksamste Mittel, durch welches die Sache der Reformation überall befördert ward, und ihre stärkste Waffe gegen Rom, war die Verbreitung der Heiligen Schrift in den Landessprachen. Die Uebersetzung

 

 

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der Bibel legte in allen Ländern den Grund zu der Reformation, und auch die polnischen Protestanten blieben in dieser frommen Arbeit nicht zurück. Es gibt keine Spur einer polnischen Bibel vor dem vierzehnten Jahrhunderte, doch läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß die slavonische Uebersetzung von Methodius und Cyrillus *) auch in dem Kirchen bekannt war, welche den National-Gottesdienst beibehalten hatten. Die slavonische Sprache, die man als die Mutter aller slavischen Dialekte betrachtet, war wenigstens zu jener Zeit allen Zweigen des slavischen Volkstammes, Polen, Böhmen, Russen, weit besser bekannt, da sich ihre heimischen Sprachweisen noch nicht zu abgesonderten Dialekten ausgebildet hatten. Wie dem auch sei, wir wissen weiter nichts, als daß die heilige Schrift zum ersten Mal im der polnischen Geschichte um das Jahr 1370 erwähnt wird, wo König Kasimir der Große der Kirche zu Gnesen eine Bibel schenkte. Es wird nicht gesagt, ob es eine lateinische, oder eine polnische gewesen sei; wahrscheinlich aber ist von einer lateinischen die Rede, weil die heilige Schrift im Jahre 1399 für die Königin Hedwig in die polnische Sprache übersetzt wurde **). Man kann nicht bezweifeln, daß die von den Hussiten bearbeiteten böhmischen Uebersetzungen, wie andere von ihnen herausgegebene Bücher, auch in Polen bekannt waren, wiewohl diese Verbreitung vor der Erfindung der Buchdruckerkunst nur beschränkt sein konnte. Die Ehre, die erste polnische Bibelübersetzung gegeben zu haben, gebührt den Anhängern der Augsburgischen Confession. Herzog Albert von Preußen war eifrig bemüht, die Reformation in seinem Gebiete und in Polen zu verbreiten, und zu diesem Zwecke beförderte er die Uebersetzung der Bibel und anderer geistlichen Werke in die Sprachen dieser Länder. Er berief mehre gelehrte Polen nach Königsberg, und unter diesen Johann Seklucyan, der früher katholischer Prediger in Posen gewesen war. Von dem Herzoge unterstützt, gab Seklucyan im Jahre 1551 eine Uebersetzung der vier Evangelien, welchen im nächsten Jahre das ganze neue Testament folgte. Diese Uebersetzung war nicht nach der Iateinischen kirchlichen Uebersetzung, der Vulgata, sondern nach der griechischen Urschrift bearbeitet. Außer diesem neuen Testamente hatten die Lutheraner nie eine polnische Uebersetzung der ganzen heiligen Schrift, sondern bedienten sich der von den Reformirten herausgegebenen Bibel. Seklucyan hat unstreitig das Verdienst, der erste Bibelübersetzer gewesen zu sein, und dadurch zur Ausbildung der Landessprache beigetragen

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*) S. Abschn. 1.

**) S. Abschn. 1.

 

 

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zu haben, da er seiner Uebersetzung auch grammatische Regeln hinzufügte; doch scheint seine Bibel nicht sehr in Umlauf gekommen zu sein. Die erste polnische Bibel, die einen großen Einfluß auf das Land gewann, ist ohne Zweifel diejenige Uebersetzung, welche unter Begünstigung des unermüdeten Beförderers der Reformation, Nikolaus Radziwill, von mehren ausgezeichneten Gelehrten bearbeitet wurde, unter welche vorzüglich Johann Laski, Stancari, Ochinus, Lismanini, Statorius, Blandrata, Martin Krowicki, Viterlinus Trzecieski und Jakob von Lublin gehörten. Die Trefflichkeit des polnischen Styls hat man wahrscheinlich der Aufsicht Trzecieski’s, Kromicki’s und Jakob’s von Lublin zu verdanken, die als vorzügliche Schriftsteller bekannt waren. Diese Uebersetzung, 1563 auf Kosten des Fürsten Radziwill zu Brzesc in Lithauen gedruckt, erschien in einer Zeit, wo die anti-trinitarischen Meinungen, die sich später unter den Reformirten in Polen verbreiteten, noch nicht zu einer förmlichen Kirchenspaltung gereift waren; da aber mehre Mitarbeiter später berühmte Verfechter jener Lehren wurden, so betrachteten mehre diese Bibel als eine socinianische, obgleich sie von allen protestantischen Kirchen, besonders in Lithauen, angenommen ward, und es müssen die socinianischen Irrthümer, die man darin gefunden hat *), von wenig auffallender Art gewesen sein, weil selbst die rechtgläubigsten reformirten Kirchen diese Bibel unbedenklich gebrauchten. Die erste Ausgabe ist sehr selten, da der zum katholischen Glauben übergegangene Sohn des Fürsten Radziwill sie und viele andere protestantische Bücher mit einem Aufwande von fünftausend Dukaten aufkaufte, und alles, eas er auf diese Weise erlangen konnte, öffentlich verbrennen ließ. Vielleicht veranlaßte die Seltenheit dieser Ausgabe, vielleicht auch die Nothwendigkeit, einige Veränderungen im Texte zu machen, die reformierte Synode im Jahre 1600 zu dem Beschlusse, eine neue Ausgabe zu veranstalten. Sie übergab diese Arbeit dem gelehrten reformirten Prediger Martin Janicki, der eine neue Uebersetzung der ganzen Bibel aus den Ursprachen vollendet hatte. Jener Belchluß wurde zwar von späteren Synoden bestätigt, und zugleich verfügt, daß Simeon Theophilius Turnowski und Daniel Mikolajewski, ein reformirter Prediger, Janicki’s Uebersetzung prüfen sollten; doch wurde dieser Plan aus unbekannten Ursachen nie ausgeführt, und selbst Janicki’s Handschrift scheint verloren gegangen zu sein. Im Jahre 1606 erschien zu Danzig eine

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*) S. Ringeltaube’s Nachricht von den polnischen Bibeln (Danzig 1744) S. 84 ff.

 

 

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Ausgabe des neuen Testamentes, die, nach dem Vorworte des unbenannten Herausgebers, ein Wiederabdruck aus der in Brzesc erschienenen Bibel mit mehren Verbesserungen war, und 1632 zu Königsberg mit einigen Aenderungen im Ausdruck, und Zusätzen aus Beza’s lateinischer Bibel, wieder herausgegeben wurde. In demselben Jahre erschien in Danzig eine Ausgabe der ganzen Bibel, die zwar nach der vorgesetzten Widmung der protestantischen Geistlichkeit Groß-Polens an den Fürsten Christof Radziwill ein bloßer Abdruck der 1563 zu Brzesc erschienenen Uebersetzung sein soll, aber bedeutende Abweichungen enthält, besonders da die Reinheit und Richtigkeit des Styls in dieser Ausgabe oft ausgeopfert wird, um dem Urtexte näher zu kommen. Gegen die Behauptung, daß Paul Paliurus, ein Mähre, diese Ausgabe besorgt habe, hat Lukaszewicz bewiesen, daß dieser Gelehrte der polnischen Sprache zu wenig mächtig war, und diese Umarbeitung vielmehr von Johann Turnowski und Mikolajewski herrührt. Diese Bibelausgabe ward ein besonderer Gegenstand des Hasses der Katholiken, und der Erzbischof von Gnesen, Wenzyk, befahl in einem, die ketzerischen Herausgeber heftig schmähenden Hirtenbriefe bei Strafe des Kirchenbannes, daß jeder Katholik einen Abdruck dieser Bibel, den er etwa besäße, sogleich dem nächsten Priester überliefern sollte. Er fügte ein Verbot an alle Buchhändler und Buchdrucker hinzu, diese Bibel zu verkaufen oder wieder abzudrucken, und obgleich er am Schlusse des Schreibens versichert, es sei seine Absicht, die den Glaubensfrieden einschärfenden Landesgesetze zu achten, so erklärt er doch die Herausgabe der Bibel ohne seine Ermächtigung für einen Eingriff in seine Rechte. Der Hirtenbrief des Erzbischofe blieb nicht ohne Erfolg, da auf seine Ermahnung mehre tausend Abdrücke jener Bibel vernichtet wurden. Jene Ausgabe, die 1661 in Amsterdam, 1726 in Halle, 1738 in Königsberg, und später in mehren Städten Deutschlands wieder abgedruckt ward, ist noch bei allen polnischen Protestanten im Gebrauche *).

 

Wir haben gesehen, daß mehre allgemeine Synoden die Nothwendigkeit

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*) Die Herausgabe polnischer Bibeln veranlaßte auch die Katholiken, ihre Uebersetzungen zu verbreiten. Im Jahre 1556 wurde das neue Testament, und 1561 die ganze Bibel in Krakau gedruckt. Der Uebersetzer ist unbekannt, als Herausgeber aber nennt man den gelehrten Geistlichen, Johann Leopolita. Czepius, ein preußischer Gelehrter, glaubt dagegen, ein protestantischer Theolog habe die Uebersetzung besorgt, Leopolita aber sie durchgesehen und den katholischen Glaubenslehren angepaßt. Auch zeigt er, daß sie nicht nach der Vulgata, sondern nach einer böhmischen Uebersetzung bearbeitet ist. Der gelehrte Jesuit Justus Rabe aus Krakau, gab 1617 eine Uebersetzung der ganzen Bibel heraus. Die von dem päpstlichen Stuhle gebilligte polnische Uebersetzung besorgte der Jesuit Wulek; sie erschien 1599 zu Krakau und ist seitdem oft wieder abgedruckt worden.

 

 

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anerkannten, eine höhere Lehranstalt für alle protestantische Bekenntnisse zu stiften; aber der zu diesem Zwecke gefaßte Beschluß, der für die protestantische Sache ungemein vortheilhaft gewesen wäre, wurde nie ausgeführt, wahrscheinlich weil die Zahl der protestantischen Gemeinden sich unter Siegmund’s III. Regierung schnell verminderte. Die Universität Königsberg konnte in mancher Hinsicht für die protestantische Hochschule Polens gelten, sie verlor jedoch bald den Einfluß, den sie während der Lebzeit ihres Stifters, des Herzogs Albert, ausgeübt hatte, da seine Nachfolger weniger den Beweggründen folgten, die ihn geleitet hatten. Die polnischen Protestanten besuchten unter diesen Umständen auswärtige Hochschulen, besonders die deutschen und holländischen, wenn sie sich, zum geistlichen Berufe vorbereiten wollten; die erste Vorbildung aber erhielten sie in den Lehranstalten, die es in mehren Gegenden des Landes gab.

 

Die bedeutendste dieser Anstalten, die noch jetzt blüht, ist die Schule zu Lissa. Diese Stadt gehörte der Familie Leszczynski, deren Ahnherr, ein böhmischer Edelmann, sie im zehnten Jahrhunderte zum Geschenke erhalten haben soll, nachdem Mieczyslaw zum Christenthume übergegangen war. Als Raphael Leszczynski sich dem protestantischen Glauben zugewendet hatte, gab er die katholische Kirche zu Lissa den böhmischen Brüdern und gründete im Jahre 1555 eine Schule, die sein Nachkomme, Andreas Leszczynski, Palatin von Brzesc in Cujavien, zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts ansehnlich erweiterte. Als Lissa durch die Einwanderung vieler tausend fleißigen Protestanten, die aus Böhmen und Mähren geflohen waren, zu hohem Gedeihen gelangt war, verwandelte Raphael Leszczynsti im Jahre 1628 die alte Schule in eine höhere Lehranstalt für die Reformirten und die böhmischen Brüder, und gab ihr eine reiche Ausstattung. Sie wurde von ausgezeichneten Gelehrten, Rybinski, Comenius, Wengierski, dem Naturforscher Johnstone und mehren andern geleitet, und von den Protestanten nicht nur aus allen Gegenden Polens, sondern auch aus Preußen, Schlesien, Mähren, Böhmen und selbst Ungarn besucht. Zu einer Zeit, wo die Hochschule zu Krakau und die Jesuiten-Schulen in PoIen, und sowohl die katholischen als die protestantischen Schulen Deutschlands eine andere Unterrichtsweise befolgten, wagten es die Lehrer in Lissa, eine neue Bahn zu brechen. Johann Amos Comenius, der sich durch seine Bemühungen für die Verbesserung des Unterrichts in ganz

 

 

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Europa berühmt machte, schrieb für die Schule zu Lissa sein gepriesenes Werk Janua linguarum reserrata, und Johann Johnstone, ein Pole von schottischer Herkunft, sein Lehrbuch der Weltgeschichte *). Diese Schule blühte vorzüglich unter Wladislaw’s IV. Regierung, wo sie einen europäischen Ruf erlangte, und besaß zu jener Zeit eine Buchdruckerei, aus welcher viele wichtige Werke in polnischer, böhmischer, deutscher und Iateinischer Sprache hervorgingen. Die gelehrten Anstalten in Lissa wurden in das unglückliche Schicksal gerissen, das die Stadt im Jahre 1656 traf **), und einige Jahre gab es keine Schule. Die

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*) Comenius, 1592 zu Komna in Mähren geboren, wurde 1618 Pfarrer zu Fulneck, und als 1624 die protestantischen Prediger aus Mähren vertrieben wurden, suchte er anfänglich Zuflucht in den Gebirgsgegenden Böhmens, bis er sich endlich nach Polen begab und in Lissa als Prediger der böhmischen Gemeinde und Lehrer der lateinischen Sprache angestellt wurde. Seine Janua linguarum reserrata, die 1631 erschien, wurde bei seiner Lebzeit in zehn europäische Sprachen und mehre asiatische, z.B. in’s Arabische, Türkische und Persische übersetzt. Sein späteres Werk, das er aus der böhmischen Sprache in das Lateinische übersetzte, „Pansophiae prodromus“, erschien 1639 in London, und veranlaßte das Parlament, ihn um seine Mitwirkung bei der Verbesserung der Schulen in England zu ersuchen. Er kam 1641 nach London, als aber der Ausbruch des Bürgerkriegs die Ausführung jenes Planes verhinderte, ging er nach Schweden, wohin Ludwig de Geer ihn eingeladen hatte. Er erhielt ein ansehnliches Jahrgeld, mit dem Auftrage, ein Werk über sein Unterrichtssystem zu schreiben, womit er sich mehre Jahre in Elbing beschäftigte. Im Jahre 1650 ging er nach Siebenbürgen, wo der Fürst Siegmund Ragotzi ihn bei der Einrichtung der Lehranstalt zu Saros-Patak zu Rathe zog. Nach einem vierjährigen Aufenthalte am Hofe des Fürsten kehrte er nach Lissa zurück, und blieb Vorstand der Schule bis zur Zerstörung der Stadt. Er floh nach Schlesien und ließ sich endlich in Amsterdam nieder, wo er 1671 starb. Außer den oben genannten Werken gab er noch viele andere heraus, und darunter eine Sammlung von Visionen und Prophezeihungen, „Lux in tenebris“, die 1657 zu Amsterdam erschien. — Johann Johnstone wurde 1603 zu Szamotuly in Groß-Polen geboren, und ging 1622 nach England und Schottland, wo er bis 1625 seine Studien fortsetzte. Er begab sich 1629 nach Franecker, um die Arzneiwissenschaft zu studiren, und später nach Leyden, London und Cambridge. In sein Vaterland zurückgekehrt, ward er Hofmeister zweier Edelleute, mit welchen er nach Leyden und Cambridge ging und bis 1636 mehre Theile Europas bereiste. Er ward 1642 als Lehrer der Heilkunde nach Frankfurt an der Oder und Leyden berufen, blieb aber in Polen und ließ sich in Lissa nieder. Während des Krieges, der Polen von 1655 bis 1660 zerrüttete, ging er nach Schlesien und kaufte ein Gut bei Liegnitz, wo er 1675 starb. Außer der oben genannten Weltgeschichte, schrieb er viele medicinische und naturhistorische Werke.

**) S. Abschn. 21

 

 

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Protestanten in Groß-Polen beschlossen, Beiträge zur Wiederaufbauung derselben zu sammeln, und ungeachtet die Ausführung dieses Beschlusses um so schwieriger war, da sich die Familie Leszczynski wieder zum katholischen Glauben gewendet hatte, so gelang es doch den vereinten Bemühungen der protestantischen Grundeigenthümer in Groß-Polen, und den Bürgern Lissa’s, im Jahre 1663 wieder eine Lehranstalt zu eröffnen, mit welcher ein Seminarium für Geistliche verbunden war. Die neue Schule stand tief unter der früheren, da ein großer Theil ihres ehemaligen Eigenthumes verloren, und der protestantische Adel, wie die Stadt, durch Krieg und Verfolgung verarmt war. Nach und nach kam die Stadt wieder zu ihrem früheren Wohlstande, unter der Begünstigung der Familie Leszczynski, welche nach ihrem Uebergange zum Katholicismus weit entfernt war, die protestantischen Bewohner ihrer Besitzungen zu verfolgen, sondern vielmehr ihren ganzen Einfluß benutzte, sie gegen die Bedrückungen der Geistlichkeit zu schützen, und das Gedeihen der Stadt hatte einen wohlthätigen Einfluß auf den Zustand der Schule. Als bei den Kriegsbewegungen, die der Angriff Karl’s XII. herbeiführte, die Einwohner von Lissa sich eifrig für ihren Grundherrn, den König Stanislaus Leszczynski, erklärten, reizten sie die Rache des Königs August und seiner Verbündeten, der Russen, welche die Stadt im Jahre 1707 verbrannten. Zwei Jahre später richtete die Pest große Verheerungen an; bald nachher aber wurde die Schule wieder aufgebaut, und nach vielen Schwierigkeiten um das Jahr 1717 eröffnet. Die Stadt kam im Jahre 1738 an die fürstliche Familie Sulkowski, welche den Einwohnern eben so viel Wohlwollen und Gunst bewies, als das Haus Leszczynski. Die Schule verbesserte sich nach und nach, und ist jetzt die beste in Polen. Sie verdankt ihr Gedeihen der Sorgfalt des Fürsten Anton Sulkowski, der nach dem Ende seiner glänzenden Kriegerlaufbahn sich in die Stille des Privatlebens zurückzog. Er übernahm selber die Oberaufsicht über die Schule zu Lissa, und es gelang seinen Bemühungen, bei welchen er keine Kosten sparte, sie wieder auf eine Stufe zu bringen, die ihrem Zustande in den glänzenden Tagen der Leszczynski gleichkommt. Sie besteht aus sechs Classen, in welchen, außer den gelehrten Sprachen und dem Hebräischen, deutsche und französische Sprache und Literatur, Mathematik, Naturgeschichte, Philosophie, Geschichte u. s. w. gelehrt werden, und zählt gegen dreihundert Zöglinge, die in dem verstorbenen Fürsten einen väterlichen Freund, und einen freigebigen Gönner und Berather fanden. Sulkowski war ein edles Beispiel jener aufgeklärten Ansichten, die von den meisten ausgezeichneten Katholiken Polens gehegt werden, welche, so viel wir wissen,

 

 

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Glaubensverschiedenheit nie beachteten, wo es galt, ihren Landsleuten nützlich zu werden *).

 

Die böhmischen Brüder hatten eine höhere Lehranstalt zu Kosminek, die schon im Jahre 1553 gegründet ward, und besonders unter Turnowski’s Aufsicht in hohem Rufe stand, gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts aber verfiel und zu einer gewöhnlichen Elementarschule wurde, deren die Brüder mehre in Groß-Polen hatten. Die Reformirten hatten vierzehn höhere Lehranstalten in Klein-Polen, von welchen die Schulen zu Dubiecko und Lubartow die berühmtesten waren. All diese Anstalten hatten aber nur ein zeitweiliges Gedeihen und kamen bei dem Mangel einer dauernden Ausstattung bald in Verfall, da die freiwilligen Beiträge, durch welche sie unterstützt wurden, sich verminderten, oder aufhörten, als diejenigen, die sie bezahlten, zum katholischen Glauben übergingen. In Lithauen hatten die Reformirten mehre höhere Lehranstalten, die besonders durch die protestantischen Mitglieder

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*) Sulkowski wurde 1785 zu Lissa geboren, vollendete seine Studien in Göttingen, und ward 1806 von Napoleon zum Obersten des ersten polnischen Regiments ernannt, das nach der Besetzung Polens gebildet ward. Er ging 1808 mit einem Theile des polnischen Heeres nach Spanien, wo er bei mehren Gelegenheiten sich auszeichnete, und kam 1810 nach Polen zurück. Im russischen Feldzuge 1812 ward er schwer verwundet. Nach der Schlacht bei Leipzig gab Napoleon ihm den Oberbefehl über den schwachen Ueberrest der polnischen Heerabtheilung. Er hatte seinen Landsleuten, die in ihre Heimath zurückzukehren wünschten, das Wort gegeben, in keinem Falle dem französischen Heere über den Rhein zu folgen, und ungeachtet seine Soldaten, durch eine Anrede des Kaisers begeistert, von ihrem früheren Vorsatze abgingen, bestand er doch, seinem feierlichen Versprechen treu, auf seinem Entschlusse. Er verließ mit mehren Offizieren seines Stabes das französische Heer, um sich zu dem Könige von Sachsen zu begeben, dessen Schicksal ihm noch nicht bekannt war, und nachdem er den König in einem Schreiben um den Abschied für sich und seine Begleiter gebeten hatte, begab er sich mit Erlaubniß der Verbündeten nach Polen. Nach dem Wiener Congresse trat er in die Dienste des neuen Königreiches Polen, und wurde General-Adjutant des Kaisers Alexander, verIangte aber, unzufrieden mit der Willkürherrschaft des Großfürsten Konstantin, seinen Abschied, indem er dem Kaiser die Gründe seines Entschlusses freimüthig darlegte, und erhielt ihn endlich nach vielen Weigerungen im Jahre 1818. Er begab sich auf sein Schloß Reisen bei Lissa, und wurde bei der Einrichtung der Provinzialstände des Großherzogthums Posen erbliches Mitglied derselben, und erhielt den Vorsitz in der Versammlung. Es gelang ihm, bei dem Vertrauen beider Theile, die durch den Wiener Congreß gewährleisteten Rechte der Nationalität, über deren Verletzung durch die Regierung die Stände sich beschwerten, kräftig zu vertheidigen. Endlich zog er sich gänzlich von allen öffentlichen Angelegenheiten zurück und widmete sich der Verwaltung seiner Güter, bis er 1835 starb.

 

 

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der Familie Radziwill gegründet und unterstützt wurden, unter welchen nur die Schulen zu Kieydany und Sluck bis in die neueste Zeit sich erhalten haben, da sie von ihren Stiftern, der Familie Radziwill, reich ausgestattet wurden. Als im Jahre 1804 die Schulbehörde der Universität Wilna, welche alle von Polen abgerissenen Landestheile umfaßte, eine neue Verfassung erhielt, wurde der Fürst Czartoryski von dem Kaiser Alexander zum Oberaufseher ernannt, und eine Unterrichtsweise eingeführt, die keiner in irgend. einem Theile Europas bestehenden Einrichtung nachstand. Der Unterricht ward in polnischer Sprache ertheilt, wodurch die polnische Volksthümlichkeit unter der russischen Herrschaft erhalten wurde. Die Schulen zu Kieydany und Sluck zogen aus dieser neuen Einrichtung bedeutende Vortheile, und erhielten durch eine jährliche Geldbewilligung die Mittel zu ansehnlichen Erweiterungen. Die Lehranstalt zu Sluck besteht noch, die Schule zu Kieydany fand im Jahre 1824 ihr Ende unter traurigen Umständen. Der russische Senator, Graf Nowosilzoff, dem die oberste Verwaltung Lithauens unter dem Großfürsten Konstantin anvertraut war, suchte durch allerlei Quälereien die Lehranstalten in jener Provinz zu unterdrücken, was eine große Aufregung unter den Zöglingen derselben hervorrief; welche noch höher stieg, als die jugendlichen Aeußerungen der Unzufriedenheit strenge bestraft, und die inquisitorischen Maßregeln auch auf die Universität Wilna und die ihr untergeordneten Schulen ausgedehn wurden. Alle Schulvorsteher erhielten ein geheimes Umlaufschreiben, das ihnen befahl, ein wachsames Auge auf die Schmähschriften zu haben, welche die Zöglinge gegen jene Maßregeln machen könnten, und den Behörden Bericht zu erstatten. Der Sohn des protestantischen Predigers und Vorstehers der Schule zu Kieydany fand das Umlaufschreiben zufällig unter seines Vaters Papieren, und dadurch aufgereizt, nahm er sich vor, den Behörden einen Streich zu spielen und einige Schmähschriften zu veröffentlichen, was ihm sonst nie eingefallen wäre. In Verbindung mit einigen Schülern machte er eine einfältige Schmähschrift gegen den Großfürsten Konstantin, die man an einige Häuser heftete. Sie schloß mit den Worten: Er soll uns nicht entgehen. Nowosilzoff begab sich nach Kieydany, um eine Untersuchung anzustellen. Die Urheber der Schmähschrift wurden bald entdeckt, und die Sache ward einem Kriegsgerichte übergeben, welches zwei Schüler für ein Vergehen, das man überall mit einer Schulknaben-Züchtigung bestraft haben würde, zu lebenslänglicher Arbeit in den Bergwerken zu Nerschinsk in Sibirien verurtheilte. Die Schule zu Kieydany wurde durch einen kaiserlichen Befehl aufgehoben, und verordnet, daß die Zöglinge

 

 

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derselben nie in eine öffentliche Lehranstalt aufgenommen werden sollen. Der Minister des Volksunterrichts in Rußland, Fürst Gallitzin, suchte diese barbarische Verfügung, durch welche gegen zweihundert junge . Leute, die an dem kindischen Vergehen ihres unbesonnenen Mitschülers ganz unschuldig waren, der Erziehung beraubt wurden, aufzuheben, aber seine redlichen Absichten wurden durch Nowosilzoff’s Einfluß vereitelt.

 

Die Presse war unstreitig die furchtbarste Waffe, mit welcher die Reformatoren die römische Kirche angriffen, und ohne diesen Beistand würde die Reformation im sechzehnten Jahrhunderte wahrscheinlich keinen besseren Erfolg gehabt haben, als die Bemühungen, die Wicleff und Huß zu gleichem Zwecke anwendeten. Die Buchdruckerkunst ward in Polen bald nach ihrer Erfindung eingeführt, und schon im Jahre 1465 ein lateinisches Werk *) in Krakau gedruckt. Wir kennen kein seitdem in Polen gedrucktes Buch, bis im Jahre 1491 Swiantopelk Fiol zu Krakau ein Gebetbuch in slavonischer Sprache mit Cyrillischen Buchstaben druckte. Zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts gründete Haller, Bürger in Krakau, die erste ordentliche Buchhandlung, für welche er anfänglich ausländische Pressen, namentlich in Leipzig und Nürnberg, beschäftigte, bis er später eine eigene Druckerei in Krakau anlegte. Er beförderte die Fortschritte der Literatur in Polen, indem er selber viele Werke herausgab, und andere Buchdrucker mit Geld und Lettern unterstützte, so daß bald mehre neue Buchdruckereien in Krakau entstanden. Das erste polnische Buch, eine Lebensgeschichte des heiIigen Chrysostomus, von Bonaventura, übersetzt von Opec, wurde 1522 in Krakau gedruct, und 1536 eine polnische Uebersetzung von Luther’s Katechismus. Wir haben gehört, daß im Jahre 1539 die Preßfreiheit in Polen durch eine königliche Verordnung eingeführt ward, und alle Versuche der Geistlichkeit, die Presse zu fesseln, vergeblich waren. Im Jahre 1550 machte die Buchdruckerkunst rasche Fortschritte, je weiter die Reformation selbst sich verbreitete. In allen Theilen des Landes entstanden Buchdruckereien, da nicht bloß Protestanten sie errichteten, um die Lehren der Reformatoren zu verbreiten, sondern auch Katholiken dazu genöthigt waren, um jene Lehren zu bekämpfen. Die Mitglieder der morgenländischen Kirche hatten gleichfalls mehre eigene Buchdruckereien.

 

Die polemischen Erörterungen, welche besonders in den Jahren 1550 bis 1600 das ganze Land bewegten, hatten einen großen Einfluß auf die Entwickelung der geistigen Bildung des Volkes. Es war zum Verständnisse der theologischen Streitigkeiten nöthig, nicht nur mit der

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*) Explanatio in Psalterium von Johannes de turre Cremata.

 

 

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heiligen Schrift und den Kirchenvätern bekannt zu sein, sondern auch mit den alten Sprachen und vielen andern Zweigen der Gelehrsamkeit. Werke über Glaubenssachen und theologische Streitschriften, aber auch wissenschaftliche Werke gingen in großer Anzahl aus den Pressen hervor, deren Polen zu jener Zeit sehr viele besaß. Man zählte in Klein-Polen funfzehn, in Groß-Polen neun, in Lithauen sieben protestantische Buchdruckereien, und es gab deren in mehren Städten des Landes, die jetzt in dem elendsten Zustande sind, und wo nicht nur keine Presse, sondern kaum ein Buch zu finden ist *). Ueberdies gab es viele Privatdruckereien in den Häusern der Edelleute.

 

Die rasche geistige Bewegung, die der Presse einen kräftigen Anstoß gab und neue Stärke durch die Preßfreiheit erhielt, konnte der Unwandelbarkeit, welche die römische Hierarchie allen Verbesserungen oder sogenannten Neuerungen entgegensetzte, nicht günstig sein. Bei der Unmöglichkeit, die Preßfreiheit zu unterdrücken, begnügte sie sich, verschiedene Verfügungen gegen dieselbe zu geben, zwar unwirksam zu einer Zeit, wo der Volksverstand sich zu hoch erhoben hatte, um solchen Verordnungen zu gehorchen, doch eben so viele Waffen, die man für Zeiten zurücklegte, wo man sie mit günstigerem Erfolge anwenden konnte. Diese Zeiten kamen unter Siegmund’s III. Regierung, und die protestantischen Buchdruckereien in denjenigen Städten, welche unmittelbar unter königlicher Richtergewalt standen, wurden entweder aufgehoben, oder in katholische verwandelt. Diese Maßregel konnte jedoch nicht auf die Güter der Edelleute ausgedehnt werden, deren Häuser ihre festen Burgen waren, und die sich durch die Adelsvorrechte gegen alle Willkür der königlichen oder der geistlichen Gewalt geschützt sahen; als aber die angesehensten Familien durch die, von Siegmund III. befolgte beklagenswerthe Politik bald bewogen wurden, zu dem katholischen Glauben zurückzukehren, wurden die Pressen, welche sie zur Beförderung der Reformation angelegt hatten, gewöhnlich den Jesuiten übergeben. Die Geistlichkeit führte eine Censur ein, welche zwar im Jahre 1621 durch eine königliche Verordnung bestätigt, aber da sie nie von einem Reichstage genehmigt wurde, keine gesetzliche Giltigkeit hatte. Der Druck, ja selbst die Aufbewahrung irgend eines Buches, besonders eines theologischen Werkes, ohne Erlaubniß der kirchlichen Behörde war bei Strafe des Bannes verboten **), und diese Verfügung ward ausgeführt,

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*) Bandke nennt 57 Städte in verschiedenen Theilen des Landes, die Buchdruckereien hatten.

**) S. Bandke’s Geschichte der Buchdruckereien in Krakau. Die Worte der Verordnung lauten: „Statuimus et decrevimus, ut nulli imprimere in posterum sub poena anathematis liceat, vel imprimi facere quosvis libros, praesertim vero sacros, neque etiam impressos vendere, vel apud se retinere, ni primum a nobis, vel a doctis senioribus nostris examinati et approbati fuerint.“

Krasinski.

 

 

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je mehr der Einfluß der Geistlichkeit wieder zunahm. Der Beschluß der Synode zu Warschau, der jene Verordnung nicht nur bestätigte, sondern auch noch weiter ausdehnte durch die Verfügung, daß Bibliotheken und Buchläden untersucht werden sollten, wurde seitdem durch den allmächtigen Einfluß der Geistlichkeit zu einen Gesetze, das immer strenger vollzogen ward. In der Zeit der Gegenstrebung begnügte sich die katholische Partei nicht, die Herausgabe neuer Werke für die Zukunft zu verhindern, sondern dehnte die Verfolgung auch auf die Vergangenheit aus, um der Nachwelt zu verbergen, daß einst die Ketzerei in Polen herrschend gewesen war, und daß die .ersten Familien des Landes zu ihren Anhängern gehört hatten. Es ward ein Vertilgungskrieg gegen alles begonnen, was an die glänzendste Zeit der Gesittung Polens erinnerte, weil der mit der Ketzerei verbundene Ruhm des Volkes als eine Schmach des Landes von der Partei betrachtet ward, in deren Augen es weder Ehre und Vaterlandsliebe, noch Tugend geben konnte, ohne blinde Ergebenheit gegen Roms Interessen. Alle Bücher, die protestantische Lehren enthielten, oder von Protestanten herausgegeben waren, wurden vernichtet, und selbst diejenigen, worin sich ungünstige Stellen gegen Roms Anmaßungen fanden, verbrannt oder verstümmelt. Es wurden sogar Bücher ohne alle Rücksicht auf den Inhalt vernichtet, wenn sie aus einer Buchdruckerei hervorgegangen waren, die ketzerische Werke herausgegeben hatte. Viele Protestanten, die zur katholischen Kirche übergegangen waren, übergaben ihre Bibliotheken den Flammen, um die Aufrichtigkeit ihrer Belehrung zu beweisen, und es ist daher nicht zu verwundern, daß die besten Erzeugnisse des goldenen Zeitalter der polnischen Literatur unwiederbringlich verloren gegangen, und viele so selten geworden sind, daß nur einige Bibliographen sie kennen.

 

Die protestantisch-theologische Literatur Polens gelangte nicht zu einer hohen Auszeichnung, was hauptsächlich dem Mangel einer protestantischen Hochschule zuzuschreiben ist. Es gab viele gelehrte protestantische Theologen, die besonders eine gründliche Kenntniß der classischen Sprachen besaßen, aber sie waren auf auswärtigen Hochschulen gebildet worden, deren mehre, besonders Königsberg, Leyden, Franecker, Frankfurt an der Oder, Marburg und Edinburgh, eigene Stiftungen für protestantische Theologen aus Polen hatten. Auch die protestantischen Edelleute wurden meist auf ausländischen Hochschulen gebildet, und als

 

 

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eine unumgängliche Vorbereitung ihrer akademischen Studien wurde die Kenntniß fremder Sprachen, besonders der deutschen betrachtet, die in den protestantischen Schulen Polens zu den Zweigen des Unterrichtes gehörte. Jeder Protestant, der eine gute Erziehung erhalten hatte, kannte jene Sprachen, und da aus diese Weise die Erzeugnisse der Literatur des Auslandes zugänglich waren, so konnte man die Herausgabe theologischer Werke in der Landessprache entbehren, die überdies immer schwieriger durch die Beschränkungen der Presse und durch den Mangel an einer Unterstützung wurde, welche die dürftigen Gemeinden nicht mehr geben konnten.

 

Trotz all dieser ungünstigen Umstände aber wurden mehre wichtige Werke von polnischen Protestanten herausgegeben, und wahrscheinlich sind viele derselben so gänzlich vernichtet worden, daß man sogar nichts mehr von ihrem Dasein weiß. Die Werke, durch welche nach der Uebersetzung der Bibel die Lehren der Reformation verbreitet wurden, waren die Predigtsammlungen oder Postillen. Das erste Buch dieser Art war Rey’s Postille. Eine bessere lieferte der lutherische Prediger Dambrowski zu Wilna, die sich durch Schönheit des Styls auszeichnet *). Die Postille des reformirten Superintendenten in Klein-Polen, Christof Krainski, war sehr geschätzt, und besonders der Vertheidigung des Sandomirischen Vergleichs gewidmet. Die von Schempin im Jahre 1611 herausgegebene sehr geschätzte Sammlung theilte das Schicksal so vieler protestantischen Predigten, die mit andern Werken vernichtet wurden. Die wenigen Sammlungen, die noch übrig geblieben sind, beweisen, daß die Protestanten ausgezeichnete Prediger hatten. Polen besaß zwar schon im funfzehnten Jahrhunderte eine Uebersetzung der Psalmen, unter dem Namen des Psalters von Przeworczyk bekannt; sie kam jedoch nicht in allgemeinen Gebrauch, da der katholische Gottesdienst Gesänge in der Landessprache nicht begünstigt. Die Protestanten suchten überall den Gebrauch der Psalmen in den Landessprachen zu befördern, und der erste polnische Psalter mit Sangweisen wurde 1552 von Brzozowski für die böhmischen Brüder herausgegeben. Weit besser war des lutherischen Predigers Kreuzlieb Psalter in schönen Versen. Gembicki und Jakob von Lublin übersetzten die Psalmen aus dem hebräischen Urtexte. Der von Matthias Rybinski, Superintendenten der reformirten und böhmischen Kirchen in Groß-Polen, im Jahre 1612 herausgegebene Psalter mit Sangweisen, wird in allen reformirten und böhmischen Kirchen Polens gebraucht.

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*) Sie erschien 1621 zu Thorn und wurde 1718 — 19 in Leipzig wieder abgedruckt.

 

 

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Unter den polemischen Schriftstellern zeichnet sich Andreas Volanus aus, ein eifriger Vertheidiger der reformirten Kirche gegen die Anti-Trinitarier und die Katholiken, die ihn den Erzmeister der Ketzer nannten. Er schrieb besonders gegen den Jesuiten Possevin, und in seinem Werke: „Die Blindheit der Kirche”, sagte er die Folgen der Gegenstrebungen der katholischen Partei voraus. Andreas Chrzonstowski, berühmt durch seine Erklärung des ersten Capitels des Evangeliums Johannis gegen die Socinianer, besonders aber durch seine Schriften gegen den Kardinal Bellarmin. Jabob Niemojowski, ein gelehrter Edelmann im Palatinate Kalisch, hat sich durch seine Streitschriften gegen die Jesuiten und Socinianer bekannt gemacht.

 

 

 

Dreiundzwanzigster Abschnitt.

Die Socinianer in Polen von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung *).

 

Wir haben gesehen, daß die anti-trinitarischen Kirchen im Jahre 1565 in so fern eine Verfassungsform hatten, als sie Synoden, Schulen und andere Anstalten besaßen; aber obgleich sie 1574 einen Katechismus herausgaben, so fehlte es ihnen doch an einem gleichförmigen Glaubenssysteme, das sich in einem Bekenntnisse hätte aufstellen lassen. Die einzige Satzung, in welcher sich alle vereinigten, das verbindende Glied zwischen den verschiedenen Abstufungen ihres Glaubens, und das gemeinsame Band ihrer Einigung, war die Lehre von dem Vorrange des Vaters vor dem Sohne. Die ersten Wortführer der Anti-Trinitarier bemühten sich, eine gleichförmige Lehre in ihren Kirchen einzuführen, aber die, im Jahre 1567 zu diesem Zwecke berufene Synode hatte keinen Erfolg, und auf der Synode zu Skrzynna, die von sehr vielen Geistlichen und angesehenen Edelleuten besucht wurde, zeigte sich ein großer Zwiespalt zwischen den beiden Hauptparteien. Eine Partei nahm das Dasein Jesu Christi vor seiner Ankunft an, leugnete aber, daß er mit dem Vater gleichwesentlich und gleichewig sei, und neigte sich dadurch zum alten Arianismus; die andere Partei verwarf das Vordasein

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*) Nach Lubieniecki’s (eines Socinianers) „Historia reformationis Poloniae“, Bock’s „Historia Anti-Trinitariorum“, und den von Sandius in der „Bibliotheca Anti-Trinitariorum“ gesammelten Quellen.

 

 

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Christi und trennte sich in verschiedene Unterabtheilungen. Die Synode zu Skrzynna wünschte eine äußere Einigung zu stiften, oder vielmehr einen völligen Zwiespalt der anti-trinitarischen Kirchen zu verhüten, und faßte einen Beschluß, welcher eine äußere Vereinigung einführte, ohne die inneren Verschiedenheiten aufzuheben. Sie ließ Ausdrücke zu, deren Bedeutung sie verwarf, denn obgleich alle Parteien der Anti-Trinitarier die Gottheit des heiligen Geistes leugneten, so wurde doch das Wort Dreieinigkeit beibehalten *).

 

Die Partei, die sich zu dem alten Arianismus neigte, stand unter der Leitung Stanislaus Farnowski’s oder Farnovius, der nur das Vordasein Christi annahm, ohne ihn mit dem Vater für gleichwesentlich und gleichewig zu halten, und ein so heftiger Gegner der Dreieinigkeit war, wie dieselbe in der Lehre aller christlichen Kirchen angenommen wird, daß er behauptete, die Mohammedaner und Juden hätten eine reinere Erkenntniß Gottes als diejenigen, die das Athanasische Bekenntniß unterschrieben. Seine Meinungen von dem heiligen Geiste waren unbestimmt, Er nimmt zwar an, der heilige Geist sei ein abgesondertes Wesen, doch nicht die dritte Person der Gottheit, auch nicht selbst Gott, sondern nur etwas Lebendiges und gleichsam eine Person, und müsse daher nicht verehrt werden. Er wurde Prediger an der Kirche zu Sandecz, unter dem Schutze des dortigen Starosten Menzynski, und hatte eine zahlreiche Gemeinde und eine berühmte Schule. Dieser neue Arianismus verbreitete sich aber nicht weit und überlebte nicht seinen Stifter, nach dessen Tode seine Anhänger entweder zum reinen Socinianismus, oder zur reformirten Kirche übergingen.

 

Die Partei, welche das Vordasein Christi verwarf, zerfiel in drei Hauptabstufungen, an deren Spitze Martin Czechowicz **), Gregor

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*) Es heißt unter andern in dem Beschlusse der Synode: „Pie et sancte Trinitas est retinenda, ea lege ut fraterna caritas ex praecepto filii Dei servetur et alter alterius infirmitates toleret, nulla vero prorsus modo alter alterum conviciis incessat. Quod si quis aliter fecerit, Deo rationem reddat. — Orationes et conciones sacras alii aliorum audire possunt, ea cautione sicuti orationes peractae fuerint ea forma quae in verbo Dei est tradita. — Si forte illas orationes et conciones audire nolens foras exierit, non est id ei vitio ferendum, quasi vinculum fraternae dilectionis solveret.“ S. Lubienicki a. a. O..

**) Er gehörte ursprünglich zur reformirten Kirche und wurde 1561 Kaplan des Fürsten Radziwill in Wilna, späterhin Prediger in Cujavien und Lublin. Er vertheidigte die von Gonesius (s. Abschn. 9.) aufgestellte Meinung von Christi Vordasein, gab sie aber später auf. Außer seinen christlichen Gesprächen gehört zu seinen Hauptschriften: De Paedo-Baptistarum errorum origine.

 

 

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Pauli und Simon Budny *) standen. Czechowicz entwickelte seine Lehre hauptsächlich in seinem Werke „Christliche Gespräche”, und er behauptete, nicht Gott habe den Menschen gemacht, sondern der Mensch sei zum Gott gemacht worden, und Christus sei, ehe die Jungfrau ihn geboren habe, nicht gewesen; er sei ein Mensch gewesen, wie andere, nur ohne Sünde; er sei empfangen worden wie andere Menschen, werde aber Gottes Sohn genannt, weil er von Gott durch den heiligen Geist im Mutterleibe sei vorbereitet worden; er sei-zum Herrn aller Dinge gemacht worden, damit er nach seinem Gefallen Menschen erlösen- und selig machen könne, und müsse daher verehrt werden. Czechowicz erklärte sich gegen diejenigen, die sich weigerten, Christus anzubeten, und nannte sie Halbjuden, ein Ausdruck, den man seitdem allgemein angenommen hat. Er nahm Wunder und das Zeugniß des Propheten an, das die Ankunft des Heilands vorhergesagt habe, und glaubte, daß die Rechtfertigung nur durch den Glauben erlangt werde, und daß guten Werken nur ein untergeordnetes Verdienst beizulegen sei. Seine Ansichten hinsichtlich der weltlichen Obrigkeit sind gemäßigt, und er empfiehlt nur, ihnen den Gehorsam zu verweigern, wenn sie Handlungen geböten, die gegen das Wort Gottes wären. Auch empfiehlt er, Beleidigungen geduldig zu ertragen und nicht Abhilfe derselben zu suchen, sei es persönlich, oder durch Anrufung der Obrigkeit, und behauptet, ein Christ solle weder weltliche Aemter annehmen, noch Waffen gebrauchen. Trotz seiner zahlreichen Schriften und unermüdeten Anstrengungen gelang es ihm aber nicht, ein vollständiges Glaubenssystem festzustellen oder eine Schule zu stiften, und seine Lehren wurden von der Masse der Anti-Trinitarier theils angenommen, theils verworfen. Pauli **) griff die Lehre von der Dreieinigkeit heftiger an als Czechowicz, und glaubte überdies an das tausendjährige Reich, dessen nahe Ankunft er erwartete, und dem nach seiner Meinung die

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*) Er wurde wahrscheinlich in Lithauen geboren, gehörte ursprünglich zu der griechischen Kirche, und war zuletzt Prediger zu Zaslaw in Lithauen. Seine Hauptwerke sind: Luthers Katechismus in dem lithauisch-russischen Dialekte, 1562 zu Rieswicz gedruckt, die ganze Bibel in polnischer Sprache (Zaslaw 1572), das neue Testament mit Anmerkungen (Losc 1574), über die Hauptartikel des christlichen Glaubens, nämlich von dem einigen Gott, seinem Sohne und dem heiligen Geist, in polnischer Sprache (Losc 1576). Die Angabe, daß er zum Judenthume übergegangen sei, ist eine von seinen Feinden verbreitete Verläumdung.

**) S. Abschn. 9.

 

 

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Belehrung der Juden und Mohammedaner vorhergehen sollte. Budny, ein Mann von großer Gelehrsamkeit, stiftete eine Partei, welche die Gottheit Christi gänzlich leugnete und die Verehrung desselben verwarf. Diese von Franz Davides *) gegründete Lehre wurde, von Budny weiter entwickelt. Er lieferte eine Bibelübersetzung, die man für so richtig und dem Urtexte so treu hält, daß sie von gelehrten Rabbinern gebilligt wurde; die von ihm hinzugefügten Anmerkungen aber sind durchaus gegen die von den übrigen christlichen Parteien angenommenen Lehren gerichtet. Seine Meinungen wurden von der, im Jahre 1582 zu Lublin gehaltenen Synode der Anti-Trinitarier verdammt; dieses Urtheil wurde 1584 bestätigt, und Budny verlor sein geistliches Amt, das er jedoch, nachdem er seine anstößigen Meinungen widerufen hatte, zurück erhielt.

 

Die anti-trinitarischen Lehren erhielten durch Faustus Socinus **) eine bestimmte Form und wurden von ihm in ein Glaubenssystem gebracht. Sein Oheim Lälius Socinus hatte Polen schon 1552

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*) Er gehörte anfänglich zur Augsburgischen Confession, die er eifrig gegen die reformirte Kirche vertheidigte, bis er von Blandrata sich für die anti-trinitarischen Lehren gewinnen ließ, und Superintendent in Siebenbürgen wurde. Später verwarf er die Verehrung Christi, dem er einen bloß menschlichen Ursprung zuschrieb. Blandrata und Faustus Socinus bemühten sich vergebens, ihn von diesen Ansichten abzubringen. Er wurde auf Befehl des Fürsten von Siebenbürgen, Christof Batori, seiner Meinungen wegen in’s Gefängniß gesetzt, wo er 1579 starb.

**) Er stammte in gerader Linie von dem berühmten Rechtsgelehrten Mariano Socini. Seine Großmutter war aus dem Hause Piccolomini, und sein Geschlecht gehörte zu den angesehensten Familien in Siena. Er wurde 1539 geboren und studirte in seiner Jugend wenig. Die Briefe, die sein Oheim Lälius an seine Verwandten schrieb, machten auch auf ihn Eindruck, und er verließ Italien, als seine Angehörigen wegen der Meinungen, zu welchen sie sich hinneigten, verfolgt wurden. Während er von 1557 bis 1562 in Lyon wohnte, entwickelten sich seine Meinungen durch das Studium der Werke Ochino’s und seines Oheims, dessen Eigenthum und Papiere er 1562 erbte. In demselben Jahre ging er nach Florenz, wo er in hoher Gunst bei Franz Medici stand. Es läßt sich nicht entscheiden, ob die Vergnügungen des Hofes ihn von theologischen Forschungen abzogen, oder ob er bei seinen noch unbefestigten Ueberzeugungen sich enthielt, entschieden aufzutreten; genug, er blieb zwölf Jahre in Florenz, ohne jene Meinungen kund zu geben, die ihn später zu dem Haupte der Anti-Trinitarier machten. Erst 1574 begab er sich nach Basel, um sich ganz den theologischen Studien zu widmen, und schrieb dort sein erstes Werk: „De Jesu Christo servatore.“ Seine Lebensgeschichte, von Samuel Przypkowski, steht in der Bibliotheca fratrum Polonorum, und ward in’s Englische von John Biddle übersetzt unter dem Titel: „Life of that incomparable man Faustus Socinus Sienensis —“ London 1653.

 

 

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besucht, Faustus aber kam 1579 nach Krakau, und ließ sich nach einigen Jahren in dem benachbarten Dorfe Pawlikowice nieder, wo er mit Elisabeth, der Tochter des Grundherrn, Christof Morszcyn, sich vermählte. Diese Heirath, die ihn mit den ersten Familien Polens in Verbindung brachte, trug viel zur Verbreitung seiner Meinungen unter den höheren Ständen bei, und beförderte den außerordentlichen Einfluß, welchen er, obgleich anfänglich einige von seinen Ansichten abweichende anti-trinitarische Gemeinden sich dagegen gewehrt hatten, endlich über alle erlangte. Er wurde zu ihren Hauptsynoden eingeladen und nahm einen entscheidenden Antheil an den Verhandlungen, so daß er auf der Synode zu Wengrow im Jahre 1584 mit Erfolg die Lehre behauptete, Christus müsse verehrt werden, und die entgegengesetzte Meinung führe zum Judenthume, ja zur Gottesleugnung. Auf derselben und einer späteren Synode trug er viel zur Verwerfung der Meinung vom tausendjährigen Reiche bei, die von mehren Anti-Trinitariern angenommen ward. Auf den Wunsch der Synode schrieb er seine berühmte Antwort auf den Angriff der Jesuiten in Posen. Sein Einfluß wurde völlig befestigt auf der zu Brzesc in Lithauen 1588 gehaltenen Synode, wo er alle Verschiedenheiten, welche die polnischen Anti-Trinitarier getrennt hatten, entfernte, und ihre Gemeinden vereinigte, indem er die früher unbestimmten und uneinigen Lehren in ein System zusammenstellte.

 

Socinus war oft den Verfolgungen der katholischen Partei ausgesetzt, ohne jedoch je ernstlich verletzt zu werden. Endlich aber erregte die in Krakau veranstaltete Herausgabe seines Werkes „von Jesus Christus dem Erlöser”, einen heftigen Haß gegen ihn, und während er im Jahre 1598 in der Stadt wohnte, griff der Pöbel, von dem Studenten angeführt, sein Haus an, schleppte ihn unter den schmählichsten Mißhandlungen durch die Straßen, und würde ihn gewiß ermordet haben, wenn nicht zwei Lehrer der Hochschule, Wadovita und Goslicki, und der Rector Lelovita ihn befreit hätten. Diese edel gesinnten Männer retteten ihren gefährlichsten Widersacher, indem sie den wüthenden Pöbel täuschten und sich selbst einer Gefahr aussetzten, aber, wie man behauptet, ward ihr großmüthiges Benehmen von den bigotten Katholiken heftig getadelt. Socinus verlor bei dieser Gelegenheit seine Bibliothek, welche von dem Pöbel vernichtet wurde, wie auch seine Handschriften, unter welchen zu seinem großen Bedauern eine Schrift gegen den Atheismus verloren ging. Nach diesem Ereignisse begab er sich nach Luklawice, einem Dorfe unweit Krakau, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1607 blieb. Seine Tochter Agnes heirathete den lithauischen Edelmann Wyszowaty, und wurde die

 

 

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Mutter des gelehrten Andreas Wyszowaty. Um das Jahr 1590 verlor Socinus die beträchtlichen Einkünfte, die er aus seinen Gütern in Toscana zog und mit großer Freigebigkeit verwendete. Nach dem Tode seines Freundes und Wohlthäters Franz Medici, wurden jene Güter eingezogen, und Socinus mußte die Unterstützung seiner Freunde annehmen. Er ertrug dieses Unglück und viele körperliche Leiden mit Geduld und Sanftmuth, und scheint einen sehr liebenswürdigen Charakter gehabt zu haben. Seine Streitschriften sind frei von der Bitterkeit, die in jener Zeit so oft ähnliche Schriften der Katholiken und Protestanten entehrte. Seine aufrichtige Frömmigkeit und die Reinheit seiner Absichten lassen sich nicht bezweifeln. Er entwickelte seine theologischen Ansichten hauptsächlich in einem Werke, das alle Protestanten in Polen einlud, sich mit seiner Kirche zu vereinigen *), doch hat er seine Absicht, einen eigentlichen Katechismus zu schreiben, nicht ausgeführt. Diese Aufgabe lösten Valentin Smalcius **) und Hieronymus Moskorzewski, welche die von Socinus aufgestellten oder gebilligten Lehren zusammenfaßten, und 1605 einen Katechismus in polnischer Sprache zu Rakow herausgaben. Diese ungemein seltene Ausgabe wurde 1619 wieder abgedruckt. Smalcius gab 1608 eine deutsche Uebersetzung jenes Katechismus heraus, die 1612 wieder gedruckt und der Universität zu Wittenberg gewidmet wurde, welche einem ihrer Lehrer, Balduin, den Auftrag gab, eine Widerlegung dieses Werkes zu schreiben. Moskorzewski, der in einigen Beziehungen das hohe Ansehen geerbt hatte, das Socinus unter den Anti-Trinitariern genoß, gab 1609 eine lateinische Uebersetzung des Katechismus heraus, die er Jakob I., König von Großbritannien schickte. Das englische Parlament erklärte, daß der sogenannte Rakowische Katechismus

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*) Unter dem Titel: „Quod regni Poloniae et magni ducatus Lithuaniae homines, vulgo Evangelici dicti, omnino debent se coetui illorum adjungere, qui in iisdem locis falso et immerito Ariani et Ebionitae vocantur.“ In der Bibliotheca fratrum Polonorum.

**) Er wurde 1572 zu Gotha geboren. Seit früher Jugend zeigte er ungemeine Geistesgaben. Als er siebzehn Jahre alt war, soll sein Lehrer ihm gesagt haben: Tu evades alter Lutherus, wogegen ein anderer: Tu eris pestis ecclesiae vel reipublicae. Nachdem er mehre Hochschulen besucht hatte, kam er 1591 nach Strasburg, wo Woydowski ihn für die anti-trinitarischen Lehren gewann. Er ging nach Polen und ward in Szmigel, nach erhaltener Taufe, in die socinianische Gemeinde aufgenommen, wurde Vorsteher der dortigen Schule, später Prediger in Lublin, und endlich in Rakow, wo er 1622 starb. Er gilt für einen der vorzüglichsten Schriftsteller der Socinianer, und schrieb 52 Werke in lateinischer, polnischer und deutscher Sprache, unter welchen das Wichtigste „De divinitate Jesu Christi“ ist.

 

 

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gotteslästerliche, irrige und ärgerliche Lehren enthalte, und gab Befehl, alle aufzufindenden Abdrücke öffentlich zu verbrennen *).

 

Wir wollen das Glaubenssystem der polnischen Anti-Trinitarier oder Socinianer, wie es in dem Katchismus aufgestellt ist, nach seinen Hauptsätzen zusammenfassen. Die Offenbarung wird als die Grundlage des Glaubens anerkannt, in der Auslegung der Worte der heiligen Schrift aber der menschlichen Vernunft ein großer Spielraum gewährt, wiewohl die Unzulänglichleit der Vernunft, den Menschen ohne Beistand der Offenbarung zur Seligkeit zu bringen, zugestanden wird. Gott der Vater ist der Höchste, ohne Anfang, unerschaffen, und hat alles erschaffen. Jesus Christus war auf Erden ein sterblicher Mensch, aber im Leibe der Jungfrau, ohne Zuthun eines Mannes, durch die Macht des heiligen Geistes geschaffen, und darum in gewissem Sinne Gottes eigener und allein erzeugter Sohn. Er wurde Gott durch sein Märtyrerthum und seine Auferstehung, und muß daher verehrt und angerufen werden. Der heilige Geist ist eine, den Gläubigen verliehene Gabe Gottes. Christus ist nicht das Wort, durch welches alle Dinge gemacht wurden, er war nur der Stifter eines neuen Glaubens, der Verbesserer irdischer und himmlischer Dinge, und indem er die Menschen erlöste und ihnen zur Wiedergeburt verhalf, war er der Schöpfer einer neuen Welt. Die Vorherbestimmung wird entschieden verworfen. Die Taufe wird als eine Feierlichkeit von geringerer Wichtigkeit betrachtet, die an sich keine Kraft habe, noch auch den Menschen zu erneuern vermöge. Nur diejenigen Katechumenen, welche die Wichtigkeit der Verpflichtung, die sie übernehmen, begriffen haben, können wirksam getauft werden. Die Kindertaufe wird nur aus christlicher Liebe geduldet. Die Socinianer nehmen zwar an, daß die Rechtfertigung seit der Offenbarung Christi nur durch ihn erlangt werden kann, legen aber der Erlösung des Menschengeschlechtes durch seine Verdienste einen andern Sinn bei, als alle christlichen Kirchen, die römische, griechische oder protestantische. Christus, sagen sie, büßte durch sein Opfer nicht für die Sünden der Menschen, sondern zeigte nur, wie Gottes Barmherzigkeit erlangt werden könne, und gab ein Beispiel, das der Mensch mit Christi Beistande nachahmen soll, um selig zu werden. In der kirchlichen Einrichtung und in den gottesdienstlichen Gebräuchen waren die Socinianer den Protestanten gleich **).

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*) Eine englische Uebersetzung des Katechismus erschien 1652, eine neue von Abraham Rees mit einer historischen Einleitung, London 1819.

**) S. „Politia ecclesiastica quam vulgo agenda vocant, sive forma regiminis exterioria ecclesiarum christianarum in Polonia, quae unum Deum Patrem per Filium ejus unigenitum in Spiritu sancto confitentur“ von Peter Morzcovius (Morczkowski), Nürnberg 1642.

 

 

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Bubny’s Bibel wurde, wie wir gehört haben, wegen der hinzugefügten Anmerkungen von den Anti-Trinitariern nicht angenommen, und eben so wenig Czechowicz’s neues Testament. Falconius (Sokolowski) gab 1566 zu Brzesc in Lithauen ein neues Testament unter dem Titel: „Worte und Thaten Jesu Christi” heraus. Die Socinianer hatten nie eine, von ihren kirchlichen Behörden anerkannte Uebersetzung der ganzen Bibel, sondern nur des neuen Testamentes, welche nach den Uebersetzungen Bubny’s und Czechewicz’s bearbeitet, und 1606 und 1620 zu Rakow herausgegeben wurde, und in einer neuen, von Crellius verbesserten Ausgabe, 1686 zu Amsterdam erschien.

 

Die Lehren, die Faustus Socinus hinsichtlich der Staatsgewalt behauptete, und besonders in seinem Schreiben an Jakob Paleologos entwickelte, schärften duldenden Gehorsam und unbedingte Unterwerfung ein. Er verdammte nachdrücklich den Aufstand der Holländer gegen die spanische Unterdrückung, und den großherzigen Widerstand, den die französischen Protestanten ihren Verfolgern entgegensetzten. Bayle bemerkt mit Recht, Socinus spreche bei dieser Gelegenheit eher in dem Tone eines Mönches, dessen Feder man gedungen habe, die protestantische Reformation herabzusetzen und gehässig zu machen, als mit den Gesinnungen, die man von einem italienischen Flüchtlinge erwarten dürfe.

 

Die von Socinus ausgesprochenen Meinungen wurden jedoch nicht unbedingt von den polnischen Socinianern angenommen. Die Synoden von 1596, 1597 und 1598 erlaubten ihnen, von allen jedem polnischen Edelmanne gewährten Vorrechten Nutzen zu ziehen, zum Beispiel Würden und Aemter anzunehmen und die Waffen zu gebrauchen, doch nur wenn sie aus Nothwehr dazu gezwungen würden. Diese Bewilligung mißfiel den geringeren Classen der Socinianer, und durch ihren Einfluß faßte die Synode von 1605 einen Beschluß, welcher erklärte, daß Christen die Länder, welche von den Raubzügen der Tartaren heimgesucht würden, eher verlassen, als solche Feinde zur Vertheidigung des Vaterlandes tödten sollten. Diese ungereimte Lehre, welche so gefährlich für die Sicherheit eines, steten Angriffen ausgesetzten Landes war, dem Volksgefühle widerstrebte und dem Beispiele der Urchristen widersprach, die tapfer in den römischen Legionen fochten, wurde nicht strenge von den polnischen Socinianern befolgt, deren mehre in der Kriegslaufbahn sich auszeichneten *).

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*) Er sagt: „Die den Christen gegebene Erlaubniß, Krieg zu führen, hat zur Folge, daß Leute, die den Namen Christi bekennen, sich nicht scheuen, die Waffen gegen die Obrigkeit selbst zu ergreifen, nicht bloß mit Eurer Zustimmung und Billigung, sondern sogar auf Euren Rath und Antrieb. Die ganze Welt ist Zeuge von demjenigen, was ich sage, da sie diese Dinge entweder selbst gesehen hat, oder aus glaubwürdigen Berichten kennt; besonders aber geben Zeugniß die beiden edlen Länder Frankreich und Holland, die mit Bürgerblut überschwemmt wurden, bloß weil die Leute sich überredeten, dass es für sie, oder auch nur für einen Theil von ihnen erlaubt sei, in gewissen Fällen gegen ihren Herren und Fürsten sich zu bewaffnen. Daher werden in unseren Tagen von denjenigen, die bessere Christen als andere sein wollen, und unter dem Vorwande, den christlichen Glauben zu vertheidigen, Dinge gethan, die von barbarischen und wilden Völkern verabscheut werden, und wir sehen sie die Waffen ergreifen gegen ihre eigenen Könige. — Wenn ein König ein Tyrann wird, was jedermann nach seiner eigenen Weise erklärt, so behauptet das gemeine Volk, unter Eurer Anleitung, oder doch mit Eurer Zustimmung daß nicht länger der König, sondern das Volk oder ein Theil des Adels die Obrigkeit bildet, und unter Eurer Ermächtigung und nach Eurer Anweisung scheut man sich nicht, mit Waffengewalt gegen den Tyrannen, wie man ihn nennt, und gegen seine Streitkräfte aufzutreten, und offenen Krieg gegen ihn zu führen” S. „Liber de Magistratu adversus Paleologum.“ Es ist merkwürdig, daß einige Katholiken gerade diese Schrift dem Könige Stephan Batori als aufrührerisch bezeichneten.

 

 

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Die Lehre, daß Christus verehrt werden müsse, eine Lehre, die Socinus so standhaft vertheidigte, wurde im Jahre 1600 feierlich von der Synode zu Nowogrodek in Lithauen bestätigt, indem sie die Anrufung Jesu Christi für unumgänglich nothwendig erklärte, und in dieser Beziehung Budny und einen seiner Meinungsgenossen von der Gemeinde ausschloß; aber es gibt Gründe zu glauben, daß Socinus und seine Anhänger die Sache nicht immer in gleichem Lichte betrachteten, denn er deutet in einer seiner Streitschriften an, daß es Fälle gebe, in welchen es zur Seligkeit nicht nothwendig sei, Gebete an Christus zu richten. Im Jahre 1610, und auf den Synoden zu Rakow und Lublin, wurde von Smalcius, Moskorzewski und andern die Lehre aufgestellt, daß es zur Seligkeit nicht unumgänglich nothwendig sei, alles zu glauben und zu beobachten, was von Christus und den Aposteln gelehrt werde, und daß man gewisse Stellen des Evangeliums verwerfen könne. Dies war im Grunde eine Verwerfung der Nothwendigkeit der Offenbarung, und diese Meinung wurde daher von Ostorodus, einem berühmten Beförderer des Socinianismus in Deutschland, und besonders in Holland, lebhaft bestritten. Die Synoden entschieden aber gegen Ostorobus, der sich dem Ausspruche der Mehrheit unterwarf. Die Synode von 1612 brachte den Streit zum Schweigen, und die

 

 

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Einigkeit ward unter den Socinianern wiederhergestellt, mit Ausnahme der Anhänger Farnowski’s, die hartnäckig blieben, bis sie sich 1620 mit den übrigen einigten.

 

Die Socinianer machten verschiedene Versuche, eine Vereinigung mit den reformirten Kirchen in Polen zu stiften, und es wurde zu diesem Zwecke im Jahre 1598 eine Besprechung zu Rakow gehalten, doch ohne allen Erfolg. Eine ähnliche Versammlung zu Lublin im Jahre 1611 hatte kein günstigeres Ergebniß, und es gab gar keine Aussicht auf eine Einigung, da die Socinianer erklärten, daß sie hinsichtlich der Lehre nicht das geringste Zugeständniß machen könnten. Dieser Versuch, der nur dazu diente, den Riß zwischen der reformirten Kirche und den Socinianern zu erweitern, wurde von Zaborowski, einem Reformirten, in einer Flugschrift geschildert, die er „Feuer und Wasser” nannte, aber in einem zu heftigen Tone schrieb. Das Mißlingen hinderte nicht, ähnliche Anstrengungen in einer zu Goilice gehaltenen Versammlung zu machen, welche die trügliche Hoffnung erweckte, daß ein an sich unmögliches Ergebniß erlangt werden könnte. Die Socinianer wurden hauptsächlich von Smalcius und Lombardus, die Reformirten von dem jüngeren Stancari vertreten, und viele angesehene Edelleute von beiden Parteien nahmen Antheil an den Verhandlungen. Nachdem man einige vorläufige Anordnungen gemacht hatte, wurde die Versammlung endlich nach Belzyce verlegt, wo die Protestanten eine Synode hielten. Die Socinianer schickten einige ihrer ersten Wortführer, Moskorzewski, Lubieniecki und andere, während die Protestanten hauptsächlich durch den Superintendenten der Kirchen in Klein-Polen, Krainski, vertreten wurden. Der Erfolg war eben so ungünstig als in früheren Versammlungen, und die Verhandlungen wurden bald durch die Heftigkeit unterbrochen, womit die Socinianer, besonders Moskorzewski, der Gegenpartei ihre Meinungen aufzudringen suchten. Seitdem wurde der Versuch, wie es scheint, nicht erneuert, obgleich man im Jahre 1619 eine politische Einigung gegen die, von der katholischen Partei ausgegangenen Bedrückungen zu schließen sich bemühte. Auch dies aber mißlang, wiewohl die unübersteiglichen Hindernisse, die einer Einigung in der Lehre entgegenstanden, einen solchen Bund nicht hinderten. Die Socinianer versuchten es auch, in eine Glaubensgemeinschaft mit den Mennoniten zu treten, mit welchen viele Anti-Trinitarier in der Lehre von der Taufe der Erwachsenen übereinstimmten. Auf der Synode zu Rakow ward im Jahre 1611 ein Antrag zu diesem Zwecke gemacht. Smalcius und Moskorzewski erließen ein Schreiben an die Mennoniten und legten ihnen die Bedingungen einer Vereinigung vor. Die

 

 

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Mennoniten gaben eine schriftliche Antwort, und die Synode zu Rakow erklärte es 1613 für unmöglich, den Plan auszuführen.

 

Der Zeitraum von 1585 bis 1638 war der glänzendste für den Socinianismus in Polen, und die Schule zu Rakow hat nicht wenig dazu beigetragen. Rakow ward im Jahre 1569 durch den Palatin von Padolien, Johann Sieninski, einen Reformirten gegründet, und da er den neuen Ansiedlern viele Vortheile, besonders aber eine uneingeschränkte Glaubensfreiheit gewährte, so nahm die neue Stadt so schnell an Einwohnerzahl und Wohlstand zu, dass sie eine der bedeutendsten Städte Polens ward. Eine anti-trinitarische Gemeinde wurde bald unter Gregor Pauli gestiftet, welcher viele Socinianer sich anschlossen, und im Jahre 1600 ging auch Jakob Sieninski, der Sohn des Gründers der Stadt, zu ihr über. Seitdem wurde die Stadt der Hauptsitz dieser Glaubenspartei und der Quell ihrer Lehren, nicht bloß für Polen, sondern für ganz Europa, so dass man Rakow mit Recht das Rom des Socinianismus nennen konnte. Die Schule, die 1602 gestiftet und bald so berühmt wurde, dass man Rakow das sarmatische Athen nannte, trug viel dazu bei, die Wichtigkeit der Stadt zu erhöhen. Sie besaß Lehrer, die einen europäischen Ruf hatten, wie Ruarus *), Ostorodus, Crellius **), Wyszowaty ***), Lubieniecki, wurde

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*) Martin Ruarus, 1589 in Holstein geboren, ward in Altorf mit den socinianischen Lehren bekannt, und begab sich 1615 nach Rakow, wo er wohlwollend aufgenommen und, nach Fortsetzung seiner Studien in Deutschland, im Jahre 1621 als Vorstand der Schule angestellt ward. Er legte nach zwei Jahren dieses Amt nieder, und bereiste England, Frankreich, Holland und Deutschland. Im Jahre 1632 ging er auf Befehl der socianischen Synode noch einmal nach Holland, um eine Vereinigung mit den Arminianern zu Stande zu bringen. Später wurde er sieben Jahre Prediger in Danzig, und als er vertrieben wurde, fand er Zufluchtauf den Gütern eines Glaubensgenossen, und er wurde von mehren angesehenen polnischen Edelleuten, die ihn wegen seiner Gelehrsamkeit schätzten, wiewohl sie seine Meinungen nicht theilten, gegen Verfolgungen geschützt. Wladislaw IV. ernannte ihn 1643 zum königlichen Secretär, und er behielt dieses Amt auch unter Johann Kasimir. Er starb 1659. Unter seinen zahlreichen Schriften ist besonders sein Briefwechsel wichtig.

**) Johann Crellius ward 1590 in Franken geboren, und er starb 1634 zu Rakow, einer der kräftigsten Verfechter des Socinianismus. Zu seinen Hauptwerken gehört „Ethica Aristotelica et christiana.“ Seine Lebensgeschichte schrieb Pistorius, der vom Socinianismus zur katholischen Kirche überging.

***) Andreas Wyszowaty, latein. Vissovatus, wurde 1608 in Lithauen geboren, und in Rakow erzogen. Er reiste mit Ruarus und andern ausgezeichneten Socinianern, kam 1632 nach Polen zurück, trat 1640 aber eine neue Reise an, und wurde nach seiner Rückkehr 1642 Prediger zu Szersznie in der Ukraine. Später ward er Prediger im Palatinate Lublin. Während des Kosakeneinfalls suchte er Zuflucht in Preußen. Nach seiner Rückkehr ward er 1650 Prediger zu Robkow im Palatinate Karkau, wo er blieb, bis 1656 sein Haus von einem, durch katholische Priester aufgereizten Pöbelhaufen zerstört wurde. Nach der Vertreibung der Socinianer ging er nach Ungarn, dann nach Deutschland, und endlich nach Holland, wo er 1678 starb. Er hinterließ 62 Schriften, unter welchen die wichtigsten sind: „Religio rationalis, seu de rationis judicio in controversiis etiam theologicis ac religiosis adhibendo tractatus“; und „Stimulus virtutum fraena peccatorum.“ Gegen ihn schrieb Leibnitz: „Sacrosancta Trinitas per nova inventa logica defensa.“

 

 

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nicht bloß von Socinianern, sondern auch von Protestanten und Katholiken besucht, und hatte gegen tausend Zöglinge. Rakow war eben so sehr ein Sitz des Handels und der Betriebsamkeit, als der Gelehrsamkeit. Aus der Buchdruckerei in Rakow gingen außer den theologischen Schriften der Socinianer, auch viele wissenschaftliche Werke hervor.

 

Außer Rakow waren die ansehnlichsten socinianischen Gemeinden in Lublin, zu welchen mehre der bedeutendsten Familien der Provinz gehörten. Sie hatten eine berühmte Schule in Lubartow. Die Kirche der Socinianer zu Lublin wurde nach der Zerstörung der Stadt in Piaski, und später in Siedliski wieder gegründet. Im Palatinate Krakau hatten die Socinianer mehre Gemeinden, von welchen die wichtigsten in Sandecz und in Luklawice, wo Faustus Socinus begraben lag, und wo es auch eine berühmte, nicht bloß von Polen, sondern auch von Siebenbürgen besuchte Schule gab. In Volhynien waren ihre Hauptsitze Kissielin, wo eine ausgezeichnete Schule war, und Beresteczko. Im Palatine Kiew wurde der Socinianismus besonders von der reichen Familie Niemiericz unterstützt, und in Lithauen war die wichtigste Gemeinde in Nowogrodek. In Groß-Polen hatten die Socinianer eine Gemeinde in Szmigel unter dem Schutze des berühmten Dudithius *),

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*)Dudithius oder Dudycz, 1533 in Ungarn geboren, studirte in Breslau, Padua und Paris. Er reiste mit dem Cardinal Pole aus Italien nach England, wurde schon 1561 Bischof zu Tina in Ungarn, und ging 1562 als Gesandter des Kaisers nach Trient, wo er sich durch seine Beredtsamkeit auszeichnete, und für die Zulassung des Kelchs im Abendmahle der Laien sprach. Dies veranlaßte seine Zurückberufung. Im Jahre 1565 kam er als kaiserlicher Gesandter nach Polen, wo er öffentlich von der katholischen Kirche sich lossagte und sich mit einer Polin verheiratete. Er kaufte Szmigel, wo er den Socinianern eine Kirche zu bauen erlaubte. Als eifriger Anhänger des Erzherzogs von Oestreich ward er von Stephan Batori verbannt und ging nach Mähren, wo er Güter ankaufte, und lebte später in Breslau bis zu seinem Tode 1589. Obgleich er von der römischen Kirche abgefallen war, so trat er doch zu keinem bestimmten protestantischen Bekenntnisse über, und wenn in ihn gedrungen wurde, sich darüber zu erklären, gab er ausweichende Antworten. Er war ein so großer Verehrer Cicero’s, dass er alle Werke desselben dreimal mit eigener Hand abschrieb.

 

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des Grundherrn, der sich zwar zu dem Protestantismus bekannte, aber einer Hinneigung zu dem Socinianismus verdächtig war.

 

Die polnischen Socinianer waren ungemein eifrig, ihre Lehren sowohl in Polen *), als im Auslande zu verbreiten, und die Missionare, die sie oft in verschiedene Städte, besonders auf die berühmtesten Universitäten schickten, suchten durch Gespräche und durch eigens herausgegebene Schriften ihren Meinungen Anerkennung zu verschaffen. Zu diesem Zwecke verwendeten sie ansehnliche Geldsummen, die theils von Synoden, theils von freigebigen Mitgliedern ihrer Gemeinden gewährt wurden. So wurde Smalcius im Jahre 1608 abgesendet, um die Socinianer in Schlesien zu besuchen; Ostorodus und Woydowski bereisten zu demselben Zwecke Holland, aber, wie Mosheim richtig bemerkt, obgleich diese Missionare, deren einige durch vornehme Herkunft, andere durch umfassende Gelehrsamkeit sich auszeichneten, ihrer Aufgabe vollkommen gewachsen waren, so gelang es ihnen doch fast nirgend, ihren Zweck zu erreichen. Die Socinianer besuchten gewöhnlich die protestantischen Universitäten Deutschlands, um ihre in Rakow begonnenen Studien fortzusetzen, und benutzten die Gelegenheit, die ihnen dieser Umstand darbot, zur Verbreitung ihrer Glaubensansichten. Die Universität Altorf wurde am häufigsten von ihnen besucht, und nach Zeltner’s Angabe **) übten sie einen geheimen, aber mächtigen Einfluß auf die dortigen Protestanten aus. Wie es scheint, hatten die Socinianer, die in Polen ihren Glauben öffentlich bekennen konnten, viele solcher Gemeinden im Auslande, und man darf wohl annehmen, daß ein geheimer Verein unter ihnen bestand, in welchen nur die Eingeweihten aufgenommen wurden. Es ist Thatsache, daß sie einen Briefwechsel in einer, den Uneingeweihten unverständlichen Sprache führten, in welcher sowohl Personen als Gegenstände durch angenommene Namen bezeichnet

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*) Man beschuldigt die Socinianer, daß sie zur Verbreitung ihrer Meinungen in Polen auch das Mittel gebraucht hätten, die Gesangbücher der Protestanten, besonders der Lutheraner, zu verfälschen. Sie sollen die Gelegenheit dazu vorzüglich in Lithauen benutzt, und da es den Lutheranern in Wilna an einer Buchdruckerei fehlte, in Brzesc bei dem Drucke von Gesangbüchern viele Lieder, besonders die auf die Gottheit Christi sich beziehenden, verstümmelt oder ausgelassen haben. Sie übersetzten Luther’s Lieder, zu welchen man besonderes Vertrauen hatte, in die polnische Sprache und gestalteten sie nach ihren Lehren. S. Efraim Oloff’s „polnische Liedergeschichte.“ L.

**) In seiner „Historia Crypto - Socinianismi Altorfini.“

 

 

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wurden; so hieß Rakow darin Verona oder Covaria, Lithauen Cassivaria, Krakau Fragosia, Siegmund III. Victorinus.

 

Die Socinianer waren vor ihrer Vertreibung aus Polen vielen Verfolgungen ausgesetzt. Ihre Kirche in Lublin ward im Jahre 1627 gleichzeitig mit der protestantischen zerstört, und ihre Anhänger wurden dort und in andern Gegenden des Landes unter den ungereimtesten Vorwänden verfolgt und unterdrückt. Rakow aber war als ihr Hauptsitz besonders ein Gegenstand der Feindseligkeit der katholischen Partei, und es wurden mehre Angriffsversuche gemacht, aber günstige Umstände schützten die Stadt, trotz wiederholter Quälereien, lange vor dem Verderben. Unter der Regierung des duldsamen und aufgeklärten Wladislaw fand endlich Rakow seinen Untergang. Zwei Zöglinge der Lehranstalt wurden angeklagt, ein hölzernes Crucifix mit Steinwürfen angegriffen zu haben. Dieser Unfug, den die Aeltern der Knaben mit einer Züchtigung ahndeten, wurde von der katholischen Partei, an deren Spitze bei jener Gelegenheit Zadzik, Bischof von Krakau, sich stellte, als eine Lästerung und eine Beleidigung gegen Gott und den König bezeichnet, die mit der Zerstörung einer Schule bestraft werden müßte, wo, wie sie sagten, Grundsätze gelehrt würden, welche die Zöglinge auf solche Weise in Ausübung brächten. Diese Anklage ward eifrig von Kasimir Sieninski, dem Sohne des Grundherrn von Rakow, unterstützt, der, zu dem katholischen Glauben übergegangen, sich nicht scheute, eine ausgezeichnete Rolle unter denjenigen zu spielen, die seinen eigenen Vater, den thätigsten Beförderer der Schule, angriffen. Sie drangen auf schleunige und auffallende Rache für eine der Religion zugefügte Beleidigung, und verlangten, daß es auf ihre einziges Zeugniß und ohne gerichtliche Untersuchung der Sache geschehen sollte. Zu gleicher Zeit wurden Anklagen verschiedener Art verbreitet, die den Socinianern politische, die Sicherheit des Landes bedrohende Plane zuschrieben, und ein Buch *), das die schimpflichsten Ausdrücke gegen die heiligsten Lehren des christlichen Glaubens enthielt, und das man, nach der Behauptung der Socinianer, fälschlich einem ihrer Glaubensgenossen beilegte, ward als ein Grund zur Verfolgung derselben verbreitet. Der Reichstag, auf welchem der dritte Theil der Landboten aus Protestanten bestand, verordnete eine Untersuchung der Sache, und behielt sich selbst die Entscheidung vor. Die Protestanten erkannten die Gefahr, welcher sie selbst ausgesetzt sein würden, wenn sie dem gemeinschaftlichen Feinde gestatteten, die verfassungmäßige Freiheit seiner Glaubensgegner zu unterdrücken,

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*) Tormentum Trinitatem desturbans.

Krasinski.

 

 

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und widerstanden einige Zeit den Angriffen auf diese Freiheit; sie ließen sich aber bald von den Katholiken überreden, die Socinianer aufzugeben, die, wie man behauptete, von dem Schutze der Verfassung ausgeschlossen werden müßten, weil diese nur die Rechte derjenigen gewährleistete, die in der Religion von einander abwichen, wie es bei allen christlichen Bekenntnissen der Fall wäre, nicht aber derjenigen, die über die Religion eine abweichende Meinung hätten, wie die Socinianer. Mochten die Protestanten fürchten, zu denjenigen gerechnet zu werden, welche die Hauptlehren des Christenthums leugneten, oder eine heftige Abneigung gegen die Socinianer hegen, genug, sie gaben die Vertheidigung derselben auf und verbanden sich mit den Katholiken zum Angriffe. Die Sache wurde dem Urtheile des Senats unterworfen, der am 1. Mai 1638, ohne die angeklagte Partei zu hören, den Beschluß faßte, daß die Kirche, die Schule und die Buchdruckerei zu Rakow aufgehoben werden sollten, und diejenigen, welche dieselben wiederherstellen würden, mit der Strafe des bürgerlichen Todes und der Verbannung bedrohte. Dieses Urtheil wurde vollzogen, und der alte Sieninski, von seinem eigenen Sohne angeklagt, entging nur mit großer Mühe den strengen Maßregeln, die gegen seine Glaubensgenossen vollzogen wurden‚ indem er eidlich betheuerte, daß er an der, von den beiden Schulknaben einem Crucifix angethanen Beleidigung unschuldig wäre. Der Bischof von Krakau, der Hauptanstifter dieser Verfolgung, begabte reichlich die katholische Kirche zu Rakow, aber die Stadt erholte sich nie von dem harten Schlage und sank bald zu einem unbedeutenden Orte herab; sie ist jetzt ein armseliges Dorf, wo man nichts Bemerkenswerthes findet als eine Siebmanufactur.

 

Jenes strenge vollzogene Urtheil war gegen alle, von der Landesverfassung vorgeschriebenen Formen gefällt worden, und wurde weder gedruckt, noch den betheiligten Parteien bekannt gemacht. Diese auffallende Verletzung der Gesetze erweckte bei den protestantischen Landboten mit Recht die Besorgnis, daß man auf gleiche Weise gegen ihre Glaubensgenossen handeln werde, und ihre Wortführer legten eine Verwahrung gegen die Gesetzwidrigkeit eines solchen Verfahrens ein. Sie beschwerten sich, daß man die Angeklagten ohne gerichtliches Verhör verurtheilt habe, daß die Kammer der Landboten heimlich von allem Antheile an der Sache ausgeschlossen, und daß der Wille des Reichstages, der nur eine Untersuchung des Falles verordnet, sich selbst aber das Urtheil vorbehalten habe, vereitelt und gemißachtet worden sei. Viele katholische Landboten vereinigten sich in diesen Beschwerden mit den Protestanten; aber weder jene Verwahrung, noch die Abneigung

 

 

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des Königs gegen Glaubensverfolgung, noch auch der Umstand, daß man dem berühmten socinianischen Theologen Andreas Wyszowaty erlaubte, auf dem Reichstage von 1639 seine Glaubensgenossen öffentlich zu vertheidigen, konnte die Verfolgung der Socinianer hemmen. Die Schulen und Kirchen zu Kissielin und Beresteczko in Volhynien wurden 1644 durch eine Verfügung des Gerichtshofes aufgehoben, und die Gemeinden zerstreut, und dem Grundherrn jener Orte bei schwerer Strafe verboten, seinen Glaubensgenossen eine Zuflucht auf seinen Gütern zu geben.

 

Die Regierung Johann Kasimir’s war verderblich für die Socinianer. Schon auf dem Berufungs-Reichstage im Jahre 1648 wurde der Antrag gemacht, daß nur diejenigen von der römisch-katholischen Kirche abweichenden Parteien, welche das Geheimniß der Dreieinigkeit annähmen, die in der Landesverfassung gewährleisteten Rechte genießen sollten. Dieser Antrag wurde zwar nicht angenommen, einem angesehenen Edelmanne, Niemiericz, weil er Socinianer war, aber nicht gestattet, die Verhandlungen des Reichstages zu unterzeichnen. Die Kriege mit den Kosaken, welche die südlichen Landestheile verheerten, wo es die meisten socinianischen Gemeinden gab, führten zu ihrer Vertilgung, da die Kosaken keinen Unterschied unter den Glaubensparteien machten, sondern alle vernichteten, die nicht zur morgenländischen Kirche gehörten; ja selbst viele Mitglieder dieser Kirche aus den höheren Classen wurden Opfer der Barbarei eines fanatischen Pöbels. Auch der Einfall des Fürsten von Siebenbürgen im Jahre 1657, unter dessen Kriegsvölkern sich viele Protestanten und Anti-Trinitarier befanden, war für die Gemeinden der Socinianer nicht minder verderblich, da die Walachen, Moldauer und andere rohe Horden, welche Ragotzi geworben hatte, die größten Gewaltthaten gegen sie begingen. Viele Socinianer traten zu der Partei des Königs von Schweden, aber obgleich viele Anhänger anderer Glaubensbekenntnisse dasselbe thaten, so hatten doch die Socinianer allein für die Folgen zu büßen. Im Jahre 1656 machten gegen dreitausend Bauern, von katholischen Priestern aufgereizt, einen Angriff auf die Stade Sandecz, zerstörten und verbrannten die Häuser, und ermordeten und verstümmelten viele Socinianer ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes. Aehnliche Grausamkeiten wurden in Czarkow und andern Orten verübt, und bei diesen Gelegenheiten die werthvollen Büchersammlungen Wyszowaty’s und Lubieniecki’s zerslört. Wir haben erzählt, daß Johann Kasimir, während des Krieges gegen die Schweden, das Gelübde that, die Unterdrückung der Bauern aufzuheben und die Ungläubigen zu bekehren. Der erste

 

 

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Theil dieses Gelübdes, obgleich christlich und preiswürdig, wurde nicht einmal versucht, da der König bei seiner zu beschränkten Gewalt nicht im Stande war, etwas gegen die Interessen der Grundherren zu unternehmen, zu welchen auch die Geistlichkeit gehörte, und das Gelübde ward auf die Unterdrückung der Feinde der römischen Kirche beschränkt. Die Anzahl der Protestanten war noch immer beträchtlich; mehre angesehene Familien des Landes gehörten zu ihnen, und sie wurden durch das Interesse fremder Fürsten ihres Glaubens unterstützt, die zu jener Zeit mit Polen verbündet waren, wie der König von Dänemark und der Kurfürst von Brandenburg. Es war daher unmöglich, sie durch eine allgemeine und auf ein Gesetz gegründete Verfolgungsmaßregel zu quälen, obgleich einige bigotte Katholiken einen solchen Plan hatten. Auf dem Reichstage von 1658 war man einige Zeit in Zweifel, ob das Gelübde des Königs durch die Vertreibung der Juden oder der Socinianer erfüllt werden sollte. Es würden zu viele Interessen verletzt worden sein, wenn man eine zahlreiche Volksclasse vertrieben hätte, in deren Händen der Handelsverkehr des Landes hauptsächlich lag, und so wurden die Socinianer als passende Gegenstände für die Erfüllung des königlichen Gelübdes bezeichnet. Der Jesuit Karwat, der großen Einfluß hatte, reizte den Reichstag, durch Thaten, wie er es nannte, seine Dankbarkeit gegen Gott zu beweisen. Der Landbote Szwanski, ein Socinianer, versuchte es, den Reichstag durch sein Veto aufzulösen, ehe ein Gesetz gegen seine Glaubensgenossen gegeben war; aber dieses Vorrecht, das einige Jahre früher (1652) zuerst in Ausübung gekommen war, und durch welches so viele heilsame Maßregeln vereitelt worden sind, wurde nicht beachtet, als man es zur Vertheidigung der Glaubensfreiheit benutzen wollte. Der Reichstag gab ein Gesetz, das bei den schwersten Strafen verbot, den Socinianismus in Polen zu bekennen oder zu verbreiten; doch ward, um Milde zu beweisen, wie es hieß, denjenigen, die von ihrer Glaubenspartei nicht abgehen wollten, eine Frist von drei Jahren zum Verkaufe ihres Eigenthumes und zur Beitreibung ihrer Foderungen bewilligt. Es ward ihnen während dieser Zeit vollkommene Sicherheit versprochen, aber sie sollten weder ihren Glauben öffentlich bekennen, noch in die Angelegenheiten des Landes sich einmischen dürfen. Diese Verfügung wurde nicht auf politische Erwägungen gegründet, noch beschuldigte sie die Socinianer irgend einer verrätherischen Handlung, sondern sie stützte sich bloß auf theologische Gründe, und besonders auf den Umstand, daß die Socinianer das Vordasein Christi leugneten. Der Beschluß des Reichstages stützte sich überdies auf ganz falsche Vordersätze, indem erstens die Socinianer

 

 

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nach einem, unter Wladislaw Jagello gegen die Ketzer gegebenen Gesetze verurtheilt wurden, das durch ein späteres‚ die Glaubensfreiheit schützendes wieder aufgehoben war, und zweitens eine Ungereimtheit darin lag, ein Gesetz, das gegen die Hussiten, welche die Dreieinigkeit nie leugneten, gegeben wurde, zur Bestrafung derjenigen anzuwenden, welche sie leugneten, während die Protestanten, die gleiche Glaubenslehren mit den Hussiten hatten, von jener Verfügung nicht getroffen werden sollten.

 

Die den Socinianern bewilligte dreijährige Feist ward im Jahre 1659 von dem Reichstage auf zwei Jahre beschränkt, und verfügt, daß am 10. Julius 1660 alle Socinianer, die nicht zum katholischen Glauben übergegangen wären, das Land bei den früher angedrohten Strafen verlassen sollten. Dieselbe Verfügung verbot den Socinianern, welche ihren Glauben verlassen wollten, ein anderes Bekenntniß als das katholische anzunehmen, weil viele von ihnen zu der protestantischen Kirche übergegangen waren, um dem strengen Gesetze von 1658 auszuweichen. Die Socinianer sahen sich genöthigt, ihre Besitzungen zu sehr unangemessenen Preisen zu verkaufen, weil die ihnen bewilligte Frist zu kurz, das Land durch den Krieg zerrüttet war, und ihre unglückliche Lage von habsüchtigen Käufern benutzt wurde. Sie wurden mittlerweile von Verfolgungen aller Art heimgesucht, als Verwiesene behandelt, und da man ihnen jede Ausübung ihres Glaubens verweigert hatte, so war es leicht, eine Ursache zur Verfolgung zu finden. Die Socinianer wagten, um ihrem Schicksale zu entgehen, einen so unverständigen Versuch, daß sich nicht begreifen Iäßt, wie sie auch nur einen Augenblick an die Ausführbarkeit desselben glauben konnten. Sie überreichten dem König eine Vorstellung gegen die Verfügung von 1658, und versprachen den Beweis zu führen, daß zwischen ihren Meinungen und der Lehre der römisch-katholischen Kirche kein wesentlicher Unterschied sei. Dieser Antrag wurde verworfen. Sie baten fremde Mächte um Schutz, wenigstens um Fürbitte; aber obgleich der 1660 zu Oliva geschlossene Friede allen Glaubensparteien in Polen dieselben Rechte gewährleistete, die sie vor dem Frieden genossen hatten, und Schweden auch die Rechte der Socinianer zu sichern suchte, so waren doch all diese Bemühungen eben so vergeblich, als die Vorstellungen, die der Kurfürst von Brandenburg zu ihren Gunsten machte. In ihrer Verzweiflung ließen sich die Socinianer verleiten, eine Wiedervereinigung mit der römischen Kirche durch eine freundschaftliche Besprechung vorzuschlagen. Der Bischof von Krakau, Trzebicki, gab seine Zustimmung, und konnte erwarten, daß die zur Verzweiflung gebrachten Socinianer eine Gelegenheit suchten,

 

 

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in den Schoß der katholischen Kirche mit einem Anscheine von Ueberzeugung, und nicht durch bloßen Zwang zu treten. Kein besonnener Beobachter konnte glauben, daß so geschickte Streitredner, als die Socinianer waren, sich mit der Hoffnung schmeicheln würden, Zugeständnisse von einer Kirche zu erhalten, deren Lehren den ihrigen gerade widerstritten. Dies war jedoch der Fall, und die Socinianer ließen sich in der, am 10. März 1660 zu Roznow gehaltenen Besprechung in eine ernstliche Beweisführung ein, aber die ganze Sache war eine feierliche Spielerei und ohne allen Erfolg.

 

Es blieb ihnen nichts übrig, als das Land vor dem Ablaufe der bestimmten Frist zu verlassen, was mit großen Beschwerden verbunden war, obgleich mehre angesehene Edelleute, zwar Katholiken, aber mit vielen Socinianern durch Verwandtschaft oder Freundschaft verbunden, ihre Leiden zu mildern suchten. Sie zerstreuten sich in verschiedene Gegenden Europas, wo sie eine Zuflucht gegen Verfolgungen zu finden hofften *). Viele von ihnen gingen nach Siebenbürgen und Ungarn, aber eine Abtheilung der unglücklichen Auswanderer, die aus dreihundert und achtzig Personen bestand, ward auf dem Wege nach Ungarn von einer, wie man glaubt absichtlich ausgesendeten Räuberbande überfallen, und des Ueberrestes ihrer Habe gänzlich beraubt. Sie wurden gastfreundschaftlich von den ungarischen Edelleuten, Stephan Tekely und Franz Raday aufgenommen, welche ihr Elend zu mildern suchten. Diejenigen, die in Siebenbürgen ankamen, fanden Trost in der Theilnahme ihrer Glaubensgenossen, und eine sichere Heimath, wo sie ihren Glauben frei ausüben konnten. Die Königin von Polen erlaubte vielen, sich in den Fürstenthümern Oppeln und Ratibor, die ihr gehörten, anzusiedeln, und einige schlesische Fürsten bewiesen ihnen gleiches Wohlwollen. In verschiedenen Gegenden des Landes zerstreut, bildeten sie keine Gemeinde, und verließen es entweder, oder gingen zu der protestantischen Kirche über. Viele dieser Flüchtlinge stifteten eine Gemeinde in Mannheim unter dem Schutze des Pfalzgrafen, die von 1663 bis 1666 bestand, sie machten sich aber bald verdächtig, daß sie ihre Lehren zu verbreiten suchten, was bei ihrem bekannten Eifer auch wahrscheinlich der Fall war, und waren genöthigt, sich zu zerstreuen. Sie begaben sich meist nach Holland, wo sie volle Glaubensfreiheit genießen konnten, und

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*) Im Jahre 1661 erließ der Reichstag eine Verordnung, worin es hieß, daß, um dem Herrn der Heerschaaren für die, im vorigen Jahre über die Feinde des Landes errungenen Siege Dankbarkeit zu beweisen, gegen die, etwa noch in Polen und Lithauen verborgenen Socinianer mit der größten Strenge verfahren werden sollte.

 

 

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wo mehre Socinianer Iebten, welche, wie die englischen und deutschen, ansehnliche Geldbeiträge zur Unterstützung ihrer verbannten polnischen Glaubensbrüder gaben. Wir wissen nicht, was ihr Schicksal in Holland war und ob sie dort eine ansehnliche Gemeinde hatten, halten es jedoch für wahrscheinlich, da sie im Jahre 1680 im Stande waren, das neue Testament in polnischer Sprache zu Amsterdam drucken zu lassen. Mehre Socinianer zogen nach Preußen, wo sie von ihrem Landsmanne Boguslaw Radziwill *), den der Kurfürst von Brandenburg im Jahre 1657 zum Statthalter im Herzogthume Preußen ernannt hatte, gastfreundlich aufgenommen wurden; sie sahen sich jedoch manchen Quälereien ausgesetzt, bis ihnen der Kurfürst auf die Bitte Samuel Przypkowski’s, eines ausgezeichneten socinianischen Gelehrten, volle Glaubensfreiheit bewilligte, welche sie auch, trotz des Widerspruches der preußischen Stände, fortdauernd behielten. Sie gründeten zwei Ansiedelungen, Rutow und Andreaswalde an der polnischen Gränze. Im Jahre 1779 erhielten diese Gemeinden von Friedrich II. die Erlaubniß, eine Kirche zu bauen, doch nie sehr zahlreich, gingen sie nach und nach ein. Die Gemeinde zu Andreaswalde bestand bis 1803, wo sie sich auflöste, und es ist jetzt keine Spur mehr von ihr übrig. Im Jahre 1838 gab es in Preußen nur noch zwei alte Männer, die letzten Mitglieder der socinianischen Glaubenspartei, Morsztyn und Schlichting, Namen, die beide in der Geschichte Polens bekannt sind. Die übrigen Socinianer gingen zur protestantischen Kirche über.

 

So endigte die socinianische Glaubenspartei in Polen, wo sie sich eigentlich gebildet und entwickelt hat, obgleich ihre Lehren ursprünglich aus Italien kamen **). Ihre Anhänger waren in Polen nie sehr zahlreich und meist nur in den höheren Volksclassen zu finden. Betrachten wir den Einfluß des Socinianismus auf die Sache der Reformation in Polen, so müssen wir die Ueberzeugung aussprechen, daß er sehr nachtheilig gewesen ist, und viel zu dem Verfalle und dem endlichen Untergange derselben beigetragen hat. Die kühnen theologischen Forschungen, in welche die Socinianer sich einließen, ihre Gewohnheit, die heilige Schrift mit der schwachen menschlichen Vernunft zu prüfen, und

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*) Er war der Sohn Jakob Radziwill’s, der mit der Prinzessin Sophia Elisabeth, Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, vermählt war, und starb 1609. Seine einzige Tochter, Ludovica Carolina, die zuerst mit Ludwig, dem Sohne des großen Kurfürsten von Brandenburg, und nach dessen Tode mit dem Prinzen Karl Philipp von Pfalz-Neuburg sich vermählte.

**) Ueber die Anti-Trinitarier in Italien und im Veltlin sehe man M’Crie’s Geschichte der Reformation in Italien S. 146 ff. und 366 ff.

 

 

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den einfachen Schriftworten eine gezwungene Deutung zu geben, führten sehr bald zu Schlüssen, welche die Offenbarung selbst erschütterten, manche furchtsame Gewissen erschreckten und sie bewogen, Zuflucht bei der unbedingten Herrschaft der römischen Kirche zu suchen, welche diese Umstände benutzte, ihre Lehre hinsichtlich des Gebrauches der heiligen Schrift zu unterstützen. Der Erzbischos Tillotson bemerkt treffend *), daß die Socinianer zwar mit großem Erfolge die Neuerungen der römischen Kirche bekämpft, aber zu gleicher Zeit dieser Kirche starke Gründe gegen die Reformation gegeben haben. Solche Grübeleien, die Zweifel und Ungewißheit herbeiführten, hatten aber auch die Wirkung, Gleichgiltigkeit gegen die Lehren zu erzeugen, welche die protestantischen Kirchen von der römischen trennten. Dieser Umstand kann wohl als die Hauptursache der Erschütterung des Protestantismus in Polen betrachtet werden, da sich nicht erwarten ließ, daß Personen, die zu jener Gleichgiltigkeit gekommen waren, geneigt sein würden, ihre weltlichen Interessen ihrem Glauben zu opfern, und noch viel weniger, um des Glaubens willen Verfolgungen zu erdulden. Dies möchte erklären, warum Siegmund III. es so leicht fand, viele Familien von dem Protestantismus abzuziehen, indem er den Katholiken Aemter und Reichthümer vorbehielt und ihre Gegner so viel als möglich Verfolgungen aller Art aussetzte. Die Zwistigkeiten, welche die anti-trinitarischen Lehren in der reformirten Kirche, wo sie entstanden waren, hervorriefen, schwächten, ja lähmten die Stärke des Protestantismus zu einer Zeit, wo es nothwendig war, die höchste Kraft zu entwickeln, um eine so furchtbare Feindin als die katholische Kirche zu bekämpfen, und trugen nicht wenig zu der Unentschlossenheit bei, die sich so oft in dem Benehmen der Reformatoren zeigte.

 

Wie sehr man aber auch die Verirrungen des Socinianismus und den Nachtheil, den er der Sache der Reformation in Polen zugefügt hat, bedauern muß, so fodert es die Pflicht des Geschichtsschreibers, der Gelehrsamkeit, der Tugend und Frömmigkeit, wodurch sich die Anhänger dieser Glaubenspartei in Polen auszeichneten, volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Verdienste, die Freunde und Feinde anerkennen. Ihre polemischen Schriften waren auch frei von jener Heftigkeit und Unanständigkeit, welche die Streitschriften ihrer Zeitgenossen entehrten, und man darf mit Tillotson sagen, daß sie nur den einzigen Fehler hatten, eine schlechte Sache zu vertheidigen. Ihre Sittenlehre war ungemein strenge, da sie viele Vorschriften des Evangeliums buchstäblich zu beobachten suchten, ohne alle Rücksicht auf die Umstände,

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*) In einer 1679 gehaltenen Predigt.

 

 

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welche eine allgemeine Anwendung derselben nicht heilsam, sondern sehr nachtheilig machen würden. Dies galt unter andern von dem Verbote, in irgend einem Falle Waffen zu gebrauchen, ein Verbot, dessen Beobachtung Polen zu einer Beute der Tartaren und anderer rohen Völker gemacht haben würde, deren Raubzüge eine beständige Gegenwehr foderten. Wir schließen mit der richtigen Bemerkung Mosheim’s *), daß die Socinianer, während sie die Worte der Schrift, wenn von der Lehre die Rede war, mit der größten Freiheit auslegten und zur Vertheidigung ihrer Meinungen gewaltsam verdrehten, sie in allen Fällen, wo Vorschriften für den sittlichen Wandel gegeben werden, in dem strengsten Sinne nahmen.

 

 

 

 

Vierundzwanzigster Abschnitt.

 

Zustand des Protestantismus in Polen von dem Ende der Regierung Johann Kasimir’s bis zur Thronbesteigung Stanislaus Poniakowski’s.

 

Die Sache der Reformation war während der Regierung Johann Kasimir’s gänzlich erdrückt worden, und obgleich es noch immer viele Protestanten im Lande gab, so hatte doch der Protestantismus aufgehört, ein Element des Volkslebens zu sein. Alles stand unter der Aufsicht und dem Einflusse der katholischen Partei, welche mit der ihr eigenen gewandten Politik ihre Gegner als Feinde des Staates darzustellen wußte. Die Protestanten legten auf dem Wahl-Reichstage im Jahre 1669 ihre Beschwerden vor, und verlangten strenge Beobachtung der die Glaubensfreiheit aller Staatsbürger sichernden Gesetze. Der Bischof von Posen, Wierzdowski, von dem päpstlichen Nuntius aufgereizt, sprach in der Domkirche zu Warschau einen Fluch gegen die Ketzer aus, die er des Schutzes der Gesetze für unwürdig erklärte, und gebot, sie aus dem Herzogthume Masovien zu vertreiben; aber der Reichstag bestätigte, wie gewöhnlich, die Rechte und Freiheiten der nichtkatholischen Staatsbürger, eine Bestätigung, die nach dem Zeugnisse der Erfahrung nichts als eine leere Förmlichkeit war. Es wurde jedoch ein neues Gesetz gegeben, das den Fortschritt des Protestantismus unmöglich

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*) In seiner Kirchengeschichte.

 

 

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machte, da es den Abfall vom katholischen Glauben mit Androhung der Todesstrafe oder der Verbannung verbot. Auch verfügte der Reichstag, daß die Könige Polens katholisch sein sollten, eine Bedingung, die zwar die Umstände nothwendig machten, die aber jetzt zum ersten Male durch ein Gesetz bestimmt wurde.

 

Der neugewählte König, Michael Wisnowiecki, hatte kaum irgend einen entscheidenden Einfluß auf die Angelegenheiten des Landes, da seine vierjährige Regierung durch Bürgerkrieg gestört wurde. Er zeigte bei jeder Gelegenheit eine gänzliche Ergebenheit gegen Roms Interessen, und war besonders darauf bedacht, Nichtkatholiken keine Würden und Aemter zu verleihen. Wir dürfen jedoch eine Thatsache nicht vergessen, die ihm Ehre macht. Als die socinianischen Flüchtlinge, die sich in Preußen angesiedelt hatten, im Jahre 1672 ihre Vertreibung befürchteten, verwendete er sich für sie bei dem Kurfürsten von Brandenburg und bei mehren viel geltenden Personen, und bat um Duldung für die unglücklichen Ausgewanderten, die zu den angesehensten Familien Polens gehörten.

 

Johann Sodieski, im Jahre 1674 erwählt, bestätigte unbedenklich alle Rechte der nichtkatholischen Staatsbürger; aber obgleich dieser heldenmüthige König allen Glaubensverfolgungen sehr abgeneigt war, so hatte er doch nicht die Macht, den Verfolgungen zu wehren, welche die Geistlichkeit und ihre Werkzeuge in allen Gegenden Polens sich erlaubten, ohne einen andern Widerstand zu finden, als den Widerwillen gegen solche Maßregeln, der dem Volkscharakter gleichsam angeboren ist. Mehre Kirchen wurden den Protestanten entweder durch die Willkür der Bischöfe, oder durch Verfügungen der Gerichtshöfe genommen, die stets zur Unterstützung der Geistlichkeit bereit waren. Ohne in Einzelnheiten dieser Art einzugehen, dürfen wir ein Ereigniß aus Sodieski’s Regierungszeit nicht vergessen, das in ganz Europa Aufsehen erregte, und wiewohl es sich nicht auf die Angelegenheiten der Protestanten bezieht, doch den mächtigen Einfluß zeigt, den sich die katholische Geistlichkeit verschafft hatte. Ein lithauischer Edelmann von sehr achtbarem Charakter, Kasimir Lyszczynski, fand bei dem Lesen der Theologia naturalis von Heinrich Aldsted die Beweisgründe des Verfassers für das Dasein Gottes so verwirrt, daß man füglich eine ganz entgegengesetzte Folgerung daraus hätte ziehen können, und schrieb an den Rand die Worte: ergo non est Deus — offenbar eine Verspottung jener Beweisführung. Ein Schuldner Lyszcaynski’s entdeckte dies, klagte ihn als einen Gottesleugner an, und zeigte als Beweis

 

 

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seiner Beschuldigung das Buch mit der Randbemerkung dem Bischof von Posen, Witwicki, der die Sache mit heftigem Eifer ergriff. Er wurde von dem Bischof von Kiew, Zaluski, unterstützt, einem sehr geIehrten Manne, den aber seine Vorzüge nicht gegen Fanatismus schützen konnten. Der König suchte den Angeklagten zu retten, indem er verfügte, daß Lyszczynski in Wilna gerichtet werden sollte; aber nichts konnte den unglücklichen Mann gegen die Wuth der Geistlichkeit retten, die von zwei Bischöfen vertreten wurde, und das erste Vorrecht eines polnischen Edelmanns, vor der Verurtheilung von aller Haft frei zu sein, das man früher selbst gegen die größten Verbrecher genau beobachtet hatte, wurde verletzt. Auf die von den Bischöfen unterstützte Anklage des Schuldners wurde die Sache im Jahre 1689 vor dem Reichstag gebracht, wo die Geistlichkeit, mit Zaluski an der Spitze, Lyszczynski als Gottesleugner und Lästerer der heiligen Jungfrau und aller Heiligen anklagte. Erschreckt durch die drohende Gefahr, gestand der Unglückliche die Beschuldigung ein, widerrief alles, was er gegen die Lehre der katholischen Kirche gesagt oder geschrieben haben möchte, und unterwarf sich gänzlich ihrem Ausspruche. Aber vergebens, seine Widersacher fanden es sogar anstößig, daß der Reichstag ihm erlaubt hatte, sich zu vertheidigen, und gewährten ihm eine Frist von drei Tagen, Beweise seiner Unschuld zu sammeln, da nach ihrer Meinung die von der Geistlichkeit erhobene Anklage ein hinlänglicher Beweis wäre, den Schuldigen zu verurtheilen. Der Fanatismus des Reichstags wurde durch die lästernde Ermahnung aufgeregt, daß die Gottheit durch das Blut ihrer Beleidiger versöhnt werden müßte. Es wurde der Beschluß gefaßt, dem Angeklagten die Zunge auszureißen, und ihn dann zu enthaupten und zu verbrennen. Der König Johann Sobieski wurde bei dieser Nachricht von Entsetzen ergriffen und sagte, die Inquisition könnte es nicht schlimmer machen. „Nach geleistetem Widerrufe — erzählt der Bischof Zaluski selbst — wurde der Verbrecher auf den Richtplatz geführt, wo ihm der Henker mit einem glühenden Eisen die Zunge und den Mund zerriß, mit welchen er grausam gegen Gott gewesen war, worauf seine Hände, die Werkzeuge der abscheulichen Handlung, bei einem langsamen Feuer verbrannt wurden; dann wurde die lästernde Schrift in’s Feuer geworfen und endlich er selbst, dieses Ungeheuer seines Jahrhunderts, dieser Gottesmörder, den sühnenden Flammen übergeben, sühnend, wenn ein solches Verbrechen gebüßt werden kann *).” Wir müssen dem Papste Innocenz XI. die Gerechtigkeit

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*) Vergl. Salvandy’s „Histoire de Jean Sodieski.“ Paris 1829.

 

 

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widerfahren lassen, daß er einem bittern Tadel über diese Schändlichkeit aussprach.

 

Der Kurfürst von Sachsen, Friedrich August, wurde nach Sobieski’s Tode 1696, unter dem Namen August II. zum König erwählt. Er bestätigte bei seiner Thronbesteigung in der gewöhnlichen Art die Rechte und Freiheiten der nichtkatholischen Staatsbürger, doch wurde dem Wahlvertrage (pacta conventa) die Bedingung hinzugefügt, daß er Nichtkatholiken weder in den Senat aufnehmen *), noch ihnen andere bedeutende Würden und Aemter verleihen sollte. Der König war zwar keineswegs ein bigotter Katholik, vielmehr gleichgiltig in Glaubenssachen, da er seine Ueberzeugung aufgeopfert hatte, um die polnische Krone zu erlangen; aber er wollte die Bischöfe für seine politischen Absichten gewinnen, und gestattete ihnen, mit den Ketzern nach ihrem Gefallen zu schalten.

 

Stanislaus Leszczynski wurde nach der Vertreibung August’s Il. durch Karl XII., im Jahre 1704 zum Könige gewählt, und seine Thronbesteigung versprach den Protestanten eine glückliche Zeit, in welcher sie alle Rechte und Freiheiten, die ihnen durch die Landesverfassung, wie allen Staatsbürgern gesichert waren, ruhig genießen sollten. Diese Erwartungen wurden sowohl durch den aufgeklärten Geist des neuen Königs, als durch den Einfluß Karl’s XII. verbürgt, dem er seine Krone verdankte. Das im November 1704 zwischen Stanislaus Leszczynski und dem Könige von Schweden geschlossene Bündniß gewährleistete ausdrücklich den polnischen Protestanten die ihnen durch die alten Landesgesetze gesicherten Rechte und Freiheiten, und hob alle in der letzten Zeit eingeführten Beschränkungen auf **). Die Protestanten, die von Peter’s des Großen Kriegsvölkern als Leszczynski’s Anhänger verfolgt wurden, sahen ihre Hoffnungen vernichtet, so bald Karl’s Glück in der Schlacht bei Pultawa gesunken war. Dieses Ereigniß brachte August II. wieder auf den Thron, dessen er sich mit dem Beistande des Zars bemächtigte, und Leszczynski mußte das Land verlassen. Die Protestanten sahen die schlimmen Folgen voraus, die aus diesem Wechsel der Umstände für ihre Sache hervorgehen konnten, und suchten sie durch ein Bündniß abzuwenden. Ihre Abgeordneten versammelten sich

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*) Schon seit 1670 war kein Protestant mehr im Senate.

**) Die Protestanten gaben 1708 zu Berlin ein Werk heraus, das alle Rechte und Freiheiten der nichtkatholischen Staatsbürger darlegte: „Jura et libertates dissidentium in religione christiana in regno Poloniae et magno ducatu Lithuaniae, ex legibus regni et aliis monumentis excerptae.“

 

 

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im April 1710 in Warschau und beschlossen, daß eine allgemeine Synode aller protestantischen Bekenntnisse sich in Thorn versammeln sollte, um über das Wohl der Kirche zu berathen. Als Vorbereitung jener allgemeinen Versammlung wurden in verschiedenen Theilen des Landes besondere Synoden berufen, unter welchen die wichtigste die im Julius 1710 zu Jendrychow in Groß-Polen gehaltene war. Sie faßte den Beschluß, daß der Superintendent der reformirten und böhmischen Kirchen in Groß-Polen, Daniel Ernst Jablonski *), Ort und Zeit der künftigen allgemeinen Versammlung bestimmen, und zugleich ermächtigt werden sollte, mit dem übrigen Provinzen die nöthigen Verabredungen zu treffen.

 

Es gelang Jablonski’s Bemühungen, die Synode in Thorn im November 1712 zu versammeln, wo viele Geistliche und Edelleute von der reformierten und der böhmischen Kirche in Groß-Polen, mehre Lutheraner aus derselben Provinz, und der Superintendent der reformirten Kirchen in Samogitien zugegen waren; nur die reformirten Gemeinden in Klein-Polen wurden durch die Verfolgung, der sie ausgesetzt waren, gehindert, Abgeordnete zu senden. Jablonsti eröffnete am 2. November die Versammlung durch den Gesang: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!” Die Synode erklärte, daß es 1) ihr Hauptzweck wäre, die Rechte der Protestanten und die Gewissensfreiheit zu sichern, und da nach der Versicherung der Iutherischen Abgeordneten ihre Gemeinden geneigt wären, eine politische Einigung zur Erreichung jenes Zweckes zu schließen, so sollte über diese Angelegenheit in besonderen Synoden berathen werden, um Vorbereitungen zu der Erörterung in einer allgemeinen Versammlung zu treffen; daß 2) die Landboten ersucht werden sollten, den Reichstag zu einem Gesetze zu veranlassen, welches allen Verletzungen der Rechte und Freiheiten der nichtkatholischen Staatsbürger ein Ende machte; und daß 3) Jablonski mit den lutherischen Abgeordneten sich über die besten Mittel zur Erreichung des gewünschten Zweckes auf dem nächsten Reichstage,

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*) Er war der Sohn von Peter Figulus, von seiner Heimath, Jablon in Mähren, Jablonski genannt, Enkel des berühmten Comenius, und 1660 geboren. Er erhielt seine Vorbildung in Lissa und ging 1680 nach Oxford, wo er bis 1683 verweilte. Nach seiner Rückkehr ward er Kaplan des Gouverneurs von Magdeburg, später Vorsteher der Schule zu Lissa, und 1691 Hofprediger in Königsberg, was er bis zu seinem Tode blieb, wiewohl er 1699 auch zum Superintendenten in Groß-Polen und Lithauen ernannt ward. Er war ein Mann von umfassender Gelehrsamkeit, und lange Präsident der Gesellschaft der Wissenschaften zu Berlin. Unter seinen Schriften ist die wichtigste die Historia consensus Sendomiriensis. Berlin 1731.

 

 

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und zur Verhütung neuer Verfolgungen von Seiten der Katholiken berathen sollte.

 

Diese Verfolgungen waren sehr hart, wie es sich 1715 in einem merkwürdigen Beispiele zeigte. Ein protestantischer Edelmann, Siegmund Unruh, Starost von Odornik und Kammerherr des Königs, schrieb unter den Auszügen, die er aus verschiedenen Büchern machte, folgende Stelle nieder: „Ist denn die heilsame Wahrheit vom Himmel herabgekommen, um auf unserer Erde die Keime von ewigen Irrthümern, Krieg, Haß und Zwietracht zu verbreiten?" Das Blatt, auf welchem diese Worte geschrieben waren, ward aus seinem Zimmer entwendet und von einem persönlichen Feinde dem Gerichte zu Piotrkow übergeben, und daraus die Anklage gegründet, daß Unruh die römisch-katholische Kirche gelästert habe. Vorausgesetzt, Unruh habe in jener Stelle sagen wollen, die evangelische Wahrheit sei durch die römisch-katholische Kirche verderbt worden, so konnte doch das bloße Niederschreiben derselben nicht als eine strafbare Handlung gedeutet werden, da er sie weder veröffentlicht, noch auch andern mitgetheilt hatte. Unruh betheuerte vergebens, daß es nicht seine Absicht gewesen wäre, die katholische Kirche zu beleidigen; das Gericht entschied, daß ihm zur Strafe der Lästerung die Zunge ausgerissen, die rechte Hand abgehauen und mit der Schrift ins Feuer geworfen werden sollte. Unruh entging durch zeitige Flucht der Vollziehung dieses ruchlosen Urtheils, das von dem nächsten Reichstage aufgehoben wurde, der ihn für unschuldig erklärte und sein, durch den richterlichen Ausspruch dem Staate und dem Ankläger zugewiesenes Vermögen ihm zurückgab *).

 

Die Verfolgungen, welchen die nichtkatholischen Staatsbürger vor der Regierung August’s II. ausgesetzt waren, hatten nicht die Genehmigung der Landesgesetze für sich, sondern waren Verletzungen der Verfassung, und Verbrechen, die hätten bestraft werden müssen, wenn die Gesetze wären angewendet worden. In den königlichen Städten galten zwar einige gesetzliche Beschränkungen, aber die Edelleute besaßen nach den Gesetzen, wiewohl nicht in der That, eine vollkommene Glaubensfreiheit. Unter der Regierung August’s II. wurde diese Glaubensfreiheit gesetzlich beschränkt, und zwar unter merkwürdigen Umständen. Nach der Rückkehr des Königs war das Land einige Jahre lang in einem sehr unruhigen

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*) Man sagt, der Fall sei unter erdichtetem Namen der Sorbonne vorgelegt worden, welche den Ausspruch im Widerstreite mit göttlichen und menschlichen Gesetzen gefunden habe. Thatsache ist, daß der Papst den Urtheilsspruch für nichtig erklärte, weit das Gericht, das ihn gefällt hatte, unbefugt gewesen wäre.

 

 

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Zustande, dem die Einfälle einiger Anhänger Leszczynski’s, die Raubzüge der Tartaren und Empörungen in der Ukraine herbeiführten. August hielt, um sein Ansehen zu behaupten, eine starke Abtheilung sächsischer Kriegsvölker in Polen, welche sich viele Ausschweifungen erlaubten und oft wie in Feindes Lande schalteten. Dies mußte eine große Gährung hervorrufen, und im Jahre 1715 bildete sich gegen die sächsischen Kriegsvölker eine Conföderation zu Tarnogrod, zu deren Marschall Stanislaus Leduchowski erwählt ward, und man führte Krieg mit den königlichen Soldaten. Peter der Große, der im Jahre 1716 eine Zusammenkunft mit August in Danzig hatte, bot seine Vermittelung zwischen dem Könige und dem Volke an, und am 3. November 1716 wurde zu Warschau zwischen dem russischen Gesandten, Fürsten Dolgoruki, der für die Conföderation handelte, und den Bevollmächtigten des Königs, dem Grafen Flemming, dem Bischofe von Cujavien, Konstantin Felicion Szaniawski, und dem Palatin von Masovien, Chomentowski, ein Vertrag abgeschlossen. Szaniawski, der seine Erhebung dem Zar verdankte und dem russischen Interesse gänzlich ergeben war, brachte in diesen Vertrag eine Bedingung, die man als das Todesurtheil der Unabhängigkeit Polens betrachten kann. Es wurde bestimmt, daß das polnische Heer von 80,000 auf 18,000 Mann vermindert werden sollte, eine Zahl, die durchaus unzulänglich zur Vertheidigung eines ausgedehnten Landes war, dessen lange Gränzlinie selbst in Friedenszeiten gegen beständige Angriffe geschützt werden mußte. Aber obgleich Szaniawski die Sicherheit Polens ruchlos aufopferte, er erkaufte doch dadurch einen glänzenden Sieg über Roms Gegner. Der vierte Artikel des Vertrages lautete also: „Da in dem rechtgläubigen Königreiche Polen und den einverleibten Landen stets ein großer Eifer für den heiligen römisch-katholischen Glauben hervorgeleuchtet hat, wie dies die deshalb gegebenen Hauptgesetze, namentlich in den General-Conföderationen der Jahre 1632, 1648, 1668, 1674 bezeugen, so daß den Dissidenten, außer den, von alten Zeiten her ihnen gehörenden Kirchen, in welchen sie freien Gottesdienst haben, und die vor jenen Gesetzen errichtet wurden, nicht gestattet ist, neue Kirchen zu erbauen, sondern daß denjenigen, die in Städten, Flecken und andern Orten des Königreichs Polen und des Großherzogthums Lithauen wohnen, nur vergönnt ist, in ihren Häusern Privatgottesdienst zu halten, jedoch ohne Predigen und Singen, und da man auf jene alten Gesetze und auf die im Herzogthume Masovien geltenden Ausnahmen wieder zurückgegangen ist; so wird hiermit festgesetzt, daß, wenn etwa seither nach und nach, den erwähnten Gesetzen zuwider, einige Kirchen in den Städten, Flecken,

 

 

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Dörfern und selbst auf adeligen Gütern wären errichtet worden, dieselben sogleich ohne einiges Hinderniß zerstört werden sollen, und denjenigen, die sich zu abweichenden Meinungen im Glauben bekennen, nicht erlaubt sein soll, Versammlungen oder Zusammenkünfte, öffentlich oder geheim, zu veranstalten und dabei zu predigen oder zu singen, wie es im schwedischen Kriege zur Ungebühr und aus Mißbrauch geschehen ist. Diejenigen aber, die sich erdreisten, solche Zusammenkünfte, Andachten oder Predigten, öffentlich oder heimlich zu halten, oder Doctoren, Sectirer und Prediger zur Verrichtung ihrer Kirchengebräuche an sich zu ziehen, sollen, wenn sie ertappt werden, zuerst eine Geldbuße zahlen, dann mit Gefängniß, und bei der dritten Uebertretung des Verbotes mit Verbannung sammt ihren Predigern bestraft werden, sowohl durch die Marschälle des Reiches und des Großherzogthums Lithauen oder durch die Gerichte, als auch durch die Starosten jedes Ortes. Hiervon sind nur die Gesandten fremder Fürsten ausgenommen, welche ihre Andacht nach ihrem Gebrauche für sich und ihre Hausgenossen in ihren Wohnungen verrichten können, jedoch so, daß andere Personen in die angedrohten Strafen fallen, wenn sie solchem Gottesdienste beiwohnen.”

 

Merkwürdig war Rußlands Politik bei dieser Gelegenheit, da sie auf einmal zwei große Zwecke erreichte; sie entwaffnete Polen und erhielt einen Vorwand für künftige Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des Landes, indem sie eine unzufriedene Partei schuf, welche, der Bedrückung in der Heimath gewiß, daran denken mußte, sich nach einem fremden Beschützer umzusehen. Wir können Peter den Großen nicht tadeln, daß er seinen Absichten zu Rußlands Vergrößerung Polen aufopferte; aber welchen Namen sollen wir seinem elenden Werkzeuge Szaniawski geben? Auch ihn aber dürfen wir nicht ohne Rücksicht verurtheilen. Er war als Pole unstreitig ein Landesverräther, aber als Bischof der römischen Kirche kann er entschuldigt werden, denn was hat die Kirche mit den politischen Vortheilen oder Nachtheilen eines Volkes zu thun, welche von vielen Umständen abhängen, die nach Oertlichkeiten, Regierungsformen, äußeren und inneren Verhältnissen eines Landes verschiedenartig und wechselnd sind? Das Interesse der römischen Kirche ist klar und unwandelbar; es ist die Befestigung und Verbreitung dessen, was sie Wahrheit nennt, die Zerstörung dessen, was sie Irrthum nennt, ohne dabei zu beachten, ob die politischen Interessen einzelner Völker und Länder Vortheil oder Nachtheil davon haben. Dies mochte der Grundsatz sein, von welchem Szaniawski geleitet wurde, und war dies der Fall, so wurde durch Roms unveränderliches Interesse, und nicht durch den Mann,

 

 

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der es bei jener Gelegenheit verfocht, der Todesstreich gegen Polens Unabhängigkeit geführt. Auch der König verrieth das Interesse des Landes auf eine Art, die sich schwerlich angemessen bezeichnen läßt, und es ist neulich dargethan worden, daß er schon im Jahre 1710 den Plan hatte, Polen mit Peter dem Großen zu theilen, den er auch bis zu seinem Tode nicht aufgab. Die übrigen Unterzeichner des Vertrages von Warschau waren Werkzeuge des Königs oder des Bischofs. Schon vor dem Abschlusse begann die Geistlichkeit den oben angeführten vierten Artikel bekannt zu machen, den sie an die Thüren vieler Kirchen heftete und für ein Landesgesetz erklärte. Dies erregte nicht nur unter den Protestanten große Unruhe, sondern auch allgemeinen Unwillen unter dem besseren Theile der Katholiken, und von allen Seiten kamen Verwahrungen gegen die Maßregel. Kasimir Sapieha, Palatin von Wilna, erließ an den Conföderations-Marschall Leduchowski eine Verwahrung im Namen der aus Katholiken bestehenden Commission des Großherzogthums Lithauen, die zur Betätigung des Vertrages von 1716 erwählt war, und er drang darauf, daß, um den Frieden des Landes vollkommen zu sichern, die Dissidenten in ihren, durch die Eide so vieler Könige bestätigten Rechten und Freiheiten geschützt werden möchten, da man trachten müßte, einen Frieden zu stiften, von welchem es heißen könnte: Gleiche Ruhe für alle. Mehre lithauische Senatoren, der Großkanzier, Fürst Radziwill, der Unterkanzler, Fürst Kasimir Czartoryski, der Großschatzmeister Kociol und Wladislaw Sapieha, Palatin von Brzesc, richteten eine ähnliche Vorstellung an Leduchowski, worin sie sagten, daß die Dissidenten stets mit dem größten Eifer das Wohl des Vaterlandes zu befördern gesucht hätten. Kasimir Sapieha wiederholte seine Fürbitte in einem andern Schreiben, das von sämmtlichen siebenundzwanzig Mitgliedern der lithauischen Commission unterzeichnet war. Der Befehlshaber des lithauischen Heeres, Stanislaus Potocki, überschickte eine Vorstellung, worin es hieß, daß viele Dissidenten in den Reihen seiner Krieger die Rechte und Freiheiten des Vaterlandes mit eigener Brust vertheidigt hätten. Der Marschall der Conföderation der Palatinate Posen und Kalisch, Andreas Skorzewski, beschwerte sich im Namen des Ritterstandes besonders darüber, daß der vierte Artikel des Vertrages auch die Zerstörung der protestantischen Kirchen auf den adeligen Gütern verfügt habe, da doch das Gesetz nur die Erbauung neuer Kirchen in königlichen Städten verboten hätte, und bat, die Dissidenten im Genusse ihrer alten Rechte zu schützen. Die merkwürdigste dieser Vorstellungen aber war das Schreiben des Weihbischofs von Wilna, Matthias Ancuta, das man nicht ohne ein

Krasinski.

 

 

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stolzes Gefühl lesen kann, wenn man hört, wie zu jener Zeit, wo die Jesuiten durch ihren Einfluß das ganze Land beherrschten, ein Geistlicher den Muth hatte, seine Stimme für die Sache der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu erheben. In seinem Schreiben an den Bischof Szaniawski drang er darauf, daß die in dem Vertrage verfügten Beschränkungen nicht auf Lithauen ausgedehnt werden möchten, da die Dissidenten stets die Rechte der Katholiken vertheidigt hätten, damit ihre eigenen nicht untergraben würden *).

 

Diese Vorstellungen wurden von den beiden Conföderations-Marschällen, Leduchowski und Sulistrowski, beachtet, und unter den Vorschriften, die den zum Abschlusse des Friedens bevollmächtigten Räthen gegeben wurden, lautete die dritte: „Die Rechte der Dissidenten sollen unversehrt, ohne Beschwerde und Neuerung, nach den alten Gewohnheiten erhalten werden.” Die Bevollmächtigten des Königs antworteten darauf: „Die älteren Rechte der Dissidenten sind durch den, im Vertrage enthaltenen Artikel von der Religion nicht verletzt worden; da sich aber zur Zeit des schwedischen Krieges und der inneren Unruhen einige Mißbräuche, den alten Rechten zuwider, eingeschlichen haben, so sind die Gesetze nur in der Absicht erneuert und wieder in Kraft gesetzt worden, daß solche Mißbräuche sich nicht weiter verbreiten und die Gränzen des Gesetzes nicht überschritten werden mögen, doch ohne Nachtheil des Friedens unter den Dissidenten und der Standesgleichheit in Hinsicht auf gleiches Recht und gleiche Strafe.”

 

Diese casuistische Erklärung, die sich leicht auf eine, für die Absichten der verfolgenden Partei passende Weise deuten ließ, konnte diejenigen nicht befriedigen, die redlich und ernstlich wünschten, die Rechte ihrer protestantischen Mitbürger gesichert zu sehen. Sie verlangten auf dem Friedensreichstage, daß der vierte Artikel des Vertrages aufgehoben werden sollte; Szaniawski aber und die andern Bevollmächtigten des Königs antworteten ihnen, es sollten nur die, im letzten Kriege eingeschlichenen Mißbräuche abgestellt, die Rechte der Dissidenten aber nicht gekränkt werden. Trotz dieser Erklärung legte Leduchowski den Entwurf einer Gesetzerläuterung vor, welche den Rechten und Freiheiten der Dissidenten die vollkommenste Sicherheit gab, da ausdrücklich darin angegeben wurde, daß alle, durch die Verordnungen von 1573, 1575, 1587, 1627, 1632, 1638, 1648, 1650, 1654, 1655, 1667 und 1685 bestätigten Rechte, Freiheiten und Vorrechte

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*) Alle erwähnten Schreiben stehen in Friese’s Beiträgen, Band II. Th. 2. S. 291 ff.

 

 

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bekräftigt werden sollten, trotz irgend einer entgegenstehenden Verfügung *). Nichts konnte bestimmter sein als dieser Entwurf, aber Leduchowski’s redliche und patriotische Absichten, deren Ausführung das Land vor vielen Drangsalen hätte bewahren können, wurden durch den listigen Bischof vereitelt, dem es gelang, statt des Entwurfes folgende Erklärung des angefochtenen Artikels durchzusetzen: „Die Dissidenten erhalten wir bei ihren alten Rechten und Vorrechten, alle Mißbräuche aber werden abgestellt nach einer vorgängigen gerichtlichen Untersuchung vor dem, durch die alten Gesetze verordneten Gerichte.”

 

Der 1717 gehaltene Reichstag, welcher den Friedensvertrag bestätigte, hat den Spottnamen des stummen Reichstages erhalten, da er nur sieben Stunden dauerte, während welcher der Vertrag vorgeIesen und unterzeichnet wurde. Diese außerordentliche Eile ist theils dem Wunsche, den Unruhen ein Ende zu machen, die das Land seit mehren Jahren zerrüttet hatten, theils der Besorgniß zuzuschreiben, daß der Reichstag von einem der Landboten durch ein Veto aufgelöst werden möchte. Erschreckt durch die Gefahr, die ihnen drohte, wendeten sich die Protestanten in einer Bittschrift an den König, welcher darauf am 3. Februar 1717 in einer Bekanntmachung **) erklärte, daß die, in den Vertrag eingerückten Artikel den, durch die Conföderationen von 1573, 1632, 1648, 1668, 1674, 1697 und den Wahlvertrag bestätigten Rechten der Dissidenten keinen Nachtheil bringen sollten.

 

So wurde der erste gesetzliche Angriff gegen die nichtkatholischen Glaubensbekenntnisse auf Schleichwegen gemacht, trotz des offen erklärten Widerwillens des Volkes, obgleich Leduchowski’s Erklärung und die königliche Bekanntmachung den Protestanten volle Glaubensfreiheit zu lassen schienen. Das Wort Mißbräude aber ließ der Verfolgungssucht der katholischen Partei den freiesten Spielraum, da die eifrigen Anhänger der Kirche alle Glaubenssachen, die ihrer Kirche nicht angehörten, als eben so viele Mißbräuche betrachteten, die abgeschafft werden müßten.

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*) Leduchowski war ein sehr reicher Edelmann, aber ohne allen Ehrgeiz. Er nahm keinen Antheil an dem Kampfe zwischen den Anhängern August’s und Leszczynski’s, und nachdem er die von beiden Königen ihm angebotenen Gunstbezeigungen abgelehnt hatte, lebte er immer auf seinen Gütern. Da er keine Kinder hatte, vermachte er sein Vermögen seinen Verwandten, einigen Kirchen und den Armen; als er aber das Vaterland in Gefahr sah, überwog seine Vaterlandsliebe jedes andere Gefühl; er vernichtete seinen letzten Willen und widmete sein ganzes Vermögen dem Unterhalte des Heeres der Conföderation.

**) S. Friese a. a. O. S. 304-5

 

 

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Die Bekanntmachung des Königs und Leduchowski’s Erläuterung schienen zwar die Protestanten zu ermächtigen, ihre gewöhnlichen Synoden zu halten, aber sie mochten doch die Besorgniß hegen, daß die auf den 2. September 1718 nach Danzig berufene allgemeine Synode als ein Missbrauch gedeutet und verfolgt werden könnte, da die Versammlung nicht öffentlich, sondern heimlich in einem Privathause gehalten ward. Es waren Abgeordnete der reformirten und lutherischen Kirche aus allen Theilen Polens zugegen. Der Superintendent der lutherischen Gemeinden in Groß-Polen, Christof Arnold, und der Kammerherr, Bonaventura Kurnatowski, von der reformirten Kirche, führten den Vorsitz. Es wurde beschlossen, daß 1) in Erwägung des traurigen Zustandes der Kirche eine, in polnischer, lateinischer und deutscher Sprache gedruckte Bittschrift, welche alle Beschwerden der Dissidenten enthielte und um die Ernennung einer besonderen Commission zur Untersuchung und Erledigung derselben bäte, dem Könige und dem Reichstage vorgelegt werden sollte, 2) daß alle protestantischen Kirchen in Polen und Lithauen unter einander in allen wichtigen Fällen Verabredungen treffen, und zu diesem Zwecke gewisse Personen in jeder Provinz gewählt werden sollten, und 3) wurde verfügt, die im Jahre 1599 mit den Anhängern der griechischen Kirche geschlossene Einigung zu erneuern. Nach diesen Beschlüssen wurde die Bittschrift unter dem Titel: „Libellus supplex Serenissimo Regi Augusto Secundo — et illustrissimis Reipublicae ordinibus anno 1718 humillime exhibitus“ auf dem Reichstage zu Grodno überreicht *). Es wird darin über viele einzelne Verfolgungen Beschwerde geführt, und vorgestellt, daß, trotz aller verfassungmäßigen Gewährleistungen der Glaubensfreiheit, die katholische Geistlichkeit die Protestanten nur als Geduldete betrachte und sich benehme, als ob es in ihrer Macht stehe, ihnen die Kirchen, die Schulen und die Ausübung ihres Glaubens nach Belieben zu nehmen oder zu lassen. Man lade die Protestanten, heißt es weiter, vor die katholischen Consistorien, welchen doch das Recht nicht gebühre, in solchen Fällen zu entscheiden, und die, zugleich Parteien und Richter, die nachtheiligsten Verfügungen gegen die Protestanten mit List oder Gewalt ausführten. Die Bittschrift nannte viele Kirchen und Schulen, die man in der letzten Zeit den Protestanten genommen oder zerstört hatte, unter andern die Kirche zu Kempen an der schlesischen Gränze, auf deren Stelle ein Judenhaus gebaut war. Sie klagte, daß den Protestanten nicht gestattet

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*) S. Friese a. a. O. S. 307 ff.

 

 

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wäre, ihre Rinder ohne Erlaubniß eines katholischen Geistlichen taufen zu lassen. Ein merkwürdiges Beispiel von den Grundsätzen, welche die katholische Geistlichkeit in ihrem Verfahren gegen die Protestanten befolgte, führt die Bittschrift in einer Aeußerung des Bischofs von Posen an. Als die Geistlichkeit den Protestanten eine Kirche nehmen wollte, und die Ortsbehörde dem Bischofe vorstellte, daß ein solches Verfahren gegen die Reichsgesetze wäre, gab er zur Antwort: „Wenn auch die ganze Republik in diesem Puncte von mir abginge, so werde ich doch von der Ausrottung der Dissidenten nicht abgehen.” Die Bittschrift schließt mit der Bitte, daß der König allen Mißbräuchen abhelfen, und den Protestanten alle, durch die Landesverfassung und die Gesetze gesicherten Rechte zurückgeben wolle. *)

 

Die Synode that aber zu gleicher Zeit den falschen Schritt, die Vermittelung fremder Mächte zu suchen, einen Schritt, der nicht nur an sich verwerflich, sondern auch unpolitisch war, weil zwar in einem, von Parteien zerrissenen Lande wie Polen, eine derselben sich leicht verleiten lassen konnte, den Beistand einer fremden Macht zu suchen, aber doch nicht hätte vergessen dürfen, daß nur den Schwächeren der Tadel eines so unpatriotischen Benehmens treffen würde. Nach dem Beschlusse der Synode wurden als Abgeordnete Kurnatowski nach Berlin, und ein Prediger aus Lissa nach England geschickt.

 

In demselben Jahre 1718 zeigte sich der herrschende Einfluß, den die Geistlichkeit auf die Volksmeinung erlangt hatte, auf eine unzweideutige Weise. Leduchowski und viele andere ausgezeichnete Männer wurden im ihren patriotischen Bemühungen, die Verfolgung der Protestanten zu hindern, nicht bloß durch Gerechtigkeitssinn geleitet, sondern auch durch die Grundsätze einer gesunden Politik, die es verbot, pflichttreue Staatsbürger durch ungerechte Kränkung ihrer Rechte muthwilig zur Untreue zu verleiten, und sie deuteten auf die Gefahr, sie zu unzufriedenen Unterthanen zu machen, die leicht den feindlichen Absichten fremder Mächte dienstbar werden könnten. Dieser Geist der Gerechtigkeit und Klugheit, der die edelsten Männer im Volke beseelte, lebte nicht unter der Mehrheit des Ritterstandes, die fast ausschließend in den Jesuitenschulen erzogen war und ganz unter dem Einflusse des Ordens stand. Auf dem Reichstage zu Grodno im Jahre 1718 wurde

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*) Friese a. a. O. S. 307 ff. Die Bittschrift wurde von dem Canonicus Ancuta, dem Bruder des Weihbischofs, in seiner Schrift: „Jus plenum religionis catholicae in regno Poloniae et magno ducatu Lithuaniae“ (Wilna 1719) beantwortet, welche die gröbsten Schmähungen und Entstellungen enthält. Er nennt die Protestanten die deutschen Türken.

 

 

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der Fanatismus der Landboten durch den Stiftsgeistlichen Zebrowski aus Wilna aufgereizt, der in einer, vor den Ständen gehaltenen Predigt alle dem Lande zugestoßenen Uebel, auswärtige und einheimische Kriege, Pest und andere Leiden, bloß der Duldung der Protestanten zuschrieb, die er raubgierige Wölfe nannte, und er ermahnte sie, keinen Protestanten zu ihren Berathungen zuzulassen. Als bei der Wahl des Reichstagsmarschalls der Landbote Piotrowski, das einzige protestantische Mitglied des Reichstages, zur Abstimmung aufgefodert ward, erhob sich der Canonicus Kasimir Ancuta, und obgleich er dem Reichstage gar nicht angehörte, so legte er doch gegen Piotrowski’s Theilnahme an den Berathungen Verwahrung ein, und behauptete, daß ein Protestant nicht stimmfähig wäre. Dies erregte großen Lärm, alle Landboten erhoben sich, und es währte lange, ehe die Ruhe wieder hergestellt war. Ancuta’s Erklärung fand jedoch nur wenig Widerstand in der Versammlung. Ein Mitglied bemerkte, ein gesetzmäßig erwählter, keines Verbrechens angeklagter Landbote könnte seines Stimmrechts nicht beraubt werden, und ein anderer Landbote verlangte, die gesammte Gesetzgebung sollte entscheiden, ob Senatoren und Landboten nothwendig katholisch sein müßten, da die Landesgesetze eine solche Bedingung nur für den König vorgeschrieben hätten. Piotrowski suchte die Erwählung des Marschalls zu hindern, indem er gegen die ihm angethane Gewalt sich verwahrte, und als dessen ungeachtet der Marschall gewählt ward, und Piotrowski noch einmal sich erheben wollte, konnte er nicht das Wort erhalten. Am zweiten Tage suchte er sein Recht als Mitglied des Reichstages geltend zu machen; es ward ihm aber erklärt, daß er nicht Landbote wäre und nicht sprechen dürfte. Vergebens erhoben sich mehre Landboten gegen eine solche Verletzung der Gesetze, und Piotrowski selbst suchte vergebens das Wort zu nehmen; seine Stimme wurde von dem allgemeinen Geschrei übertäubt, und er mußte endlich den Saal verlassen. Er konnte keinen Antheil an den Berathungen des Reichstages nehmen, und die Protestanten sahen, daß sie zwar nach den Landesgesetzen alle Rechte der übrigen Bürger hatten, diese Gesetze aber ein todter Buchstabe waren, wenn sie Roms Verfügungen widerstritten.

 

Nach diesem Ereignisse wurden die Protestanten noch thätiger und beriefen mehre Synoden, um über die Mittel zur Wiedererlangung ihrer Rechte zu berathen. Je mehr aber die Protestanten sich zu diesem Zwecke anstrengten, desto heftiger wurde der Haß der Katholiken gegen sie, besonders da jene stets von außen zum Widerstande gegen Unterdrückung gereizt wurden, wiewohl die Verwendungen fremder

 

 

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Mächte, da sie das Volksgefühl verletzend aufregten, nur dazu dienten, die Verfolgungen der Protestanten zu vermehren. Peter der Große ermangelte nicht, diese Umstände zu benutzen, und obgleich er im Jahre 1716 die Interessen der Protestanten der Wuth Szaniawski’s überließ, der ihm dagegen das polnische Heer aufopferte, so richtete er doch im Jahre 1724 ein nachdrückliches Schreiben an den König von Polen *) gegen die Bedrückung eben jener Protestanten, und erklärte darin, er wäre besonders dazu verpflichtet, da der, unter seiner Vermittelung und Gewährleistung zu Warschau 1716 geschlossene Vertrag als ein Vorwand zu Verfolgungen gemißdeutet werde.

 

Das Jahr 1724 wurde durch ein Ereigniß bezeichnet, das Entsetzen in ganz Europa erregte und Polen entehrte, wiewohl kaum irgend ein Land sich rühmen kann, von ähnlichen Gräueln frei geblieben zu sein. Wie haben erwähnt, daß die, größtentheils von Protestanten bewohnten Städte in Polnisch-Preußen sich stets der Einführung der Jesuiten widersetzten, deren unwandelbare Politik es war, sich mitten unter Protestanten anzusiedeln, — und haben gehört, daß jene Städte, trotz ihres Widerstandes gegen die Eingriffe des Katholicismus, standhaft in ihrer Pflichttreue gegen die Könige Polens blieben, selbst als die meisten katholischen Landesbewohner ihre Treue vergaßen und sich mit einem protestantischen Eroberer vereinigten, wie dies bei dem Einfalle des Königs von Schweden, Karl Gustav (1655 — 1657) geschah, während der bigotte Johann Kasimir von dem größten Theile seiner katholischen Unterthanen verlassen wurde. Als Karl XII. in Polen einfiel, zeichnete sich die Stadt Thorn durch ihre Treue gegen August II. aus und leistete den Schweden tapferen Widerstand. Es gelang endlich den Jesuiten, ein Collegium in Thorn zu gründen, und sie versäumten keine Gelegenheit, die protestantischen Einwohner zu quälen, und zwar hauptsächlich durch die Zöglinge ihrer Schule, welchen sie einen fanatischen Haß gegen den Protestantismus einflößten. Die Protestanten mußten gegen solche unversöhnliche Feinde wachsam sein, und diese Lage der Dinge mußte zu beständigen Reibungen führen, die Haß und Abneigung zwischen den streitenden Parteien erhöhten. Als die Jesuiten im Jahre 1717 eine öffentliche Procession in der Stadt halten wollten, ließ die städtische Behörde die Straßen mit Ketten sperren, und machte alle Vorbereitungen, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Der Jesuit Marczewski ergriff jede Gelegenheit, die Protestanten zu necken, und als ein Lehrer an der protestantischen Schule ein Programm

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*) S. Friesen a. a. O. S. 318 ff.

 

 

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drucken ließ, wollte Marczewski Beleidigungen gegen die römisch-katholische Kirche darin finden, und drohte dem Stadtrathe mit einer gerichtlichen Verfolgung Der Jesuit wurde durch eine Geldsumme zum Schweigen gebracht, der Lehrer aber war nach einem solchen Angriffe für seine Sicherheit besorgt und verließ die Stadt. Im Jahre 1724 gab der Prediger Geret ein Werk heraus, das die Behauptung aufstellte, Religion und Politik müßten getrennt werden, und es dürften weder Geistliche sich im bürgerliche Angelegenheiten, noch Laien in Glaubenssachen mischen. Die Jesuiten, die im entgegengesetzten Sinne handelten, betrachteten dies als eine tadelnde Bemerkung über ihr Benehmen, und klagten das Buch als eine Schmähschrift gegen den Papst und das polnische Volk an. Geret entging seiner Verurtheilung durch freiwillige Verbannung. Der Prediger Efraim Oloss mußte denselben Entschluß fassen, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, daß alle Einwohner der Stadt das Evangelium annehmen möchten.

 

So war die Stimmung der Gemüther in Thorn, als das Ereigniß eintrat, das einen so allgemeinen schmerzlichen Eindruck machte. Am 16. Julius 1724 hielten die Katholiken einen feierlichen Zug auf dem Kirchhofe der Marienkirche in der Neustadt. Es mußte nach einer bestehenden Verordnung jedermann, ohne Unterschied des Glaubens, mit unbedecktem Haupte stehen bleiben, wenn die Monstranz vorbeikam. Viele Kinder protestantischer Einwohner standen außerhalb der Kirchhofmauer, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, und sie nahmen ihre Hüte ab; doch wollte dieses Zeichen der Ehrerbietung gegen eine katholische Feierlichleit den Zöglingen der Jesuitenschule nicht genügen, und einer von ihnen verlangte, daß die Protestanten niederknieen sollten, und als dies verweigert wurde, mißhandelten sie einen Knaben. Die Jesuiten hemmten die Gewaltthätigkeit ihrer Zöglinge nicht, und die Feierlichkeit endigte ohne Störung. Am Abende desselben Tages machten die Jesuitenschüler einen neuen Angriff auf die Zöglinge der protestantischen Lehranstalt, die sie mit Steinwürfen und Stöcken anfielen, und die Protestanten, die schwächer waren, mußten sich zurückziehen; aber die Stadtwehr zerstreute die Ruhestörer, von welchen einer ergriffen und verhaftet wurde. Czyzewski, der Vorsteher der Jesuitenschule, verlangte alsbald von dem Oberbürgermeister Roesner, daß der Ruhestörer in Freiheit gesetzt werden sollte; dies ward jedoch verweigert, da der Stadtrath die Sache am nächsten Tage untersuchen wollte. Die Schüler der Jesuiten versuchten, ihren gefangenen Gefährten mit Gewalt zu befreien; mit Degen bewaffnet, griffen sie die Bürger an, und ein mörderischer Aufstand drohte, als es der Stadtwehr

 

 

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gelang, die Ruhestörer zu zerstreuen. Der Anführer der Studenten wurde gefangen, und die Stadtwehr trieb seine Gefährten zurück, die ihn zu befreien suchten. Der Stadtrath hatte indeß befohlen, dem zuerst verhafteten Studenten in Freiheit zu setzen, der zweite Gefangene aber wurde nicht freigelassen. In den Abendstunden ergriffen die Katholiken einen protestantischen Studenten, der im Schlafrocke ruhig vor der Thüre seiner Wohnung stand, mißhandelten ihn und führten ihn mit Todesdrohungen in das Jesuiten-Collegium. Der Oberbürgermeister foderte von dem Vorsteher, den Studenten frei zu lassen, wogegen der Jesuit verlangte, daß zuerst der verhaftete Ruhestörer in Freiheit gesetzt werden sollte, und er erklärte dadurch, daß er die Gewaltthätigkeiten seiner Zöglinge nicht ganz mißbilligte. Zahlreiche Pöbelhaufen, aus Protestanten bestehend, sammelten sich vor dem Jesuiten-Collegium, blieben aber ruhig. Als aber die Zöglinge der Lehranstalt Steine aus den Fenstern warfen, erbrach der aufgereizte Pöbel die Thüre, und soll den gefangenen protestantischen Studenten befreit haben, wiewohl sehr wahrscheinlich die Jesuiten selbst, aus Furcht vor dem erbitterten Haufen, ihn in Freiheit setzten. Die Stadtwehr, die mittlerweile herbeigekommen war, trieb den Pöbel aus einander und umringte das Collegium. Gegen acht Uhr Abends, als die Ruhe gänzlich hergestellt war, wagten es die Studenten, welche durch die Gegenwart der Stadtwehr gesichert zu sein glaubten, das ruhig sich zerstreuende Volk mit Steinwürfen, selbst mit Feuergewehr anzugreifen, und dies reizte den Pöbel so heftig auf, daß er das Collegium wüthend angriff. Die erschreckten Jesuiten läuteten die Sturmglocke, aber trotz der Anstrengungen der Stadtwehr, trotz des Feuerns aus den Fenstern des Collegiums, bemächtigte sich der Pöbel des Gebäudes, zerbrach alle Geräthe, die er fand, und verbrannte sie auf der Straße; doch wurde weder gemordet, noch geplündert. Als eine stärkere Abtheilung der Stadtwehr mit einigen Soldaten ankam, zerstreute sich der Pöbel ohne Widerstand, und um elf Uhr war die Stadt ruhig.

 

So lautet der Bericht, welchen der Stadtrath dem obersten Gerichtshofe zu Warschau vorlegte. Wir fühlen uns aber verpflichtet, auch die Nachricht mitzutheilen, die katholische Schriftsteller geben. Sie behaupten, der Pöbel habe nach Erstürmung des Gebäudes die Beine eines Crucifix zerbrochen, den Altar der unbefleckten Empfängniß der heiligen Jungfrau zertrümmert, das Bild des Heilandes und einige Heiligenbilder mit Degen durchbohrt, die Hostie auf die Erde geworfen, und dem Jesuiten, der diese Kirchenschändung zu verhindern bemüht gewesen sei, den Tod gedroht. Die größte Beschimpfung aber wurde

 

 

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nach diesem Berichte einem Bilde der Heiligen Jungfrau zugefügt, das man mit spottenden Ausrufungen in’s Feuer warf; und es wird auch behauptet, daß man alles ausgeplündert, die Jesuiten und alle Katholiken zu ermorden gedroht, daß der Oberbürgermeister Roesner nicht die nöthigen Maßregeln zur Dämpfung des Aufstandes ergriffen, und der zweite Bürgermeister Zernicke sogar die Ruhestörer begünstigt habe. Diese Beschuldigungen werden von protestantischen Schriftstellern geleugnet, welche zwar den Aufstand und die von dem Pöbel verübten Gewaltthätigkeiten verdammen, aber versichern, es sei kein Bild verbrannt worden. Einige vermuthen sogar, die Verstümmelung der Bilder sei das Werk der Jesuiten selbst, oder ihrer Werkzeuge gewesen, damit der Haß gegen die Protestanten heftiger aufgeregt werden möge; wir halten es jedoch für sehr wahrscheinlich, daß die Protestanten einige Bilder zerstört haben.

 

Die Jesuiten verbreiteten in ganz Polen eine gedruckte Beschreibung dieser Kirchenschändung, wie sie es nannten, stellten dem Volke die gegen Gottes Majestät verübte Beleidigung vor, foderten zur Rache gegen die Protestanten in Thorn auf, und verlangten, daß man denselben ihre Kirchen und Schulen nehmen und mit der Stadtverwaltung den Katholiken übergeben sollte. Ihre Erzählung, obgleich bloß durch das Zeugniß der Ankläger unterstützt, machte einen lebhaften Eindruck auf das Volk, und die Aufregung war so groß, daß bei der damaligen Wahl der Landboten die Wähler ihren Vertretern einschärften, sich in keine Verhandlungen auf dem Reichstage einzulassen, so lange nicht die beleidigte Majestät Gottes gerächt worden sei. Man bot alles auf, um einen fanatischen Haß gegen die Protestanten in Thorn aufzuregen. Es wurden Leute ausgesendet, die überall Abbildungen der begangenen Kirchenschändung verbreiteten, und vom Feuer beschädigte Bilder sehen ließen. Die Geistlichkeit verordnete Fasten und öffentliche Gebete; Kanzel und Beichtstuhl wurden zu mächtigen Werkzeugen der Aufregung gemacht.

 

Auch fehlte es nicht an Wundern, und man sagte, es sei Blut aus den zerbrochenen Bildern geflossen. Die Protestanten in Thorn hatten gegen dieses umfassende Aufregungssystem keinen andern Schutz als ihre Unschuld, und sie bauten so fest auf ihre gute Sache, daß selbst die ängstlichsten Gemüther glaubten, die Stadt werde höchstens eine Geldbuße für die Beschädigung des Jesuiten-Collegiums bezahlen müssen.

 

Der König befahl, die Sache durch eine besondere Commission untersuchen zu lassen, die ausschließend aus Katholiken, den Bischöfen von Cujavien und Plock, den Palatinen von Culm, Pommerellen und

 

 

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Marienburg, und mehren weltlichen und geistlichen Beamten bestand. Die Commission begann ihre Sitzungen am 18. September, und die Verhandlungen wurden mit einiger Ordnung geführt, so lange der Bischof von Plock, Zaluski, und der Palatin von Culm, Ribirski, zugegen waren, welche die Untersuchung nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und den Vorschriften der Gesetze zu leiten wünschten; sobald sie sich aber mit einigen andern, von gleichen Gesinnungen beseelten Mitgliedern entfernt hatten, blieb das ganze Verfahren unter der Leitung des Bischofs von Cujavien und des Kron-Großkammerheren, Fürsten Lubomirski *), und wurde mit gänzlicher Mißachtung aller Grundsätze der Wahrheit und Gerechtigkeit geführt. Die von dem Stadtrathe gestellten Zeugen wurden als Mitschuldige verworfen, alle aber, welche gegen die Angeklagten zeugen wollten, ohne alle Rücksicht auf ihren Charakter zugelassen, und die ungereimtesten Angaben angenommen, wenn ein Eid sie bekräftigte. Die Jesuiten wählten diejenigen aus, die angeklagt werden sollten. Die Zeugenaussagen waren oft widersprechend, und wenn etwa ein Zeuge nicht das verlangte Zeugniß gab, mischten die Jesuiten sich ein und riefen: „Ihr habt vor uns ganz anders ausgesagt." Als eine Frau ihr gegen einen Bürger abgelegtes Zeugniß zurücknahm, wurde der Widerruf nicht angenommen, weil sie ihre erste Aussage eidlich bekräftigt hatte, und der Bürger hingerichtet. Selbst die Aussage von Zeugen, welche die von ihnen angegebenen Umstände nicht selbst gesehen, sondern nur gehört zu haben versicherten, wurden als beweisend betrachtet. Am 28. September waren dreißig Personen verhaftet, von welchen mehre, die ihre Abwesenheit während des Aufstandes bewiesen, in Freiheit gesetzt wurden, und jeder Angeklagte, der zum katholischen Glauben übergehen wollte, ward auf der Stelle entlassen. Als die Commission von Thorn abreiste, waren sechsundsechzig Personen in Haft. Der Stadtrath bat um die Erlaubniß, Abgeordnete nach Warschau zu senden, um seine Sache vertheidigen zu lassen, und es wurde ihm gewährt, zwei Abgeordnete zu schicken; das Gesuch aber, daß die Jesuiten, weil sie Zeugen bestochen und sich falsche Aussagen verschafft hätten, vor das königliche Gericht geladen werden sollten, wurde verweigert, und die von dem Stadtrathe gegen dieses gesetzwidrige Verfahren eingelegte Verwahrung von keinem Gerichtshofe in Polen angenommen.

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*) Wie man sagt, versprachen die Jesuiten dem Fürsten Ludomirski, daß sein schwaches Gesicht durch ein Wunder wiederhergestellt werden sollte, als aber nichts der Art geschah, schrieben sie es seinem unzureichenden Eifer zu.

 

 

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Die Sache ward im October dem Reichstage zu Warschau vorgelegt, von diesem aber an das Assessorial-Gericht verwiesen, das aus dem Kron-Großkanzler, dem Unterkanzler, den Kronreferendarien und mehren andern Rechtsbeamten der Krone bestand, und in Angelegenheiten des Fiscus und vielen Verwaltungssachen zu entscheiden hatte. Dieser Gerichtshof würde gewiß die Angeklagten gerecht gerichtet haben, aber man verstärkte ihn durch vierzig Senatoren und Landboten, unter welchen sich drei Bischöfe befanden, und diese neuen Mitglieder standen alle unter dem Einflusse der Jesuiten. Die Stadt erkannte ihre Gefahr, und ihre Abgeordneten ließen nichts unversucht, das drohende Unglück abzuwenden und so viel Zeit als möglich zu gewinnen, um den Beistand mehrer fremden Höfe zu erlangen. Der König, der die auf dem Reichstage herrschende Aufregung sah, wünschte die Entscheidung der Sache bis zum Schlusse der Sitzungszeit zu verschieben, aber einige fanatische Landboten drohten, den Reichstag durch ihr Veto aufzulösen, und der Urtheilspruch ward auf den 30. October festgesetzt.

 

Der Ankläger, ein Jesuit, beschuldigte die Gefangenen, ein Verbrechen gegen das Christenthum begangen zu haben durch die Beleidigung des katholischen Glaubens, gegen ganz Europa durch die Beleidigung der königlichen Gewalt, und gegen Polen durch die Beleidigung der Religion und der Obrigkeit zugleich, und er verlangte, daß den Protestanten alle Kirchen und Lehranstalten genommen und den Katholiken gegeben, und alle städtischen Aemter in Thorn, mit gänzlicher Ausschließung der Protestanten, besetzt werden sollten. Die Anklage enthält merkwürdige Stellen. Nach einigen übertriebenen Schmeicheleien gegen die Richter, welche „wie Atlasse den Himmel stützen, und die Ehre Gottes, seiner heiligen Mutter und der Schutzheiligen Polens vertheidigen,” sagt der Ankläger: „Die Religion, in Thränen gebadet, ruft: Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! Sie fodert Gerechtigkeit erstens, weil die Verehrung der Bilder ein Glaubensartikel ist, den Gott durch viele Wunder bestätigt hat, wie zum Beispiel der heilige Hyacinthus, als er ein Bild der heiligen Jungfrau trug, bei Wyszogrod in Masovien trocknes Fußes durch die Weichsel ging.” Unter vielen Uebertreibungen hinsichtlich der in Thorn der heiligen Jungfrau zugefügten Beleidigungen, heißt es, sie sei nicht behandelt worden, wie es sich gegen die Königin von Polen zieme. Der glorreiche König von Frankreich, Ludwig XIV., habe einst befohlen, 16,000 Bomben in Genua zu werfen, und man habe drei Viertheile der Stadt zerstört, weil ein unverschämter Pöbel das französische Wappen mit Koth beworfen habe. „Aber — fährt der Jesuit fort — die Lilien Frankreichs

 

 

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vertreten nur eine irdische Majestät, doch die Bilder der Heiligen sind Standbilder der göttlichen Majestät, und darum flehet die katholische Religion den Beistand Eures Gerichts an.” Er deutet auch auf die Drohungen einiger benachbarten Mächte, die ihm, sagt er, nicht gestatteten, mit seinem ganzen Eifer zu sprechen, er möchte jedoch diese Gerüchte für falsch halten, und wenn sie gegründet wären, so würden sie nicht von Bedeutung sein, da der heilige Kasimir, der heilige Stanislaus Kostka und die heilige Jungfrau es mit jenen Mächten schon aufnehmen würden.

 

Bohuszewski, der Sachwalter der Stadt, wendete ein, daß die gänzlich aus Katholiken zusammengesetzte Untersuchungs-Commission gesetzwidrig sei, daß man die Zeugen nicht einander gegenüber gestellt und keine Vertheidigung der Angeklagten angenommen habe. Seine Bemerkungen erregten den Zorn der Richter und der Zuhörer, und man hörte den tadelnden Ruf, daß ein Katholik es wagte, die Ketzerei zu entschuldigen. Unerschrocken bestand Bohuszewski darauf, daß ein neues unparteiliches Verfahren angestellt und der, von der Commission gesammelte Beweis verworfen werden sollte. Seine Bemühungen waren fruchtlos. Die Vertheidigung der Stadt wurde nicht angenommen, und auf den einzigen Beweis der Commission ward ein Urtheil gesprochen und am 16. November verkündigt. Der Kron-Großkanzler setzte die Erklärung hinzu „Gott habe nicht hinreichende Rache erhalten.” Das Urtheil verfügte, daß der Oberbürgermeister Rösner enthauptet und sein Vermögen eingezogen werden sollte, da doch das ihm zur Last gelegte Verbrechen bloß Nachlässigkeit war, welches, selbst wenn es erwiesen gewesen wäre, eine solche Strafe nicht verdient hätte. Er wurde verurtheilt, weil er, wie man behauptete, den Jesuitenschüler nicht in Freiheit gesetzt hatte, wodurch der Aufstand veranlaßt wurde, weil er nicht sogleich die Mitglieder des Stadtrathes versammelt, den Soldaten nicht hinreichende Befehle ertheilt, kurz weil er seine Pflicht vernachlässigt hatte, so daß er, wenn die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen wahr gewesen wären, mit Amtsentsetzung, aber nicht mit dem Tode hätte bestraft werden können. Der zweite Bürgermeister Zernicke, den gleiche Strafe treffen sollte, wurde beschuldigt, daß er nicht bloß nachsichtig gewesen wäre, sondern sogar den Aufstand erregt hätte. Sieben Bürger, als Anführer des Aufstandes angeklagt, wurden zum Schwerte verurtheilt, vier andere zu gleicher Strafe; da man sie aber zugleich beschuldigte, ihren Verbrechen auch noch Gotteslästerung hinzugefügt zu haben, so sollte ihnen vorher eine Hand abgehauen, und nach der Enthauptung ihr Leichnam verbrannt, einer von ihnen aber, als der strafbarste, geviertheilt werden. Mehre Personen wurden zu Gefängniß,

 

 

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Geldbußen und körperlichen Züchtigungen verurtheilt. Das Urtheil sollte aber nicht eher zur Vollziehung kommen, bis die Anklage durch einen feierlichen, vor der königlichen Commission geleisteten Eid von den Anklägern, und zwar von sechs Jesuiten und sechs Laien, wäre bekräftigt worden.

 

Es genügte den Jesuiten nicht, daß sie ihre Rache an einzelnen Protestanten geübt hatten, der Urtheilsspruch traf den Protestantismus selbst. Es wurde verfügt, daß der Stadtrath und die Stadtwehr in Thorn halb aus Protestanten, halb aus Katholiken bestehen, und die Offiziere der Stadtwehr sämmtlich katholisch sein sollten. Die Marienkirche wurde den Bernhardiner-Mönchen, welchen man sie zu Anfange der Reformation genommen hatte, zurückgegeben, wie auch die protestantische Lehranstalt. Den Protestanten wurde verboten, irgend etwas in Thorn ohne Erlaubniß des katholischen Bischofs drucken zu lassen, und sie sollten nur außerhalb der Ringmauer Schulen haben. Der Reichstag betätigte den Urtheilspruch, dessen Vollziehung den Befehlshabern der polnischen und lithauischen Heere aufgetragen wurde. Rösner und Zernicke, die seither ihre Freiheit behalten hatten, wurden am 18. November durch einen Adjutanten des Fürsten Lubomirski verhaftet, der mit hundertundfunfzig Reitern nach Thorn kam. Die Stadt gerieth in die größte Beslürzung, da niemand ein solches Urtheil vermuthet hatte. Danzig richtete eine Vorstellung an den König; die Gesandten des Kaisers, des Zars und des Königs von Schweden legten Fürbitten ein, der König von Preußen schrieb eigenhändig an den König von Polen und verwendete sich für Thorn, und er bewog mehre andere Fürsten, denselben Schritt zu thun. Der Stadtrath zu Thorn bat den König, die Vollziehung des Urtheils wenigstens aufzuschieben; aber es gelang den Jesuiten, von Lubomirski unterstützt, sie um acht Tage zu beschleunigen.

 

Ein Umstand schien die Vollziehung verhüten zu können und hatte viele Mitglieder der Commission bewogen, das Urtheil zu unterzeichnen. Es war die Bedingung, daß die Jesuiten die in der Anklage enthalten Angaben eidlich bekräftigen sollten, eine Bedingung, welche das Gesetz von den Anklägern vor der Vollziehung eines solchen Urtheils foderte, und die in diesem Falle, wie es schien, nicht erfüllt werden konnte, weil man glaubte, daß die Ankläger, im Gefühle ihres heiligen Berufes, sich abhalten lassen würden, eine Betheurung zu machen, die der Unterzeichnung eines Todesurtheiles gleich galt. Die Commission, welcher die Vollziehung des Urtheils aufgetragen war, versammelte sich am 5. December im Stadthause zu Thorn, und die Angeklagten wurden mit den Anklägern vorgeführt, die Wolenski und andere

 

 

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Jesuiten vertraten. Als nach der Vorlesung des Urtheils der Bekräftigungseid verlangt wurde, sagte Wolenski mit erkünstelter Milde, er sei als Geistlicher nicht blutdürstig, aber er gab zwei andern Jesuiten ein Zeichen, die dann knieend den Eid leisteten. Sechs Laien, die zu der gemeinsten Volksclasse gehörten, thaten dasselbe, obgleich der Urtheilspruch verlangte, daß sie von gleichem Stande mit den Angeklagten sein sollten *).

 

Das Urtheil wurde nun am 7. December vollzogen. Der bejahrte Rösner, ein allgemein geachteter Mann, der durch die tapfere Vertheidigung der Stadt gegen die Schweden Beweise seiner Vaterlandsliebe gegeben hatte, wurde zu früher Tagesstunde im Hofe des Stadthauses enthauptet. Er verwarf den Antrag, sein Leben durch Abschwörung seines Glaubens zu retten, und starb mit der Standhaftigkeit und Ergebung eines christlichen Märtyrers. Seiner Unschuld sich bewußt, wollte er die Gelegenheit zur Flucht nicht benutzen, und fürchtete überdies, daß ein solcher Schritt nachtheilige Folgen für die Stadt haben könnte. Er selber kündigte seine Verurtheilung mit den Worten an: „Gott gebe, daß mein Tod Friede für die Kirche und die Stadt bringen möge!” Zernicke, der nach dem Urtheilspruche strafbarer als Rösner war, erhielt Aufschub und ward endlich begnadigt; alle übrigen Verurtheilten wurden hingerichtet, mit Ausnahme eines Bürgers, der zur katholischen Kirche überging. Die den Lutheranern genommene Kirche ward am 8. December neu geweiht, und bei dieser Feierlichkeit hielt der Jesuit Wieruszowski eine Predigt über die Texte aus dem ersten Buche der Maccabäer **): „Dieweil unsere Feinde geschlagen sind, so lasset uns hinaufziehen und das Heiligthum wieder reinigen. — Und bauten das Heiligthum wieder, und die Stühle und die Priesterzellen im Hause. — Und schmückten den Tempel mit goldenen Kränzen und Schilden, und machten neue Thore und Zellen.“ Er redete die Beamten, die das Urtheil vollzogen hatten, als Menschen an, die mehr Engeln als Sterblichen glichen.

 

Dieses beklagenswerthe Ereigniß erweckte in Europa eine sehr ungünstige Meinung von Polen, und gab Anlaß zu lauten und bittern Vorwürfen. Der König von Preußen war besonders bemüht, die übrigen protestantischen Fürsten aufzuregen, und wendete sich an die Könige von Schweden, Dänemark, Großbritannien, und selbst an Frankreich

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*) Strimesius, ein protestantischer Schriftsteller, sagt, der päpstliche Nuntius, Santini, habe die Vorfälle in Thorn gemißbilligt, und den Jesuiten verboten, den verlangten Eid zu leisten.

**) Cap. 4, B. 36, 48, 57.

 

 

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als einen der Gewährleister des zu Oliva geschlossenen Friedens. Die protestantischen Könige und die General-Staaten der Niederlande machten dem Könige von Polen Vorstellungen, und der englische Gesandte am deutschen Reichstage, Finch, hielt zu Regensburg eine sehr heftige Rede, worin er Polen mit einem Kriege bedrohte, wenn den Kränkungen der Protestanten nicht ein Ende gemacht würde. Peter der Große war im Begriffe, Polen den Krieg zu erklären, und rüstete sich eifrig zu einem Einfalle in Lithauen, als der Tod seine Entwürfe vereitelte. So war der Zar, dessen Einfluß den Bischof Szaniawski, den thätigsten Feind der Protestanten, erhoben, und der durch den Vertrag von 1716 ihre Freiheiten zerstört hatte, wenige Jahre später bereit, einen Krieg anzufangen, unter dem Vorwande, das ihnen zugefügte Unrecht zu rächen.

 

Es ist um so schmerzlicher, einen Blick auf die gerichtlichen Mordthaten in Thorn zu werfen, als Polen in Zeiten, wo fast jeder Theil Europas durch Glaubenszwiste mit Blut überschwemmt wurde, von solchen Grausamkeiten frei war, und selbst schon im Jahre 1556, wo Lippomani’s Einfluß die Ermordung einiger Juden und eines Christenmädchen herbeiführte, ein allgemeiner Schrei des Unwillens im ganzen Lande sich erhob *). Und im Jahre 1724 konnten die Jesuiten einen allgemeinen Schrei der Rache gegen vermeinte Beleidiger der Gottheit erregen! Es-sei fern von uns, Polen aus dem Grunde zu entschuldigen, weil jedes andere Land sich durch größere Gräuel entehrt hat; wir glauben jedoch, es möchte aus einer sorgfältigen und unparteilichen Untersuchung der, mit jenem schmählichen Ereignisse verbundenen Umstände hervorgehen, daß man mit Unrecht auf das polnische Volk einen Tadel wirft, der nur jene feindliche Partei trifft, die das Volk zu einem Werkzeuge für die Erreichung ihrer Zwecke machte.

 

Es ist gewiß sehr leicht für eine kräftig gegliederte, von einem einzigen Haupte geleitete Genossenschaft, die ihre Verzweigungen durch das ganze Land erstreckt und auf alle Volksclassen ihren Einfluß ausdehnt, eine allgemeine Aufregung über irgend einen Gegenstand hervorzurufen, besonders aber über einen mit der Religion verbundenen, um so mehr, wenn eine solche Genossenschaft zwei so mächtige Werkzeuge zur Einwirkung auf die Gemüther besitzt, als Kanzel und Beichtstuhl. War es denn ein Wunder, daß die Anwendung solcher Mittel ihre natürliche Wirkung auf die Volksmasse äußerte, und daß die Stimme einiger wenigen erleuchteten Männer durch das Geschrei der Menge übertäubt wurde? Wie fragen jeden unparteilichen und nachdenkenden

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*) Abschn. 7.

 

 

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Leser, ob es nicht in jedem freien Lande sich ereigne, daß die Meinung der großen Mehrheit, gewöhnlich Volksmeinung genannt, zuweilen bei Gegenständen, die mit Religion oder Politik verknüpft sind, durch Aufregungskünste so sehr gemißleitet werde, daß verständige Männer, trotz ihrer geistigen Ueberlegenheit, andern, welche die Aussprüche der Meinung theilen oder zu benutzen wissen, sich unterwerfen oder ihnen Platz machen müssen. So war es in Polen, als die Aufregung, die der allmächtige Jesuitenorden durch Entstellung von Thatsachen hervorgerufen hatte, auf die Wahl der Landboten und die Ernennung der Commission zur Untersuchung der Ereignisse in Thorn einen überwiegenden Einfluß gewann. Der Gerichtshof, der das Urtheil fällte, hätte freilich über das Volksgeschrei und die Bigotterie des niederen Adels erhaben sein sollen, aber er wurde durch vierzig neue Mitglieder überschwemmt, die unter dem Einflusse der Jesuiten ernannt wurden. Noch zwei andere Umstände konnten die Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Mehrzahl jener Richter erhöhen, erstens die ungebührliche Einmischung fremder Höfe, die von der betheiligten Partei leicht als ein, durch jedes Mittel abzuwehrender Eingriff in die Volksunabhängigkeit gedeutet werden konnte, und zweitens die dem Urtheile hinzugefügte Bedingung, welche die Vollziehung beinahe unmöglich zu machen schien. Wer durfte erwarten, daß die Jesuiten, die so sanft und heilig erscheinen wollten, durch einen Eid ein Bluturtheil befestigen würden? Diese beiden Umstände trugen mehr als alles dazu bei, daß das Urtheil gefällt wurde; viele unterzeichneten in der Meinung, dadurch einen Trotz gegen fremde Einmischung in die Angelegenheiten ihres Volkes zu zeigen, und hofften, den Folgen durch die Hinzufügung einer Bedingung vorzubeugen, die anscheinend nicht erfüllt werden konnte. Dies ist, wie wir glauben, die richtige Ansicht der Sache, und wir wundern uns, daß kein Schriftsteller, weder Katholik, noch Protestant, sie in diesem Lichte betrachtet hat. Allerdings war diese Angelegenheit zu jener Zeit, wo die Leidenschaften lebhaft aufgeregt waren, ein Gegenstand vielfacher Erörterungen in ganz Europa, aber so viel wir wissen, hat man sie seitdem nie ruhig und leidenschaftlos untersucht *).

 

Die Einmischung fremder Höfe brachte den Protestanten keine Erleichterung, sondern machte ihren Zustand nur noch peinlicher. Als auf dem Reichstage von 1726 die, in starken Ausdrücken abgefaßten Vorstellungen protestantischer Könige, und besonders die heftige Rede

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*) Vergl. Jablonski’s ausführliche Erzählung in seinem Werke: „Das betrübte Thorn.” Berlin 1725. 4, „Der Thornischen Tragödie erster und zweiter Actus” im erläuterten Preußen, Band II. St. 23; Bd. III. St. 25.

Krasinski.

 

 

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des englischen Gesandten zu Regensburg, vorgelesen wurden, entstand eine allgemeine Aufregung gegen die fremden Höfe, und die Rache, welche sie nicht erreichen konnte, traf die polnischen Protestanten, welchen auf demselben Reichstage bei Todesstrafe verboten wurde, dem Beistand fremder Mächte zu suchen. Ein Beweis, daß dies eine Folge eifersüchtiger Bewachung der Volksunabhängigkeit war, zeigte sich in dem kräftigen Widerstande jenes Reichstages gegen den römischen Stuhl, da ein Mitglied desselben eine heftige Rede gegen die Einmischung des Papstes in die Angelegenheiten der römischen Kirche hielt, die mit dem Worten schloß: „Möge er seine Kirche regieren!" Als der päpstliche Nuntius einen Tadel gegen die Verhandlungen des Reichstages veröffentlichte, wurde seine Amtsgewalt sogleich aufgehoben, und der Reichstag bestätigte mehre alte Gesetze, welche die Macht des Papstes beschränkten, und erließ ein neues, das den polnischen Geistlichen verbot, Würden von Rom anzunehmen. Der Papst suchte zwar dieses Gesetz durch den Einfluß der Bischöfe wieder aufzuheben, aber es blieb in Kraft.

 

Alle diese Umstände mußten zu neuen Verfolgungen gegen die Protestanten führen. Szaniawski, zu jener Zeit Bischof von Krakau, erließ im Januar 1725 einen Hirtenbrief, worin er unter den ungereimtesten Vorwänden erklärte, daß auch die Protestanten seiner geistlichen Richtergewalt unterworfen wären, und die drückendsten Verfügungen gegen die freie Ausübung ihres Glaubens gab. Nach der Einladung, in den Schoß der Kirche zu kommen, sagt er denjenigen, die nicht darauf achten würden: „Ihr sollt wissen, daß ich Euer Hirt bin, da Ihr durch die Taufe in die Thüre der Kirche eingetreten seid.“ Darauf befiehlt er, daß die Protestanten die katholischen Fasttage beobachten, den katholischen Pfarrern unterworfen sein, ihre Ehepaare in katholischen Kirchen und von katholischen Geistlichen nach den Verordnungen der Kirchenversammlung zu Trient getraut werden sollen, und daß die vor einem protestantischen Geistlichen oder einem bürgerlichen Beamten geschlossenen Ehen nichtig sein sollen, weil der päpstliche Nuntius im Jahre 1723 in einem zu Krakau vorgekommenen Falle die von Protestanten vor einem ketzerischen Geistlichen eingegangenen Ehen für ungiltig erklärt habe.

 

Die Protestanten hielten in den Jahren 1726 und 1728 zwei allgemeine Synoden zu Danzig, um über ihre mißliche Lage und die Mittel zur Hemmung der täglich zunehmenden Verfolgungen sich zu berathen. Die Synode von 1728 ist die letzte dieser Art, die in Polen gehalten ward; aber diese Versammlungen, obgleich sie aus Mitgliedern verschiedener protestantischen Bekenntnisse bestanden, verdienen kaum den

 

 

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Namen allgemeiner Synoden, weil die protestantischen Kirchen in ganz Polen, die ihre Abgeordnetem nicht öffentlich absenden konnten, keineswegs gehörig vertreten waren; und seit der freundschaftlichen Besprechung im Jahre 1645 *) hat es keine Versammlung gegeben, der jener Name gebührte.

 

Die fremden Mächte fuhren fort, sich von Zeit zu Zeit für die Protestanten zu verwenden. Der englische Gesandte in Polen, Woodward, übergab im Jahre 1731 dem König eine Denkschrift, worin er die von den Protestanten erlittenen Bedrückungen aufzählte und um die Aufhebung solcher Mißbräuche und die Wiederherstellung ihrer Rechte bat. Er schloß mit der Drohung, daß solche Bedrückungen an den in protestantischen Staaten wohnenden Katholiken vergolten werden sollten. Vorstellungen ähnlicher Art wırden von Preußen, Dänemark, Schweden und Holland gemacht; aber die Verfolgungen wurden dadurch nur noch härter, und viele, die sonst zu versöhnlichen und duldsamen Maßregeln geneigt gewesen wären, ließen sich zu einer entgegengesetzten Ansicht der Sache verleiten, in der Meinung, daß die Protestanten unter einem, der Landesunabhängigkeit feindlichen Einflusse handelten. Diese Ansicht, welche die katholische Partei zu ihrem Vortheile zu benutzen wußte, bewog die Conföderation, nach August’s II. Tode folgenden Beschluß zu fassen: „Weil die Grundlage jedes Staates in der wahren Gottesverehrung und der heiligen Religion besteht, so wollen wir, kraft dieses Beschlusses unserer Conföderation, niemand gestatten, den Rechten und Vorrechten der rechtgläubigen römisch-katholischen Kirche und der vereinigten griechischen Kirche etwas zu entziehen, sondern da wir im Gegentheil in diesem rechtgläubigen Lande fremden Gottesdienst verabscheuen *), so erklären wie uns für verpflichtet, die heilige römisch-katholische Kirche und ihre Vorrechte, nach dem Beispiele unserer Väter, zu vertheidigen.“ Derselbe Beschluß der Conföderation gewährleistete den Protestanten Friede, Sicherheit des Eigenthums und persönliche Gleichheit, nach den alten Gesetzen, besonders aber nach den Verfügungen von 1717; doch sollten sie keine Thätigkeit in der Landbotenkammer, den Gerichten und Commissionen haben, keine Privatversammlungen oder durch die Gesetze verbotenen Conventikel halten, keine Aemter in den Palatinaten oder Bezirken Polens und Lithauens besitzen, doch ohne Nachtheil neuerer Inhaber, wiewohl sie zu allen militärischen Graden wählbar, und Starosteien zu erhalten fähig sein sollten.

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*) Abschn. 20.

**) Exoticos detestamur cultus.

 

 

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Dies war die erste gesetzliche Rechtsberaubung, welche die Protestanten erlitten, und sie wurde durch den Wahlvertrag August’s III. und den Friedensreichstag im Jahre 1736 bestätigt, der allen, die sich dem, durch eine Minderheit erwählten, aber durch ein russisches Heer unterstützten Könige zu Gunsten Leszcynski’s widersetzt hatten, Begnadigung gewährte. Es ist zu bemerken, daß diese Gesetze zu einer Zeit gegeben wurden, wo das Land sowohl von russischen Heerhaufen, als von sächsischen, aus Protestanten bestehenden Kriegsvölkern überschwemmt war, und man kann unmöglich glauben, daß der fremde Einfluß, der einen König auf den polnischen Thron setzte, nicht stark genug gewesen wäre, die Rechte der Protestanten zu schützen, wenn man es aufrichtig gewollt hätte; aber die Interessen der Protestanten wurden gänzlich übersehen, und man wartete auf eine passendere Gelegenheit, sie für eine selbstsüchtige Politik zu benutzen.

 

Während des kurzen Streites zwischen den beiden Königen wurden die Protestanten von August’s Anhängern als Freunde seines Gegners verfolgt, während sie von der Partei Leszczynski’s, unter dem Vorwande, daß sie August begünstigten, gleiche Behandlung erlitten. War die Verfolgung, die sich die katholische Geistlichkeit erlaubte, zu einer Zeit, wo die Landesgesetze den Protestanten alle Rechte anderer Bürger sicherten, hart gewesen, so ließ sich erwarten, daß sie noch schwerer sein würde, nachdem man jene Gesetze förmlich aufgehoben hatte, und Friede und Sicherheit der Personen und des Eigenthums, die man fortdauernd versprach, ein todter Buchstabe geworden waren. Die von der Geistlichkeit ausgegangenen Verfolgungen wurden bald härter als je, und allein in Groß-Polen verloren die Protestanten von 1718 die 1754 gegen dreißig Kirchen, die theils zerstört, theils in katholische verwandelt wurden. Die Kirchen in Klein-Polen scheinen durch irgend einen glücklichen Umstand gleichem Schicksale entgangen zu sein, da sich ihre geringe Zahl seit 1718 nicht vermindert hat; in Lithauen hingegen mögen sie sehr gelitten haben.

 

Die Verfolgungen, welche die Protestanten unter der Regierung August’s III. erdulden mußten, werden in einer Bittschrift geschildert, welche ihre Abgeordneten dem Könige Stanislaus Poniatowski und dem Reichstage im Jahre 1766 vorlegten. „Unsere Kirchen,” sagen sie, „hat man uns theils unter verschiedenen Vorwänden genommen, theils liegen sie in Trümmern, da die Wiederherstellung derselben verboten ist, und die Erlaubniß dazu nicht ohne große Schwierigkeiten und Kosten erlangt werden kann. Die Gesetze gegen den Arianismus werden sehr schimpflich und schmählich auf uns angewendet, obgleich wir

 

 

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von den arianischen Irrthümern weit entfernt sind. Unsere Kinder müssen in Unwissenheit und ohne Erkenntniß Gottes aufwachsen, da wir an vielen Orten keine Schulen haben dürfen. Der Berufung von Geistlichen in unseren Kirchen werden oft viele Schwierigkeiten entgegengesetzt, und sie sind vielen Gefahren ausgesetzt, wenn sie Kranke und Sterbende besuchen. Wir müssen die Erlaubniß zu Taufen, Trauungen und Begräbnissen theuer bezahlen, da der Preis von denjenigen, die diese Erlaubniß ertheilen, willkürlich bestimmt wird. Das Begraben unserer Tobten, selbst in der Nacht, ist mit großer Gefahr verbunden, und wir müssen unsere Kinder nicht selten außer dem Lande, im Auslande taufen lassen. Das Patronatrecht auf unseren Gütern wird uns streitig gemacht; unsere Kirchen werden von katholischen Bischöfen untersucht, und unsere, nach den alten Anordnungen ausgeübte Kirchenzucht ist großen Hindernissen ausgesetzt. In vielen Städten müssen die unserem Glauben angehörenden Einwohner katholische Processionen begleiten. Man unterwirft uns den kirchlichen Gesetzen. Es müssen nicht nur die in gemischten Ehen erzeugten Kinder im katholischen Glauben erzogen werden, sondern selbst die Kinder einer protestantischen Wittwe, die einen Katholiken heirathet, müssen den Glauben ihres Stiefvaters annehmen. Man nennt uns Ketzer, obgleich die Landesgesetze uns den Namen Dissidenten geben. Der Druck, den wir erleiden, wird um so schwerer, da wir weder im Senate, noch auf den Reichstagen, in den hohen Gerichtshöfen und irgend einem Gerichte Beschützer finden; ja selbst bei den Wahlen dürfen wir nicht erscheinen, ohne uns offenbarer Gefahr auszusetzen, und seit einiger Zeit hat man uns, trotz der alten Landesgesetze, grausam behandelt.“

 

Dies war das Bild des traurigen Zustandes, in welchen die Protestanten unter der Regierung August’s III. versunken waren.

 

 

 

 

Fünfundzwanzigster Abschnitt.

 

Thronerledigung nach dem Tode August’s III. — Stanislaus Poniatowski’s Regierung, bis zur letzten Theilung Polens.

 

Wir treten in einen Zeitraum, den ein Pole und ein Protestant nicht ohne tiefe Bekümmerniß betrachten kann; aber so peinlich auch die Aufgabe

 

 

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sein wird, Ereignisse zu schildern, welche die Vorläufer der Vernichtung unseres Vaterlandes waren, so wollen wir uns doch bemühen, sie in dem Lichte darzustellen, das wir für das wahre halten. Die politischen Angelegenheiten jenes Zeitraumes sind so innig mit den kirchlichen verflochten, daß wir nothwendig einen Ueberblick derselben geben müssen, um den Hauptgegenstand unserer Darstellung gehörig behandeln zu können.

 

Den Zustand Polens am Ende der Regierung der sächsischen Königsfamilie hat unser Geschichtsschreiber Lelewel *) treffend geschildert. "Von dem Anfange der Regierung Johann Kasimir’s und den Kosakenkriegen — sagt er — bis zu Ende der schwedischen Kriege und dem stummem Reichstage, in einem Zeitraume von siebzig Jahren (1648 bis 1717), haben verschiedene Drangsale Land und Volk zerrüttet. Diese Drangsale führten den Verfall Polens herbei, dessen Gränzen durch dem Verlust vieler Landestheile verengt wurden, während die Volksmenge durch die Auswanderung der Kosaken, der Socinianer und vieler Protestanten, wie auch durch die Ausschließung der zurückgebliebenen Dissidenten von den Bürgerrechten, sich verminderte. Das Volk war geschwächt durch allgemeine Verarmung und Noth, durch die von den Jesuiten geleitete Erziehung, oder durch gänzliche Vernachlässigung der Erziehung, und endlich durch die Erschöpfung, welche eine Folge der Kämpfe war, die das Land seit siebzig Jahren krampfhaft bewegt hatten. Polen war in einen Zustand der Erstarrung versunken; es hatte während der Regierung der sächsischen Könige seine ganze Thatkraft verloren, es blieb unthätig und gab kaum ein Lebenszeichen. An Leiden und Demüthigungen gewöhnt, hielt sich das Volk für glücklich; mit falschen Grundsätzen genährt, war es zufrieden, in Unordnung zu leben, im Besitze eines noch immer ansehnlichen Gebietes und republikanischer Staatseinrichtungen, obgleich es von unbeschränkten Mächten umgeben war, die zunahmen, während es abnahm. Polen war eine Republik, aber seit Ianger Zeit abhängig von fremder Vormundschaft. Den beiden sächsischen Königen war es nicht zuwider, das Land dem Einflusse Rußlands zu unterwerfen, und es unter den Schutz Peter’s des Großen, Anna’s und Elisabeth’s zu stellen. Die russische Regierung betheuerte stets den Antheil, den sie an der Sicherheit des Königs, an der Ruhe, Wohlfahrt und Freiheit der Republik nähme. Sie versicherte oft, daß sie jeden Versuch, dieselben zu ändern oder zu verletzen, nicht gleichgiltig ansehen könnte, daß sie, um ihre aufrichtige Freundschaft gegen den König und die Republik zu beweisen, nie die Bildung der kleinsten

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*) Geschichte der Regierung Stanislaus Poniatowski's.

 

 

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Conföderation, nie einen, gegen die geheiligte Person des Königs oder gegen die Republik, ihre Freiheiten und Rechte gerichteten Neuerungsversuch dulden werde, von wem und unter welchem Vorwande etwas der Art auch gewagt werden möchte, und im Gegentheile würde sie die nöthigen Maßregeln ergreifen, solchen Fällen zuvorzukommen. So lauteten Rußlands wohlwollende Erklärungen.“

 

Dies war der traurige Zustand, den die, von den Jesuiten geleitete Gegenstrebung der katholischen Partei hervorgebracht hatte. Schmählige Abhängigkeit von dem russischen Hofe bildete das ganze politische System August’s III. und seines Günstlings, des Grafen Brühl, der in des Königs Namen herrschte. Die natürliche Folge war, daß viele Polen die Gunst des russischen Hofes zu gewinnen suchten, als das sicherste Mittel, in Warschau ihre Interesse zu fördern. Wir müssen jedoch hinzufügen, daß selbst unter August’s III. Regierung ein Lichtstrahl in die schwarze Finsterniß fiel, die Polen bedeckte, und dies wurde durch die Vereinigung mehrer günstigen Umstände bewirkt. Stanislaus Leszczynski, der nach zwei unglücklichen Versuchen, den polnischen Thron zu besteigen, zum Besitze von Lothringen gelangt war, ließ in Luneville mehre junge Polen aus angesehenen Familien erziehen, die nach ihrer Rückkehr in das Vaterland dazu beitrugen, Neigung zu geistiger Ausbildung zu verbreiten. Die Brüder Zaluski, Bischöfe von Kiew und Krakau, gründeten in Warschau eine prächtige Bibliothek, die sie im Jahre 1747 dem Publikum öffneten. Die wichtigsten Dienste aber leistete der Wiederherstellung der Wissenschaften und der Volkserziehung Stanislaus Konarski, ein Priester aus dem Orden der Piaristen. Er stiftete auf eigene Kosten eine Lehranstalt in Warschau, welche die Jugend nach einem verbesserten Unterrichtsplane bildete, und kämpfte mit außerordentlichem Muthe und seltener Ausdauer gegen große Schwierigkeiten, gegen allgemein verbreitete Vorurtheile, indem er nicht nur den verderbten Geschmack in der Literatur, und die von den Jesuiten eingeführte fehlerhafte Unterrichtsweise angriff, sondern selbst die Mißbräuche in der Staatsverfassung, wie das Veto und die allgemein herrschende Unordnung. Konarski und sein Gehilfe Jordan bewirkten eine Verbesserung ihres Ordens, und machten den Unterricht zu seinem Hauptzwecke, wodurch sie die Wissenschaften vielfach förderten.

 

Diese Umstände hatten die allgemeine Finsterniß ein wenig aufgehellt, und viele ausgezeichnete Männer erkannten die dringende Nothwendigkeit, die Landesverfassung zu verbessern, welche die Quelle aller Uebel war, da ihre ärgsten Gebrechen zu drückenden Mißbräuchen geworden waren, während die in der Verfassung gegebenen Mittel zur

 

 

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Abhilfe, die, trotz ihrer Unzulänglichkeit, das Land zuweilen von drohendem Untergange gerettet hatten, gar nicht mehr angewendet wurden. Diejenigen aber, die solche Verbesserungen herbeizuführen wünschten waren nicht einig über die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes. „Einige“, sagt Lelewel, „wünschten einen schnellen Fortschritt, andere einen sehr langsamen, einige waren für große Veränderungen, während andere die alten Einrichtungen vertheidigen wollten. Mit dem Wunsche, dem Vaterlande zu dienen, verband sich das Verlangen, Auszeichnung zu gewinnen und Uebergewicht zu erhalten. In den löblichen Versuchen, welche die Gemüther zu bewegen begannen, zeigten sich verschiedene Richtungen. Die Potocki und die Radziwill, welche für die vollständige Erhaltung der Freiheiten der Republik sprachen, bildeten eine Partei, welche man die Hofpartei oder die sächsische nannte, während die Brüder Czartoryski, die andere Plane hatten, sich dem Hofe, das heißt dem Könige und dem Einflusse seines sächsischen Ministers Brühl, widersetzten.“

 

Wir haben bereits auf den Zustand politischer Herabwürdigung hingedeutet, in welchen der König und sein Minister das Land gebracht hatten, und fügen noch einen Umstand hinzu, der deutlich beweiset, daß sie allen Sinn für die Ehre und Würde des Volkes gänzlich aufgegeben hatten. Als Friedrich II. bei dem Ausbruche des siebenjährigen Krieges Sachsen besetzt, und den König August gezwungen hatte, sein Erbland zu verlassen und in seinem Wahlreiche Zuflucht zu suchen, vereinigten sich alle Parteien, in welche Polen zu jener Zeit getheilt war, in dem Anerbieten, ein Heer von 100,000 Mann zu rüsten, um die dem Könige zugefügte Kränkung zu rächen, und das Land in den Vertheidigungsstand zu setzen, den der Krieg in den Nachbarlanden unumgänglich nothwendig machte. Aber statt die Ausführung eines so wohlthätigen Planes zu befördern, brauchte Brühl Ränke aller Art im Inlande und im Auslande, um diesem Entwurfe entgegen zu arbeiten, und er wollte es lieber Rußland überlassen, dem Könige sein Erbland wieder zu verschaffen. So öffnete er Polen dem Durchzuge der Kriegsvölker seines gefährlichen Verbündeten, und setzte die Gränzen den steten Plünderungen der Heere Preußens aus, das Polens Neutralität nie geachtet hatte, wenn es ihm zuträglich war, sie zu verletzen.

 

Gegen diesen Hof und gegen eine Partei, welche, in die alten Staatseinrichtungen verliebt, um der bürgerlichen Freiheit willen das weit größere Geschenk, die Volksunabhängigkeit, ohne die jene nur ein leerer Name war, vernachlässigte, richteten die Brüder Czartoryski ihre Angriffe, um eine andere Ordnung der Dinge einzuführen. Die Mittel,

 

 

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die sie zur Erreichung ihres Zweckes anwendeten, soll uns Lelewel angeben. „Michael Czartoryski, Großkanzler von Lithauen, und sein Bruder August, Palatin von Reussen, beide mit großen Fähigkeiten begabt und zu einem thätigen Leben geschickt, unternahmen das große Werk, die Republik in eine wohl eingerichtete Monarchie umzuwandeln, und nach ihrer Meinung war dies das wirksamste Mittel, das Land aus der Demüthigung zu erheben, in welche es versunken war. Sie hatten gegen Vorurtheile, gegen den örtlichen Geist, gegen die mächtigen Parteien Potocki und Radziwill zu kämpfen. Immer einen einzigen Zweck verfolgend, beförderten sie mit aller Anstrengung die Gelehrsamkeit und die Wissenschaften, warben Anhänger in Polen und Lithauen, brachten Familien von geringem Ansehen zu einiger Bedeutung, und erhoben diejenigen, die in bedrängte Umstände gerathen waren; sie besetzten die Aemter mit ihren Günstlingen, und da der Graf Brühl durch ihren Beistand die Naturalisation in Polen erlangt hatte, so konnten sie durch ihn über Staatsämter verfügen; sie begünstigten Männer von ausgezeichneten Geistesgaben und diejenigen, die durch Schriften auf die Volksmeinung wirken konnten. Zwar haben sie ihren politischen Zweck nicht erreicht, aber es darf nicht vergessen werden, daß sie kräftig zu vielen Verbesserungen beigetragen haben. In Verbindung mit Konarski verbreiteten sie Neigung zu Gelehrsamkeit und Wissenschaften, und niemand kam ihnen gleich in Anstrengungen zu diesem Zwecke. Aber der Hof und der Graf Brühl standen ihnen im Wege, und sie richteten ihre Angriffe gegen den Minister, um seinen Einfluß zu schwächen. In der Absicht, ihre Entwürfe auszuführen, die ersten Schwierigkeiten zu überwinden, Verbesserungen zu machen und einen einheimischen König auf den Thron zu setzen, hielten sie es für nöthig, die mächtige Mitwirkung des russischen Hofes zu suchen.”

 

Die Brüder Czartoryski hatten Stanislaus Ledzczynski bei seiner zweiten Erwählung eifrig unterstützt, als August III., hauptsächlich durch Rußlands Einfluß, die Krone erlangte. Die mit dieser Wahl verbundenen Umstände brachten sie auf die Meinung, das eine gute Regierung in Polen nur durch den Einfluß, der August III. auf den Thron gesetzt hatte, gegründet werden könnte. Sie suchten daher die Gunst des russischen Hofes zu gewinnen, überzeugt, wie Rulhière *) sagt, daß dieser bei der Käuflichkeit, Unwissenheit und Unfähigkeit der russischen Minister, dahin gebracht werden könnte, Maßregeln anzunehmen, die nützlich für Polen und für den Zweck wären, den diese Barbaren

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*) Histoire de l’anarchie de Pologne.

 

 

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nicht durchschauen würden. Sie wurden in ihrem Plane durch den englischen Gesandten in Polen, Sir Hanbury Williams, thätig ermuntert, der ihnen die Unterstützung des englischen und des russischen Hofes zu verschaffen versprach. Hätte der Geist, der unter Elisabeth’s Regierung waltete, fortdauernd in Rußland geherrscht, so hätten die Brüder Czartoryski ihre Entwürfe leicht ausführen können, aber Katharina’s Thronbesteigung änderte gänzlich die Lage der Angelegenheiten.

 

Die Umstände, die mit der Wahl Poniatowski’s, eines Verwandten der Brüder Czartoryski, verbunden waren, sind bekannt und bedürfen nicht einer näheren Entwickelung. Wir wollen nur sagen, daß die Czartoryski sich den Beistand der russischen Kriegsvölker, die Katharina zur Unterstützung der Wahl Poniatowski’s nach Polen schickte, zu verschaffen wußten, um die republikanische Partei zu stürzen, und ihren Einfluß auf dem Berufungs-Reichstage von 1764 zu befestigen. Als sie den Reichstag conföderirt, oder durch die gemeinschaftliche Berathung des Senates und der Landboten die Entscheidung durch Stimmenmehrheit, statt, wie auf gewöhnlichen Reichstagen, durch Einstimmigkeit, bewirkt hatten, gelang es ihnen, die wichtigsten und heilsamsten Verbesserungen der Landesverfassung einzuführen. Der Reichstag ernannte Commissionen für das Kriegswesen und die Finanzverwaltung, und verminderte die Gewalt der Oberbefehlshaber und der Kronschatzmeister, und verordnete, daß die auf Finanzen und Rechtspflege sich beziehenden Angelegenheiten in Zukunft durch Stimmenmehrheit entschieden werden, und daß, selbst wenn ein Reichstag durch ein Veto aufgelöst würde, die in Beziehung auf jene Angelegenheiten gefaßten Beschlüsse Gesetzkraft haben sollten. Diese Verfügung beschränkte das Verbietungsrecht; aber der Plan, das Veto gänzlich abzuschaffen, konnte nicht ausgeführt werden, da die Gesandten der fremden Mächte sich bemühten, es beizubehalten. Nur durch List wußten die Brüder Czartoryski dem Widerstande der fremden Gesandten zu entgehen, und es gelang ihnen, das Vorrecht des Veto zu beschränken und die königliche Gewalt zu verstärken durch die Einführung der Commissionen für Kriegswesen und Finanzverwaltung, wodurch sie ihre Absichten verbargen. Sie verschleierten ihre, auf Besonderheiten gerichteten Anordnungen unter allgemeinen Ausdrücken, und bewirkten den Beschluß, daß alle, auf den Vortheil der Republik sich beziehenden Anträge durch die Commissionen gemacht, und vor andern Angelegenheiten und durch Stimmenmehrheit mit einer Schnelligkeit erledigt werden sollten, welche dieselben bei einer plötzlichen Auflösung des Reichstages gegen Störung sichern könnte. Durch diese List wurde die Wirkung des Veto, wenn

 

 

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auch nicht aufgehoben, doch bei der Entscheidung jener Angelegenheiten vereitelt. Sie gaben zu gleicher Zeit viele andere, auf Verwaltung, Polizei und Geistlichkeit sich beziehende Anordnungen, und einige Gesetze zum Vortheile der Bauern und zur Beschränkung der übermäßigen Gewalt des Adels. Der kühne Antrag, daß die Wahl eines Könige durch Wahlmänner, und nicht durch sämmtliche Edelleute vorgenommen werden sollte, wurde verworfen; es wurde jedoch erklärt, das die Conföderation fortdauern sollte, wodurch ihren Führern, den Brüdern Czartoryski, ein unermeßlicher Einfluß auf die Angelegenheiten des Landes gegeben wurde, so daß zwar Poniatowski König war, die eigentliche Gewalt aber in ihren Händen lag.

 

Der Kaiser von Rußland, Peter III, schloß während seiner kurzen Regierung ein Bündniß mit Friedrich II., wodurch unter andern festgesetzt wurde, daß nach August’s III. Tode die Wahl eines einheimischen Königs, und die Ansprüche der Dissidenten, unterstützt werden sollten. Die erste dieser Bestimmungen hatte ihren Grund in politischen Absichten, und in der Besorgniß, daß die sächsische Königsfamilie erblich in Polen werden möchte, was leicht hätte geschehen können, wenn August und sein Minister, statt die Thatkraft des Volkes zu lähmen, sich bemüht hätten, ihm eine höhere Kraft und ein regeres Gefühl für seine Würde zu geben. Wir dürfen die Bemerkung nicht unterdrücken, daß, ungeachtet der großen politischen Fehler des sächsischen Königstammes, die den Besitz des polnischen Thrones eben so nachtheilig für Polen als für Sachsen machten, die Fürsten durch ihre liebenswürdigen persönlichen Eigenschaften die Zuneigung des Volkes gewannen, ein Umstand, der auffallend in der neuen Verfassung von 1791 hervortrat, die dem sächsischen Fürstenhause den erblichen Besitz des polnischen Thrones zusprach. Die zweite Bedingung jenes Bündnisses zu Gunsten der Dissidenten, wird dem persönlichen Einflusse des preußischen Gesandten in Petersburg, Baron von Goltz, zugeschrieben, der von einer protestantischen polnischen Familie abstammte, und stimmt mit den Absichten überein, welche die fremden Mächte bei mehren Gelegenheiten, wiewohl ohne Erfolg, offenbarten.

 

Die Protestanten legten in einer, dem Reichstage übergebenen Bittschrift ihre Beschwerden vor, und foderten ihre alten Rechte zurück; aber die Brüder Czartoryski, die so große Veränderungen auf dem Reichstage bewirkt hatten, doch keineswegs durch Glaubensfanatismus bestimmt wurden, sahen sich genöthigt, entweder die Ansprüche der Protestanten, die eine sehr kleine Minderheit bildeten, der bigotten Mehrheit des Reichstages zu überlassen, oder Plane aufzugeben, die auf

 

 

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das Wohl des ganzen Volke gerichtet waren. Die Bittschrift der Protestanten wurde daher nicht nur zurückgewiesen, sondern es sollten auch die ihnen übrig gebliebenen Rechte noch mehr beschränkt werden. Dies geschah auf den Antrag Stanislaus Poniatorwski’s, der dem Berufungs-Reichstage als Landbote von Masovien beiwohnte, und dabei nach den ihm von seinen Wählern gegebenen Weisungen handelte, welche nach der Verfassung Polens für die Landboten bindend waren. Die Protestanten verloren das Recht, Starosteien, und verschiedene Aemter in der Postverwaltung, dem Bergamte und in der Verwaltung der Krongüter zu besitzen.

 

Nicht abgeschreckt durch ihr Mißgeschick auf dem Reichstage von 1764, setzten die Protestanten ihre Bemühungen fort, worin der russische Hof sie unterstützte. Wir sind zwar weit entfernt, solche ihrer Natur nach verkehrte Mittel zu rechtfertigen, halten es aber für höchst ungereimt, die Protestanten zu beschuldigen, daß sie Rußlande Absichten befördert hätten, indem sie den Schutz dieser Macht zur Wiedererlangung ihrer Rechte suchten. War es die Schuld der Protestanten, daß Rußlands Einfluß August III. auf den polnischen Thron setzte, unter dessen Regierung ihre Rechte vernichtet wurden? War es ihre Schuld, daß der König mit seinem Minister, während seiner ganzen Regierung Polen dem russischen Hofe so schmählich dienstbar machte? Er brachte das Land in eine solche Abhängigkeit von diesem Hofe, daß die Wortführer der aufgeklärtesten Volksclasse, die keine andere Aussicht hatten, eine bessere Regierung einzuführen, den gefährlichen Versuch machen mußten, ihren Zweck durch den das Land beherrschenden fremden Einfluß zu erlangen, ein gewagtes Mittel, das aber allein eine Aussicht auf Erfolg darbot. Erwägen wir diese Umstände, so fragen wir dreist jeden Unbefangenen, zu welchem Glauben er auch gehöre, ob es gerecht sei, eine kleine Anzahl unterdrückter Staatsbürger anzuklagen, die Abhilfe auf derselben Seite suchten, zu welcher viele ihrer katholischen Landsleute sich wendeten, um persönliche Vortheile zu erlangen, und wo andere die Sicherheit des Landes allein erlangen zu können glaubten. Gewiß, die Protestanten hätten ihre Sache durch alle verfassungmäßigen Mittel vertheidigen, und lieber jede Verfolgung erdulden sollen, ehe sie Hilfe im Auslande suchten. Doch schwerlich konnte man einen Heldenmuth von ihnen erwarten, der fast zu groß für die schwache Menschennatur ist, und wir dürfen uns nicht wundern, daß sie dieselbe Schuld auf sich Iuden, welcher eine weit größere Anzahl ihrer katholischen Mitbürger sich aussetzte, ohne gleiche Entschuldigung zu finden, und worin ihnen mit einem traurigen Beispiele der Hof vorging,

 

 

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der das ganze Volk zwang, in jene schmähliche Bahn zu treten. Und doch machte man den Protestanten ihr Vertrauen auf den Schutz des Auslandes stets zum Vorwurfe, und ihre Ansprüche wurden von vielen nur aus diesem Grunde bestritten.

 

Die Ereignisse, die wir noch zu erzählen haben, werden beweisen, daß alle Parteien, die so unglücklich waren, unter den Einfluß listig berechnender fremder Mächte zu gerathen, die unfreiwilligen Werkzeuge der eigennützigen Politik jener Mächte wurden, und daß, selbst als sie ihren Irrthum erkannt hatten, ihnen von diesen Mächten nicht gestattet wurde, von dem verwerflichen Wege abzugehen, auf welchen eine falsche Ansicht ihrer Interessen sie geführt hatte. Die fremden Mächte opferten unbedenklich jene Interessen, sobald es zur Erreichung der Zwecke ihrer Politik nothwendig war.

 

Auf dem Wahl-Reichstage entwickelten die Brüder Czartoryski noch mehr die auf dem Berufungs-Reichstage gegebenen Gesetze, trotz der Anstrengungen des russischen Gesandten Repnin, diese wohlthätigen Verbesserungen zu vereiteln. Sie verwarfen auch das von Rußland vorgeschlagene Schutz- und Trutz-Bündniß, weil ein solcher ungleicher Bund Polen in Kriege für Rußlands Vortheil verwickelt haben würde, deren Last meist dem schwächeren Lande zugefallen wäre. Die auf dem Reichstage erneuerten Ansprüche der Dissidenten wurden der fanatischen Mehrheit der Landboten aufgeopfert, um ihre Einwilligung zu Maßregein von allgemeiner Wichtigkeit zu erlangen, ja der Reichstag erlaubte nicht einmal eine Erörterung dieser Angelegenheit. Viele hielten die neuen Gesetze für eine Verletzung der alten Vorrechte des Volkes, und überdies wurden dadurch viele örtliche und persönliche Interessen bedeutend verletzt. Es wurden zahlreiche Vorstellungen gegen diese Gesetze gemacht, und Beschwerden und Anklagen gegen die Fürsten Czartoryski nach Petersburg geschickt. Dieser demüthigende Schritt hatte keinen Erfolg und diente nur dazu, die Verlegenheiten der streitenden Parteien zu vermehren. Katharina, zu jener Zeit mit andern Entwürfen beschäftigt, achtete wenig auf Polens Angelegenheiten, die sie den Launen der beiden Parteien an ihrem Hofe überließ. Der Minister, Graf Panin, der sich später durch seinen kräftigen Widerstand gegen die Theilung Polens auszeichnete, billigte die neuen in Polen gegebenen Gesetze, und wenn er in Petersburg einen Sendling der republikanischen Partei entdeckte, vertrieb er ihn aus der Stadt. Orloff, Katharina’s Günstling, nahm dagegen die Partei der Republikaner und verschaffte ihren Abgesandten geheimes Gehör bei der Kaiserin, während er auf alle Weise ihre Gegner verfolgte. Katharina buhlte

 

 

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um die Schmeicheleien Voltaire’s und anderer französischen Philosophen, welche ihre bei der Beschützung der polnischen Dissidenten bewiesene Freisinnigkeit rühmten. Sie foderte, daß die nichtkatholischen Staatsbürger in all ihre alten Rechte wieder eingesetzt werden sollten, aber es geschah in einem so hochfahrenden Tone, daß der Nationalstolz vieler Männer verletzt wurde, die sich sonst aus Glaubensrücksichten den Ansprüchen der Dissidenten nicht widersetzt haben würden. Der König versprach der Kaiserin, ihr Verlangen zu erfüllen, pries die Vortheile der Duldung, und sprach sogar von der Gründung einer Nationalkirche, um die anmaßende Gewalt der päpstlichen Legaten aufzuheben, und das Volk einer fremden Oberherrschaft zu entziehen; aber sein Schreiben, obgleich nicht ohne gesunde Ansichten, war in Ausdrücken abgefaßt, die das Volksgefühl beleidigen mußten, da die beabsichtigten Verbesserungen dem Einflusse der Kaiserin zugeschrieben wurden, und durch ihren Beistand ausgeführt werden sollten *).

 

Wie andere Parteien, hatten auch die Protestanten einen Abgesandten in Petersburg, der ihre Interessen an einem Hofe befördern sollte, den alle Parteien als den Schiedsrichter der Schicksale Polens betrachteten. Der polnische Gesandte hatte vor den russischen Ministern eine Verhandlung mit dem Wortführer der Protestanten. Er behauptete, daß die Dissidenten nicht Duldung verlangten, die sie schon hätten, daß mehr als zweihundert **) Kirchen, die sie besäßen, für ihre geringe Anzahl hinlänglich wären, und daß sie alle Vorrechte des herrschenden Glaubens in Anspruch nehmen wollten. Er fragte, was für ein Recht den fremden Mächten zustehen könnte, sich in eine solche Angelegenheit zu mischen, und zeigte, daß der König von Preußen sich nur auf den 1657 zu Wehlau geschlossenen Vertrag berufen könnte, durch welchen Polen seine Oberherrlichkeit über das Herzogthum Preußen aufgab, und daß der einzige, auf Glaubenssachen sich beziehende Artikel des Vertrages die Erhaltung aller Vorrechte des katholischen Glaubens im Herzogthume gewährleistet hätte. In dem Frieden von Oliva,

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*) Er sagt unter andern: „La protection que vous accordez aux dissidens est digne de votre humanité et de votre philosophie. — Mais laissez-moi un peu de tems. Il faut avant que je puisse amener les esprits de ma nation à de tels changemens, que j’aie pu gagner leur confiance. Je n’ai pas besoin de vous dire avec Racine —
Gardons nous de reduire un peuple furieux,
Madame a prononcé entre nous et les Dieux.

**) Die Angabe ist übertrieben, wenn anders nicht die griechischen, nicht mit Rom vereinigten Kirchen darin begriffen sind.

 

 

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setzte er hinzu, wären zwei Bestimmungen über dieselbe Angelegenheit enthalten, von welchen eine die Erhaltung des katholischen Glaubens in Liefland, die andere die freie Ausübung des protestantischen Glaubens in Polnisch-Preußen festsetzte. Er verwarf die gezwungene Deutung, welche die Dissidenten dem Worte Amnestie in jenem Friedensvertrage geben wollten, das bloß auf die, nach den Kriegsunruhen gegebene allgemeine Verzeihung zu beziehen wäre. Er suchte darzuthun, daß der Vertrag von 1686, der einzige, auf welchen der russische Hof seine sogenannten Rechte gründen könnte, die Duldung des griechischen Glaubens gewährt hätte, unter der Bedingung, daß auch der katholische Glaube in den an Rußland von Polen abgetretenen Landestheilen Schutz erhielte. Der griechische Glaube, fügte er hinzu, hätte in Polen Duldung, während in den an Rußland gekommenen Provinzen der katholische nicht mehr zu finden wäre, und Polen könnte daher auf jenen Vertrag mit Recht das Verlangen stützen, daß der katholische Glaube in den abgetretenen Landen wiederhergestellt werden sollte. Er bemerkte, man würde in ganz Europa nicht eine Regierung finden, die man als ein Vorbild des politischen Systems aufstellen könnte, das Polen annehmen sollte; alle Völker, selbst die freiesten und weisesten, hätten einen herrschenden Glauben; in den duldsamsten Staaten hätte man strenge Gesetze gegen die Vielheit der Glaubensbekenntnisse, und man wäre bemüht, den Einfluß eines, in einer Republik höchst gefährlichen Parteigeistes zu vermindern, indem die Anhänger der Parteien von dem Antheile an der Staatsverwaltung ausgeschlossen würden, und besonders in Polen, wo der Widerstand eines einzigen die Thätigkeit aller hemmen könnte, würde die Gefahr für den Staat vermehrt werden, wenn viele Secten an der Gesetzgebung und der Verwaltung des Landes Theil nehmen sollten. Er warf endlich einen Blick auf die Gesetze Polens und suchte zu zeigen, daß diejenigen, die am günstigsten für die Dissidenten wären, nie die Zulassung derselben zu den öffentlichen Aemtern festsetzten, und führte namentlich die unter Rußlands Vermittelung und unter dem Schutze eines russischen Heeres gegebenen Verfügungen von 1717 an, die ausdrücklich sie von allen Aemtern ausgeschlossen hätten. Er folgerte daraus, daß Rußland, dessen Anspruch, das Recht eines Gewährleisters in Polen auszuüben, allein auf den Friedensvertrag von 1717 gegründet wäre, um den früher anerkannten Grundsätzen gemäß zu handeln, die Republik gegen die Foderungen der Dissidenten unterstützen sollte.

 

Dies waren die von dem polnischen Gesandten aufgestellten Gründe,

 

 

 

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wie Rulhière *) sie angibt; aber wir können nicht entscheiden, ob die zahlreichen falschen Schlußfolgen dem Gesandten, oder dem Geschichtschreiber zur Last fallen, denn es zeigt sich darin eine grobe Unwissenheit, oder eine absichtliche Entstellung geschichtlicher Thatsachen. So hat der Vertrag von Oliva **) die Rechte aller Glaubensbekenntnisse, wie sie vor dem Kriege bestanden, vollständig gewährleistet, und wir glauben hinreichend dargethan zu haben, daß zu jener Zeit die Gesetze den nichtkatholischen Staatsbürgern eine vollkommene Rechtsgleichheit gewährten. Die Behauptung, daß kein Gesetz je ihre Zulassung zu öffentlichen Aemtern berührt habe, ist eine abgeschmackte Ausflucht, da ein ausdrückliches Gesetz wohl zu ihrer Ausschließung nothwendig war, aber ihre Zulassung war, in Ermangelung eines solchen Gesetzes, dem gemeinen Rechte gemäß, und die Conföderation von 1573, die als Grundgesetz durch so viele Königseide bekräftigt wurde, sicherte allen christlichen Glaubensbekenntnissen vollkommene Rechtsgleichheit. Die Hinweisung auf die Verfügungen von 1717 ist auch nicht genau, da sie nur die Glaubensübung der Protestanten beschränkte, ohne ihre politischen Rechte zu berühren, die erst auf den Reichstagen von 1733 und 1736 aufgehoben wurden. Die Beziehung auf den Vertrag mit Rußland, durch welchen gegenseitige Duldung des katholischen Glaubens in den an Rußland abgetretenen Landestheilen, und des griechischen Glaubens in Polen festgesetzt ward, ist richtig, doch wurden diese Bestimmungen in dem 1667 zu Andruszow geschlossenen Vertrage gegeben, und in dem zu Moskau 1686 unterzeichneten Vergleiche bestätigt, zu einer Zeit, wo alle katholischen Einwohner in den früher abgetretenen Provinzen zur Glaubensveränderung waren gezwungen worden. Der einzige bedeutende Grund, den der Gesandte für die Ausschließung der Protestanten von der Gesetzgebung anführte, war die Leichtigkeit, womit Uebelgesinnte die Verhandlungen über die wichtigsten Angelegenheiten des Landes hemmen konnten; aber er hätte sagen sollen, daß, da die Protestanten nicht durch die Gesetze gegen die Verfolgungssucht der Geistlichkeit, die den Gesetzen trotzte, geschützt werden konnten, es sicherer wäre, sie von der Gesetzgebung auszuschließen, damit sie nicht, gereizt durch Bedrückung, das erlittene Unrecht durch Hemmung des Ganges der Staatsangelegenheiten hinderten. Die Erfahrung hat jedoch bewiesen, daß die katholische Einigkeit auf den Reichstagen keineswegs zur Einigkeit in den Berathungen führte, weil von den unter August’s III. Regierung berufenen

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*) A. a. O. Bd. 2. S. 313.

**) S. Abschn. 21.

 

 

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funfzehn Reichstagen nur zwei, 1734 und 1736, wirklich gehalten, alle übrigen aber aufgelöst wurden, ohne irgend ein Ergebniß. Der polnische Gesandte hätte bloß antworten sollen, daß die fremden Mächte eben so wenig berechtigt wären, sich in die inneren Angelegenheiten Polens zu mischen, als Polen in die ihrigen, aber seit der Vertrag von 1717 die Streitkräfte des Landes den Interessen der römischen Herrschaft aufgeopfert hatte, wäre es ungereimt gewesen, eine Sprache zu führen, die der Unabhängigkeit ziemt, während es an Mitteln fehlte, diese zu behaupten.

 

Die Gründe, die der Wortführer der Protestanten dem Gesandten entgegen setzte, waren mehr scheinbar als bündig. Statt für die Gesetzmäßigkeit der Rechte, die er verfocht, die zahlreichen Verfügungen anzuführen, welche vollkommene Rechtsgleichheit zwischen den Anhängern verschiedener Glaubensbekenntnisse festsetzten, vertheidigte er sie mit Gründen, die er aus politischen Theorien schöpfte. Er behauptete, daß die polnische Verfassung auf die Gleichheit der Bürger gegründet wäre; daß die Obergewalt der Versammlung aller Edelleute gebührte, diese Versammlung aber einen rein politischen und weltlichen Charakter hätte, unabhängig von einer geistlichen Gewalt; daß die polnischen Gesetze von der Zulassung der Protestanten zu öffentlichen Aemtern nichts sagten, weil sie sich von selbst verstände; daß man die Verordnungen des Königs nicht gegen sie anführen könnte, da sie selbst einen Theil der höchsten Gewalt bildeten, daß man die Weigerung, ihnen die Rechte aller andern Staatsbürger zu gewähren, einer Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft und einer Erklärung gleich achten müßte, jeder wäre in den Zustand seiner ursprünglichen Freiheit versetzt und Herr aller Mittel zur Erhaltung seiner eigenen Sicherheit. Er berief sich nicht auf die alten Verträge Polens mit fremden Mächten, sondern behauptete, daß die Dissidenten durch ihre Trennung von der übrigen Republik in den Naturstand zurückgekehrt wären, daß die Gesetzgebung in einem solchen Falle kein Recht gegen sie ausüben könnte, da sie sich eines Theiles ihrer Mitglieder beraubt, und ihre frühere Gewalt über sie aufgegeben hätte, und weil die stärkere Partei von der schwächeren geschieden wäre, dies keineswegs die Rechte der schwächeren ändern könnte, welche eben so frei, unabhängig und selbstherrlich als die andern, in den Fall rechtmäßiger Nothwehr gesetzt und berechtigt wäre, alle Mittel anzuwenden, die sie bei ihrer Schwäche finden könnte, und daß in einem solchen Falle der Beistand benachbarter Mächte natürlich und rechtmäßig genannt werden müßte und keiner vorgängigen Gewährleistungen bedürfte. Zur Widerlegung der, aus der Geschichte

Krasinski.

 

 

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anderer Länder angeführten Beispiele, bemerkte er, daß man sie nicht auf einen sich selbst erhaltenden Staat anwenden, und die Regierungen jener Länder mit der polnischen nicht vergleichen könnte, daß es in Holland und England, wo der protestantische Glaube die Volksfreiheit befestigt hätte, zwei Staatsbürgerclassen gäbe, Sieger und Besiegte, und daß man gewiß nicht wünschen könnte, die polnische Verfassung ähnlichen Prüfungen auszusetzen.

 

Katharina ließ sich in die für und gegen die Dissidenten angeführten Gründe nicht ein, und ohne einen andern Beweggrund als ihren Willen anzugeben, ließ sie dem polnischen Gesandten eine Note zustellen, worin die oben erwähnten Foderungen etwas verändert waren, und hinzugefügt wurde, daß sie ihre Ansprüche, wenn man dieselben nicht befriedigte, über die Gränzen ausdehnen wollte.

 

Der Widerstand gegen die Foderungen der Dissidenten war mittlerweile der Vereinigungspunct einer Gegenstrebung, nicht nur wider fremden Einfluß, sondern auch wider die, von den Brüdern Czartoryski eingeführten Verbesserungen geworden, die viele für eine Beschränkung der Volksfreiheit hielten. Gaetan Soltyk, Bischof von Krakau, wurde der Führer dieser Widerstandspartei. Er gehörte zu einer angesehenen Familie und besaß eine ungemeine Festigkeit des Gemüthes. Man beschuldigt ihn eines unmäßigen Ehrgeizes, aber es war vielleicht gerade diese Eigenschaft, aus welcher eine unerschütterliche Standhaftigkeit in seinen Entschlüssen hervorging. Er hatte im Jahre 1733 Stanislaus Leszczynski’s Partei genommen, und von den Russen gefangen, ward er in strenger Haft gehalten. Als er seine Freiheit wieder erlangt hatte, ging er nach Frankreich, wo seine durch Leiden bewährte Treue gegen den Schwiegervater Ludwig’s XV. ihm Aussicht auf eine Beförderung zu einem Kirchenamte öffnete; aber er wurde durch Familienangelegenheiten nach Polen zurückgerufen, und von seinen Gönnern in Frankreich vergessen. Er hatte durch frühere Verbindungen sich die Gunst des Grafen Brühl erworben, und von August III. zu hohen geistlichen Würden erhoben, ward er ein eifriger Anhänger des sächsischen Hauses. Sein heftiger Widerstand gegen die Ansprüche der Dissidenten wird von seinen Zeitgenossen nur politischen Beweggründen zugeschrieben, und man behauptet, er sei nicht nur von Glaubensfanatismus frei, sondern sogar ein erklärter Freigeist gewesen. *)

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*) Walch, der über die Ereignisse in Polen als Zeitgenosse gut unterrichtet war, ist in seiner neuesten Kirchengeschichte (B.4. S. 35.) gleicher Meinung und setzt hinzu, man glaube ziemlich allgemein, daß Soltyk den Plan gehabt habe, die Dissidenten zu einem Steine des Anstoßes zu machen, an welchem das Ansehen des Königs, entweder Rußland, oder dem polnischen Volke gegenüber scheitern sollte. Sein Haß gegen Rußland und die Hofpartei habe ihn zu fanatischer Heftigkeit gegen die Dissidenten verleitet, und er sei der Meinung gewesen, daß der König sie begünstige und ihnen Rußlands Schutz verschaffe. Einige behaupten, er habe später seine Meinung geändert, weil ihm klar geworden sei, daß der König die Rechtsgleichheit der Dissidenten keineswegs wünsche.

 

 

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Der König, zwischen Rußlands drängende Foderungen und die starke Partei ihrer Gegner gestellt, war in einer sehr schwierigen Lage. Er hatte sich dem Einflusse seiner Oheime, der Fürsten Czartoryski, entzogen und sich seinen zügellosen Jugendgefährten wiederzugesellt, sah sich aber in einer Verlegenheit, in welcher er weder in sich selbst, noch bei seinen Freunden ein Hilfsmittel fand. Er war nun genöthigt, den Beistand seiner Oheime zu suchen, und auf ihren Rath versammelte er die Bischöfe, und stellte ihnen vor, daß, wenn sie entschlossen wären, die Dissidenten nicht als gleichberechtigte Mitbürger zu behandeln, ihnen nicht anders als durch Nachsicht und Gunst Vorrechte zu bewilligen, und sie stets nur als eine geduldete Secte zu betrachten, das Volk vorher seine Unabhängigkeit sichern müßte, um stark genug zu sein, den Einfluß fremder Mächte gänzlich zu entfernen, daß aber ein solcher Entschluß nicht die unbedachtsame und hastige Entscheidung einer unruhigen Versammlung, sondern der Ausspruch eines muthigen, für die Beschützung seines Glaubens und seiner Gesetze zu jedem Opfer bereitwilligen Volkes sein sollte. In dieser Absicht müßte die Regierung mit der Gewalt ausgerüstet werden, das Heer zu verstärken und es zur Landesvertheidigung zu verwenden, und zur Erreichung dieses Zweckes könnte es kein anderes Mittel geben, als die Verfügung, daß die Vermehrung des Heeres künftig nicht mehr dem Veto unterworfen sein sollte, sondern alle, auf diese Angelegenheit sich beziehenden Anträge durch Stimmenmehrheit entschieden würden. Fast alle Bischöfe und Senatoren wollten, wie sie feierlich versprachen, die Regierung in Stand setzen, die Verweigerung der Foderungen fremder Höfe nachdrücklich zu unterstützen, und auf dem Reichstage ihren ganzen Einfluß aufbieten, um eine so nothwendige Verfügung durchzuführen. Der König, auf diese Unterstützung vertrauend, gab dem russischen Gesandten Repnin in einer öffentlichen Audienz eine höfliche, aber entschieden verweigernde Antwort auf die Foderungen seines Hofes.

 

Bei der Eröffnung des Reichstages im Jahre 1766 ergriff Soltyk die erste Gelegenheit, wo von Glaubensangelegenheiten die Rede war, eine heftige Rede gegen die Dissidenten zu halten, die er beschuldigte,

 

 

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daß sie gegen die gesetzlichen Verbote den Schutz fremder Mächte gesucht hätten, und machte den Antrag, daß die Vorrechte, welche sie auf eine so strafbare Weise zu erlangen bemüht gewesen wären, ihnen nicht nur nicht bewilligt werden, sondern daß sie nichts als Duldung genießen und den Tod erleiden sollten, wenn sie künftig überwiesen würden, solchen Beistand gesucht zu haben. Alle Bischöfe vereinigten sich mit Soltyk, die Annahme des von ihm vorgeschlagenen Gesetzes zu verlangen, und der Antrag wurde mit allgemeiner Zustimmung angenommen. Der Beschluß sollte unterzeichnet werden, als der König es verhinderte, unter dem Vorwande, es wäre gegen die Reichstagsordnung, in solcher Weise und in einem solchen Augenblicke eine so wichtige Angelegenheit zu erörtern. Nach kurzer Unterbrechung setzte Soltyk seine Rede fort, und bat den König im Namen der Republik, von der Kaiserin Katharina zu verlangen, daß das Land gänzlich von den russischen Kriegsvölkern geräumt, und für den von ihnen angerichteten Schaden den Einwohnern Ersatz gegeben würde. Auch verlangte er, daß die allgemeine Conföderation der Fürsten Czartoryski aufgelöst werden sollte, indem er, auf das Beispiel der römischen Republik zurückblickend, voraussagte, daß die Freiheit untergehen würde, wenn jene Dictatur fortdauerte, und endlich foderte er, daß die von dem Könige seinen Gesandten an den fremden Höfen, und namentlich zu Petersburg und Wien, gegebenen Weisungen dem Reichstage mitgetheilt werden sollten.

 

So wurde durch Soltyk’s Widerstand gegen die, von den fremden Mächten unterstützten Ansprüche der Dissidenten die Ausführung der Entwürfe begünstigt, welche diese Mächte zum Umsturze der unabhängigen Regierung des Landes gemacht hatten, denn er verwechselte mit jenen Ansprüchen die einzigen Maßregeln, die Polen in Stand setzen konnten, fremdem Einflusse zu widerstehen, und wir werden hören, daß auf demselben Reichstage die Gesandten Rußlands und Preußens die Auflösung eben jener Conföderation verlangten, die Soltyk der Landesfreiheit gefährlich gefunden hatte. Es war in der That ungereimt, zu fodern, daß der König die Zurückziehung der russischen Kriegsvölker verlangen sollte, wenn man ihn nicht vorher mit den Mitteln ausgerüstet hatte, einem solchen Verlangen Nachdruck zu geben. Hätten die Bischöfe, statt gegen die Dissidenten zu sprechen, ihren ganzen Einfluß zur Abschaffung des Veto angewendet, um die Gewalt der Regierung auszudehnen, und vor allen Dingen die Streitkräfte des Landes zu vermehren, so würden sie berechtigt gewesen sein, den König zur Abwehr des fremden Einflusses anzutreiben. Es war in der That

 

 

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der größte Widerspruch, zu gleicher Zeit gegen fremden Einfluß und gegen das einzige Mittel, wodurch das Land dagegen geschützt werden konnte, sich zu verwahren. Warum zeigten jene Bischöfe, deren Vaterlandsliebe sich nicht bezweifeln läßt, nicht eben so viel Eifer für die Einheit und die Macht der Regierung ihres Landes, als für die Einheit und Macht ihrer Kirche? Hätten sie sich aufrichtig mit dem Hofe vereinigt, wie sie dem Könige versprachen, so würde ihr Einfluß das Volk bewogen haben, trotz des Widerstandes des Auslandes, die von den Brüdern Czartoryski begonnenen wohlthätigen Verbesserungen zu vollenden, und die Begründung einer starken Regierung hätte die Unabhängigkeit des Landes gerettet. Es war, wie es scheint, mit dem Einflusse Roms auf Polen das Verhängniß verbunden, daß, so oft daß Interesse dieser fremden Macht mit den Landesinteressen in Zwiespalt kam, diese nie gedeihen konnten, und der Glaubenseifer der Bischöfe scheint ihr Urtheil über das wahre Wohl des Landes selbst in den Fällen verblendet zu haben, wo die Interessen der Kirche nicht dagegen stritten. Soltyk zeigte bei jener Gelegenheit, trotz seiner unnachgiebigen Vaterlandsliebe, daß er es besser verstand, für die Unabhängigkeit des Landes zu leiden, als sie zu vertheidigen. Ungeachtet seines beredten Widerspruchs errangen die vereinten Parteien des Königs und der Fürsten Czartoryski den Sieg in allen Angelegenheiten, die nicht mit Glaubenssachen verbunden waren. Es wurde, um dem Fanatismus der Mehrheit zu entgehen und zur Vollendung der bereits angefangenen Verbesserungen Zeit zu gewinnen, eine aus Bischöfen bestehende Commission ernannt, welche die Beschwerden der Dissidenten prüfen, und vor dem Schlusse des Reichstages einen Bericht darüber vorlegen sollte. Die Vortheile der eingeführten Verbesserungen wurden dem Reichstage bewiesen; nach dem Berichte des neuen Finanzausschusses ergab sich ein Ueberschuß der Einnahmen über die Ausgaben, und ein bedeutender Geldvorrath in dem Staatsschatze, der früher immer leer gewesen war. Es gelang den Fürsten Czartoryski, trotz des Widerstandes mehrer Landboten, die Annahme einiger Gesetze zu erlangen, welche die königliche Gewalt bedeutend verstärkten, und durch diesen Beistand ermuthigt, glaubte der Hof, das Land von fremdem Einflusse befreien zu können, und verlangte von dem russischen Gesandten in einigen veröffentlichten Denkschriften die Zurückziehung der Kriegsvölker.

 

Der Gesandte war mittlerweile nicht unthätig, und suchte mit allen, die sich den von dem Könige und den Fürsten Czartoryski eingeführten Verbesserungen widersetzt hatten, in einen vertraulichen Verkehr zu kommen. Er belobte ihren Eifer und ihre Vaterlandsliebe, und versicherte ihnen,

 

 

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daß er die günstigsten Berichte über sie an die Kaiserin erstattet hätte, deren Schutz er ihnen versprach; er reizte sie, jene Verbesserungen auf dem Reichstage zu bekämpfen, mit der Versicherung, daß sie von vielen Mitgliedern eine unerwartete Unterstützung erhalten würden, und indem er die Angelegenheit der Dissidenten gänzlich aufgab, schmeichelte er denjenigen, die sich den Ansprüchen derselben widersetzten. Er und der preußische Gesandte zeigten sich den Polen als die Vertheidiger der Landesfreiheit, und gaben ihnen zu verstehen, daß die Zeit gekommen wäre, wo das Volk seine Rechte wiedererlangen sollte. Beide schmeichelten den Freunden des Fürsten Karl Radziwill, der wegen seines Widerstandes gegen Stanislaus Poniatowski aus dem Lande geflohen war, und den Anhängern des sächsischen Fürstenhauses, unter welchen es viele Personen aus allen Ständen, und auch mehre vornehme Frauen gab, die ihren ehemaligen Einfluß am Hofe, oder die Stellen verloren hatten, die sie unter den sächsischen Königen besaßen. Alte diese Mittel wurden benutzt, viele irre zu leiten, die sonst von den besten Gesinnungen beseelt waren. Der Kronreferendar Podoski, ein dem sächsischen Hause ergebener Geistlicher, der dem Grafen Brühl seine Beförderung verdankte, wurde bei jener Gelegenheit das thätigste Werkzeug der Gesandten Rußlands und Preußens, um den König zu entthronen und einem sächsischen Prinzen die Krone zu verschaffen, und er verführte viele patriotische Männer, in die Absichten des Fürsten Repnin einzugehen. *) Vergebens zeigte man ihnen die Gefahr eines solchen

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*) Er war von guter Herkunft und seit seiner Jugend zum geistlichen Stande bestimmt, hatte aber nichts weniger als geistliche Neigungen, und führte ein üppiges Leben. Noch sehr jung hatte er eine zärtliche Verbindung mit einer sehr reichen Lutherischen Wittwe, die Lieferungen für die Tafel des Königs und des Grafen Brühl hatte, und in deren Hause der Minister ihn kennen lernte. Er wurde zu einigen Geschäften gebraucht, worin er sich sehr geschickt bewies, und als er an den Hof gezogen wurde, trug er viel zur Wahl des Prinzen Karl zum Herzoge von Kurland bei. Zur Belohnung ward er zum geistlichen Kronreferendar ernannt. Seine Anhänglichkeit an die sächsische Königsfamilie zog ihm die persönliche Feindschaft des Königs Stanislaus Poniatowski zu. Er lebte meist zurückgezogen auf dem Lande, kam aber vor der Eröffnung des Reichstags von 1766 nach Warschau, um dem Hofe entgegen zu arbeiten. Nachdem er sich offen zu Gunsten der Dissidenten erklärt hatte, versprach er dem russischen Gesandten, sie zu unterstützen, und wurde der eifrigste Beförderer der Plane Repnin’s gegen Poniatowski, den er zu entthronen hoffte, um einem sächsischen Prinzen die Krone zu verschaffen. Podoski setzte seine Verbindung mit der Iutherischen Wittwe fort, so lange er lebte, und wie er früher Herr in ihrem Laden war, so wurde sie später, nach seiner Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl, Herrin in seinem Palaste. Man sagt, er habe sie zum katholischen Glauben bekehrt und in heimlicher Ehe mit ihr gelebt.

 

 

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Bündnisses in dem Beispiele derjenigen, die sich an Rußland geschlossen hatten, und früher oder später von dieser Macht waren aufgeopfert worden. Sie antworteten auf diese weisen Vorstellungen, daß es nothwendig wäre, die verlorne Freiheit wieder zu erlangen, und das Werk der verabscheuten Familie Czartoryski zu zerstören, und daß man, was auch Rußlands Absichten sein möchten, den Beistand, welchen es bei jener Gelegenheit anbot, annehmen, ein heftiges Mittel gegen eine verzweifelte Krankheit anwenden, das Joch zerbrechen, und auf eine glücklichere Zeit die Einführung einer besseren Verwaltung des Staats verschieben müßte. Viele der achtbarsten Männer vergaßen, daß Freiheit ohne Unabhängigkeit des Volkes nur ein leeres Wort ist, und verbündeten sich unbedenklich mit den Feinden des Staats, ja selbst der Bischof von Krakau war einige Zeit nahe daran, sich mit Repnin zu vereinigen.

 

Der König kannte entweder diese Ränke nicht, oder hielt sich für stark genug, sie verachten zu können, und er versuchte es, den Plan auszuführen, über die Vermehrung des Heeres und die Erhebung der Abgaben immer durch Stimmenmehrheit entscheiden zu lassen, was die von den Brüdern Czartoryski eingeführten neuen Gesetze eher durch Vermeidung der Einstimmigkeit in solchen Fällen, als durch gänzliche Abschaffung derselben bewirken wollten. Kaum aber war dieser Plan dem Reichstage vorgelegt worden, als sich von allen Seiten ein heftiger Widerstand erhob; selbst die Zuschauer auf den Bühnen stießen einen Schrei des Unwillens aus, und mehre Landboten erklärten sich gegen den König, dem sie früher ergeben zu sein schienen. Der unglückliche König wurde so heftig ergriffen, daß er aus dem Throne in Ohnmacht fiel und mehre Tage krank war, während er bitter bereute, nach nach der Krone gestrebt zu haben.

 

Als der Fürst Repnin seinen Zweck erreicht hatte, erklärte er, daß der russische Hof nie eine Vermehrung des polnischen Heeres, oder die Einführung einer neuen Abgabe zugeben würde, und daß die Annahme solcher Entwürfe auf dem Reichstage einer Kriegserklärung gleich geachtet werden sollte. Er verlangte im Namen des Kaiserin, daß alle neuen Gesetze klar erläutert, und all jene verfänglichen Ausdrücke, durch welche man die gesetzliche Bedingung der Einstimmigkeit bei mehren Angelegenheiten aufzuheben suchte, genau bestimmt werden sollten, so daß dieses Gesetz gegen jeden Versuch, es zu entstellen, gesichert wäre;

 

 

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und endlich foderte er die Auflösung der von den Brüdern Czartoryski gebildeten Conföderation. Diese demüthigenden Foderungen würde Repnin kaum gewagt haben, wenn nicht der Reichstag die National-Unabhängigkeit, durch absichtliche Vernichtung aller Mittel, die sie retten konnten, aufgegeben hätte.

 

Der König suchte sich vergebene wider den Einfluß derselben Macht zu wehren, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, und ihn nun verhinderte, seine Gewalt zu befestigen. Er fand keine Stütze unter dem Volke, dem sein schwankender Charakter kein Vertrauen eingeflößt hatte. Der russische Gesandte erhielt indeß von der Kaiserin den Befehl, seine Foderungen zu Gunsten der Dissidenten herabzustimmen, während er sich mit dem Bischofe von Krakau über die Abschaffung der von den Fürsten Czartoryski eingeführten Verbesserungen zu vereinigen suchte. Er ließ durch Podoski dem Bischofe Soltyk den Plan zu einer Verständigung über die Glaubensangelegenheiten vorlegen, und es wurde die Uebereinkunft geschlossen, daß die Dissidenten zu einigen Stellen in den Provinzen zugelassen, und zwei aus jeder der drei Provinzen, Groß-Polen, Klein-Polen und Lithauen, als Abgeordnete zu dem höchsten Landesgerichte gewählt werden könnten.

 

Die Angelegenheiten, die den Frieden des Landes störten, schienen einer Ausgleichung nahe zu sein, als neue Befehle von Petersburg alle Erwartungen vereitelten. Katharina war unwillig über die von dem Könige bei der Eröffnung des Reichstags gefaßten kühnen Entschlüsse, und wollte ihn ihre Macht fühlen lassen. Friedrich II., gleichfalls gereizt gegen den König, der es versucht hatte, sich von fremdem Einflusse zu befreien, stellte der Kaiserin vor, daß es nicht hinlänglich sein würde, Glaubensfreiheit für alle Parteien einzuführen, sondern daß auch dem nichtkatholischen Adel völlige Rechtsgleichheit zurückgegeben werden müßte. Katharina war zu jener Zeit von aller Besorgniß frei, in einen Krieg mit den Türken verwickelt zu werden, der die Zurückziehung ihres Heeres aus Polen dringend nothwendig gemacht haben würde, da die türkische Regierung, zu sehr beschäftigt, die durch ein Erdbeben in Constantinopel aufgeregte Unzufriedenheit eines fanatischen Pöbels zu stillen, auf ihre Interessen im Auslande nicht die gehörige Aufmerksamkeit wendete, und die Angelegenheiten Polens einige Zeit aufgab.

 

Die Kaiserin übergab dem Abgeordneten der polnischen Dissidenten ein von ihr und ihren vornehmsten Ministern unterzeichnetes Versprechen, daß jene durch ein Heer von 40,000 Mann unterstützt werden sollten, wenn sie sich anstrengten, durch Bildung einer Conföderation und durch Gewaltmittel zu erlangen, was die Republik ihnen verweigerte.

 

 

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Sie gab zugleich dem Fürsten Repnin den Befehl, in den Foderungen zu Gunsten der Dissidenten keine Veränderung zuzulassen. Der Gesandte verlangte eine öffentliche Audienz vor dem Reichstage, und legte eine Denkschrift vor, welche die Ansprüche der Dissidenten aufstellte. Es wurde in dieser Schrift hinzugefügt, daß die beharrliche Weigerung, ihnen Gerechtigkeit zu gewähren, den Vertrag, der sie mit dem übrigen Theile des Volkes verknüpfte, zerreißen, und ihnen mit ihrer natürlichen Freiheit das Befugniß zurückgeben würde, sich an die Menschheit zu wenden, und unter den Nachbarvölkern Richter, Verbündete und Beschützer zu suchen — eine überfreisinnige Lehre, die sich seltsam im Munde des Gesandten einer despotischen Macht ausnahm. Der preußische Gesandte empfahl dem Reichstage gleichfalls diese Angelegenheit, doch minder nachdrücklich, und wie man behauptet, hat er, während er die Ansprüche der Dissidenten offen vertheidigte, den Bischöfen und ihren eifrigsten Anhängern die heimliche Versicherung gegeben, daß ihre Weigerung seinen König nicht beleidigen würde *). Der englische Gesandte, Wroughton, und der dänische, St. Saphorin, übergaben Noten von gleichem Inhalte, doch in gemäßigteren Ausdrücken. Der päpstliche Nuntius Visconti hielt im November vor dem versammelten Reichstage einen beredten Vortrag, in welchem er heftig gegen den Plan, den nichtkatholischen Unterthanen gleiche Rechte mit den Katholiken zu bewilligen, und gegen die Rückkehr der unglücklichen Zeit Siegmund August’s sprach, und die Besorgniß äußerte, daß die Dissidenten, wenn sie eine solche Bewilligung erhielten, bei ihrer Geschicklichkeit, Erfahrung und überlegenen politischen Einsicht, sich durch den Senat den Weg zum Throne bahnen könnten. Er schloß mit der Ermahnung, allen nichtkatholischen Parteien die freie Ausübung des Glaubens zu nehmen, weil eine solche Glaubensfreiheit an sich eine der römisch-katholischen Kirche zugefügte Beleidigung, und eine Verletzung ihrer Gesetze wäre. Seine Rede wurde mit großer Begeisterung aufgenommen, ungeachtet sie das Volk durch die ungereimte Behauptung beleidigte, daß die kleine protestantische Minderheit, wenn sie Rechtsgleichheit erlangte, bei ihrer höheren Einsicht die Gesammtheit ihrer katholischen Landsleute überflügeln würde. Auch der Papst richtete ein Schreiben an den Erzbischof von Gnesen, und empfahl ihm, den Dissidenten nicht nur jedes Zugeständniß zu verweigern, sondern auch die Glaubensfreiheit, die sie noch besäßen, enger zu beschränken.

 

Der König berief die Bischöfe und gab ihnen den Auftrag, in

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*) Rulhière a. a. O. Bd. 2., S. 341.

 

 

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regelmäßigen Zusammenkünften die Beschwerden der Dissidenten, und die Verletzungen der ihnen bewilligten Duldung zu untersuchen. Er benutzte diese Angelegenheit als ein Mittel, sich für den Widerstand zu rächen, den Soltyk den Beschränkungen des Veto entgegengesetzt hatte, und dadurch der Aufhebung der neuen Verbesserungen entgegen zu arbeiten. Wenn nun Mitglieder der Widerstandspartei auf die Abschaffung der neuen Gesetze antrugen, suchten die Anhänger des Hofes die Aufmerksamkeit des Reichstags abzulenken, indem sie die Ansprüche der Protestanten zur Sprache brachten, und bei der ersten unruhigen Bewegung, die ein solcher Antrag hervorrief, hob der König die Sitzung auf. Der Hof schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß, wenn auf diese Weise Zeit gewonnen werden könnte, der Reichstag zu Ende gehen würde, ohne zu der Abschaffung der neuen Gesetze kommen zu können. Dieser Kunstgriff gelang jedoch nicht; das Volk, das seine Freiheiten liebte, und vor allen Dingen eine despotische Gewalt auf dem Throne fürchtete, ward erbittert durch die List, womit der Hof die neuen Gesetze zu vertheidigen suchte, und einige fanatische Freunde der Freiheit machten Entwürfe von der gewaltsamsten Art. Zwei Edelleute, Zakrzewski und Tressenberg, die eifrigsten unter ihnen, vereinigten sich mit sechs anderen zu dem Anschlage, den König und diejenigen Senatoren, die sie für seine Anhänger hielten, bei der ersten unruhigen Bewegung auf dem Reichstage zu ermorden.

 

Die Gesandten Rußlands und Preußens drangen indeß heftig auf die Erläuterung der das Veto beschränkenden Gesetze, und auf die Trennung der allgemeinen Conföderation der Fürsten Czartoryski, und gestatteten dem Reichstage nur vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Der preußische Gesandte fügte hinzu, daß bei längerer Verzögerung 12,000 Preußen in das polnische Gebiet rücken würden. In der nächsten Sitzung des Reichstags erschien ein russischer Oberst und erklärte, daß wenn lange Vorstellungen nichts bewirkten, zwei Zeilen hinlänglich sein würden, alles zu erlangen. In dem Augenblicke aber, als der Reichstag über diesen Gegenstand die Berathung beginnen wollte, las der Kron-Großkanzler die auf die Dissidenten sich beziehenden Entwürfe vor, einen, den der Bischof von Krakau bei der Eröffnung des Reichstages vorgelegt hatte, und einen andern im entgegengesetzten Sinne, der ihnen günstig war. Dies erregte einen allgemeinen Lärm, und mit Iautem Geschrei wurde die Unterzeichnung des Entwurfes verlangt, der alle Glaubensvorrechte sicherte, und mit der Strafe des Hochverrathes alle bedrohte, welche den Schutz des Auslandes suchen würden. Als der Bischof von Krakau sah, daß der Hof die Aufmerksamkeit der

 

 

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Menge abzulenken gewußt hatte, und mittelst der Glaubensangelegenheit die Abschaffung der neuen Gesetze zu vereiteln wünschte, schwieg er still, ungeachtet man ihm vorwarf, daß er sich zu Rußlands Absichten hinneige. Bei dem immer zunehmenden Lärm entschloß sich der König, die Sitzung aufzuheben, und rief wie es üblich war, die Minister zu dem Throne. Es ward auf einen Augenblick ruhig, als aber der Kron-Großkanzler zu der, bei einer Vertagung gewöhnlichen Förmlichkeit schreiten wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm. Mehre Senatoren, die Landboten, und selbst die Zuschauer maßten sich an, dem Vorrechte des Königs zu widersprechen. Alle schrien: „Wir geben es nicht zu! Es ist nicht erlaubt!” und unter dem Lärme riefen einige Stimmen: „Tödtet! Mordet!’" Erschreckt durch solche Drohungen, suchte der König Zuflucht in dem Gedränge, das den Thron umgab, und eilte aus dem Saale. Die Widerstandspartei versuchte es gegen alle eingeführten Formen, die Sitzung fortzusetzen, und foderte den Erzbischof von Gnesen auf, den Vorsitz zu übernehmen, indem sie sagte, daß der Thron, wie er jetzt besetzt wäre, für erledigt gehalten werden könnte. Der Erzbischof, der sich gegen eine so gesetzwidrige Handlung weigerte, wurde mit Schmähungen überhäuft, und die Versammlung trennte sich mit Drohungen und Verwünschungen. Die Gesandten Rußlands und Preußens machten dem Könige heftige Vorwürfe über die von ihm angewendete List, die Wiederherstellung des Veto im seiner alten Gestalt zu verhindern, und drohten ihm mit der persönlichen Rache ihrer Höfe, wenn er sich länger weigern wollte, in ihre Absichten einzugehen.

 

Als nun die Fürsten Czartoryski sahen, daß Gefahr drohte, und daß es vergeblich war, die von ihnen eingeführten Verbesserungen gegen die ungestümen Angriffe der von den beiden Gesandten unterstützten Mehrheit des Volkes zu vertheidigen, entschlossen sie sich, auf die Aufhebung derselben anzutragen. August Czartoryski überreichte selbst die Foderungen Preußens und Rußlands, und das Veto ward in seinem alten Umfange wieder hergestellt, zur großen Freude der verblendeten Menge, die über ihre-Befreiung von einer vermeinten Willkürherrschaft jubelte, während sie das wirkliche Joch vergaß, unter welches eine fremde Macht sie beugte.

 

Zwei Tage nachher suchten die Bischöfe den beiden Gesandten zu beweisen, daß nie eine Uebereinkunft mit einer fremden Macht in Beziehung auf die Dissidenten wäre geschlossen worden, aber Soltyk erklärte sich bereit, den Dissidenten zu bewilligen, daß ihre Angelegenheiten von den weltlichen Gerichten beurtheilt werden sollten, daß sie in allen Theilen des Landes in ihren Häusern ihren Gottesdienst halten

 

 

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und ihren Glauben lehren dürften, und daß sie in die neuen Kriegsschulen als Zöglinge und als Lehrer eintreten könnten, weil sie immer fähig gewesen wären, alle militärischen Grade zu erlangen. Diese Bewilligungen wurden von dem Reichstage genehmigt, von den Dissidenten aber verworfen, welche erklärten, daß sie lieber ganz unterdrückt, als halb erhoben sein wollten, und wir glauben nicht, daß ihre Beschützer ihnen erlaubt haben würden, jene Zugeständnisse anzunehmen.

 

Als der Reichstag von 1766 in seiner Verblendung die einzigen Mittel vernichtet hatte, eine Widerstandskraft gegen die Einmischung fremder Mächte hervorzurufen, konnte er diese Mächte durch die Abweisung ihrer Foderungen zu Gunsten der Dissidenten nicht einschüchtern. Rußland und Preußen schlossen im Januar 1767 einen Vertrag, worin sie sich verpflichteten, den polnischen Dissidenten all ihre alten Rechte und Freiheiten wieder zu verschaffen, und sie verkündigten ihre Absicht in besonderen Denkschriften. Die Dissidenten, von Rußland aufgereizt, bildeten Conföderationen, um ihre Rechte mit Gewalt zu erlangen, eine in Thorn für Groß-Polen und Klein-Polen unter dem Marschall Goltz, einem Lutheraner, die andere zu Sluck, für die protestantischen Dissidenten und die Griechen in Lithauen, unter dem Marschall Grabowski, einem Reformirten. Sie veröffentlichten Denkschriften, worin sie ihre Beschwerden niederlegten, aber betheuerten, daß sie eine feindliche Absicht gegen die katholische Kirche hegten, deren gemäßigte Anhänger sie einluden, sich mit ihren Bemühungen zur Wiederherstellung ihrer alten Rechte zu vereinigen, und baten zugleich um den Schutz Rußlands, Preußens, Englands, Schwedens und Dänemarks. Jene Conföderationen, die unter dem Schutze russischer Streitkräfte gebildet wurden, bestanden aus Protestanten und dem griechischen Bischofe von Mohilew, da es in Polen keine, der alten morgenländischen Kirche angehörenden Edelleute mehr gab, wiewohl man unter den Bauern viele Anhänger derselben fand. Beide zählten nicht mehr als fünfhundertdreiundsiebzig Mitglieder, und viele Protestanten mißbilligten laut solche gewaltsame Maßregeln, und sagten, die Sicherheit des Landes wäre das erste Gesetz, und es würde weit besser sein, Mißbräuche zu dulden, die im Laufe der Zeit eine gesetzliche Kraft erlangt hätten, und die Ungerechtigkeit der eigenen Landeleute zu ertragen, als den Staat Bewegungen auszusetzen, die seiner Unabhängigkeit Gefahr drohen könnten. Sie waren jedoch nicht im Stande zurückzutreten, und viele wurden durch die russischen Soldaten gezwungen, sich jenen Conföderationen anzuschließen, was besonders bei den Städten in Polnisch-Preußen der Fall war. Man schickte Abgeordnete

 

 

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an den König, der sie aber anfänglich nicht vor sich lassen wollte, indem er behauptete, die protestantischen Edelleute wären nicht berechtigt, Conföderationen zu bilden; endlich aber bewilligte er ihnen Gehör, doch nur als Abgeordneten der Protestanten. Als sie vor dem Könige erschienen, rechtfertigten sie den Schritt, sich an fremde Mächte zu wenden, mit dem von dem Könige selbst gegebenen Beispiele, und auf eine solche Rechtfertigung ließ sich nichts erwidern. Sie wendeten sich dann zu den Großen, die den Thron umgaben, flehten sie als Brüder, als Kinder eines Landes um ihren Beistand an, und baten, einen außerordentlichen Reichstag zu berufen, der ihnen ihre alten Rechte wiedergeben sollte.

 

Der König beschloß, die Angelegenheit der Dissidenten von dem gesammten Senate untersuchen zu lassen, aber weder eine solche Versammlung, noch auch ein Reichstag, wenn man ihn berufen hätte, besaß die Macht, den angebrachten Beschwerden abzuhelfen, da die Mehrheit des Volkes überzeugt war, daß die Einmischung Rußlands bloß den Protestanten und ihren Conföderationen zugeschrieben werden müßte. Ein mit den Interessen der Protestanten nicht verbundener Umstand unterstützte ihre Sache. Angetrieben durch Haß gegen den König und durch die Hoffnung, ihn zu entthronen, wußte Podoski alle Mißvergnügten gegen ihn zu vereinigen, und er bildete eine allgemeine Conföderation, deren Zweck war, in die Landesverfassung Verordnungen aufzunehmen, die den Freiheiten des polnischen Adels angemessener wären, als die von den Brüdern Czartoryski eingeführten Anordnungen. Katharina schickte frische Kriegsvölker nach Polen, und erließ Bekanntmachungen, worin sie ihre zärtliche Sorgfalt für Polen und ihr Bedauern darüber aussprach, daß sie ihren Truppen den Befehl zum Vorrücken geben müßte, um die streitenden Parteien im Lande abzuhalten, sich zu bekämpfen, und sie setzte hinzu, daß sie dazu nicht bloß durch den Inhalt der bestehenden Verträge, sondern selbst durch die heiligen Pflichten der Menschlichkeit gezwungen wäre. Sie gab zugleich die feierlichsten Betheuerungen, daß sie keinen Anspruch auf das Gebiet Polens machen wollte, dessen Unversehrtheit sie gewährleistet hätte. Auch der König von Preußen empfahl die Berufung eines außerordentlichen Reichstages, um eine allgemeine Friedenstiftung herbeizuführen. Podoski durchreiste das Land und suchte überall die Unzufriedenen aufzuregen, was ihm auch so gut gelang, daß selbst diejenigen, die immer mißtrauisch gegen Rußland waren, sich verleiten ließen, an Katharina’s bestimmte Versprechungen zu glauben. Der Haß gegen die Fürsten Czartoryski, und die Hoffnung, ihre Anhänger zu demüthigen

 

 

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und den König vom Throne zu stürzen, verlockten den größten Theil des Volkes, und wiewohl weder Katharina’s Erklärung, noch das Schreiben ihres Ministers Panin auf Poniatowski’s Entthronung hindeutete, so versicherte doch Podoski in Repnin’s Namen, daß diese Maßregel beschlossen wäre. Repnin ließ die angesehensten Edelleute einladen, und sie kamen nach Warschau in der Hoffnung, mit ihm die Mittel zur Entthronung des Königs zu verabreden, welcher, bei dem Volke nicht beliebt, ohne Truppen, ohne Kriegsvölker und ohne Geld, von allen verlassen wurde. Die Edelleute sahen nach ihrer Ankunst mit großem Schrecken die herrische Gewalt, die Repnin sich in ihren Versammlungen anmaßte, da er sie zu bloßen Nullen herabzuwürdigen wünschte und sie zur Unterzeichnung von Erklärungen drängte, die ihren Ansichten entgegen waren. Ihre Verblendung aber war noch immer so groß, daß sie glaubten, Repnin hätte sich von dem Könige bestechen lassen und handelte gegen den Willen der Kaiserin, deren feierlichen Betheuerungen sie nicht mißtrauen wollten. Der Gesandte, durch ihren Widerstand gereizt, erklärte ihnen, daß keiner von ihnen Warschau verIassen sollte, bis alles abgeschlossen wäre.

 

Eine allgemeine Conföderation besaß, nach den alten polnischen Gesetzen, eine Art von dictatorischer Gewalt, und daher glaubten viele, daß sie, da einmal eine so furchtbare Macht befestigt wäre, im Stande sein würden, sich von Rußlands Einfluß zu befreien und ihre Entwürfe auszuführen. Von diesem Gedanken beherrscht, gingen sie leicht über die vielen Schwierigkeiten hinweg, die sich der Erreichung ihres großen Zweckes entgegensetzten. Ihre Hoffnungen wurden erhöht durch einen Befehl von Petersburg, der verfügte, daß die Wahl des Fürsten Karl Radziwill zum Marschall der beabsichtigten Conföderation befördert werden sollte. Radziwill, der einen ungemeinen Einfluß in Lithauen besaß, war wegen seines Widerstandes gegen Poniatowski’s Wahl, durch die russischen Soldaten aus dem Lande vertrieben worden, und dieses veränderte Benehmen mußte daher jedermann überzeugen, daß Katharina die Entthronung des Königs beschlossen hatte. Die unzufriedenen Edelleute reisten nach verschiedenen Gegenden des Landes, um einzelne Conföderationen zu bilden, die gleichzeitig am 2. Mai 1766 bekannt gemacht wurden, und später zu Radom sich zu einer allgemeinen vereinigten.

 

Radziwill kam nach Polen zurück und wurde zum Marschall der Conföderation von Radom erwählt. Der König sah sich dadurch in die schwierigste Lage versetzt, und es blieb ihm, um sich auf dem Throne zu erhalten, kein anderes Mittel übrig, als sich gänzlich dem Willen

 

 

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des russischen Gesandten zu unterwerfen, welcher nach der Erreichung dieses Zweckes sich plötzlich gegen die Conföderation wendete. Die Stadt Radom, wo sich die Häupter derselben versammelt hatten, wurde - von russischen Kriegsvölkern umringt, und Repnin legte den Conföderirten zur Unterzeichnung eine Bekanntmachung vor, welche, statt die Erledigung des Thrones oder die Annahme neuer Anordnungen zu verkündigen, wie man erwartet hatte, bestimmte, daß dem Könige, der zum Beitritte zu der Conföderation eingeladen wurde, ein Eid der Treue geleistet, die Foderung der Dissidenten anerkannt, und eine Zuschrift an die Kaiserin erlassen werden sollte, um sie zu bitten, das neue Gesetz zu gewährleisten, wodurch sie das Recht, sich in die Angelegenheiten PoIens einzumischen, und eine fast unbeschränkte Gewalt erhalten haben würde. Dieser Antrag rief eine große Bewegung hervor. Die Mitglieder der Versammlung suchten anfänglich sich zu entfernen, wurden aber durch die russischen Soldaten gehindert, die Stadt zu verlassen, und als sie versuchten, die von Rußland gefoderten Bedingungen zu verändern, und die Gewährleistung der Kaiserin und ihrer Nachfolger auf die Rechte der Dissidenten zu beschränken, besetzte der russische Befehlshaber, Oberst Carr, das Haus, wo die Versammlung gehalten wurde, mit Soldaten, ließ Geschütz auffahren, Kanoniere mit brennenden Lunten sich aufstellen, und zwang die Versammlung, die vom Repnin überschickte Bekanntmachung zu unterzeichnen. Von den versammelten hundertundachtundsiebzig Marschällen oder Häuptern der kleineren Conföderationen, unterzeichneten nur sechs die Urkunde unbedingt, die übrigen aber mit verschiedenen Einschränkungen.

 

Nach dem Tode des Erzbischofs von Gnesen Lubienski wurde Podoski auf Befehl des russischen Gesandten zum Nachfolger desselben ernannt *), und war nun das Haupt der polnischen Geistlichkeit, welche Soltyk bei der Alterschwäche und Kränklichkeit Lubienski’s geleitet hatte, ein Umstand, der einen großen Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten ausübte.

 

Wir können nicht in alle Ränke eingehen, die Rußland spielte, um die Conföderation, trotz der gewaltthätigen Behandlung ihrer Häupter, zu berücken. Repnin theilte anscheinend den Wunsch der Conföderation, einen Reichstag zu berufen, der die neuen Gesetze, die ihr Zweck waren, genehmigen sollte, und die Anführer, die kein anderes

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*) Nach Rulhière suchte Podoski diese Würde nicht aus persönlichem Ehrgeize, von welchem er gänzlich frei war, sondern um seinen großen Plan auszuführen, einen sächsischen Prinzen auf den Thron zu setzen.

 

 

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Mittel sahen, der russischen Bedrückung zu widerstehen, boten alles auf, ihre Zahl zu vermehren. Auch Soltyk gab seine Zustimmung mit der Erklärung, daß er nicht den Wunsch hegte, sich, bei einer solchen Gelegenheit von dem übrigen Volke abzusondern, und er fügte hinzu, er würde sich denjenigen Foderungen der Dissidenten widersetzen, deren Bewilligung seine Würde als katholischer Bischof und das Interesse seiner Kirche ihm nicht gestatteten, aber als Senator und als Bischof jedes billige Verlangen nicht nur genehmigen, sondern auch unterstützen, da er in seiner Eigenschaft als Bischof sich verpflichtet glaubte, dem Staate und der Christenheit ein Beispiel zu geben. Es gelang Repnin’s Bemühungen, den Sitz der Conföderation von Radom nach Warschau zu verlegen; aber ihr Marschall Radziwill, obgleich scheinbar das Haupt des Volkes, wurde von den Russen scharf beobachtet, weil sie seine Absicht durchschaut hatten, sich aus einer Lage zu befreien, die er mit Recht für eine Gefangenschaft hielt.

 

Das Gerücht von den in Radom verübten Gewaltthaten setzte das ganze Land in Bestürzung. Die Priester sprachen auf den Kanzeln gegen die Dissidenten, und das Volk wurde von ihnen aufgefodert, die Kirche gegen einen Angriff zu vertheidigen. Viele aber erkannten, daß die eigentliche Gefahr, die das Land bedrohte, die Rußland gegebene willkürliche Gewalt war, die unter dem Vorwande einer Gewährleistung der neuen Gesetze, welche man Polen auflegen wollte, ausgeübt werden konnte, um eine wahre Schutzherrschaft über das Land zu erlangen. Diese Erwägung bewog viele edelgesinnte Männer bei den Wahlen für den neuen Reichstag als Bewerber aufzutreten, um den verkehrten Maßregeln entgegen zu wirken, zu welchen viele Edelleute sich durch die allgemeine Conföderation unvorsichtig hatten verleiten lassen. Viele dieser Vaterlandsfreunde konnten jedoch nicht gewählt werden, da das Land mit russischen Soldaten überschwemmt war, welche die Güter und Wohnungen der Gegner Rußlands verheerten, die Wahlorte besetzten, die Wähler durch Gewaltthätigkeiten aller Art zwangen, Landboten zu ernennen, die Rußlands Absichten begünstigten. Die südlichen Landestheile, die an das türkische Gebiet gränzten, waren fast die einzigen, die einer so groben Verletzung der Volksunabhängigkeit einigen Widerstand leisteten, da die russischen Kriegsvölker es vermieden, sich den Gränzen der Türkei zu nähern, mit welcher Katharina in Frieden zu bleiben wünschte.

 

Soltyk, dessen Güter und Schlösser auf Repnin’s Befehl verheert und geplündert wurden, zeigte große Mäßigung, und bewog mehre Bischöfe, duldsame Gesinnungen gegen die Dissidenten anzunehmen. Er

 

 

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versuchte es, ein Einverständniß ‚mit den Abgeordneten der Protestanten zur Abwehr alles fremden Einflusses zu stiften, und da sie seinen Wünschen entgegen kamen, hielt er häufige Besprechungen mit ihnen, um diese wichtige Angelegenheit freundlich auszugleichen. Glücklich für beide Theile, wenn man auf diese Weise eine Uebereinkunft hätte schließen können; es würde weit besser für die Protestanten gewesen sein, mäßige Zugeständnisse von dem freien Willen ihrer Landsleute zu erhalten, als eine volle Rechtsgleichheit, durch die unrechtmäßige Einmischung einer fremden Macht, ihren Gegnern zu entreißen. Repnin, der bemerkte, daß sich die Protestanten ihren katholischen Mitbürgern näherten, trat mit seiner Gewalt dazwischen, und als die Abgeordneten der Dissidenten eines Tages im Begriffe waren, der Einladung zu einem Mittagsmahle bei dem Bischofe von Krakau zu folgen, verbot er es ihnen, und überhäufte beide Theile mit Beleidigungen und Kränkungen, indem er behauptete, daß Soltyk seine Gäste vergiften wollte. Dieser Umstand zeigt, zu welcher Entwürdigung Rußlands Schutz führte, und welcher Sklaverei diejenigen sich unterwerfen mußten, die so unglücklich waren, unter diesen Schutz zu gerathen.

 

Soltyk ertrug diese unwürdige Behandlung mit großer Ruhe, und sein ganzes politisches Sytem bestand zu jener Zeit darin, einen duldenden Widerstand gegen Repnin’s Tyrannei zu zeigen. Er wünschte, daß alle angesehene Männer sich in Warschau versammeln möchten, und glaubte, wenn sie den festen Entschluß offenbarten, eher alles andere, als Zugeständnisse zu machen, welche die Interessen und die Würde des Landes verletzten, würde Katharina, eifersüchtig auf ihren Ruhm, Entwürfe aufgeben, die nicht ohne tyrannische Mittel ausgeführt werden konnten. Auch meinte er mit vielen andern, daß die katholischen Mächte, zumal Oestreich, sich gegen die tyrannische Herrschaft erklären würden, die Rußland über Polen sich anmaßte; in der That schien eine gesunde Politik einen solchen Schritt von Oestreich zu fodern, und überdies war es bekannt, daß Frankreich Feinde gegen Rußland aufzuregen suchte. Aber wehe einem Volke, das seine Unabhängigkeit auf eine andere Unterstützung als seine eigene Thatkraft und Stärke baut! Die katholischen Mächte zeigten keine Anstrengung, um Polen von Rußlands Unterdrückung zu befreien, und slatt dieser Macht sich zu widersetzen, wurde Oestreich bald ihr mitschuldiger Theilnehmer bei der Beraubung Polens. Katharina ließ sich auch durch jene edlen Gefühle, die Soltyk ihr zuschrieb, nicht abhalten, die schreiendsten Gewaltthaten zu begehen, von welchen er selbst ein Opfer ward.

 

Ein anderes Mitglied des polnischen Geistlichkeit, gleichfalls bestimmt,

Krasinski.

 

 

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eine Rolle in jener unruhigen Zeit zu spielen, der Bischof von Kamieniec, Adam Krasinski, erkannte Soltyk’s falsche Politik, und antwortete ihm auf die Einladung, den Reichstag in Warschau zu besuchen: „Es ist unmöglich, die Russen anders als durch Waffengewalt zu bändigen. Sie werden mit Ihrem überlegenen Geiste die Russen nicht überzeugen, daß sie eine falsche Politik befolgen, und durch Ihre Festigkeit ihnen nicht Ehrfurcht einflößen. Sie werden jenen tugendhaften römischen Senatoren gleichen, die in ihren Purpurgewändern die einbrechenden Barbaren mit ruhiger Würde empfingen. Ich zittere vor dem Schicksale, das Sie sich bereiten. Glauben Sie, daß ich nur zu einem Märtyrer tauge, so bin ich bereit, mit Ihnen mich zu vereinigen; kann ich aber meinem Vaterlande nützlicher dienen, so muß ich mein Leben erhalten.” Krasinski begab sich auf seine Güter an der türkischen Gränze und trat in einen lebhaften Verkehr mit der Pforte, die Rußlands Verfahren in Polen argwöhnisch beobachtete und nachdrückliche Vorstellungen in Petersburg machte. Er war zu gleicher Zeit bemüht, seine Landsleute von der Nothwendigkeit zu überzeugen, sich zu einem bewaffneten Widerstande gegen Rußland zu rüsten, dem einzigen Mittel, das Land zu befreien.

 

Der neue Erzbischof von Gnesen, Podoski, glaubte ‚ daß Polen, durch Parteien getrennt und von russischen Kriegsvölkern besetzt, nicht die Mittel zum Widerstande hätte, und daß es nichts besseres thun könnte, als sich den Gesetzen unterwerfen, die man ihm auflegen wollte, und eine friedliche und ruhige Zeit erwarten, wo günstige Umstände das Volk in Stand setzten, von der unwilllommenen Schutzherrschaft sich zu befreien und seine Staatseinrichtungen zu verbessern.

 

Einige Tage vor der Eröffnung des Reichstages versammelte Repnin die Bischöfe, und erklärte ihnen entschieden, daß die Foderungen der Dissidenten vollständig gewährt werden müßten, da alle europäischen Mächte sich über diesen Punct vereinigt hätten, und daß die Ehre der Kaiserin bei dieser Angelegenheit betheiligt wäre. Er schloß mit der unbeantwortlichen Bemerkung: „Ich fühle, daß ein Pole sich darüber beklagen muß, auf diese Art gezwungen zu werden, und daß die Polen entweder, wenn sie können, die Russen vertreiben, oder, wenn sie es nicht können, sich mir fügen müssen, aber wer Widerstand leistet, wird Ursache haben, es zu bereuen.” Diese beleidigende Anrede hatten die Bischöfe reichlich verdient durch den Beistand, den sie dem Gesandten im Jahre 1766 auf dem Reichstage leisteten, indem sie sich der Vermehrung des Heeres widersetzten, und die sogenannte dictatorische Gewalt der Conföderation vernichteten.

 

 

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Bei der Eröffnung des Reichstages, am 8. October 1767, ward ein neuer und beispielloser Antrag im Namen des Fürsten Karl Radziwill vorgelegt, der zu jener Zeit von den Russen als ein Gefangener bewacht ward. Es hieß darin: „Die Freundschaft der Kaiserin und das Bündniß mit ihrer Krone sind die einzigen Hilfsmittel, von welchen die Republit Polen die Erhaltung ihrer Freiheiten erwarten kann. Es ist nothwendig, eine aus Abgeordneten des Senats und des Ritterstandes zusammengesetzte Commission zu ernennen, und ihr den Auftrag zu geben, eine gute Regierungsform einzuführen. Diese Commission muß alle Mißbräuche, untersuchen, die sich in die Republik eingeschlichen haben, und sowohl die Abgeordneten der Dissidenten, als die fremden Gesandten unter ihre Mitglieder aufnehmen, und ihnen Antheil an den Berathungen über das Wohl der Republik gewähren; sie muß volle Ermächtigung erhalten, alle Anordnungen, die sie hinsichtlich der Glaubensangelegenheiten, der Regierungsform, der Gesetzgebung, der Landesgränzen, für angemessen erachtet, zu entwerfen, zu beschließen und zu unterzeichnen; alle von ihr ausgegangenen Beschlüsse über jene Puncte müssen als ein zwischen Polen und Rußland geschlossener Vertrag, und als Grundgesetz des polnischen Volkes betrachtet werden, und dieser Vertrag muß, sobald die Kaiserin ihn genehmigt hat, von dem Reichstage ohne Prüfung oder Erörterung bestätigt werden.” So wurden die Foderungen der Dissidenten als ein Theil eines Entwurfes dargestellt, der nichts als eine gesetzlich bestätigte Unterwerfung des Landes unter Rußlands Schutzherrschaft, und eine vorläufige unbedingte Anerkennung der Gesetze war, welche diese Macht vorschreiben wollte. Es war in der That unmöglich, an sich gerechte Ansprüche mit Foderungen zu vereinigen, die so empörend ungerecht, oder für die Würde und Unabhängigkeit des Volkes so nachtheilig gewesen wären.

 

Soltyk beantwortete diesen Antrag mit einer würdevollen und gemäßigten Rede. „Die Mitglieder des Reichstages”, sagte er, „sind nicht berechtigt, ihre Vollmacht andern zu übertragen, da sie gewählt wurden, selber zu urtheilen und zu beschließen. Ich will mich der Ernennung der Commission nicht entgegenstellen, vorausgesetzt, daß sie den Auftrag erhalte, nur einen Bericht über die vorgeschlagenen Gesetze an den Reichstag zu erstatten, der allein berechtigt ist, in solchen Angelegenheiten zu entscheiden. Aber ich fühle, es ist ein sehr gefährlicher Plan, einer Commissten die höchste Gewalt über Staatsangelegenheiten anzuvertrauen und keine Abhilfe offen zu lassen, wenn sie das ihr bewiesene Vertrauen verletzen sollte. Ich erkläre mich gegen den von dem Gesandten Rußlands verlangten Vertrag, weil Verträge

 

 

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gewöhnlich zu einem der beiden Zwecke geschlossen werden, entweder ein Bündniß zu schließen, oder einen Krieg zu endigen, aber keins von beiden kann das Land jetzt beabsichtigen, da es in Frieden mit Rußland ist und die Erklärung der Kaiserin nichts von einem Bündnisse sagt. Was die Angelegenheiten der Dissidenten betrifft, so glaube ich, daß nicht nur in Rücksicht auf den Antheil, den die Kaiserin an dieser Sache nimmt, sondern auch im Gefühle der unverbrüchlichen Pflicht, jedermann Gerechtigkeit zu erweisen, eine Commission ernannt werden und den Auftrag erhalten sollte, die Beschwerden und Foderungen der Dissidenten zu untersuchen, und dem Reichstage Bericht darüber zu erstatten.”

 

Soltyk wurde durch Rzewucki, Palatin von Krakau, beredt unterstützt, und die Sitzung ward an diesem Tage ohne weitere Verhandlungen aufgehoben. Am zweiten Tage las Zaluski, Bischof von Kiew, zwei Schreiben des Papstes an die Bischöfe und den Ritterstand Polens vor, die er ermahnte, die Sache der Religion, wie er es nannte, zu vertheidigen. Nach einigem Widerstande wurde der Beschluß gefaßt, den Antrag zur Ernennung einer Commission zu drucken, und es erfolgte eine Vertagung der Sitzungen auf sechs Tage. In dieser Zwischenzeit überzeugte sich jedermann von der Gefährlichkeit des vorgelegten Planes, und bei der Wiedereröffnung des Reichstages zeigte sich ein kräftiger Widerstand. Als der russische Gesandte sah, daß er seine Entwürfe nicht ohne Gewaltschritte ausführen konnte, entschloß er sich, nach dem Drange der Umstände zu handeln. Warschau wurde mit russischen Kriegsvölkern besetzt, und Soltyk, den man mit Recht als das Haupt der Widerstandspartei betrachtete und mit Rußlands Rache bedrohte, machte sich gefaßt, der Märtyrer der von ihm vertheidigten Sache zu werden. Der preußische Gesandte versuchte es vergebens, ihn zur Nachgiebigkeit zu stimmen, indem er ihm die drohende Gefahr vorstellte und ihn beschwor, sie durch Unterwerfung abzuwenden, da Widerstand unmöglich wäre. Soltyk wurde mit dem Bischofe Zaluski, dem Palatin von Krakau und dessen Sohne, dem Landboten von Podolien, verhaftet, und man führte alle unter einer Bedeckung russischer Soldaten in das Innere Rußlands. Der Bischof von Kamieniec, Adam Krasinski, dem Repnin dasselbe Schicksal bestimmt hatte, erschien nicht in Warschau, wo man ihn erwartet hatte. Diese Verletzung jedes Rechtes und Gesetzes erschreckte den Reichstag, der bereits unter hartem Zwange litt, da keinem Mitgliede erlaubt wurde, Warschau zu verlassen. Widerstand war unmöglich, und es blieb nichts übrig, als die auf der Spitze russischer Bayonette vorgelegten Anträge zu unterzeichnen. Der Reichstag versuchte es, von dem

 

 

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Gesandten zu erlangen, daß die Gewährleistung der Kaiserin sich auf die Grundgesetze des Landes und die den Dissidenten zu gewährenden Bewilligungen beschränken möchte, daß die russischen Kriegsvölker, die das Land überschwemmten und so viele Ausschweifungen sich erlaubten, nicht, Hilfsvölker genannt werden, und die Vollmachten der Commission nicht unbeschränkt sein sollten. Repnin verwarf diese Foderungen und erklärte, daß er jeden, der sich dem Plane zu widersetzen wagte, als einen Feind der Kaiserin betrachten, und als solchen behandeln werde.

 

Der Reichstag empfing diese Nachricht mit stummer Verzweiflung. Die Mitglieder der Commission aus dem Senate wurden vom Könige, die aus der Landbotenkammer von dem Marschall ernannt, und sie bestand aus sechzig Personen, unter dem Vorsitze des Erzbischofs von Gnesen. Sie versammelte sich abwechselnd bei dem russischen Gesandten und dem Erzbischofe. Die Angelegenheit der Dissidenten wurde zuerst in Erwägung gezogen. Bei diesen Berathungen waren, außer dem russischen Gesandten, auch sieben Abgeordnete der Protestanten, und der griechische Bischof von Mohilew zugegen. Die Gesandten Preußens, Benoit, Englands, Wroughton, Dänemarks, St Saphorin, und Schwedens, Baron Duben, der ausdrücklich zu diesem Zwecke abgeschickt wurde, nahmen als Bevollmächtigte der Höfe, welche die Ansprüche der Dissidenten unterstützten, gleichfalls an den Verhandlungen über diesen Gegenstand Theil, nicht aber an andern Angelegenheiten. Nach mehren Sitzungen ward endlich als ein Theil des zwischen Rußland und Polen abgeschlossenen Hauptvertrages ein sogenannter erster abgesonderter Actus unterzeichnet, welcher den protestantischen Dissidenten und den nicht mit dem römischen Stuhle vereinigten Griechen ihre alten, durch die Conföderation von 1573 und durch spätere Conföderationen und Gesetze befestigten Freiheiten und Vorrechte zurückgab, wiewohl hinsichtlich der Glaubensfreiheit nicht unbedingt alle Ungleichheiten aufgehoben wurden *). Der katholische Glaube wird feierlich als der herrschende anerkannt, und durch Bestätigung des Gesetzes von 1669 festgesetzt, daß auf ewige Zeiten nur ein solcher, der entweder von Geburt oder aus Beruf (vocatione) ein Katholik sei, den polnischen Thron besteigen könne, und jeder Pole, der sich erdreisten würde, einen Bewerber von anderem Glauben zu begünstigen, für einen Feind des Vaterlandes und für vogelfrei erklärt. Die Königin soll gleichfalls katholisch sein, und wenn es sich ereignen sollte, daß sie von anderem Glauben wäre, soll sie nicht eher gekrönt werden können, bis sie zur

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*) S. Friese a. a. O. Seite 320 — 403.

 

 

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römisch-katholischen Kirche getreten ist. Die Uebergang von der katholischen Kirche zu irgend einem andern Glauben wird für ein strafbares Verbrechen erklärt, und jeder, der es wagt überzutreten, soll aus dem Gebiete der Republik verbannt werden. Das Jahr 1717, vom 1. Januar an, gilt als Normal-Jahr hinsichtlich der beiden Theilen wegen der Foderungen der Griechen und Protestanten an die Katholiken in Glaubenssachen zu erweisenden Gerechtigkeit, so daß alle älteren Foderungen getilgt werden und niemand gestattet ist, sie unter irgend einem Vorwande wieder aufzuregen. Die in den Jahren 1424 und 1436 gegen die Ketzer gegebenen Verordnungen sollen nicht auf die Griechen und Protestanten angewendet werden. Alle in Conföderationen und Gesetzen seit 1717 enthaltenen, der Rechtsgleichheit und der Glaubensfreiheit der Griechen und protestantischen Dissidenten nachtheiligen Anordnungen, Vorbehalte und Ausnahmen werden aufgehoben. Die den Griechen und Protestanten in Polen und Lithauen gehörenden Kirchen, Schulen, Anstalten und Stiftungen sollen für immer bestehen, und die Wiederherstellung derselben gestattet sein, ohne bei der katholischen Geistlichkeit um Erlaubniß zu bitten. Die an vielen Orten den Dissidenten, gegen die Bestimmungen des Friedens von Oliva widerrechtlich genommenen Kirchen sollen zurückgegeben werden, wenn an solchen Orten noch Dissidenten leben. Die Dissidenten und die nicht mit Rom vereinigten Griechen sollen völlig freie und öffentliche Ausübung ihres Glaubens genießen. Die Kirchen der nichtkatholischen Glaubensparteien dürfen den katholischen nicht näher als zweihundert Ellen gesetzt werden, was auch bei der Erbauung katholischer Kirchen gilt, und nie sollen zwei Processionen oder zwei Leichenbegängnisse an einem Orte gleichzeitig gehalten werden. Den Dissidenten steht es frei, eigene Consistorien zu errichten, und Synoden zur Anordnung der inneren kirchlichen Angelegenheiten zu halten. Sie sind der Gewalt der katholischen geistlichen Gerichte auf keine Weise unterworfen, und die katholische Geistlichkeit soll nirgend von den Dissidenten Stolgebühren fodern dürfen. Die Ehen zwischen Katholiken, nichtvereinigten Griechen und Protestanten sollen ungehindert sein, und von den in einer gemischten Ehe erzeugten Kindern die Söhne in dem väterlichen, die Töchter in dem mütterlichen Glauben erzogen werden, ausgenommen wenn Adelige in dem Ehevertrage etwas anderes ausgemacht haben. Die Trauung wird von dem Geistlichen verrichtet, zu dessen Glauben die Braut gehört, und sollte der Pfarrer einer katholischen Braut die Trauung verweigern, so darf der Geistliche der Dissidenten das Paar trauen. Zur Schlichtung der zwischen den Katholiken und Dissidenten

 

 

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in Beziehung auf Glauben und Kirchenangelegenheiten entstandenen Rechtsstreitigkeiten wird ein gemeinschaftliches oder gemischtes Gericht (judicium mixtum) errichtet, das aus siebzehn Mitgliedern, acht Katholiken und acht Dissidenten oder nichtvereinigten Griechen, und einem Präsidenten besteht, und jährlich sechs Monate in Warschau seine Sitzungen hält. Die protestantischen Dissidenten und die Griechen sollen nach dem Grundsatze, daß Gleichheit unter dem Adel der Grund der polnischen Freiheit ist, zur Erlangung aller Staatsämter, zu den Würden der Senatoren und Minister, zu Gesandtschaften, zu Stellen in den Gerichtshöfen, zur Verwaltung der Starosteien fähig sein, und in den Städten die Bürger von allen christlichen Glaubensbekenntnissen hinsichtlich der Erlangung des Bürgerrechts, der Theilnahme an der städtischen Verwaltung, gleiche Rechte haben. Die Ausübung des Patronatrechts bleibt auch den griechischen und protestantischen Grundherren, doch mit der Bedingung, daß bei der Ernennung zu geistlichen Pfründen das Glaubensbekenntniß jeder Kirchengemeinde beachtet werden muß.

 

Die Commission verfügte ferner, daß Einstimmigkeit bei allen Reichstagsverhandlungen über die Besteuerung, die Vermehrung des Heeres, und selbst die Bestätigung der Verträge mit fremden Mächten, unbedingt erfodert werden sollte, und nur in einigen unbedeutenden Angelegenheiten ward Entscheidung durch Stimmenmehrheit gestattet. Es ward erleichtert, den Reichstag durch den Widerspruch oder das Veto eines einzigen Mitgliedes aufzulösen, und unter der zahlreichen Classe der Edelleute ward allgemeines Stimmrecht eingeführt, durch die Erklärung, daß jeder Edelmann bei Wahlen stimmfähig sein sollte, ein Recht, das früher nur adeligen Gutsbesitzern gebührte. Diese Gesetze, welche die größte Unordnung zur Grundlage der polnischen Verfassung machten, wurden durch den, mit Rußland geschlossenen und am 13/24 Februar 1768 unterzeichneten Vertrag gewährleistet und für unabänderlich erklärt. So gab Polen seine Unabhängigkeit auf, indem es Rußland durch jenen Vertrag das Recht zugestand‚ sich in die inneren Angelegenheiten des Landes zu mischen. Diese schreiende Verletzung des Völkerrechts ward im Jahre 1768 durch den Reichstag genehmigt, welcher aus einer unzureichenden Zahl von Mitgliedern bestand, die unter den Zwange der Commission handelten.

 

Unter solchen traurigen Umständen und unter Bedingungen, die so herabwürdigend für das Land waren, erhielten die Protestanten in Polen ihre alten Rechte und Freiheiten zurück. Es Iäßt sich gar nicht bezweifeln, daß bei den raschen Fortschritten, welche das Volk später in geistiger Bildung machte, die Protestanten nach und nach all ihre alten

 

 

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Rechte wieder erhalten haben würden *). Es kann keinen stärkeren Beweis für den Umfang jenes Fortschreitens, oder für den Edelmuth des Volkscharakters geben, als die wichtige Thatsache, daß ungeachtet der verhaßten Umstände, die mit der Wiederherstellung der alten Rechte der Protestanten verbunden waren, und obgleich die fremden Mächte, welche die Interessen derselben so eifrig verfochten hatten, die Dissidenten aufgaben, als es darauf ankam, die Scheinzustimmung des Volkes zu der ersten Beraubung Polens zu erhalten, seitdem zu keiner Zeit irgend eine Verfolgung die Protestanten getroffen hat. Allerdings wurden von den Mitgliedern der Conföderation von Bar Gewaltthätigkeiten gegen die Protestanten verübt, aber sie wurden weder von den Anführern genehmigt, noch waren sie auf nichtkatholische Bürger beschränkt, da auch Katholiken Kränkungen erlitten, wie es unvermeidlich war, weil zuchtlose Scharen gebraucht wurden, unter welchen es viele gab, die VaterIandsliebe zu einem Vorwande machten, ihrer Raubgier zu fröhnen. Die Conföderation von Bar, deren Zweck war, das Land von fremdem Einflusse zu befreien, nahm die Vertheidigung des katholischen Glaubens zu ihrem Losungsworte, aber es geschah nur, weil dies das einzige Mittel war, die Thatkraft des niederen Adels zu einer Zeit aufzuregen, wo das Land in allgemeiner Unwissenheit und Erstarrung lag. Der Urheber der Conföderation, Adam Krasinski, ist nie der Bigotterie beschuldigt worden **).

 

Der unglückliche König Stanislaus Poniatowski versuchte vergebens, die Theilung des Landes und eine Beschränkung der geringen Gewalt, welche die Krone besaß, zu verhüten, indem er die Ernennung eines beständigen Staatsrathes vorschlug, ohne dessen Zustimmung künftig keine wichtige Entscheidung gegeben werden sollte. In der Absicht, sich bei denjenigen beliebt zu machen, die ihn für ein Werkzeug Rußlands hielten, beschuldigte er im Mai 1773 in einer Rede vor dem Reichstage die Dissidenten, daß sie durch ihre Ehrfurcht das Unglück des Landes verschuldet hätten. Er ermahnte den Reichstag, sie aus dem Senate und der Landbotenkammer zu entfernen, und die Strafgesetze gegen den Abfall vom katholischen Glauben zu schärfen. In seinen Gesprächen mit den Senatoren und Landboten

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*) Auch Walch ist dieser Meinung.

**) Walch (Neueste Kirchengeschichte, Band 7. S. 8.) sagt, der Bischof habe sich durch persönlichen Ehrgeiz leiten lassen, und den Plan gehabt, den Prinzen Karl von Sachsen‚ der mit einer Krasinski vermählt war, auf den Thron zu setzen. Rulhière behauptet dagegen, Krasinski sei weder ehrgeizig, noch bigott gewesen.

 

 

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wiederholte er jene Anklagen, die besonders unpassend in dem Munde desjenigen waren, dessen ehrgeiziges Streben nach dem Throne, zu welchem er nicht befähigt war, zu den Hauptursachen der Drangsale gehörte, die er den Dissidenten zur Last legte. Der Reichstag von 1775, der die erste Theilung Polens bekräftigte, schloß trotz der Bemühungen des Königs die Dissidenten nur vom Senat aus, gestattete aber, daß in die Landbotenkammer drei nichtkatholische Edelleute gewählt werden könnten. Das durch den Vertrag von 1768 eingeführte gemeinschaftliche Gericht wurde gleichfalls aufgehoben, und die Verfügung zurückgenommen, daß die Begünstigung eines nichtkatholischen Thronbewerbers als Hochverrath angesehen werden sollte; in allen übrigen Beziehungen aber blieben die Rechte der Dissidenten unverändert *).

 

Als die Protestanten den vollen Genuß ihrer Glaubensfreiheit wieder erlangt hatten, machten sie verschiedene erfolglose Versuche, eine Einigung zwischen den Reformirten und Lutheranern zu schließen, was besonders die zu Lissa 1775 und zu Sielce 1777 gehaltenen Synoden zu bewirken suchten **).

 

Die geistige Bildung des Volkes, die so lange in trauriger Verfinsterung gewesen war, entwickelte sich rasch unter Poniatowski’s Regierung, zumal seit der Auflösung des Jesuiten-Ordens im Jahre 1775. Eine aus den aufgeklärtesten Männern bestehende Commission trug viel zu dieser glücklichen Umwandlung bei, indem sie die Hochschulen zu Krakau und Wilna verbesserte, viele neue Lehranstalten stiftete und die alten Schulen neu einrichtete, während die reichen Güter der Jesuiten zur Beförderung der Volkserziehung bestimmt wurden. Es ist in der That merkwürdig, daß Polen in der kurzen ruhigen Zeit von 1775 bis 1791 größere Fortschritte in den Wissenschaften machte, als während der ganzen Zeit, wo die Jesuiten die Erziehung leiteten. Diese Fortschritte der geistigen Bildung hatten die wohlthätigste Wirkung auf die religiösen Zustände Polens, und der gewissenhafte Eifer der Geistlichkeit, die sich durch aufrichtige Frömmigkeit und Sittenreinheit auszeichnete, hatte den heilsamsten Einfluß auf ihre Gemeinden. Der Gottesdienst ward allmälig von vielen abergläubigen Gebräuchen gereinigt. Der Fortschritt war so schnell, daß die päpstlichen

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*) Wie Walch bestimmt behauptet, hatten Rußland und Preußen vorher beschlossen, die Dissidenten auf dem Reihstage aufzugeben.

**) Vergl. Friese a. a. O. Seite 408 ff. 497 ff. Es geht aus den Verhandlungen hervor, daß Reformirte und Lutheraner die Schuld der Zwietracht teilten. L.

 

 

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Nuntien es nicht wagten, sich einzumischen, und im Laufe weniger Jahre wichen Bigotterie und Fanatismus. den Gefühlen brüderlicher Liebe gegen die Anhänger anderer Glaubensparteien *). Darf man zweifeln, daß Polen, wenn es ruhig auf der Bahn der Verbesserungen weiter hätte gehen können, auch die Kirche umgewandelt haben würde? Der lange Reichstag von 1789 bis 1791, der die neue Landesverfassung gründete, dachte auch an die Verbesserung der polnischen Kirche durch die Einführung einer beständigen National-Synode. Dies würde ein großer Schritt zu einer Grundverbesserung gewesen sein, aber die unglücklichen Ereignisse, die jenem Reichstage folgten, und zur Theilung Polens führten, verhinderten auch diese, wie viele andere Umwandlungen.

 

Es ist sehr merkwürdig, daß jedes Unglück, das Polen traf, besonders schwer auf die Protestanten zu fallen schien, deren Glückszeit mit den glänzendsten Tagen in der Geschichte Polens verbunden war. So hatten die Drangsale, die das Land unter Johann Kasimir’s Regierung trafen, die traurigste Wirkung auf die Schicksale der Protestanten, und der im Jahre 1717 geschlossene Vertrag, welcher der Unabhängigkeit des Landes den ersten Streich versetzte, legte auch der Glaubensfreiheit der Protestanten die erste gesetzliche Beschränkung auf. Die lange Regierung des sächsischen Königshauses, welche durch die Schwächung der Thatkraft des Volkes den Fall Polens bereitete, vernichtete auch die übrigen Freiheiten der nichtkatholischen Volksclassen, und die erste Theilung des Landes war gleichfalls mit einer Beschränkung ihrer Rechte verbunden. Nie aber zeigte sich ein solches Zusammentreffen auffallender als in der Schlußscene Polens, an dem unglücklichsten Tage seiner Geschichte, am fünften November 1794. Unter dem schwachen Heerhaufen, der die ausgedehnten Befestigungen der Vorstadt Praga gegen Sumarow’s zahlreiche Schaaren vertheidigen sollte, befanden sich die Lithauische Garde, deren Officiere meist protestantische Edelleute waren, und das fünfte Infanterieregiment, das viele Protestanten zählte. Der Oberst dieses Regiments, Graf Paul Grabowski, der zu einer angesehenen protestantischen Familie gehörte, ein ausgezeichneter Kriegsmann, lag auf dem Krankenbette. Er erhob sich, um auf dem Ehrenposten nicht zu fehlen, wo der Angriff erwartet wurde, und fand einen rühmlichen Tod an der Spitze seines Regiments, das mit der lithauischen Garde bis auf den letzten Mann vernichtet wurde; nicht einer entkam, nicht einer ergab sich. Dieser Unglückstag brachte Trauer fast in alle protestantischen Adelsfamilien Lithauens, da jede den Tod eines Verwandten zu beklagen hatte. Haben die Protestanten wegen der Mittel, die sie anwendeten, um Abhilfe ihrer Beschwerden zu erhalten, sich Vorwürfe zugezogen, so haben sie den Irrthum edel abgebüßt, indem sie sich auf dem Scheiterhaufen ihres Vaterlandes als Sühnopfer hingaben.

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*) Lelewel’s Geschichte Stanislaus Poniatowski’s.

 

 

 

 

Rückblick und allgemeine Bemerkungen.

 

Die schnellen Fortschritte der Reformation in Polen waren hauptsächlich dem Umstande zuzuschreiben, daß sie den Boden vorbereitet fand, sowohl durch die von Huß verkündigten Lehren, als durch die politischen Rechte, welche zu jener Zeit nicht nur die Edelleute, die bevorzugte Classe, sondern auch die Städte genossen, die ihre Freiheiten noch nicht verloren hatten, und unter dem Schutze derselben gegen die Verfolgungssucht der Geistlichkeit gesichert waren. Die seit 1539 gesetzlich bestehende Preßfreiheit trug nicht wenig zur Verbreitung der aus dem westlichen Europa eingeführten Lehren bei. Dieselben Ursachen aber verhinderten auch, daß diese Lehren eine feste Grundlage erhielten. Durch die Anstrengungen einzelner Männer, und nicht durch die höchste Staatsgewalt verbreitet, trennten sie die herrschende Kirche in vereinzelte Gemeinden, führten aber keine Verbesserung dieser Kirche herbei, und es konnte daher nicht ein gleichförmiges System eines National-Gottesdienstes eingeführt werden, trotz der aufrichtigen Bemühungen vieler Männer, und trotz des zeitweiligen Erfolges des zu Sandomir geschlossenen Vergleiches. Laski’s Anstrengungen, der die protestantischen Gemeinden nach dem Vorbilde der englischen bischöflichen Kirche einzurichten suchte, würden vielleicht einen günstigen Erfolg gehabt haben, wenn er länger gelebt hätte. Wir dürfen mit Grund annehmen, daß Siegmund August und einige Bischöfe daran dachten, die Landeskirche durch das Einschreiten der Gesetzgebung zu verbessern, und daß der Tod des Königs eine Umwandlung verhinderte, welche die Herrschaft der evangelischen Lehre nicht nur in Polen gegründet, sondern auch die Verbreitung derselben unter allen slavischen Völkern befördert haben würde. Das Schwanken, das der König, der doch offenbar den protestantischen Meinungen huldigte, bei der Ausführung eines so wichtigen Werkes zeigte, darf man aber mit Recht auch der Meinungsverschiedenheit zuschreiben, welche die Reformatoren trennte. Mehre seiner Vertrauten neigten sich zu anti-trinitarischen Ansichten, und setzten seinen Geist in einen Zustand den Ungewißheit, der ihn vom einem entscheidenden Entschlusse zurückhielt. Trotz dieser ungünstigen Umstände aber, die eine Kirchenverbesserung durch das Einschreiten der gesetzgebenden Gewalt hinderten, hätten die Protestanten doch leicht ihrer Sache den Sieg verschaffen können, wenn sie nicht unverzeihliche Fehler begangen, und diese Sache durch die schmählichsten

 

 

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Zwistigkeiten verrathen hätten. Sie stritten sich nicht nur im Angesichte eines furchtbaren Feindes, sondern leisteten ihm auch Beistand gegen andere protestantische Parteien. Die Anhänger des Augsburgischen Bekenntnisses zeigten stets große Feindseligkeit gegen die böhmischen Brüder und die Reformirten, deren Bekenntnisse vollkommen national geworden waren; die Lutheraner, die besonders unter den deutschen Ansiedlern in den Städten sich fanden, behielten immer einen fremdländischen Charakter und verschmolzen nie mit dem Volksleben. Diese unglückliche Feindseligkeit und Zwietracht reizten die vornehmsten lutherischen Familien, die mächtigen Häuser Zborowski und Gorka, lieber einen katholischen Kronbewerber zu unterstützen, als einen Anhänger. der reformirten Kirche auf den Thron kommen zu lassen. Außer diesen unglücklichen Zerwürfnissen, welche die Protestanten schwächten, waren die anti-trinitarischen Lehren, die unter den schweizerischen Gemeinden aufkamen, der protestantischen Sache besonders verderblich. Diese Lehren, die den Offenbarungsglauben erschütterten und von Männern verfochten wurden, welche sich durch außerordentliche Geistesgaben auszeichneten, säeten nicht nur Zwietracht in dem Lager der Reformatoren aus, sondern bewogen auch viele, es zu verlassen, und diejenigen, deren Gemüther von Zwietracht und Ungewißheit ergriffen wurden, suchten Zuflucht im Schoße der alten Kirche, da sie eine bestimmte, auf die evangelische Wahrheit gegründete, wiewohl durch die Zusätze finsterer Zeiten entstellte Lehre derjenigen vorzogen, welche die Grundlagen des Christenthums aufhob. Die natürliche Folge der dadurch hervorgerufenen Ungewißheit war Gleichgiltigkeit in Glaubenssachen, und die Protestanten, die in diesen Zustand kamen, besannen sich nicht, zu einer Kirche überzugehen, die ihnen die größten zeitlichen Vortheile gewährte. Außer diesen Verirrungen ließen sich die Protestanten noch mehre andere Fehler zu Schulden kommen, die ihren Untergang beförderten. Den größten Fehler aber begingen sie unstreitig bei der berühmten Conföderation von 1573, welche ihnen vollkommene Rechtsgleichheit mit dem Katholiken sicherte. Es war, wie die Erfahrung bewiesen hat, nicht hinlänglich, eine Gewährleistung ihrer Rechte durch die Gesetzgebung zu verlangen, eine Gewährleistung, welche die katholische Geistlichkeit durch die Verweigerung ihrer Unterschrift sogleich für ungiltig erklärte und durch ihre Bemühungen endlich vernichtete. Die Protestanten durften nicht nachlassen, bis sie ihren unversöhnlichen Feind unschädlich gemacht, und ihn auf gleichen Fuß mit sich selbst gebracht hatten, nämlich bis die Bischöfe aus dem Senate verdrängt waren und die Stimme des Gesetzes den Ausspruch

 

 

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gethan hatte, daß die römisch-katholische Kirche nicht die herrschende sein sollte, und bis dieser Kirche die Mittel genommen waren, einen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten zu gewinnen, den die Protestanten nicht besaßen. Wäre die herrschende Kirche in diesen Zustand versetzt worden, so würden die Protestanten den Vortheil gehabt haben, auf gleichem Boden ihr Widerstand zu leisten, statt sich, wie es geschah, zu einem, seiner Natur nach trüglichen und unmöglichen Frieden mit einem Feinde bethören zu lassen, der sie als Empörer und Gewaltermächtiger betrachtete, und nur so lange sie zu bekämpfen unterließ, als es ihm unmöglich war, sie anzugreifen. Die Protestanten waren zu jener Zeit in Vereinigung mit den Anhängern der morgenländischen Kirche stark genug, jenen Sieg zu erringen, der allein ihnen Sicherheit geben konnte, und bei der damaligen Stimmung der Gemüther in Polen würden sie selbst von vielen Katholiken kräftigen Beistand erhalten haben. Statt aber diesen Weg einzuschlagen, den ihnen das Gesetz der Selbsterhaltung vorschreiben mußte, waren die Protestanten verblendet genug, alle bestehenden Rechte derselben katholischen Geistlichkeit zu gewährleisten, die ihren Gegnern eine gleiche Zusicherung verweigerte. Einen andern Fehler begingen die Protestanten bei derselben Gelegenheit, als sie eine gesetzliche Bestimmung annahmen; welche den Grundeigenthümern eine unbeschränkte Gewalt über ihre Bauern gab. Dieses Gesetz würde dem Lande zum Segen gediehen sein, wie es ihm verderblich geworden ist, hätten die protestantischen Grundherren die ihnen verliehene Gewalt dazu benutzt, ihre Unterthanen zu den evangelischen Lehren zu bekehren, und mit der religiösen Befreiung derselben die bürgerliche verbunden. Wir behaupten unbedenklich, daß sich die Protestanten der größten Pflichtvergessenheit gegen Gott und ihr Vaterland schuldig gemacht haben, als sie es unterließen, einen Weg einzuschlagen, den ihnen nicht nur die Vorschriften der Religion und der Sittlichkeit, sondern auch die Grundsätze einer gesunden Politik vorzeichneten. Die Belehrung und die Freilassung der zahlreichen Bauernclasse würde einen unwiderstehlichen Einfluß auf diesen Theil der Bevölkerung Polens ausgeübt, die Wagschale zu Gunsten der Reformation herabgezogen, und der Entwickelung der Volkswohlfahrt in moralischer und materieller Hinsicht den wohlthätigsten Anstoß gegeben haben. Es würde jedoch unbillig sein, wenn wir die Menschen und die Meinungen jener Zeit durchaus nach dem Maßstabe unserer Tage beurtheilen wollten, und es läßt sich viel zur Entschuldigung von Menschen sagen, die in den Kastenvorurtheilen, von welchen kein Theil Europas sich Ioszumachen vermochte, aufgewachsen waren,

 

 

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und durch die von den Bauern in Deutschland verübten Gewaltthaten besorgt gemacht wurden, welche die katholische Partei listig übertrieb und als Beweise der gefährlichen Richtung der Lehren der Reformation anführte. Einige Synoden empfahlen zwar dringend, für die unteren Volksclassen besondere Sorge zu tragen, und die böhmischen Brüder waren immer darauf bedacht, unter diesen Classen religiöse und sittliche Bildung zu befördern, und die zeitliche Wohlfahrt derselben zu erhöhen, aber die unablässige Gegenstrebung, die mit Siegmund’s III. Thronbesteigung begann, und während seiner langen Regierung mit zunehmender Macht fortdauerte, lichtete bald die Reihen der Protestanten, und sie waren nicht im Stande, ihren Einfluß auf die unteren Volksclassen auszuüben, welche bei ihrer Unwissenheit den Einwirkungen der katholischen Geistlichkeit um so leichter zugänglich waren. Gerade dieser Umstand aber hätte die protestantischen Grundherren bewegen sollen, ihre Bauern zu bekehren, und sie durch die Verbesserung ihrer Lage im sittlicher und bürgerlicher Hinsicht an sich zu fesseln, das sicherste Drittel, ihre Partei zu einem siegreichen Widerstande gegen ihre Feinde zu kräftigen. Dies war jedoch nicht allgemein der Fall, und diese Vernachlässigung ist als eine Hauptursache des Unterganges der protestantischen Sache in Polen zu betrachten *).

 

Dies war der Zustand der Protestanten. Betrachten wie nun die Widersacher, mit welchen sie zu kämpfen hatten, so finden wir in der ersten Reihe die Jesuiten, die alle Bewegungen der katholischen Partei in Polen leiteten, und auf diese Weise erhielten sie, da die Volkserziehung ganz in ihren Händen war, einen unbeschränkten Einfluß. Es war kein Wunder, daß eine so kräftig gegliederte Genossenschaft die uneinigen Reihen der Protestanten sprengte, und daß diese lockeren Schaaren jener geübten Phalanx der römischen Kirche nicht widerstehen konnten. Als die Jesuiten die Herrschaft über die Erziehung erlangt hatten, zogen sie die wenigen Talente, die sich trotz der in ihren Schulen befolgten nachtheiligen Unterrichtsweise entwickelten, in ihren Orden. Groß war ihr Einfluß auf alle Angelegenheiten des Volkes, von den wichtigsten Staatsverhandlungen bis auf die geheimsten

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*) Die Fürsten Radziwill haben mehre tausend Bauern auf ihren Gütern in Samogitien zum Protestantismus geführt, deren Nachkommen noch jetzt ihrem Glauben treu sind, und nach dem einstimmigen Zeugnisse katholischer Beobachter, in Hinsicht auf geistige Bildung, Sittlichleit und zeitliche Wohlfahrt, den günstigsten Gegensatz zu ihren katholischen Nachbarn bilden. Die polnischen Bauern sind jetzt ganz frei, ausgenommen in den Provinzen, die bei den drei Landestheilungen an Rußland fielen.

 

 

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Familienverhältnisse, aber immer blieben sie eine Art von fremder Macht, mitten unter dem Volke gelagert, doch von all seinen Interessen abgewendet. Sie gebrauchten das Volk als ein Werkzeug zur Erreichung ihrer Zwecke, und den überwiegenden Einfluß, den sie an allen katholischen Höfen besaßen, benutzten sie nie, Polens Interessen zu fördern, welche sie stets der Befestigung der Obergewalt Roms unbekümmert aufopferten. Den Verstand und die Gedanken konnten sie nicht beherrschen, und bemühten sich mit Erfolg, beide zu verdunkeln und zu unterdrücken *), und da ihr einziges Mittel, an der Macht Theil zu nehmen, darin bestand, diejenigen, in deren Händen sie lag, mit Ränken und Listen zu umspinnen, so wendeten sie Ränke und Schmeichelei aller Art an, um nicht nur auf den König, sondern auch auf die mächtigen Familien, welche in jenen traurigen Zeiten des National-Verfalles eine mit der Macht des Königs und der Freiheit des Bürgers unvereinbare oligarchische Gewalt besaßen, Einfluß zu gewinnen.

 

Polen war besonders unglücklich in der Wahl Siegmund’s III., dessen Regierung ausschließend darauf gerichtet war, die Bemühungen der Jesuiten zur Ausbreitung der Obergewalt Roms zu unterstützen. Solche Ursachen würden überall gleiche Wirkungen hervorgebracht haben, wie denn in der That die Sache der Reformation in vielen Ländern von den Glaubensmeinungen ihrer Fürsten abhing. Erwägen wir alle diese Umstände, so ist es kein Wunder, daß die vierzigjährige Regierung eines Königs, der so geschickte und eifrige Gehilfen als die Jesuiten hatte, die erstrebte Wirkung hervorbrachte, und die Protestanten so sehr schwächte, daß sie nicht mehr im Stande waren, mit der katholischen Partei zu ringen, und seit jener Zeit ihrem Untergange entgegen eilten. Es war nur der Milde des jeder Gewaltthat und Verfolgungssucht abgeneigten Volkscharakters zuzuschreiben, daß die Protestanten nicht gänzlich ausgerottet wurden; denn wäre nicht die katholische Geistlichkeit durch die angeseheneren Edelleute in ihrer Verfolgungssucht gehemmt worden, so würde man ohne Zweifel dieselben blutigen Schauspiele, die mehre andere Länder entehrten, auch in Polen gesehen haben. Dieser menschliche Charakter des Volkes, und die Gerechtsame der Edelleute oder des Ritterstandes schützten die nichtkatholischen Staatsbürger lange gegen

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*) Es kann als ein Beweis der geistigen Herabwürdigung und des verderbten Geschmacks gelten, die mit den Jesuiten in das Land kamen, daß die ausgezeichnetsten Werke aus der classischen Zeit der polnischen Literatur während eines Zeitraums von mehr als hundert Jahren nicht wieder abgedruckt wurden, obgleich sie nach der Wiederbelebung der Literatur in zahlreichen Ausgaben erschienen.

 

 

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den Verlust ihrer Rechte, und selbst in den schlimmsten Zeiten der Unterdrückung behielten sie nicht nur ihr Eigenthum, sondern es blieb ihnen auch ein offenes Geld zu ehrenvollen Bestrebungen, da sie auf alle Stellen im Heere Anspruch hatten. Die einzige von der Gesetzgebung ausgegangene Glaubensverfolgung traf die Socinianer, doch läßt sich diese Verfolgung nicht mit derjenigen vergleichen, die diese Partei in andern Ländern erleiden mußte. So groß die Verirrungen und Fehler der Edelleute auch immer waren, so darf man doch die wichtigen Dienste nicht vergessen, die sie ihrem Vaterlande sowohl, als der ganzen Christenheit leisteten. Die Geschichte hat der ritterlichen Tapferkeit, womit sie Europa gegen die morgenländischen Barbaren vertheidigte, Gerechtigkeit erwiesen, und wir wollen nur berühren, was die Religion und die Wissenschaften ihnen verdanken. Aus dem Ritterstande gingen die ausgezeichnetsten Reformatoren und Schriftsteller Polens, Laski, Rey, Trzecieski, Modrzewski, Orzechowski und andere hervor, welche für die Sache der Reformation und die Beförderung der Literatur so eifrig wirkten, und zum Theil auch im Auslande hohen Ruhm erlangten. Auch war es diese Classe, die sich mit Eifer dem Dienste der Kirche widmete; oft sah man Edelleute aus dem Feldlager kommen, um bei kirchlichen Berathungen zu wirken, und wenn sie ihre Pflicht gegen den Glauben erfüllt hatten, auf den Kampfplatz zurückkehren, oder an den Verhandlungen über die Angelegenheiten des Vaterlandes auf einem Reichstage oder in einer Provinzialversammlung Theil nehmen. Dieses bewegte Leben hinderte viele nicht, sich ernsten Studien zu widmen, wie ihre gelehrten Werke beweisen. So war der Ritterstand in Polen in den Tagen seiner politischen und geistigen Auszeichnung, und vergütete durch viele edle Eigenschaften einen unruhigen Geist und ein unmäßiges Festhalten an seinen Vorrechten. Die jesuitische Erziehung aber bewirkte die traurigste Veränderung in dem Charakter des polnischen Adels; Unwissenheit und Aberglaube traten an die Stelle von Kenntnissen, und alle Gelehrsamkeit beschränkte sich auf schlechtes Latein, womit man alle Reden und Briefe spickte. Unter solchen Umständen mußten der unruhige Geist, der Stolz und die Vorurtheile der Edelleute zunehmen, während ihre Thatkraft gebeugt und ihr Verstand umnebelt wurde. Dies brachte jene allgemeine Erstarrung und moralische Lähmung hervor, die unter dem sächsischen Königstamme herrschten, und die Aufregung jenes alten Geistes des polnischen Ritterstandes zurückhielten, welcher das Land aus Lagen gerettet hat, die weit gefährlicher waren, als diejenige, die das Vorspiel der ersten Theilung wurde. Hätte die Geistlichkeit ihren unermeßlichen Einfluß auf die Gemüther des Volkes mit jenem Eifer

 

 

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benutzt, den sie zeigte, um eine Aufregung gegen die Protestanten in Thorn hervorzurufen, so würde das Land bald von fremder Unterdrückung frei geworden sein.

 

Die große Mehrheit. des polnischen Volkes hat eine religiöse Gesinnung, und die harten Drangsale, welche das Land so oft heimsuchten, haben diese Stimmung nicht wenig erhöht. Der Glaube des Volkes ist aufrichtig, aber unaufgeklärt, und die schlichten und ungebildeten Bauern drängen sich mit tiefer Andacht zu den Kirchen, haben aber nur schwankende Begriffe von den wichtigsten Lehren des Christenthums, da die Geistlichkeit wenig Sorge trägt, sie über die Grundzüge des Glaubens aufzuklären. Diese Regungen sind innig verflochten mit dem Gefühle für die Nationalität, und dasselbe Kriegsgeschrei: „Der Glaube voran *)”! womit die polnischen Ritter in den Tagen ihres alten Ruhmes gegen die Ungläubigen kämpften, beseelte den polnischen Krieger auch in dem letzten Kampfe für die Unabhängigkeit des Volles. Wenn dieses Gefühl durch eine gehörige Ausbildung des Volksverstandes entwickelt würde, so müßte es Großes und Gutes hervorbringen, und die Quelle des größten Segens für das Land werden, indem es das Volk in religiöser, und folglich in moralischer, geistiger und politischer Beziehung, auf eine höhere Stufe führte. Dieser große Wunsch, der im sechzehnten Jahrhunderte der Erfüllung so nahe war, wurde zuerst durch die unglückliche Gegenstrebung der katholischen Partei verhindert, die das Volk in geistige Barbarei stürzte, und später, als es schnell aus langer Finsterniß hervorzutreten begann, durch die Ereignisse, welche das politische Dasein Polens vernichteten, und dem Volksgemüthe eine fast allgemeine Richtung gaben, das Iebhafte Verlangen, die politische Selbstständigkeit Polens wiederherzustellen. Es ist sehr merkwürdig, daß die politische Auflösung des Staats dem Volksleben einen neuen und kräftigen Anstoß gegeben, und unter den Bewohnern des Landes jenes unbezwingliche Gefühl für die Nationalität erweckt hat, das durch dieselben Ursachen gekräftigt und gesteigert wurde, die es vernichten zu müssen schienen. Was kann nachtheiliger für die Ausbildung der Sprache und Literatur eines Landes sein, als wenn es seine politische Selbstständigkeit verliert und in mehre, mit fremden Staaten vereinigte Theile aufgelöset wird? Dies war Polens Loos, und dennoch hat die polnische Literatur rasche Fortschritte gemacht, und es sind schätzbare Werke, nicht nur in mehren Theilen Polens, sondern selbst im Auslande, in Petersburg, Moskau und Wien, erschienen.

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*) Wiara-naprzod!

Krasinski.

 

 

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Die unglücklichen Versuche der Polen, ihr politisches Dasein wieder zu erlangen, die mit bitterer Täuschung und vermehrten Leiden endigten, haben ihre Hoffnungen nicht gedämpft, sondern nur gekräftigt. Dieses, und nur dieses Gefühl, ohne irgend eine Beimischung von Jacobinismus, Demokratismus oder einer politischen Theorie, hat die Polen stets bereit gemacht, sich jedem Opfer zur Wiedererlangung ihrer politischen Selbstständigkeit zu unterwerfen, und sie haben dies nicht nur durch ihren jüngsten Kampf für jenen Zweck, sondern vielleicht noch mehr durch die freudige Hingebung bewiesen, womit sie ihr Leben dem Dienste Frankreichs in Aegypten, Italien, San Domingo und Spanien, weihten, in der trüglichen Hoffnung, ihre Dienste durch die Wiederherstellung ihres Landes belohnt zu sehen. Dieses Gefühl beseelt eben so sehr die Vaterlandsfreunde, die für ihr Mißgeschick in den Bergwerken und Einöden Sibiriens büßen, und die heimathlosen Verbannten, die wie die Kinder Israels in allen Theilen der Welt wandern, als die Bewohner jedes Palastes und jeder Hütte in Polen. Ja, nicht nur diejenigen, deren Aussichten getrübt, und die durch den unglücklichen Zustand ihres Vaterlandes bedrängt sind, theilen dieses allgemeine Gefühl, ein geheimer Wunsch, das Vaterland wiederhergestellt zu sehen, erfüllt die Herzen mancher Polen, die das Glück mit allen Gaben bedachte, und die an den Höfen, zu deren Gebieten die alten Provinzen Polens jetzt gehören, hohe Würden besitzen. Einen noch entscheidenderen Beweis für die Stärke jenes allgemeinen Gefühles gaben viele Polen, welche zwar durch die Ereignisse, die das Land in der neuesten Zeit bewegten, alles zu verlieren, und keine Aussicht auf die Erlangung angemessener Vortheile hatten, aber dennoch an dem Aufstande Theil nahmen, ohne einen andern Zweck, als die Wiederherstellung ihres Vaterlandes zu beförden. Dies war besonders bei mehren Männern der Fall, welche, im Genusse aller Vortheile des Ranges und des Reichthums, von dem Gedanken beunruhigt wurden, daß ihre Väter durch politische Vergehen oder Verirrungen zu dem Untergange ihres Vaterlandes beigetragen hatten. Freudig opferten sie alle Vortheile, die sie genossen, um die Fehler ihrer Vorfahren abzubüßen, und den Makel abzuwischen, der an ihren Namen haftete. Viele dieser hochherzigen Männer leben jetzt in der Verbannung, und bei dem Gedanken, die Schuld ihrer Ahnen gesühnt zu haben, fühlen sie sich glücklicher in ihrer bedrängten Lage, als sie es einst im Besitze aller Gaben des Glückes waren. Darf man glauben, daß die Fürsehung ein solches Gefühl in die Herzen eines Volkes gelegt habe, ohne einen angemessenen Zweck? Nein, wir sind überzeugt,

 

 

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daß die harten Prüfungen, welche sie uns aufgelegt hat, eine Quelle größerer Segnungen werden sollen, und eine nothwendige Vorbereitung für einen besseren Zustand sind. Die steten Leiden, welchen Polen seit so vielen Jahren ausgesetzt war, haben nicht nur jenes Gefühl gekräftigt, sondern auch den heilsamsten Einfluß auf den Volkscharakter gehabt, indem sie die durch die französische Philosophie verbreiteten verderblichen Meinungen ausrotteten. Die religiöse Gesinnung, die sehr gelitten hatte, nimmt in Polen schnell zu, und offenbart sich nicht bloß in äußerer Andacht, sondern auch in täglicher Verbesserung der Sittlichkeit. Dieser glückliche Fortschritt wird eben sowohl zu der politischen, als der religiösen Befreiung des Landes führen, weil nichts einer Verbesserung der kirchlichen Angelegenheiten so hinderlich ist, als Gleichgiltigkeit im Glauben. Wir sprechen daher noch einmal die Ueberzeugung aus, das die religiöse Befreiung Polens eine Folge seiner politischen Freiheit sein wird *).

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*) Rom sieht mit seinem gewöhnlichen Scharfblicke, welche Gefahr seiner Herrschaft in Polen droht, wenn das Land wieder ein unabhängiger Staat werden sollte. Daher das bekannte Schreiben, das Gregor XVI. im Jahre 1832 an die polnischen Bischöfe richtete, und worin er den Aufstand in den stärksten Ausdrücken verdammte. Dieses Schreiben bezieht sich auf ein anderes von gleichem Inhalte, das während des Kampfes abgesendet ward, aber, wie der Papst klagt, nicht an seine Bestimmung gelangte. Diese Klage scheint nicht ganz gegründet zu sein, und obgleich das päpstliche Schreiben nicht veröffentlicht worden ist, so muß es doch unter der Geistlichkeit in Umlauf gekommen sein, da es eine bekannte Thatsache ist, daß die dem römischen Stuhle besonders ergebenen Mönche von dem Missionsorden den polnischen Soldaten die Lossprechung im Beichtstuhle versagten, weil sie gegen den Kaiser von Rußland gefochten hatten. Der Abbé Lamenais behauptet in seiner bekannten Schrift: Affaires de Rome, der Papst habe, besorgt, dass Oestreich sich der Legationen bemächtigen möchte, von Rußland eine Gewährleistung jener Theile seines Gebietes erlangt, unter der Bedingung, daß das Schreiben an die Bischöfe erlassen werden sollte. Der Papst hatte allerdings Ursache, den glücklichen Erfolg des polnischen Aufstandes zu fürchten, da mehre jüngere Geistliche sich über einen Plan zur Befreiung und Verbesserung der polnischen Kirche verständigt hatten, der auf den Grundlagen ruhte, daß eine gänzliche Trennung von Rom erfolgen, die Landessprache bei dem Gottesdienste eingeführt, die Priesterehe gestattet, die Hierarchie beibehalten, der Lehrsatz von der Brotverwandlung und die Ohrenbeichte dem Gewissen jedes Einzelnen überlassen werden sollte. Wir müssen die Bemerkung hinzufügen, daß die jetzt im preußischen Polen herrschende religiöse Aufregung keineswegs ein Beweis einer blinden Anhänglichleit an den Romanismus, sondern nur eine Kundgebung des geschickt in jene Richtung geführten Nationalgefühles ist, welche durch die Vertheidigung des Romanismus die polnische Nationalität gegen den Einfluß des Deutschthums zu vertheidigen sucht.

 

 

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Es würde unnütz sein, über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses zu sprechen, und zu untersuchen, ob es durch einen jener Stürme herbeigeführt werden soll, die neuerlich Europa bewegt, und die fein berechneten Entwürfe der weisesten Staatsmänner gestört haben, und die, wie viele fürchten oder hoffen, noch immer große Veränderungen des bestehenden politischen Systems in Europa hervorbringen möchten; oder ob es die Folge eines freiwilligen Entschlusses der Mächte sein werde, welche jetzt die getrennten Landestheile Polens besitzen, und vielleicht künftig durch die Ansichten einer gesunden, auf die Grundzüge der Gerechtigkeit und Sittlichkeit gestützten Politik angetrieben werden könnten, durch eine Sühne des großen politischen Vergehens, das die neuere Geschichte entweiht, den Frieden Europas zu befestigen.

 

Wir glauben, daß triftige Gründe und vieljährige Erfahrungen am Ende darthun werden, wie unpolitisch die Theilung Polens gewesen ist. Aus einer unbefangenen Erörterung möchte hervorgehen, daß keine der theilenden Mächte durch jene ungerechte Handlung Vortheile gewonnen hat, welche die bösen Folgen derselben aufwägen könnten. Es ist unnöthig, an den Widerspruch zu erinnern, den der ersten Theilung Polens die tugendhafte Maria Theresia entgegensetzte, deren Gewissensbedenklichkeiten und gesunde politische Ansichten durch die List ihrer Rathgeber beschwichtigt und getrübt wurden. Auch ist es bekannt, daß Oestreich die Theilung Polens sehr bereut, und auf dem Wiener Congreß sich bereit gezeigt hat, seinen Antheil herauszugeben, um die Errichtung eines unabhängigen Königreichs Polen herbeizuführen. Sind die wahren Interessen Preußens befördert worden, als es durch die Erwerbung des polnischen Gebietes seine Gränzen ausdehnte? Wir wollen nicht erörtern, daß es unpolitisch gewesen ist, eine Schranke aufzuheben, die sein Gebiet von dem großen nordischen Koloß trennte, dessen Vorposten jetzt wenige Tagemärsche von der preußischen Hauptstadt stehen. Ein anderer Umstand macht nach unserer Meinung die Erwerbung der polnischen Landestheile eher zu einer Quelle der Schwäche, als der Stärke der preußischen Monarchie. Die preußische Regierung, obgleich in der Theorie eine eigenmächtige, ist in hohem Grade fortschreitend, und geht mit schnellen Schritten einer constitutionellen Verfassung entgegen. Das von der preußischen Regierung unter allen Volksclassen eingeführte Erziehungssystem ist gewiß das wirksamste Mittel, ein Volk mit den Grundsätzen vernünftiger Freiheit bekannt zu machen, und zur eigenen Verwaltung seiner Angelegenheiten vorzubereiten. Ein nicht minder entscheidender Schritt, der zu diesem Ergebnisse führen muß, ist die allgemeine Volksbewaffnung. Diese wichtige Maßregel erlaubt

 

 

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selbst jetzt der Regierung nicht, einen Weg einzuschlagen, der mit der allgemeinen Volksmeinung im Widerstreite wäre, und macht die Frage von einer Repräsentativ-Verfassung zu einer solchen, bei welcher bloß von der Zeit der Einführung die Rede ist; denn wenn die Volksmeinung sie verlangt, so muß sie gewährt werden, und es ist nicht zu bezweifeln, daß dieses wichtige Ereigniß bald von der Regierung selbst wird herbeigeführt werden, deren politischem Scharfblicke die passende Zeit nicht entgehen kann. Der Anstoß, den ein solches Ereigniß den Gemüthern geben muß, wird besonders unter der polnischen Bevölkerung empfunden werden, die jene Gelegenheit ergreifen wird, dem Nationalgefühle die kräftigste Entwickelung zu geben, das in der Preßfreiheit nur die größte Begünstigung finden kann. Wird dies aber nicht ein fremdes, und folglich der deutschen Einheit des Reiches feindseliges Element sein, und wird es nicht den Fortschritt des Ganzen stören und hindern, indem dadurch unvermeidlich das Streben entsteht, sich von den übrigen Landestheilen zu trennen? Wird sich darin nicht eine stete Quelle eröffnen, aus welcher jeder Widerstand gegen die Regierung bedeutenden Beistand schöpft? Wird dieser große moralische Nachtheil durch den geringen materiellen Gewinn aufgewogen, den Preußen aus seinen polnischen Gebietstheilen zieht? Der größte Theil des ehemaligen Polens ist jetzt Rußland unterworfen, und nach der herrschenden Meinung hat das Reich durch diese Erwerbung den unermeßlichen Gewinn erlangt, daß es nicht nur wichtige Provinzen gewonnen hat, sondern auch in nahe Berührung mit dem westlichen Europa gekommen ist, von welchem es früher durch Polen getrennt war. Wir können jedoch dieser Meinung nicht beistimmen, und glauben, daß die moralischen und wirklichen Nachtheile, welchen Rußland durch die Vereinigung der polnischen Provinzen mit seinen unermeßlichen Besitzungen sich ausgesetzt hat, die scheinbare dadurch gewonnenen Vortheile weit überwiegen. Es ist bekannt, daß der russische Minister Graf Panin, der die Sache aus dem Gesichtspuncte eines Staatsmannes betrachtete, sich der ersten Theilung Polens standhaft widersetzte. Er betrachtete Polen als eine Schranke zwischen Rußland und dem westlichen Europa, die für den Vortheil beider Theile nothwendig wäre; Rußland würde, auf diese Weise gedeckt, die Bahn einer friedlichen Eroberung, die nützlicher als die glänzendsten Waffensiege wäre, durch Beförderung der Gesittung und der Wohlfahrt seines ausgedehnten Gebietes verfolgen, und seine Besitzungen im Morgenlande erweitern können, ohne durch eine unmittelbare Berührung mit den Angelegenheiten des Abendlandes gestört zu werden. Es läßt sich wohl nicht bezweifeln, dass

 

 

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Rußland, wenn es die Streitkräfte und Geldmittel, die es in Kriegen verschwendet hat, in welche es durch die Erwerbung der polnischen Provinzen gezogen ward, auf seine Eroberungen im Morgenlande verwendet hätte, ganz Mittel-Asien und Persien Iängst beherrschen würde. Der Fortschritt der russischen Macht würde im Morgenlande weit leichter gesichert worden sein als im Abendlande, weil sie in jener Richtung Völker gefunden hätte, welche auf einer niedrigeren Stufe der Gesittung standen und von Rußlands Herrschaft Vortheil haben konnten, während sie in der Ausdehnung nach Westen Völkern begegnen mußte, die weiter als sie in der Gesittung gekommen waren. Eroberungen in diesen Gegenden werden stets in einem schweigenden Widerstande, oder gar in einer fortdauernden Verschwörung sein, die zuweilen gefährlicher sind als die Feindseligkeit eines mächtigen Gegners. Dies ist gerade das Verhältniß, in welchem Polen zu Rußland steht. Die volkmäßigen Verfassungsformen, nach welchen Polen Jahrhunderte lang regiert wurde, sind tief in die Gewohnheiten des Volkes eingedrungen, und machen die Polen für eine constitutionelle Regierung fähig. Dies beweiset entscheidend der Umstand, daß Polen so lange als ein unabhängiger Staat bestand, trotz einer sehr fehlerhaften Regierungsform, deren auslösendem Principe kein anderes Volk vielleicht so lange widerstanden haben würde. Auf der andern Seite enthält Rußland, das seinen Ursprung, seine spätere Entwickelung und seine Fortschritte der starken Hand einer willkürlichen Gewalt verdankt, jetzt keine Elemente einer constitutionellen Regierungsform, und kann nur unter der Leitung unbeschränkter Gewalt auf der Bahn der Verbesserung und Gesittung vorschreiten. Die Vereinigung zweier so widerstreitenden Elemente ist unmöglich und muß nothwendig die traurigsten Folgen für beide Völker herbeiführen. Katharina, deren vorausblickende Politik die Unmöglichkeit erkannte, das neue Element, das sie durch die erste Theilung Polens in ihr Reich einführte, mit dem alten zu vereinigen, versuchte es, beide Völker zu verschmelzen, indem sie einen Mittelweg einschlug, und nicht nur den neu erworbenen Provinzen die alten volkmäßigen Formen örtlicher Verwaltung ließ, nach welchen fast alle Provinzial-Behörden gewählt wurden, sondern diese Einrichtung auch auf die alten russischen Provinzen ausdehnte. Die Wirkung dieser Formen, die eine große Anomalie unter einer despotischen Regierung sind, wurde gänzlich aufgehoben, indem man die gewählten Behörden unter Beamte stellte, die von der Krone ernannt wurden. Die Russen, welchen man diese Formen gab, fanden sich dadurch nicht geschmeichelt, und die Polen, welchen man sie ließ, waren nicht befriedigt.

 

 

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Die Verschmelzung beider Völker, die durch jene mildernden Maßregeln nicht herbeigeführt werden konnte, läßt sich noch weniger durch die gewaltsamen Maßregeln bewirken, die man jetzt zu demselben Zwecke anwendet, einem für Rußlands Ruhe gefährlichen Zwecke. Sie müssen, statt die Polen in Russen-zu verwandeln, auf Rußlands Völker die nachtheiligste Wirkung haben, indem sie ihnen Ansichten und Begriffe einflößen, welche gut, edel und nützlich in Ländern, die dazu vorbereitet sind, unter den Russen nur die Saat der Gesetzlosigkeit und Unordnung ausstreuen können. Es gibt unter den Russen unstreitig sehr erleuchtete Männer, welche sich zu Bürgern der gesittetsten Staaten Europas eignen; aber sie sind nur Ausnahmen von der allgemeinen Regel, denn die Masse des Volkes hat noch keine richtigen Begriffe von bürgerlicher oder politischer Freiheit, und kann sie allein durch die Iangsame Wirkung der Erziehung, und durch die allmäligen Fortschritte ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen erlangen, die sich nur durch die wohlgeleiteten Maßregein einer aufgeklärten, aber starken Regierung herbeiführen lassen. Die Masse des russischen Volkes steht zwar auf einer tieferen Stufe der Gesittung als die übrigen europäischen Völker, besitzt aber eine große Charakterstärke, welche zur Beförderung der Wohlfahrt des Reiches gut benutzt werden könnte. Die blinde Anhänglichkeit an die Gebräuche der griechischen Kirche, und die abgöttische Ergebenheit gegen den Kaiser, die den unteren Volksclassen eigen sind, kann man als ihr Nationalgefühl und ihre Vaterlandsliebe ansehen, und sie bilden die eigentliche Stärke des Reiches. Diese Stärke, dieses Lebensprincip Rußlands, wird nicht nur geschwächt, sondern zerstört werden, wenn die Masse des Volkes von freisinnigen Ideen angesteckt wird, die auf einem so unvorbereiteten Boden keine gesunden Begriffe von vernünftiger Freiheit, oder irgend etwas anderes als die ausschweifendsten Lehren der Demokratie und des Jacobinismus hervorbringen können. Dies wird die natürliche Folge einer erzwungenen Verschmelzung der Polen und Russen sein, da jene, wenn sie in das innere Rußland geführt, oder mit Gewalt unter das Heer gesteckt werden, sehr leicht ähnliche Meinungen unter denjenigen verbreiten werden, mit welchen sie in steter Berührung sind. Den Polen ist nur dieser Arm frei gelassen, gegen ihre Unterdrücker zu kämpfen, und er kann gefährliche Wunden versetzen. Ist es sehr leicht, Unzufriedenheit unter einem Volke zu verbreiten, das selbst unter der volkmäßigsten Regierung lebt, wenn man ihm die wirklich oder vermeintlich erlittenen Unbilden vorstellt, so ist es noch weit leichter in Rußland, das mehr von einer verderbten Verwaltung, als von seiner eigenmächtigen Regierungsform

 

 

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leidet, und wo es viele Millionen Leibeigene gibt. Die Verschwörungen, die jetzt immer häufiger in Rußland werden, bestätigen diese Meinung. Dies entging dem Kaiser Alexander nicht, und als ein Theil Polens im Jahre 1815 zu einem besonderen, mit Rußland nur durch das Band eines gemeinschaftlichen Beherrschers verbundenen Königreiche erhoben wurde, erklärte er die Absicht, den mit dem russischen Reiche vereinigten polnischen Provinzen eine abgesonderte Verwaltung zu geben. Die Erfahrung bewies jedoch, wie unangemessen halbe Maßregeln waren, dem Nachtheile abzuhelfen, der dem ganzen politischen System Europas durch die Vernichtung Polens zugefügt wurde, welche nicht weniger ein politischer Fehler als ein Verbrechen war, wie ein ausgezeichneter Schriftsteller und Staatsmann *), den man gewiß nicht einer Hinneigung zum Ultra-Liberalismus verdächtig machen kann, anerkannte, indem er die Theilung Polens als eines der gehässigsten und verderblichsten Ereignisse des achtzehnten Jahrhunderts betrachtete. Wie kann man den Frieden Europas für befestigt halten, wenn ein weit ausgedehntes Land durch die erzwungene und unnatürliche Stellung, in welche die theilenden Mächte die Bewohner desselben setzten, in ein Treibhaus von Verschwörung und Aufruhr verwandelt wurde, wo jeder, auch noch so tolle und zerstörende Versuch, die bestehende Ordnung der Dinge in Europa zu verändern, Theilnahme findet, indem sie Hoffnungen erweckt, welche, wie trüglich sie auch sein mögen, immer eine mächtige Wirkung auf die Gemüther einer aufgeregten Bevölkerung machen werden, die sich leicht zu den verzweifeltsten Schritten verleiten läßt, ohne daß die Anstrengungen einiger besonnenen Männer sie zurückzuhalten vermögen. Ist es nicht die heilige Pflicht der Staatsmänner, die über Europas Geschick wachen, diesen so unerfreulichen Zustand durch alle, in ihren Kräften stehenden Mittel zu ändern? Hat nicht eine lange Erfahrung bewiesen, daß alle zu diesem Zwecke angewendeten Zwangmittel nur dazu dienten, das Uebel zu erschweren, statt es zu entfernen? Eine auf die Grundsätze der Gerechtigkeit gestützte Politik muß Polen wieder zu einem unabhängigen Reiche machen. Dies allein kann jenes Uebel wirksam heilen, indem dadurch die Ursache entfernt wird und der europäische Friede eine feste Grundlage erhält. Diese Wiederherstellung aber, wenn sie für ganz Europa wohlthätig werden soll, muß vollständig sein, sie muß dauerhaft sein und folglich mit der Herrschaft einer kräftigen monarchischen, aber constitutionellen

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*) Gentz in seiner Schrift über den politischen Zustand Europas vor und nach der französischen Revolution.

 

 

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Regierungsform verbunden werden; Polen muß unabhängig sein, und daher nicht nur in seinen alten Gränzen wiederhergestellt, sondern auch gegen jeden fremden Einfluß gesichert werden; es muß eine durchaus volkthümliche Regierung erhalten, eine Bedingung, welche die Staatsmänner aller Zeiten als wesentlich nothwendig für die Wohlfahrt eines Landes betrachteten, welche die Protestanten Polens zu erkämpfen suchten, und die der begeisterte Vaterlandsfreund seinem Volke empfahl, als er sagte: „Du sollst aber aus Deinen Brüdern einen zum Könige über Dich setzen; Du kannst nicht irgend einen Fremden, der nicht Dein Bruder ist, über Dich setzen *).”

 

Nur aus einem solchen politischen Zustande des Landes kann das große Werk der religiösen Befreiung hervorgehen, die durch den Rückschritt der Geistesbildung unter der Herrschaft der Jesuiten, und später durch die alles verdrängende Aufregung verhindert wurde, welche die politische Vernichtung Polens erweckte. Nach der Entfernung dieser beiden großen Ursachen wird sich der Geist des Volkes unvermeidlich auf den für die einzelnen, wie für die Völker hochwichtigen Gegenstand, die Religion, wenden, und das nothwendige Ergebniß wird die Stiftung einer auf die reine Bibellehre gegründeten Landeskirche sein.

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*) 5 Mos. XVII, 15.

 

 

 

Druckfehler.

 

Die angegebenen Druckfehler wurden in den Text eingearbeitet.

 

 

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Quelle:

Valerian Krasinski: Geschichte des Ursprungs, Fortschritts und Verfalls der Reformation in Polen und ihres Einflusses auf den politischen, sittlichen und literarischen Zustand des Landes.

Leipzig, 1841. Verlag der J. C. Hinrichsschen Buchhandlung.

Nach dem englischen Original

Historical sketch of the rise, progress and decline of the reformation in Poland and of the influence which the Scriptural doctrines have exercised on that country in literary, moral, and political respects by Count Valerian Krasinski, vol I. (1838), vol II. (1840) London“

bearbeitet von Wilhelm Adolf Lindau.

Der Text der deutschen Bearbeitung von Lindau wurde durch das Münchener Digitalisierungszentrum zugänglich gemacht und kann unter folgendem Link eingesehen werden:

https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10449691?page=5

urn:nbn:de:bvb:12-bsb10449691-0

 

 

 

 

 

v. Ungern-Sternberg 1920: Der russisch-polnische Vorfriede

DIE GLOCKE

31. Heft 30. Oktober 1920 6. Jahrg.

Nachdruck sämtlicher Artikel ist nur mit ausführlicher Quellenangabe gestattet

 

Dr. R. v. UNGERN-STERNBERG

 

Der russisch-polnische Vorfriede.

 

In Riga ist am 8. Oktober zwischen Räterußland und Polen ein Vorfriede abgeschlossen worden, durch den die polnischerseits am 26. April d. J. eröffneten Feindseligkeiten einstweilen zum Abschluß gekommen sein dürften. Polen hat im April den Frieden gebrochen, weil es auf dem Verhandlungswege seinen Willen — im Osten die Grenzen von 1772, die im wesentlichen durch den Lauf des Dnjepr bestimmt waren, nicht glaubte durchsetzen zu können. Unter dem Druck der schweren Niederlagen, die Polen Mitte August erlitten hatte, sah es sich genötigt in Minsk zu Friedensverhandlungen überzugehen. Nunmehr stellte aber Rußland, das damals auf der Höhe seiner militärischen Erfolge stand, Friedensbedingungen, die Polen nicht nur auf seine ethnographischen Grenzen zurückwiesen, sondern auch das Bestreben verrieten, in die Hoheitsrechte des polnischen Staats einzugreifen (Zuteilung von Land an polnische Kriegsteilnehmer, weitgehende Abrüstung usw.).

 

Das jetzt vorliegende Verhandlungsergebnis ist ein Kompromiß zwischen den ursprünglichen, allerdings niemals ganz unzweideutig ausgesprochenen polnischen Gebietsforderungen (Grenze von 1772) und den russischen Bedingungen von Minsk.

 

Soweit die Vorfriedensbedingungen bisher bekannt geworden sind, soll die russisch-polnische Grenze von Norden nach Süden folgendermaßen verlaufen: an der Düna bei Drissa beginnend, westlich von Minsk über Baranowitschi, Luninez gerade nach Süden zur galizischen Grenze. Im Vergleich zu den Minsker Forderungen der Russen, die zudem auch alle ihre sonstigen Wünsche haben fallen lassen müssen, kann dieser Vorfriede als ein diplomatischer Sieg Polens erscheinen. Berücksichtigt man aber das ursprüngliche Verlangen der Polen nach den Grenzen von 1772, so kann man, auch vom polnischen Standpunkt aus, sagen — es war sträflicher Größenwahn, um der Rigaer Friedensbedingungen willen die Verheerungen und Lasten des Krieges dem Lande aufzubürden! So haben sich die Herren in Warschau den Ausgang des Feldzuges auch sicherlich nicht gedacht, als sie Anfang Mai Kiew überrumpelten. Und wenn die wirtschaftliche Lage Polens nicht dringend die beschleunigte Wiederkehr friedlicher Zustände fordern würde, wäre es mit dem

 

 

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844 Der russisch-polnische Vorfriede.

 

auf das höchste erschöpften Räterußland nicht zu diesem Kompromißfrieden gekommen, denn einen solchen hätten die Polen bereits im April jeden Tag haben können, wie aus dem Rotbuch der Sowjetregierung unzweideutig hervorgeht.

 

Ist nun durch diesen Friedensschluß ein Dauerzustand geschaffen, wird hiermit der uralte Streit zwischen Polen und Rußland: wer von beiden zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer die Vorherrschaft ausüben soll, als beigelegt zu betrachten sein? Nein. Solange Polen nicht allen großstaatlichen Zielen abschwört, wird es danach streben, bis zum Dnjepr vorzudringen und im Süden einen Ausgang zum Schwarzen Meer zu erlangen. Räterußland kann seinerseits die beiden zu ihm hinneigenden Republiken, Litauen und Weißrußland, nicht dauernd im Stich lassen, ohne sich handelspolitisch zu schädigen. Die beiden genannten Länder aber sind durch die Rigaer Bedingungen auf das schwerste geschädigt. Litauen wird durch die Grenzführung von Polen im Osten umklammert und von Rußland getrennt und gerät somit ganz in Abhängigkeit von Polen, mit dem eine Verständigung, die nicht eine Unterwerfung wäre, für Litauen überhaupt nicht möglich erscheint. Außerdem gehen alle Hoffnungen Litauens auf einen gewinnbringenden Durchgangsverkehr von und nach Rußland verloren, weil unter diesen Umständen der Weg über die lettländischen und ostländischen Häfen viel bequemer ist. Vom weißrussischen Gebiet werden durch den Vorfriedensvertrag weite Strecken losgerissen und den Segnungen der polnischen Staatlichkeit ausgeliefert. Bei dem Gegensatz, der zwischen den weißrussischen Bauern und den polnischen Großgrundbesitzern besteht, wird es auch hier über kurz oder lang zu inneren Kämpfen kommen. Schließlich bedeutet die Zuteilung des westlichen Wolhyniens mit seiner vorwiegend ukrainischen Bevölkerung an Polen und die „autonome“ Einverleibung Ostgaliziens in den polnischen Staat eine weitere Belastung Polens mit innerpolitischem Reibungsstoff. Das alles verheißt nicht die Einkehr von geordneten Verhältnissen und den Beginn eines friedlichen Zusammenlebens der Völkerschaften des ehemaligen Westrußlands.

 

Für Deutschland wäre als nachteiliges Ergebnis des russisch-polnischen Vorfriedens eine Erstarkung des polnischen Selbstgefühls zu verzeichnen. Allerdings spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß die fortschreitende wirtschaftliche Verelendung des Landes sehr bald einen starken Dämpfer der „siegreichen“ Nation auflegen wird. Besonders zu bedauern ist, daß die Russen ihre Absicht, mit Deutschland über Litauen eine gemeinsame Grenze zu erlangen und außerdem die Uebergabe der Bahnlinie Wolkowysk—Bialystok—Grajewo an Rußland herbeizuführen, nicht durchgesetzt haben. Das ist vom deutschen Standpunkt um so mehr zu bedauern, als diese Trennung Deutschlands von Rußland gerade die Polen von der Entente zugewiesene Aufgabe darstellt, die es somit als erfüllt ansehen kann.

 

 

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845 Wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Gegensätze.

 

Hierdurch rechtfertigt sich in den Augen der Entente, vor allem Frankreichs, eine weitere Stärkung des polnischen Vasallen.

 

Auf die innerpolitischen Verhältnisse Sowjetrußlands wird der Friede von Riga nicht von irgendwelchem Belang werden. Es ist meines Erachtens unrichtig, zu behaupten, daß die letzten Mißerfolge der Roten Armee und der darauf folgende diplomatische Rückzug in Riga die Stellung der Kommunisten erschüttert hätten. Das alles ist nicht von so großer Bedeutung, als daß hierdurch innerpolitische Verwickelungen in Räterußland entstehen könnten. Die Hauptsache bleibt, daß die Regierung überhaupt Frieden hat schließen können und damit der bedenklichen Kriegsmüdigkeit der Roten Armee Rechnung getragen hat. Zu einer Stärkung der Räteregierung wird auch der Abschluß des russisch-finnischen Friedens (15. Oktober) beitragen, so daß einstweilen Räterußland alle seine auswärtigen Feinde losgeworden ist, bis auf Wrangel, dessen Lage aber nunmehr sich recht hoffnungslos gestalten dürfte.

 

 

 

Quelle:

Die Glocke 6. Jg. 31. Heft vom 30. Oktober 1920 S. 843-845; Berlin. Verlag für Sozialwissenschaft

Dr. R. v. Ungern-Sternberg: Der russisch-polnische Vorfriede.

 

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