Eulenspiegel in Königslutter

Eulenspiegel in Königslutter
Eulenspiegel in Königslutter

Wie man im Bilde sieht, ist es von Königslutter bis Schöppenstedt gar nicht weit (s. Abb). Den Schelm vom Elm scheint es trotzdem nicht zu seiner Heimat auf der Sonnenseite dieses Höhenzuges zu ziehen, der hier auf seinem Wege von Celle her vor ihm lag. Dort hatte er bekanntlich gerade sein Leben durch Opferung seines Pferdes gerettet (s. 25. Historie). Der Herzog von Lüneburg hatte ihm nämlich das Land verboten und bestimmt, wenn er darin gefunden würde, ihn gefangen zu nehmen und zu henken, aber Eulenspiegel „reit oder gieng nüt destminder durch daz Land".
Als er einst so auf verbotenen Wegen ritt, erwischte ihn der Herzog persönlich. Ein Fluchtversuch vor dem gut berittenen Gefolge des Herrschers hätte den sicheren Tod bedeutet. Also mußte wieder mal List helfen. Kurzum stieg Till von seinem Klepper, schnitt diesem den Bauch auf, schüttete die Eingeweide heraus und stellte sich in den Rumpf. Vom Herzog auf die Todesstrafe bei Nichtbefolgung der Ausweisung hingewiesen (so streng waren damals die Sitten!) und befragt, warum er in der Pferdehaut stehe, antwortete der Schalk scheinbar demütig, er habe sein Lebtag vernommen, daß jeder das Recht auf Frieden innerhalb seiner vier Pfähle habe, und bat den Herzog um Gnade. Dieser gewährte sie lachend, verlangte aber sofortiges und striktes Einhalten des Landesverweises. Also mußte Eulenspiegel, den es gar sehr verdroß, zu Fuß zu gehen (s. 22. Historie), nun ohne Pferd das Land Lüneburg verlassen. Müde und mißmutig saß er schließlich auf dem Stein in Lutter, der Weg und Weite nach Schöppenstedt wies, wo er kein Feld für seine Saaten sah, und einst eindrucksvoller einzukehren gedachte. Da kam der Abt des Klosters Königslutter vorbei. Der fromme Mann fragte den so hilflos hinter der Klosterkirche Hockenden natürlich nach dem Grund seiner Niedergeschlagenheit. Der pfiffige Till verschwieg selbstverständlich seine Verbannung aus dem Herzogtum Lüneburg und berichtete ausführlich von seinem Aufenthalt am Dänischen Königshof, wo der König ihn seinen allerliebsten Hofdiener genannt hat und bis an sein Lebensende am Hof behielt (s. 23. Historie). Ganz beiläufig erwähnte er auch seinen Besuch beim König Casimir von Polen (s. 24. Historie), der ihn der unübertrefflichen Unterhaltung wegen reich belohnte. Nun wolle er den berühmten Hof des Landgrafen von Hessen aufsuchen. Leider hätten ihm Wegelagerer Roß und Reisegepäck geraubt und seinen Diener erschlagen, als dieser ihn schützen wollte. Das tat dem Abt sehr leid, und er nahm den Hilfsbedürftigen mit in die Klosterhospiz. Dem Schelm gefiel es wohl, als Gast des Klosters empfangen zu werden wie Christus (s. Regula Benedicti 53.1). Die Mönche begrüßten ihn höflich mit geneigtem Kopf und einer warf sich sogar vor ihn nieder auf die Erde. Nach dem Gebet tauschte man den Friedenskuß aus, und der Abt reichte ihm das Wasser zum Händewaschen vor dem Essen und wusch ihm gar noch die Füße. Am meisten gefiel es Till, daß er am Tisch des Abtes essen durfte und nicht so karg abgespeist wurde wie die Mönche. Am wenigsten behagte ihm aber, nicht von den Mönchen angesprochen zu werden und auf seine Anreden keine Antwort zu bekommen. Der Abt indes überlegte, weshalb wohl der Herr diesen Fahrenden in das Kloster geführt habe, denn es geschieht ja nichts ohne Gottes Willen. Als er Till bei der Betrachtung des Jagdfrieses an der Außenapsis der Kirche antraf, fragte er ihn, welchen Sinn er in diesem Bildwerk sähe, denn die im Kloster gängige Deutung konnte er nicht gutheißen. „Heiliger Vater”, sagte Eulenspiegel, „ daß dieses Bildwerk beiderlei Sinn sagen muß, wisset ihr wohl, den des Kaisers, der die Kirche bauen ließ, und den des Abtes, dem er sie gab.” Das hatte der Abt noch nie gehört, und es gefiel ihm gleich. „Welches aber ist das Anliegen des einen und des anderen?” fragte der Abt neugierig. „Nun”, fragte Till zurück, „sagt nicht jeder, was ihm nicht behagt und was die nicht mehr tun sollen, die er meint?” „Wohl gesprochen", entgegnete der Abt, „aber was ist es, was jeder von den beiden möchte, man solle es meiden?” „Das ist doch klar und wahr”, wurde ihm erwidert, „daß alle Wälder rings umher dem Kaiser gehören, und daß darin viele von den Bauern heimlich jagen, obwohl es verboten und ein Jagdaufseher eingesetzt ist. Also riet der Kanzler dem Kaiser, den Bauern Angst zu machen, mit der alten Mär, ein jeder, der zu Unrecht jage, werde auf Geheiß des Königs der Tiere, wovon er eins tötete, an unauffindbarem Ort in Banden gelegt. Man sieht es ja ganz deutlich, es ist ein Bäuerlein, das da jagt ohne Pferd und Waffen, und das zur Strafe gefesselt wird.” „Wahrlich”, entfuhr es überzeugt dem Abt, „das sehe ich genau! Aber was soll dann der Abt noch verkünden wollen, wovor soll er warnen?” „Selbstverständlich vor der Sünde, die die Mönche am meisten begehen”, antwortete Till und fragte gedehnt, „und welche ist das?” Der Abt senkte den Blick und sagte langsam und leise: „Das ist die sündige Sinnlichkeit.” „Schau auf, würdiger Vater, ist es nicht das Symbol der Sinnlichkeit, das den Menschen dort in der Mitte des Bildbandes niedergeworfen hat und in Fesseln schlägt, das fruchtbarste der Tiere?” Der Abt nickt nur und sagte: „Nun weiß ich, warum Dich der Herr zu uns schickte. Uns wurde gesagt, der Hase sei die vom Teufel gejagte arme Seele. Das mißfiel mir immer. Der Mensch, den Gott nach seinem Ebenbilde schuf, kann doch nicht der Teufel sein und die arme Seele kann niemals den Teufel besiegen und binden, das kann nur der Engel des Herrn am Ende der Zeiten.” Ei, dachte Eulenspiegel, da war vor mir noch ein schlimmerer Schalk. Wieviele werden noch kommen und den Menschen ihre Deutung dieser Bilder aufbinden! Es kamen, wie wir wissen, noch viele. Sie fanden Bildnisse nordischer Gottheiten in diesem Fries, obwohl es in den germanischen Religionen keine Götterbilder gab, sie fanden das Bildnis eines südländischen Steinmetzen in Verkleidung eines Bäuerleins und fanden immer auch, wie Eulenspiegel, die, die darauf reinfielen.Diese machen zu allen Zeiten Eulenspiegel erst möglich!

Otto Kruggel

veröffentlicht in Eulenspiegel-Jahrbuch 1997 Herausgegeben vom
Freundeskreis Till Eulenspiegels e.V.  S. 105-108

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